Stecke gerade mitten in der Lektüre dieses RQ6/Mythras-Settingbands und bin jetzt nach einigem inneren hin und her doch sehr angetan.
Für mich schön daran: Kein EDO, eher Antike- als Mittelalterfeeling, aber einige interessante Besonderheiten (so wird erwähnt, dass eine Eliteeinheit des benachbarten taskanischen Imperiums über Schießpulver verfügt, die feindlichen benachbarten Jekkarenes sind eine matriarachale Theokratie ...)
Glaubwürdig für so ein Setting (ohne, dass ich da große Kulturhistorische Kenntnisse hätte) ist die Verteilung zahlreicher Völkerschaften und Stadtstaaten über ein Gebiet, das insgesamt als dominiert von der "korantischen Kultur" (die ein bisschen Pseudo-griechisch daherkommt) betrachtet wird. Es gibt zwar auch einen korantischen Kaiser, der ist aber kein echter politischer Herrscher, sondern eine reine Galionsfigur. Kurz: Korantia ist keine Nation in irgendeinem modernen Sinne, sondern ein politisch und ethnisch nicht klar einzugrenzendes Flickwerk.
Schön auch: Es wird viel Raum auf eine schlüssige Beschreibung der gesellschaftlichen Regeln (Bürgerschaft, Zugang zu Kulten und Magie, Sklaverei, Wehrpflicht ...) verwendet, gleichzeitig wird aber klargestellt, dass die im allgemeinen dargestellten Regeln in den jeweils einzelnen Stadtstaaten punktuell abweichen können. schöne Kombination aus viel Freiheit im Detail und einem Text, der ein gutes Gefühl für's Gesamtbild vermittelt.
So lala für mich: Korantia ist ziemlich sexisitsch. Obwohl das für den Rest der Welt aus den Beschreibungen zu folgern anscheinend nicht gilt, herrscht auch dort wohl zumindest in der Mythologie eine ziemlich klassische Geschlechterrollenverteilung (Mond- und Erdgöttin, Meeresgott und Kriegsgott ... okay, es gibt auch einen Gott des Ackerbaus). Ich mag's ja lieber, wenn da die Standards etwas aufgebrochen werden. Andererseits ist das direkte Nebeneinander von Sklavenhalter-Patriarchat Korantia, theokratischem Matriarchat der Jekkarenes und von oben verordneter Egalität der Taskaner natürlich ziemlich spannend, und eine Welt, in der überall Geschlechtergleichheit herrscht, nimmt andererseits auch eine Menge spannendes Konfliktpotential heraus.
Eher negativ: Beim Lesen bekomme ich fast den Eindruck, dass Korantia die langweiligste Region der ansonsten nur in Ansätzen beschriebenen Welt ist. Das taskanische Imperium, Jekkarene mit seinen Badlands, das verdorbene Assabia und die Barbarenländer im Norden wirken alle zumindest wie spannendere Abenteuer-Regionen als das doch etwas beschaulich daherkommende Korantia. Aber okay, ich bin noch nicht beim Abenteuerteil angekommen, vielleicht weden da die Potenziale deutlicher.
Jedenfalls: Schönes Setting, finde ich. Originell, ohne an irgendeinem bestimmten Punkt zwanghaft "anders" daherzukommen, und ziemlich unaufgeregt. Letzteres ist allerdings auch eine Schwäche in Sachen Vermarktung: Wenn man das Buch durchblättert/querliest, bekommt man als Vierfarb-Verwöhnter Rollenspieler auf der Suche nach bekannten visuellen und Archetypen-Klischees, an die man gedanklich sofort andocken kann, nichts geboten. Das Ganze wirkt dadurch etwas altmodisch, bei näherem Hinsehen aber durchaus in einem guten Sinne.