Bei Rick & Morty war die Serie dagegen schon vom Anfang an kaputt: Morty kann noch so sehr wachsen und Verantwortung übernehmen, das nützt alles nichts, wenn die Macher am Ende doch wieder Ricks infantilen Nihilismus (eigentlich eine Dopplung, denn Nihilismus ist per definitionem infantil) als die korrekte Antwort framen.
Dem kann man auch andere Stimmen entgegensetzen...Aber was bringt dich dazu, zu denken, dass es die "korrekte Antwort" ist? Weil Rick den Scheiß überlebt, den er selbst anrichtet? Weil es Idioten im Internet gibt, die Arschigkeit mit Intelligenz verwechseln?
Ich meine, wir dürfen uns keine Illusionen darüber machen, dass Teile der R&M-Fanbase einfach toxisch sind (und Kommentare, die Kritik an R&M von vornherein pauschal als "Ketzerei" verdammen auch nicht hilfreich sind). Aber das geschieht nun einmal, wenn eine Serie eben keine moralische Richtung vorgibt. Ich sehe nicht, wo bei R&M fingerdick die Moral aufgetragen würde. So ziemlich alle Figuren sind auf die ein oder andere Weise moralische Heuchler, selbst Morty stolpert da ab und an rein.
R&M bricht eben radikal mit der ungeschriebenen Regel der Unterhaltungsmedien: "Und am Ende gewinnt das Gute" (das ist es ja, was der Rezensent aus Renegade Cut wohl gerne von der Serie hätte). So läuft aber dummerweise die Welt nicht. Ich meine, schaut euch doch nur einmal um. "R&M" ist gerade deshalb eine so gute Serie, weil sie eben aufzeigt, dass die Arschlöcher irgendwie doch immer gewinnen. Dass Intelligenz nicht unbedingt mit Vernunft oder Menschlichkeit einhergehen muss. Das lässt sich auf allen politischen Schlachtfeldern der Welt beobachten.
Rick reiht sich damit in eine Riege von Protagonisten ein, die egoistische Arschlöcher sind und damit ebenfalls durchkommen: Walter White, Toni Soprano, Rick Grimes, Frank Underwood, der halbe Cast von Game of Thrones. Gut, die Serie dreht diesen Typus dann eine Lautstärke höher, aber letztlich werden die vorherigen Figuren von der Popkultur genauso verehrt wie Rick es wird.
Ich habe den Hype um so einen Pisser wie Walter White auch nicht verstanden und finde er ist viel zu glimpflich aus der Nummer rausgekommen. Und auch Rick Sanchez gilt meine Sympathie nicht. Das ist aber eben das Los solcher Serien: Dass sie Leute anzieht, die eben nicht in der Lage sind, zwischen der Moral des Protagonisten und der Moral der Serie zu entscheiden. Sie entschuldigen Rick genauso wie z.B. Beth Rick ständig entschuldigt. Und das ist das, was in R&M eben passiert. Rick gewinnt deshalb, weil seine Familie ihn gewinnen lässt. Die Arschlöcher regieren deshalb die Welt, weil wir sie gewinnen lassen. Weil wir denken: Naja, ist halt schon schlau und gewieft und technologisch fortschrittlich, was die tun, also kann's ja moralisch gar nicht so schlecht sein.
Dass ein Teil der Community von R&M toxisch ist, ist dem geschuldet, dass R&M mit uns eben auch dieses Experiment macht. Dass die Serie uns eben genau diese Frage stellt. Wie man Rick & Morty versteht, sagt eben eine Menge über uns als Menschen aus. Wenn wir Rick unreflektiert verehren, dann sind wir eben genau die Beths und Jerrys, über die wir uns in der Serie gerne so lustig machen. Es gibt bei R&M keine klare Moral: Sie lässt uns damit allein. Sie präsentiert uns das Outcome und den Fallout. Und sich hat Morty, der immer wieder deutlich macht: Hey, nur weil etwas funktioniert, muss es noch lange nicht moralisch richtig sein.
Und es gibt eine ganze Menge Folgen, in denen Rick moralisch verliert und die entblößen, was wirklich in ihm vorgeht und was er sich nicht eingestehen will und wieviel Schwäche und Unsicherheit in ihm steckt:
- Die Folge, in der Birdperson uns erklärt, was Rick's Signature-Spruch in seiner Sprache bedeutet
- Die Folge, in der Rick ein Hive-Mind datet, und ihn das verlässt
- Die Folge, in der sich seine Familie von ihm abwendet, auf diesem Zwergplaneten
- Die Folge, in der er sich in eine Gurke verwandelt, um der Familientherapie zu entgehen
Diese Folgen zeigen ein differenziertes Bild von Rick. Man kann jetzt argumentieren, dass die irgendwie keine Rolle spielen oder ihr Ziel verfehlen, aber sie sind da.
Aber so ist es ja mit allen Medienprodukten: Man darf die Reflexionsebene nicht ausklammern. Die Frage: Verherrlicht ein Medienprodukt einen Umstand oder stellt sie ihn nur dar? Da kann man durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, das zeigt bereits die Killerspieldebatte (die vonseiten der Videospiel-Community IMHO genauso undifferenziert geführt wird, wie aufseiten der Gegner).
Klar, auch bei R&M ist noch Luft nach oben, aber sicher nicht beim Humor, der ist nämlich genau da, wo er sein muss: Borderline unangenehm. Nicht einer, wonach man ein gutes Gefühl hat oder irgendwie ein erleichterndes Lachen serviert bekommt.
Teylen hat es gut beschrieben: "Family Guy" springt dahin wo es die Macher grade lustig finden und dann wieder davon weg. Das ist für mich deutlich oberflächlicher, als R&M, die einen Haufen erzählerische Tropen nehmen, und stilistisch in ihr Gegenteil verkehren. R&M ist ambitioniert, ganz im Gegensatz zu "Family Guy", wo alle Figuren quasi die Jerkass-Versionen der "Simpsons" sind (ich meine, hat Lois überhaupt sowas wie eine Persönlichkeit?!? Marge hat eine! Aber gut, ich verehre die frühen Staffeln Simpsons auch mit einer gewissen Inbrunst als das beste Stück TV meiner gesamten Jugend). Ob R&M seiner Ambition auch gerecht wird, darüber können wir uns streiten. Aber nicht darüber, ob diese Ambition existiert.
Im Grunde ist das alles eine Frage der eigenen Rezeptionshaltung. Und ich würde eben sagen: "R&M" dürfen wir nicht als reine Comedy-Serie begreifen. Ein Freund von mir hat mir gestern noch erzählt, dass er es zum ersten Mal, die ersten zwei Staffeln der Serie geschaut hat und ziemlich überrascht war, wie bitter und finster Rick&Morty war und ihm oft genug das Lachen im Halse stecken geblieben ist. Er schaut sie sich genau deswegen weiter an.
Ich behaupte, genau das will R&M. Ob die Serie das bei einem auslöst, das darf jeder für sich selbst bewerten. Aber bei R&M ist der Humor nicht der eigentliche Faktor, der die Serie (in my book) so außergewöhnlich gut macht.