Hier meine Pro- und Contra-Liste (von dem, was ich bis jetzt gelesen habe) im Vergleich zur alten Edition.
Sachen die ich mag...+ Karte ist wesentlich schöner (ist zwar irgendwie ein bisschen komisch, dass das Spanien von unten an das Deutschland und das Polen rechts an das Italien grenzt, aber geschenkt)
+ Die "such Pärchen"-Mechanik hat was für sich... es geht tatsächlich etwas schneller im alten System... klingt nicht nur cool, spielt sich wahrscheinlich auch gut (das Würfel nicht mehr per se explodieren ist etwas schade, denn das hatte für sich genommen einen gewissen Fun-Factor im alten System, hat es aber auch verlangsamt)
+ Helden haben jetzt Tugend und Hybris: Super! Hatte ich als Hausregel schon früher so gehandhabt.
+ Hexenwerk finde ich als eisenländische "Dorf- und Wiesen"-Magieschule recht passend, hat was grimmsches, im positiven Sinne
+ Castillien ist endlich richtig spanisch und nicht mehr so pseudo-mexikanisch
+ Die Stories-Mechanik ist richtig eingesetzt richtig cool! Eine anpassbare "To-Do-Liste" für Charaktere... läuft!
+ Die
Schwertmeistergilde… pardon
Duellanten-Gilde hat endlich vernünftige Regeln, wann sich wer mit wem duellieren darf
+ Die Inen und Highlander sind echte Völker, keine an Avalon-drangeklatschten Kolonien
+ Man erkennt vieles wieder aus den alten Editionen, settingtechnisc; vieles von dem, was ich liebe ist noch da, und das ist ja auch mal was
...
So und da die ganzen Enttäuschungen der letzten Kickstarter-Kampagnen (Werwolf, Exalted, etc...) mich super-kritisch haben werden lassen, sitze ich jetzt hier und überlege, was ich am neuen 7te See sonst noch gut finde... und das ist echt schwer. Ohne große Umschweife also das Contra, in absteigender Reihenfolge nach Nerd-Rage-Grad...
Sachen, die ich nicht mag...1. Magie ist kein Indikator mehr für adlige Abkunft!Das ist für mich eigentlich das Schlimmste. Alles andere kann ich ertragen, bis auf das. Das war für mich ein elementar wichtiger Aspekt des Settings! Mit dem Blut verbunden ist die Magie nur noch in Montaigne. Überall anders kann jeder Magie erlernen. Das mag zwar in gewisser Weise was Geschichten angeht auch von Vorteil sein, beraubt das Setting aber dem metaphysischen Aspekt des "Adlige verdienen zu herrschen, denn sie sind Magier". Überhaupt ist die Überarbeitung der Magie meines Erachtens nicht gelungen, denn sie fühlt sich jetzt noch "High Fantasy"-mäßiger an. Das Tolle an der Magie fand ich auch die Konzentration auf einen magischen Aspekt, ein einzelnes magisches Klischee-Sphären-Magiestil-Dingsbums. Jede Magieschule hatte ein starkes Konzept: Jetzt kann man zum Beispiel mit der ussurischen Matuschka-Magie Tierverwandlung machen, aber auch Räume erleuchten oder Gegenstände reparieren. Sowas ist DnD-Zauberliste! Und obwohl ich Glamour nie mochte: Die neue avalonische Magie füllt die Lücke nur unzureichend.
