Seufz. Du begibst Dich da auf eine Spielwiese, von der Du, ganz ehrlich, zu wenig Ahnung hast. Klingt vielleicht arrogant, aber nach einer Vorlesung zu dem Thema steht mir nicht und wir starten schlicht von unterschiedlichen Niveaus. Vielleicht mag zum Einstieg ins Thema der Wikilink zu "psychologischer Vertrag" nützlich sein. Wirklich nur ein Ausgangspunkt. Dazu gibt es haufenweise Literatur, die sich auch wunderbar für das Rollenspiel adaptieren lässt.
Einleitend bringt mich erst mal der autoritäre Ton auf die Palme; ich empfinde das ganz klar als Teil einer Teile-und-Herrsche-Strategie; an die einen Lob austeilen, die anderen öffentlich kleinmachen und demütigen (natürlich mit der großzügigen Geste des Ist-nicht-bös-gemeint). Wenn man der Meinung ist, jemandem etwas erklären zu müssen, kann man das auch ohne herablassende Einleitungsworte - einfach auf Augenhöhe schreiben, an welchem Punkt der eigenen Meinung nach die andere Person falsch liegt. Gerne auch in einem scharfen Ton. Aber nicht von vorneherein vorwegnehmen, dass ein Dissens oder eine Unterschied im Begriffsverständnis daher rührt, dass die andere Person keine Ahnung hat.
Aber zur eigentlichen inhaltlichen Problematik des Beitrags:
Kannst ansonsten ja mal auf eine Frau zugehen und explizit fragen: "Willst Du mir mit ficken?" Alle Beteiligten wissen sofort, was gemeint ist. Trotzdem wird Du möglicher Weise einen Handabdruck im Gesicht und mit einer alternativen, nämlich impliziten Heransgehensweise womöglich mehr Erfolg haben.
Erst mal: Das Beispiel ist aus mehreren Gründen vollkommen daneben - es passt inhaltlich nicht (dazu unten mehr); ganz abgsehen davon finde ich es aber auch wahnsinnig unangenehm mackermäßig, dass Wellentänzer sich für sein Beispiel in die Rolle des Pick-Up-Artists begibt, der anderen Männern Ratschläge zum subtilen Frauenaufreißen gibt. Dass das Beispiel Heterosexualität voraussetzt, ist nur das kleine I-Tüpfelchen und wahrscheinlich wieder mal etwas, dass nur mir als Gender-Student (und ja, auch ich kann da autoritär meine Kompetenz mit einem ordentlichen akademischen Abschluss untermauern) sauer aufstößt.
Inhaltlich unzutreffend an dem Beispiel ist der Umstand, dass die Frage "willst du mit mir ficken?" innerhalb unseres kulturellen Kontexts unter Fremden (und meistens auch unter Freunden und Bekannten) in aller Regel bereits einen sexuellen Übergriff darstellt - das ist ein performativer Sprechakt von der Sorte, mit der verbal gewalttätig in den Intimraum einer anderen Person eingedrungen wird.
Stelle ich in einer Rollenspielrunde mit mir unbekannten die Frage: "Gilt hier die goldene Regel? Was sagt ihr?" (+ Definition, was damit denn in diesem Kontext genau gemeint ist), dann ist das wohl kaum ein sprachlicher Übergriff auf den Intimraum der anderen am Tisch.
Aber selbst, wenn ich das Beispiel so annehme, kollabiert es, sobald ich es auf Gruppen mit einer guten Vertrauensbasis anwende. In einer (na ja, zumindest meiner) funktionierenden Beziehung gehört es für mich natürlich dazu, dass man fragen kann (und sollte), ob die andere Person gerade Bock auf Sex hat (Schon klar, so viel wollt ihr nicht über mein Privatleben wissen, aber Wellentänzer hat das Thema nun mal auf den Tisch gebracht). Das muss ja nicht in Wellentänzers aggressiv-überzeichneter Formulierung passieren. Da würde ich doch mal voraussetzen, dass ich in einer RSP-Gruppe, in der man halbwegs vertrauensvoll miteinander umgehen kann, ganz ohne Schwierigkeiten das Thema "goldene Regel" ansprechen kann.
