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Louise Glück?

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Jiba:

--- Zitat von: Huhn am 11.10.2020 | 21:54 ---Ich mag keine Leute, die nicht zu ihren Entscheidungen stehen wollen.

--- Ende Zitat ---

Okay, ich kenne dich nicht, aber ich glaube in der Absolutheit kann ich mir das nicht vorstellen. Du kennst garantiert Leute, die du magst, und die nicht zu jeder ihrer Entscheidungen immer absolut gestanden haben. Das ist nur menschlich.


--- Zitat von: Chiarina am 11.10.2020 | 21:04 ---Achteinhalb Verse lang bekommen wir Leser erzählt, wie sehr das lyrische Ich von der Beziehung die Nase voll hat... dass es die albernen Zwanghaftigkeiten und die geschmacklose Dekoration der Wohnung des Partners nicht mehr ertragen kann und dass es keine Lust mehr auf den Abwasch und den Standard-Sex hat.

--- Ende Zitat ---
Entschuldige, wenn ich hier ein wenig widersprechen muss.
Ich komme zwar in der Interpretation zum selben Ergebnis wie du, aber die von mir gefetteten Aussagen sind reine Assoziation. Nichts davon steht so im Text. Als "albern" empfindet sie das nicht, sie empfindet das als "crap", sie lehnt das vehement ab, sie spricht von nicht weniger als "Abuse" mit Frühstück und "Abuse" mit Bloody Maries. Die Wohnung des Partners wird nicht als geschmacklos beschrieben, sondern lediglich als voll mit Schnickschnack, Krimskrams ("bric-a-brac"), eine Wertung wie "geschmacklos" steckt da nicht drin – wir erfahren lediglich, dass in diesen Krempel "Liebesbriefe" drapiert wurden, die sie auch für Scheiße hält. Von Sex ist nirgendwo überhaupt die Rede. Das Lyrische Ich hegte die Blutarmut ihn ihrem Partner ("anemia") und führte ein brutales ("vicious", vielleicht auch nur "übles") Standard-Zusammenleben, ein Koexistieren gleichsam. Das ist alles, mehr steckt da erstmal nicht drin.

Dass wir das, was da steht, dann allegorisch auf Anderes beziehen, da sind wir dann schon einen Schritt weiter. Aber der Text gibt vieles, was du anbringst, in der Klarheit gar nicht her.

Huhn:

--- Zitat von: Jiba am 11.10.2020 | 22:15 ---Okay, ich kenne dich nicht, aber ich glaube in der Absolutheit kann ich mir das nicht vorstellen. Du kennst garantiert Leute, die du magst, und die nicht zu jeder ihrer Entscheidungen immer absolut gestanden haben. Das ist nur menschlich.

--- Ende Zitat ---
Nein! Die habe ich natürlich alle rücksichtslos aus meinem Leben verbannt!  ::) Mich selbst eingeschlossen! Mich gibts in meinem Leben gar nicht mehr! Übrig ist nur das rationale Superhuhn, dessen vollumfänglich gültige Meinung du dich hier zu lesen glücklich schätzen durftest! Nimm dir mal ein Beispiel an mir!
(Ich mag übrigens auch absolut und überhaupt nie keine Leute, die sich mit Wortklaubereien statt dem Inhalt meiner Aussagen befassen.)

Huhn:

--- Zitat von: Chiarina am 11.10.2020 | 22:22 ---Die "Morgenwonne" ist ein tolles Gedicht. Es ist aber sicherlich auch gerade deshalb bemerkenswert, weil seine Darstellung ungebrochener Freude außergewöhnlich ist. Wahrscheinlich wird auf die "Wonne" deshalb auch schon im Titel hingewiesen.

Sicherlich gibt es "glückliche Gedichte". Es gibt aber auch einen Schaffensdrang. Und der ist vielleicht doch größer, wenn nicht alles in Butter ist.

--- Ende Zitat ---
Es gibt ganze Riegen von unterhaltsamen Gedichten, die sich zumindest nicht mit Unglück befassen. Oder spricht Ottos Mops irgendwo tief in sich drinnen auch eigentlich von der existenziellen Angst Ottos, seinen Mops zu verlieren? Hat Hugo Balls Karawane Angst vor der endlosen Weite der Wüste? Spricht aus Kästners verhextem Telefon insgeheim das missbrauchte Kind, dem jeglicher Spaß genommen wird?  Was ist mit Alltagsdichtung zu herzlichen Anlässen? Jede gereimte Büttenrede - ein Schrei vereinsamter Seelen nach Aufmerksamkeit? Haribo macht Kinder froh - sterben muss man sowieso?  ;D

Zu sagen, dass Dichtung nur dem Ausdruck von Unglück diene, sagt viel über deine literarischen Vorlieben und deine Sicht auf Lyrik. Die ich ja nicht teilen muss. Ich denke sehr wohl, dass sich Lyrik häufig mit (starken) Emotionen befasst oder von ihnen getragen wird. Die müssen aber nicht zwingend negativ sein.

