Und das ist das Problem bei der Goldenen Regel. Regeln bieten Abschätzbarkeit und Transparenz. Und anhand dieser Regeln schaffe ich meinen SC. Bei diesem Verhalten des SL ist es aber egal gewesen, ob ich als Untotenjäger oder als Zuckerbäcker gegen Skelette zu Felde ziehe. Und da eben diese Kompetenz wiederum mit bestimmten Charakteristika, einer Geschichte, einer Verortung meines SC in der Spielwelt zusammen hängt, wurde die so gnadenlos zerschlagen.
Das habe ich auch schon so mit der goldenen Regel erlebt, sogar noch viel krasser bis hin zur Annulierung jeglicher SC-Kompetenzen. Da war dann jeder NSC eine Mary Sue. Dann bekommt man wieder schnell zu hören, dass sei kein Problem der goldenen Regel, sondern des SL und hört Sprüche wie "Regel 0: Spiel nicht mit Idioten". Nein, das Problem sind nicht die SL, das Problem ist die Kompetenz der SL - zunächst mal, vernünftig mit der goldenen Regel umzugehen. Die Spiele, die die goldene Regel in ihr Buch aufnehmen, erklären die nämlich meist nicht sehr gut und was damit nun eigentlich erlaubt ist und was nicht. Das führt ja gerade zu Diskussionen wie diesen hier! Das ist auch immerhin das mindeste, was der "Be a better GM"-Youtube-Videocast sagt - ändere die Regeln und drehe auch Würfel, aber sei immer "benevolent", also wohlwollend für die Spielrunde. Das impliziert, dass die Verwendung der goldenen Regel zur Annulierung von Spielwerten oder Charakterkompetenzen ein Missbrauch der goldenen Regel ist. Aber dieses benevolent/wohlwollend muss man dann auch dazu sagen.
Schon wenn ich statt wohlwollend nur sage "die bessere Story", dann hat der SL der die Charakterwerte annuliert, um die Kämpfe für sich spannender zu haben ja absolut recht. Denn der SL muss ja entscheiden, was die bessere Story ist (er macht ja Gebrauch von der goldenen Regel), also macht er das natürlich nach Gutdünken und eigenem Geschmack. Meiner Erfahrung nach greifen SL zu solchen Mitteln aber auch dann oft, wenn sie das Regelwerk und sein Potential (z.B. sowieso schon vorhandene stärkere Gegner, besondere Kräfte die man vergeben kann usw.) nicht gut genug kennen und beherrschen. Die goldene Regel kann eben auch dazu dienen, mangelnde Beherrschung der Regeln auszugleichen - und auch mangelndes Improvisationstalent oder die Bereitschaft, außerhalb der Eisenbahnschienen zu leiten. Denn die goldene Regel erlaubt (im Missbrauchsmodus) jederzeit Einfluss auf das Spiel auszuüben, der auch das Abweichen von den Eisenbahnschienen verhindert. Genau darum ist es wichtig, die goldene Regel nicht nur formal zu definieren (was darf der SL), sondern auch einen normativen Rahmen zu geben, der zwischen gutem Gebrauch und Missbrauch entscheidet (z.b. wohlwollend für die Runde).
Mal ein anderes Beispiel: Ich hatte mal in DSA einen Scharlatan mit Beeinflussungs- und Illusionsmagie gespielt, der grandios gegen intelligente Gegner und immer noch sehr fähig gegen Tiere und Kreaturen war. Unser SL hat uns aber ständig nur Untote und Dämonen vorgesetzt, die gegen meine Magie immun waren - und als ich dann mal einen Nekromanten verzaubern wollte war er entsetzt, dass er nun den Magieresistenz-Wert von dem Gegner braucht und nicht einfach selbst entscheiden kann, ob der Zauber wirkt oder nicht. Aber dass da dauernd Untote auftauchten hat zwar dazu geführt, dass ich Teile der SC-Kompetenzen nie einsetzen konnte und das war natürlich auch ein wenig frustrierend. Aber ich fühlte mich da nicht vom SL verarscht wie wenn der einfach Tag für Tag intelligente Gegner mit unrealistisch hohen Magieresistenz-Werten hätte auftauchen lassen (oder die Werte geheim hält und ich bekomme nur immer der Negativ-Bescheid nach meinen Proben - weil es ja spannender für die Story ist, wenn ich den wichtigen Gegner gerade nicht verzaubere).
Anstatt immer neue Beispiele zu bringen und zu fragen, ob das goldene Regel ist und was nicht wäre es für mich hilfreicher, konkrete Formulierungen der goldenen Regel zu finden, und zwar solche, die klar machen, wann es sich um den korrekten Gebrauch und wann um Missbrauch handelt.
Es kann einfach nicht sein, wenn Befürworter der goldenen Regel alle Probleme mit ihr auf die Anwendung schieben, wenn da Kriterien eine Rolle spielen, die in der goldenen Regel selbst überhaupt nicht enthalten sind.