2. Das Buch ist unlektoriert, was die Sinnhaftigkeit der Texte angeht.Konkret: Die Texte passen zum Teil nicht zusammen. Schön, dass sie schnell fertig werden wollten. Das hat aber dazu geführt, dass sich eindeutig alte Textpassagen aus den früheren Büchern mit neugeschrieben widersprechen (btw. ich habe nichts gegen Re-Uses, aber man muss das angleichen). So sind die Eisenlande an einer Stelle halb-vaticcinisch und halb-objektionistisch, an einer anderen Stelle wieder nur objektionistisch. Mal ist das Invisible College eine Ansammlung von Wissenschaftlern, die die Inquisition stürzen wollen, mal eine Ansammlung Kleriker, die Aufklärung betreiben (ich weiß, in Theah fast synonym aber eben nur fast). Besonders heikel: Mal zeichnet sich der Adel durch Magie im Blut aus, im Gegensatz zum gemeinen Volk (Setting-Intro-Text), dann später mechanisch aber überhaupt nicht. Ich könnte so weitermachen. Das ist was, was allen Veröffentlichungsterminen zum Trotz, nicht passieren darf. Und das kann ich dem Autorenteam vorwerfen, denn: Sie haben alle Zeit der Welt.
3. Fechten macht keinen Spaß.Die Regeln für
Schwertkampfschulen… arrgh, wieder falsch, man merkt ich mag die alten Begriffe… für
Duell-Stile sind selbst mir als Fan schlanker Systeme zu beliebig!
Das System hinter den Schwertkampfschulen war beim alten Spiel vielleicht mein liebster Aspekt: Jede Schwertkampfschule hatte eine Philosophie hinter sich und die hat sich dadurch ausgedrückt, welche Kniffe die Schule hatte und wie die funktioniert haben. Klar, das alte Schwertkampfschulen-System war ein unausgeglichenes Regelmonster. Aber jede Schule hatte eine Identität… und eine Möglichkeit sich in ihr zu verbessern. Die Ränge Lehrling, Geselle, Meister sind komplett rausgeflogen. Du beherrschst den Stil oder nicht, finito. Und langweilig. Ein Duell-Stil ist nur noch ein einzelner mechanischer Vorteil, abgesehen davon sind sie alle gleich. Also wenn ich das hausregeln müsste, würde ich jeder Schule zumindest einen Bonuswürfel für ein Kampf-Manöver und einen Malus für ein anderes geben. Kann dann gerne auch teurer sein, die Schule, aber die müssen sich mechanisch nach irgendwas anfühlen.
Darüber hinaus ärgere ich mich maßlos über das Verhältnis zwischen genre-konformen und nicht-genrekonformen Schulen: Sehr viele Schwertkampfschulen nutzen Schwere Waffen anstatt dem Rapier oder Degen. Was aber auch ein bisschen an der seltsamen 7th Sea-Definition von „Schwere Waffe“ liegt. So fällt ein Säbel bei denen unter „Schwere Waffe“, wird also mit Brawn statt mit Finesse geführt. Naja… ich habe es für mich immer so geregelt, dass Schwere Waffen alles sind, wofür ich mehr als eine Hand brauche, Fechtwaffen alles andere inklusive Messer. Aber ja, wirklich: Ganz viele Schulen, die nicht mehr in die Zeit passen.
Und warum zum Teufel ist die Peitschen-Schule jetzt plötzlich eine Vodacce-Schule? Die hat doch wunderbar nach Castillien gepasst!
4. Es gibt eine wahnsinnige Menge an Völkern, die in der Zeit zurückliegen.Ich meine Vendel wurden quasi gestrichen, zugunsten der Vesten… Bitte was!?!
Die Wikinger bleiben und die Holländer/Dänen sind nur noch ein Wurmfortsatz! Verdammt, also ernsthaft. Ich käme damit klar, wenn man den Vendel eine Art wikingermäßige Ikonographie gegeben hätte, um zu zeigen, wo sie herkommen – so ein leicht wikingereskes Gustav-Adolf-Schweden. Ja, ich finde es sogar eine gute Idee zu sagen: Die Wikinger haben freiwillig aufgehört, Wikinger zu sein, um in dieser neuen Welt klarzukommen. Aber dann bitte auch konsequent durchziehen und keine langbärtigen Runenwerfer, sondern glattrasierte Holländer mit Runentattoos an unsichtbaren Stellen. Mit den Ussurern, den Samaren (so werde ich sie eindeutschen), den Highlandern und den Inen haben wir bereits vier Völker, die auf diese alte, zum Teil etwas rückständige Optik zurückgreifen. Ich brauche nicht auch noch Wikinger. Da war das Verhältnis ja vorher besser.
