Ich bin jetzt neugierig geworden und habe mir das Free PDF angeschaut... 425 Seiten? Uff
So, ich habe das Softcover seit einigen Tagen in meinem Besitz und das Werk grob durchgearbeitet. Bevor ich zu meinem ersten Eindruck komme, kurz was zu dem oben angemerkten Umfang. Wie Fezzik schon geschrieben hat, sind viele alternative und optionale Regeln enthalten, die man so für das Spiel nicht unbedingt braucht oder auch gleich komplett ignorieren kann (Weird Classes, Psionics etc.).
Die umfangreiche Zauberliste belegt dann auch noch gleich über 150 Seiten des Buches. Insofern sind 425 Seiten am Ende doch gar nicht so viel.
Mein erster, aber durchaus auch schon tiefer gehender Eindruck:
Fantastic Heroes & Witchery ist für mich wie nach Hause kommen. Nur hat sich in all den Jahren ein guter Freund, in diesem Falle Dominique Crouzet, um das Zuhause gekümmert, es instand gehalten und es liebevoll modernisiert.
FH&W ist wie das Lieblingskind von AD&D und der 3er Edition. Das Regelwerk atmet die Einfachheit und den Charme von AD&D, kombiniert das aber dabei mit den modernern D20-Mechanismen und der Optionsvielfalt der moderneren D&D-Systeme. Im Gegensatz zur 5E sind die Optionen aber sehr geerdet und der Machtzuwachs doch eher überschaubar.
Was mich aber wirklich beeindruckt ist der Baukastencharakter von Fantastic Heroes & Witchery. Für so ziemlich jeden Aspekt des Regelwerks gibt es mindestens eine optionale Variante. Und ohne es am Spieltisch ausprobiert zu haben, scheinen die einzelnen Bausteine dabei wirklich ineinander zu greifen und nicht das System an bestimmten Punkten auszuhebeln. Es wirkt alles durchdacht und im Gegensatz zur 5E auch wirklich getestet zu sein.
Als Beispiel sei hier das Skillsystem zu nennen:
Es entspricht grob dem bekannten D20-Skillsystem. Backgrounds sind optional. Sie geben einen Bonus von +4 auf die enthaltenen Skills, Klassenskills hingegen geben einen Bonus/lvl+2. Kombiniert man aber die Regeln stacken die beiden Boni nicht, sondern der höhere gilt. Elegant gelöst und einem möglichen Powercreep einen Riegel vorgeschoben
Das ist nur ein Beispiel.
Grundsätzlich ist die Basis von FH&W ein einfaches D20-System. Die Optionen und Varianten entscheiden am Ende wie komplex und vielfältig das System wird. Neben Skillsystemvarianten gibt es Regeln für die Einbindung von Talenten, Kampfschulen, alternativen Klassen etc.
Die jeweilige Runde entscheidet selbst wie komplex und variantenreich das System sein soll. Aber wie gesagt, ich habe den Eindruck, dass diese Optionen, ja eigentlich fast eher Hausregeln, bereits intensiv am Spieltisch getestet wurden. So sehr greifen die Mechanismen ineinander.
Ein weiteres Highlight ist für mich das Magiekapitel. Im Gegensatz zu den meisten OSR-Regelwerken wird bei FH&W nicht zwischen klerikaler und arkaner Magie unterschieden. Ähnlich wie bei Crypts & Things wird hingegen zwischen weißer, grauer und schwarzer Magie unterschieden.
Crouzet belässt es aber nicht bei dieser Unterscheidung, sondern liefert auch noch gleich ein Essay über den Glauben im Spiel und die Möglichkeiten welche Religionsansätze im Spiel auftauchen können. Dabei erläutert er ganz nebenbei mit welchen Regeln man welchen Theologieansatz am besten umsetzt. Chapeau!
Ähnlich verhält es sich mit seinem Diskurs über die Seele. Auf wenigen Seiten erläutert er, welche Rolle die unsterbliche Seele in einem Rollenspiel haben sollte und wie man dies regelgerecht einbindet. Vor meinen Augen entfalteten sich aufgrund dieses Exkurses ganze Kampagnenideen.
Zusammengefasst scheint für mich FH&W
DAS OSR-Regelwerk zu sein, das ich mir immer gewünscht habe. Modular, durchdacht und eingängig. Die perfekte Mischung aus Oldschool und moderneren Regelmechanismen mit ganz viel Seele. Letztlich also das, was ich mir von der 5E erhofft hatte.
Kritik? Man könnte bemängeln, dass es zur Vollständigkeit eines Regelwerks FH&W an Monstern und magischen Gegenständen mangelt. Allerdings gibt es im OSR-Bereich sowohl für das eine wie auch für das andere genügend Bücher, die nahezu vollständig kompatibel mit FH&W sind. Denn am Ende ist FH&W auch nur ein OSR-Klon, wenn auch ein exzellenter.
Fazit:
Für mich das Rollenspielbuch für die einsame Insel.