Nach bisher zwei(einhalb) Spielabenden mit dem Sprawl habe ich eine recht zufriedene Gruppe von Spielern, die sehr froh sind, zwei lästige Begleiterscheinungen des „klassischen“ Rollenspiels hinter sich gelassen zu haben: ausufernde Würfelorgien (gerade in Kampfsituationen) und lästiges Mikromanagement (von Ausrüstung, Munition etc.). Man kann schnell die Handlung voranbringen (inkl. von Nebenplots) und Actionszenen sind tatsächlich actionreich und schnell.
Mit Blick auf die weiteren Spielsitzungen treibt mich aber eine Frage um: Wie bereitet man eigentlich am besten eine Sprawl-Mission (bzw. ein pbtA-Abenteuer) vor? Die Frage scheint erstmal falsch gestellt, lautet die Agenda doch „Spiele, um herauszufinden, was passiert“. Man braucht also nur den Einstieg, um in die Mission zu starten, der Rest soll sich beim Spielen ergeben. Hier tue ich mich aber noch schwer: Im „klassischen“ Rollenspiel nutzt man ein gekauftes oder selbstverfasstes Abenteuer, sprich: jemand hat sich hingesetzt und sich Gedanken gemacht über Handlung, Ereignisse, Abläufe, Personen etc., idealerweise hat man also eine Geschichte mit guten Ideen und spannender Erzählung, die man dann mehr oder weniger buchstabengetreu nachspielt. Klar, das Nachspielen ist natürlich das problematische Element, das eigentlich durch eine eigene Erzählung beim Spielen ersetzt werden soll, aber die vorgegebene Geschichte bietet im besseren Falle doch attraktive Einfälle und Plots. Da pbtA-Systeme an die Stelle dieser vorgegebenen Geschichte die Fragen zur weiteren Erzählung an die Spieler richten, muss doch an die Stelle des kreativen Schaffensprozesses eine spontane Improvisation treten. Und hier hadere ich gerade ein wenig mit der Qualität dieser Erzählung: Kann die spontane Idee gleichwertig oder gar besser sein als die im Schreibprozess entstandene Idee?
Um ein konkretes Beispiel zu bringen: Wir haben die Kurosawa-Extraktion aus dem Regelbuch gespielt. (Kann man solche Abenteuer spoilern? Wenn ja, folgt ein leichter Spoiler.) Bei der Frage nach Gründen, warum Mr. Kurosawa seine sichere Arkologie verlassen sollte, kamen die Spieler schnell auf die wirklich schöne Idee, dass er gerne illegale Critterkämpfe besucht (ja, wir spielen den Sprawl im Shadowrun-Hintergrund). Hier hat das offene Improvisieren toll geklappt, der skrupellose Exec, der seine saubere und vollregulierte Konzernwelt verlässt und sich in der schmutzigen Halbwelt an blutigen Kämpfen auf Leben und Tod ergötzt, das fühlt sich schön cyberpunkig an. Die eigentliche Umsetzung war dann okay, organisiertes Verbrechen als Veranstalter, verlassene Industrieruine als Ort, ein paar Mobster und ein paar Bodyguards als Gegner, dazu noch ein paar Konzernspitzel, die ihren Mann dann doch nicht ganz unüberwacht lassen wollten. So weit, so okay, aber auch irgendwie erwartbar. Die offene Struktur des Sprawl (oder anderer pbtA-Abenteuer) zwingt praktisch dazu, schnelle Ideen zu entwickeln und umzusetzen, aber die schnelle Idee mag nicht immer die beste Idee sein.
Um aus diesem Problem herauszubekommen, überlege ich gerade, ob es sinnvoll wäre, den Spielern ein Motiv zu nennen, das bei der nächsten Mission im Mittelpunkt stehen soll, z.B. hochgeheimes Forschungslabor. Aufgabe für alle (und nicht nur für den Spielleiter) wäre dann, sich bis zur nächsten Sitzung ein paar Gedanken zu diesem Motiv zu machen (Cyberpunk-Träume träumen, wie es das Regelwerk in etwas anderem Kontext formuliert). Wenn sich dann in der nächsten Sitzung das Szenario entwickelt und die passenden Fragen gestellt werden („Wo liegt das Labor?“, „Wie wird das Labor geschützt?“, „Was passiert, wenn seine Existenz bekannt wird?“), dann wären die Antworten zwar immer noch improvisiert, aber vermutlich fundierter und interessanter als im spontanen Fall (vielleicht „Das Labor befindet sich in vermeintlichen Technikräumen auf verschiedenen Ebenen der Arkologie, die aber durch einen geheimen Expresslift verbunden sind“ statt „Das Labor befindet sich irgendwo unten im Keller“).
Wie sind denn so die allgemeinen Erfahrungen? Habe ich da zu wenig Vertrauen in die Kreativität meiner Runde? Oder ist die Art der Fragestellung entscheidend: Stellt ihr die Fragen so offen, dass viele Entwicklungen denkbar sind? Oder habt ihr eine Richtung (mit Personen, Orten etc.) ausgearbeitet und lasst nur noch Details über die Fragen entwickeln? (Oder ist vielleicht die Kurosawa-Extraktion mit ihrer totalen Offenheit ein Extrem? Ich kenne aus Dungeon World das Abenteuer „Diener der Aschekönigin“, das doch viel konventioneller eine Geschichte entwirft und sich die Fragen mehr oder weniger auf den Einstieg konzentrieren.)