Dieses Problem stellt sich ja bei jeder Anwendung von Regeln, deswegen habe ich auch einen Großteil meines juristischen Studiums damit verbracht, Methoden, Prinzipien und Beispielfälle zu lernen, um mit Regelungslücken, Beurteilungs-/Ermessensspielräumen, Missbrauchs-/Umgehungsfällen und dergleichen prinzipiengeleitet, also nicht willkürlich, umzugehen. All diese Fälle haben aber eins gemeinsam: Es besteht zunächst Einigkeit darüber, dass die Regeln gelten. Der Regelanwender muss dann mit den unvermeidlichen Unvollkommenheiten des Regelwerks fertig werden. Die "Goldene Regel", für sich genommen, ist dazu ein denkbar schwacher Ansatz. Sie müsste mindestens prinzipiengeleitet sein, also sagen, nach welchen Grundsätzen zu verfahren ist, statt explizit Willkür zum Prinzip zu erheben. (Edit: Und dann würde man die Regeln auch nicht brechen, sondern ihnen im Gegenteil zu einer besseren Geltung verhelfen, als das bei stumpf wortgetreuem Befolgen der Regeln möglich wäre.)
Dem steht gegenüber der zweite Anwendungsfall der "Goldenen Regel", der mit dem oben geschilderten überhaupt nichts zu tun hat, was gerne mal bei Diskussionen durcheinander gerät. Der zweite Anwendungsfall ist eben Illusionismus, und der versteckt sich nur hinter der "Goldenen Regel" und benutzt diese als Teil seines Repertoires, mit dem er die Spieler hinters Licht führt. Die Diskussion, ob und unter welchen Umständen es okay sein kann, Spieler hinters Licht zu führen, kann man führen, aber es zeigt sich auch hier die Schwäche der "Goldenen Regel" in ihrer einfachsten, nicht prinzipiengeleiteten Form, daran, wie leicht und allumfassend sie sich vom Illusionismus instrumentalisieren lässt.