IM WOHNZIMMER
Der unerwartete Tod eines Mannes, den ich als Freund betrachtete. Sein verlottertes, fast geisterhaftes Haus. Die eigentümlichen Zeichnungen rings an den Wänden, die quietschenden Fensterläden, die klauenhafte Pflanze und dann noch der unerwartete Auftritt dieses mumienhaften Menschen - all das sorgt dafür, dass sich eine ganz eigentümliche Stimmung meiner bemächtigt, fast schon eine Trance, ein Geisteszustand, wie ich sonst nicht kenne.
Ich stehe mitten im Wohnzimmer wie eine Salzsäule, während sich die Unterhaltung vor mir entfaltet. Ich starre diesen seltsamen Menschen an, der eine morbide Faszination auf mich ausübt. Der so offensichtlich schwer krank ist, dessen Krankheitszeichen ich aber nicht zu deuten weiß. Und der irgendwie auch nicht krank wirkt. Natürlich, er ist an einen Rollstuhl gefesselt, sein Gesicht ist eine Ruine, seine Haut scheint fast abzublättern... aber ich kenne chronisch kranke Menschen. Wirklich schwer kranke Menschen. Und jeder davon, den ich bisher kennenlernte, war zumindest ein Stück weit auch innerlich gezeichnet. Schwächer. Ängstlicher. Mit stumpfen Augen, brüchigem Haar, schwacher Stimme, vergehend. Der Pastor hingegen spricht zwar eigentümlich abgehackt, aber jedes Wort strotzt vor Energie. Seine Augen leuchtend, schneidend. Sein Haar zwar weiß, aber lang und voll. Sein Lebenswille ungebrochen. Als würde er von irgendetwas angetrieben, etwas, das er in seinem Inneren trägt und das dort brennt. Ein Feuer, dass sich kaum im Zaum halten lässt.
Und die Dinge, die er sagt!
Sicher, auch ich kannte den Professor nicht besonders gut, wenn ich einmal darüber nachdenke. Besuche zum Tee, Schachspiel, Unterhaltungen über den Fortschritt der physikalischen und biologischen Wissenschaften. Über die Rassenhygiene und die Zukunft des deutschen Volkes. Er war stets ein inspirierender Gesprächspartner, aber von sich selbst gab er nie besonders viel preis. Aber ein Mensch, der seine Kinder vergrault? Seine Frau in den Tod getrieben hat? Und ein solcher Schürzenjäger soll er gewesen sein? Das passt überhaupt nicht zu dem Mann, den ich kennengelernt habe. Das kann doch einfach nicht wahr sein! Oder?
"Herr von Eisenstein," melde ich mich schließlich zu Wort. Noch halb in meinem seltsamen Geisteszustand, kommen die Worte nur leise hervor. Ich räuspere mich, versuche es noch einmal, lauter diesmal: "Sie sagten, ihr Bruder hätte seine erste Frau in den Tod getrieben. Eine ungeheuerliche Anschuldigung. Wie meinen Sie das? Was werfen Sie ihm vor? Meinen Sie seine... Eskapaden... an der Universität?"