Zu roten Heringen allgemein:
Prinzipiell kann ich dir da nur zustimmen, Vermi, nur bei Agatha Christie muss ich als angehender Fanboy (hoffentlich zumindest nebenher im Sinne des Threads) ein bisschen dagegenhalten: Was mich an den Büchern total erfreut, ist die Art, dass es eben keine aus dem Hut gezauberten Täter gibt und die Hauptfigur die Hinweise mit dem Leser teilt, sodass man fröhlich mitraten kann. Und wenn man danebenliegt, dann normalerweise
mit der Hauptfigur, die dann weitere Hinweise findet und eben neue Spuren entdeckt.
Dass ich üblicherweise trotzdem nicht sofort auf die Lösung komme, ist natürlich Teil der Spannung – sonst fänd ich's langweilig. Aber dass man bei der Auflösung alle Hinweise in der Hand hatte und so selbst drauf gekommen sein könnte, ist mir da schon wichtig. Und das erwarte ich dann eben auch vom Rollenspiel.
Sherlock Holmes (nicht mal die Remakes) scheint da ganz anders zu arbeiten und somit auch andere Geschmäcker zu bedienen. Soll auch Leute geben, die Kaufabenteuer spielen, wo die NSCs alles Entscheidende tun, das geht für mich in eine ähnliche Richtung.
Zu roten Heringen im Rollenspiel:
Da kann ich Orko erstmal nur voll zustimmen...
Aber abseits davon ist mir das noch nie begegnet. Die SLs die ich so kenne (mich eingeschlossen) sind ja froh, wenn die Spieler überhaupt schonmal die _richtigen_ Hinweise finden und deuten! Die meisten Gruppe malen sich ihre Heringe doch eh schon sehr kompetent selbst rot an
Wenn ich irgendwas mit Ermittlungen leite, könnte ich mich eigentlich darauf verlassen, dass die Spieler konsequent Spuren verfolgen, die abwegig sind oder sogar
nach Aussage der Spieler selbst keinen Sinn ergeben. Das ist vermutlich Prägung aus anderen Medien (jaja, vermutlich auch gepaart mit schlechter Spielleitung, die die Spieler nicht solange mit den entscheidenden Hinweisen verprügelt, bis sie endlich die richtige Spur verfolgen), jedenfalls sehe ich nun wirklich nicht, warum man so etwas absichtlich und grundsätzlich in Ermittlungsabenteuer einbauen sollte. Es sei denn, eben, zum Zeit schinden und Ausstopfen eines zu kurzen oder anderweitig ungenügenden Abenteuers.
Dass man sich den offensichtlichsten Verdächtigen zuerst schnappt und dann so lange Hinweise sucht und prüft bis der Verdächtige entweder zweifelsfrei schuldig ist oder man andere Verdächtige findet, ist ja standard und noch kein roter Hering... oder?
Ich habe keine große Erfahrung mit Kauf-/Fertigabenteuern, möchte aber mal lobend "Case File: Neutral Grounds" vom Dresden Files RPG erwähnen, weil ich das mal auf die Schnelle geleitet hab. Da gibt es auch etwas, das als roter Hering benutzt werden kann (jedenfalls nennt der Autor es ausdrücklich "Red Herring"). Herr Valentine lässt dem Spielleiter dabei aber freie Hand, den roten Hering und den richtigen Verdächtigen zu tauschen oder irgendwie zu kombinieren, vorausgesetzt, er kümmert sich darum, die dadurch entstehenden offenen Fragen vorher zu klären: Welche Motivation hat denn Herr oder Frau Hering? Warum sieht es denn erst so aus, als könne der Hering es doch nicht sein? Alle Tips und Anregungen vom Autor führen dann in die Richtung, dass – egal, wer es denn nun wirklich war – die Ermittlungen weiter vorankommen, weil man dadurch wichtige Hinweise findet und sich nicht in eine Zeit fressende Sackgasse hineinermittelt. Das ist meiner Meinung nach auch eine (oder vielleicht sogar die einzige) gute Herangehensweise, so etwas überhaupt in einem Abenteuer unterzubringen, deiner Definition nach hingegen einfach gar kein Hering.