Versteht ihr jetzt unter Balancing eigentlich hauptsächlich, dass die SCs gleich stark sind und dies auch je Stufe bleiben?
Also erstmal würde ich unterscheiden zwischen Balancing in verschiedenen Spielen. Der Einfachheit halber beantworte ich das aus meiner Sicht für D&D und Rollenspiele, die als d&d-artig ansehe.
Das sind für mich Rollenspiele, bei denen es
erstmal darum geht, dass eine Gruppe im Teamwork gefährliche Aufgaben löst, wozu häufig Kämpfe erforderlich sind, aber auch andere riskante Unternehmungen eine Rolle spielen. Außerdem ist für mich der SPIELaspekt im Rollenspiel generell und gerade bei D&D wichtig.
Damit steht beim Balancing erstmal im Mittelpunkt, dass alle für Spieler zugänglichen Klassen in
Kämpfen ungefähr gleich stark sind. Sie können unterschiedliche Aufgaben erfüllen - Heilen, Unterstützen, Schützen, Schwächen, Schaden - und unterschiedliche Mechaniken haben, aber sie sollen im Kampf ungefähr gleich viel Bedeutung haben. Und das gilt für jede Stufe. Klar können clevere Spieler mit ihren Charakteren mehr machen und aus ihnen mehr herausholen als uninteressierte, aber grundsätzlich soll jede
Klasse ungefähr gleich viel Potential bieten. Das ist praktisch eine Frage von Fairness und gleichen Startbedingungen.
Daraus folgt, dass ich es weniger mag, wenn Kampffähigkeiten mit sonstigen, nichtkämpferischen Aufgaben "ausbalanciert" werden. Ich mag es auch nicht, wenn es beim SL hängen bleibt, schwächeren Klassen in Kämpfen Spezialaufgaben auf ihrem Level zuschieben zu müssen, oder ein strukturelles Machtgefälle durch gezielte Ausrüstungsverteilung oder Spotlightvergabe ausgleichen zu müssen.
Wenn die Charaktere in den Kämpfen einigermaßen ausgeglichen sind, dann freut es mich im Sinne der Balance, wenn die
Möglichkeiten außerhalb der Kämpfe auch halbwegs balanciert sind. Das kann entweder über klar zugeordnete Spezialisierungen erfolgen (Sozialcharakter, Wildnischaraker, Einbrecher, Scout, Magie- und Wissensexperte), oder über einen Mechanismus, der eine Nichtkampfsituation zur Gruppenaufgabe ähnlich der Kämpfe macht, zu der jeder Charakter etwas beitragen kann (in der 4e also die Skill Challenge). Auch hier gilt natürlich, dass kreative Spieler mehr aus ihren Charakteren herausholen können als zurückhaltende oder uninteressierte - aber wieder sind die Chancen prinzipiell gleich, egal welche Klasse gewählt wird, etwas Signifikantes zum Abenteuer beizutragen.
Ob in der Fantasyliteratur ein Ungleichgewicht zwischen Schwert und Zauberei vorherrscht, interessiert mich dabei ehrlich gesagt wenig. Zum einen dreht sich viel Fantasy, die ich kenne, erstmal um Schwertkämpfer als Protagonisten, und die Zauberer sind lediglich Bösewichte. Wollte man sich daran halten, dann gäbe es bald nur noch Kämpfer, Barbaren und Diebe, vielleicht bestenfalls Halbzauberer (Vorbild Grauer Mausling) und Ritualmagier (Elric), aber keine Blitze schleudernden, steinhautgeschützten, fliegenden Supermagier.
Wenn man nach Vorbild der Fantasyliteratur einen magischen Superbösewicht bauen will, gibt es andere Optionen. Es gibt D&D-Varianten (4e) oder D&D-artige Spiele (13th Age), in denen Monster/Antagonisten nach anderen Mechanismen aufgebaut werden als die Helden. In AD&D besteht immerhin schon die Möglichkeit, Monstern jede Menge Sonderfähigkeiten im Ausgleich gegen höhere XP-Werte zu geben. Selbst in 3e gibt es NPC-Klassen, wenngleich dort natürlich dem gedanken der universellen Gleichheit des Kreaturenaufbaus gehuldigt wird.
Durch unterschiedliche Mechanismen für SCs und NSCs/Kreaturen ist es möglich, Erzbösewichte zu bauen, die über "magische" Fähigkeiten verfügen, die nicht auf das Level der SCs beschränkt sind, sondern ihre Funktion als Antagonist einer Abenteurergruppe erfüllen.
Klar gibt es mittlerweile auch jede Menge Fantasy über Magier, deren Fähigkeiten die ihrer mundanen Gefährten weit übertreffen, aber das bringt mich zu meinem Hauptpunkt: Fantasyliteratur ist eine Inspirationsquelle - aber nicht jede Fantasyliteratur muss ich nachspielen, und nicht jede mit D&D. In der Fantasyliteratur muss es keine Balance geben, weil der Autor nach dramaturgischen Gesichtspunkten ausgleicht. Das ist wie in Superheldencomics: Superman/der Supermagier kämpft gegen den Riesensaurier/den Drachen, und Green Arrow schnappt den irren Wissenschaftler, der ihn geklont hat bzw. der Kämpfer prügelt sich mit dem Koboldhäuptling, der den Drachenkult anführt. So hat jeder seinen tollen Auftritt, weil der Autor das so arrangiert hat.
Ob das aber in einem Rollenspiel so klappt, wage ich zu bezweifeln - und wenn, dann setzt es massive Spielleitereingriffe voraus und/oder eine hohe Aufmerksamkeit der Spieler, welche Aufgaben für ihre Charaktere angemessen sind, die mit einer Bereitschaft einhergeht, sich bei den einfacheren Aufgaben für die schwächeren Klassen zurückzuhalten. Im Zweifelsfall ist mir da ein Balancing in der Mechanik lieber.
Natürlich gibt es Rollenspiele, bei denen für mich nicht das gemeinsame Teamwork zur Lösung einer Aufgabe mit Kämpfen als Hindernissen im Vordergrund steht - für solche Rollenspiele hat Balancing dann keine oder eine andere Bedeutung. Aber von denen rede ich hier nicht.