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Reading Challenge 2018
Menthir:
Das war ein aktives Wochenende: Buch #3 für dieses Jahr erledigt. Ich habe einen Seitenleseschnitt von über 100 Seiten pro Tag dieses Jahr. Neidisch blicke darauf, dass es so gut losging, mich aber jetzt die Verpflichtungen wieder einholen und ich am Ende mich wieder bei um die 30 Seiten einpendeln werde. :'( ;D
Ona Radtke - Wir sind auf einem großen Klärungskurs - Überbevölkerung als globales Menschheitsproblem
(Aus der POPSUGAR-Challenge: A book by a local author)
Streng genommen ist der Lokalautor halb getrickst, denn Ona war mehr ein Weltbürger denn eine Landpomeranze, wie ich es bin. Was es für mich qualifiziert: er ist der Bruder meiner Nachbarin, die zusammen mit ihrer Mutter dieses Buch und den Nachlass von Ona bearbeitet und herausgegeben hat.
Das 168 Seiten umfassende Buch selbst gibt Anregung zu einer sozialökologischen Selbstverpflichtung des Menschen, seine Fortpflanzungsrate zu begrenzen. Er argumentiert stark anhand der Argumentationslinien von Jared Diamond, allerdings baut seine Betrachtung auch auf dem Werk von Elias und einer grundlegend altlinks gerichteten Selbsterziehung der Jungstudentenschaft der Spät-60er und Früh-70er.
Garniert ist es durch die philosophische Suche eines Weltreisenden, ein Potpourri aus Wissenschaft, Empfindung, Philosophie und eigenen Reiseerfahrungen und Lebenserfahrungen in Dritte-Welt-Länder.
Das Ganze ist fragmentarisch, doch auch anregend zu lesen, weil er sich nicht in unrealistisch-utopischen Gedanken ergeht, sondern eben durchaus realistisch in seiner Betrachtung bleibt, wenngleich der Autor schon das Wünschenswerte herauskehrt. In erster Linie wünscht er sich, eine Beschäftigung mit seinem Thema der Überbevölkerung, allerdings ist er nicht streng missionarisch oder fordert unmenschliche Konsequenzen. Seine Wünsche verbinden sich nicht mit Weltfremdheit, ganz im Gegenteil.
Ich teile einen Teil seiner Weltanschauungen nicht, u.a. ist er Anhänger der orgonomischen Lehre Wilhelm Reichs, aber dennoch bleibt der grundlegende Gedankengang zumindest anregend, teils provozierend und wirkt aus der Erfahrung eines Mannes geboren, in dessen Lebzeit die Bevölkerung in vielen Dritte-Welt-Ländern explodierte und der sich aus eigener Anschauung (er war bspw. an Schulgründungen in Guatemala beteiligt) mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Konsequenzen in diesen Gebieten beschäftigte und sich zu seiner Schrift genötigt fühlte.
Diese blieb, wie beschrieben, fragmentarisch, denn er konnte sie nicht gänzlich vollenden, weil er vorher verstorben ist. Seine Familie hat sein Werk beendet und veröffentlicht; eine ganz eigene Leistung.
Das Besondere für mich an diesem Buch ist für mich die private Leistung des Mannes, der sich dieses Werk abseits von wissenschaftlicher Lehre zugetraut hat und diese Thesen und seine Überlegungen aber auch durchaus vor diesem Podium vertreten hat. So ist ein Nachwort von Prof. Wolfgang Lucht beigefügt. Dieses Werk ist durch methodische Überlegungen und eigener Anschauung entstanden und ist gleichzeitig auf sympathische Weise mit persönlichen, aber letztlich fast immer unaufdringlichen persönlichen Erfahrungen garniert.
Was es auch möglich macht, eine lektüre-artige Beziehung zu dem Autoren aufzubauen und dieses Werk nicht zu trockener Zahlenschubserei verkommen lässt.
So bleibt das privat verlegte Werk für mich lesbar und brauchbar, anregend, völlig ab davon, ob man die einzelnen Schlüsse teilt oder nicht. Ich kann die Lektüre empfehlen.
