"Nichts im Leben kommt ohne einen Preis" sagt Ms Cole und lächelt dabei, wie du es sonst nur von den Spieltischen in den Casinos kennst. Diese Frau scheint einem Spiel nicht abgeneigt, und das Risiko nicht zu scheuen.
Sie hört dir aufmerksam zu, legt dabei den Kopf leicht schief und du siehst, wie sie sich ihren nächsten Schritt gut überlegt. Für einen Moment, einen ganz kurzen Moment, verschwindet die Leichtigkeit aus ihren Zügen, nur um dann von einem strahlenden Lächeln überspielt zu werden.
"Für einen Moment haben Sie mir Angst gemacht, Mr. Calhoun..." Sie lacht. "Ich fürchtete schon, Sie würden etwas unanständges verlangen", fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu.
"Meine Geschichte ist schnell erzählt, wenn es Sie interessiert, aber ich fürchte ich werde Sie langweilen."
Sie lehnt sich ein wenig zurück und beginnt zu erzählen.
"Wie ich schon sagte, komme ich vom Land, aus der Kleinstadt, und wie Ihnen schon aufgefallen sein dürfte, sind meine Ansichten und Erwartungen an das Leben nicht unbedingt mit dem Leben in einer Kleinstadt vereinbar. Mein Vater pflegte stets zu sagen, meine Ambitionen seien größer, als mir zusteht!" Diese Erinnerung scheint sie erneut zu erheitern.
Knox hat das Gefühl, dass bis hierhin jedes Wort der Wahrheit entspricht... wenngleich vielleicht hinter dieser Wahrheit noch mehr liegt, als bislang ausgesprochen wurde.
"Wie Sie sich vorstellen konnte, entzweiten sich meine Familie und ich zunehmend. In ihren Augen war ich aufmüpfig, undankbar und frech, in meinen Augen waren sie engstirnig, kleingeistig und... ja, ein wenig hinterwältlerisch. Mehrfach versuchte mein Vater mich zu verheiraten, doch vor den Altar bekam er mich nicht, und so kamen wir eines Tages zu einer Übereinkuft: Er zahlte mir meine Mitgift aus und ich durfte nach London, um dort selbst mein Glück zu suchen."
Auch diese Worte sind ungelogen, aber du hast das Gefühl, dass die lapidar gesprochenen Sätze viel Schmerz und Enttäuschung verbergen.
"Seither bin ich hier, auf der Suche nach einem zu mir passenden Leben. Wie Sie sich vorstellen können, waren meine Finanzen in einer Stadt wie London schnell aufgebraucht, und auch meine Hoffnung, schnell einen Ehemann zu finden, der zu mir passt, stellte ich als naiv heraus. An initialem Interesse mangelte es keineswegs, doch stellte sich erneut und schnell heraus, dass das Fehlen einer Mitgift und jedweder Titel nicht gerade förderlich sind."
Hier beschleicht Knox das Gefühl, dass sich die junge Dame versucht in besserem Licht darzustellen, als vielleicht der Wahrheit entspräche, wenngleich er nicht das Gefühl hat, dass sie ihn direkt belügt. Ihre Worte sind durchaus ehrlich und aufrichtig... nur scheinen die kleinen Details zu fehlen, die dem Gesamtbild seine Komplexität verleihen.
"Kurzum wandte ich mich reumütig an meine Familie, nicht wissend, wohin ich mich sonst wenden sollte. Mein Vater antwortete mir tatsächlich, sagte, dass er zwar bereits mehr für mich getan habe, als eine unerzogene Göre wie ich verdiene, aber dass er mich dennoch nicht im Stich lassen würde. Er habe sich umgehört und einen alten Bekannten gefunden, der gut zu mir passen würde... einen Mann namens Evander Dotts. Dieser sei verwitwet, der Besitzer eines Pubs in der Innenstadt, ein Mann ohne große Ambitionen aber einsam und auf der Suche nach einer neuen Frau, mit der er den Lebensabend verbringen könne."
Hier ist sich Knox sicher, dass vieles vom Gesagten grob vereinfacht, die Wahrheit ausgelassen oder stark gebeugt wurde. Er kann nicht genau sagen, was es ist, aber das Bild des Vaters, dass Ms Cole zeichnet, erscheint ihm nicht stimmig, und auch die Art und Weise, wie Ms Cole auf Mr Dotts Aufmerksam gemacht worden sein will, erscheint ihm nicht ganz schlüssig.
"Im Nachhinein schelte ich mich, dass ich hierin tatsächlich einen möglichen Ausweg sah... Aber Sie müssen verstehen, ich bin verzweifelt gewesen.
Dem Wunsch meines Vaters in der Hoffnung auf Besserung folgend, habe ich Herrn Dotts aufgesucht und ihn kennengelernt. Er ist ein netter, älterer Herr, durchaus eine freundliche Seele, aber so gar nicht das, was ich von einem Ehemann erwarte. Zudem könnte er dem Alter nach mein Vater sein... allein der Gedanke daran, dass mein Vater in ihm einen passenden Kandidaten für mich sieht, lässt mich schaudern."
Sie macht eine kurze Pause und studiert Knox Gesicht, wie um sich zu vergewissern, dass er ihre Geschichte glaubt. Er ist sich nicht sicher, ob sie seine Zweifel erkennt, oder ob sie zufrieden ist, jedenfalls fährt sie fort:
"Und damit kommen wir zu den Ereignissen des gestrigen Abends. Wie schon gesagt, war ich mit einer Freundin verabredet - jedoch nicht nur, um gemeinsam zum Hotel zu fahren, sondern auch, weil meine Freundin mit mir über die Absichten von Herrn Dotts sprechen wollte."
Auch das entspricht nicht oder zumindest nicht ganz der Wahrheit.
"Sie müssen wissen, Mr. Calhoun, ich hatte die Vermutung, dass Mr Dotts tatsächlich um meine Hand anhalten will - und sollte sich diese Vermutung bewahrheiten, wollte ich einen Ausweg finden, der ihm ermöglicht sein Gesicht zu wahren und nicht abgelehnt zu werden. Die Schmähung durch eine Frau, das hat dieser arme Mann nicht verdient. Als ich dann also gestern Abend in mein Hotel kam, fand ich dort eine Nachricht von besagter Freundin vor, in der sie mir tatsächlich offenbarte, was ich befürchtet hatte... nämlich dass Mr. Dotts um meine Hand anhalten möchte, wahrscheinlich noch heute."
Dies scheint, wenn auch nicht in allen Details, weitgehend der Wahrheit zu entsprechen.
"Nun sehen Sie mich hier sitzen und Ihnen von meinem lächerlichen Schicksal berichten, das Ihnen so klein und nichtig vorkommen muss. Aber ich bin fest entschlossen nicht zurückzukehren zu meiner Familie, die so wenig von mir zu halten scheint, und auch Mr Dotts werde ich nicht heiraten. Doch bislang weiß ich keinen Ausweg..."
Diese Worte sind die ersten, die wirklich und vollumfänglich der Wahrheit zu entsprechen scheinen.
"Und dann machen Sie mir dieses Angebot, dieses unmoralische, verwerfliche und doch so verlockende Angebot... Wie soll eine Frau da nicht schwach werden, Mr. Calhoun?"
Es schwingt eine Spur Melancholie in ihren Worten, und du bist dir nicht sicher, ob du nicht den Hauch einer Träne in ihrem Augenlid siehst.
"Ann Sarah ist mein Name, Mr. Calhoun.", antwortet sie schließlich, wieder gänzlich gefasst. "Es würde mich freuen, wenn Sie mich Ann nennen."