#140: Die verborgene GabeAutor: David Frogier de Ponlevoy, Christian Nehling, Alex Spohr
System: DSA
Erschienen: 2023
Umfang: Lang (25+ Stunden Spielzeit)
Warum habe ich das AB gelesen?Eine Kampagne im Diensten Rahjas? Das könnte interessant werden. Könnte natürlich auch total zum Fremdschämen sein. Jedenfalls hat es mich neugierig gemacht.
PlotRahja möchte den Menschen (oder zivilisierten Völkern oder was auch immer) eine neue, elfte Gabe für die bevorstehenden schweren Zeiten vermachen. Dazu muss der/die/das Empfänger*in aber erst eine Reihe von Prüfungen bestehen, was in der Praxis bedeutet: Die SC - die die Göttin persönlich als Geleitschutz raussucht - bestehen die Prüfungen, und der/die/das Empfänger*in versucht, dabei möglichst wenig zu stören.
EindruckZunächst einmal gestehe ich: Ich habe das Abenteuer nicht komplett zu Ende gelesen. Bei ca. Seite 80 hat mich die Geduld verlassen, den Rest habe ich nur noch grob quergelesen. Aber ich dachte, ein teilweiser Eindruck (klar als solcher gekennzeichnet) ist vielleicht immer noch besser als keiner?
Nun klingt ja schon dieser Auftakt, als fände ich das Abenteuer total schlecht. Dem ist gar nicht so. Es ist einfach nur so, dass es mich an keiner Stelle irgendwie gepackt, begeistert oder durch irgendwas Neues zum Weiterlesen motiviert hätte. Es ist ein solide gemachtes, routiniertes DSA-Abenteuer, wie es schon tonnenweise gibt. Aber gerade weil ich (siehe "Motivation") mir hier etwas wirklich anderes erhofft habe, hat mich das enttäuscht.
Ich will das bewusst nicht den Autoren zum Vorwurf machen. Wahrscheinlich ist das genau das, was sich die Fans von so einem Abenteuer wünschen: Ein göttlicher Auftrag, verschiedene Questen, interessante NSCs, viel soziale Interaktion, Reisen quer durch Aventurien. Viele Teilquesten (und auch ihre Reihenfolge) sind frei gestaltbar. Ja, das Abenteuer bietet sogar die Möglichkeit, sowohl die Geliebte der Göttin (oder das männliche Äquivalent dazu) als auch die Gegenspieler der SC aus verschiedenen Kandidaten auszuwählen. Mich hat das offen gestanden teilweise verwirrt, aber wenn ich mir mehr Mühe gegeben hätte, hätte man da sicherlich was draus machen können.
Mich hat beim Lesen des Abenteuers immer mehr ein Verdacht beschlichen, den ich in letzter Zeit häufiger bei aventurischen Abenteuern hatte: Kann es sein, dass das Setting für mich nach fast 40 Jahren und tausenden gelesener Seiten allmählich auserzählt ist? Den Mut oder die Manpower für den großen Wurf - nämlich endlich mit dem Sternenfall und dem Karmakothäeon und der Anbindung Myranors richtig loszulegen - hat man nach wie vor nicht, stattdessen dümpelt man weiter in Andeutungen und "irgendwann geht es dann ja auch mal los mit was ganz Großem"-Ankündigungen vor sich hin. Und man wird auch das Gefühl nicht los, dass es nach wie vor höchste Prämisse ist, dass sich nur ja nichts im beschaulichen Zuckerbäckerland verändern soll.
Der Aufhänger dieses Abenteuers ist so ein Beispiel: Die Göttin Rahja möchte der Menschheit eine weitere Gabe schenken (die bisherigen umfassen solch wichtige Dinge wie das Liebeslicht oder den Ersten Schleier; Artefakte, die man bei D&D auf Stufe 4 irgendwo in der Schublade eines im Vorbeigehen besiegten drittklassigen Hexers finden würde). Die wird dann voll wichtig sein für den bevorstehenden Kampf (siehe oben - er ist schon seit zehn Jahren irgendwie immer bevorstehend). Und am Ende entpuppt sie sich als die Fähigkeit, dass der Träger der Gabe eine ausgewählte Person wieder glücklich machen kann. Okay, ich kann schon sehen, dass das im Herrn der Ringe bei Denethor höchst nützlich gewesen wäre, aber so rein erzählerisch macht es als Abenteuerziel irgendwie nicht so viel her. Entsprechend halbherzig sind denn auch die Gegner, die das eher deswegen verhindern, weil sie alles verhindern wollen, dass die Zwölfe so machen (oder in einem Fall weil sie schlicht neugierig sind, was der Quatsch soll). Und das ist dann die große, superwichtige Queste? Also mich hat das jetzt nicht so abgeholt.
Dass ich mittlerweile ein Aventurien-Buch schon wieder zuklappen könnte, wenn die Worte "Namenloser" oder "Minderglobule" drin vorkommen, ist sicherlich nur meine persönliche Abneigung. Aber was vielleicht auch für andere schade ist, ist dass das Abenteuer auf dem Fest der Freuden beginnt, es aber keinerlei Hinweise darauf gibt, was da passiert (außer eben, dass eine neue Geliebte der Göttin (m/w) gewählt wird). Dabei hätte mich das interessiert, denn ich rätsele schon seit Erfindung von Belhanka, wie man das rollenspielerisch irgendwie interessant umgesetzt kriegt, ohne gleich einen Mord zu begehen
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Ansonsten habe ich scheinbar in Sachen Rahja-Kirche so einiges in letzter Zeit nicht mitgekriegt. "Auspeitscher" ist ein angesehener Titel in der Kirche? Al'Anfanische Rahja-Geweihte laufen in schwarzen Lederklamotten rum und haben "Fesseln 15"? Und Levthan ist neuerdings voll missverstanden und Levthan-Anhänger sind einfach nur naturverbundene Leute, die in bestimmten Nächten mit Flöten und Trommeln in die Wildnis ziehen und einander heimlich Liebesgedichte schreiben? Nun ja, wahrscheinlich werde ich einfach alt...
Alles in allem kann ich mir aber schon vorstellen, dass die klassische Gruppe aus Aventurien-Fans, die gerne viel soziale Interaktion spielen und einen engagierten, feinfühligen Spielleiter haben, an dem Abenteuer Freude haben können. Für mich war aber nach etwas mehr als der Hälfte klar, dass ich selbst es wohl nicht würde leiten wollen.
Ein Wort noch zu den Bildern: Das Titelbild (eine Art aventurischer Freiluft-Swingerclub, gefühlte 5 Minuten bevor alle Hemmungen fallen) empfinde ich persönlich als maximal dämlich. Die Innenillustrationen verzichten dann aber auf vergleichbare "alle fallen überall übereinander her"-Darstellungen. Bei den Rahjadienern und -dienerinnen hat man sich Mühe gegeben, wirklich hochwertige Abbildungen von attraktiven Menschen anfertigen zu lassen (dass beim einen oder anderen davon der Gesichtsausdruck für mich alles wieder zunichte macht, ist vermutlich erneut eher meinem persönlichen Verständnis von "attraktiv" geschuldet, aber da ist ja bekanntlich jeder anders). Gerade dass es für die meisten wichtigen NSC auch Abbildungen gibt, empfinde ich als gute Sache, weil man die im Spiel immer gut verwenden kann.