So, es wurde ja schon lange Zeit, mal wieder was zu den Rezensionen / Bewertungen hier beizusteuern!
Ich kehre zurück mit der Königsdämmerung, weil dies das nächste Abenteuer ist, das ich leiten soll. Ich hatte einst sogleich ein mulmiges Gefühl, da ich ohnehin ein kritischer Abenteuerleser bin: Würde von allen verfügbaren Abenteuern der Welt ausgerechnet ein dicker CoCeldu-Band meinen Ansprüchen genügen? Aber nun, die altehrwürdige Bubenrunde, mit der ich schon seit 16 Jahren CoC-Abenteuer spielte, hatte gesprochen! Da ist die Herausforderung dann nicht mehr, ein gutes Abenteuer zu finden, sondern das Beste aus dem vorliegenden Abenteuer herauszuholen. Aber tatsächlich, es kam in den letzten Wochen des Lesens wie erwartet: Ich bin ziemlich ernüchtert und stehe vor einem Kampagnenscherbenhaufen. Es gibt ein paar Details, die mich davon abhalten, nicht nur 1 Punkt zu vergeben, sodass ich
immerhin 2 Punkte vergebe.
Und ab jetzt wird gespoilert wie blöde!
Das große Plus:Das Abenteuer fährt so viel Potential auf, und die Informationsaufbereitung/-darbietung ist tatsächlich löblich. Nun ja, man könnte die Info sogar noch besser aufbereiten, nämlich durch ein zusätzliches Schaubild, das alle Spuren und Personen miteinander in Beziehung setzt. Gerade für den ersten Abenteuerteil wäre das sehr hilfreich. Aber hey, ich will ja nicht mäkeln!
Der Autor hat seine Sache hier gut gemacht.
Das fette Minus:Der Autor hat ein solches Faible für die "schöne Szene", dass die Spieler über weite Teile des Abenteuers völlig unnötig am Nasenring durch die Manege geführt werden. Und ich meine wirklich primär die "schöne Szene" und nur sekundär den "vorhergesehenen Ausgang", da das Abenteuer durchaus offen für jeweils mehrere Enden der einzelnen Hauptteile ist: Was passiert, wenn der Große Alte tatsächlich in Schottland eincheckt?, ... wenn Hastur zur Erde geführt wurde und fortan auf Erden wandelt? Etc. Natürlich gibt es die klassischen RR-Momente mit dem Zweck, die einzelnen Handlungselemente zum richtigen Zeitpunkt passieren zu lassen. Und das hätte man oft eleganter lösen können. Aber grundsätzlich sind zumindest die Zwischenresultate und die Endsumme Folgen der Spielerhandlungen. Und man hat den Eindruck, dass der Autor sein Hobby reflektiert hat. Also, ich habe noch nie jemanden schreiben sehen "Und an dieser Stelle benötigen wir einen Deus Ex Machina, um sicherzustellen, dass ..." (Wortlaut im Original etwas anders). Der Autor wusste also,
welches Verbrechen er begeht was er da tut.
Aber unter dem Diktat der "schönen Szene" macht der Autor ein ums andere Mal und geradezu exzessiv Gebrauch von festen Abläufen und sinnlosen, da unterschiedslosen Handlungsoptionen. Und das ist so schade, so massiv, dass ich die Kampagne nicht ohne größere Änderungen leiten kann, will ich mich nicht als Verräter an meinen Rollo-Idealen und an meiner Bubenrunde fühlen.Der Autor lässt seine NSC hin und wieder doofe Sachen tun. Das ist manchmal OK, wenn nachvollziehbar, oft aber eben nur erzwungen durch die "schöne Szene".
Exemplarisch möchte ich hier gleich drei Stellen aus dem Springer-Mound-Kapitel:
1. Es ist dämlich, die neun Monolithen, die während der Herabrufung Hasturs in der Vorgeschichte zum Einsatz kamen, so lange vor Ort zu lassen. Cheffe lässt die Spedition zwecks Abholung erst kommen, nachdem die Investis alle mal gucken durften.
2. Es ist dämlich, zum Schutz der Monolithen zwei Byakhees abzustellen, die jeden Randalierer grausam ins Jenseits befördern. Um ein Geheimnis zu wahren, geht dies im Ernstfall kaum auffälliger. (Das macht der eine Künstler in Mailand viel geschickter: Sein Byakhee trägt missliebige Personen einfach weit fort.)
3. Es ist vom Kultisten-Wirt selten dämlich, seinen Byakhee in der gegebenen Situation zu rufen. Er stirbt ja auch daran. Und ja, das Abenteuer betont die Dämlichkeit des Kultisten. Aber dennoch.
