So, ich habe jetzt die Regelbücher der Rollenspiele “Advanced Fighting Fantasy“ (AFF)und „Stellar Adventures“ durchgelesen und möchte aufgrund entsprechender Nachfrage einmal meinen ersten Eindruck schildern – ohne die Regeln im Spiel schon einmal benutzt zu haben:
WOW!
Seit Savage Worlds hat mich kein Regelsystem mehr so angefixt, es sofort auf praktisch jedes mir bekannte Setting anzuwenden und einfach loszuspielen!
Es hat alle Elemente, die ich mir aktuell in einem Regelsystem wünsche:
- einfach und für den Spielleiter leicht vorzubereiten
- schnelle Kampfabwicklung ohne Miniaturen
- merkliche Charakterentwicklung ohne Stufensystem
- Fertigkeiten und Talente zur Individualisierung von Charakteren
Aber erst einmal zum Hintergrund:
Fighting Fantasy ist eine Serie von Abenteuerspielbüchern, die von Steve Jackson und Ian Livingstone in den 1980ern begründet und die seitdem (mit größeren Pausen) von zahlreichen Autoren fortgesetzt wurde. Im Gegensatz zu anderen Spielbüchern kann der Leser nicht nur über den Fortgang der Geschichte entscheiden, sondern bei Kämpfen und anderen kritischen Situationen wird auch (ganz rollenspielmäßig) gewürfelt, um Erfolg oder Misserfolg festzustellen. Bereits 1989 wurde das Fighting Fantasy-Regelsystem als klassisches PnP-Rollenspiel herausgebracht, seit 2011 wird es bei Arion Games (
http://www.arion-games.com/) wiederaufgelegt und erweitert.
Stellar Adventures ist die Science-Fiction-Variante des Systems mit denselben Basisregeln, die über Kickstarter finanziert wurde.
Als klassischen Rollenspieler hat es mich zunächst einmal abgeschreckt, dass AFF nur ein einziges „Attribut“ im klassischen Sinne kennt, auf das gewürfelt wird: SKILL.
Bei Magiern kommt noch MAGIC hinzu und dann gibt es noch LUCK, das aber eine etwas andere Funktion erfüllt.
Allerdings gibt es eine (erweiterbare) Liste von ca. 50 „Special Skills“ (also Fertigkeiten), die gelernt werden können und einen Modifikator auf den Würfelwurf ergeben. Außerdem ca. 30 „Talents“, die Boni in bestimmten Situationen verleihen oder andere Vorteile mit sich bringen (also Tanlente/Feats/Vorteile).
Die Regeln sind ganz einfach: man wirft 2W6 und muss unter der Summe aus SKILL-+ Special Skill + weitere Modifikatoren bleiben. Bei vergleichenden Proben (insb. im Kampf) muss man hingegen möglichst hoch würfeln. Wer das zu verwirrend findet, für den gibt es eine Alternativregel, nach der „immer hoch“ gewürfelt werden muss (und die erfreulicherweise ohne irgendeine andere Modifikation integriert werden kann – selbst die Vorzeichen der situationsbedingten Modifikatoren müssen nicht geändert werden).
Im Nahkampf würfeln beide Beteiligten gleichzeitig, und nur der mit der höheren Summe richtet Schaden an. Es gibt die Möglichkeit, verschiedene Kampftaktiken anzuwenden (defensives Kämpfen, wilder Angriff), Fernkampf usw.
Die Charaktererschaffung erfolgt nach einem Kaufsystem (es gibt aber auch Regeln für eine zufällige Charaktererschaffung). Es gibt ziemlich ausführliche Regeln, um neue spielbare Rassen zu erschaffen (standardmäßig werden Mensch, Elf und Zwerg vorgestellt).