8 von 10 Punkten. :)
Menthir:
Das (Buch #4 2018) war eine taffe Nuss. Ich habe am 8. Januar angefangen und mich bis heute damit beschäftigt. Zwischenzeitlich so frustriert, dass ich mich selbst disziplinieren musste, um das Werk zu beenden und mir verordnete, mindestens 50 Seiten am Tag zu lesen, um die 576 Seiten irgendwann erlesen zu haben. Gemeint ist das Werk:
Richard David Precht - Erkenne die Welt - Eine Geschichte der Philosophie - Band 1
(Aus der POPSUGAR-Challenge: A book you borrowed or that was given to you as a gift)
Ich habe das Buch zu meinem 30. Geburtstag bekommen, unter anderem nach einer Diskussion, warum sich eigentlich keiner in der Neuzeit so wirklich mit dem schwierigen Unterfangen einer Philosophiegeschichte widmet, in dem Versuch, sie auch einem interessierten Laienpublikum oder gar der breiten Öffentlichkeit zu öffnen.
Auftritt Richard David Precht.
Man kann von dem Mann halten, was man möchte. Es ist definitiv hoch anzurechnen, dass er genau diesen Versuch unternimmt und sich durch die schwierige Aufgabe in mehreren Bänden kämpfen möchte. Während letztes Jahr Band 2 erschien, habe ich also jetzt erst mit Band 1 begonnen.
Warum aber war die Erfahrung für mich frustierend?
Precht schreibt gefällig, wenn auch in seinen stilistischen Blüten etwas repetitiv. Seine Worthülsen bescheinigen ihm eine preußisch-geprägte Zitat-Grundbildung, denn dauernd soll etwas an irgendeinem Wesen genesen (Geibels berühmt-berüchtigtes "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen." aus dem Jahr 1861 ist hier Grundlage) oder die berühmte Verkürzung von Clausewitz kommt häufiger vor, also dass irgendwas die Fortsetzungen eines anderen mit anderen Mitteln sei. ("Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.")
Seine Sprache per se ist verständlich und präzise, auch wenn er mir zu viele Sätze suggestiv mit drei Punkten beendet.
Und zudem - selbst wissend, dass manche der Vergleiche hinken - versucht er althergebrachte Diskussionen und Konflikte mit modernen gleichzusetzen oder zumindest zu verbinden, um ein Gefühl für die Sache zu geben. Mit der Absicht, eine schwer verdauliche Philosophiegeschichte populärwissenschaftlich zu behandeln, ist das durchaus gelungen.
Allerdings ist Precht übermäßig urteilend und sich selbst widersprechend urteilend, ohne das aufzulösen. So kann innerhalb einer Seite ein antiker Philosophie gleichzeitig äußerst brillant und äußerst dumm sein. In seinen Urteilen ist der Autor zudem sehr binär: entweder ist jemand genial, oder er ist ganz falsch davor. Zwar widerlegen seine eigenen Worte zur Philosophiegeschichte das, und er es dadurch auch. Deutet also durch den Inhalt an, dass es Ebenen zu seinem Urteil gibt, doch sein Urteil bleibt immer am äußersten. Und seine Urteile wirken damit auch reichlich arrogant bisweilen.
Während das Arrogante mir ein gewisser Störfaktor ist, kann ich im Rahmen des Werkes aber noch darüber hinwegsehen.
Schwerer fällt mir das bei inhaltlichen Fehlern (und da haben sich bspw. einige Faktenfehler eingeschlichen oder unsachgemäße Vereinfachung), die gar mir auffallen mussten, der ein philosophischer Laie ist.
Doch am schwersten ist, dass die hehre Absicht des Buches nicht erfüllt werden kann.
Die Einleitung des Werkes ist sehr gut und verspricht Lust auf mehr. Er spricht davon, wie schwer Interpretation ist. Er erwähnt auch immer wieder die quellenmäßige Problematik. Und er möchte zum Denken anregen und den Wissenskosmos von etwa 2000 Jahren eröffnen. Und ich glaube ihm, dass es seine wirkliche Absicht ist. Doch seine abschließenden Urteile verhageln es einem. Dadurch, dass er alles be- und verurteilt in dem Denken, in seiner Wirkung und seiner Konsequenz, lässt er selbst wenig Raum zum Denken. Man kann es also nur im Widerstand zum Geschriebenen tun. Obwohl der philosophische und auch der philosophiehistorische Diskurs wünschenswert ist, und seine dialektische Bearbeitung durchaus ein hehres Ziel ist, wenn es bildungstechnisch betrachtet werden will, tut genau dies einem Werk, welches populärwissenschaftlich zum Denken anregen will, nicht gut. Und das ist mein eigentlicher, zentraler Kritikpunkt an dem Werk.
Das im Vergleich zur Antike sehr kurze Mittelalterkapitel versöhnt immerhin ein wenig, in der Hinsicht. Weil er weniger Material zu bearbeiten hat, nimmt er sich etwas mehr Zeit, die Denklinien nachzuzeichnen, innerhalb derer man mit- und umdenken mag. Auch wenn er hier zu abschließenden Urteilen kommt.
