Viele Cthulhu Abenteuer sind mit schändlichen pulpigen Anteilen durchzogen. Um diese dennoch puristisch (realistischer, bodenständiger) zu spielen, hier einige Tipps:
"Puristisch" heißt für mich vor allem, dass Abenteuer den Derleth-Mythos-Kram, der das Cthulhu-Rollenspiel durchzieht, größtenteils weglässt und sich eher an vielen der Originalgeschichten orientiert. Wobei Lovecraft selbst durchaus auch seine Pulp-Geschichten hat, z.B.
The Dunwich Horror oder
Cool Air.
Ich würde nicht sagen, dass es darum geht, dass die Geschichten "realistischer" oder "bodenständiger" sind, auch bei Lovecraft gibt es abgedrehten Kram (
The Dreams in the Witch House,
The Music of Erich Zann. Für mich ist wichtiger, dass das Abenteuer eine schreckliche Begegnung mit dem Unbekannten ist und sich nicht auf bekannte dramaturgische Abläufe und eine etablierte Mythos-Hintergrundwelt verlässt. Und dass die Charaktere unbedarfte Normalos sind, die unvorbereitet in die Situation hineinschlittern.
-Positive Magie, also alle Magie, mit der man Mythosrituale verhindern kann, Gutes tun kann, aktiv gegen dem mythos kämpfen kann ohne Sanityverlust usw. sollte reine Scharlatanerie sein und nicht funktionieren
Oder einfach gar kein "Spellcasting" für SCs.
Magie bei Lovecraft sind entweder irgendwelche schrecklichen Rituale oder gehirnverdrehende Mathematik. Sich damit zu beschäftigen kann schon das Abenteuer an sich sein und wenn man ernsthaft zaubern kann, ist man schon vorher wahnsinnig geworden.
Irgendwelche alten Formeln sprechen oder Kultrituale stören sollte immer unvorhersehbare Folgen haben.
-Mythosbücher die Sanity-Verlust und Cthulhu Mythos geben, sollen dies erst tun, wenn man sie eingehend studiert hat. Dazu sind Wochen und Monate nötig. Also den Sanityverlust nicht für einmaliges Durchblättern vergeben.
Viel von dem "Bücher, die den Wahnsinn bringen"-Thema stammt von Robert Chambers
fiktionalen The King in Yellow, das beim normalen Durchlesen den Geist zerrüttet und bei dem allein der Blick auf den 2ten Akt reicht, um ihn lesen zu müssen. Bei Lovecrafts
The Picture in the House muss der irre Mörder das Buch nichtmal lesen können, ein Blick auf die Holzschnitte löst in ihm sofort Kannibalenfantasien aus.
Wenn der Horror unvermutet normale Leute treffen kann, dann kann eine monatelange Exegese durch einen Literaturprofessor nicht die Voraussetzung dafür sein (außer "Institut für Sprache und Literatur" ist das Setting), dass der Horror einen holt. Dann lieber wie bei "The Ring" - einmal Video eingeschaltet und du bist dran.
Finde ich auch vom Pacing her befriedigender, wenn das Abenteuer einfach "bad stuff happens" ist und keine monatelange Zwangspause im Ablauf braucht.
-nicht mehr als ein Mythoswesen/ein großer Alter pro Abenteuer, nicht mehr als zwei pro Kampagne
Ja. Und auf bekannte Beschreibungen, Kategorisierungen und Eigenschaften verzichten. Lovecraft-Horror dreht sich um die Begegnung mit dem Unbekannten. Und durch die Beliebtheit und Verbreitung vom Mythos in der heutigen Popkultur sind viele Schrecken, die Lovecraft sich für eine Geschichte ausgedacht hatte, inzwischen zu vertrauten "Stock Charactern" und T-Shirt-Motiven.
Sich für jede Sitzung "Qwertzuiopüasdfghjklöäyxcvbnm", den Großen Alten, den es echt total noch nie gab, aus den Fingern zu saugen ist auch albern. Aber man sollte Bekanntes abändern, so dass auch erfahrene Spieler, die die ganzen Monsterkataloge auswändig kennen, nicht das Gefühl haben, zu wissen, was sie erwartet.
Die "Hideous Creature"-Folgen von
Ken Writes About Stuff geben da ganz schöne Tipps zu.
-Kämpfe möglichst vermeiden, normale Reaktionen der Umwelt (Polizei, Wunden, Aufmerksamkeit der Kultisten) miteinbringen
Oder einfach das Kampfsystem rauswerfen und Kämpfe so gefährlich und chaotisch machen, wie sie im wirklichen Leben oft sind.
Bei einer Rangelei mit einem Messer in einer dunklen Gasse kann alles passieren, egal wie fähig und vorbereitet man ist. Dass ich dem anstürmenden Kultisten drei tödliche Kugeln verpassen kann, garantiert nicht, dass er mir vor dem Ableben nicht gerade noch den Schraubenzieher ins Herz rammen kann. Ein einzelner ungezielter Schuss kann töten, ein komplettes verschossenes Magazin womöglich nicht einmal treffen.
