Ich habe den "Gruppenvertrag" immer so verstanden, dass das ein Satz mehr oder weniger impliziter Regeln ist, der in jeder sozialen Gruppe entsteht. Im englischen Sprachraum wird auch vom "social contract" gesprochen.
Dazu gehören Selbstverständlichkeiten wie "Kack nicht auf den Esstisch" ebenso wie ein wenig speziellere Einlassungen zum Beispiel von Seiten des Gastgebers ("bitte Schuhe ausziehen" oder "bitte im Sitzen pinkeln").
Das ist mal das eine.
Da Rollenspiel nun mal eine Tätigkeit ist, die zu 99% aus sozialer Interaktion besteht, ergibt es nur Sinn, wenn man den Satz an implizit mitschwingenden Regeln auch darauf erweitert. Macht übrigens jeder ohne drüber zu reden. In jeder sozialen Gruppe.
Da die soziale Interaktion sich aber nun um das Erschaffen von Fiktion dreht und die entstehende Fiktion ggfs. auch Themen berührt, bei denen die Toleranzgrenzen der einzelnen Gruppenmitglieder unterschiedliche weit gefasst sind, ist es nur sinnvoll, darüber vorher zu reden: "Nein, ich finde splattermäßige Beschreibungen im Kampf eklig, wäre es ok, wenn wir das lassen würden?". Das ist übrigens weder "Humbug" noch "traurig", sondern gutes soziales Miteinander.
Das gibt es so in jeder sozialen Gruppierung, auch beim Hundeverein oder beim Skatverein. Der Satz an Regeln ist natürlich ein anderer, da unterschiedliche Bedürfnisse vorliegen - beim Hundeverein wird man sich nicht drüber unterhalten müssen, wie detailliert man Gewalt beschreibt. Aber beim Hundeverein wird es sicher eine Regelung geben, dass zum Beispiel ein aggressiver Hund der andere angreift ausgeschlossen wird. Und im Kampfsport gibt es auch eine Liste von Regeln, wie man sich im Ring zu Verhalten hat - ich hab ne Zeitlang Wing Tsun gemacht, da war - unter vielen anderen Dingen - festgelegt, dass man den Lehrer mit "Sifu" anredet und die dienstälteren Schüler als "Sihing".
Das war sogar ein sehr expliziter und schriftlich niedergelegter Gruppenvertrag. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es einen Kampfsportverein gibt, in dem nicht mindestens implizit Verhaltensregeln gelten, und sei es nur "tritt deinem Trainingspartner nicht in die Eier".
Mehr war mit einem Gruppenvertrag im Sinne von "Social Contract" von Anfang an nicht gemeint.
Ich hab dann hier im Forum *ein mal* von jemandem gelesen, der wirklich einen "Gruppenvertrag" schriftlich aufgesetzt (oder das zumindest behauptet) hat - und meiner Meinung nach kam das genau diesem (aus meiner Sicht übrigens zu eng gegriffenen) Verständnis von "Vertrag" als "explizit aufgesetztes und niedergeschriebenes Vertragswerk". Besagte Person hatte das dann öfter und lautstark propagiert, irgendwann hat jemand aufgegriffen und in einem Artikel niedergeschrieben, dass ein Gruppenvertrag *auch* schriftlich festgehalten sein kann (kann er ja, manche machen's offensichtlich ja so) und so hat sich das entwickelt.
Find ich auch Banane.
tl;dr:
In jeder sozialen Gruppierung gibt es einen Gruppenvertrag. Meist ist das nur ein Satz impliziter Regeln, an die man sich eh hält. Man kann diese Regeln ganz oder in Teilen auch schriftlich festhalten (z.B. als Vereinssatzung). In einer Rollenspielrunde halte ich einen expliziten Gruppenvertrag für überflüssig.