Autor Thema: Erzähltechniken - Diskussions- und Sammelthread  (Gelesen 981 mal)

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grannus

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So, da ich das Thema im Cthulhu-Forum eingebracht habe, möchte ich es natürlich auch hier teilen, damit so viel Input wie möglich reinkommt. :headbang:

Wieder einmal möchte ich den kollektiven Wahnsinn hier anzapfen und eine kleine Sammlung eurer (unsrer? ihrer?) Erzähltechniken kreieren (was natürlich auch viel Stoff für Diskussionen in sich trägt). Hintergrund der ganzen Sache: die letzten zwei Jahre hat sich all meine kreative Energie bezüglich Erzähltechniken in meine Pathfinder-Kampagne ergossen, in welcher ich einige Elemente verbinde und damit ein sehr interessantes Gesamtbild der Erzählung erhalten habe. So richtig bewusst geworden ist es mir aber erst, als ich mir ganz konkret Gedanken dazu gemacht habe, was ich bei dieser Kampagne anders gemacht habe als bisher.
 
Deswegen möchte ich mich mit euch austauschen und sammeln, vielleicht erhalten wir so wirklich eine kleine Sammlung an Techniken aus denen man schöpfen und profitieren kann. Vieles ist natürlich wieder subjektiv gefärbt und für viele Begriffe gibt es natürlich auch irgendwo Definitionen (welche immer wieder ignoriert und neudefiniert werden).
 
Dann fange ich gleich mal mit jenen Elementen aus meiner aktuellen Kampagne an. Natürlich kann man die Elemente nicht immer völlig abgegrenzt betrachten, manche überschneiden sich ergänzen sich in Kombination.
 
Prolog
Vielleicht fällt jemandem hier noch eine bessere Bezeichnung hierfür ein ^^ Gemeint ist damit eine Szene zu Beginn der Kampagne, des Abenteuers oder der Session, in welchem die Spieler eine völlig losgekoppelte Szene erspielen, welche weder mit ihren Charakteren noch (zu diesem Zeitpunkt) mit dem Abenteuer in Verbindung zu bringen ist. Der Tod hatte mal ein nettes Beispiel dazu hier im Forum geschrieben (ich konnte es leider nicht mehr finden), in welchem es um eine Szene geht in welcher die Protagonisten sterben/ ermordet werden was-auch-immer. Die Spieler erleben diese Szene aus erster Hand ohne sie zuordnen zu können. Erst im Verlauf fügt sich diese Szene dem Gesamtbild hinzu.
 
Foreshadowing
Ähnlich wie im oben beschriebenen Element, lassen sich auch hier Hinweise und Kommendes andeuten. Jedoch kann dies über diese Technik immer und überall geschehen. Ein wichtiger NSC betritt die Bühne welcher im späteren Verlauf eine wichtige Rolle spielen wird, dazu eine passende Betonung des Namens und die Spieler vermuten richtig: "Der Kerl wird noch wichtig werden!". Nur das wie, warum und wann....DAS wissen die Spieler erst dann wenn es soweit ist.
 
Living City
Ich verwende dieses Konzept um den Spielern die Möglichkeit zu geben, die Story aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Man drückt ihnen für ein Abenteuer/Session/Szene die NSC in die Hand und lasst sie von der Leine. Zum einen wächst natürlich die Spielwelt (man kann ganz neue Fleckchen auf der Landkarte erkunden), die NSC werden als mehr als nur Statisten wahrgenommen und für den Spielleiter öffnet sich eine Möglichkeit, die Story um eine weitere Dimension zu heben. Eingeführt habe ich dieses Element das erste Mal nach der simplen Frage "Was passiert zum gleichen Zeitpunkt eigentlich an Ort XY?"
Dieses Konzept kann man natürlich hervorragend sowohl mit dem Prolog als auch mit Foreshadowing kombinieren.
 
Flash Forward
Um Tempo und Spannung ganz oben zu halten, spule ich wenn nötig sehr gerne vorwärts. Ja, wir alle wissen, dass nicht jeder Einkauf ausgespielt werden muss. Das kann man immer überspringen (ja ja, außer natürlich bei Rollenspielneulingen etc. bla bla). Seit meiner aktuellen Shadowrun-Runde mit StarWars-Regeln möchte ich diese Technik häufiger und extremer einsetzen, sprich sehr schnelle Schnitte kreieren. Alles was langweilig oder redundant ist, wird gnadenlos weggeschnitten. In einer Szene passiert nichts mehr? Weiter! Die Spieler haben alle Informationen oder würden sie so oder so erhalten? Weiter! Die Informationen kann man ihnen auch kurz erzählen alá "ihr erfahrt, dass...." Das lange Zeit aufrecht zu erhalten ist für mich persönlich schwierig und benötigt noch einiges an Training, verspricht aber ein echt flottes, interessantes Spiel. Natürlich sollte man damit nicht die Spieler in ihrem Charakterspiel beschneiden (gerade bei witzigen oder dramatischen Szenen), doch mit ein bißchen Fingerspitzengefühlt sollte das nicht passieren.
 