Jiba:
@Huhn
Hey, bitte nicht so viele Ausrufezeichen. Wollte dir nicht zu nahe treten. Als Wortklauberei war das nicht gemeint, mehr als Überleitung zu meinem eigentlichen Punkt. Wir kennen alle Leute, die nicht immer zu ihren Entscheidungen stehen. Und wir kennen sicher auch Leute, die schon einmal beschissene Beziehungen gehabt haben. Oder vielleicht hatten wir auch selbst eine. Oder eine beschissene Freundschaft. Oder ein anderer Schicksalsschlag. Und wir haben dann auch schon einmal über irgendetwas gejammert. So richtig gejammert.

Und das, was Frau Glück hier schreibt, geht ja schon die die Richtung Alkoholismus und Missbrauch. Da öffnet sich wer in diesem Gedicht. Die gibt einen Einblick, dass selbst die Trennung von so einem Arschloch nicht einfach so abgefrühstückt werden kann. So geht es immer und immer wieder Menschen, die aus solchen Situationen kommen. Wie Chiarina sagt: Das Leben lässt sich eben nicht immer hübsch in Hier und Dort oder Schwarz und Weiß oder Happy und Sad zergliedern. Glück schreibt hier über Ambivalenzen (heck, die "Liebesbriefe zwischen dem Krimskrams" sind ja sprachlich geradezu possierlich präsentiert – gehasst hat sie sie trotzdem).

Ein "Hach, und jetzt lasst uns bitte alle ganz schön positiv nach vorne blicken" – dazu sind nicht alle Menschen direkt in der Lage. Die müssen erst einmal Wunden lecken. Und ganz im Ernst, wenn wir uns auf der Welt umgucken, dann bietet die uns verdammt viele Gelegenheiten, keine Hoffnung zu haben, nicht an das Positive zu glauben. In manchen Situation wirkt Optimismus nämlich auf so manchen Leser auch wie Eskapismus.

Tatsächlich kann der Konsum von "trauriger" Lyrik Leuten dabei helfen, ihre eigene Traurigkeit besser zu verarbeiten. In der Musik sehen wir das quasi ständig.
Ich glaube übrigens auch, dass wir uns auf einer tieferen Ebene mit uns und anderen auseinandersetzen, wenn wir das mit einer gewissen Ernsthaftigkeit tun (mal als Gegenstück zu Positivität benutzt, damit wir nicht bei dieser Traurigkeit verharren). Negative Gefühle sind schwieriger zu bewältigen, sie erschüttern uns mehr, sie haben ihren Ursprung häufig im Zwischenmenschlichen, in der Gesellschaft oder in politischen Gegebenheiten – kurz: Sie aufzuarbeiten, erzählt uns eigentlich immer etwas darüber, wie die Welt, aus einer ganz bestimmten Perspektive, tatsächlich wirken kann. Sie sagen uns "Hey, das müssen wir reparieren!"

Das ist jetzt aber nur ein Gedanke dazu. Ich will positiven Werken auch nicht ihre Wirkung oder eventuelle Genialität absprechen (einer meiner Lieblingsfilme, "Die fabelhafte Welt der Amélie" ist zum Beispiel positiv bis Anschlag). Aber ich habe gemerkt, dass Werke, die zumindest nicht gänzlich positiv sind, in der Regel mehr für mich als Leser tun. Die glaube ich einfach eher.

P.S: Interessant finde ich, dass wir "Unterhaltung" mit "Positivität" gleichsetzen. Das würde ich nicht tun. Horrorliteratur zum Beispiel kann wahnsinnig gut unterhalten, aber ist eher selten positiv.

Sashael:

--- Zitat von: Jiba am 11.10.2020 | 22:56 ---Aber ich habe gemerkt, dass Werke, die zumindest nicht gänzlich positiv sind, in der Regel mehr für mich als Leser tun. Die glaube ich einfach eher.

--- Ende Zitat ---
Ich finde es viel schwieriger, positive Emotionen gehaltvoll rüberzubringen, als negative. Jammern und rumheulen kann irgendwie jeder.

Aber wieviele Texte hast du schon gelesen, die Freude tatsächlich so in Worte gefasst haben, dass du das nachvollziehen konntest, dass dich dieses Gefühl ebenso gepackt hat? Geht mit Mimimi viel schneller und einfacher.

Misery loves company and company loves more.
Eben WEIL so viele lyrische Texte voller negativer Erlebnisse existieren, finde ich sie immer belangloser. Tragik wurde zur Massenware.

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