Um mal meine Haltung zu erklären:
Poker und Roulette sind schlechte Beispiele, um Rollenspiel zu erläutern, aber vielleicht wird klar, was ich meine.
Bitte hängt Euch nicht an den beiden Spielen selbst auf!
Also, beim Roulette gibt es eine Situation: Alle Einsätze sind gemacht, die Chips sind gesetzt, die Kugel ist am Rollen.
Alles wartet auf die Zahl. Nervenkitzel...
Poker hat diesen Nervenkitzel auch - wenn man seine Karten in der Hand hat und seine Chancen und die der Mitspieler anhand deren Verhalten einschätzt. Blufft der andere? Wie wahrscheinlich ist, dass jemand der das setzt bessere Karten hat als ich, und so weiter. Das steigert sich, bis irgendwann jemand "will sehen" sagt.
Beide Nervenkitzel-Situationen sind da, aber die Intensität unterscheidet sich immens, je nach dem, ob man mit echtem oder mit Spielgeld spielt.
Wenn es mein eigenes Geld ist, dass ich verlieren kann und auch echtes Geld ist, dass ich gewinnen kann, ist das etwas ganz anderes, als wenn ich nur am Anfang des Abends Spielgeld in Chips ausgehändigt bekommen habe und nichts anderes, als einen netten Abend mit nach Hause nehme, weil Gewinne und Verluste ja nur virtuell sind.
Gewinnen und verlieren können macht hier den Unterschied der Intensität aus.
Beim Rollenspiel spielen wir ohnehin nur in einer sicheren Umgebung. Der Schwerthieb ist virtuell, Trefferpunkte sind abstrakt. Gold und Erfahrungspunkte sind es auch...
Trotzdem: Wenn man seinen Charakter verlieren kann, dann ist das ein Einsatz und auch die Möglichkeit eines echten Verlustes. Denn mit dem Charakter verbindet man Erlebnisse, Situationen und Erfahrungen...
Seinen Charakter am Ende der Spielsitzung noch lebendig zu haben und weiterspielen zu können, ist ein definitiver Gewinn, denn es bedeutet beständige Kontinuität im Rollenspiel und Ausbau der gemeinsamen Erlebnisse.
Ich spiele Rollenspiel auch und besonders gern wegen des Nervenkitzels und der Spannung in Konfliktsituationen.
(Ehrlich gesagt gibt es neben diesem nur ein lohnenden Grund Rollenspiel zu machen: Das miteinander Spielen selbst... EPs, Macht und Komptetenzgewinn, Schauspielerei und was es noch so gibt ist nettes Beiwerk für mich)
Spannung und Nervenkitzel existiert für mich, weil es einen Einsatz gibt.
Der Einsatz im Spiel: Mein Charakter.
Gewinne ich, kann ich nächstes Mal weiterspielen.
Verliere ich, dann verliere ich die Erlebnisse, die ich mit meinem Charakter hatte. Denn sie wandern vom "das gehört zu dem Charakter, den ich spiele" zu "das habe ich mal erlebt" und beides ist nicht das gleiche.
Ohne diesen Einsatz gibt es für mich keinen Nervenkitzel.
Ohne die echte Chance auf den Verlust wird für mich der Gewinn ein großes Stück entwertet.
Denn dann könnte ich auch "Kaufmannsladen" spielen. Das klingt albern, aber mir fällt gerade kein anderes Rollenspiel ein, das man ohne Verlustoptionspielen kann. (Es ist Abends und ich bin müde)
Und das soll nicht heissen, dass es dann gar keinen Reiz mehr hätte. Ich spiele Kaufmannsladen gern mit den richtigen Leuten (meiner Tochter zB). Aber ohne den Reiz bin ich eher ein Casual Gamer.
Je mehr ich es schaffe, den eigenen Charakter "on the edge" zu spielen, also bis an den Rand dessen zu treiben, dass er gute Chancen hat, dass er die Spielsitzung nicht überlebt, desto mehr ist für mich der Wert des "Gewinns" des Überlebens meines Charakters.
Zu erfahren, dass der Spielleiter dabei aber die Regeln biegt, entwertet den Gewinn vollständig.
Dann habe ich nur mit Spielgeld gespielt.
Deswegen bestehe ich darauf, dass (in meinen Runden) regelkonform gespielt wird.
Rolenspiel hätte für mich keinen Wert ohne das.
No risk - no fun!
Anmerkungen:
Als Spielleiter versuche ich, meinen Spielern genau das auch zu erklären - und dann zu ermöglichen.
Ich habe bisher noch keinen Spieler gehabt, der daraus keinen Reiz am Spiel ziehen konnte.
Hinzu kommt:
Als Student habe ich neben dem Studium in einem Jugendzentrum gearbeitet und Jugendliche aus sozialen Brennpunkten betreut. Gesellschaftsspiele waren da oft ein Medium, auf das man einen gemeinsamen Nenner legen konnte. Mangels Bildung nicht selten so simple wie "Mensch ärger dich nicht".
Spielt man solche Spiele sehr häufig, wird einem das Verlieren-können antrainiert, insbesondere, wenn man gegen mehrere Jugendliche spielt, die sich verbünden, um es "dem großen" zu zeigen.
Andersherum ist "verlieren-können" auch eine pädagogische Lektion, die man vermitteln muß.
Aus diesem Grund empfinde ich es absolut nicht dramatisch, einen Charakter zu verlieren. Man macht sich einen neuen und spielt weiter (und von vorne).
[aus diesem Grund hege ich übrigens auch kein großes Interesse an Gesellschaftsspielen (zB auf dem Tanelorntreffen) - wenn man jahrelang mit teilweise Vollchaoten gespielt hat, macht es einem irgendwann keinen Spaß mehr]