Dann versuche ich noch einmal zu präzisieren/ zu ordnen:
Verschiedene Spielstile unterscheiden sich in der Erwartung der Spieler daran, wie und nach welchen Entscheidungskriterien diese Spielprozesse ablaufen und entschieden werden. Wird an einem wesentlichen Punkt entgegen der Absprache nach einem fremden, nicht abgesprochenen Stils Muster entschieden und dies fällt auf, gibt es Knatsch.
Dies ist um so mehr inkompatibel, wie nicht nur die Details, sondern der ganze Prozess anders ausgerichtet ist: Zielorientierung vs. Wegorientierung.
Umgekehrt sind aber auch nicht alle Elemente zwingend völlig inkompatibel - solange man die Grundanforderungen des Stils am Tisch vorher berücksichtigt.
Dramaturgie ist wie Geschichte eben dann doch ein weites Feld. Und genauso wird sich kein Nichtdramatiker beschweren, wenn eine sonst spielstilkonforme Abwicklung auch noch eine tolle Geschichte abwirft. Aber er wird dies tun, wenn dafür an für ihn deutlich wichtigeren spilstilrelevanten Entscheidungen Hand angelegt wird.
Es gibt also auch in einer Sandbox durchaus Bereiche, wo vom Spielleiter zu tätigende Entscheidungen dramaturgische Bedeutung haben, aber die zulässigkeit der einzelnen möglichen Ergebnisse dieser Entscheidung unterliegen dem Vorbehalt der Stiltreue. Im Rahmen dieser hat der SL dann auch in anderen Spielstilen (die entsprechend bedingte) dramaturgische Designfreiheit, wie es ja beispielhaft gerade beim Design der Sandbox und ihrer Vorspannungen erkennbar ist, aber auch noch im Verlauf Gelegenheiten zu auftreten.
Besonders kritisch wird es dann aber eben in dem Moment, wo in den "Spielcharakter" aus den oben beschriebene Schritten 1-3 eingegriffen wird, weil damit der Kern des Interesses in den ergebnisoffenen Stilen getroffen und versenkt wird.
Und das ist aber genau der Punkt, wo ich die Masse der kritischen "dramatischen" Eingriffe erlebt habe, weil da auch das größte Zuspitzungspotential bzw. Lenkungspotential für Drama/Story liegt.
Es geht hier nicht um das dramatische Empfinden des SLs. Es geht um das dramatische Empfinden der SPIELER, welche bestimmte Erwartungen an den Ausgang einer Situation stellen. Und ein SL, der das nötige Fingerspitzengefühl braucht, um zu erkennen, wie die Spieler ticken und welche Art von Ergebnis sie sich anhand der Situation ausrechnen.
Das ist im Dramaspiel hinlänglich bekannt, lediglich die unerfahrensten oder egoistischsten SLs versuchen nur stur "ihren" Plot durchzudrücken. Der SL im dramaorientierten Spiel ist (generell) durchaus bereit, seinen Spielstil und seine Methoden den Spielern anzupassen (denn wenn die Spieler unzufrieden sind, dann kann die Runde noch so viele dramatische Kriterien erfüllen, sie wird niemals eine "gute Geschichte"). Im plausibilitätsgetriebenen Spiel herrscht meiner Erfahrung nach deutlich weniger Empathie den Spielern gegenüber - da wird einfach angenommen, dass wenn sich die Spieler auf diesen Spielstil einlassen sie nur glücklich werden, wenn sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Diese Annahme mag vielleicht auf eine kleine Schnittmenge der Spieler zutreffen, welche sich plausibilitätsgetriebenes Spiel wünschen, aber (meiner Erfahrung nach) durchaus nicht auf alle.
Zumal "Plausibilität" im Rollenspiel, aufgrund der großen Spanne an möglichen Ergebnissen, sowieso recht problematisch besetzt ist. Es hat etwas von "draw a card, any card":
1.) RR und P unterscheiden sich nicht zwischen Tischen, sondern im Verhältnis Spieler-SL. Im letzteren Fall ist das von gegenseitigem Respekt geprägt, im ersteren nicht.
2.) Spielstilschubladen waren meiner Erfahrung nach noch nie sehr zielführend. Deswegen ist mir das "warum?" irgendeines SL-Stil mittlerweile schnurzpiepegal, ich interessiere mich viel mehr für das "was?" (also konkrete Techniken, Ideen, usw., welche das gemeinsame Spiel prägen).
Eine Entscheidung wäre z.B. "Ist die Gegend hier so gefährlich, dass die Zufallsbegnungstabelle 'N' zum Einsatz kommt?" oder auch jede Art von "ruling", welches der SL on-the-fly improvisiert. Die wenigsten der (angeblich) "ergebnisoffenen" SLs denken da leider darüber nach, dass sie durch diese Entscheidung das Spiel in eine bestimmte Richtung drücken, ob die Spieler das wollen oder nicht. Etwas mehr Reflexion wäre imo durchaus angebracht.
Ein Spieler, der sich für ein Spiel in einem ergebnisoffenen Stil entscheidet, hat keinen dramatische Anspruch an eine Szene. Er mag ein bestimmtes Ergebnis herbei hoffen, aber der Kern des Interesses gilt dem Spielprozess und dem wiederstrebt selbst ein dramaturgisch begründetes Setzen des erhofften Ergebnisses.
Ich habe dann noch keinen "guten" Dramaspielleiter getroffen. Wer sich bisher als Story oder Dramaspielleiter bezeichnet hat, hatte auch eine entsprechende Vorlage im Kopf, die es umzusetzen galt.
Das einer so gut Illusionist war, dass ich die dramaturgischen Eingriffe tatsächlich nie bemerkt hätte, ist möglich, halte ich aber für unwahrscheinlich.
Bestände noch die Möglichkeit eines Drama-SL, der so anders tickt als die bisher erlebten, dass er den Spielkern tatsächlich in Ruhe lässt. Aber dafür würde ich wenn ich den entdecken sollte glatt versucht sein eine neue Schublade aufzumachen.
Denn diese Schubladen sind ja gerade dazu da sich der Unterschiede, die dann am Spieltisch auftreten udn für Ärger sorgenbewußt zumachen. Das noch detailierter an konkreten Handlungen und Rechniken festzumachen wäre einerseits wohl tatsächlich präziser, verwischt aber umgekehrt auch die sicht denek och, dass es eben nicht alleine um die nackte Technik geht, sondern um die gestalterische Intention udn damit was mit dieser Technik erreicht werden soll, welche den Unterschied macht.
Natürlich denken die ergebnisoffenene SL darüber nach, was z.B. die Wahl einer bestimmten Zufallsbegegnungstabelle bedeutet. Und zwar nach Stiltreue, was dann auch im Sinne der Spieler ist, welche das Spiel dafür gewählt haben.
Bezgl. unerwünscht freie Abenteuer:
Da fiele mir ein, dass im Angebot eine entsprechende spannende, actionreiche Geschichte verkauft worden wäre, also letztlich ein entsprechendes Ergebnis in Aussicht gestellt worden wäre und dann die Spielsitzung in pixelbitching, Kleinteilfixierung und miniongrinding versinkt, ohne irgendwelche dramaturgischen Fortschritte zu machen, weil die Spieler halt angeblich "zu blöd sind". So könnte eine besonders "clevere Story" eines Storytellers rüber kommen, aber auch das Gegenstück eines Sim-Sl, der nun damit dramafixierten Spielern Ziegenfleisch unterschieben will.