Besonders kritisch: Wieder eine „Scheiß auf die Kirche, wir glauben noch an die alten Götter“-Religion mehr in Théah. Und davon gibt es in der neuen Edition reichlich. Dafür fehlt uns jetzt eine echte objektionistische Nation. Gut gemacht.
Ussura ist übrigens so rückständig wie eh und je. Dafür gibt es keinen Ivan, den Schrecklichen mehr. Ich fand ihn cool, als Kontrast zu Katharina. Hätte man ausbauen können. Haben sie nicht gemacht.
5. Die Regeln für Schurken sind… zu reduziert.Ein Stück zu reduziert, zumindest. Zwei Werte und ein paar Vorteile? Nicht mal Tugend und Hybris!?!
Ich finde nicht, dass jedes Detail Werte haben muss. Aber Schurken sind nun einmal auch Charaktere. Und, ohne jetzt zu weit auszuholen: Ich kenne nur ein System, dass derart wichtige Charaktere nichts den Scs ebenbürtig mit Werten abbildet und das ist „Powered by the Apocalypse“… und da ist die Mechanik so geartet, dass einfach alles abstrahiert wird, alles. Versteht mich nicht falsch: Ich glaube, dass das Schurkensystem bei 7th Sea 2nd mechanisch funktionieren könnte (obwohl Strength gegenüber Influence reichlich unbalanced ist), aber die Implikation gefällt mir nicht. L'Empereur ist eine Persönlichkeit, Giovanni Villanova ist eine Persönlichkeit, Captain Reis ist eine Persönlichkeit… und ich kriege einen besseren Zugang zu denen, wenn ihre Werte nicht komplett austauschbar sind. Der Verzicht auf Schurkenarkana ist vielleicht das größte Problem: Die Schurkenarkana im alten 7te See waren spitze, denn sie haben ganz bekannte Klischees von Bösewichten aus dem Genre und den Medien allgemein in Werte gegossen: Der Schurke erzählt dir in der Todesfalle seinen großen bösen Plan, der Schurke macht sich selbst nicht die Hände schmutzig, der Schurke braucht immer die pompöseste Feier und den besten Wein. Toll, weil flairtragend.
Naja, vielleicht kommt im „Heroes & Villains“-Buch noch eine Alternative zum Schurkenbau.
6. Dramatic Sequences… simply don't work.Na gut, das vielleicht schon. Aber die Beispiele sind scheiße. Actionsequenzen funktionieren sehr gut. Bei den Dramatic Sequences habe ich immer das Gefühl, dass da einfach frei erzählt wird, aber ab und zu, ohne erkennbaren Grund, werden Raises geschmissen. Und da es kein festes Ziel gibt, stehen die Raises in keinem Verhältnis zu dem, was erreicht werden kann. Man soll bewusst keine Taskliste machen, was zu tun ist, damit die Szene aufgelöst ist? Ja, aber irgendwann sind die Raises doch weg? Und was ist mit Consequences und Opportunities? Wie sieht sowas in Dramatic Sequences aus? Diese Antwort bleibt das Regelwerk schuldig. Und wenn ich zum Spielleiter sage „Nö, den Raise gebe ich nicht aus?“ Was dann? In den Beispielen würde ein „Nicht-ausgeben“ immer in eine Sackgasse führen. Hier geht es nicht weiter.
Meine Hausregel wäre, wie bei den Action Sequences, immer genau zu klären, was erreicht werden soll und wie die Szene dem entgegensteht. Und ein Timelimit wäre hier auch gut: Wenn das und das bis ihr nur noch 2 Raises habt nicht geklärt ist, wird’s hässlich.
