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Reading Challenge 2020

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Menthir:
#3

William Faulkner - Soldatenlohn

Eine nicht gänzlich uninteressantes Buch, welches sich mit der Wiederkehr eines schwerverwundeten Soldaten aus dem 1. Weltkrieg beschäftigt, der langsam, aber sicher erblindet und stirbt. Die Wiederkehr wird gespiegelt an den gesellschaftlichen Normen der Zeit, und eingespannt in eine komplexe Liebesgeschichte, in der Heiraten stattfinden, die befreit von Liebe sind, und damit die eigentlichen Liebschaften konterkarieren.

Insofern ist hier viel dramatisches Potenzial. Soldatenlohn ist das Erstlingswerk Faulkners gewesen und ich finde es persönlich - obwohl ich es in deutscher Übersetzung gelesen habe - etwas sperrig geschrieben.
Wirklich positiv sticht heraus, dass Faulkner schon in seiner Frühphase die Fähigkeit hat, anhand der Natur und der Beschreibungen von Naturdetails Stimmung zu erzeugen. Darin liegt die Stärke des Buches.

Mir nicht gefallen hat - und da liegt das Problem in meiner Erwartungshaltung - dass man die sozialen Auswirkungen der Heimkehr nicht wirklich spürt, weil es in der Liebesgeschichte untergeht, die mir etwas wild konstruiert ist. Es ist wird schon deutlich, dass alle vom großen Krieg betroffenen, in eine Welt zurückgespült werden, die nicht mehr die ihre ist, aber es ist nicht überzeugend genug, weil das vor allem auf der Achse der Liebesbeziehung beschrieben ist.

Die Charakterzeichnungen sind noch sehr einseitig, aber doch gefällig.

Lediglich die Liebe Joe Gilligans ist mir hängengeblieben und stellt den stärksten und beständigsten Part des Buches dar.

Insgesamt aber ein etwas steif zu lesende, hölzern konstruierte, aber doch interessante Liebesgeschichte.

6,5 von 10 Punkte

#4

Eduard von Keyserling - Wellen

Welch ein schön geschriebens Werk. Wer die sanfte Sprache baltisch-deutscher Schriftsteller zu schätzen weiß, die mit wenigen Worten komplexe Bilder in den Kopf malen können (wie beispielsweise Siegfried Lenz) wird hier voll auf seine Kosten gekommen.

Das Buch geht letztlich um das tragische Aufeinandertreffen von Gesellschaftsschichten an der Ostsee. Anhand der Ostsee und ihren Regungen als tiefes, unbegreifliches Gewässer werden die Charaktere und die Erzählung permanent gespiegelt, und das auf wirklich beeindruckende Art und Weise.
Wie auch Soldatenlohn ist es eine eher komplexe, wenn auch nicht überkomplexe Liebesgeschichte, die sich im Zentrum um Doralice, einer der Liebe wegen ausgestoßenen Adligen dreht, welche auf eine andere Adelsfamilie trifft, aber auf zärtliche Art und Weise gegen und für ihre eigentliche Liebe, einem bürgerlichen Maler namens Hans Grill, kämpft, mit allen nötigen Verwicklungen.

Zentral an dem Werk ist die Reaktion auf das Meer und die Beobachtung der Charaktere, die von Keyserling sehr sanft, aber eindrücklich vornimmt. Es sind also eher Minicharakterstudien statt einfache Beschreibungen, sodass das das 173-seitige Buch viel mehr bietet, als die relativ geringe Seitenzahl vermuten lässt.

Besonders eindrücklich wird das Buch, wenn man die Geschichte Eduard von Keyserlings kennt und versteht, wie stark die autobiographischen Bezüge dieses Buches sind. Das Gefühl eigener Ausgestoßenheit aus dem alten Adel, die dennoch vorhandene Verantwortung für die übertragenen Güter, die selbst erlebte und kaum verwundene Einsamkeit im Alter, seine Bezüge zu München (dort hat von Keyserling sein Leben ausklingen lassen) und Italien (dort hat er immer auf gesundheitliche Besserung gehofft), rückverbunden an die Ostsee (daher kommt er).
Dieser persönliche Bezug macht das Buch noch wirkungsstärker.

