Ich hatte schon länger vor, endlich mal ein paar Worte zu
Darkening zu verlieren, denn wenn es eine Kampagne gibt, die das verdient, dann diese.
Vorab: In unserer
The One Ring Kampagne habe ich als SL die ersten paar Seiten bis Anfang 2949 benutzt, um die
Tales from Wilderland und eigene Unternehmungen der Gruppe zu ergänzen. Damit habe ich den weiten Bogen, den
Darkening von 2947 bis 2977 spannt, also höchstens angekratzt. Deutlich wird der Umfang dieser 30 Jahre auch, wenn man sich überlegt, dass Charaktere in TOR selten mal 15 Jahre aktiv bleiben. Meine Gruppe hat von 2947-50 gespielt und mindestens ein SC hätte sich danach schon zur Ruhe setzen können. Überdies geht TOR standardmäßig von 3 Sessions (<4h) pro Adventuring Phase aus, was bei einem Abenteuer pro Jahr, dem Takt, den
Darkening vorgibt, 90 (!) Sessions ergibt.
Das Dahinfließen der Zeit, Vergänglichkeit und Wandel sind für mich der eigentliche thematische Kern von
The Darkening of Mirkwood. Ich denke, die Struktur der Kampagne sowie das Regelsystem unterstützen das und man sollte diesen Punkt im Blick behalten, was auch immer man nun mit dem Band anfängt.
Die Einleitung: Darkening ist in vielerlei Hinsicht die originale Kampagne für
The One Ring und erzählt, wie der Schatten, der bei Tolkien zunächst aus dem Norden vertrieben scheint, die Region erneut an sich reißt und den Düsterwald wieder zu einem Ort des Schreckens macht, so dass dessen Völker im Herrn der Ringe schwach und isoliert erscheinen. Diese Randbedingungen ergeben eine düstere Geschichte, in der die Protagonistinnen und Protagonisten das endültige Schicksal ihrer Heimat nicht abwenden können.
But there is something they can certainly
do: they can fight to hold back the darkness for another
day, another month, maybe another year. Their plight
may be considered desperate, even hopeless, but they will
at least save something from the inevitable doom.
For these reasons, the emphasis of the Darkening of
Mirkwood should be on personal tragedy. The forest
may be lost, but can the heroes save their own families
and friends from slavery and death? Can they preserve
the treasures kept by the Woodmen? Can they salvage
something from the ruin? They may not live to see the
downfall of the Enemy, but they can save the North from
his malice and give hope to the future.
Neben den drei Kernthemen (Tragik, Vergänglichkeit, Licht und Schatten) und kurzen Hinweisen, wie man sie als SL anspielen kann, erklärt die Einleitung, wie
Darkening zu benutzen ist. Dabei wird vor allem betont, dass der Band nicht als fertiges Kampagnenskript gedacht ist, das man as written durchspielen kann.
Die hier neu eingeführten Holdings binden die SC auch regeltechnisch an ihre Heimat.
The Tale of Years:In fünf größere Abschnitte eingeteilt, wird hier jedes Jahr von 2947 bis 2977 nach einer klaren Struktur aufgeschlüsselt:
Unter
Events findet man in knappem Fließtext jeweils bedeutsame Geschehnisse, die sich im Laufe des Jahres ereignen und von denen die SC bisweilen erfahren oder gar daran beteiligt sein können. Dabei geht es hauptsächlich um Veränderungen der politischen Verhältnisse zwischen den verschiedenen Fraktionen in und um den Düsterwald und Saurons Pläne bzw. Zeichen für seinen wachsenden Einfluss. Längerfristige Entwicklungen werden über mehrere Jahre hinweg mitverfolgt - in der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass Nachrichten Jahre brauchen können, um sich in Wilderland zu verbreiten. Insgesamt ist hier nichts überflüssig oder zu detailliert und vieles bietet sich für eigene Plots und Geschichten an.
Wichtige Entscheidungen der Spielerinnen und Spieler aus den vorherigen Jahren werden berücksichtigt, wobei man natürlich trotzdem nicht umhin kommen wird, das ein oder andere Ereignis der eigenen Kampagne anzupassen. Dennoch haben die Spieler(innen) nicht auf alles Einfluss. Der entscheidende Punkt ist, dass durch die Sorgfalt, die in den jeweiligen Abschnitten steckt, der Düsterwald als sich dynamisch entwickelnde und dem Wandel der Zeiten unterworfene Region erscheint. Wenn man das als SL berücksichtigt, kann man, denke ich, die eigene Kampagne mit wenig zusätzlichem Aufwand wirklich lebendig machen und hat überdies immer eine Struktur bzw. mehrere rote Fäden, zu denen man zurückkehren kann, wenn die Spieler(innen) einmal andere Pfade eingeschlagen haben.
Den Löwenanteil von Darkening machen die jährlichen
Adventuring Phases aus. Als SL bekommt man so ganze 30 auf jeweils 2-8 Seiten grob vorstrukturierte Abenteuer, mehr als genug für jede Kampagne. Das sind aber keineswegs bloße Plothooks, sondern die Abenteuer bieten Einstiege, NSC und Monster incl. Stats, neue Undertakings, Rätsel und Gedichte, vielseitige Herausforderungen und Plots von einer wortreichen Versammlung der Waldmenschen über einen Verräter an Thranduils Hof bis zur Belagerung von Burg Orlmond und sind nicht zuletzt sauber regeltechnisch eingebunden. Wie gesagt gibt es eigentlich nicht den einen, roten Faden und die Abenteuer ergeben dementsprechend mehrere Spannungsbögen, die allerdings gegen Ende zunehmend zusammenlaufen und einen grandiosen Abschluss ergeben.