Kann aber sein, dass das System auch eine Verlegenheitslösung ist: Ich habe 7te See halt nur nie als reines Actionspiel empfunden. Soziale Kampfschulen (Benimmschulen), sowas wäre noch nett gewesen.
7. Das Artwork ist langweilig wie Hölle.Außerdem zeigt es extrem wenig barocken und rokkokoigen Kram, den ich bei der Epoche erwarte. Die Motive sagen mir nicht: Das ist das 17te Jahrhundert. Und die meisten sind auch noch sehr wenig dynamisch. Handwerklich gut. Aber eben einfach langweilig. Man kann vom alten 7te See halten was man will, aber dieses Bild, wo der Typ mit gezogener Klinge in einem Karren ungebremst eine abschüssige Straße hinabrollt: Das ist ein Motiv für 7te See!
Und wir haben wie befürchtet einen totalen Mangel an Rüschenstoff, bunten Farben, Schnallenschuhen und Spitzbärten. Das Artwork ist ziemlich weit weg vom Genre. Ich glaube ja es liegt an zweierlei:
1. Die meisten abgebildeten Charaktere dürften Spielercharaktere zahlender Backer sein und die waren einfach alle nicht sehr passend angezogen.
2. 1 000 000 Dollar bedeutet: Let's do mainstream. Und um es sich mit den konservativen Rollenspielkreisen zu verscherzen hat man gesagt (Achtung, Sarkasmus!): „Oh nein, wir dürfen auf keinen Fall Leute mit Puder und Lockenperücke abbilden, das mag niemand, das am Ende noch tuckig oder Schlimmeres!“ Schreiben dann aber: In Montaigne laufen die Leute so rum und Montaigne prägt die Mode überall, nur um dann wieder zu sagen: Ja aber keiner läuft wirklich so rum, da macht man sich ja lächerlich. Aufwachen, Leute vom Artwork! Findet einen Weg, diesen Look cool in Szene zu setzen! Ist einfach die Zeit! Ist einfach das Genre!
Ich erinnere mich an die Eröffnungsdoppelseite im alten Buch. Mit dem lockenperückigen Montaigner, der mit dem mutmaßlichen Vodacce auf dem Gelage-Tisch fechtet. Er lächelt verschmitzt und sieht cool und würdevoll aus. Auch die Bilder im Nationenteil waren besser mit Mann und Frau in typischer Tracht. Man hat gesehen: Das ist nicht 08/15 Fantasy. Das ist 17tes Jahrhundert. Und genau das fehlt hier beim Artwork.
8. Die Skills sind nicht so toll.Klar, die funktionieren. Aber die Bezeichnungen lese ich in jedem dritten Rollenspiel. Ich wäre, gerade weil man über einen zusätzlichen Raise in einer Szene die Möglichkeit hat, mit Panache+Convince eine Wand hochzuklettern, eher auf Professionen statt auf Skills gegangen. Also das was jetzt diese unmöglich DSA-igen und willkürlichen Pakete sind, die man am Anfang auswählt. Dann hätte ein Held eben die „Fertigkeiten“ Jäger, Fechter, Höfling, Spion etc… da macht dann auch eine Kombination Attribut + Profession Sinn: Mit Panache + Jäger mache ich ganz andere Sachen als mit Brawn + Jäger. Die Magieschulen sind natürlich auch Professionen. Dafür ein freieres Vorteilssystem. Oder ich wähle eine oder zwei „Hauptprofession“, in der ich dann nochmal zusätzlich Vorteile kriege ohne sie mit Punkten zu kaufen. Für die Stake-Resolution finde ich diesen Ansatz wesentlich sinnvoller als die doch sehr eingeschränkten Fähigkeiten (ja, was macht man mit „Reiten“ sonst noch? Man reitet eben…).
Alles in allem: „7th Sea Second Edition“ ist das zweitbeste Kickstarterprojekt, dass ich bislang gebacken habe. Es ist weit davon entfernt mir vollends zu gefallen.Was sagt ihr?