Nachspiel 3
Königreich Eralion
in der zweiten Hälfte der Vettel
im Jahr 1504 nach Bahamut
Der letzte Drachenkönig war allein. Auraeus III. döste in seinem Thron und dachte nach; halb im Wachzustand, halb im Traum. Er lauschte den Wellen die mit unvorstellbaren Kräften gegen die Klippen unter Sturmkrone, seinem schwebenden Palast in Morr Thuris, donnerten. Dann vernahm er das leise Knirschen von Stein der über Stein bewegt wird. In seinem schattenverhangenen Thronsaal wurde eine der schweren Geheimtüren aufgeschoben. Der König hatte früher oder später ohnehin damit gerechnet; so öffnete der betagte Monarch gemächlich seine goldenen, mandelförmigen Augen, in seinem goldenen Gesicht, das von schneeweißem Haar und Bart eingerahmt wurde. Er war bereit.
"Ich wusste, dass ihr eines Tages aus meinem Kerker emporsteigen und die Souverenität Bahamuts über das Letzte Königreich anfechten würdet. Warum aber habt ihr genau jetzt die Geduld verloren? Ach, es spielt doch keine Rolle. Meine Leibwache ist tot, nehme ich an. Lasst uns beginnen."
* * * * *
Moryn ritzte mit seinem krallengleichen Fingernagel einen weiteren Stern in das kalte Mauerwerk an seiner Wange. Er drückte sein zotteliges Haar und seinen verfilzten Bart noch fester gegen die Turmwand, um der Darstellung auch wirklich die exakte Form aus seinen Visionen geben zu können. Irgendwann war der Gelehrte zufrieden, er richtete sich auf und machte einen Satz zurück. Fieberhaft huschte sein Blick über die gesamte Sternkarte, die er in den vergangenen Stunden, Tagen und Wochen auf diese Weise angefertigt hatte. Nein, er fand seine Orientierung nicht wieder. All die Mühen waren vergebens! Erneut peinigten ihn seine bruchstückhaften Erinnerungen an die Finsternis der Kristallkavernen, die Lichtreflektionen ihrer Fackeln, die sie wie die Augen hungriger Raubtiere in einem nächtlichen Wald anfunkelten, und an die zahllosen verzerrten Spiegelbilder. Er streckte die Hand nach dem Kobold aus, kurz bevor er von den Splittern einer berstenden Höhlendecke verschüttet wurde. Das letzte, einfache "Urak!", hallte in Moryns verwirrtem Geist wider; für ein zweites Mal hatte der geschuppte Fallensteller keine Zeit mehr gehabt. Der kleine Drache Sniv teilte das schreckliche Schicksal seines Herren.
Urak! (Urak!!)
Moryn wendete sich ab und suchte in den Schatten des kreisrunden Raumes, in dem er sich nun befand, die anderen: Yevelda, Gunnloda und Silaqui. Der Gelehrte entdeckte keine seiner Begleiterinnen, gleichwohl löste sich der Schatten von der Turmwand und glitt wie ein Rochen am Meeresgrund durch den Raum auf ihn zu! Er duckte sich, und sah sich um. Der Schemen hatte sich auf der Treppe, die an der Turminnenseite empor führte, zu einem schwarz-weißen Mantel materialisiert, welcher nun Gunnloda fest umschlungen hielt. Die Zwergin vermochte sich nicht aus der Umklammerung zu befreien. Dann drückte der Schwanz des Mantlers das umschlungene Paar von den Steinstufen und die Söldnerin kippte mit dem alptraumhaften Monster in die Tiefe; wo sie beide sogleich von schwarzer Finsternis verschluckt wurden.
Langsam richtete sich Moryn auf. Vorsichtig ging er auf die Treppe zu, doch darunter befand sich weder ein Abgrund, noch Gunnloda oder ein Mantler, sondern nur düstere Schatten.
* * * * *
Wieder wurde Auraeus von einem knisternden, dunkelroten Strahl getroffen. Sein Gegenüber schleuderte Zauber um Zauber gegen den Drachenkönig, der aber noch hinter seiner eigenen Magie geschützt blieb. Der feindliche Zauberwirker hatte rote Haut, langes schwarzes Haar und eine breite, platte Nase sowie spitz zulaufende Ohren. Er trug purpurfarbene Roben und war von stattlichem Wuchs, etwas größer sogar als seine besten Ritter: ein Hob'Goblin.
Links und rechts des Gerobten schlüpften weitere, schattenhafte Attentäter in den Thronsaal. Sie besaßen eine Statur, die durchaus mit der ihres Anführers vergleichbar war, doch ihr Antlitz blieb unter eisernen Teufelsmasken verborgen.
