Medien & Phantastik > Sehen

Chiarina sieht Film Noir

<< < (7/11) > >>

Chiarina:
This Gun For Hire (dt. Die Narbenhand, 1942)

Eine Geschichte aus dem 2. Weltkrieg: Der Auftragskiller Raven bringt für den Nachtclubbesitzer Willard Gates einen Chemiker und dessen Frau um. Dadurch kommt er an eine chemische Formel, die er Gates gegen Bezahlung in die Hand drückt. Raven fliegt auf, weil sein Honorar aus gefälschten Scheinen besteht, von nun an ist er auf der Flucht vor der Polizei. Die Verfolgung übernimmt Lt. Michael Crane.

Gates hat die chemische Formel nicht für sich besorgt, er ist vielmehr ein Mittelsmann des Industriellen Alvin Brewster, des Präsidenten von Nitro Chemical. Dieser Typ verkauft die Formel an die Japaner, verhilft ihnen damit zu einer neuen Waffe und begeht somit Hochverrat.

Gates hat sich aber auch um seinen Nachtclub zu kümmern. Er will die Sängerin und Trickmagierin Ellen Graham engagieren, die den Job seiner aufdringlichen Art wegen zunächst ausschlägt. Dann aber wird Ellen Graham von einem Senator engagiert, der herausfinden will, wer den Japanern Giftgas verkauft. Irgendwie scheint Gates dabei seine Hände im Spiel zu haben, daher nimmt Ellen Graham das Engagement im Nachtclub an und reist nach Los Angeles umihn auszuspionieren. Ellen ist zufälligerweise auch die Verlobte Lt. Michael Cranes.

Auf dem Weg nach Los Angeles lernen sich Ellen Graham und Raven im Zug kennen. Raven ist nicht nur auf der Flucht, er will sich auch an Gates rächen, den er aufgrund der gefälschten Geldscheine für sein Unglück verantwortlich macht.

Gates bekommt schnell mit, dass Ellen Graham nicht nur als Nachtclubsängerin auftreten, sondern auch herumspionieren will. In seinem Haus lässt er sie von einem Handlanger fesseln, der sie auch umbringen soll. Allerdings kommt ihm Raven zuvor, der sich zwar nicht so schnell an Gates rächen kann, aber zumindest Ellen Graham rettet. Auf seiner weiteren Flucht ist sie an seiner Seite... einerseits als Geisel, andererseits aber auch aus Dankbarkeit für ihre Rettung.

Lt. Michael Crane verfolgt Raven und erfährt davon, dass sich seine Verlobte bei ihm befindet. Er muss sich fragen, ob er sie entführt hat, oder ob sie seine willige Komplizin ist. Mehrfach hilft Ellen Graham dem Killer, der Polizei zu entwischen. Allerdings erfährt Raven von den dreckigen Geschäften des Industriellen Alvin Brewster. Ellen Graham versucht an Ravens Gewissen zu appellieren und nimmt ihm das Versprechen ab, nicht mehr zu morden, sondern stattdessen dem verbrecherischen Industriellen das Handwerk zu legen.

Am Ende konfontiert Raven den Industriellen und Gates mit deren verbrecherischen Taten und lässt sie ein Geständnis unterschreiben. Brewster bringt sich daraufhin um, Gates versucht sich zu wehren, wird aber von Raven erschossen. Am Schluss taucht die Polizei auf, der sich Raven nicht widersetzt, weil Ellen Graham dabei ist und er sie einer Gefahr aussetzen würde. Daher wird er von der Polizei erschossen.

Der Film ist zum einen fragwürdig... ein geläuterter Krimineller, der seine höhere Berufung ausgerechnet darin entdeckt, dass er Landesverräter auffliegen lässt und sich dafür sogar opfert? Naja...

Der Film hat aber auch eine ganz schöne Schlüsselszene. Auf ihrer Flucht will Ellen Graham wissen, warum Raven nie schläft. Raven will es ihr zuerst nciht erzählen, dann aber fragt er, ob es stimme, dass man böse Träume, die man jemand anderem erzähle, nicht mehr träumen müsse. Ellen Graham pflichtet ihm bei und ermuntert ihn zu erzählen. Raven berichtet daraufhin von seinen früh verstorbenen Eltern, seiner unglücklichen Kindheit und seiner grausamen Tante (von ihr stammt seine "Narbenhand"), die er letztlich umgebracht hat, worauf er den Rest seiner Jugend in einer nicht weniger grausamen Besserungsanstalt zubrachte.