Insgesamt hat mich das Buch sehr erfreut, obwohl ich normalerweise wenig Liebesgeschichten lese. Aber diese ist keine Schmonzette, sie ist tragisch. Sie ist keine schnulzige Romanze, hat aber doch pur und echte, romantische Züge. Leseempfehlung!

8,5 von 10 Punkte

Menthir:
#5

Peter Englund - Schönheit und Schrecken - Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen

Was für ein Ritt, was für ein Buch. Aus den Erinnerungen, Tagebuchaufzeichnungen und sonstigen Erwähnungen zu 19 Personen, die auf fast allen Seiten des ersten Weltkrieges als Soldaten, Zivilisten, Ärzte oder Sanitäter gewirkt haben, collagiert Peter Englund in diesem Werk eine Erzählung von Aufbruch, Hoffnung, ja sogar etwas Kriegslüsternheit, die umschlägt in Schrecken und Friedenshoffnung, ja, die vor allem verzweifelt an diesem unübersichtlichen Moloch des großen Krieges, und so schlussendlich doch in Erschöpfung und Verzweiflung enden muss.

Peter Englund versucht gar nicht den Krieg anhand dieser Personen zu erklären. Er versucht auch nicht, Schuldige zu finden; Opfer und Täter zu bestimmen. Er lässt die Personen durch die Darstellungen als Menschen erscheinen, mit ihrer Pflichterfüllung, mit ihren Erwartungen, mit ihren Enttäuschungen, jeder auf seine Weise, zusammengehalten von diesem roten Faden, dass aus allseitiger Kriegshysterie, ja geradezu Abenteuerlust Stumpfheit und Erschöpfung werden, ein Warten auf das unvermeidliche und scheinbar doch nie kommende Ende, welches am Ende dann doch verhaltend befreiend wirkt; und doch bei den Überlebenden damals schon den Eindruck erweckt, dass eine größere Krise folgen würde.

Englund hat dieses großes Werk sehr intelligent konstruiert. Hier und da hätte man sich gewünscht, dass die Originalquellen etwas lebhafter zum Vorscheinen kommen oder direkter referenziert werden, doch Englund hat für die Kohärenz seiner Erzählung darauf verzichtet, letztendlich aber doch bewiesen, warum er einer der großen Vorreiter histroischer Narratologie ist.
Ein beeindruckendes Werk.

9 vom 10 Punkte.

Huhn:
Methir legt vor!  :cheer:

Narf und ich komme nicht hinterher. Hab zwar ein weitere Buch gelesen, komme aber derzeit nicht dazu, ne kurze Rezi zu schreiben. Ende Februar wirds hoffentlich wieder etwas entspannter.

Blanchett:
Buch #5 von Menthir klingt sehr interessant, überlege ob ich mir das auch kaufen soll.

Menthir:

--- Zitat von: Blanchett am  4.02.2020 | 12:19 ---Buch #5 von Menthir klingt sehr interessant, überlege ob ich mir das auch kaufen soll.

--- Ende Zitat ---

Ich kann das nur empfehlen, obwohl das Buch teils natürlich harter Tobak ist. Es ist mit seiner Prämisse schon sehr eng beschrieben, der Autor gibt zu Anfang jeden Kriegsjahres auch eine Abfolge, um sich zu orientieren.


--- Zitat von: Huhn am  4.02.2020 | 10:57 ---Narf und ich komme nicht hinterher. Hab zwar ein weitere Buch gelesen, komme aber derzeit nicht dazu, ne kurze Rezi zu schreiben. Ende Februar wirds hoffentlich wieder etwas entspannter.

