Da man mich anscheinend für einen strengen Abenteuerbewerter hält, wurde ich
vom Läuterer gebeten, mal meine 5er-Kriterien offenzulegen und anhand von exemplarischen Abenteuern festzumachen.
Insofern ich Details zu Abenteuern preisgebe, werde ich vom von mir so ungeliebten Spoiler-Tag Gebrauch machen, weil ich um das Alter vieler Tanelornis und die damit einhergehende Abhängigkeit von Herzmedikamenten weiß.
Aber vielleicht bleibe ich auch ausreichend abstrakt.
Vorab muss ich freilich erst einmal einige Vorbemerkungen machen.
Erstens können bei mir Welten liegen zwischen eigener Spielerfahrung und anschließender Bewertung des Abenteuers "wie es im Buche steht". Zwei ganz prominente Beispiele fallen mir spontan ein: Als Spieler habe ich die
Berge des Wahnsinns und die
Bruderschaft des Tieres geliebt. Als potentieller SL habe ich beiden Abenteuern aber 2 Punkte gegeben. Denn als SL lege ich den Bewertungsfokus auf die Frage, ob und weshalb (nicht) ich das Abenteuer leiten möchte - wobei ich eigtl nicht vorhabe, ein Abenteuer wegen mir nicht zusagender Inhalte/Themen schlechter einzuschätzen. Und da ist es leider oftmals so, dass ich unterm Strich feststelle, dass ich keine Lust habe, das vorliegende Abenteuer zu leiten. Als Spieler hingegen bewege ich mich in einem deutlich komplexeren Kontext, der meine strengen formalen SL-Kriterien aufweicht und auch an sich Verhasstes ignorierbar oder akzeptabel macht.
Zweitens bin ich natürlich nicht auf einem Kreuzzug oder - weniger dramatisch ausgedrückt - nicht der Meinung, dass nur ich Recht habe, dass also meine Kriterien die einzig oder überhaupt richtigen sind. Es sind einfach meine Kriterien, und obschon ich in meinem Leben gern deutlich mehr gespielt (und geleitet) hätte, habe ich doch genug erlebt und erfahren, um die Freude anderer an Abenteuern, die ich doof finde, nicht als unklug, unsittlich
, verirrt, verwirrt oder weniger wert als meine Kritik einzuschätzen. Also bitte immer im Hinterkopf behalten: Wenn ich ein Abenteuer im Tanelorn schlecht bewerte, dann schlage ich angesichts positiver Bewertungen durch andere nicht die Hände überm Kopf zusammen. Eigtl finde ich es viel geiler, wenn ein Abenteuer gute Laune macht, und ich muss der Welt nicht beweisen, dass sie (mal wieder) voll daneben liegt.
Drittens habe ich natürlich meine Kriterien, aber ich habe keinen fixen Bewertungskatalog, und ich bin mir bewusst, dass ich von externen Bedingungen beeinflussbar bin und daher mitunter die eine oder andere Brille aufhabe.
Viertens habe ich gerade tatsächlich wieder vergessen. Ich bin ja schließlich auch schon über 40. ... Ach ja! Also: 5 Punkte habe ich in letzter Zeit nach meinem Empfinden geradezu inflationär vergeben. Bestimmt drei oder vier Mal in den letzten 12 bis 18 Monaten, was ich als einen Akt von Altersmilde einstufe! Das ist eigtl entgegen meiner Maxime, nach der die 5 ein Quasi-Alleinstellungsmerkmal sein soll. Aber ich bin eigtl ohnehin kein Freund des Systems 1-5, sondern würde lieber mit einer 10er Skala arbeiten. Dann nämlich würde ich die 10 praktisch/faktisch unangetastet lassen, außer einer der seltenen "nahezu perfekten" Sterne fiele vom Himmel, und würde stattdessen gern die 8 vergeben und selten die 9.