Das Grundregelwerk enthält vier verschiedene Arten von Magie (nimm das, Mythras!): Zaubertricks, „Wizardry“ (klassische Spruchmagie, in der jeder Zauber einzeln erlernt und das Wirken mit Magiepunkten bezahlt werden muss), „Sorcery“ (hier beherrscht der Zauberer sofort alle Zauber und bezahlt das Wirken mit STAMINA, also der Lebensenergie) und göttliche Magie. Grundsätzlich muss bei jedem Zauber gewürfelt werden, ob das Wirken klappt und oft hat das Ziel des Spruches noch die Möglichkeit, diesem zu widerstehen.
Das Grundregelwerk enthält ein kleines Bestiarium (das in den Büchern „Out oft he Pit“ und „Beyond the Pit“ noch sehr stark erweitert wird) und einen kleinen Einblick in die Hintergrundwelt „Titan“ (auch hierzu gibt es einen Ergänzungsband).
Zusatzbände enthalten Regelerweiterungen: Der „Heroes Companion“ bringt sieben (!) neue Magiearten (wie Beschwörung, Nekromantie und magische Tätowierungen), Regeln für eigene Reiche und Besitzungen der Spieler sowie für Massenschlachten, „Blacksand“ enthält Regeln für Schwarzpulverwaffen, Seefahrt und Seeschlachten. Das sind alles ganz nette Zusätze, die aber für eine klassische Fantasykampagne nicht erforderlich sind.
Stellar Adventures ist ein settingneutrales Baukastenbuch für Science Fiction-Rollenspiel mit denselben Regeln. Anstatt Magie gibt es hier Psionik mit verschiedenen „Traditionen“, die ziemlich eindeutig durch bestimmte Vorbilder beeinflusst sind (Jedi, PSI-Cop, Astropath usw.) Außerdem Regeln für den Kampf mit Fahrzeugen und Raumschiffen sowie Raumschiffkonstruktionsregeln, Regeln für Roboter (auch als SC) und Cyberware. Der Regeln zum Erschaffen spielbarer (und doch ziemlich ausbalancierter) Alien-Rassen sind sogar noch etwas schöner als die Regeln in AFF.
Stellar Adventures kann problemlos auch auf „low-tech“ setting a la Mad Max oder auf einen kontemporären Hintergrund angewendet werden.
Kombiniert man beide Regelbücher erhält man eigentlich ein universell einsetzbares System: Man muss z.B. nur ein paar der Magieregeln aus AFF bei Stellar Adventures einfügen und kann dann auch Fading Suns oder Starfinder spielen.
Ein paar Probleme enthalten die Regeln natürlich auch:
Es wird im Kampf davon ausgegangen, dass die Kontrahenten gleichzeitig agieren, was im Nahkampf sehr elegant ist, im Fernkampf aber nur bedingt funktioniert. Insofern fehlt dann doch ein Initiativesystem.
Ein paar „Standard-NSC“-Werte wären schön (die „Pit“-Bücher behandeln fast ausschließlich wilde Tiere und übernatürliche Wesen) - vor allem Stellar Adventures leidet unter dem Fehlen einer Aufzählung von Gegnerwerten (auch wenn es sehr ausführliche Regeln zum Erschaffen von außerirdischen Lebewesen gibt).
Und für Grafikliebhaber sind die Bücher leider gar nichts: die meisten Zeichnungen sind wohl den Fighting Fantasy-Büchern entnommen (oder wurden von denselben Künstlern gezeichnet) und sind von der Qualität eher „meh“. Auch hätte den Büchern ein bisschen Farbe vielleicht ganz gut getan.
Insgesamt ein sehr schönes, flexibles System, das sich unheimlich gut für Hausregeln eignet (ich spiele schon mit dem Gedanken, Bonus- und Malus-Würfel einzuführen oder einen W12 zu verwenden, um das Ganze etwas mehr „swingy“ zu machen).
Von der Komplexität her hat es mich sehr stark an Barbarians of Lemuria, Beyond the Wall und OneDice erinnert. Dabei ist AFF im Ergebnis doch ein bisschen „crunchiger“ als die genannten Systeme und nicht ganz so pulpig wie AFF.