"Ein Zerstörer, mit einer Handvoll Assassinen. Mehr hat der mächtige Zargun von Gal'Dur nicht zu bieten?", verhöhnte der Drachenkönig seine Angreifer.
"Ich bin kein Zerstörer. Ich bin ein Vernichter!", lautete die knappe, kühle Antwort des gerobten Goblins. Dann zuckte ein gelber Blitz aus dem eisernen Ende seines Steckens. Eine blaue Sphäre glühte um den Monarchen auf und zersprang. "Der Zargun hat hiermit nichts zu tun. Wir dienen einem anderen, einem so viel höheren Herren!", erklärte der Vernichter.
* * * * *
Moryn erhielt einen heftigen Schlag gegen seine rechte Körperhälfte, als hätte ihn ein Hügelriese mit seiner Baumstammkeule getroffen. Er befürchtete sogar eine verrenkte Schulter davongetragen zu haben. Da erhob sich plötzlich ein Hüne aus dem dunklen Kristall der Kavernen über dem Gelehrten. Dann vernahm er die klare Stimme von Silaqui, die versuchte den riesenhaften Golem zu sich zu locken. Die treffsicheren Pfeile der Halbelfin zischten durch die Luft und prallten harmlos an dem Kristallkonstrukt ab. Erst mit ihrer magischen Oniklinge konnte die königliche Heroldin seine Aufmerksamkeit gewinnen. Ungelenk stampfte der Golem auf sie zu, allerdings schien die Höhle ihre Form verändert zu haben, so dass Silaqui nicht weiter zurückweichen konnte. Schnell hatten die steinharten Fäuste des stummen Konstruktes ihr einen Arm, den halben Brustkorb und einen Fuß gebrochen. Verzweifelt schrie Moryns treue Gefährtin auf, bis ihr der Golem mit ein, zwei, drei weiteren Schlägen den Schädel zertrümmert hatte. Der Gelehrte war wie gelähmt; heute wie damals. Es war Yevelda die ihn unsanft aus seiner Starre riss und mit sich zerrte.
Silaqui von Rosenwinter
* * * * *
Die Magie des Drachenkönigs hatte den Vernichter ausgeschaltet, gleichwohl drangen nun neun Eiserne Schatten auf den alten Mann ein. "Für jede Hölle einer von euch Teufel!", fauchte Auraeus, bevor er sich drei der Angreifer mit einem Fächer aus goldenen Flammen entledigte. Ein Drittel der goblinoiden Kampfkünstler, die für ihre Disziplin und Körperbeherrschung berüchtigt waren, hatte er zwar mit einem einzigen Spruch besiegt, allerdings verstand Auraeus zu spät was der Vernichter in ihrem Zauberduell eigentlich getan hatte. Der Hob'Goblin hatte ihn gar nicht ernsthaft attackiert! Er hatte vorwiegend seine Verteidigungszauber aufgehoben, damit die Klingen der Assassinen dem Drachenkönig überhaupt erst gefährlich werden konnten. Und das taten sie nun, denn die geschmeidigen Bewegungen der verbliebenen Männer und Frauen hinter den infernalen Eisenmasken waren vollkommen aufeinander abgestimmt; sie brandeten auf Auraeus ein wie die Wellen unter ihnen auf die Drachenküste.
* * * * *
Moryn folgte der Halborkin Yevelda tiefer in die Kristallkavernen von Mütterchen Nacht hinein. Sie suchte einen Ausweg; er versuchte seinen Verlust zu verkraften. Zusammen gelangten sie in eine finstere Höhle durch die ein kalter Wind heulte. Links des Eingangs befand sich ein hoher Spiegel mit silberner Fassung. Rechts der fliehenden Abenteurer saß ein nahezu gleich großer Runenstein in der funkelnden Höhlenwand.
Der Gelehrte kannte die Rune darauf aus einer Schlucht zwischen Burg Isenwaid und Balderks Brücke. Er hatte nie herausgefunden für was sie stand oder was sie bedeutete. Er wusste nur, dass er sie zerstören musste um seinen Freund Anskar zurück zu gewinnen.
Fest entschlossen umfasste Moryn seinen magischen Stecken mit beiden Händen. Die Mondsichel auf seiner Waffe begann grün zu leuchten und er holte aus. Als der Stecken den Runenstein traf, erstrahlte der Mond in einem gleißenden Licht und bannte die finstere Rune. Unmittelbar danach zerbrach auch der massive Stein, in den sie eingelassen war.
