Meine Bewertung
Ich selbst mag ja kein Metagaming / Playerempowerment. Aber ist klar, dass andere Leute dies unter Pluspunkten einordnen würden.
Vorteile von Shadowrun Anarchy:
+ Das System ist einfacher.
+ Das System ist schneller.
+ Das Würfelsystem ist immer noch Shadowrun.
+ Die Charaktererschaffung geht schneller.
+ Die Charaktererschaffung ist übersichtlicher.
+ Man kauft sich nicht jeden Kleinscheiss, sondern eine überschaubare Menge sinnvoller Dinge.
+ Es ist deutlich einfacher zu erreichen, das jeder Charakter sinnvolle Dinge kann und sie vergleichbarer sind.
+ Die Beispielcharaktere sind nach Regeln erschaffen und brauchbar. (Ja das ist eine Selbstverständlichkeit, aber war leider in Shadowrun nicht immer so.)
+ Die Hackingregeln sind brauchbar.
+ Viele übersichtliche Abenteuer.
+ Wer ein hohes Edge hat muss dafür auf andere Dinge verzichten. Sehr fair!
+ Initiative und Reflexbooster: Es gibt einfach eine zusätzliche Handlung, nicht mehrere Initiativephasen.
+ Es gibt verschiedene Initiativeregeln: 1. Reihum am Spieltisch. 2. Alle normalen Runner kriegen 6W6 + XW6 für das Reflexbooster +XW6 pro ausgegebenem Plotpunkt. 3. erzählerisch je nachdem wie sinnvoll es ist. Die zweite und dritte Möglichkeit finde ich ganz gut.
Die Regeln der zweiten Variante im Detail: Wenn man die Plotpunkte der Reaktionsverbesserung für Initiative ausgibt, ergibt sich folgende Initiative nach Standardregeln: Nicht vorhanden - 6W6. Stufe 1 - 6W6. Stufe 2 - 8W6. Stufe 3 – 10W6. Stufe 1 bis 3 geben jeweils eine zusätzliche Angriffshandlung. Wer am meisten Erfolge hat, handelt zuerst, bei Gleichstand entscheidet Edge. Bei Lowlevelrunner verlieren zwei Würfe, Toprunner erhalten zwei weitere dazu. Finde ich gut.
+ Spezialisierungen von Fertigkeiten bringen zwar weiterhin +2W6 sind aber jetzt etwas Besonderes und man kann sich nur eine zu Spielbeginn holen. Einerseits cool, andererseits ist der Crack mit 7 Würfel (5 + Spezialisierung) echt arg weit entfernt von jemandem, der mit 3 Würfeln echt auch sehr gut darin ist.
+ Spieler werden angehalten Aktionen zu beschreiben und kreativ zu werden, statt nur die gewürfelte Zahlen zu nennen.
Neutral
+ Die Sache mit den Connections wurde ganz okay gelöst.
+/- Die Attribute wurden vereinfacht: Stärke, Geschick, Willenskraft, Logik, Charisma, Edge. Konkret vermisse ich Reaktion zur Verteidigung (Initiative evtl in Zusammenspiel mit Intuition).
+/- Es gibt keine Schadenswiderstandsprobe mehr, weder mit Rüstung noch mit Konstitution würfelt man dagegen. Das macht das Spiel schneller, aber erschwert auch viele Konzepte. Kann das noch nicht beurteilen, aber sehe ich tendenziell negativ.
+/- kein Prioritätensystem sondern fixes Verteilen.
+/- sehr viele Beispielcharaktere und sehr wenige Möglichkeiten zur eigenen Charaktererschaffung. Finde ich schade, gerade wenn die Charaktererschaffung endlich mal schneller geht, würde ich eher Charaktere selbst erschaffen. Aber wer das eh nicht mochte, wird jubeln.