Natürlich ist das extrem vereinfacht, aber schließlich hören wir hier keine Psychologievorlesung an der Uni, sondern schauen einen Film. Wenn man mal annimmt, dass durch Ravens Bericht die bösen Träume tatsächlich weg sind, dann wird die Läuterung plausibler.

Am Schluss wird Raven durch Kugeln der Polizei tödlich verwundet. Als Ellen Graham mit ihrem zukünftigen Ehemann an ihrer Seite vor ihm auftaucht, fragt Raven sie in seinen letzten Zügen: "Hab ich es richtig gemacht?" Nachdem Ellen nickt, verklärt sich sein Gesicht und er stirbt.

Der Patriotismus nervt - die tragische Notwendigkeit ist aber ziemlich knallhart durchgezogen und dafür kann ich den Film schätzen.

Chiarina:
Shadow of a doubt (dt.: Im Schatten des Zweifels, 1943)

Das ist ein Hitchcock Film: Onkel Charlie ist ein Killer und auf der Flucht vor zwei Detektiven. Er sucht Zuflucht bei der weit entfernt wohnenden Familie seiner Schwester, die von seinen kriminellen Machenschaften nichts ahnt. Die älteste Tochter des Hauses heißt auch Charlie und ist seine Lieblingsnichte. Erst freut sie sich über den Besuch ihres Onkels sehr, aber der Killer macht ein paar Fehler: Er schenkt seiner Nichte einen echten Smaragdring, hat aber übersehen, dass sich in dessen Innenrand eine Gravur mit irgendwelchen Initialen befindet. Die Nichte entdeckt diese Initialen und wundert sich. Etwas später bemerkt sie, wie der Onkel eine Seite aus einer Zeitung versucht verschwinden zu lassen. Noch später gelingt es der Nichte, die Zeitung in der örtlichen Bibliothek einzusehen und stellt fest, dass dort ein Artikel über einen Witwenmörder zu finden ist. Der Name seines letzten Opfers hat dieselben Initialen wie die auf dem Ring.

Der Rest des Films bringt nichts wirklich Neues, steigert aber (hin und wieder) die Spannung: Die Detektive spüren den Onkel auf, können ihm aber nichts nachweisen und versuchen die Nichte zur Mitarbeit zu bewegen (dabei verliebt sich einer der Detektive in die Nichte). Die Nichte ist noch eine Weile hin und hergerissen und weiß nicht recht, ob sie ihren Onkel ans Messer liefern soll. Vorerst wäre sie auch einverstanden damit, wenn er die Stadt verließe. Doch das ist nicht so einfach. Dem Onkel gelingt es nämlich, im Ort eine gewisse Beliebtheit zu erlangen. Er merkt aber bald, dass seine Nichte ihm auf der Spur ist und redet mehrfach auf sie ein. Als er merkt, dass er sich auf ihr Stillschweigen nicht mehr verlassen kann, versucht er sie umzubringen: eine angesägte Treppenstufe und eine abgesperrte Garage bei  laufendem Motor.

Zuletzt trägt die Nichte demonstrativ den Ring und zeigt ihm so, dass sie bereit ist auszupacken, wenn er nicht geht. In dem Moment kündigt er an, am nächsten Tag mit dem Zug abzureisen. Als der Zug hält werden die Koffer des Onkels verstaut und währenddessen inspizieren die jüngeren Kinder der Familie noch kurz die Abteile. Die Nichte ist mit dabei, schickt dann aber die Kinder nach draußen, weil der Zug gleich abfahren muss. Sie selbst wird vom Onkel allerdings festgehalten. Der Zug fährt an und es kommt zu einer tätigen Auseinandersetzung zwischen Onkel und Nichte. Der Onkel will seine Nichte umbringen indem er sie aus dem fahrenden Zug wirft. Im Endeffekt kommt es aber anders, der Onkel verliert den Halt und fällt selbst aus der Waggontür, direkt vor einen aus der Gegenrichtung herannahenden Zug.