Im Gegensatz zu den
Tales from Wilderland sind die Szenarios in
Darkening grds. offen für Entscheidungen der Spielerinnen und Spieler. Besonders da, wo sie den großen Rahmen der Kampagne, die Rückkehr des Feindes in den Düsterwald, berühren - was nicht immer der Fall ist - wurde offen sichtlich sehr viel Wert darauf gelegt, Entscheidungen und mögliche Ausgänge anzubieten, die auch über Jahre hinweg noch Einfluss auf die Entwicklung der Region haben können. Nicht die NSC oder festgelegte Ereignisse stehen hier im Mittelpunkt, obwohl auch die ihre Rolle spielen, sondern die SC. Es ist ihr Handeln und ihre Opferbereitschaft, die den Feind wenigstens für eine Weile zurückschlagen können. Klar ist aber auch, dass nicht jede Auseinandersetzungen in
Darkening gewonnen werden kann und schwere Entscheidungen getroffen werden müssen. Genug Potential für dramatische Charaktere und Szenen also. Einige der Szenarios dürften angesichts der Orte, an die sie führen und der den SC gegenübergestellten Feinde ziemlich hart sein. Die Struktur von
Darkening verträgt sich glücklicherweise gut mit Charaktertoden bzw. der Korruption durch den Schatten.
Im Gegensatz zu "ausformulierten" Kampagnen sollte um die Kurzabenteuer von
Darkening herum noch anderes passieren. In erster Linie bedeutet das, dass die SC ein company goal und jeweils eigene Ziele haben sollten, die sie verfolgen. Bisweilen sollte die SL Teile der Abenteuer, die in wenigen Zeilen abgehandelt werden, mit eigenen Ideen ergänzen. Je nachdem, wie weit die SC gerade vom Geschehen entfernt sind und mit welchen Fraktionen sie verbandelt sind, fallen bestimmte Abenteuer weg. Manche der Abenteuer können auch ohne Bezug zu den Rahmenelementen in
Darkening verwendet werden.
Auf die jeweilige Adventuring Phase folgt ein sehr kurzer Absatz zur folgenden
Fellowship Phase, der oft Vorschläge für Undertakings et cetera macht.
Appendix:Der Appendix liefert Regeln für die Nazgûl und enthält ansonsten ergänzendes Material, das schon in Heart of the Wild abgedruckt ist.
Vom Inhaltlichen her bleibt
Darkening grundsätzlich nah an
Tolkien, wie man schon an der Prämisse erkennen kann. Von den eigenen Ideen ist mir nichts aufgefallen, das unpassend wirkt oder negativ heraussticht. Der getroffene Ton ist etwas düsterer und tragischer als man vielleicht erwarten würde, was aber bei Tolkien ja durchaus angelegt ist. Wie die anderen Bücher in der TOR-Linie ist
Darkening hervorragend geschrieben und man findet hier nur großen Respekt für das literarische Vorbild.
Layout und Illustrationen sind wie gewohnt sehr gut, wobei die Bebilderung dem Fokus entsprechend besonders dunkel und bedrückend ist.
Fazit:Das Setting für
The Darkening of Mirkwood ist für mich hervorragend gewählt, weil es eine Kampagne ermöglicht, die das, was mich persönlich an Tolkien begeistert, in den Vordergrund rückt: Über den 30 Jahre umfassenden Handlungszeitraum wird der Düsterwald zu einem Ort, der echt wirkt. Bewohnt von echten Völkern und mit einer echten Geschichte. Kein statischer Hintergrund vor dem Figuren hin und hergeschubst werden. Es geht um Verlust, um die Folgen von Krieg und Zwist, um tragische Helden (und Heldinnen
), die sich für andere aufopfern und um den unbarmherzigen Wandel der Zeiten.
Darkening ist - soweit ich das vom bloßen Lesen her sagen kann - voller abwechslunsreicher und guter Geschichten, bis zum Schluss spannend und spielt sich auf einem Maßstab ab, der umfangreich wirkt, ohne unübersichtlich zu werden. Gleichzeitig lässt es SL und Spieler(innen) den nötigen Freiraum für eigene Ideen.
Einen direkten Vergleich zu ziehen, ist vielleicht ein bisschen unfair, da
Darkening mehr als andere Kampagnen darauf angewiesen ist, dass SL und Spieler(innen) sie vorantreiben und durch eigene Ideen ausgestalten. Zumal es keinen kohärenten Plot gibt, sondern eher mit mal mehr mal weniger starken Fäden verknüpfte Abenteuer. Andererseits finde ich das als Konzept bestechend, weil es weder an der Starrheit von Railroading-Monstern wie den Bergen des Wahnsinns leidet noch eine reine Sandbox ohne thematischen und narrativen Fokus ist. Für
The One Ring, das seine Geschichten ja im steten Wechsel von Adventuring Phase - Fellowship Phase entstehen lässt, ist das Tale of Years Modell jedenfalls wie gemacht.
Ich lehne mich also mal aus dem Fenster und behaupte, dass
The Darkening of Mirkwood nicht nur die perfekte TOR Kampagne ist, sondern eine der besten Rollenspielkampagnen, die es da draußen so gibt. 5/5 Punkten.