Einige Systeme machen das ganz nett mit einer hohen Varianz beim Schaden - ein Treffer kann von tödlich bis Schramme alles sein. Das Brettspiel "Villen des Wahnsinns" hat einen netten Ansatz, bei dem für jede Kampfhandlung zufällig bestimmt wird, welcher Wert dafür überhaupt zum Tragen kommt.
Wenn Kämpfe eskalierte, tödlich chaotische Situationen sind, in denen die Spieler wenig Kontoille haben anstatt von gut definierten Regelabläufen, bei denen die Spieler sehr genau wissen, was sie zu erwarten haben und wie ihre Werte da hereinspielen, dann werden die Spieler von sich aus Kämpfe vermeiden wollen und vielleicht sogar mal vor einem Monster weglaufen...
-Mythoskreaturen sollten nicht direkt mit den Charakteren interagieren es sei denn, um sie grausam zu töten
Dann werden die Mythoswesen für mich aber zu simplen Monstern, die einfach nur töten, töten, töten. Wo bleiben da der coole "Gold und Fische gegen Sex"-Deal der Deep Ones, das Raumfahrtprogramm der Mi-Go oder die nette Hexenkult-Einladung von Keziah Mason?
Und bei
The Rats in the Walls übernimmt der Protagonist selbst das grausame Töten.
Aber ja, Interaktion mit Mythoswesen sollte verstörend und extrem schädlich sein. Die
Farbe aus dem All finde ich ein vorbildliches Monster, bei dem die Präsenz die ganze Zeit sehr spürbar und schrecklich ist, wo aber eine finale Konfrontation nicht direkt stattfindet.
-Kultisten sollten eine nachvollziehbare Motivation haben und als normale Menschen dargestellt werden, nicht als fanatische Irre
Aber es ist doch ein Aspekt der Lovecraft-Geschichten, dass der Mythos wahnsinnig macht und nicht über für uns nachvollziehbare Mechanismen zu geistigen Erkrankungen führt. Der ganze Geistige Stabilitäts-Mechanismus dreht sich um ein Lebenspunktemodell, bei dem man Geistige Gesundheit durch geistigen Schaden verliert, auf dem Weg Psychosen sammelt und am Ende einfach seinen Verstand abgibt.
Für Horror sind außerdem mir waschechte "Irre" ohne nachvollziehbares Krankheitsbild und menschliche Monster (Jack Torrance aus "The Shining", Hannibal Lecter aus "The Silence of the Lambs", Jean-Baptiste Grenouille aus "Das Parfüm", jede Menge Slasher-Killer etc.) lieber als realistische psychische Krankheiten, die ich eher bedrückend als schrecklich finde und die aus den Monstern wieder Menschen machen.
Selbst wenn der Wahnsinn erklärbar sein könnte, sollte der schreckliche Aspekt im Vordergrund stehen. Wenn ich eine Geschichte um den Hakenhandkiller schreibe, baue ich da ja auch keinen Spezialisten für Prothesen ein, der mir erklärt, welche Alltagsprobleme der Killer hat und wie er von einer Sauerbruch-Hand profitieren könnte. Realistischerweise gibt es den Aspekt natürlich, aber thematisch spielt das für mich eher keine Rolle.
-Sanityverlust niedrig halten (im Schnitt ca. 0-2 Punkte pro Abenteuer), kein Sanityverlust für Sachen, die man normalerweise wegstecken kann, nur Sanityverlust für massive Traumata und krass Übernatürliches
Wiederspricht das nicht dem vorherigen Punkt? Wenn "kleine" Dinge wie Microagressions, Trigger im Alltag, Stresssituationen etc. keine Wirkung haben und nur kopflose Leichen und Mythoswesen mit der echten Wahnsinnsstrahlung™ die Ermittler spürbar beeinflussen, finde ich das sehr pulpig.
Das ganze Horrorgenre und auch die Originalgeschichten leben doch davon, dass Dunkelheit, unerklärte Geräusche und schlimmer Vorahnungen den Protagonisten (und den Leser/Zuschauer) Stückchen für Stückchen so in Anspannung versetzen, dass das Auftauchen des eigentlichen Monsters dann sofort zu Panik und Nervenzusammenbruch führt.
Von der Vorlage her kommend würde ich eher empfehlen, Sanityverlust sollte ungefär bei "1-2 Charaktere" pro Spieler pro Abenteuer liegen...
-bei Oneshots kann man mehr auf die Pauke hauen!
Oneshots treffen den Geist der Vorlage besser, aber generell heißt "puristisch" für mich Einzelabenteuer. Einerseits finde ich die Geschichte vom Charakter, der wieder und wieder unbedarft Opfer des Übernatürlichen wird eher lächerlich. Andererseits finde ich den Schritt vom Alltagsmenschen, der in eine Horrorgeschichte hineingerät zum Mythosermittler, der sich dem Mythos aktiv stellt schon recht pulpig.
Selbst wenn die Charaktere keine Wahl haben, weil die Bedrohung im ersten Teil nicht gelöst wurde und sie weiter un Gefahr schweben, entwertet das Andauern irgendwo die Gefahr und die steigende Kompetenz der Charaktere ändert auch die Geschichte. Menschen können sich halt an viel gewöhnen und Gewöhnung machte den Hortor kaputt.