Nachteile von Shadowrun Anarchy:
- Kampf: Angreifer würfelt auf Fertigkeit + Attribut + Modifikatoren. Verteidiger würfelt auf Geschick + Logik + Modifikatoren. Übrigens macht es keinen Unterschied, ob es ein Fernkampf, Nahkampf oder Magie ist. Erstens verstehe ich nicht, warum Logik bei der Verteidigung hilft. Wir reden nicht über strategisches Kriegsführen, sondern darüber aufs Maul zu bekommen. Als ich im Reallife während meiner Promotion meine Logik gesteigert habe, gingen meine Kampfsportskills zurück. Und warum bin ich besser in meiner antimagischen Abwehr geworden? Außerdem was heißt das? Ich greife einen Dozenten an der Universität an. Ich bin im Nahkampf nicht geübt und greife mit 2W6 Geschicklichkeit an. Er verteidigt sich mit 7 Würfeln (Geschick 2 und Logik 5). Anschließend greift er an und das Spiel geht in die gleiche Richtung. Das dauert ja Jahre. Extrem unrealistisch und überhaupt nicht zu gebrauchen. Wow! WTF? Wie kann es sein, dass ein Shadowrun auf einmal das schlechteste Kampfsystem ever hat?
- Das Steigern von Fertigkeiten und Attributen kostet bei der Charaktererschaffung und später verhältnismäßig unterschiedlich viel.
- Gebräuche sind keine eigene Fertigkeit mehr, sondern Teil von Überreden. Das finde ich sehr schade, die Fertigkeit Gebräuche war für mich immer das Herzstück von Shadowrun. Generell sind die Fertigkeiten ein kleines bisschen zu sehr eingestampft und dann auch noch die falschen. Entfesseln als eigene Fertigkeit brauche ich nicht. Aber Gebräuche, Datensuche, Computer und Elektronik hätte ich schon sehr gerne.
- Keine Vorgaben bei den Werten finde ich auch nicht gut. Man kann sich mehrere Fertigkeiten auf Maximum 5 holen. Ich hätte eine auf 5 oder zwei auf 4 begrenzt, der Rest maximal 3.
- Wissensfertigkeiten hat man in der Regel nur noch eine. Warum ausgerechnet am erzählerischen Fluff sparen?
- Sehr viele Fähigkeiten/Booster wirken einfach nicht getestet, überdacht oder gebalanced. Gute Cyberohren sind Stufe 4, genauso wie ein Synapsenbeschleuniger. Mit den Ohren kriegt darf man bei Horchenproben drei Würfel neu würfeln, beim Synapsenbeschleuniger darf man dreimal statt nur einmal pro Runde jemanden angreifen. Das geht so einfach nicht.
- Am Schlimmsten ist es bei den Zaubern. Gut: Betäubungsblitz (Kosten Stufe 2) macht 5 Schaden, nicht nur einen. Schlecht: Unsichtbarkeit (auch Stufe 2) gibt dir einen Würfel auf Heimlichkeit, denn du neu würfeln darfst. Genauso kann man mit Physische Maske niemanden mehr verkleiden, usw. Diese einen Zauber sind komplett nutzlos, die anderen muss man überarbeiten. Und warum gibt es hier komplizierte Extraregeln? Macht doch einfach ein Erfolg zählt als ein Erfolg!?!
- Astrale Wahrnehmung und astrale Projektion als Fähigkeit wurde bei den Boostern komplett vergessen.
- Rüstung gibt einfach zusätzliche Trefferpunkte. Bedeutet: Wenn einmal eine Kugel oder eine Waffe eine Rüstung durchdringt, ist sie komplett unbrauchbar. Ich halte das für falsch, ich denke die meisten Rüstungen schützen auch wenn sie an einer Stelle durchdrungen sind, an anderen Stellen fast genauso gut. Es gibt keine Schadenswiderstandsprobe, Schaden wird einfach direkt abgezogen.
- Geister sind durch normale Waffen unverwundbar. Eine Atombombe in das Nest der Insektengeister zu bringen, hilft überhaupt nichts.
- Metagaming / Playerempowerment: Man spielt keine Shadowrunner, sondern eine Gruppe von Geschichtenerzählern, die gemeinsam eine Shadowrungeschichte erzählen. Entsprechend können die Spieler die Welt durch Kraft ihrer Gedanken verändern und steuern nicht nur den eigenen Charakter.