Fünftens bin ich mir vollauf bewusst, dass "Schwächen in Abenteuern erkennen" und "selbst gute Abenteuer schreiben" nicht Hand in Hand gehen. Es ist mE schön und wichtig, wenn man eine Vision hat, die über ein "die Spieler sollen gefälligst alle so tollen Details meines Abenteuers bespielen und supi finden" hinausgeht, aber auch der größte Prophet mag mit Blindheit geschlagen sein, wenn die eigene Toilette sauber bleiben soll. (Jetzt frage ich mich, ob dieses Bild zielführend ist.) Reden ist leicht, Machen ist schwierig. Aber wer ein Abenteuer bewertet, der redet nun einmal, und gerät darüber nicht in die Pflicht, eigenes Können zu beweisen.
Meine Kriterien: Für eine glatte 5 müsste ein Abenteuer Stimmigkeit, Offenheit (gern/idR auch innerhalb eines gesteckten Rahmens) und "den Clou" in sich vereinen und dabei irgendwie noch besonders glänzen.
Das schreibe ich hier so salopp, was der Angelegenheit eine gewisse Banalität verleiht. Aber spätestens auf den zweiten Blick sollte klar werden, dass zumindest Stimmigkeit und Offenheit keineswegs allgemein geteilte Kriterien sind. Einzig "der Clou", so undefiniert ich das jetzt mal lasse, ist ein Detail, dessen Existenz im Abenteuer wahrscheinlich vom Gros der hier Mitlesenden als grundsätzlich die Bewertung anhebend aufgefasst wird, wenngleich der "Clou" für manche wohl auch nur ein Bonbon ist, ein Bonus, kein Muss.
Aber Achtung! Erstens gilt die dritte Vorbemerkung (siehe oben; insbesondere im Hinblick auf die Nichtexistenz eines fixen Bewertungskatalogs), zweitens kann zB auch Railroading oder "Gängelei" im Einzelfall ein "Feature" sein, zB wenn es "den Clou" ausmacht. Ein gutes Beispiel hierfür ist das "
Rollende Würfel"-Abenteuer aus der DSA-Anthologie
Maskenspiele und Kabale, da es meine Meta-Sinne anspricht, indem es in meiner Interpretation der Dinge eine ausgeklügelte Betrachtung unseres Hobbies ist - auch wenn viele Spieler diese Perspektive wahrscheinlich nicht entwickeln werden. Meines Erachtens war es nicht selbstverständlich, dass das Abenteuer überhaupt "zugelassen" wurde, was glücklicher Weise passiert ist. Hingegen schneidet der
Sänger von Dhol (CoC) bei mir nicht so gut ab, auch wenn ich nun wieder als Exot gelte.
Das Abenteuer ist nämlich schlampig: Das Potential und die Idee sind supi, die Charaktere sind eigtl klasse (auch wenn man hier gewiss nachbessern kann), aber der Autor hat sich von der dunklen Seite der Macht verleiten lassen und den schnellen Weg gewählt, indem er die Spieler durch teils haarsträubende Schienenlegungen selbst im kleinen Maßstab bei diesem doch eigtl hoch interaktiven Abenteuer nur ja Richtung "Finale" schleusen will. Mit mehr Mühe und Willen ("Offenheit ist ein Plus!") wäre es sicherlich möglich gewesen, eine geräumige Inselmanege ohne Nasenringe zu gestalten. (Ich habe das Abenteuer gespielt und gelesen. Ob ich es leiten wollen würde, weiß ich noch nicht - immerhin!
)
Stimmigkeit und Logik sind für mich essentielle Fundamente eines Abenteuers, weil die
empfundene Stimmigkeit, falls die sich auch nach einem zweiten Lesen noch einstellen sollte, mir als potentiellem SL ein sicheres Gefühl gibt. Und ich werde sensibel, wenn ich den Eindruck gewinne, dass Stimmigkeit den Autor gar nicht erst interessiert hat. Die Purist-Reihe für Trail of Cthulhu ist ein hier im Tanelorn bekanntes Beispiel. Insbesondere
Dance in the Blood ist mE ein ganz trauriges Beispiel, weil das Potential des Abenteuers so gewaltig ist und es wegen seiner Kürze eigtl mit wenig Aufwand an den Spieltisch zu bringen ist. Heiliger Dackel, ja! Das Abenteuer ist schlampig umgesetzt! So klein ist das Abenteuer, so unbeeinträchtigt von etwaigen anderen Hintergrundsetzungen, wäre es da wirklich so viel Aufwand gewesen, mehr auf Stimmigkeit zu achten? Wie ungleich schwerer mag es da Adam Gauntlett gehabt haben, als er
Soldiers of Pen and Ink (Trail of Cthulhu) schrieb, und der es dennoch geschafft hat, ein komplexes und stimmiges Abenteuer im Madrid zu Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs zu zeichnen? Dieses Abenteuer ist übrigens eine Empfehlung an Dich, @Läuterer, sowohl im Hinblick auf Qualität, als auch bezugnehmend auf Deinen aktuellen Fokus.