--- Ende Zitat ---

Ich habe auch eine Weile nichts geschafft, aber ich habe das erste Mal seit einem halben Jahr Urlaub und da ich so wenig gelesen habe, bricht bei mir jetzt gerade die Sucht durch. Es gibt auch bei dir sicher wieder bessere Zeiten.  :)

#6

Siegfried Lenz - Der Überläufer

Nicht nur, dass das Buch einen außergewöhnlichen Werdegang hat und in seiner Bedeutung, seiner Zurückweisung und in der Art, in der Siegfried Lenz in seinen jungen Jahren gegen den Verlag seine künstlerische Freiheit höflich verteidigte, sehr interessant ist, es ist auch kompositorisch interessant.

Mit der Nichtveröffentlichung des Buches während des Kalten Krieges, oder gerade und noch mehr zu Beginn dieser Phase, ist eine große Chance verpasst worden, den Wechsel von einem Nationalsozialisten zu einem Kommunisten, und die Verlorenheit eines Menschen in allen ideologischen System literarisch und kritisch zu beleuchten. Sicher hat es andere Werke gegeben, die dies ermöglichten, aber nicht in der Art, nicht zu der Zeit.

Wer sich mit der Kritik am Werk auseinandersetzt und mit der kurzen Wirkungsgeschichte, findet immer wieder das Buch aufgeteilt in die Naziphase bzw. die Partisanenphase und dann die Überläuferphase. Meines Erachtens greift es viel zu kurz, das Werk in diese Phasen einzuteilen und sie einigermaßen unabhängig voneinander zu sehen. Der rote Faden liegt für mich viel mehr darin, dass der Protagonist Walter Proska immer versucht, einen mehr oder weniger moralischen Kompass zu behalten, und dass er trotzdem oder gerade deswegen doch immer dieselbe Person bleibt und immer wieder in den ideologischen Gefilden untergeht, aber eben auch immer wieder in ihnen landet.
Und darin liegt die Größe des Stärke des Buches und das Erschütternde in dem Buch, welches sich in der letzten Kriegstat Proskas tragisch wendet. Das Ausgeliefertsein ist für mich im Zentrum der Erzählung, sowohl in der Art und Weise, wie Lenz die jeweiligen Situationen beschreibt, wie er mit einer Knappheit an Beschreibung das Bild malt, aber auch wie er die Gesamtsituation beschreibt. Am Ende bleibt Walter Proska immer ausgeliefert, der Situation, dem Leben.

Das Tragische und das Mitnehmende an dem Buch ist also, dass es nicht eine Überläuferphase zum Schluss des Buches gibt, sondern dass Walter Proska Zeit seines Lebens immer Überläufer ist und immer bleibt, auch wenn sein Gewissen ihn hier und da rausfallen lässt, ist er am Ende doch wieder und wieder Überläufer von System zu System, insofern auch Getriebener und jemand, der einfach überleben will; und dessen Überleben allein ihn an die Grenzen seiner moralischen Fähigkeiten bringt.

Sehr faszinierendes Frühwerk von Siegfried Lenz, welches er 1951, also als 25-jähriger, geschrieben hat. Zwar lässt es noch hier und da die sprachliche Feinheit vermissen, die er nur wenige Jahre später erreicht, aber die Ansätze sind zu sehen. Er malt mit einer breiten Palette von Stilmitteln, gibt der Natur selbst fast menschliche Züge, lebt die Eigenarten der Charakter aus, die trotz ihrer schrecklichen Entscheidungen, doch ein stückweit immer menschlich, wenn auch menschlich schwach, bleiben, und sorgt in all dem damit noch für den ein oder anderen Schmunzler.

Ein sehr ambitioniertes Werk, bei dem es wirklich schade ist, dass es erst posthum das erste Mal veröffentlicht werden konnte. Zwar wäre der Feuilletonstreit darüber weit vor meiner Geburt gewesen, aber es wäre zu seiner Zeit ein wirklich lohnender Streit gewesen.

8 von 10 Punkte.

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