Wieder zog die Söldnerin an Moryns Robe. Sie deutete auf den Spiegel, der jedoch nicht die Reflektion der Höhle zeigte, sondern einen vollkommen anderen Raum.
* * * * *
Auraeus hatte versucht sich in einen ausgewachsenen Königsdrachen zu verwandeln, doch die Eisernen Teufel vermochten es offenbar seine Magie zu kontern. Also zerteilte der letzte Drachenkönig seinen Thronsaal mit einer goldenen Feuerwand. Er stand auf der einen Seite und die goblinoiden Attentäter auf der anderen.
* * * * *
Moryn starrte gebannt in den Raum jenseits des Spiegels. Er befand sich weder in einer natürlichen Höhle, noch bestanden seine Begrenzungen aus Kristall. Die sichtbaren Wände waren aus regelmäßigen Steinblöcken gemauert und die unsichtbare Decke wurde offenbar von mächtigen Steinsäulen getragen. Was den Gelehrten jedoch fesselte, war der Anblick der zwei Steinstatuen, zwischen den Mauern und Säulen; denn es waren ein Ritter und sein Knappe, Saer Anskar Fengrin und Litrix Blutzahn.
Moryn warf seinen zerschlissenen Umhang über den Spiegel und befehligte gehetzt seine Söldnerin: "Los! Pack mit an!"
Dann flüchteten sie weiter. Aus den alptraumhaften Kavernen. Und aus dem Pilzwald. Zurück nach Sternenwasser. In den Palast von König Unugh. Der Gelehrte hatte keine klare Erinnerung, wie es den beiden gelungen war den magischen Spiegel aus den Höhlen bis in den Thronsaal des Pilzkönigs zu schleppen, aber er sah nun ganz deutlich die freundlichen Gesichter von Elafir und Tara vor sich.
Elafir von Camran
Tana Turen
* * * * *
Der Drachenkönig glitt auf den goldenen Schwingen seiner drakonischen Urahnen hoch über die Köpfe seiner Feinde hinweg. Seine kostbaren Brokatgewänder hingen nur noch in Fetzen auf seinem Rücken, aber er musste um jeden Preis dem Thronsaal und der tödlichen Überzahl entkommen!
Auraeus steuerte auf eines der gigantischen Fenster aus gefärbtem Glas zu. Kurz bevor er das Kunstwerk mit dem Bildnis von Solani erreicht hatte, ließ sich einer der Assassinen aus den Schatten des Spitzbogengewölbes fallen. Der Hob'Goblin landete unsanft auf dem Drachenkönig und stach sogleich, blitzschnell abwechselnd, mit seinen beiden Dolchen auf ihn ein. Eine Lohe peinigender Schmerzen zwang Auraeus von seinem Kurs abzuweichen, so dass beide Männer gegen einen Steinpfeiler schlugen und wieder zu Boden stürzten.
* * * * *
Moryn vernahm die tiefe Stimme Yeveldas neben sich. Die Halborkin berichtete den Mykoniden und ihrem Hofstaat von den Ereignissen in den Kristallkavernen. Plötzlich fiel der Schatten des Pilzkönigs über den Gelehrten. Unugh überragte sogar die hochgewachsene Söldnerin um eine ganze Schwertlänge. Er stieß eine Sporenwolke aus und einer seiner Diener brachte eine grünblaue Kristallphiole in den Thronsaal. Der mykonide Monarch übergab das Zauberelixir feierlich an den Gelehrten. Voller Freude nahm Moryn den Schlüssel zu Saer Anskars steinernem Gefängnis entgegen. Urak, Gunnloda und Silaqui waren nicht umsonst gestorben!
Energetisiert bewegte sich der Druide mit langen Schritten zu dem verhüllten Spiegel aus der Kammer in der er den Runenstein zerstört hatte. Schwungvoll zog er den Umhang von dem magischen Gegenstand und zeigte auf die versteinerten Helden darin.
"Wer begleitet uns in den Spiegel?", fragte er mit unerwartet fester Stimme.
* * * * *
Die Fratzen eiserner Teufel umgaben den gefallenen Drachenkönig. Gnadenlos drangen sie von allen Seiten auf den verwundeten Auraeus ein. Dennoch gelang es dem Herrscher von Eralion mit Hilfe seiner angeborenen Magie, in einiger Entfernung wieder auf die Füße zu kommen.
Die blanken Klingen der Assassinen funkelten Auraeus bedrohlich an. Sie reflektierten das spärliche Mondlicht, das blau, grün und rot in den Thronsaal fiel.
