Und genau das ist der Knackpunkt:
Man hat ja i.d.R. eben doch noch irgendein Netz oder einen doppelten Boden, mithilfe derer man sich um die Konsequenzen für ehrenhaftes Verhalten an der falschen Stelle drücken kann.
Nimm das mal weg, und schlagartig ändert sich die Bereitschaft der Spieler, diesen Weg zu gehen.
Um es nochmal klarzustellen: es geht mir nicht darum, eine Lanze für den ritterlichen (ehrenhaften, fairen) Kampf zu brechen. Das soll jeder handhaben, wie er mag. Das ist der springende Punkt: wie er mag. Kein System, das ich kenne, zwingt mir aufgrund seiner Mechanik irgendeine Charakterkonzept-Entscheidung auf. In all diesen Systemen ist es möglich, suboptimale Taktiken einzusetzen, ohne das zwingend der Charaktertod die Folge wäre. Das Heilmöglichkeiten existieren, trägt dazu bei. Es mag möglicherweise tatsächlich Systeme geben, in denen z.B. ein ehrenhafter Paladin aufgrund der Mechanik keine Überlebenschance hat (mir ist noch keines begegnet), und ich kann mir vermutlich eines ausdenken, in dem das so ist, aber vermutlich wäre es dann so tödlich, das Kampf egal in welcher Form an Selbstmord grenzte.
Aber in solchen Konstellationen sollte man dann vielleicht noch erwähnen, dass man dann als Einziger alle Naselang neue SC erstellen müssen wird und die anderen Spieler sich irgendwann fragen, ob man was an der Waffel hat.
Das ist doch wohl ein wenig übertrieben. Wie schon gesagt, die Systeme, die ich kenne, haben durchaus einen beträchtlichen Spielraum, was die Notwendigkeit optimaler Taktiken angeht. Es ist ja nicht so, daß ich im offenen Kampf zu 50% ins Gras beiße, und bei einem Hinterhalt keinerlei Risiko habe. "Tödliche" Kampfsysteme sind ja selten (ich kenne keines) deterministisch tödlich, sondern meist zufällig tödlich. In der allgemeinen Varianz der Tödlichkeit fällt die zusätzliche Varianz durch Optimierung der grundlegenden Kampftaktik (offen/aus dem Hinterhalt) meist eher wenig ins Gewicht.
Aber selbst wenn die Lebenserwartung des "ehrenhaften" Charakters etwas geringer sein sollte (wovon ich durchaus ausgehe): so what ? Charaktere sterben (besonders in "tödlichen" Systemen), manche früh am Glück ihrer Gegner, manche früh an ihrem eigenen Pech, und manche an Altersschwäche in ihrem Bett.
Beispiel Rolemaster (das ja im Ruf eine gewissen Tödlichkeit steht): Ich habe Charaktere, die spiele ich seit Jahrzehnten, und ich hatte Charaktere, die habe ich nur ein paar Stunden gespielt, bevor sie das Zeitliche segneten, und ich kann keinen Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Charakterkonzept erkennen (tatsächlich ist der "langlebigste" Charakter gleich auf mehreren Ebenen suboptimal, da müsste er eigentlich längst tot sein...)
Zudem spiele zumindest ich nicht zwei- oder dreimal hintereinander das Gleiche; ich vermute, daß eher selten immer wieder das gleiche suboptimale Charakterkonzept zur Anwendung kommt.
Abschließend nocheinmal meine These: Ob ich den Anreizen eines Systems, speziell auf Kampftaktik bezogen, folgen möchte oder nicht ist eine Entscheidung. Ich kenne kein System, in dem die Entscheidung, das nicht zu tun, offensichtlicher, hahnebüchener Unsinn wäre, und nur von geistig Minderbemittelten so getroffen werden kann. Folglich zwingen die mir bekannten Systeme niemanden zu irgendetwas.