Ein Fazit:
Ich hab mir die Kampagne gekauft, weil ich eine Low-Fantasy-Grusel-Sandbox wollte. King for a Day ist aber kein leichter Grusel, das ist knallharter HORROR - subtiler, psychologischer Horror, aber das macht die Sache nur noch wirkungsvoller.
Der vielschichtige Aufbau ist sehr effektiv: An der Oberfläche hat man übliche Fantasy-Elemente: Orks in den Hügeln, verrückte Chaos-Kultisten, verwunschene Orte im Wald, Ruinen, Zigeunerflüche, ..., und das kann man auch angehen wie in ganz normalen Fantasy-Abenteuern.
Darunter liegt aber noch eine zweite Ebene, ich nenne es mal die "Realismus"-Ebene: Was bedeutet es denn für die Eltern, wenn ein Kind verschwindet? Was würde eine Mutter tun, um ihr Kind zurückzubekommen? Wie gehen Menschen mit Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit um? Der Autor reißt gelegentlich Szenen an, die zum Wirken nicht mehr brauchen als ihre Verankerung in der menschlichen Natur. Wer "normale Fantasy" gewohnt ist, für den ist das wahrscheinlich schon ein schlimmer Schocker.
Und darunter liegt dann der wahre Kern der Kampagne, der all das Schlimme, was passiert, noch schlimmer macht.
Und darunter gibt es dann noch eine vierte Ebene, mit einem finalen Twist, der zwar clever, aber wahrscheinlich unspielbar ist.
Die Kampagne lohnt sich in meinen Augen nur, wenn man auf's Ganze geht. Dazu muss man geschätzt 50 Sessions einplanen, 3-4 Monate innerspielisch, ohne große Downtime. Die Gruppe muss bereit sein, sich auf das Tal und seine Bewohner einzulassen, muss ein persönliches Interesse an den Geschehnissen entwickeln, und muss von sich aus handeln und Probleme angehen. Gelegenheiten dazu gibt es mehr als genug.
Es gibt zwar durchaus auch Ansätze, Gruppen zu aktivieren, die in der Taverne sitzen und auf Auftraggeber warten (und tatsächlich gibt es im Text beschriebene andere Abenteurer-Gruppen, die genau das tun), aber 90% der Plots muss sich die Gruppe erarbeiten, oft auch gegen den Willen der Talbewohner. Das ist auch einer der Punkte, wo die Kampagne den Spielleiter alleine lässt: Es gibt zwar vage Ideen, eine Gruppe zu motivieren, letztendlich sagt der Autor aber: Pff, ich hab doch keine Ahnung, wie deine Gruppe aussieht, denk dir halt selbst etwas aus.
Die Aufbereitung ist, wenn man die Komplexität des Ganzen betrachtet, ziemlich gut. Ich hab nicht alles kapiert, aber das meiste. Aber um die Kampagne vernünftig zu leiten müsste ich sie bestimmt noch anderthalb mal lesen und mir Notizen machen. Das Layout ist klar und übersichtlich, aber das pdf ist nicht verhyperlinkt, was bei der Unmenge an Querverweisen sehr nützlich gewesen wäre.
Für den Moment ist mir die Kampagne aber zu hart, deshalb wandert sie erst einmal ins Regal. Vielleicht leite ich sie irgend wann einmal.
Wer aber mit seiner Gruppe eine harte Horror-Kampagne in einem realistischen Low-Fantasy-Setting spielen will, der kann hier ohne Bedenken zugreifen - es sollte aber jedem klar sein, auf was er sich einlässt. Der Gruppe zu verschweigen, dass es sich um eine Horror-Kampagne handelt, wie der Autor es vorschlägt, halte ich für grob fahrlässig.