In der Philosophie gibt es durchaus immer die Diskussion, ob die großen Alten ("Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn!" ;)) schon alles grundsätzlich gedacht haben, was Mensch und Kosmos angeht, oder ob wir eine stringente Modernisierungsgeschichte auch in der Philosophie haben. Precht stellt sich mit seiner Philosophiegeschichte eher auf die modernistische Seite, was er in seinem Werk im Unterton auch glaubhaft rüberbringt. Die abhängige, aufeinander aufbauende Entwicklung der grundsätzlichen Philosophie ist die Stärke des Buches. Ich bin mir sicher, dass er auch die Rückschläge, die wiederkehrenden Bilder der Vergangenheit und dergleichen erkennt, so wirklich greifbar macht er dies jedoch nicht. Sein großer Bruch ist nur der, den man erwarten würde: nämlich das Ende Westroms. Er deutet an, dass das Erbe dann doch nicht ganz verloren ist, weil die griechische Philosophie beispielsweise in Arabien weiterlebt (Ostrom nimmt er nach Justinian ganz aus dem Fokus, kirchengeschichtlich nimmt er das orthodoxe Christentum bspw. nicht wahr). Dieser direkte Aufbau wird sicher auch vereinfacht sein, ist aber in seiner Betrachtung gewöhnlich und als solcher nachvollziehbar. Philosophie als "einzige Konstante" der Entwicklung des Menschen. Schön, wenn das so einfach wäre.
Sein philosophiegeschichtlicher Fokus ist also rein auf die klassische europäische Philosophiegeschichte ausgelegt und wagt sich nicht an die Bereiche, die an ihrer Peripherie und gar außerhalb liegen. Die Gründe dafür kann ich - ab von der großen Masse - nur schwer einschätzen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er sich an den Pfaden der ganz klassischen Philosophiegeschichte entlanghangelt, und die betrachtet nunmal von den Vorsokratikern bis ungefähr Adorno und Satre (neuere Strömungen sind da wohl noch umstritten) den "abendländischen Kern".
Und es ist wohl viel gefordert, sich zu wünschen, dass eine populärwissenschaftliche Philosophiegeschichte in weltgeschichtlicher Lesart für den geneigten Laien geschrieben würde. Denn dort ist der aufeinander aufbauende Gedanke schwerer zu halten, aufgrund dessen, dass Kultur schlechter und weniger übergeleitet wirkt.
Aber wie dem auch sei.
Das Werk ist - gerade auch aufgrund der Kritik, die Precht für seine Art und seine "Popularphilosophie" einsteckt - mutig und verfolgt einen konzeptuellen, untertonigen Gedanken. Dafür ist ihm zu danken.
Letztendlich musste ich mich dennoch durch das Werk teils quälen, aufgrund der bisweilen auftretenden Widersprüche, der stilistischen Wiederholungen und Worthülsen, die mich beim Lesen etwas langweilten, und vor allem wegen der zu strikten Urteile über die Denker und den Verlauf ihrer Gedanken (trotz der angemerkten Quellenproblematik!).
Insgesamt vergebe ich 4 von 10 Punkten.
Menthir:
Ich habe am Abend noch ein kleines Büchlein hinterhergeschoben, welches ich eigentlich direkt zur Veröffentlichung lesen wollte. Dementsprechend: Buch #5
Timothy Snyder - On Tyranny - Twenty Lessons from the Twentieth Century
(Aus der POPSUGAR-Challenge: A book you meant to read in 2017 but didn't get to)
Der Link führt zu einem Artikel zu dem Buch aus dem Guardian. Dieser Artikel kann den Inhalt und die Absicht wohl besser wiedergeben, als ich es kann. Ich empfehle also auch das Lesen des Artikels.
Aber ich will Folgendes schreiben. Vor einigen Jahren habe ich Stéphane Hessels kleine Schriften gelesen (Empört Euch! und Engagiert Euch!), und ich habe mich bisweilen ein wenig geärgert über diese Aufforderungen. Ich habe kein Problem mit den Aufforderungen gehabt, politisch zu werden, mich zu empören und mich zu engagieren. Ich bin ein politischer Mensch und lebe dieses Engagement auch.