Damit erledigt sich für mich auch weitgehend die folgende Behauptung:
Am Rollenspieltisch kann man analog selbstverständlich im Vorfeld, gerade wenn man sich nicht gut kennt, alle möglichen unangenehmen Themen vorher abchecken. Dadurch wird jedoch das Klima der Runde massiv beeinflusst. Gerade am Anfang. Die sogenannte "Kultur" der Runde. Ich würde jedenfalls ziemlich schnell die Biege machen, wenn da jemand so offensiv auf mich eindreschen würde. Das ist sehr deutsch und Hall nennt sowas "low-context culture". Persönlich finde ich das sehr unangenehm, es primed Runden direkt zum Start negativ, es gibt erhöhte Wahrscheinlichkeiten für Gruppendenken mit den entsprechenden Fehlentscheidungen, international wird man sich damit sowieso kaum Freunde machen und vieles mehr. Die Devise "Sprecht es explizit an!" ist insofern also zwar generell und in vielen Fällen keine schlechte Idee, in dieser spezifischen Frage aus meiner Sicht aber eher wenig sinnvoll.
Das ist eben erfahrungsgemäß Unsinn (und mit "besonders Deutsch" hat es nun wirklich gar nichts zu tun, mein lieber Herr Kosmopolit). Du kannst da gerne die Biege machen, aber die offene Thematisierung von Regeln des Umgangs miteinander muss überhaupt nichts mit "Eindreschen" oder Aggression zu tun haben - im Gegenteil dient sie in vielen Fällen ja dazu, den unnötigen Aufbau von Aggression aufgrund von bestimmten Triggern, die der/die andere vielleicht nicht kennt, zu vermeiden.
Festhalten kann man aber abseits aller Semantik: 6 und Rumpel möchten sehr gerne ganz explizit verschiedene Dinge vor Start einer Runde ansprechen, die ich mit mehr Zeit und dadurch für meine Begriffe erheblich eleganter zu klären können glaube.
Tja, und da sind wir wieder beim autoritären Ton und auch bei einem weiteren Irrtum in der Sache: Mit Semantik hat das nämlich eigentlich nur wenig zu tun. Schön, dass Wellentänzer eine kleine kulturwissenschaftliche Abhandlung zu unterschiedlichen Kommunikationsstrategien formuliert hat. Das alles hat aber wenig mit der Abgrenzung zwischen "Übereinkunft" und "Absprache" zu tun, die ich weiter oben aufgemacht habe und auf die er sich bezieht. Weil Wellentänzer das übersehen hat (oder um es zu überdecken) führt er stattdessen den Fachbegriff des psychologischen Vertrags ein.
Um das ganze noch mal auf die Ebene der Semantik (mit der ich immerhin mein Geld verdiene, um noch mal ein bisschen autoritär zu werden) zu bringen: Wenn ich in einer Übersetzung die Formulierung: "wortlose Absprache" verwenden würde, würde jeder vernünftige Lektor mit Sicherheit darauf hinweisen, dass die mindestens problematisch ist, weil der Begriff "Absprache" impliziert, dass irgendeine Art von Sprechakt vollzogen wird; man kann das machen, dann sollte man aber schon sehr genau wissen, was man sich dabei denkt. Der Begriff "wortlose Übereinkunft" ist dagegen sogar idiomatisch. Die Differenzierung zwischen Absprache und Übereinkunft erschien mir für die Diskussion sinnvoll, wobei ich für das Rollenspiel-Miteinander Absprachen bevorzuge. Wellentänzer bevorzugt offenbar die - am besten wortlose - Übereinkunft, was von mir aus auch völlig okay ist. Anstatt aber die einmal von mir vorgenommene Differenzierung für die Diskussion aufzunehmen, lässt er beide Begriffe ineinander aufgehen, privilegiert dann den von ihm für diese Diskussion bevorzugten Aspekt dieses Bedeutungsfelds, garniert das ganze mit einem Fachbegriff, um zu beweisen, dass er im Recht ist, und erklärt mir dass ich nicht weiß, wovon ich spreche. Bewusst oder unbewusst vermischt er also die ebene der Semantik (die hier dazu dient, sich darüber zu verständigen, worüber man spricht) mit der von ihm angenommenen Ontologie. Ich sage: "Man kann semantisch z.B. zwischen Absprache und Übereinkunft unterscheiden, mit folgenden Definitionen -das wäre hier m.E. hilfreich", Wellentänzer sagt: "Du hast keine Ahnung! Es geht um einen psychologischen Vertrag, das ist der richtige Fachbegriff, und in einem psychologischen Vertrag geht es eben um mehr oder weniger implizite Erwartungen und Angebote!" Das kann ja sein, dass der psychologische Vertrag so definiert ist. Das hat aber erst mal nichts mit der Frage nach der Sinnfälligkeit einer Differenzierung von "Absprache" und "Übereinkunft" in dieser Diskussion zu tun.
So, das war es, was ich loswerden musste. Wie gesagt, für den Thread ist es bestenfalls noch marginal von Interesse; ich hoffe, es findet Verständnis, dass ich mich letztendlich doch dagegen entschieden habe, einfach zu schlucken, wie Wellentänzer mich kleinzumachen versucht.