- Ein Punkt Karma / ein Erfahrungspunkt heilt einen komplett. Man kann also quasi nicht mehr sterben, sondern die Belohnung wird reduziert. Gähn!!! Wie langweilig ist das denn! Widerspricht auch meinem Verständnis von Erfahrung oder Karma, dass man damit Wunden heilen kann. Ist aber tendenziell optional, also nicht so schlimm.
- Plotpunkte: Booster geben Plotpunkte. Mit einem Reflexbooster kriegt man einen Punkt. Damit kann man Schaden heilen oder Hilfe rufen. Das halte ich für falsch. So wie ich Reflexbooser verstanden habe, verschnellern sie Reflexe und nicht die Heilung.
- Es gibt Boni für die Spezies. Das führt immer zu Klischeecharakteren. Ich würde in Rollenspielen grundsätzlich so etwas als Fluff machen. Orks und Männer haben zwar statistisch mehr Muskelmasse als Elfen und Frauen. Aber wenn jemand eine starke elfische Frau als SC spielen will, sollte sie keine Mali haben. Schon gar nicht in einem erzählorientierten Spiel.
- Wenig Auswahl bei der Charaktererschaffung: Unzählige Beispielcharaktere, 20 Seiten über Seattle, 45 Seiten mit Abenteuern. Aber weniger als eine Seite für Vorteile, weniger als eine Seite für Nachteile, weniger als eine Seite für Cyberware, weniger als eine Seite für Adeptenkräfte, weniger als eine Seite für Zauber. Warum? Ich will gar nicht viel mehr, aber wenigstens jeweils eine Seite hätte es schon sein können.
- Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen heißem und kaltem Sim? Oder es wird davon ausgegangen, dass Hacker immer heißes Sim verwenden. Bzw das ist Teil von AR vs VR. Finde ich nicht so richtig gut.
- Es gibt Technomancer. Bei jeder Shadowrunedition muss es immer eine Person geben, die sagt, die Hackingregeln sind zu einfach, lass uns noch ein zweites Hackingsystem einführen. Ich verstehe das nicht.
- Es gibt eine unnötige Unterscheidung zwischen Cyber- und Bioware.
(- Ich finde die Sprache manchmal etwas unnötig gewaltverherrlichend, stärker als das sonst schon war. Aber das ist mir eigentlich egal.)
Hausregeln:
0. Ich würde die Panzerung von Kleidung halbieren (bzw 2, 4 und 6), aber das ist im Buch bereits explizit vorgeschlagen. Es ist dann immer noch extrem schwierig jemanden zu überwältigen und heimlich mit einem Schlag auszuschalten.
1. Niemand bekommt Plotpunkte. Reflexbooster die Plotpunkte geben, müssen für die Initiative genutzt werden.
2. Jeder kriegt eine Spezialisierung gratis und kann keine weiteren wählen. Die Spezialisierung bringt +1W6.
3. Jeder Charakter erhält eine Fremdsprache, eine Hobbyfertigkeit, eine Theorie- bzw. Berufsfertigkeit und ein Straßenwissen.
4. Eine miese Straßenschieberconnection ist für alle/die Gruppe frei.
5. Geister sind entweder normal verwundbar oder kriegen Panzerung gegen normale Waffen.
(6. Man kann kein Karma ausgeben, um zu überleben. Sind aber eh nur die optionalen Regeln.)
(7. Reaktionsverbesserung und Synapsenbeschleuniger bewirken zusammen 5 statt 1 Angriff pro Runde, das ist mir zu viel: Entweder einfach den Synapsenbeschleuniger streichen. Oder nicht kombinierbar. Oder die Reaktionsverbesserung bringt +2W6 Ini pro Stufe und nur der Synapsenbeschleuniger gibt mehr Angriffe.)
(8. Eventuell schwäche ich Edge ab: Kann nur hinterher genutzt werden und statt zählenden 4en erhält man für 6en neue Würfel.)
(9. Evtl Leichte Rüstung bringt 1 Edge, schwere Rüstung kostet 1 Edge.)
(10. Bei den Zaubern zählt ein Erfolg als ein Erfolg)
Gesamtnote 7/10.