Plötzlich sirrte ein Dutzend Wurfsterne auf den Drachenkönig zu. Er beschwor einen arkanen Schild zwischen sich und die Wurfgeschosse, dann waren die Eisernen Schatten wieder in Nahkampfreichweite.
* * * * *
Die telepathische Verbindung durch die Pilzsporen der Mykoniden sorgte für einen enormen Aufruhr in den Gedanken des versammelten Hofstaates von Sternenwasser und seiner Gäste. Es schälten sich drei Abenteurer aus der Menge unterhalb von König Unughs Thron: Elafir von Camran, Tana Turen und das Pilzwesen Phurnum Phushmug.
Zu fünft waren sie schließlich durch den Spiegel, in den geheimnisvollen Raum mit den versteinerten Helden, gestiegen.
Moryn fand sich jedoch zunächst in der kargen Turmkammer vor seiner Sternkarte wieder. Nun versuchte er aber bewusst sich an die Geschehnisse zwischen den mächtigen Steinsäulen zu erinnern. Seine verwahrlosten Hände fuhren suchend von Stern zu Stern.
Unvermittelt wurde er von einem stinkenden Maul mit übergroßen Eckzähnen angebrüllt. Es war der faulige Atem eines dreiarmigen Riesen mit grünlicher Haut, der ihm kurz darauf ins Gesicht schlug. Der Gelehrte erkannte einen Athach in seinem Angreifer, der ihn mit dem dürren Arm aus der Mitte seines Oberkörpers gepackt hatte, während er wild auf Tana eindrosch.
Wo waren Elafir, Yevelda und Phurnum?
Moryn fand sie am Spiegel. Sie waren damit beschäftigt den versteinerten Echsenmann Litrix durch den magischen Gegenstand in den Thronsaal von Unugh II. zu heben. So verschwanden gerade der Mensch und der Mykonid in dem eigenartigen Portal.
Angsterfüllt rief der gebeutelte Gelehrte nach der Söldnerin, die den Steinknappen auf der anderen Seite absetzte und ihrem Dienstherren zu Hilfe eilte. Die Attacken des Athach galten nun den beiden Kriegerinnen, Yevelda und Tana. Unterdessen konnte sich Moryn mit einem grünen Feuerzauber aus dem Griff des Monsters befreien.
Er kroch zu seinem Freund, dem versteinerten Saer Anskar. Dort angekommen durchkramte der Druide seine Gürteltasche. Seine Finger suchten die Kristallphiole mit dem Gegenmittel, fanden allerdings einen anderen Edelstein. Er war eiskalt. Mit viel Wohlwollen besaß er die Form eines Herzens. Moryn erinnerte sich; er hatte ihn in einer verschlossenen Truhe von Mütterchen Nacht gefunden.
Nun lag er wieder in seiner Hand. Und sogleich vernahm er auch wieder die abscheuliche, heißere Stimme der schwarzen Vettel, die den Gelehrten seitdem schon so oft in seinen Träumen heimgesucht hatte:
"Fällt der Goldene Hirsch,
Bricht die Zeit der Wölfe an,
Picken Raben am Fleisch ihrer Opfer,
Erheben sich die Toten zu unheiligem Leben,
Folgen Spinnen jener Armee der Finsternis,
Brennt eine Schwarze Sonne am Himmel,
So kehrt der eine Dämonenfürst zurück."
Es war jedoch kein gottgleiches Scheusal das unter seinen Begleiterinnen wütete, sondern der Athach. Der dreiarmige Riese hatte mittlerweile die Gnomin hinter eine Säule, in den Fernkampf verscheucht und schlug nun wie ein Besessener auf Yevelda ein. Die Halborkin versuchte nur noch sich mit ihrer Großaxt zu verteidigen, aber die Kräfte des Athach waren überwältigend. Dann entwaffnete der Riese die Söldnerin mit seiner Baumstammkeule. Einen Augenblick später hatte er sie ergriffen und riss ihren muskulösen Körper entzwei.
* * * * *
Eine Zeit lang hatte sich Auraeus in schützende Flammen gehüllt, doch er konnte den Feuerzauber nicht länger aufrechterhalten.
Sogleich schnitten die ersten Klingen schmerzhaft in die ungeschützten Unterarme des Drachenkönigs. Im Zurückweichen tötete er zwei weitere Attentäter mit goldenen magischen Geschossen, gleichwohl blieben es einfach zu viele Gegner für den verletzten Monarchen.