Bei der Beerdigung des Onkels unterhält sich die Nichte mit dem Detektiv (inzwischen wahrscheinlich ihr Verlobter), der alles bereits geahnt hatte. Die Botschaft, die das Publikum auf den Weg bekommt, besteht in der Aussage, dass die Welt nicht gar so schlecht sei, wie sie der zynische Onkel gesehen habe, und dass man ein bisschen auf sich achten muss, um nicht so zu enden wie er.

Puh. Ich wundere mich. Das ist ein Hitchcock? Das einzig Bemerkenswerte an dem Film ist die bruchlose Entwicklung der Nichte, die sich zuerst einfach nur über ihren Onkel freut, dann misstrauisch wird, dann ängstlich wird und hinterher eine gewisse Entschlossenheit an den Tag legt. Die Schauspielerin ist Teresa Wright und sie macht ihre Sache gut. Ansonsten sind die Bösen böse und die Guten gut. Der Detektiv hat kein Alkoholproblem, die begehrenswerte Frau ist keine femme fatale, der Killer ist wenig dafür geeignet, Verständnis oder Mitleid zu erregen und zeigt nie einen Moment der Schwäche. Dazu kommt, dass der Vater der Heldin und dessen Freund Trottel sind und ihre Mutter eine unerträgliche tüchtige Hausfrau ist, deren Geschnatter für lange Passagen des Films zu hören ist. Auch der Sinn für Dramatik ist seltsam. Da entsteht ein bisschen Spannung und ich beginne mich gerade eben ein wenig aufrechter hinzusetzen und aufmerksamer zuzuschauen, da ist auch schon wieder die Entspannung da und meine Erwartung ist verpufft. Ist das ein Film Noir? Eher nicht, würde ich sagen.

Sicherlich – es gibt filmisch ein paar schöne Einstellungen... z. B. eine Seitensicht auf eine Treppe, an deren oberen Ende der Killer steht und nach unten schaut. Dort unten ist die geöffnete Haustür zu sehen, an der die Nichte steht und einen langen Schatten ins Innere des Hauses wirft. Das ist schon gekonnt gemacht.

Trotzdem war ich doch ziemlich ratlos und musste dann auch noch auf der DVD-Hülle entdecken, dass das wohl der Film seines Œevres ist, den Hitchcock am meisten geschätzt hat. „Wie bitte?“, dachte ich und recherchierte noch ein bisschen weiter. Auf der Wikipediaseite zu dem Film findet sich dann auch der Grund. Hitchcock behauptete, es sei sein Lieblingsfilm „weil es eine dieser raren Gelegenheiten war, wo man die Charakterstudie mit Spannung verbinden konnte. Normalerweise ist in einer spannungsreichen Geschichte keine Zeit für Charakterentwicklung.“ Gut, das kann ich ein Stück weit nachvollziehen. Dafür lässt der Film in meinen Augen ansonsten aber doch einiges zu wünschen übrig.

Chiarina:
Journey into fear (dt.: Von Agenten gejagt, 1943)

Das ist ein Film von und mit Orson Welles. Die Handlung ist schnell erzählt. Der amerikanische Waffenexperte Graham ist mit seiner Frau in der Türkei unterwegs und gerät in Istanbul ins Fadenkreuz zweier deutscher Naziagenten, die ihn umbringen wollen. Mit Hilfe eines türkischen Ermittlers flieht er vor ihnen, kann sie aber nicht abschütteln und gerät immer wieder in Gefahr, einmal sogar in ihre Gewalt, aus der er sich aber wieder befreien kann. Im Showdown kommen alle wichtigen Protagonisten wieder zusammen und verfolgen und belauern sich im Regen auf den Simsen einer Hausfassade. Die beiden Deutschen stürzen sich dabei zu Tode, der türkische Ermittler wird angeschossen (oder erschossen?), Graham überlebt.

Ist das ein Film Noir? Es gibt eine Art Femme Fatale, die aber zur Handlung nicht viel beiträgt. Sie bildet den Gegenpol zur gutbürgerlichen Ehefrau Grahams, ohne dass sie ihn in ernsthafte emotionale Konflikte bringt. Der Held fürchtet zwar um sein Leben, hat aber keine Probleme mit dem Glauben an das Gute in der Welt. Seine Verfolger sind böse Nazis und sonst nichts. Der türkische Ermittler hat außer etwas Starthilfe für Graham nichts zu bieten und wirkt seltsam ohnmächtig. Insgesamt fehlt dem Film jegliche psychologische Tiefe. Es ist eher ein Actionfilm - leider kein guter, denn viele Szenen wirken unglaubwürdig und konstruiert.

