(Nachdem das Ganze in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund gerückt ist - auch weil sich die Leute auf ihre jeweiligen Lager verteilt haben -, muss ich das doch noch mal ein bisschen in der Hand drehen und betrachten. Vielleicht hat da auch der eine oder andere relativ neue User was von.)
Oft lese ich bei Spielergesuchen im Zusammenhang mit völlig konventionellen Systemen "wir spielen cinematisch" und jedes Mal denke ich mir irgendwas zwischen "Nein, tut ihr nicht" und "Was wollen mir diese Worte sagen?"
Ganz vorne angefangen: "Cinematisch" soll wohl heißen "wie im Film".
Jetzt ist Film aber ein ganzes Medium und ich kann mir hoffentlich die ausufernde Beispielliste sparen, mit der ich die volle Bandbreite dieses Mediums aufzeige und darstelle, dass das so wörtlich genommen nur eine absolute Nullaussage sein kann.
Man kann ja schlecht ein gesamtes Medium zum Vorbild nehmen oder sogar nachstellen.
Die zwingende Folgefrage ist also "Wie in welchem Film?" oder vielmehr - man hat es sich wohl schon gedacht - "Wie in welchem Genre?"
Immerhin muss man nicht lange überlegen, um auf die Antwort zu kommen: Wie im Actionkino.
Jetzt ist das leider immer noch ein unüberschaubarer, breit gefächerter und mit den richtigen Beispielen sogar widersprüchlicher Sektor, also arbeiten wir uns mal von oben nach unten durch.
Actionkino schert sich grundsätzlich nicht um Kleinigkeiten. Die Protagonisten sind überlebensgroß und schnetzeln sich nicht nur unbeeindruckt durch niederes Kroppzeug, sie tun auch grundsätzlich Dinge, die im echten Leben fast oder gar garantiert unmöglich sind.
Und genau das ist der Knackpunkt: Wenn einem Actionheld überhaupt irgendwas
wirklich gefährlich wird, dann der "Endgegner". Weil der Film nicht mittendrin endet. Weil ein Scheitern an Mooks oder sonstigen Hindernissen zwingend antiklimaktisch ist.
Es wird in diesem angeblich cinematischen Rollenspiel unheimlich oft verkannt, dass ein Film nur deswegen rund läuft, weil alles vorgeplant ist und der Held sich quasi darauf verlassen kann, dass ihm nichts passiert - jedenfalls nichts Endgültiges. Das funktioniert am Tisch nur, indem entweder der Plot vorgezeichnet ist oder man zumindest nichts wirklich falsch machen kann. Diese Art von Spiel klammert also einmal den Charaktertod aus und viel wichtiger: es fordert dem Spieler keine guten Entscheidungen ab.
Eingeschränkt wird das oft durch die zwei untauglichen Maßgaben, dass die Helden nur sterben können, wenn es dramaturgisch angemessen ist (was es abseits eines weit vorgeplanten Endes des Charakters enorm selten sein wird - besonders für lange Kampagnen problematisch, für one-shots weniger) oder wenn die Helden etwas "wirklich Dummes™" tun (was meiner Erfahrung nach stets irgendwann zu Unstimmigkeiten führt, was im Actionkino-Kontext jetzt genau wie dämlich ist).
Genau Letzteres war auch so ein bisschen der Anstoß für diese Betrachtung, weil sie aus der SR-Unterscheidung nach Pink Mohawk und Black Trenchcoat entstanden ist. Aus BT-Perspektive ist PM dumm und geradezu bestrafenswert in dem Sinne, dass die PMer alles verdient haben, was ihnen widerfährt. BT ist also fast schon zwingend eine Besserspieler-Haltung, beruft sich aber für seine Vorlagen und Positivbeispiele trotzdem primär auf Filme, bei denen der Versuch, sie mit traditionellen, herausforderungsorientierten Regelwerken und Spielstilen nachzuempfinden, schlicht und ergreifend kein Stück funktioniert.
Genau so wenig funktioniert aber PM mit diesem Anspruch, weil man auch dort immer auf "erspieltes" Scheitern trifft. Bei PM fällt nur das Handgewedel, mit dem die Cinematik alle Naselang gerettet werden muss, nicht so auf, weil es reicht, sich von einem Moment zum nächsten zu retten und man nicht den großen Gesamtzusammenhang cinematisch/dramatisch "sauber" hinbekommen muss wie bei BT.
Das ist also ein dermaßen fundamentaler Widerspruch zu herausforderungsorientiertem Spiel, dass man sich die ganze zugehörige Spielmechanik nicht nur sparen kann, sondern sparen
muss, weil sie einfach keine relevante Funktion mehr hat und ständig übergangen werden muss.
Wer in diesem Sinne cinematisches Spiel fordert, der braucht Spotlight- und Pacing-Mechanismen, aber bestimmt keine taktischen Ressourcen - sonst spielt er die ganze Zeit gegen sein Regelwerk an.
Man merkt doch selbst, ob z.B. typische Rollenspielkämpfe eigentlich nur noch lästige Pflichtübung sind, weil sie der dramatischen Perspektive nach gar nicht anders enden können als mit einem Sieg der SCs oder ziemlich positiv ausgerichtetem fail forward. Das kann man sich zumindest so weit sparen, dass man den Schwerpunkt auf die Form legt und nicht auf den Inhalt. Und selbst dann sind konventionelle Regelwerke noch im Weg.
Eine Stufe weiter unten geht es "nur" um cinematische Kämpfe, die aber trotzdem fordernd und ergebnisoffen sein sollen (aber nicht sind).