Was mich geärgert hat, ist, dass dieser Aufforderung so wenig inhaltlich innerhalb des Buches folgte. Das hat wahrscheinlich mehr mit mir als mit dem Herrn Hessel zu tun. Der Mann hat eine sehr beeindruckende Vita und aus dieser Erfahrung versucht sein Innerstes weiterzugeben. Aber mir persönlich fehlte etwas: die Anwendung. Das Beispiel. Die Resistánce war zu abstrakt, selbst mir als Historiker. Sie war zu diffus, und auch zu ambivalent, obwohl von Hessel in den kleinen Schriften unhinterfragt. Vielleicht habe ich mich auch daran gestört.
Timothy Snyders Werk ist amerikanisch. Es ist aber knapp und präzise, es arbeitet sehr aus dem historischen Werk Snyders, dass sich vor allem mit Holocaust und der Geschichte politischer Verfolgung beschäftigt (und auf sehr vielen Denkern in die Richtung, auch osteuropäische (!), aufbaut: u.a. Hannah Arendt, Vaclav Havel oder auch Leszek Kołakowski) . Es warnt eindringlich, an manchen Stellen vielleicht sogar etwas hysterisch, vor dem Übergang einer Demokratie in eine Autokratie. Das Buch ist weitestgehend natürlich auch eine Streitschrift gegen Donald Trump, ohne dass dieser benannt wird. Aber sie ist fern von oberflächlich, und sie gibt Handlungsanweisungen, womit man im Kleinen beginnen kann, seine Demokratie zu verteidigen. Wo man anfangen kann, nachzudenken, sich zu informieren und vor allem das selbstständig zu tun.
Sie ist in der Essenz - wie gesagt - amerikanisch. Sie zielt auf dieses Publikum ab (so diffus der einheitliche Begriff in Amerika sein darf), aber auch einem Europäer dient dieses Buch durchaus. Wir erleben schließlich politisch etwas ganz ähnliches.
Und so kann ich sagen, die kurzen 128 Seiten (die eher Hemdtaschen-Format haben denn wirkliches Buchformat) sind lohnenswert und anregend, selbst wenn man die jeweiligen Lehren im Detail vielleicht nicht ganz oder teils gar nicht teilen mag. Es ist ganz definitiv ein ehrlich wirkender, überlegter und packender Aufruf. Zwischen dem Aufruf hat er feines Gespür für das Wesen von Autokratie und Dissidenz und spannt dazwischen keinen Orakelspruch auf, aber doch eine wahrscheinliche Entwicklung, die wir dieser Tage und in der jüngeren Vergangenheit häufiger beobachtet haben. Definitiv empfehlenswert, und sei es nur für den Gedankengang.
Dementsprechend kann ich dem kleinen Büchlein 8 von 10 Punkten geben.
Huhn:
Ich arbeite mich derzeit durch meinen Elric-Sammelband, den ich irgendwann im letzten Jahr angefangen habe. Der ist aber ganz schön dick und ich verbringe meine Freizeit aktuell eher mit der Jahresendabrechnung unseres Vereins... *seufz* Wird also wohl noch dauern.
Lyris:
5 Bücher in 5 Kategorien beendet.
Nr. 5 war:
Ein Buch mit einer Alliteration im Titel: Tad Williams, Happy Hour in der Hölle
Ich habe zwar Dante nicht gelesen, aber so nur mit weniger Humor stelle ich es mir etwa vor.
Bobby Dollar aka Anwaltsengel Doloriel (der als Fürsprecher für die gerade Verstorbenen dafür sorgen soll, dass sich die Gegenseite nicht unberechtigt Seelen unter den Nagel reißt) wurde zum Ende von Band 1 (Die dunklen Gassen des Himmels) unvermittelt von seiner Freundin getrennt. Dummerweise ist diese nämlich eine Dämonin und wurde von ihrem Gebieter in die Hölle zurückbeordert. Also macht sich Bobby getarnt mit einem Dämonenkörper auf in die höheren Kreise der Hölle um sie dort herauszuholen. Dummerweise ist der einzige zugängliche Eingang eher in einer unteren Ebene, so dass er sich durch verschiedenste Ebenen, Gefahren und Kreaturen emporarbeiten muss.
Ich habe lange gezögert weiterzulesen, da mir von vorn herein bewusst war, dass mir Teil zwei weniger liegen wird als Teil 1 und lag damit auch durchaus richtig. Aber es war eine durchaus unterhaltsame Lektüre, die auch immer mal wieder zum Nachdenken anregt. Allerdings ist Band 3 (Spät dran am jüngsten Tag) nun wirklich unvermeidlich, da das Ende von Band 2 zu viele offene Enden hinterlässt.
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