Es gibt überhaupt nur drei Gründe, den Film zu sehen: In einer Szene zu Beginn befindet sich Graham in einem Nachtclub, in dem ein Zauberkünstler auftritt. Der Zauberer bittet Graham um Assistenz und fesselt ihn an ein schrägstehendes Kreuz. Dann verschwindet der Zauberkünstler in einem Sarg. Bei seinem Zaubertrick will er seinen Aufenthaltsort mit dem von Graham vertauschen. In dem Moment, in dem er den Trick durchführt, fällt ein Schuss. Hinterher befindet sich wie geplant der Zauberkünstler an dem Kreuz und Graham liegt im Sarg. Der Zauberkünstler ist tot. Erst nachträglich wird klar, dass der Schütze eigentlich Graham treffen wollte, der aber offensichtlich Augenblicke zuvor seinen Aufenthaltsort gewechselt hat. Das ist schon eine schöne Szene, aus der man aber viel mehr hätte machen können.

Der Showdown auf den Simsen des Hauses im Regen ist relativ spannend und wird ausnahmsweise auch nicht durch hanebüchene Handlungsverläufe entwertet. Man wundert sich allerdings, wie schlecht berühmt-berüchtigte Killer mit ihrem Revolver zielen.

Dieser deutsche Killer ist ansonsten allerdings eine tolle Figur! Es ist dick, legt sich gern Musik auf einem Grammophon auf, wenn er keine Waffe trägt isst er (fast ständig hat er ein Butterbrot in der Hand), er spricht den ganzen Film über kein Wort und trägt eine bullaugenartige, dickwandige, runde Brille. Eine tolle Gestalt, die ich gern in einem anderen Zusammenhang gesehen hätte.

Orson Welles scheint selbst nicht zufrieden gewesen zu sein. Er hat begonnen für den Film Regie zu führen, die Aufgabe dann aber an einen anderen übergeben und behauptet, der Film sei von den Produzenten "massakriert" worden.

Eher schwach.

Chiarina:
Double Indemnity (dt.: Frau ohne Gewissen, Regie führte Billy Wilder), 1944

Der Film ist in eine Rahmenhandlung gebettet. Am Anfang sieht man, wie ein leidender, offensichtlich verletzter Mann sich in ein Büro schleppt und dort ein Aufnahmegerät bespricht. Er heißt Fred und berichtet von einem Verbrechen, das er begangen hat. Seine Geschichte geht folgendermaßen:

Fred ist Versicherungsvertreter. Eigentlich will er nur einen reichen Typen daran erinnern, dass er seine Autoversicherung verlängern muss, aber der Mann ist nicht da und da verliebt er sich in dessen Frau Phyllis. Als das Liebchen eine Unfallversicherung für ihren Mann abschließen will, dämmert es Fred, dass sie vielleicht nicht allzu glücklich mit dem Kerl ist. Erst ist er schockiert, aber ein Kuss reicht und er beginnt mit Phyllis einen Plan zu entwickeln: Sie wollen den Mann zum Unterzeichnen der Unfallversicherung bringen, ihn dann um die Ecke bringen und hinterher die Versicherungssumme kassieren. Sie legen es sogar darauf an, die Tat nach einem Sturz von einem Zug aussehen zu lassen – ein außergewöhnlicher Umstand, für den in der Versicherung eine besonders hohe Summe ausgelobt ist.

Fred hat zunächst zwei Probleme:
Sein Chef Barton Keyes ist ein echter Spürhund in Sachen Versicherungsbetrug und mit allen Wassern gewaschen... Vorsicht ist geboten!

Phyllis´ ist bereits die zweite Ehefrau des reichen Typen. Fred lernt auch die Tochter aus erster Ehe kennen. Sie heißt Lola und ist ein nettes Mädchen, das sich heimlich mit einem eifersüchtigen einfachen Kerl von der Straße trifft. Über Lola erfährt Fred, dass Phyllis ursprünglich zur Pflege von Lolas Mutter angestellt war. Sie hat wohl auch bei strengsten Temperaturen immer gut gelüftet und so ist Lolas Mutter schließlich an einer Lungenentzündung gestorben. Fred ist irritiert... möglicherweise schafft sein Liebchen nicht zum ersten Mal unliebsame Mitmenschen aus dem Weg!

