Zu den anderen relevanten Wissenschaften fehlt mir ehrlich gesagt der Zugang. Als jemand der Informatik und Ingenieurswesen studiert hat belächelt man erstmal Germanistik, Theaterwissenschaften und Literaturwissenschaften usw. doch immer etwas als die angenehmen Hobbystudiengänge die man studiert hat um des Studierens willen oder weil man es sich leisten kann.
Und ich kann's nicht mehr hören. Können wir derartige Ressentiments bitte einmal aus der Diskussion rauslassen?
Subjektiv habe ich aber das Gefühl das diese ganzen Geisteswissenschaften zwar hervorragend arbeiten wenn es ums Analysieren geht, aber das Bereitstellen konkreter Methoden und Werkzeuge zur Unterstützung des Designprozesses scheint noch nicht so ausgeprägt zu sein.
Da unterschätzt du aber den Rahmen der Geisteswissenschaften als solcher. Ein Rollenspiel ist ja mitnichten nur ein Regelwerk – ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass das zentrale an einem Rollenspiel eben nicht die Mechaniken, sondern die Narration bzw. das Erzählen ist. Ein Rollenspiel ohne Mechaniken ist denkbar (Freeform, obwohl da zugegebenermaßen soziale Mechaniken greifen, Absprachen, etc.), ein Rollenspiel ohne Erzählen hingegen nicht (denn dann wäre es eher ein Brettspiel oder Tabletop). Es stimmt auch, dass die Literatur-, Medien- und Filmwissenschaften von ihrer Ausrichtung her zwar auf die Analyse von Stoffen abzielen, doch das ist nicht alles, was es da zu holen gibt. Strukturierung, Textaufbau, Kenntnisse zur Vermittlung von Inhalten, Textverständnis und sprachliche Sicherheit sind natürlich für jeden von Relevanz, der ein Rollenspiel
schreiben will. Konkret am Spieltisch lassen sich die Kenntnisse in Dramaturgie, präziser Formulierung, etc. natürlich auch einsetzen: Besonders in der Filmwissenschaft und der vergleichenden Medienwissenschaft kann man da eine ganze Menge von den Großmeistern lernen (Szenenaufbau, Montage, etc.) Und da es in Deutschland den Studiengang "Kreatives Schreiben" nicht gibt, werden die zu diesem Fach gehörigen Kenntnisse auch über die Geisteswissenschaften verteilt ausgelagert. Germanistik, Anglistik und Co. machen noch keinen guten Erzähler aus einem, aber sie helfen ungemein dabei, gute Geschichten zu bauen. Leserforschung und Zuschauerforschung hilft außerdem dabei, die Sehgewohnheiten deiner Mitspieler zu durchschauen und nichts zu erzählen, was diesen entgegenläuft. Game Studies, also die Beschäftigung mit Computerspielen als Medium, sind übrigens auch was Geisteswissenschaftliches. Wenn ich das Handwerkszeug habe, um zu analysieren, habe ich auch das Handwerkszeug, um zu reproduzieren. Vielleicht nicht im selben "Genialitätsgrad", aber die Basis ist vorhanden.
Insofern @Turning Wheel: Eine Formel gibt es nicht. Wohl aber Werkzeuge (Szene, Plot, Akt, Protagonist, Motiv, Katharsis, Metapher...). Und die lernt man in den Philologien.
Und das ist nur ein Teil dieser akademischen Felder. Der andere, die Sprachwissenschaft, ist womöglich noch viel lohnenswerter. Im Bereich der Pragmatik, also der konkreten Anwendung von Sprache gibt es im Rollenspielbereich viel zu holen, mal abgesehen davon, dass es einfach dabei hilft, die richtigen Worte für die Richtige Situation zu finden. Und dann noch die Theaterwissenschaft: Schauspieltheorie halte ich für ein Feld, dass womöglich sehr fruchtbar sein kann, will man durchschauen, wie Leute ihre Charaktere spielen und was das für's Spiel bedeutet – ernsthaft, wie viele Ratgeber für Spielleiter und Spieler gibt es, die erkären, wie man besser schauspielert
performt. Das ist ein Bereich des Rollenspiels, über den niemals jemand spricht, obwohl er meinen Erfahrungen nach, extrem zentral ist.
Turning Wheel und einige Vorredner haben auch Recht damit, dass noch andere Geisteswissenschaften gewinnbringend auf den Design-, Abenteuer-, Spiel- und (wie ich noch ergänzen würde) Performance-Teil angewendet werden können. Geschichtswissenschaft und Soziologie sind für den Settingbau quasi unerlässlich; letzteres kann man außerdem auf die Spielgruppe als solche anwenden.
Ich denke man kann mit Geisteswissenschaften viel übers Rollenspiel lernen. Man muss ja nicht die geisteswissenschaftlichen Konzepte, die schon da sind, aufs RPG anwenden. Man kann auch zu dem Schluss kommen, dass man eigene braucht. Aber in dem Fall halte ich es für sinnvoller, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern das Ganze mit Bezugnahme und in Abgrenzung dessen zu tun, was es eben schon gibt.