Was nun den "Clou" angeht: Puh, wie erkläre ich das jetzt?
Abenteuer wie
Dance in the Blood oder
Sänger von Dhol haben einen Clou, ebenso
Dreamhounds of Paris (wenngleich einen ganz anders gearteten, der nicht auf Überraschung/Enthüllung basiert),
Rollende Würfel (ein Meta-Clou, der voll auf die Umsetzung ausschlägt) etc pp. Derlei ist wohl immer ein Plus für die Bewertung, sollte mE aber nicht über allem anderen stehen. Bspw hat
Die Toten des Winters (Hârnmaster) keinen wirklichen Clou, aber dafür ist es mE ein Paradebeispiel für ein gutes und gut umgesetztes Abenteuer, das stimmig ist und offen, was es in meinen Augen zu Lehrmaterial für Autoren macht (5 Punkte).
Nebenbei: In Sachen Sorgfalt - auch wenn daraus nicht unbedingt 5 Punkte erwachsen müssen - kann ich noch Jason Morningstar (Fiasko!) und seine beiden Abenteuer
The Black Drop und
Many Fires für Trail of Cthulhu hervorheben. Ich mag jetzt eigtl nicht für beide Abenteuer die Hand ins Feuer legen, ohne sie noch einmal gelesen zu haben. Aber Jason hat sich nicht verleiten lassen (dunkle Seite!
) und er hat recherchiert (was bewusst vorgenommene Abweichungen nicht ausschließt), und die Abenteuer fühlen sich stimmig an. Von
Black Drop weiß ich auch noch, dass es einen echten "Clou" hat. Ich habe übrigens
Eternal Lies wohl 5 Punkte gegeben, wobei das schon sehr altermilde war und im besten Glauben geschah, dass das Abenteuer wirklich so gut ist. Ich habe ja schließlich vier Jahre lang daran gespielt und habe durch die Aufzeichnungen unseres allseits bekannten Purpurnen Tentakels, dessen Einschätzungen ich oft teile, den Eindruck gewonnen, dass das Abenteuer viele Fehler und Sünden von bspw den
Bergen des Wahnsinns nicht begangen hat. (Ich muss es aber noch lesen.)
Interessant, interessant, aber die vom Läuterer besprochenen
The Lake in the Mist und
Bosworth House gefallen mir sehr gut. Dabei ist der "Lake" gar nicht mal ein richtiges Abenteuer. Hauptsächlich gefällt mir an beiden das "kleine Setting" und dass sie in sich stimmig sind. Beide Szenarien sind leicht aufbohrbar / integrierbar und offen in der Umsetzung. Das
Bosworth House schildert die Situation völlig unaufgeregt und präzise und gibt gute SL-Hinweise und zeigt mE das man mit eigtl Nichts sehr viel machen kann. 5 Punkte würde ich aber in beiden Fällen nicht vergeben. @Läuterer: Tipp für Dich wegen Deines aktuellen Fokus!
Der Lake ist hervorragend in eine Hastur-Kampagne integrierbar! Lake in the Mist --> See von Hali (siehe Delta Green) - der Lake könnte bspw ein Tor sein. Die beschriebenen Phänomene passen übrigens sehr gut zur Art von Wahnsinn wie für Hastur beschrieben - wie profan sind dagegen die Ausführungen in Tatters of the King!.