Rückblenden
Da ich selbst kein Fan von 10 DIN A4-seitigen Charakterhintergründen bin, war dies der erste Grund diese Technik zu verwenden. Im Laufe einer Kampagne werden die Charaktere durch die Spieler und deren Aktionen geprägt und nicht durch einen bis ins Detail ausgearbeiteten Hintergrund. Oft sind Lücken viel interessanter zu erspielen als wenn man gleich am ersten oder zweiten Lagerfeuer sich gegenseitig die eigenen Geschichte erzählt. Ein Beispiel aus meiner aktuellen Kampagne:
 
Ein zwergischer Paladin wurde aus seiner Stadt verbannt. Fakt. Nur das "warum" wurde nie geklärt. Als es story-technisch in die Kampagne passte, habe ich eine solche Rückblende eingebaut. Dabei habe ich den Spielern eine grob ausgearbeitete Szenerie (eine inoffzielle Verhandlung) und einen Auslöser (wie es zu dieser Szene kam) beschrieben sowie mit einem 5-Zeiler die NSC die sie spielen. Wir haben also den Beginn der Szene (das Setting) und das Ende (der betroffene Zwerg wird verbannt) festgemacht. Alles weitere wurde von den Spielern beschrieben und ausgespielt. Ich als SL konnte mich zurücklehnen.
 
Auf diese Weise kann man Charakterhintergründe dann ins Spiel bringen, wenn es gut passt undd/oder wenn die Spieler mit ihren Charakteren vertraut sind und sich um dieses Detail kümmern wollen. Selbst erspielt ist immer interessanter als wenn man alles vorgekaut bekommt (meine Meinung).
 
Träume/Visionen
Auch hier kann man einige Elemente verbinden (Rückblenden, Foreshadowing et.), aber mit dem Unterschied, dass Träume und Visionen gerne überzogen und bizarr sein dürfen. Hinweise dürfen gut verschachtelt und versteckt werden, alles darf ein wenig verrückt sein und muss vom Spieler interpretiert werden. Ich finde dass man besonders Spieler, welche eine Freude an Rätsel etc haben, damit fordern kann seinen eigenen Traum/ seine eigene Vision zu deuten.
 
In media res
Sowohl bei Cthulhu (Tempus Fugit) als auch bei anderen Systemen wie D20 gibt es einige Abenteuer welche mitten in der Action einsteigen und dem Spieler im ersten Augenblick keine ruhige Minute zum Nachdenken lassen. Wie kommen wir hierher? Wo sind wir? Warum machen wir das? Das alles sind Fragen, auf die es erst später Antworten gibt. Die Spieler sind sofort in der Szene und müssen innerhalb dieser agieren, es wird Spannung und Tempo generiert.
 
Collage
Gerade das Ende der Berge des Wahnsinns-Kampagne zieht an meinem inneren Auge vorbei wenn ich an die Technik der Collage denke. Der Höhepunkt des Abenteuers/ der Kampagne ist vorüber und dennoch gibt es Kleinigkeiten die erzählt werden müssen (müssen?). Eine Flucht, eine Heimreise, ein letztes Telefonat. Solche Dinge eben. Und oft reihen die sich in eine lange Schlange ein. Eigentlich ist so etwas nach dem eigentlichen Highlight völlig uninteressant und antiklimatisch. Erst vor wenigen Tagen habe ich mir Indiana Jones und der letzte Kreuzzug angeschaut. Die machen es dort richtig! Die Helden kommen aus dem Tempel, alles war actionreich und cool und zusammen reitet man in den Sonnenuntergang. Interessiert es jemanden wie sie wieder in der Stadt ankommen und die Reisevorbereitungen in die Heimat treffen? Nicht wirklich.
 
Mit der Collage kann man also viele Kleinigkeiten zusammenfassen und den SL erzählen lassen. Natürlich gibt es immer wieder Spieler die sich daran stören ("mein Charakter hätte das aber anders gemacht!"). Deswegen nehme ich meistens eben solche Kleinigkeiten die nicht wirklich ins Gewicht fallen.
 
Die gemeinsame Erzählung
Eigentlich kein alleinstehendes Element, sondern eine Ergänzung. Wie schon oben bei den Rückblenden beschrieben, handhabe ich es oft so, dass ich den Spielern Start und Ende einer Szene klar mache (also wo sie starten und wie die Szene enden MUSS) und lasse sie dann einfach drauf los. Kann ich nur jedem empfehlen mal zu testen. Auch hier gibt es viele Varianten. Eine davon finde ich persönlich ganz amüsant: jeder Spieler erweitert die Erzählung um einen Satz und gibt dann weiter. So bildet sich nach und nach eine Story bei der sich die Spieler die Bälle und Fäden zuwerfen können.
 