Dennoch: die Frau ist heiß und die Aussicht auf die Kohle ist verlockend. Der Mord wird durchgezogen. Als ihr Mann nach einem kleinen Unfall beim Gehen auf Krücken angewiesen ist überredet sie ihn, zu einer Geschäftsbesprechung den Zug zu nehmen. Fred hat alles in die Wege geleitet, um sich ein Alibi zu verschaffen, dann versteckt er sich im Fußraum vor dem Rücksitz im Auto des reichen Typen. Phyllis fährt ihren Mann zum Zug. Dann aber nimmt sie einen Umweg – offensichtlich eine einsame Gegend – und Fred zieht dem Mann von hinten übel einen über den Schädel. Die Leiche kommt nach hinten in den Fußraum vor den Rücksitz, Fred verkleidet sich als Phyllis´ Ehemann und nimmt als Blickfang auch die Krücken an sich. Am Bahnhof verabschiedet er sich von Phyllis und humpelt zum Zug.

Im Zug selbst kommt es zu einer kleinen Schwierigkeit. Eigentlich will Fred an einer ganz bestimmten Stelle vom Zug springen. Als Fred aber die kleine Plattform am Zugende betritt, sitzt dort jemand und genießt die schöne Aussicht. Fred wendet ihm den Rücken zu, beginnt ein Gespräch und schafft es irgendwann, den Mann dazu zu bringen, ihm aus seiner Kabine aus seiner Jacke Zigaretten zu holen. Der Mann tut es ohne sich etwas dabei zu denken, weil Fred ja seine Krücken dabei hat. Er ist hilfsbereit. Sobald er weg ist, springt Fred vom Zug. In der Nähe parkt Phyllis mit dem Toten, der nun auf die Gleise gelegt wird.

Zunächst sieht es danach aus, als kämen Phyllis und Fred damit durch. Natürlich wird der Fall untersucht, aber Freds Alibi ist ziemlich wasserdicht und Phyllis spielt die Unschuldige auf überzeugende Art und Weise.

Dann aber geschehen einige Dinge: Freds Chef bekommt heraus, dass der Zug an der besagten Stelle nur eine Geschwindigkeit von 15 km/h fährt. Unwahrscheinlich, dass sich da jemand zu Tode stürzt! Er lässt den Mann suchen, der sich mit dem vermeintlichen Opfer unterhalten hat. Der Typ erzählt ihm, dass er den Eindruck hat, er habe sich mit einem jüngeren Mann unterhalten... sicher ist er allerdings nicht, weil ihm sein Gesprächspartner fast ununterbrochen den Rücken zugekehrt hat.

Fred wechselt mit Phyllis ein paar Durchhalteparolen. Das Liebchen will die Versicherungssumme trotzdem erstreiten. Niemand kann ihnen nachweisen, dass sie dort Hand angelegt haben.

Dann aber erfährt Fred von Lola, dass ihr Freund mit ihr Schluss gemacht hat, sich aber jetzt mit Phyllis trifft! Ein Schock für den armen Fred! Die Frau ist schon beim nächsten angelangt... wird er jetzt auch entsorgt?

Er verabredet sich mit Phyllis bei ihr zuhause und hat einen Revolver dabei... Phyllis aber auch. Phyllis schießt zuerst und verletzt Fred schwer. Er schießt zweimal und tötet Phyllis. Als er das Haus verlässt, taucht der Typ auf, der Lolas Freund war, jetzt aber offensichtlich ein Techtelmechtel mit Phyllis hat. Fred verbirgt seine Verletzung und schickt ihn weg indem er ihm erzählt, wie sehr Lola noch an ihm hängt. So verhindert er, dass die tote Phyllis vorschnell gefunden wird.

Dann schließt sich die Klammer. Fred sitzt verletzt im Zimmer seines Chefs und beendet seinen Bericht. Dann taucht sein Chef auf, der ihm sagt, dass sein Spiel aus ist. Fred will fliehen, aber der Chef prophezeit ihm, dass er mit seinen Verletzungen nicht mal mehr bis zum Aufzug kommen wird. Vor dem Aufzug bricht Fred zusammen. Der Chef kommt zu ihm und zündet ihm eine letzte Zigarette an.

