"Du spielst falsch!" "Das würde mir so gar keinen Spaß machen!" "Würfeldrehen mag ich nicht. Da würde ich sofort die Runde verlassen." Es kommt immer wieder zu Diskussionen darüber, was eigentlich Spaß macht im Rollenspiel.
Bisweilen sind Leute beleidigt, wenn ihr jeweiliger Spielstil auf wenig Begeisterung stößt oder, wie im Falle der Nutzung umstrittener Techniken wie Railroading, rundweg abgelehnt wird. Bei der Aussage, dass bestimmte Spielrunden weniger cool oder deutlich cooler wirken als in den Augen der Leute am Spieltisch, schwingt ein recht großer Strauß an unausgesprochenen Annahmen mit. Die möchte ich im Ansatz mit diesem Beitrag auf eine einigermaßen systematische Weise sichtbar machen. Das könnte für das Verständnis von Rollenspielpräferenzen sinnvoll zu wissen sein und parallel etwaige Irritationen ausräumen. Wer sich einlesen möchte (dauert insgesamt nicht mehr als 3 Minuten, versprochen!), sei auf folgende Links in dieser Reihenfolge verwiesen:
Nutzentheorie,
kompensatorische Entscheidungsregeln,
multiattributives Nutzenmodell,
non-kompensatorische Entscheidungen. Wenn man das gelesen, verdaut und verstanden hat, erklären sich viele der Missverständnisse und Irritationen im Forum quasi von selbst.
Zusammengefasst: Rollenspielrunden kann man beschreiben als System von Merkmalen (einige Beispiele dafür sind etwa Regeltreue, Schauspielanteil, Genre, Spielsystem, Bedeutung von persönlicher Freundschaft fürs gemeinsame Spiel, Fokus auf Ingame-Anteile) mit bestimmten Ausprägungen. Das kann man in Beziehung setzen zu den idealen Ausprägungen pro Merkmal eines Spielers
1. Je stärker sich nun die Ausprägungen der Rollenspielrunde decken mit den Idealvorstellungen des Spielers, desto größer ist der Nutzen und umso stärker die Präferenz.
In vielen Fällen wird es dabei vermutlich kompensatorische Beziehungen zwischen den Merkmalen geben. Wenn in einer Runde beispielsweise nur total lausige Schauspieler sitzen und mir dieser Punkt eigentlich wichtig wäre, dann mache ich womöglich trotzdem mit, weil ich eine tiefe, persönliche Beziehung zu den anderen Spielern ebenfalls total wertvoll finde und da ein paar von meinen besten Freunden dabei sind. Dann mag diese Runde attraktiver sein als die Runde mit den Superprofischauspielern, die ich halt nicht so gut kenne bzw. nicht so gerne mag.
Davon unterscheiden muss man aber non-kompensatorische Entscheidungsregeln. Das sind Merkmale, die bestimmte Schwellenwerte erfüllen müssen, damit überhaupt eine entsprechende Entscheidung ermöglicht wird. Wenn ein eingefleischter Tactician im Sinne von Laws Spielertypen beispielsweise in eine Runde kommt, die mit großer Begeisterung an den Würfeln dreht und es ingame mit der Planung nicht so genau nimmt, dann wird er da nicht mitspielen wollen - unabhängig davon, wie geil der Rest der Runde auch sein mag. Würfeldrehen ist für ihn halt ein "NoGo".
Was wir täglich im Forum beobachten, sind schlicht unterschiedliche Präferenzprofile. Es unterscheiden sich bei uns, die wir an diesem Forum teilnehmen, die Idealausprägungen auf quasi allen Merkmalen. Das führt zu unterschiedlichen Urteilen darüber, was wir an Rollenspielrunden toll finden und was nicht. Wenn jemand also eine Runde nicht mag, für die ihr total brennt, liegt das vermutlich einfach an einer unterschiedlichen Präferenzstruktur. Da ist nix böse dran gemeint. Passiert.
Und wenn es tierischen Streit gibt über die Erlaubnis von Würfeldrehen in einer Runde, dann unterscheidet sich sogar darüber hinaus die Natur der zugrundeliegenden Entscheidungsregeln. Bei mir wäre ein bisschen Railroading oder Würfeldrehen beim Spielleiter dann in Ordnung, wenn halt auf anderen Ebenen supergeil geliefert wird. Kompensatorische Beziehung. Bei vielen anderen Leuten hier im Forum besteht ganz offensichtlich ein non-kompensatorischer Zusammenhang. Das führt natürlicher Weise zu massivem Unverständnis.
Wollte das immer schon mal loswerden, weil ich mir davon einen Mehrwert für Diskussionen verspreche.
1: Da kommen dann noch die Wichtigkeit einzelner Merkmale ebenso rein wie Modelle zu den Wirkbeziehungen. Aber das soll uns hier nicht weiter interessieren.