Postapokalypse und Horror
Gerade ersteres ist für mich tatsächlich eher ein atmosphärischer Anstrich bzw. eine Setting-Facette als ein Einfluss auf das tatsächliche
Spiel – und als solche werden sie auch im Buch besprochen. Wenn ich Engel-SCs spiele, will ich ja nicht ständig nach Nahrung oder Wasser suchen oder mich die ganze Zeit über vor Verstrahlung fürchten müssen, und für die allgegenwärtige Verzweiflung der Bevölkerung bin ich ja selten das Ziel und meistens viel eher der personifizierte Hoffnungsschimmer. Engel müssen nicht mal so viel kacken wie Menschen.
Der Horror ist natürlich drin, aber imho auch eher atmosphärisch bzw. punktuell: In den allermeisten Situationen passen die Tropen anderer Horror-Rollenspiele (bspw. eine hohe Sterblichkeit oder die Ohnmacht der Charaktere) nur bedingt zu den Engel-SCs. Tatsächlich kommen die ganzen Old-WoD-Vergleiche, die sich Engel anfangs gefallen lassen musste, nicht von ungefähr – Horror spielt schon eine entscheidende Rolle, aber am Ende
spielt man eher die Superhelden, die sich diesem Horror stellen. Ins Spiel kommt der Horror natürlich auch als Teil des Coming of Age (so mit Body Horror und einem zweifelhaften Platz in einer scheinbar feindlichen Welt) oder des Kriegs-Genres (ist denk ich selbstklärend).
Ich finde also tatsächlich, dass es bei Engel eine gewisse (gewollte!) Dissonanz zwischen der Spielwelt und dem Spielstil gibt. Es ist Postapokalypse, es ist Horror, und es gibt auch noch einige andere Sachen, die es ist – aber der Umstand, dass man in dieser düsteren Welt die
Engel spielt, relativiert da eine Menge. Mit dem großen Twist des Settings und gewissen Einzelaspekten (ich sage nur diese gewisse "Unausweichlichkeit" des Endes) wird das natürlich wieder etwas umgedreht und subvertiert, aber dafür muss es ja auch erstmal irgendwo etabliert sein.
Wenn man Menschen spielt, sieht das alles generell anders aus, aber für die sind diese drei Facetten auch nicht gedacht.
Und man muss erwähnen, dass Superhelden nicht nur Friede-Freude-Eierkuchen sind. Da geht es dann auch um Sachen wie Macht und Verantwortung, die Vigilanten- bzw. Ausgestoßenen-Rolle und den Fakt, dass es natürlich auch Schurken gibt und der Übergang schon mal fließend sein kann.
Edit: Mir fällt gerade noch eine schön handliche Erklärung ein.
In Engel spielt man (standardmäßig & "anfangs") eben nicht die Menschen, die unter der Postapokalypse leiden und wehrlos vom Horror zerpflückt werden, sondern die Soldaten/Helden, die die Möglichkeiten haben, um für sie einzustehen.
Daher auch noch mal der Hinweis, dass man den Fokus natürlich individuell legen kann: Wenn man die Engel allem voran wie Soldaten behandelt (und entsprechende optionale Regeln wählt), kann die Traumsaat natürlich einen erheblich horrorhafteren Anstrich haben. Die drei Genre-Facetten sind eher ein Buffet, an dem sich bedienen kann, und eine ungefähr ausgeglichene Auswahl ergibt den Spielstil, den wir mit den Standardregeln angezielt haben (und für den Fate in der ungefähren Core-Ausprägung auch wie die Faust aufs Auge passt).