Hallo Mentor,
hier mal etwas ungeordnet mögliche Bedeutungen, die dem "Erzählspiel" beigemessen werden.
1) Ein Spiel, bei dem man reihum eine Geschichte erzählt, ohne Merkmale des klassischen Rollenspiels (z.B. das Kartenspiel "Es war einmal").
2) Ein Spiel, das noch Merkmale des klassischen Rollenspiels aufweist, allerdings durch Spielregeln den Handlungsverlauf und das Erzählrecht bestimmt. Prototyp dieser Spiele ist Universalis, die meisten kommen von der Forge (indie-rpgs.com) bzw. ihrem Umfeld, ohne dass zugleich alle Spiele, die von dort kommen, zur Universalis-Familie gehören würden.
2a) Eine Unterform dieser Spiele, der die Interaktivität weitgehend abhandengekommen ist, da tatsächlich immer ein Spieler "dran ist" und erzählt; teilweise abwertend als "Parlor Games" bezeichnet.
3) Ein Rollenspiel von White Wolf ("Storytelling Game").
4) Ein Rollenspiel, das Leute mögen, die auf story-games.com posten ("Story Game").
5) Herkömmliches Rollenspiel mit einer bestimmten Gewichtung / einem bestimmten Spielstil, hier allerdings mit einer sehr großen Bandbreite von nicht deckungsgleichen Begriffen und Verständnissen. Es kursieren bei den "Theoretikern" diverse Begriffe wie Dramatism, Narrativism/Story Now, Participationism, Illusionism. Robin Laws hat seinen "Storyteller" (nicht zu verwechseln mit dem von White Wolf) und als grober Oberbegriff ist auch schon der Begriff "story-orientiert" vorgeschlagen worden, dem es aber an Griffigkeit mangelt.
Ich habe mich entschieden, den Begriff "Erzählspiel" für mich weiter zu verwenden, weil er meinen bevorzugten Spielstil am besten beschreibt, aber ich gebe mich keinerlei Illusionen über die Trennschärfe des Begriffs hin.
Hier mal ein kleiner Sneak Peak auf DANGER ZONE, ein Action-Rollenspiel für Erzählspieler aus meiner Feder, das erscheint, sobald jemand Zeit hat, es zu layouten.
Gruß Vermi
Kleiner Erzählspiel-Leitfaden
Keine Panik! Was du hier in Händen hältst, ist nur ein ganz normales Rollenspiel. Es gibt ja sogar eine Initiativregel! Man kann Kämpfe und Verfolgungsjagden auswürfeln, und auf dem Charakterbogen steht drauf, was dein Charakter kann und was nicht. Aber: DANGER ZONE hat eine klare Spielphilosophie, und die habe ich einfach mal „Erzählspiel“ genannt. Ich hätte auch „Dramatismus“ oder „story-orientiertes Rollenspiel“ dazu sagen können, oder „Karl Theodor“, aber mir gefällt „Erzählspiel“. Vorsicht: Wenn jemand anders dieses Wort benutzt, meint er damit vielleicht etwas anderes als ich!
Also, was zum Geier meine ich denn nun damit? Damit meine ich, dass die Beteiligten durch das Rollenspiel eine unterhaltsame Geschichte erzählen wollen. „Erzählen“ im Gegensatz zu „erleben“ heißt, dass jeder am Tisch seinen Teil zur Geschichte beiträgt, ganz bewusst.
Nun kommt bei jeder Art von Rollenspiel am Ende eine Geschichte raus, egal ob man „seinen Charakter ausspielt“ oder „das Abenteuer lösen will“, „die Welt erforschen“ oder einfach nur „Gegner plätten“. Die Charaktere erleben etwas, dadurch entsteht eine Handlung. Beim Erzählspiel aber ist diese „Geschichte“ ein Hauptgrund, warum man spielt – was nicht heißt, dass man nicht auch mal einfach nur „seinen Charakter ausspielen“ kann. „Erzählen“ ist nicht das Gegenteil von „erleben“, man kann und sollte beides gleichzeitig tun.
Alles kann, nichts muss, niemals blocken
In DANGER ZONE geht es darum, dass Spieler und Spielleiter die Geschichte gemeinsam erzählen. Jeder trägt seinen Teil dazu bei. Das funktioniert am besten, wenn man diesen goldenen Leitsatz aus dem Improvisationstheater beherzigt: „Alles kann, nichts muss, niemals blocken.“ In einer guten Erzählspielrunde nehmen die Spieler das auf, was die anderen machen, und entwickeln es weiter. Sie spielen einander zu, nicht aneinander vorbei. Sie bauen aufeinander auf, statt einander zum Einsturz zu bringen.
Das heißt jetzt nicht, dass jede einzelne Aktion im Spiel ein dramatischer Höhepunkt sein muss. Eine Aktion kann auch einfach nur dazu dienen, diesen verdammten feindlichen Jäger endlich abzuschießen. Aber: Erzählspieler achten darauf, was die anderen tun. Sie verbauen sich nicht gegenseitig Möglichkeiten. Sie klauen sich nicht gegenseitig das Rampenlicht. Und manchmal treffen sie genau die Entscheidung, die für die Geschichte am spannendsten ist – und überraschen sich selbst und ihre Mitspieler damit.
Manche Spieler reiten ihre Charaktere so richtig in die Scheiße. Manche Spieler machen anderen Charakteren das Leben unnötig schwer. Oder unnötig leicht. Manche Spieler spielen ihren Charakter so richtig eklig und unausstehlich. Aber sie tun es so, dass die Gruppe Spaß daran hat, und nicht so, dass sie allen auf die Nerven gehen.
Und warum würfeln wir dann noch?
Wenn wir doch alles so erzählen wollen, wie es am Spannendsten und Interessantesten ist, warum sollten wir dann überhaupt noch einen Kampf auswürfeln? Ganz einfach: Weil’s Spaß macht! Das hier ist immer noch ein Spiel und kein Story-Workshop. Wenn man einen cleveren Geistesblitz hatte und dadurch den Kampf für sich entschieden hat, vielleicht auch was riskiert hat und dafür belohnt wurde, oder einfach nur entgegen aller Wahrscheinlichkeit saugut gewürfelt hat – das fetzt! Zufallselemente, Erfolg und Misserfolg auf Messers Schneide, können unheimlich spannend sein, und ein ehrlich verdienter Sieg schmeckt ungleich süßer als einer, den man geschenkt bekommt.
Worum es bei Kämpfen und Würfeln im Erzählspiel aber nicht geht, ist ein Wettstreit der Spieler untereinander oder eine Prüfung, ob ein Spieler „gut genug“ ist. Niemand soll durch Pech und Versagen zur Unzeit frustriert, um sein Rampenlicht betrogen oder aus der Geschichte heraus geschrieben werden. Der ehrlich verdiente Sieg ist der süßeste, aber manchmal ist der geschenkte Sieg immer noch besser als die ehrlich verdiente Niederlage. Wann das der Fall ist und wann nicht, müsst ihr als Gruppe für euch selbst erkennen. DANGER ZONE liefert euch durch die dramatischen Szenen und die Wagemut-Regeln Werkzeuge, die euch genau das erleichtern sollen.