-

Wow! Das ist ein düsterer Film. Fred hat anfänglich ein paar Skrupel und bekommt als Liebender auch ein paar Sympathien der Zuschauer, dann aber mausert er sich zum eiskalten Killer. Phyllis ist eine großartige Femme Fatale und von Anfang an völlig gewissenlos und berechnend. Beide schrecken keinen Moment davor zurück auch einander eine Kugel in den Bauch zu jagen. Am Ende haben sie sich beide gegenseitig vernichtet.

Ein wenig offen bleibt die Frage, warum Fred dieses Geständnis auf das Band seines Chefs spricht. Er sagt am Anfang, was folgt klinge wie ein Geständnis, aber eigentlich wolle er ihm nur sagen, dass er sich diesmal geirrt habe. Wenn man ihm das abnimmt, dann ist die Aufnahme lediglich dazu da, Fred das Gefühl des Triumphes über die Spürnase seines Chefs zu verschaffen. Als der Chef ihn in seinem Büro überrascht ist der Moment gekommen, an dem in anderen Filmen die Bösewichter aufgeben und sich bußbereit zeigen. Nicht so Fred: er will fliehen.

Das ist das Krasse an dem Film: die beiden Killer haben keinerlei Reue. Sie werden aus eigensüchtigen Gründen zu Verbrechern und steuern geradewegs ohne nach rechts oder links zu schauen in ihr Verderben. Ich war beeindruckt.

Chiarina:
The Woman in the window (dt.: Gefährliche Begegnung, Regie führte Fritz Lang), 1944

Das ist vielleicht der hellste Film noir, den ich je gesehen habe.

Der Film beginnt mit dem Juraprofessor Wanley, der eine Vorlesung über Notwehr hält. In der zweiten Szene verabschiedet er sich von Frau und Kindern, die irgendwohin verreisen. Die Frau ermuntert ihn dazu, während ihrer Abwesenheit nicht zu versauern, sondern doch bitte auszugehen. In der dritten Szene tut Wanley das, er ist auf dem Weg zu seinem Herrenclub. Neben dem Club ist das Schaufenster einer Gemäldegalerie, in dem das Portrait einer hübschen Frau ausgestellt ist. Wanley schaut es lange an. Als er sich abwendet um dann doch in seinen Club zu gelangen, stößt er auf zwei befreundete Mitglieder, die sich über seine sehnsüchtigen Blicke dem Frauenportrait gegenüber ein wenig lustig machen. Im Club kündigen Wanleys beiden Bekannten an, zu fortgeschrittener Stunde noch irgendwo anders hin zu wollen. Sie fordern Wanley auf mitzukommen, denn er sei ja Strohwitwer und könne sich das heute leisten. Wanley lehnt aber ab. Als die beiden gegangen sind, greift er in den Bücherschrank und erwischt Salomos Hohelied der Liebe. Er beginnt zu lesen, ein Steward bringt ihm einen Drink, worauf Wanley ihn bittet, ihm Bescheid zu sagen, wenn es halb elf Uhr sei.

Genau damit beginnt die nächste Szene. Für Wanley ist es spät genug, er macht sich auf den Nachhauseweg. Bevor er sich aber seinen Wagen bringen lässt, wirft er noch einen letzten Blick auf das Portrait im Schaufenster der Gemäldegalerie. Dabei spiegelt sich plötzlich eine Dame im Fensterglas. Wanley dreht sich um und steht zu seinem Erstaunen vor dem Modell des Bildes, das er betrachtet hat. Die beiden wechseln einige freundliche Worte, dann lässt sich Wanley darauf ein, noch ein Getränk mit der Frau zu sich zu nehmen. Er lässt sich von einem Bediensteten des Clubs seinen Wagen bringen und fährt mit der Dame in eine Bar. Noch später lädt ihn die Frau zu sich nach Hause ein. Sie will ihm ein paar weitere Portraitskizzen von sich zeigen, die sie zuhause aufbewahrt. An der zurückhaltenden Reaktion Wanleys lässt sich aber erkennen, dass er sich der Versuchung bewusst ist, die im Haus der Dame auf ihn lauert. Eine Weile wehrt er sich, dann willigt er ein.

