Also ich spiele sowohl mit als auch ohne Regelbrechen, trenne das klar voneinander und habe damit sehr viel Erfahrung gesammelt. Beides funktioniert in meiner Erfahrung und Überzeugung wunderbar, fühlt sich jedoch gerade als SL recht unterschiedlich an und fordert andere Kompetenzen. Ich präferiere aber als SL das dramaturgieorientierte Leiten und tue das auch, wenn die Runde damit einverstanden ist. Die Spieler erleben bei einem kompetenten SL nach meinem Eindruck übrigens gar keine Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen.
Umso mehr wundert mich aber immer, mit welcher Inbrunst und vor allem Überzeugung das Regelbrechen verdammt wird. Wenn ich mal den ganzen Komplex Regelbrechen/Railroading etc. zusammenfasse zu dem Überbegriff des dramaturgieorientierten Leitens, dann stelle ich fest, dass viele Leute insbesondere im Tanelorn da schlicht und einfach ein paar Dinge falsch machen bzw. falsch verstanden haben.
Wenn wir beispielsweise den persönlich ganz ironiefrei hoch verehrten Boba Fett hernehmen, wird das ein bisschen deutlicher. Hier:
Auch, weil sie irgendwann durchschaubar wird. Je länger einen die Spieler kennen und je mehr Erfahrung sie selbst im Spielleiten mitbringen, desto mehr durchschauen sie einen darin, was man da konstruiert.
Das ist dann schlicht SL-Versagen. Ich kann mir wunderbar vorstellen, dass Boba ein brillianter SL ist - aber halt vermutlich nicht für dramaturgieorientiertes Leiten. Will er aufgrund persönlich anders gelagerter Präferenzen höchstwahrscheinlich auch gar nicht sein. Vollkommen in Ordnung.
Aber: Es gibt offenkundig sehr, sehr viele Runden und SL, die Dramaturgieorientierung jahrzehntelang in verschiedensten Konstellationen wunderbar hinbekommen. Ich finde den Schluss, dass bei dysfunktionalen dramaturgieorientierte Runden der SL schlicht Fehler macht, deshalb sehr naheliegend. Das entspricht auch zu 100% meiner persönlichen Erfahrung. Der bei vielen Leuten auch hier im Thread hingegen durchscheinende Schluss jedoch, dass dramaturgieorientierte Runden in sich dysfunktional sind bzw. auf Dauer sein müssen, wird klar durch funktionale Runden mit entsprechend guten/motivierten/begabten SL widerlegt.
Wenn eine dramaturgieorientierte Runde nicht gut funktioniert und man wirklich Interesse am Thema hat, würde ich mich einfach bei den Leuten erkundigen, die das jahrzehntelang mit großem Erfolg und zur allgemein höchsten Zufriedenheit betreiben. Ich halte es für voreilig, dramaturgieorientierten Leiten generell abzuwerten. Auch erscheint es mir wenig sinnvoll, aufgrund der eigenen Negativerfahrungen die verallgemeinerte Schlussfolgerung zu ziehen, dass das alles so niemals vernünftig funktionieren kann und nur zu Frustrationen führt.
Die folgenden Tips würde ich angehenden dramaturgieorientierten SL geben, damit das Spiel nicht in Frustration endet:
1. Dramaturgie ist eine von mehreren Optionen: Bevor Du als SL dramaturgieorientiert agierst, stelle die Akzeptanz und Unterstützung der Runde sicher. Es gibt sehr viele Präferenzen da draußen und eine Runde aus lauter Gamisten oder Simulationsfans wird Deine Eingriffe mit Sicherheit nicht zu schätzen wissen. Vor etwaigen Eingriffen sollte also beim SL ein fundierbarer Eindruck bezüglich der Vorlieben der Runde vorhanden sein. Insbesondere bei OneShots, beispielsweise auf Cons, würde ich komplett auf Dramaturgie verzichten. Wenn Dein OneShot nur mit Dramaturgie funktioniert, machst Du als SL etwas falsch. Punkt.
2. Dramaturgie ist die Ausnahme: Spieler lieben es, Situationskontrolle zu besitzen. Das musst Du Dir, lieber Drama-SL in spe, immer wieder vor Augen führen. Dramaturgieorientierte Eingriffe dürfen nur extrem PUNKTUELL vorkommen. Es ist als SL sehr verführerisch, den Spielern sukzessive mehr und mehr Freiheiten zu rauben. Diesem Drang gilt es zu widerstehen. Sonst kommt es zu Ärger.
3. Dramaturgie ist strategisch: Dramaturgie sollte strategisch eingesetzt werden und weniger taktisch. Der angehende Drama-SL sollte sich sehr gut überlegen, an welcher Stelle dramaturgieorientierte Eingriffe sinnvoller Weise vorgenommen werden sollten.
4. Dramaturgie ist kein Selbstzweck: Wenn Du als angehender Drama-SL in einem der seltenen Fälle die Runde sanft in eine bestimmte Richtung zu führen beabsichtigst, sei dabei ebenso aufmerksam wie flexibel. Beobachte sehr genau die Reaktion der Spieler und spüre nach, ob sie Deinen Eingriffen begeistert folgen. Sollte die Bahnung auf Widerstand stoßen, sei flexibel und verbeiße Dich nicht zu sehr in Deinen Plan. Du musst sehr feinfühlig Dein dramaturgisches Interesse gegen die Handlungsneigungen der Spieler abzuwägen bereit sein und Dich dem übergeordneten Interesse der Runde unterordnen. Das führt uns direkt zum vierten und letzten Punkt.
5. Dramaturgie ist kein Machtmittel: Dramaturgie ist kein Selbstzweck, sondern dient dem übergeordneten Wohl der Runde. Noch einmal: Ein dramaturgieorientierter SL dient der Runde. Es sind nicht die Spieler, welche nach den Strippen des SL zu tanzen haben. Dramaturgische Eingriffe in Rollenspielrunden müssen also nicht nur behutsam, selten und strategisch sein. Der SL muss zusätzlich auch noch seine Motivation zum Handeln zu hinterfragen bereit sein. Bequemlichkeit oder, noch schlimmer, der Wunsch die Handlungen der Spieler zu dirigieren, sind keine sinnvollen Motivationen. So wie in simulationistischen Runden das Credo "Der SL hat nichts zu wollen." gelten mag, so muss sich ein dramaturgieorientierter SL immer vor Augen halten: "Ein dramaturgieorientierter SL dient der Runde."
Ich bin mir ziemlich sicher, dass mit diesen Tips die Wahrscheinlichkeit dysfunktionaler Runden aufgrund eines schwachen, dramaturgieorientiert leitenden SL drastisch reduziert wird. Hm. Vielleicht mache ich dazu noch einen eigenen Thread auf mit einigen Beispielen. Sonst bleibt das womöglich alles zu abstrakt. Fehlt gerade die Zeit. Mal schauen.