Besonders interessant und relevant ist hier das Thema Stunts - man will ja irgendwie "coole" Stunts und eindrucksvolle Aktionen.
Dabei wird aber mit schönster Regelmäßigkeit übergangen, dass eine unbedingte spielmechanische Förderung solcher Sachen sie alltäglich und beliebig macht, sie damit also gerade nicht mehr besonders und eindrucksvoll sind.
Selig jene, die sich hier allein an die Form statt an den Inhalt halten und diesen Bruch ignorieren können. Mir geht das meistens im Film aus dem gleichen Grund schon gegen den Strich - da muss es wirklich handwerklich gut gemacht sein, um mir zu gefallen, aber diese handwerkliche Ebene fällt im Rollenspiel ja gerade weg.
Ein guter Stunt im Rollenspiel ist ein gut beschriebener Stunt, nicht einer, der schwer auszuführen ist. Aber gut beschreiben kann ich auch andere Sachen und habe dann daran meinen Spaß...anders als an Gedankengängen und Vorgaben aus anderen Medien, die Entscheidungen und Verhalten in ziemlich enge Trichter zwingen.
Wie auch immer - hier gilt im Kleinen wie im Großen: Wer im Kampf zuverlässig glänzen will, der fordert wieder einmal mindestens scheibchenweise Plot Armor und eine Abkehr vom herausforderungsorientierten Spiel, egal, was er sich einredet.
Wie sollte ein (Zwischen-)Kampf voller cooler, sprich erfolgreicher Stunts aussehen, an dessen Ende ein ernsthaftes und nachhaltiges, ein
echtes Scheitern steht bzw. stehen kann?
Ganz unten angekommen ist jenseits dieser Überlegungen mit "cinematischem" Spiel nur noch die Abgrenzung von bitterster Spieler-Kleinhalte-Hartwurst gemeint.
Sprich: Man kümmert sich nicht um jedes Seil und jeden Pfeil, man leitet nicht blödestes "Hast du aber nicht gesagt", man bremst nicht jede Idee mit Gegenspielern aus, die mysteriöserweise genau wissen, was die SCs vorhatten usw. usf.
Das ist zwar alles schön und gut, hat aber mit Cinematik grad mal nichts zu tun.
Aber wer schreibt schon an ein Spielergesuch: "Komm zu uns, unser SL ist kein kompletter Arsch"? Nein, da macht
Cinematik doch mehr her
So ein bisschen was kann immerhin aus dem Großthema Kino/Film/Serie mitnehmen oder wenigstens mit Begriffen von dort deutlich machen.
Dazu gehören Kamerafahrten bei Beschreibungen (also nicht alles durch die SC-Brille sehen), Schurkenszenen aus Zuschauerperspektive, ein Einstieg
in medias res, zusammenfassende Montagen, "das letzte Mal bei..."-Szenen und vor Allem sinnvoll gesetzte Schnitte. Aber das ist alles erst mal nur Nutzen von Erzähltechniken, die (auch) im Film verwendet werden, nicht das Spielen nach den gleichen dramaturgischen Gesichtspunkten wie im Actionkino.
Wenn man tatsächlich "wie im Film" spielen will, dann sollte man auch ein Regelwerk nutzen, mit dem man die zugehörigen Erzählstrukturen umsetzen kann und nicht umgekehrt an allen Ecken und Enden gegen die Regeln anspielt und aus dem Handwedeln und Regeln ignorieren nicht mehr raus kommt.
Dann steht man immer noch vor dem Bruch, dass Genre-Tropes blind akzeptiert werden müssen, weil sie sonst in der Fiktion ständig Fragen und Widersprüche aufwerfen (wer ihn nicht kennt, schaue
Last Action Hero. Oder als Minimallösung
das hier).
Am Besten nimmt man gleich Regelwerke wie Hong Kong Action Theatre oder New Hong Kong Story, wo man nicht spielt "wie im Film", sondern wo man
einen Film spielt. Mit Schauspielern. Dann muss man nämlich nicht ständig das Hirn ausschalten und sich stumpf an abgelutschten Genre-Tropes lang hangeln, die in der Fiktion genau so wenig Sinn ergeben wie schon im Kino, sondern hat umgekehrt die Metaebene zur Verfügung, die dem Ganzen Sinn, Ziel und Richtung gibt. Obendrauf hat man in NHKS eine risk-(Meta-)reward-(fail forward-)Mechanik für Stunts und keine stumpf hingeworfenen Boni, damit es auch ja garantiert klappt.
Mit solchen Systemen im Rücken sieht das Thema schon ganz anders aus.
Aber um Himmels Willen nimmt man kein traditionelles Regelwerk und erzählt dann irgendwas von cinematischem Spiel. Das wird nämlich nichts.
Kurz:
"Traditionelles" Rollenspiel mit seiner leicht verzettelten Ausrichtung (positiv: Vielseitigkeit
) hat zu große herausforderungsorientierte Spielanteile, um für cinematisches Spiel geeignet zu sein. Dafür braucht man konsequent darauf ausgerichtete Systeme.
Herausforderungsorientiertes Rollenspiel ist (s)ein eigenes Medium, das eine eigene Art von Geschichten und Erlebnis produziert - und wenn man so ein System spielt, sollte man genau das auch zulassen und nich dran rum dengeln, um das Ganze in eine Richtung zu verbiegen, die nicht mit dem Regelwerk zusammen geht.
Danke, dass ihr bis hier hin durchgehalten habt, auch wenn ihr das alles schon wusstet