In der Wohnung der Frau betrachtet er zunächst die Portraitzeichnungen. Noch bevor sich die beiden näher gekommen sind, kommt es aber zu einem Zwischenfall. Ein anderer Mann betritt die Wohnung der Frau, ist sofort von Eifersucht besessen und greift den gnadenlos unterlegenen Wanley brutal an. Die Frau schreit, aber der Eifersüchtige hält weiterhin Wanley auf der Couch fest und schlägt auf ihn ein. Daraufhin reicht die Frau Wanley eine Schere, die dieser mehrfach in den Rücken des Angreifers sticht. Der Mann ist tot. Wanley will zunächst die Polizei anrufen, zögert dann aber erst einmal und fragt seine Bekannte über den Mann aus. Er erfährt, dass es ein reicher Gönner sei, der öfter vorbei käme. Seinen Namen habe die Dame nie erfahren, was ein interessantes Licht auf ihre Lebensweise wirft. Wanley wird bewusst, in was für einer Situation er ist. Als verheirateter Mann mitten in der Nacht den eifersüchtigen Nebenbuhler einer zweifelhaften Zufallsbekanntschaft um die Ecke gebracht – selbst wenn ihm die Polizei die Notwehr abnimmt, glaubt er sein Leben als Juraprofessor und Ehemann ruiniert. Auch die Frau ist unsicher. Sie hat Wanley immerhin die Mordwaffe zugesteckt und hängt in der Angelegenheit tief mit drin. Beide beschließen daher, die Leiche verschwinden zu lassen und sich danach nie wieder zu sehen. Sie wissen noch nicht einmal, wie sie heißen.

Nach dieser Exposition folgt die Beseitigung der Leiche. Der Film zeigt, wie amateurhaft sich die beiden anstellen. Die Dame ist völlig ahnungslos, wie sie sich verhalten soll. Wanley gibt ihr Anweisungen, aber auch er macht viele Fehler, hinterlässt jede Menge Spuren und erweckt auch die Aufmerksamkeit des ein oder anderen potentiellen Zeugen. Letztlich kippt Wanley den Toten in ein Wäldchen am Stadtrand. Die Dame säubert ihre Wohnung.

In der nächsten Phase des Films wird Wanleys erstes Problem gezeigt: Die Polizei ist ihm auf den Fersen. Der Zuschauer erfährt, dass einer von Wanleys Freunden aus dem Club Polizist ist. Selbstverständlich führt er die Ermittlungen im Fall des ermordeten Großindustriellen. Wanley zeigt sich auch hier als naiv und unüberlegt. Er erfährt von seinem Polizistenfreund, wie die Gesetzeshüter die von ihm hinterlassenen Spuren verfolgen und ihm immer näher kommen. Im Gespräch macht er dabei weitere Fehler. Höhepunkt dieser Phase ist ein Ausflug an den Fundort der Leiche, zu dem sich Wanley breitschlagen lassen hat. Hier will die Polizei eine Verdächtige mit dem Schauplatz konfrontieren. Wanley muss befürchten, hier seiner unvorbereiteten Bekannten gegenüberzustehen, was er noch abwenden kann. Dafür macht er hier aber weitere hanebüchene Fehler. Eigentlich wird er nur deshalb nicht sofort überführt, weil es undenkbar ist, dass ein intelligenter Mann mit derart gutem Ruf wie er so einen Mord begangen hat und sich danach auch noch so dumm anstellt.

In der nächsten Phase des Films taucht eine zweite Bedrohung auf. Die Dame bekommt Besuch von einem Erpresser. Es ist ein Mann, der dem bekannten Großindustriellen gefolgt ist und herausbekommen hat, dass er sich regelmäßig in das Haus der Dame begibt. Dreist verschafft sich der Erpresser Zugang zur Wohnung der Dame und wühlt vor ihren Augen so lange in ihren Schubladen herum, bis er ein paar Hinweise auf den Ermordeten bei ihr findet. Er verlangt 5000 Dollar, dann wird er auf einen polizeilichen Hinweis verzichten. Interessanterweise entdeckt die Dame in der Zeitung einen Bericht über eine akademische Preisverleihung. Der Artikel enthält ein Bild des Mannes, der den Preis verliehen hat: Wanley. Jetzt ruft die Dame ihn an und erzählt ihm, dass sie erpresst wird. Wanley verspricht, einen Teil des Bestechungsgeldes zu übernehmen, aber er macht der Dame wenig Hoffnung. Entweder man zahlt immer und immer wieder, oder man meldet sich eben doch bei der Polizei... oder man bringt den Erpresser um. Die beiden versuchen es zunächst mit der dritten Möglichkeit. Wanley besorgt irgendein giftiges Pulver, die Dame gibt sich dem erneut erscheinenden Erpresser gegenüber erstaunlich freundlich, lässt sich sogar küssen und drückt ihm dann einen Drink in die Hand, in dem sich das Gift befindet. Die Aktion geht gnadenlos in die Hose. Der Erpresser fordert die Dame auf, aus seinem Glas zu trinken, es kommt zu einer Szene, dann findet er das versteckte Geld, außerdem einen wertvollen Anhänger mit den Initialen des Ermordeten. Er nimmt alles mit und befiehlt der Frau, am kommenden Abend weitere 5000 Dollar bereitzuhalten. Sobald er weg ist, ruft die verzweifelte Dame Wanley an, der auch keine Lösung mehr kennt. Wir müssen mit ansehen, wie Wanley daraufhin selbst eine Überdosis von dem giftigen Pulver schluckt und in einem Sessel langsam das Bewusstsein verliert.