 
 
 
So, das erst einmal von mir. Wie macht ihr das bei euch?

Offline murksmeister

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Re: Erzähltechniken - Diskussions- und Sammelthread
« Antwort #1 am: 30.10.2015 | 14:50 »
Ein großes Dankeschön für diese Zusammenstellung. Erzähltechnik ist genau meine Schwachstelle als SL, daher kann ich hier nichts zu schreiben, freue mich aber darauf hier mit zu lesen und Wissen zu assimilieren  ;D
Schlimmer als Blind-Sein ist nicht sehen wollen.

Hellstorm

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Re: Erzähltechniken - Diskussions- und Sammelthread
« Antwort #2 am: 30.10.2015 | 15:07 »
 :headbang:Good Job :headbang:

Offline 1of3

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Re: Erzähltechniken - Diskussions- und Sammelthread
« Antwort #3 am: 30.10.2015 | 17:55 »
In mediaS res. Adjektive werden mit dekliniert.

Montage
Es gibt ein Problem, das sich auf verschiedene Weise bearbeiten lässt. Die Spieler*innen beschreiben eine Handlung. Erfolg wird notiert. Das ganze zwei bis drei mal. Wenn 2/3 der Aktionen erfolgreich wahren, super. Bei 1/2 immerhin nicht ganz schlecht.

Beispiel: Schiff im Sturm. Man kann stark sein und Seite halten, NSCs kommandieren, die Götter anrufen,  Lecks abdichten etc. Voller Erfolg: Problemlos weiter. Teilerfolg: Seemann ist über Bord. Oder so.

Wichtig: Spieler*innen können Teilprobleme selbst einbringen. Die Reihenfolge ist egal, aber jeder nur zwei bzw. drei mal.


Ballsaal / Marktplatz
Standardproblem: Wie stellt man viele NSCs auf einmal vor? Kurzbeschreibungen auf Karteikarten und Probe dazu. Auf die Rückseite genauere Informationen.

Karten auf einer Karte des Raums verteilen. Spieler*innen können Karten angucken und bei erfolgreicher Probe auch die Rückseite anschauen. Wenn NSCs woanders hingehen, Karte umlegen.

Offline Ethelbeorn

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Re: Erzähltechniken - Diskussions- und Sammelthread
« Antwort #4 am: 2.11.2015 | 12:01 »
Amnesie (Ähnelt "In media Res")
Die SC haben tatsächlich einen kollektiven Gedächtnisverlust erlitten (Magie oder Chemie). Sie kommen in einer fremden Situation zu Bewusstsein und müssen die letzten Stunden rekonstruieren.

Deja Vu
Warum müssen Visionen wirr sein? Eine reale Situation, die scheinbar normal wiederholt erlebt wird kann ebenso spannend sein. Insbesondere, wenn auf den ersten Blick nicht klar ist, was hier genau abläuft. (Traum oder nicht Traum?) Hier wird auch perfekt gezeigt, wie massiv die SC die Geschichte beeinflussen können.

Zwillinge
Ein NSC gleicht einem Spieler auf das Haar. Zufall oder Zwilling? Diese Situation ermöglicht es Plots auf Grund von Verwechslungen loszutreten.

Vogelperspektive
Entweder positioniert man die SC auf einem erhöhten Ort und beschreibt von Dort eine Schlacht oder Naturkatastrophe oder der Erzähler wechselt die Perspektive und beschreibt die Szene, wie sie im Kino laufen würde.

Feindperspektive
Für den Gobblin sieht das wohl so aus... Die Szene aus Sicht des Feindes zu erzählen kann nützlich sein, um einen Konflikt in Richtung Diplomatie zu bewegen. Einfach die Situation mit Motiven und Gefühlen aus sicht des Feindes schildern.

grannus

  • Gast
Re: Erzähltechniken - Diskussions- und Sammelthread
« Antwort #5 am: 2.11.2015 | 18:17 »
Deja vu und Feindperspektive muss ich mal versuchen, dass sind beides in der Tat interessante Möglichkeiten, wobei gerade Deja vu sehr in den Plot integriert werden muss. Vielen Dank für den Input! :cthulhu_smiley:

Aber immerhin kommen langsam ein paar Beiträge hier rein (ich hatte eigentlich mit einer ganzen Flut gerechnet)

Offline Ethelbeorn

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Re: Erzähltechniken - Diskussions- und Sammelthread
« Antwort #6 am: 2.11.2015 | 19:34 »
Eigentlich gibt es bereits eine gute Sammlung im angepinnten Stilmittel thread. Deswegen ist die Resonanz nicht so hoch  ;)