Ich weiß nicht mehr, ob ich den
Froschkönig-Fragmenten 4 oder 5 Punkte gegeben habe. Eigtl würde ich heute gegen 4 tendieren, denn allein die typischen 90er-Jahre-Elemente Fließtextversteck und Spannung-vor-Information ziehen schon runter. Aber ich war als Spieler begeistert und war nach dem Lesen des Abenteuers nicht mit einem Male entsetzt. Es kann aber auch sein, dass ich ob der Fließtextverstecke manche Sünde an meinen Kriterien übersehen habe.
Abschließend habe ich noch ein Negativ-Beispiel, nämlich das
Whitechapel Black-Letter aus Bookhounds of London (Trail of Cthulhu, Kenneth Hite).
Der Anhang ist als SPOILER zu werten. Ich habe dieses Abenteuer geleitet, weil es wirklich gut zum interessanten Setting passt und auf den ersten Blick eine hervorragende Anlage hat, und dann unter Schmerzen am offenen Spielrundenherzen komplett umgeschrieben. Meines Erachtens wurde mal wieder schlampig gearbeitet. Erstens besitzen die diversen Parteien keine gute Motivation, keine sinnvolle Vorgehensweise und keine ausreichende Beschreibung ihrer Ressourcen. Total kokolores. Ich habe während des Leitens mE sinnvolle Alternativen und Beziehungen erstellt. Von da an konnte ich "aus der Hüfte", flexibel und mE sinnvoll auf die Aktionen der Spieler reagieren. Zweitens - und daruaf bezieht sich der Anhang - funktioniert ein ToC-Abenteuer entlang einer oder gern auch mehrerer Hinweisketten. Es gibt die sogenannten "Core Clues", für die keine "Spends" gemacht werden müssen, dh es müssen keine Poolpunkte der eingesetzten "Investigative Ability" ausgegeben werden. Denn "Spends" dienen niemals nur der Beschaffung des unbedingt benötigten Inhalts, sondern verschaffen "lediglich" zusätzliche Informations- und Handlungsvorteile. Strenggenommen also sollte ein ToC-Abenteuer rein von den Hinweisen ausgehend komplett ohne Spends bis zum Ziel führen, da ja die ToC-Prämisse ist: Scheitere niemals am Fehlen von Hinweisen (wie in CoC, Paradebeispiel misslungener Wurf auf "Spot Hidden"), sondern höchstens an der Fehlinterpretation der Hinweise. So, nun aber führt das Abenteuer in eine Sackgasse. Mitten in der Handlung gibt es keine weiterführenden Hinweise mehr - außer der SL "improvisiert". Ich muss vielleicht relativieren, indem ich zugestehe, dass ein / dieses Bookhounds-Abenteuer vielleicht kein typisches ist, das keiner durchgehenden Hinweiskette bedarf. Aber irgendwie, nein. Das Gumshoe-System gibt mit seiner Systematik an und es bietet tatsächlich über die unterschiedlichen Hinweistypen (Beispiele: Floating, Antagonist Reaction) ein flexibles System, um dem SL eine gute Hilfestellung zu geben, die vorhandenen Hinweise an die Spielrunde zu bringen. Und das ist hier nicht in hinreichendem Maße geschehen. Aber vielleicht bin ich wirklich zu streng angesichts solcher Settings wie
Dreamhounds of Paris oder
Armitage Files (oder
Dracula Dossier), die ja die Improvisation zur Maxime erhoben haben. Aber darauf wird man mE im Black-Letter-Abenteuer nicht vorbereitet (es ist aber nun natürlich auch schon wieder sieben Jahre her bei mir, und ich habe nicht den ganzen Abenteuertext im Kopf). Meine Grundaussage zum Punkt mit den Hinweisen ist: In einem kurzen, konkreten ToC-Abenteuer erwarte ich eine lückenlose Hinweiskette, so wie es mW im Regelwerk auch beschrieben und beworben wird. ... Wenn ich nun aber überlege, habe ich eine "lückenlose Hinweiskette" in meiner Überarbeitung auch nicht nachträglich angelegt, sondern auf Basis der Motivationen, Optionen und Trigger der Beteiligten den weiteren Verlauf einfach dynamisch entwickelt ... improvisiert.
So funktionudelt der rillenmanni!
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