* * * * *
Im Kopf des Gelehrten hallte noch das schrille Gelächter von Mütterchen Nacht wider, als Tana sich an seiner Gürteltasche zu schaffen machte. Triumphierend zog die Gnomin das Gegenmittel aus dem magischen Behälter und kletterte über Moryn auf den Steinritter. Noch bevor sie mit der Kristallphiole am Kopf von Saer Anskar angekommen war, traf die Baumstammkeule des Athach den Versteinerten.
* * * * *
Auraeus hatte seine lichtspendende Feuerwand längst aufgegeben. So hatten sich wieder tiefe Schatten des Thronsaals bemächtigt. Es war jene Finsternis aus der nun völlig unerwartet ein Assassine sprang und einen Dolch mit der Energie des übernatürlichen Ansturms in seinem Rücken vergrub.
* * * * *
Der Schild von Saer Anskar brach, der Körper des versteinerten Ritters blieb jedoch unversehrt. Tana war von dem mächtigen Hieb des Riesen zu Boden geschleudert worden. Moryn war allerdings geistesgegenwärtig genug gewesen die Kristallphiole aufzufangen und sie über dem Kopf seines Freundes zu entleeren.
Wie eine schnöde Sandkruste wurde die Versteinerung von Saer Anskar gewaschen. Er stand nun wieder, wie damals am Ufer des unterirdischen Sees, an dem der verhängnisvolle Kampf gegen den Hydralisken stattgefunden hatte, in nassem Untergewand da.
Tana rappelte sich auf und begann lautstark ihre Gefährten zur Flucht aufzufordern, während sie selbst schon auf den Spiegel zurannte.
Der Athach war verwirrt. Er griff nahezu fragend mit seinem dritten Arm nach der Kehle des Paladins. Saer Anskar stach ihm mit dem Schwert aber durch die grünbraune Handfläche und ließ den ungewöhnlichen Riesen somit ohrenbetäubend aufbrüllen.
Daraufhin liefen Ritter und Gelehrter der Gnomin hinterher. Sie sprangen nacheinander durch den Spiegel und wirbelten herum. Der Athach war ihnen unter Einsatz seiner drei kräftigen Arme gefolgt und war kurz davor das Portal zu erreichen.
Moryn zerschlug mit der grün leuchtenden Mondsichel an seinem magischen Stecken den Spiegel, konnte danach jedoch nur noch den abgetrennten Holzschaft aus dem splitternden Torweg ziehen.
* * * * *
Der Körper des Königs erschlaffte augenblicklich. Weit entfernt hörte er noch das Flüstern seines Mörders:
"Eine Klinge aus Nachtstein hat dir das Leben genommen, alter Mann. Deine Seele ist somit in Gehenna gefangen und dein kümmerlicher Körper kann nicht mehr auferstehen. Das Zeitalter Bahamuts auf Avalon ist zu Ende."
Dann umfing ihn vollkommene Dunkelheit. Und das goldene Leuchten in den mandelförmigen Augen des letzten Drachenkönigs erstarb mit ihm.
* * * * *
Das Sternbild des Druiden erstrahlte in weißem Licht, und jeglicher Wahnsinn fiel auf der Stelle von ihm ab. Zum ersten Mal seit langer Zeit, erhob sich der Gelehrte bei wirklich klarem Verstand, in seinem kargen Turmzimmer auf Burg Isenwaid. Da erinnerte sich Moryn wieder an alles. Wie er mit seinem Freund Anskar und dem jungen Elafir über die unzähligen Stufen der Grünen Treppe aus dem Unterreich emporgestiegen war. Wie er inmitten von Slagirs Steinkreis Gilwenys, die verbitterte Gefährtin vom verstorbenen Großdruiden, getroffen hatte. Wie er von dem befreundeten Paladin in die Burg seiner Ahnen gebracht worden war, wo sie der treue Saer Berthil bereits mit dem Schatz des Drachen Schwefelschwinge erwartet hatte. Und wie sich die beiden Ritter um ihn gekümmert hatten. Diese Zeit der Sorgen sollte nun vorüber sein.
Moryn ging auf sein strahlendes Sternbild zu. Manche der weißen Sterne vor ihm leuchteten stärker als andere. Jene Lichtpunkte bildeten außerdem den Kopf eines Hirschen mit prächtigem Geweih. Es handelte sich um das Haupt eines Kronenzehners, dem königlichen Wappen von Eralion. Plötzlich erloschen die hellen Sterne jedoch und hinterließen winzige, schwarze Brandflecken an der Mauer, während die anderen Himmelskörper sanft weiterglühten.
"Fällt der Goldene Hirsch,
Bricht die Zeit der Wölfe an...", wiederholte Moryn die verhassten Worte von Mütterchen Nacht.