Ich muss gestehen, dass es mir schwer fällt zu entscheiden, ob eine bestimmte Art und Weise Sandboxing ist, oder nicht.
So genau wird das wohl auch nicht möglich sein.
Ich nenne mal die beiden Antipoden Sandkasten und Abenteuer
1. In beiden können die Spieler handeln. Eine Handlung kann alles mögliche sein. Ich kämpfe gegen die Orks. Ich gehe in die Krypta. Ich klaue ein Auto. Ich fliege zu Planet X.
- Im Sandkasten sind die Handlungen streng horizontal organisiert. Ich habe eine große Palette an Spielzeugen in meinem Sandkasten und suche mir eins aus, um damit zu spielen. Bin ich fertig, nehme ich mir das nächste Spielzeug. Optimalerweise ist die Anzahl der Handlungen sehr groß, jedenfalls so groß dass ich als Spieler keine Einschränkung empfinde. Gegebenfalls haben die Handlungen Auswirkung auf die weiteren Handlungen, die zur Auswahl stehen.
- Im Gegensatz dazu ist das Abenteuer streng vertikal organisiert. Auf Handlung 1 folgt Handlung 2. Auf Handlung 2 folgt Handlung 3. Handlung 3 ist nicht erreichbar, ohne Handlung 1 und 2 in der Reihenfolge zu absolvieren.
Beides sind Extreme und kommen so normalerweise nicht vor. Der Sandkasten in dieser reinen Form ist total flach. Eine Handlung und fertig. Dann die nächste raussuchen. Abenteuer haben im Gegensatz dazu keine Abzweigungen. Die Spieler könnten im Extremfall auch ein Buch lesen.
Realistisch hängen natürlich im eher am Sandkasten orientierten Spiel lauter kleine Abenteuer. Ich führe Handlung 1 aus (rein in die Krypta auf Hexfeld 3E) und beginne damit mein kleines Abenteuer, in dessen Verlauf ich die Krypta durchsuche, den Hexenmeister darin wecke, besiege, was auch immer. Wenn ich zu Planet X fliege, möchte ich da auch was erleben, eben ein Abenteuer. Ich will ja nicht nur ein paar grobe planetare Daten aufnehmen und dann weiterfliegen, um ganz mechanisch am nächsten Planeten das zu wiederholen.
Und kein am Abenteuer orientiertes Spiel ist komplett linear. Darum spielen wir ja unter anderem Rollenspiel, wegen der Wahlmöglichkeiten. Ich kann aus der festen Handlungsabfolge ausbrechen und mir einen Nebenplot suchen, einzelne Handlungen umgehen oder modifizieren. Vielleicht kann ich sogar die laufende Handlungsabfolge komplett verlassen und mein eigenes Ding machen. Dann rutsche ich halt näher an den Sandkasten ran. Ich mache also aus der langen Linie eher einen Strang mit parallelen Linien und Querverbindungen dazwischen oder ändere Reihenfolgen in der Linie.
Genauso kann ich vielleicht aus der Krypta im Hexfeld eine riesige Kampagne entwickeln, wenn der Hexenmeister wiederaufersteht und seine untoten Armeen gegen das Kaiserreich führt. Dann wird's mehr Abenteuer und ich hänge eine lange Linie in meine horizontale Struktur rein, die vielleicht wieder kreuz und quer Verbindungen hat.
Als Beispiel nehme ich mal das Midgardabenteuer Smaskrifter. Das ist zum Beispiel sehr deutlich beides. Es gibt eine recht klare Handlung, bei der die SC langsam eine uralte <redacted> aufdecken, um im Laufe der Zeit immer weiter <redacted> und am Ende <redacted>. Aber die Reihenfolge ist zum Teil recht offen. Und der Handlungsort ist dergestalt, dass die Spieler überall in der Stadt rumlaufen und Person begegnen können, die im Sinne obigen Abenteuers noch gar nicht "sinnvoll" sind. Zum Beispiel könnten sie als erste Handlung der Kampagne in das Haus von <redacted> einbrechen und <redacted> stehlen, obwohl <redacted> keinerlei Bedeutung jenseits eines Kuriosums für sie hätte. Es gibt also sozusagen eine sehr breite horizontale Ebene mit vielen Handlungen, in der dann unter anderem ein sehr langer Handlungsstrang aufgehangen wird, dem die Spieler folgen, während sie in dieser Struktur der möglichen und sinnvollen Handlungen immer wieder neue Querverbindungen herstellen.
Um mal in diesem Modell Anturiaks Kampagne zu deuten: die scheint sehr stark auf der Sandkastenseite gewesen zu sein. Jede Handlung braucht Zeit, aber viele Handlungen waren einfach nur sehr flach (Reisen, Zufallsbegegnungen) oder blieben flach, weil ein tiefergehendes Erforschen ebenfalls Zeit braucht. Die Spieler haben sich also ausgiebig in der Horizontalen bewegt, während es nur an zwei Stellen auch mal in die Tiefe ging.
Die Mischung beider Extreme macht das ganze Konstrukt erst sinnvoll spielbar. Der Mischungsgrad und persönliches Empfinden machen daraus erst die Wahrnehmung, ob ich mich eher in einem klassischen Abenteuer oder einem Sandkasten befinde. Beide Varianten sind notwendig. Habe ich nicht genug Sandkasten, fühle ich mich gegängelt. Habe ich nicht genug Abenteuer, fehlt mir die Tiefe. Und das ist was persönliches. Ich selbst mag lieber viele Handlungsoptionen und würde bei den sieben Gezeichneten wahnsinnig werden. Und jemand anderes würde die Fülle an Handlungen vielleicht gar nicht haben wollen, die er in einer offeneren Spielgestaltung haben will, denn die sieben Gezeichneten bieten extrem viel Tiefe, einen extrem langen Handlungsstrang, die ich als Runde zeitlich gar nicht haben könnte, wenn viele Seitenstränge mir die Zeit nehmen.
1) Das gilt nicht für Abenteuer im allgemeinen Sprachgebrauch, auch nicht für ganz furchtbar lineare DSA-Abenteuer. Es ist nur eine Definition. Das lege ich so im Rahmen dieses Beitrages fest, wovon ich danach weiter spreche. Ich meine damit nicht alle Dinge, die mal jemand Abenteuer genannt hat. Definition. Nur. Für. Diesen. Thread. Definition steht direkt drunter. Genauso der Sandkasten. Ich definiere das hier so, damit klar ist, was ich im weiteren Verlauf sagen möchte. Ich meine damit keine allgemeingültige Definition. Also bitte keine Definitionsdebatte.