Ich mache mal was, was wir "früher" immer gemacht haben, nämlich: einen neuen Spielstil entdecken! Späßchen. Aber rund um mich entwickelt sich wirklich was, was ich jetzt erst so genau zu fassen kriege. Und es ist vielleicht für andere nicht uninteressant. Also, es ist nämlich so, dass ich und mein ganzer Freundeskreis näher an der 40 sind als an der 30. Manche schauen sich die 40 sogar schon von der anderen Seite an! Mehrere von uns haben auch Kinder. Und Berufe. Und zwar fast ausschließlich so halbselbständige Kreativbrufe, wo man mal hier und mal da und nächste Woche dorthin. Und jetzt spielen wir halt anders Rollenspiel als früher, und eine zeitlang war es blöd und es gab auch Streit und jetzt läuft es sehr gut. Jeder Spielstil braucht einen klangvollen Namen, also nenne ich ihn: Rollenspiel ab 40 (fast), kurz: RA4f.
Was ist da so besonders? Not only system matters: Lebensumstände mattern! What we play is formed by who we are. Directly the Spielinhalte sind geprägt durch how little time we have. And the rules und alles andere auch!
Spielabende müssen entweder weit im Vorhinein abgestimmt werden (in der Gruppe und mit der Familie) oder ergeben sich ziemlich spontan. In einem Fall schaffen wir es relativ regelmäßig alle zwei Wochen, aber das ist eine große Gruppe, wo dann selten alle mitspielen.
Wenn wir uns treffen, halten wir nicht so lange durch. Vor acht geht es wegen Geldverdienen und Kind-aus-der-Kita-abholen kaum. Und ab 11 will man ja schon wieder schlafen! Ehrlich gesagt haben wir abzüglich Geplänkel zu Beginn und Absacken am Schluss nur so zwei Stunden, in denen wir konzentriert und mit Elan spielen können.
Unsere Spiele müssen also minimale Vorbereitungszeit haben, einheitliche, transparente Regeln, die nicht zum Nachschlagen zwingen, sie müssen dazu anleiten, schnell was geschehen zu lassen. Und ja, da sollen bitte die Regeln mithelfen, denn wenn man schon müde ist, ist es angenehm, wenn man nur würfeln muss, damit man Anregungen bekommt, was bitte als Nächstes passiert.
Unsere Spielwelten müssen unsere Nostalgie befriedigen, aber auch eine solche Bandbreite an Themen zulassen, dass wir ohne Sorge um "Stimmigkeit" und "Spielweltkohärenz" Ideen raushauen können. Wir wählen oft Old-School-Fantasy-Settings, weil man da einerseits alles kennt, aber auch Platz für viele Seltsamkeiten ist (altes Aventurien, D&D-Welten, die reale Welt) oder aber sehr klar umgrenzte, generische Genres, in denen die Motive auch superklar sind, und mit denen man deshalb super improvisieren kann.
Improvisieren können und wollen wir nämlich. Wir beherrschen alle Rollenspiel seit Jahren, zum Teil Jahrzehnten und haben vieles einfach drauf. Ich kann als SL zum Spieler sagen: Dein Charakter kann halt zaubern, was ein DSA-Waldelf so zaubern kann, und der erfüllt das dann punktgenau, auch ohne ausführliche Magieregeln. Über viele Ideal-Standard-Abenteuerelemente wird so in ironischer Form hinweggehandwedelt ("Er ist ein Auftraggeber und bietet euch X Dukaten und ein Dingsbums. Sagt ihr ja?" - "Ja!". Überhaupt begegnen wir vielen Spielinhalten mit liebevoller [!] Ironie. )
Die Abenteuerformen sind entweder "deutlich sichtbare Schienen, auf denen man im Zug saufen und Krawall machen darf" oder "hier ist ein Ort mit drei Parteien, die schon Zoff haben, und jetzt kommt ihr dazu" oder "hier sind X Personen, ihr seid mittendrin, und wenn wir würfeln, passiert irgendwas an den Beziehungen, bis alle tot, irre oder verheiratet sind".
Das Verhältnis zu den Charakteren ist oft "von oben drauf". Wir versenken uns nur punktuell, dann aber recht schön, mit Charaktersprech. Nach solchen kurzen Episoden heißt es aber meist wieder "Der geht dann mal ..." "Ich bin ja so´ne Hexe, die auch mal ...".
Zwischen den Sitzungen gibt es meinem Eindruck nach bei einigen Beteiligten recht viel Barbiespiel (Regeln lesen, aber eher mit Blick auf: was könnte ich mal Cooles machen, Abenteuer und Settingbände, aber auch eher so zur Anregung für die eigene Improvisation, Podcasts und Internet als Ersatzbefriedigung.) Eine Minderheit beschäftigt sich wirklich zwischen den Playdates gar nicht mit Rollenspiel.
Denn die Kehrseite der Medallie ist, dass alle in der wachen, mühsam erkämpften Zeit halt auch was machen wollen. Ich bin jetzt zwei Stunden wach und hier und in einer Fantasywelt, jetzt soll es bitte rummsen. Und ich mache auch selber was dafür. Und ich will das auch dürfen, da soll kein SL und keine Regeltext im Weg stehen.
Unsere Erwartungen an einen Spielabend sind oft betont niedrig (ungestört Zeit verbringen, würfeln, nicht langweilig sein, Nostalgie, gutes Essen ein Bonus), aber gerade darum erlebe zumindest ich oft einen "Flow" wie ich den früher kaum kannte. Wenn man möchte, kann man das auch ganz direkt psychologisch erklären: sichere Vorbereitung, begrenztes Material, Vertrautheit mit den Methoden bei gleichzeitiger Abwesenheit von starrer Regulierung und Ergebnisoffenheit+Aufforderung zur Improvisation=Flowerlebnis. Für die kurze Zeit, die wir heute haben, bin ich als Spieler und Spielleiter sehr oft "drin", engagiert, mit Ideen, mit Film im Kopf, mit Spontanität und Kreativität. Es gibt kaum Tavernenspiel oder Bauerngaming, und wenn doch, dann als stark ausgestaltete Szene, die eben wieder die Bedingungen unserer Spielabende erfüllt.
So schwere theoretische Geschütze braucht man aber vielleicht gar nicht. Es ist ja nach allem bisher gesagten irgendwie offensichtlich.
Spiele, die bei uns beliebt waren: DSA (mit anderen Regeln, Aventurien "so wie früher"), Numenera, Dungeon Crawl Classics (mit viel Handwedelei, die Welt, wie sie die Aufmachung vermittelt, ist wichtiger), Der Eine Ring, Dragon Age, Ars Magica, Dungeon World, Fiasco, Dungeonslayers, diverse stark fokussierte "story now!"-Indies.
Eine Minderheit fand jeweils 13th Age, D&D4, Splittermond und Warhammer 3 gut. Diese Spiele konnten sich nicht durchsetzen (obwohl für überwiegend gut befunden).
Gefragt sind also regelleichte, regekohärente Spiele mit starken, vielfältigen, aber doch vertrauten Welten, die ironische Distanz, Improvisation und unterschiedliche Spielanteile ermöglichen (also story-noweskes Drama bis hin zu Stimmungsspiel), weil man sich ohen Regelballast und viel Weltanlesen bewegen kann. Eine starke Nische sind superfokussierte Indies. Ich vermute, dass die nicht stärker sind, weil da oft der Nostalgie- und Welterlebnisfaktor zu kurz kommt.
Spiele mit viel Material (Warhammer 3, tendenziell D&D4), viel kleinteiligen Regeln (neuere D&Ds, Splittermond) fallen eher durch, obwohl andere Bedingungen für ein "gutes " Spiel bei uns erfüllt sind.
Steile These Nr.1: Wir bilden damit ziemlich genau den Mainstream der "alten, informierten Rollenspieler" ab. Bei uns beliebte Systeme sind die Hype-Spiele der letzten Jahre. OSR ist ein bisschen unterrepräsentiert, aber das ist eher eine Prägungssache, glaube ich (wir waren früher eben DSA und nicht D&D).
Steile These Nr.2: Rollenspiele, die sich in Zukunft verkaufen sollen, müssten so sein, dass sie uns gefallen. Wir sind die Zahlungskräftigen und die Meinungsstarken. Hinzu kommt, dass Spiele, die uns gefallen, oft auch gute Einsteigerspiele sind.
Steile These Nr.3: Ziemlich viele Rollenspielentwicklungen der letzten ca. 10 Jahre lassen sich soziologisch besser erklären als durch irgendwelche spieltheoretischen Überlegungen.
Steile These Nr.4: GNS ist nur die Abkürzung für "Wir sind alte Säcke und haben nicht mehr so viel Zeit für den Scheiß." Ron Edwards ist glaube ich zehn Jahre+ älter als ich, der hat das alles bloß früher erlebt. Der sozialpsychologische Blick auf die Rahmenbedingungen des Spiels ist aber einfacher zu verstehen als das ganze Sondervokabular der Forge. Nicht, dass das noch irendjemanden interessieren würde. Aber ich gehe ja auch schon auf die 40 zu.