Carcosa (und ein bisschen Plateau von Leng): Ich kann verstehen, dass es reizvoll ist, dieser Episode einen träumerischen Anstrich zu geben. Und auf seine Weise ist diese Episode auch höchst stimmungsvoll. Nein, sie hat das Potential zu, und die Wahrheit wird am Spieltisch erspielt. Aber unterm Strich macht man das ganze Kapitel über nichts Gehaltvolles, bis man sich schließlich in die Endszene gelotst wiederfindet und dann - immerhin, siehe oben - es selbst in der Hand hat, ob Hastur eine Zeitlang in Schottland wütet oder nicht. Aber wirklich: Bis dahin wird man eigtl nur durch die Manege geführt und die Spieler werden teils im bloßen Glauben gelassen, vielleicht doch etwas "bewirken" zu können. Und obschon der Läuterer (oder war es Angband) schrieb, dass das zweite große Hastur-Finale am Ende des Bands ja ganz anders sei - was auf eine Weise stimmt - so muss eben diese Gängelei auch für das zweite Finale konstatiert werden: Über viele Spielstunden bist du bloß der Aff', dessen Eigeninitiative die Angelegenheit eigtl nur erschwert. Tatsächlich gilt hier die Maßgabe, die ich mir vor vielen Jahren schon bei DSA-Abenteuern auferlegt habe, wenn die die Gruppe mal wieder zu Statisten im Film des Autors machten: Investiere nichts! Gib keine Punkte aus, bleibe so passiv wie möglich, bis du die Szene wieder verlassen darfst.
Das Ende, dh die Auswirkungen eines möglichen Wandelns des Königs in Gelb auf Erden, ist ziemlich fade: Schwarzer Börsendonnerstag 1929 (aha!?); Massenselbstmord okkultistischer Gruppen im Frühjahr 1930; Revolution in Argentinien und Brasilien in 1930 (wie schon der Börsencrash reale Ereignisse); der Expressionismus geht weltweit voll ab. ... Da hast Du nun einen Großen Alten auf Deinem Planeten, und das ist dann alles? Da hätte ich mir mehr erwartet, ohne gleich apokalyptisch zu enden.
Meine Perspektive:Das Abenteuer bewegt sich in seinem Handlungsrahmen, in letztlich vier Episoden (Spurensuche in Süd- und Mittelengland, Hastur-Clash in Schottisch-Carcosa, Shub-Niggurath-Exkurs, Finale auf dem Dach der Welt). Dabei werden handfeste chronologische Abhängigkeiten / Verzahnungen aufgebaut, was nicht weiter verwundert. Der Autor stellt sicher, dass die Spieler "den Plot" nicht zersägen, indem er die Investis nicht an die entsprechenden Hebel heranlässt. Dabei kommt es mehrfach zu unschönen Stop-and-Go-Herangehensweisen: Es geht nicht weiter, bis schließlich zu einem festen Zeitpunkt von Außen eine weitere Spur ins Spiel getragen wird. Bei so etwas inkl des oben Geschriebenen kommen mir oft radikale Gedanken: Man muss das Abenteuer auf den Kopf stellen! Stelle den Herausforderungscharakter an erste Stelle: Verabschiede dich von der Vorstellung, das Abenteuer nachzuspielen, sondern akzeptiere die Möglichkeit, dass die Spieler die Kultaktionen vor deren dramatischer Verdichtung durchkreuzen. Hierzu verstehe das Abenteuer zunächst komplett. Erstelle dir Diagramme: Wie stehen die einzelnen NSC miteinander in Verbindung? Welche Informationen haben diese? Welche Spur führt wohin? Welcher Zeitplan erwächst daraus? In einem nächsten Schritt überlege, wo du den Zeitplan ändern möchtest und was du dazu ändern möchtest. (Ich gebe zu: Das kann ein großer Punkt werden.) Wenn du dann den Eindruck gewonnen hast, dass das Abenteuer solcherart - sie werden ja nicht mehr auf die Plotschiene gestellt - ein Kinkerlitz für die Spieler wird, dann lege ihnen vorab noch Steine in den Weg und mache es teils bullig schwer. (Oft aber täuscht der Eindruck: Spieler verlieren oft eher die Orientierung, als dass sie schwupps den Durchblick kriegen und dann effizient zum Ziel stratzen.) Und dann beginne das Spiel. ...
Ein Punkt, den ich unter Bezugnahme auf das soeben Geschriebene sehr schade am Abenteuer fand: Die (jeder für sich genommen mehr oder weniger ahnungslosen) Mitglieder des Londoner Hasturzirkels dürfen bis zum Hastur-Clash in Schottisch-Carcosa nicht aufgestöbert werden - damit es auch ja zur dramatischen Zuspitzung kommt. Und dann plötzlich, auf der Zugfahrt nach Inverness, setzt sich ausgerechnet ein solcher Kultist ins selbe Abteil und beginnt (ahungslos) zu plaudern. Herrje! Ich persönlich fände es so viel geiler, wenn es grundsätzlich möglich und ein Vorteil ist, einzelne Mitglieder eben doch schon in London ausfindig zu machen.
Ich denke, ich könnte hier noch viel schreiben, aber irgendwann liest das ja keiner mehr!
Also denn!
Oh, abschließend noch eine Randbemerkung zum PDF: Kein Inhaltsverzeichnis und keine Verlinkungen. Das ist meh! Bspw Splittermond-PDFs spielen hier in einer anderen Liga.