In der vorletzten Szene hört die Dame vor ihrem Haus plötzlich Schüsse. Sie eilt auf die Straße und sieht, wie Polizisten einen Toten durchsuchen. Es ist ihr Erpresser. Die Polizei findet den kostbaren Anhänger mit den Initialen des Großindustriellen und glaubt dessen Mörder vor sich zu haben. Damit wären Wanley und die Frau aus dem Schneider. Erfreut eilt die Dame zurück in ihr Haus und ruft Wanley an. Das klingelnde Telefon erzeugt eine letzte Regung seines Körpers, aber das Gift ist schon zu weit fortgeschritten. Es gelingt ihm noch nicht einmal mehr, den Hörer abzunehmen.

Nun erfolgt die überraschende Schlusswendung. Wanley erwacht. Der Steward aus dem Club erzählt ihm, dass es halb elf Uhr ist. Wir begreifen, dass alles nur ein Traum war. Wanley erhebt sich leicht benommen, holt seinen Mantel, stellt fest, dass der Garderobier wie der Großindustrielle aussieht, lässt seinen Wagen holen, stellt fest, dass der Bedienstete wie der Erpresser aussieht und könnte sich eigentlich jetzt auf den Weg nach Hause machen. Ein letztes Mal aber will er noch einen Blick auf das Portrait im Schaufenster der Galerie werfen. Dabei spiegelt sich plötzlich eine Dame im Fensterglas. Diesmal ist es eine andere Dame, die Wanley aber eine Zigarette entgegen hält und ihn um Feuer bittet. Das Interesse an unbekannten Damen ist Wanley aufgrund seines Traums allerdings gründlich vergangen. Er sagt: „Um Himmelswillen, nein!“ und begibt sich zu seinem Auto.

Film noir? Nein, nicht wirklich... hier sind alle Figuren ganz liebe, nette Menschen. Auch die Erzählweise des Films ist lieb, nett und bodenständig: Obwohl die polizeilichen Ermittlungen und die Erpressung sicherlich parallel voranschreiten, wird hier sauber und ordentlich alles schön nacheinander erzählt. Exposition, Thema 1, Thema 2, Eskalation, Katastrophe, Schließen der Erzählklammer (dies allerdings mit einer kleinen Überraschung): ein echter Klassiker. Multiperspektivische Montagetechniken sind so weit weg, wie man es sich nur vorstellen kann. Die Botschaft des Films ist ähnlich konservativ: Bleib brav zuhause, lass dich auf gar keinen Fall mit fremden Frauen ein, dann passiert dir auch nichts! Interessant ist aber, dass der brave Wanley, der diesen Ratschlag nicht zu beherzigen scheint, zwar entwaffnend amateurhaft vorgeht (das macht ihn sympathisch), sich aber eben auch furchtbar dumm anstellt (das lässt uns den Kopf über ihn schütteln). Auch die (nur leicht) verruchte Frau ist naiver als die Polizei erlaubt.

Letztlich sind alles nur stinknormale Menschen in ihrer begrenzten Existenz: diejenigen, die zuhause bleiben, diejenigen, die einen Kick suchen und auch diejenigen, von denen alle glauben, dass sie ein aufregendes Leben führen. Das ist eine Message, die ich sympathisch fand.

Der zweite Grund, den Film zu sehen, ist Joan Bennett.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln