Autor Thema: [AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea  (Gelesen 23759 mal)

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Offline Jenseher

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Sitzung 95 - Feste Blutsteinzitadelle
« Antwort #100 am: 14.01.2024 | 09:47 »
Das Dunkelbraan, das ich an den Ständen der Händler getrunken hatte, war mir in den Kopf gestiegen, was den Weg bergab nicht leichter machte. Wir rutschten durch den giftigen Schlamm herab. Wenn wir in einer der leicht ätzenden Pfützen Halt fanden, spritzte der Dreck in alle Richtungen. Die Luft brannte auf der Haut. Es fühlte sich an, als wenn der Nebel und der Rauch einem die Haut vom Schädel abfressen würden. Und allgegenwärtig das Glühen der Dunkelfeuer über den Zinnen dieser Stadt und das immerwährende Hämmern irgendwelcher Schmieden, Essen und Gießereien. Diese Kreaturen kannten nichts als Arbeit. Sie lebten für ihre Arbeit und sie würden einst sterben für ihre Arbeit.

Unter der bebauten Brücke, welche die beiden Gebäudeteile verband, standen einige Tische, getrennt von dem giftigen Bach der aus den Minenschächten floss. Dreckige und grimmige Duergar saßen an den Tischen und erzählten lachend ihre Geschichten - was sie alles im Innern des Berges erlebt hatten. Ihre Gesichter waren schwarz gefärbt von Kohle und Schlamm. Dazwischen huschten die abgemagerten Gestalten der Svirfneblin Sklavenmädchen. Ihre bernsteinfarbenen Augen blickten unterwürfig gesenkt, während sie mit geschickten Händen Humpen und Schalen auf die Tische stellten. Als wir uns näherten flauten die Gespräche ab. Was kein Wunder war, schließlich boten alleine Bargh und Lyrismar eine eindrucksvolle Erscheinung. Beide riesengroß im Vergleich zu diesen Kreaturen. Barghs Rüstung aus Stahl und Mithril schimmerte in dem unwirklichen Licht der Dunkelfeuer. Und Lyrismar, mit seiner schwarz verbrannten Haut, machte nicht weniger Eindruck. Sein merkwürdig nach hinten gezogener Schädel gab ihm etwas Unmenschliches, wie von einer anderen Welt.

Während wir uns an einen freien Tisch setzten konnte ich die Blicke der Duergar in meinem Rücken spüren. Als sie Halbohr sahen, ging von der anderen Seite des Baches ein Gelächter aus. Einer zeigte auf das eine Ohr von Halbohr, was noch nicht von dem Brand Jiarliraes berührt wurde. Ich konnte nicht alles verstehen, aber einige Worte waren eindeutig: „… sie furzen Blätter …“, „… einer von denen, die es mit Bäumen treiben …“, „… diese Sonnenblüter …“. Ich fing an zu kichern und Bargh grinste Halbohr offen an. Er fand es wohl nicht ganz so lustig. Seine Miene blickte finster drein und seine Hand ging wie von selbst zum Griff seines Einhorndolches. Ich meinte sogar so etwas wie Blutdurst in seinem Blick zu sehen. Halbohr hatte einfach keinen Sinn für Spaß.

Nach kurzer Zeit hatten wir auch endlich die Aufmerksamkeit des Wirtes, Ryandor Snurgel, gewonnen. Dieser bewegte seinen dicken Bauch in unsere Richtung. Sein weißes Haar war schon etwas schütter geworden. Auf der rechten Seite seines Kiefers fehlten fast alle Zähne, was ihm ein schiefes Lächeln einbrachte. Ein Lächeln, das so falsch war, wie es wohl jedem Händler zu eigen, der seine Überzeugung gegen bare Münze tauschte. „Willkommen Reichsfremde in meinem schönem Lokal Orunbrunn. Ihr wollt bestimmt mein Bier trinken, das beste Bier von ganz Urrungfaust. Kostet nur acht Silberstücke!“ Vom Tisch nebenan murmelte ein Duergar erstaunt, ob er denn seine Preise erhöht hätte. Doch der Nachtzwerg neben ihm verstand es etwas schneller. Ein kurzer Stoß mit dem Ellbogen und er konnte das Thema ändern. Bargh konnte es auch hören und verschluckte sich an seinem Bier als er auflachen musste. Auch Halbohr hatte es gehört, grinste den Wirt aber nur an. Als er seine Preise für ein Zimmer nannte, wurde sein Grinsen zu einem erstaunten Blick. Fünf Goldstücke wollte er haben für nur eine Nacht. Offenbar war neben harter Arbeit auch der Wucher eine Tugend von ihnen. Halb im Scherz, halb aufgebracht, fragte Halbohr ihn ob das sicher für eine Nacht wäre oder für einen Monat. Doch wir konnten froh sein, überhaupt eine Unterkunft zu finden. Fremde werden in Urrungfaust ganz offensichtlich nicht gerne gesehen, geschweige denn Fremde mit spitzen Ohren. Ryandor erzählte uns, wie er in irgendeiner von ihren Schlachten gekämpft hatte und, so wie er sagte, unzählige von Elfen getötet hatte. Ganz offenbar Dunkelelfen, aber für Ryandor waren sie wohl alle ein und das gleiche. Dabei verstand ich immer noch nicht, was daran so besonders war. Auch ich habe schon Dunkelelfen in Kämpfen getötet. Sie schienen mir aber nicht so besonders, wie die Duergar immer taten. Aber gut, sie sind auch alle ziemlich klein. Dem Wirt versuchte ich das zu erklären, und auch, dass ich kein Junge und auch kein Mädchen bin. Ich bin eine Dienerin des Feuers, kein kleines Kind. Bargh legte eine funkelnde Platin Münze auf den Tisch, für unsere Zimmer und noch ein Bier für uns beide. Als es kam stießen wir unsere Humpen gegeneinander. Das Bier war nicht so stark wie das Dunkelbraan, aber es schmeckte dennoch sehr gut. Einem Duergar zwei Tische weiter gefiel es jedoch offenbar gar nicht, dass Fremde hier auch Spaß haben konnten. Er schlug mit seinem Humpen auf den Tisch und sprang auf. In seinen matt-blauen Augen funkelten Hass und die Lust auf einen Kampf. Ich freute mich schon darauf zu erfahren, was Bargh wohl mit so einem Herausforderer alles machen würde, doch leider kam es nicht so weit. Ein anderer Duergar zog ihn wieder runter und beruhigte ihn. Aber Halbohr konnte er damit offenbar beeindrucken, denn der Feigling wollte jetzt nur noch schnell auf die Zimmer. Er sagte zu Lyrismar, dass die Vernunft ihm das ein oder andere Mal schon das Leben gerettet hatte. Als Bargh das hörte, musste er laut auflachen. Neire hatte ihm etwas anderes erzählt und ja, es stimmte auch, dass entweder Neire, Bargh oder ich selbst es waren, die ihm das Leben gerettet haben. Wir waren es, nicht seine Vernunft. Man konnte sehen, dass es in Halbohr brodelte, doch auch jetzt wollte er lieber still und heimlich bleiben. Ryandor führte uns auf unsere Zimmer. Der Weg durch das Gebäude, die Treppen hoch und auf den Brückenbau kam mir ewig vor. In meinem Kopf drehte sich alles, ich musste mich dringend hinlegen. Das Bier war wohl doch stärker gewesen, als es den Anschein gehabt hatte. Vielleicht hatte dieser gemeine Wicht auch etwas Anderes hineingetan. Von solch niederen Kreaturen kann man alles erwarten.

Als wir am nächsten Morgen - falls man das überhaupt Morgen nennen kann in dieser Stadt - unser fettiges Frühstück vorgesetzt bekamen, machte sich mein Magen bemerkbar. Dieses bohnenartige Gewächs, was in einer dicken braunen Tunke schwamm, würde ich bestimmt nicht hinunterwürgen. Noch in der Nacht hatten wir beschlossen zum Klingenmarkt aufzubrechen. Das war als Ziel genauso gut wie jedes andere und man könnte dort Sklaven bekommen. Diese Rasse von Ortnor war gut darin, Tunnel und ganze Städte unterhalb der Erde zu bauen, die auch geheim bleiben konnten. Genau das richtige, um unserer Herrin den Weg in unsere Welt zu bereiten. Plötzlich polterte ein Duergarjunge in den Raum hinein. Verlegen, vielleicht auch etwas ängstlich hielt er ein versiegeltes Schriftstück in den Händen. Zumindest in einer Hand, die andere Hand streckte er fordernd nach vorne. Erstmal nachdem er gierig einige Münzen von Halbohr eingesteckt hatte, gab er ihm das Dokument und ging wieder. Jedoch nicht ohne sich noch feige an der Türe umzudrehen und zu rufen: „Meine Mutter sagt, alle Elfen sind Bastarde und sollen verrecken.“ Doch bevor irgendjemand reagieren konnte, drehte er sich um und lief durch den schwarzen Schlamm hinfort.

Auf dem Siegel war das Wappen einer großen Spinne zu erkennen. Halbohr brach es und öffnete das Dokument: „Meister Halbohr, Ihr befindet euch in großer Gefahr. Aus diesem Grund bitte ich euch sofort aufzubrechen und euch in der Feste Blutsteinzitadelle zu melden. Dort werdet ihr alles Weitere erfahren. Gezeichnet: Grauwegur Nebelritter.“ Also gut, dann eben zum Palast. Diesen fand ich ohnehin interessanter als den Klingenmarkt. Allein schon die großen violetten Flammen, die auf den vier Türmen brannten, waren imposant. Auf dem Markt würde Halbohr nur reden und planen und handeln, während wir uns die Füße in den Bauch stehen müssten. Vielleicht war es im Schloss auch sauberer als hier.

So verließen wir das Gasthaus und die Zehnminenstadt, um wieder dem Strom der Passanten hinauf auf die Spitze dieser Insel zu folgen. War es in Zehnminenstadt noch verhältnismäßig ruhig, so stießen wir hier auf Mengen von Passanten. Händler fuhren mit ihren Wägen und peitschten ihre Sklaven, wenn diese nicht schneller spurten. Kinder spielten irgendein kompliziertes Fangspiel, während einige von ihnen Blut husteten. Die Straße führte immer höher und bescherte uns einen besseren Blick über die Stadt. Die tiefen Gebiete lagen unter einem schweren Dunst, doch konnte man die gedrungenen und bedrückenden Bauten durch ihre Dunkelfeuer deutlich erkennen. Irgendwo links, fast an der Küste konnte man ein großes rundes Gebäude sehen, vielleicht irgendeine Art von Arena. Und vor uns ragten schließlich die schwarzen Basaltmauern der Feste Blutsteinzitadelle auf. Der Hauptweg der Straße führte zwar um die Feste herum, doch weiter geradeaus ging es durch einen kolossalen Bogen in das Innere des Palastes. Zwei große geöffnete Tore aus schwarzem Eisen säumten den Bogen und überall waren Wachen. Sie waren auf dem Weg durch das Tor, auf den Mauern zwischen den Türmen und auch auf den Türmen selbst. Die Wachen trugen zwar unterschiedliche Wappen doch waren sie alle gut gerüstet. In den senkrechten Mauern konnten wir auch viele Ritter sehen, die auf ihren riesigen haarigen Spinnen ihre Wache abgingen. Einige trugen das Wappen der Stadtwache, das Kreuz auf Hämmern und darüber die Krone der Stadt. Andere trugen ein Wappen, auf dem drei silberne Picken abgebildet waren, die sternförmig vom Mittelpunkt weg zeigten. Lyrismar erkannte es als das Wappen der Armee von Urrungfaust. Auch ich erkannte es und hatte auch schon von der Armee gehört. Sie galt bei den Duergar als unbesiegbare Streitmacht, die aber auch nicht davon absah, gegen die eigene Rasse und die eigene Stadt Krieg zu führen. Ich erinnerte mich einmal davon gehört zu haben, dass es früher, neben diesem Witz eines Gottes mit dem Namen Laduguer auch andere gegeben hatte, die sich „Gott“ schimpften. Es gab Tiefenduerra und Diirinka. Erstere war wohl eine Tochter von Laduguer, zweiterer wurde von der Rasse der Derro angebetet. Die Derro waren den Duergar zwar ziemlich ähnlich, jedoch vermieden sie die harte Arbeit und zogen eher Verrat und Heimtücke vor. Der Legende nach schuf Diirinka die Derro nachdem er von anderen Göttern Magie gestohlen hatte. Seine Rasse, die Derro, wurde daraufhin mit Wahnsinn gestraft. Auch in Urrungfaust hatte es wohl einmal Derro unter den Einwohnern gegeben, doch vor einigen Jahrzehnten wurden sie aus der Stadt vertrieben oder sogar ausgerottet. Ich hatte gehört von einem gewaltigen Blutvergießen, einem heiligen Krieg, den die Dienerschaft der Laduguer Gläubigen gegen die Derro geführt hatte. Derro gab es jetzt keine mehr in Urrungfaust.

Als wir uns dem Portal näherten schritten uns schon zwei Wachen in glänzenden Feldharnischen entgegen. Keiner der Duergar erkannte Halbohr - zum Glück. Ich glaube nämlich langsam, dass ihm dieser Ruhm zu Kopfe steigt. Erst als er ihnen das Schriftstück mit dem Siegel zeigte, durften wir passieren. Hinter dem Tor öffnete sich uns eine andere Welt. Zwar waren die Mauern immer noch trist und grau, aber der ganze Hof war sauber und ordentlich. Kein giftiger Schlick, kein Müll. Selbst die Luft schien hier etwas besser zu sein. Als eine der Riesentaranteln ihr Geschäft erledigte, huschte direkt ein Sklave heran und fegte es weg. Selbst Rüstung und Waffen der Wachen waren sauberer und sahen viel wertvoller aus. Wir wurden zu einem großen Gebäude in der Mitte des Hofes geführt. Auch aus dem dunklen Basaltstein erbaut, besaß es ein spitz zulaufendes Dach aus Holz. Wobei es eigentlich kein Holz sein konnte. Ich habe hier noch nicht einen Baum gesehen. Es musste wohl aus dem Stamm eines Riesenpilzes sein, der hier unten wächst. Große Runenbänder schmückten den Eingang zu dem Gebäude. Wir wurden noch bis zum Anfang eines Säulenganges geführt, dann mussten wir warten. Die Wache die uns bis hierher begleitet hatte, entfernte sich mit den Worten, den Grauwegur Rittern Bescheid zu geben. Auch hier gab es einige Wachen, jedoch hatten sie keine Wappen auf ihren Rüstungen oder Schilden.

Schon nach kurzer Zeit kam unsere Eskorte in der Begleitung einer weiteren Gestalt zurück. Der Nachtzwerg war komplett eingehüllt in eine der feinsten Rüstungen, die ich je gesehen habe. Der Harnisch war aus dem besten Ne’ilurum gefertigt und die einzelnen Teile der Platten geschickt miteinander verbunden. Ein konischer Helm bedeckte den Kopf, nur ein Augenschlitz blieb offen und auf der Stirnpartie prangerte das Wappen einer schwarzen Tarantelspinne. Die Gestalt wies uns militärisch zackig an ihr zu folgen, was wohl Halbohr, aber auch Bargh, sehr vertraut zu sein schien. Er stellte sich als Nebelritter vor, also der Grauwegur Ritter, der uns den Brief geschickt hatte. Während er uns weiterführte, begann er verschiedene Regeln aufzuzählen, wo Halbohr bestimmt begierig zuhörte. Ich selbst fand die ausgestellten Rüstungen wesentlich interessanter, an denen er uns gerade vorbeiführte. Ich sah keinen Duergar oder sonstige Wesen in den Rüstungen, aber dennoch war es, als ob sie mich hinter den leeren Augenöffnungen anstarren würden. Mehr im Hintergrund hörte ich, wie Nebelritter die Regeln für ein Treffen mit dem König erklärte. Wir durften den Ring von Grauwegur Rittern nicht betreten, sonst würden sie uns töten. Aber wir mussten unsere Waffen nicht abgeben und noch nicht einmal uns vor dem König verbeugen, wenn wir es nicht wollten. Ein merkwürdiges Volk, aber der Versuch diese Sitten zu verstehen würde sich vermutlich nicht lohnen. Sie würden sich vor Jiarlirae verbeugen, allesamt, und damit auch vor mir. Dann spielt es keine Rolle mehr, was sie wollen und was nicht.

Nebelritter führte uns zu einer großen Türe, die von Innen aufgezogen wurde. Dahinter eröffnete sich uns ein pompöses Gemach, ein großer Saal mit Säulen aus wertvollem Basalt. Fresken aus Alabaster zierten die Wölbungen und überall waren Vertiefungen mit gewaltigen funkelnden Edelsteinen. Doch trotz allen Prunkes: Die Formen die gezeigt wurden, die Fresken, die Säulen, alles war irgendwie gradlinig und nüchtern. Die Architekten und Künstler kamen nicht auf die Idee wirklich kreativ zu werden oder verspielte Ideen mit einfließen zu lassen.

Am Ende des Saals stand ein unverzierter Thron aus Basalt, der umringt wurde von vier weiteren Rittern, die ähnliche Rüstungen trugen wie Nebelritter. Es mussten dann also die anderen Grauwegur Ritter sein. Sie beschützten ihren König, Granryk von Werunstein. Der König sah müde aus, denn dunkle Augenringe lagen auf seiner fahlen Haut. Von den blauen Venen im Gesicht waren einige schon aufgeplatzt und unter seiner Rüstung drückten die Ansätze eines dicken Bauches. Das schüttere Haar wurde geschmückt von einer Krone, die aus wertvollen Feueropalen gefertigt war. Ich erinnerte mich an alte Legenden, dass er die Krone selbst aus einem Schatz der Dunkelelfen mitgenommen hatte. Zuvor sollte er ihre vorherigen Besitzer getötet haben. Es musste vor einer langen Zeit gewesen sein; vor vielen Jahren, als Granryk noch jung war. Auch die Kriegspicke, die er gerade verzückt streichelte, erkannte ich wieder. Die Waffe aus Mithril hatte sich in einer der vielen Gefechte den Namen Dunkelelfenschlächter verdient. Angeblich sei diese Waffe in der Lage, jeden Dunkelelfen mit einem Schlag niederzustrecken. Seit tausenden von Jahren tauchen immer wieder Geschichten von dieser Waffe auf und irgendwie hatte dieser König es geschafft, sie in seine Finger zu bekommen.

Halbohr begrüßte den König knapp und auch wir anderen neigten unsere Köpfe zum Gruß. Auf das Knie ließ sich keiner fallen. Dieser König war gut informiert. Er wusste über den Tempel des Jensehers und über die Machtübernahme von Germin Dunkeldorn durch das Recht des Zweikampfes. Auch war er nicht dumm. Ihm war sehr wohl bewusst, dass auch Urrungfaust das Ne’ilurum braucht was in Unterirrling abgebaut wird. Doch war er sich der Zukunft nicht so sicher wie Halbohr. Germin würde sich nicht lange halten können, wenn nichts unternommen werden würde. „Wir sind voneinander abhängig“, sprach der König. „Wir benötigen das Ne’ilurum aus Unterirrling und wir benötigen den Extrakt der Düsterheitpilze, den wir hier verkaufen. Aber es gibt Fanatiker, wie die Priester des Laduguer, die sich für schlechten militärischen Rat bezahlen lassen. Sie stellen sich als die einzigen Behüter der Duergar dar. Ich habe nach Runin’ore’Waere geschickt, um mir von ihm berichten zu lassen. Daraufhin wurde er ermordet. Der Tempel ist mächtig. Mächtig genug, um die Macht in Urrungfaust an sich zu reißen. Doch es würde in einem Gemetzel enden, was selbst die Priester sich nicht leisten können. Daher versuchen sie es heimlich zu machen. Seit Jahrhunderten gibt es zwei alte heilige Bräuche unserer Rasse: Zum einen der Kampf Mann gegen Mann, um Recht zu sprechen. Zum andern die Opferung von Missgeburten an die alten Götter, wobei es in Urrungfaust ja nur noch Laduguer gibt. Die schwachsinnigen Kinder der Duergar wurden seit jeher gesammelt, um sie dem dunklen Gott zu opfern. Es war unser alter Brauch, das Schwache und das, was abseits des Althergebrachten war, in unserer Rasse auszumerzen. Doch seit einiger Zeit gibt es keine dieser Kinder mehr. Sie wurden nach ihrer Geburt in Gefängnisse gebracht, doch von dort wurden sie geraubt. Man sagt ich hätte dies befohlen.“ Der König erhob sich von seinem Thron und ging einige Schritte auf uns zu. Trotz seines Alters bewegte er sich sehr elegant. „Doch ich sage euch, sie lügen. Sie versuchen meinen Ruf, meine Ehre als König zu zerstören. Sie sagen mir schlechte Dinge nach. Deswegen frage ich euch Halbohr. Es könnte eine gute Zukunft für Urrungfaust, Unterirrling und den Tempel des Jensehers geben. Handel, Reichtum und Ehre werden auf uns warten. Doch seid ihr bereit alles dafür einzusetzen?“ Halbohrs Antwort brauchte nicht lange, dann sprach der der grimme Elf mit dem verbrannten Ohr: „Wer nicht alles einsetzt, kann nicht alles gewinnen.“

„Hört gut zu. Ihr seid in der Stadt entdeckt worden, doch es ist nicht bekannt, dass ihr in meinen Palast gekommen seid. Der Junge der euch mein Papier gegeben hat, wird dabei kein Problem sein. Der Tempel Glammringsfaust liegt im Norden der Stadt. Doch es ist nicht nur ein Tempel, sondern eine Festung. Seit Jahrhunderten bilden die Priester von Laduguer Anhänger in der Kunst der Kriegstaktiken aus. Sie konnten in der langen Zeit die Verteidigung des Tempels perfektionieren. Es gibt eine Möglichkeit die Macht des Tempels zu brechen. Ihr müsst den Abt des Tempels töten, den Erzgraf von Düstergrau. Ihn und seine drei Schreckensritter, Hornbald den Grausamen, Laargyr den Dunklen und Daurgonn den Grauen. Das ist aber noch nicht alles. Einer der drei Türme ist über eine Brücke mit dem Moorund Stein verbunden, einer der beiden großen Tropfsteinzapfen in Urrungfaust. Dort befindet sich das Herz des Tempels und dort befinden sich auch die Antworten - warum der Tempel gegen mich vorgeht und keine Verhandlung möglich ist. Die Verteidigung des Tempels ist gut, doch er ist nicht uneinnehmbar. Die direkteste Möglichkeit wäre ein frontaler Angriff, das wäre jedoch einem Selbstmord gleich. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Ihr an einer der Zeremonien für die Bevölkerung teilnehmt. Doch ihr müsstet euch als einer der Unseren ausgeben, was so gut wie unmöglich ist. Die Priester des Tempels schaffen es, Verkleidungen und selbst Trugbilder schwarzer Kunst zu durchblicken. Eine dritte Möglichkeit, vielleicht die Beste, wäre Folgende: In dem Keller meiner Feste habe ich Meister der Alchemie beschäftigt, mit dem Brauen von Elmsflammwein. Diese Flüssigkeit brennt lange und heiß. Wenn man sie in höheren Konzentrationen entzündet, schafft sie ein Inferno, das selbst die Mauern des Tempels zum Schmelzen bringen kann. In dem Chaos, was sich dann ausbreitet, könntet ihr es schaffen, unbemerkt in den Tempel einzudringen.“

In meinen Gedanken breitete sich eine wohlige Wärme aus. Der zufällige Blick von Bargh zeigte, dass man es mir sogar ein bisschen ansehen konnte. Die Bilder von brennendem Mörtel und glühenden Metall blitzen in meinem Geist auf. Das Geräusch von berstendem Stein klingelte in meinen Ohren, als die Erinnerung an den Tempel der Ehre emporkamen. Wie wenig ich damals doch wusste und wie viel ich jetzt verstand. Wenn wir Erfolg hätten, versprach der König uns in seine Schatzkammer zu lassen. Er sagte, dass er dort mächtige Gegenstände, mit der Magie der Dinge, lagerten. Er erzählte uns von der nachtzwergischen Kunst dieser Magie, welche die unsichtbaren Strömungen in Edelsteine bannte. Das Versprechen nach Schätzen, egal ob Gold oder nachtzwergischer Magie, verblasste in Anbetracht unserer kommenden Taten. Ich würde ein weiteres Mal das ausbrennen, was diese Welt besudelt.

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Sitzung 96 - Sturm auf den Tempel
« Antwort #101 am: 20.01.2024 | 23:46 »
Dieser Elmsflammwein war ein wunderbares Gebräu, viel besser als das, was die Priester vor Dreistadt lagerten. Nicht nur, dass es eine gehörige Explosion geben würde. Es würde auch danach noch weiterbrennen. Die armen Wichte, die nicht schnell genug in Deckung gehen oder einfach nur Pech haben würden. Sie werden die wahre Umarmung unserer Herrin empfangen und entweder frohlocken oder jämmerlich zugrunde gehen.

Nach zwei Tagen, in denen uns die alchemistischen Meister des Königs von Urrungfaust in den Geheimnissen des Elmsflammwein unterwiesen hatten, kam Grauwegur Nebelritter zu uns und sagte uns, dass alle Vorbereitungen abgeschlossen wären. Ein älteres Exemplar dieser Duergar, Skrugnar, holte uns ab und führte uns wieder aus dem Palast heraus. In den wenigen Tagen, die wir hier verbracht haben, hatte ich schon fast den widerlichen Gestank der verpesteten Luft vergessen. Doch schon bald, als wir die Straße auf der gegenüberliegenden Seite der Feste Blutsteinzitadelle wieder herabgingen, musste ich husten. Die Schlote der Stadt, mit ihren von Dunkelfeuer umhüllten Zinnen, stießen unablässig ihren beißenden Qualm in die Höhe.

Skrugnar führte uns auf einer breiten Prunkstraße, wenn man sie denn so nennen konnte. Denn auch diese Straße war langweilig. Zwar breit, jedoch ohne irgendwelche interessanten Spielereien, die so mancher Architekt in der richtigen Welt über uns hätte bauen lassen. Wir hatten uns dreckige und stinkende Laken übergeworfen. Es sollte wohl so aussehen, als ob wir zu einem Sklavenvolk gehören würden. Das war bestimmt Halbohrs Idee, der wohl wieder seine Freude daran hatte, dass ich wieder das kleine Sklavenmädchen spielen würde. Einer seiner Pläne, der ohnehin nicht aufgehen würde.

Die Straße führte über einen großen Markt, wo wir schon von weither die Rufe der Händler hören konnten. Tatsächlich wurde hier alles feilgeboten, was man sich vorstellen konnte. Sicherlich auch bessere Arbeiter für den Tunnel, den wir aus dem Tempel des Jensehers unter der Irrlingsspitze planten. Je weiter wir bergab gingen, desto nobler wurden auch die Gebäude. Zwar immer noch in Grau- und Dunkeltönen, doch konnte man hier und dort auch Erker und Säulen sehen, die so gar nicht in das übrige Bild der Stadt passten. Bestimmt irgendwelche „Andenken“ vergangener Raubzüge. Allerdings wurde auch der Gestank beißender, je tiefer wir kamen. Dieser Gestank kam nicht nur von den Essen, sondern eindeutig auch vom Arbolbaarer See. Die Straße führte schließlich zu einem gewaltigen Bollwerk. Es schien, als ob drei große Türme direkt aus den giftigen Fluten auftauchten, die mit einer großen Wehrmauer und anliegendem-innerem, massivem Gebäude verbunden waren. Überall in der Mauer waren Gatter, die ins Dunkle des Tempels führten. Ich sah auch jene Spinnenreiter, von denen uns bereits erzählt wurde. Auf den Mauern patrouillierten sie und kletterten selbst die senkrecht emporragende Mauer hinauf. Die Körper der Spinnen waren mit stählernen Platten gepanzert und grimmig saßen die Reiter in ihren Sätteln. Hinter dem letzten der drei Türme ragte der gigantische Tropfstein aus den Wassern des Sees auf und verschwand irgendwo im Dunkeln dieser Höhle. Dieser Tempel war wahrlich eine Festung, doch Stein kann Feuer nicht widerstehen. Auch Laduguer würde das bald schon erkennen.

Skrugnar führte uns an den Mauern vorbei zu einem verlassen aussehenden Haus, neben einem der Türme. Er zückte einen Schlüssel und wir schlüpften schnell hinein. Zwar waren wir bis zum Tempel in einem Strom von Passanten und Händlern gegangen, doch hier, etwas abseits, konnten wir einen unbeobachteten Moment abpassen. Skrugnar übergab uns noch den Schlüssel und verschwand dann wieder. Das Innere dieses Hauses sah so aus, als ob hier immer mal wieder jemand nur für kurze Zeit blieb. Schlicht und nichts beinhaltend, was gegen Langeweile helfen würde. Was schade war, denn wieder konnten wir nichts anderes tun als zu warten. Ich gab Lyrismar die Robe aus der Haut der Höllenhunde, die ich bei den Feuerriesen gefunden hatte. Sie würde ihn gegen das Feuer des Elmsflammwein schützen. Während er sie anzog, starrte ich wieder fasziniert auf seine, bis zu Kohlen verbrannte, Haut. Wie oft schon mag er sich wohl den flammenden Stab in sein Fleisch gebrannt haben? Auch jetzt schien er wieder etwas zu torkeln und seine Augen blickten verträumt ins Leere. Der große Krieger Bargh und auch Halbohr wirkten angespannt. Sie blickten durch die Schlitze der verschlossenen Fensterläden. Die Geräusche der Passanten außerhalb wurden untermalt von einem Klingen und Hämmern aus den Inneren von Glammringsfaust welches einherging mit dem Singsang von nachtzwergischen Gebeten.

Irgendwann hörten wir das deutliche Knarzen eines schweren Wagens. Eine riesige Kreatur mit grauer Haut, haarlosem Schädel und einer schweren silbernen Kette um den Hals zog schnaubend einen schwer beladenen Karren. Der war zwar mit einer Plane bedeckt, doch die Schnüre, die an der Seite herabbaumelten, sprachen Bände. Auch die Wachen des Tempels wurden unruhig. Sie riefen nach Verstärkung, doch der Riese machte sich schon daran mit einem großen Feuerstein Funken auf die Schnüre zu schlagen. Endlich, endlich würde es losgehen. Ich konnte es kaum erwarten und freute mich schon auf den Knall, der bald kommen müsste. Schnell fielen Bargh und ich in die Gebete ein, die wir schon vorher immer wieder im Geiste abspielten. Wir zogen uns aus dem Gang hinter eine Wand eines entfernteren Raumes zurück. Und es war auch gerade rechtzeitig. Eine kleine Säule aus Rauch war die einzige Vorwarnung, die die Wachen bekommen sollten. Mit einem ohrenbetäubenden Bersten versank die Welt um uns herum im Chaos. Alles schien langsamer um mich herum zu werden. Es blendete mich, als die Woge des Feuers empor brach und die Tür des Raumes aus den Angeln schmetterte. Da war ein donnerndes Krachen, als Stein und Holz in alle Richtungen flog. Ein Druck, der mich fast von den Füßen warf. Ich konnte nichts mehr hören. Es war, wie als ob ich mich unter einer gläsernen Glocke befinden würde. Die Schreie der Kreaturen waren wie aus weiter Entfernung, als sie bei lebendigem Leib ihre verkommenen Seelen dem Feuer hingeben durften. Es war wunderschön.

Wir sprangen aus einem Fenster des Hauses und sahen das Werk. Die ganze Straße lag in Trümmern. Große Brocken von Stein waren überall verteilt. Aus den eben noch uneinnehmbaren Mauern des Tempels quoll Rauch aus einem gewaltigen Loch. Grün-weißliches Feuer brannte überall. Ich bewegte mich wie in Trance. Alles um uns herum stand in Flammen, selbst der Stein glühte. Schnell hasteten wir über die Steine in das Loch hinein. Die Flammen brannten um uns herum, doch sie konnten uns nichts anhaben. Mein Geruchssinn funktionierte, doch auch mein Gehör kam bald wieder. So kam es, dass ich die brennenden Riesentaranteln erst riechen konnte, bevor ich ihre Schreie vernahm. Der Gestank von verbranntem Chitin und Fleisch vermischte sich mit dem beißenden Geruch des Elmsflammwein. Die Explosion hatte ein Loch in die Zuchtstallungen der Riesentaranteln gebrannt. Wir stiegen über kolossale Leichname dieser Monstrositäten hinweg. Durch die Flammen und den Rauch sah ich lebende Riesenspinnen, die sich vor dem Feuer in die Schatten zurückzogen. Die Vielzahl ihrer schwarzen Augen glitzerte im Dunkeln. Das lange Warten hatte sich ausgezahlt. Ich fühlte mich wie in einer Ekstase und lachte und frohlockte.

Schnell hasteten wir durch einige brennende chitinerne Gänge, bis eine Türe vor uns plötzlich aufsprang. Einige Nachtzwerge wollten wohl ihren Kameraden zu Hilfe eilen. Doch liefen sie direkt in die Klinge Barghs. Sein Schattenschwert schlitzte die Leiber auf und auch der Einhorn Dolch von Halbohr trank neues Blut. Wir konnten es uns nicht erlauben einen Sieg zu feiern. Lyrismar griff nur schnell den großen Schlüsselbund, den einer der Duergar bei sich trug und wir hasteten weiter. Die Schreie und das Chaos fielen immer weiter zurück. Selbst der Brandgeruch geriet leider schon bald in den Hintergrund und machte einem beißenden Schwefelgeruch von Schmieden und Essen Platz. Der Schlüssel öffnete uns mehrere Türen und so liefen wir weiter durch die dunklen hohen Hallengänge. Wir kamen zu einer größeren Kammer, die wohl als Kohlelager diente. Ein stählernes Gatter versperrte den Durchgang und hinter den Gitterstäben blickten uns Tempelwachen hasserfüllt an. Doch Bargh und Halbohr hatten schon vorher ihre Bolzen und Dolche mit tödlichem Gift unserer Göttin bestrichen. Als die Geschosse die Haut der Duergar verletzten, wurden ihre blauen Adern in Windeseile erst grün und dann schwarz. Sie schrien, als das Gift in ihre Muskeln drang und sie in eine unnatürliche verkrümmende Haltung zwang. Sie waren schon Tod, als sie auf den Boden aufschlugen. Die Gitterstäbe waren kein Hindernis für Bargh. Die Muskeln unter der schimmernden Mithril Rüstung spannten sich an und er bog die Eisenstäbe auseinander als ob sie Holz wären.

Hinter uns hörten wir weitere Stimmen. Sie hatten die ersten Toten entdeckt. Wenn wir es nicht mit dem ganzen Tempel aufnehmen wollten, mussten wir uns jetzt noch mehr beeilen. In dem Kohlelager war einer dieser Schächte, die wir schon in Unterirrling gesehen hatten und mit denen diese Kreaturen schwere Lasten noch oben und unten transportieren konnten. Doch konnten wir hier keinen Hebel oder anderen Mechanismus finden, mit dem man ihn in Gang setzen konnte. Mussten wir etwa wieder zurück? Der Geruch der Kohle, die auch deutlich nach Schwefel stank, setzte mir zu. Zurück konnte es nicht gehen, wir mussten weiter, immer weiter. Die Stimmen hinter uns waren schon sehr nah: „Eindringlinge! Ein Angriff!“ riefen sie. Ich zog meinen Säbel. Die Adern aus Ne’Ilurum in meinen Handschuhen pulsierten und ich konnte die Kraft spüren, die sie mir gaben. Nur aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Bargh begann die steinernen Platten dieser Lastenkammer nach oben weg zu drücken. Ich war in Rage. Warum sollten nur Bargh und Halbohr den Ruhm für sich behalten. Vier Duergar rannten den Gang herauf in unsere Richtung, doch als ihr Blick auf das verbogene Gatter fiel, stockte ihr Lauf etwas. „Wo sind die anderen?! Bewacht den Tempel!“, schrie einer, der vielleicht ein Anführer dieses Trupps war. Ich stellte mich ihnen entgegen. Etwas ungläubig blickten die grauen Augen mich von unten an, doch bevor er irgendetwas sagen oder machen konnte, schlitzte ich ihm mit meinem Säbel den Bauch auf. Platschend fielen seine Gedärme auf den Boden. Dem zweiten schlitze ich die Kehle auf, so dass er röchelnd zu Boden sank. Die beiden dahinter wollten ihre Äxte auf mich schlagen, doch ich war viel zu schnell für sie. Plötzlich sanken auch sie zu Boden. Lyrismar stand neben mir. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, doch seine beiden Kurzschwerter sangen ihre eigenen Lieder von Tod und Verderben.

Währenddessen hatte Bargh sich den Steinplatten in der Decke des beweglichen Raumes gewidmet. Er hatte sie einfach mit der Faust zerschlagen und Halbohr zog sich in den Schacht nach oben. Doch weitere Tempeldiener oberhalb erwarteten ihn schon und schlugen mit Picken und Äxten auf ihn ein. Mit einer gehörigen Portion Glück schaffte es Halbohr jedoch den Angriffen auszuweichen und zog sich in den Gang darüber. Hier befand sich ein großer Raum mit zwei noch glühenden Hochöfen. Einer der Hochöfen brannte lichterloh, während der andere gerade ausgeräumt worden war. Die Gesichter der Nachtzwerge, die auf Halbohr einschlugen, waren von Ruß geschwärzt und sie trugen schwere lederne Schürzen. Ein etwas älteres Exemplar trug einen schwarzen Saphir mit dem eingebrannten Wappen des Tempels auf seiner sonst nackten Brust. Als ich mich selbst hochzog, sah ich gerade noch wie er mit einem dreckigen Finger auf Halbohr zeigte und einfach nur rief „Lasst sofort ein und legt eure Waffen nieder!“. Irgendetwas war in seiner Stimme, was diesem Befehl fast unwiderstehlich machte. Doch waren wir alle gesegnet und wandelten im Schatten von Jiarlirae. Unser Geist war gestärkt, selbst der von Halbohr. Er stieß die immer blutende Klinge seines Dolches dem Duergar von unten durch den Kiefer, auf dass er nie wieder seine Stimme erheben konnte. In dem Schein der Öfen und in dem ätzenden Dampf von Rauch und Schwefel schritt die Gestalt Bargh majestätisch an mir vorbei. Seine Klinge blutete Feuer und dieses Feuer war stärker als das der Essen. Es verschlang die verbliebenen Nachtzwerge. Dieser Tempel wird fallen. Laduguer wird fallen. Sie wissen es nur noch nicht.

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Sitzung 97 - Sturm auf den Tempel II
« Antwort #102 am: 26.01.2024 | 20:56 »
Wir keuchten alle von der Kletterei durch den Schacht und von der Anstrengung des Kampfes. Mein Kopf glühte. Ich wusste nicht, ob es von der Hitze der Hochöfen war oder von der stickigen Luft im Tempel Glammringsfaust. Beißender Rauch der Essen und Hochöfen lag in den Gängen und Hallen. Monumentale Hallen, die uns sagen wollten: „Ihr seid Abschaum! Nur wir Duergar sind würdig!“ Pah! Die Toten, die zu unseren Füßen lagen, erzählten uns das Gegenteil. Dennoch schwitzte ich unter meiner Maske. Die Gesichtshaut des Hügelriesenkindes klebte auf meiner Stirn sowie meinen Wangen und begann zu jucken. Ich wollte sie aber nicht abnehmen. Sie täten besser, wenn sie vor mir Angst bekommen. Vielleicht können sie dann ihr Heil in der Flucht suchen. Auch Bargh trug seine Maske. Die Schuppen des grünen Drachen hatte er wie Schindeln eines Daches übereinandergelegt und ein schwarzer Opal lag vor seinem eigentlichen Rubinauge.

Plötzlich hörten wir direkt vor uns und von der anderen Seite des Schachtes die Stöße eines Kriegshorns. Es waren mehrere kurze Töne, doch wir konnten nichts sehen. Ich spürte aber mit einem Male deutlich, dass irgendjemand widerliche Gesänge murmelte, die Laduguer preisen sollten. Diese Gesänge taten mir in den Ohren weh. Auch Halbohr schien die Gesänge zu hören und auch er mochte sie nicht. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für ihn, wenn er erkennt, dass er sich mit seiner ganzen Seele Jiarlirae hingeben muss. Jetzt nahm er einen seiner Dolche und schleuderte ihn in die leere Luft vor ihm. Ich dachte erst, er hätte komplett den Verstand verloren, doch der Dolch fand tatsächlich ein Ziel. Mitten in der Luft blieb er stecken. Man sah noch die klebrige dunkle Schicht, die auf der Klinge haftete. Doch schon als der Dolch stehen blieb flimmerte die Luft und es wurde eine riesengroße, rußverschmierte Gestalt sichtbar. Ja, König Granryk hatte erwähnt, dass diese Priester sich unsichtbar machen konnten. Und dass sie sich größer machen konnten, hatte ich ja schon selbst erfahren. Doch dieses Exemplar zuckte, als das Gift von dem Dolch seine Wirkung zeigt. Die blauen Venen verfärbten sich schwarz und die Kreatur begann nach vorne in den Schacht zu kippen. Mit einem Knirschen von Knochen schrumpfte sie in sich zusammen, als sie ihren letzten Atemzug aushauchte. Aus der Tiefe konnte ich noch den dumpfen Aufschlag hören, als der Nachtzwerg auf das Dach des Aufzuges krachte.

Da flimmerte die Luft nochmals und mehrere Reihen dieser widerlichen Abkömmlinge des stämmigen Volkes kamen zum Vorschein. Auch sie hatten sich vergrößert und hielten uns ihre langen Lanzen über den Schacht entgegen. Zumindest erklärt dies auch warum die Gänge hier alle so groß waren, viel größer als es für die Kreaturen überhaupt notwendig war. Nicht nur Lanzenträger wurden sichtbar, sondern auch eine Reihe die mit Armbrüsten auf uns zielte. Und gleichzeitig erschien eine weitere Gestalt, die uns mit donnernder Stimme befahl unsere Waffen in den Schacht zu werfen. Auch wieder dröhnte mein Schädel bei den Worten, doch ich hörte auch eine angenehme Stimme im Hintergrund meiner Gedanken. Natürlich verstand ich inzwischen, wem diese Stimme gehörte und konzentrierte mich auf diesen lieblichen Klang. Die Worte des Duergar waren kaum noch wahrzunehmen. Nur Lyrismar gehorchte dem Befehl. Der Anhänger Jiarliraes bewegte sich schlaksig mit seinen merkwürdig langen Beinen und Armen auf den Schacht zu und warf tatsächlich sein schwarzes Kurzschwert dort hinein. Hatte er die Stimme nicht gehört? Doch sollten sie für diese Anmaßung büßen. Bargh beschwor seine unheilige Magie. Er ließ das Fleisch eines der Armbrustschützen verfaulen. Ich brannte ihnen die Muskeln von den Knochen, als ich sie in gleißenden elektrischen Energien baden ließ. Doch sie ließen noch immer nicht nach. Die Gebete, die sie unablässig sprachen, konnte ich noch immer hören. Sie sollten aufhören damit! Lyrismar und ich beteten ebenfalls zu unserer Herrin und sie schenkte uns ihre Flammen. Lyrismar schleuderte mehrere brennende Kugeln auf die Priester und ich selbst schenkte ihnen eine Säule aus Flammen. Sie schrien, als sie darin zugrunde gingen. Nur ein älterer Priester atmete noch, als Halbohr über den Schacht und über die brennenden Leichen sprang, die wieder auf ihre eigentliche Größe schrumpften. Der Priester zog seine Picke mit grimmigem Gesichtsausdruck und erwartete Halbohr. Es war fast, als ob er mit ihm in einen Zweikampf treten wollte, wie es vor wenigen Tagen Germin Dunkeldorn und Firin’ore’Waere in Unterirrling gemacht haben. Doch Halbohr ließ sich nicht darauf ein. Ich musste etwas grinsen, während er die Gelegenheit nutzte als der Priester ausholte und ihm seinen Dolch aus dem Einhorn einfach in die Kehle stieß. Der Priester röchelte noch irgendetwas und sank dann auch in sich zusammen. Endlich waren auch die letzten Reste der Gebete und Gesänge verschwunden. Trotz der Erleichterung und des Sieges, wirkte Halbohr auffallend nervös. Hatte er vielleicht bemerkt, dass einer unsichtbaren Laduguer Anhänger durch die Schatten verschwunden war? Würden sie jetzt wissen, wer sie hier in ihren eigenen Hallen angriff?

Hinter dem Schacht war eine weitere Kammer, in dem die Duergar ihre stinkende Schwefelkohle lagerten. Doch dort war auch ein Raum in dem sie mit den Steinen und Metallen experimentierten. Irgendwelche Säuren versuchten sie mit dem Metall zu verbinden. Ich verstand nicht wozu das gut sein sollte und auch aus den Aufzeichnungen wurde ich nicht schlau. Doch ein kleiner Seitenraum war wesentlich interessanter. Lyrismar hörte hinter einer Wand ein leises Klopfen. Ich sah nichts und konnte auch nichts hören, doch als er auf ein Regal zeigte, merkte ich, dass es hinter dem Regal hohl war. Kleine Haken hielten das Regal in seinem Platz und als man diese entfernte, ließ es sich einfach zur Seite schieben. Dort hinter war ein weiterer kleiner Raum, in völlige Dunkelheit gehüllt. In der Mitte war etwas, das wie ein aufrechtstehender Sarg aussah; ein Sarg, der wie ein großer menschlicher Körper geformt war. In der Mitte war eine Axt aus puren Ne’Ilurum eingelassen an deren Knauf ein schwarzer, rötlich pulsierender Opal eingelassen war. Jetzt konnte ich es auch hören. Ein Ächzen und Stöhnen, aber wie als wenn es sehr weit weg war. Dennoch kam es deutlich aus dem Innern dieses Sarges. Drei große eiserne Schlösser hielten die den Sarkophag geschlossen. Lyrismar murmelte etwas davon, dass ihm die Stimme der Kreatur bekannt vorkam, auch wenn er sie nicht richtig zuordnen konnte. Er und Halbohr begannen die Schlösser zu öffnen.

Als sich quietschend die Scharniere öffneten, brach uns eine Woge von bestialischem Gestank entgegen. Der Geruch von Fleisch und Säure stieg uns in die Nase und ich hustete auf. In dem Sarkophag war eine Kreatur eingepfercht. Eine dämonenhafte Gestalt mit zerfetzten ledernen Schwingen, die aus der ledernen Haut des Rückens kamen. Leuchtende Augen blickten uns aus einem von Hörnern besetzten Schädel an. Die Gliedmaßen der Kreatur wurden verdreht, damit sie in diesen Sarg hineinpassten und zusätzlich drangen lange Spieße von der Innenseite durch den Körper des Wesens und hielten sie so fest. Als die Augen sich auf uns richteten, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Aber keine angenehme Stimme. Es war eher ein Rasseln, das wie tausende scharfe Eissplitter durch meinen Kopf drang: „Lasst mich frei sterbliche Seelen und ich werde euch verschonen!“ Lyrismar zögerte nicht lange. Es war jedoch keine Angst die ihn dazu brachte, den Sarkophag wieder zu zuschlagen. Irgendetwas hatte er an dieser Kreatur erkannt. Sie schrie auf, als die Spitzen sich jetzt wieder durch ihr dunkles Fleisch rammten. „Ein Dämon aus den neun Höllen! Abscheulichkeiten, die versuchen durch feigen Handel und Verträge sich ihrer Haut zu erretten“, sagte Lyrismar voller Abscheu. Und ich konnte die Abscheu verstehen. Die neun Höllen wären ein Ort für Halbohr. Verträge über Verträge, Handel über Handel. Alles ordentlich festgehalten, nur um ein Schlupfloch in den Verträgen zu finden. Die Kreatur sollte hierbleiben und hier weiter ihr Dasein in endlosen Qualen fristen. Der Opal auf der Axt begann wieder zu pulsieren. Vielleicht versuchten die Duergar, die Macht dieses Teufels auszusaugen und in diese Waffe zu leiten. Sollten sie doch. Sie werden schon sehen was sie davon haben werden, wenn ich die Verträge, die sie schließen, verbrennen würde.

Wir verließen den Raum und gelangten zu einer Wendeltreppe, die weiter nach oben führte. Halbohr konnte schon am Fuß der Treppe die Rufe von Truppen hören, die sich dort oben positionierten. Aber es blieb uns keine Wahl. Die Treppe endete an einer Türe. Nachdem Bargh und ich den Segen unserer Herrin erbaten, stieß Halbohr die Türe auf. Wir kamen in einen kuppelartigen Gang, der auch wieder viel größer war als es für diese Wichte eigentlich notwendig sein müsste. Vielleicht wollten sie mit der Größe dieser Hallen andere beeindrucken. Und wie ich mir es schon dachte, wurden wir bereits erwartet. Von links und rechts schritten jeweils vier unheimliche, gerüstete Gestalten auf uns zu. Es waren wandelnde Ritterrüstungen, deren Augenschlitze, von einer unheimlichen Präsenz beseelt, rötlich glühten. Weiter rechts hatten sie mit Schilden eine große Barrikade aufgebaut. Halbohr und Bargh versanken ihre Klingen in die wandelnden Rüstungen. Die Schatten, die wie ölige Tropfen aus Glimringshert drangen, entzündeten sich in wohligem Feuer und zerschmetterten die ersten Rüstungen. Doch es kam kein Schrei von Schmerzen, nur ein leiser Seufzer und der Geruch von alter fauliger Luft, der aus dem Inneren hervordrang. Hinter den Barrikaden erklang ein lauter Ruf: „Jetzt! Lasst Feuer und Säure los!“ und über uns regneten zwei Gläser herab, von denen eines auf dem Boden und das andere an einer Wand explodierte. Und auch die widerlichen Gebete erklangen wieder. Ich hatte genug. Ich wollte dieser Priester zerstückeln, auf dass sie nie wieder meine Ohren mit diesem Klang besudeln. Ich flehte die Herrin an, dass sie ein Meer von Schattenklingen über die Priester kommen lasse, doch eine Flasche zerplatzte an der Wand über mir. Die Säure regnete auf mich hinab und brannte furchtbar in meinem Fleisch. Gleichzeit erschienen über uns und wie aus dem Nichts mehrere riesige Taranteln mit gepanzerten Reitern, die sich von der Decke auf uns fallen ließen und ihre gewaltigen Lanzen nach uns stießen. Die Klingen bohrten sich in Halbohr und auch in Bargh hinein. Doch das stachelte nur ihre Wut an. Ein erbitterter Kampf entbrannte. Nichts und niemand wurde geschont. Stahl traf auf Stahl und auf Fleisch. Jemand brüllte. Lyrismar konnte nicht schnell genug ausweichen und eine Axt der Rüstungen bohrte sich in sein Fleisch. Noch ein Brüllen. Dieses Mal von hinter den Barrikaden als weitere Fläschchen auf uns katapultiert wurden. Ich zog mich zurück zur Treppe. Von allen Richtungen drängten sie auf uns zu, von rechts, von links und von über uns. Ich hatte keine Angst, nein. Aber wie soll ich weiter die Wege Jiarliraes verstehen, wenn ich tot bin? Doch dann konnte ich Aufatmen. Wieder hörte ich das Brüllen eines Befehls, doch dieses Mal war es eindeutig das Kommando „Rückzug!“. Ich blickte aus der Öffnung. Bargh, Lyrismar und sogar Halbohr standen verletzt über zerstörten Rüstungsteilen und toten Leibern von Duergar und Spinnen. Jetzt liefen sie in Richtung der Barrikaden. Die Bastarde dieser Priester, die sich dort verschanzt hatten, wussten anscheinend, dass auch ihr Ende nahe war. Doch sie versuchten ihren Untergang noch etwas hinauszuzögern und zogen sich zurück.

Nochmals mehrere kurze Hornstöße und das dumpfe Zuschlagen einer schweren Türe. Wir mussten weiter und zwar schnell. Der Tempel musste brennen – besser jetzt, bevor alles zu spät ist.

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Sitzung 98 - Sturm auf den Tempel III
« Antwort #103 am: 3.02.2024 | 20:53 »
Mir brannte die Lunge von den Ausgasungen der Essen und dem allgegenwärtigen Gestank der über Urrungfaust und dem ganzen Arbolbaar See zu herrschen schien. Doch auch der Geruch der noch brennenden Leichname mischte sich dazu. Ich fand ihn fast schon lieblich. Mein ganzer Körper schmerzte. Dort, wo mich diese hinterhältigen Kreaturen mit ihrer Säure beworfen hatten. Feige waren sie. Hätten sie sich uns gestellt, hätte Bargh sie schon längst aufgeschlitzt. Jetzt war er damit beschäftigt uns den Weg zwischen den Barrikaden aus Schildern frei zu machen. Seine furchteinflößende Gestalt, größer als ein normaler Mensch jemals werden könnte, stieß die großen Schilde einfach mit seinem Ellbogen um, so dass sie krachend auf den Boden fielen. Ich konnte sein Gesicht hinter seiner grünen Drachenmaske nicht sehen, konnte mir aber vorstellen, dass er grimmig dreinblickte. Auch er wollte bestimmt nicht länger hierbleiben, als es notwendig war. Lyrismar dagegen schien entspannter. Seine bis zu Kohle verbrannte Gestalt hielt sich im Hintergrund, während ich mich wieder vorsichtig in den Gang bewegte. Seine violetten Augen blitzten wie zwei Edelsteine aus dem schwarzen Schädel hervor. Langsam bewegte ich mich zu Bargh, unter der Spinne hindurch die noch immer in einer Totenstarre über uns an der Decke klebte. Lyrismar ging zu Halbohr und horchte an der Türe aus der vor uns entwischt sind: „Daugronn der Graue und Hornbald der Grausame verteidigen ihre Türme. Der Befehl für euch ist die Position zu halten. Und sollten sie in den Turm von Laargyr dem Dunklen eindringen, dann folgt ihnen.“ Das waren also die drei Schreckensritter von denen der König uns erzählt hatte. Fehlt nur noch der Erzgraf von Düstergrau. Von ihm noch keine Spur.

Als ich gerade dabei war einer der Rüstungen zur Seite zu ziehen, stieß ich gegen eine Stelle der steinernen Wand. Es hörte sich irgendwie dumpf an, nicht wie normaler Stein. Ich winkte nach Lyrismar und zusammen fanden wir einen Riss, der sich wie eine Türe abzeichnete. Dort hinter lag ein verwinkelter Raum, der sich unter einer Treppe zu befinden schien. Dicker Staub und Spinnweben zeugten davon, dass wohl schon sehr lange niemand mehr hier gewesen war. Doch am anderen Ende konnte Halbohr auch wieder Stimmen hören. Duergar, die sich wohl versuchten abzusprechen, wie und wo sie uns aufhalten können. Eine alte Klappe führte nach außen und als Halbohr sie öffnete, konnten wir wieder einen flüchtigen Blick auf die Dunkelfeuer der Stadt Urrungfaust erhaschen. Ich fand es wenig interessant oder besonders, aber Halbohr steckte seinen verunstalteten elfischen Kopf heraus und schaute konzentriert in alle Richtungen. Als ob er etwas dort gefunden hatte, blickte er zufrieden in unsere Richtung und führte uns aus dem Raum heraus zu einer der Türen in dem Gang.

Alle Türen waren mit komplizierten Schlössern versperrt, doch Halbohr war sich seiner Sache sicher. Zum Glück für uns half Lyrismar ihm immer. Und das war auch Halbohrs Segen, denn bei einer Türe blitzte kurz eine Rune aus der Schrift der Nachtzwerge auf. Schnell zuckte seine Hand auf einen Funken der davon ausging und schaffte es wohl im letzten Moment, den Funken zum Ersticken zu bringen. Für einen Augenblick war seine Haut so blass wie die der Duergar. Wir fanden hinter den Türen mehrere Kammern und Hallen. In einer größeren Halle bauten sie offenbar jene Rüstungen zusammen, die uns angegriffen hatten. Große Teile von Plattenpanzern wurden mit Gliedern versehen, so dass man sie zusammenstecken konnte. Das Ne’ilurum, was in das Metall eingearbeitet wurde, glänzte gespenstisch. Auf der Innenseite der Rüstungsteile waren Runen eingearbeitet die ihrerseits auch leicht glühten wie heißes Eisen. Die Innenseite war zudem mit einer seltsamen schwarzen Substanz bestrichen. Auch weitere Räume dienten dem Bau dieser Kreaturen. Sie hatten es gewagt die heiligen Flammen Jiarliraes für diese Konstrukte zu missbrauchen. Alleine dafür wollte ich sie in den fauligen Wassern des Arbolbaar versenken. Sie hatten es nicht einmal verdient im Feuer zu sterben.

Wir fanden einen weiteren verborgenen Gang, der mit einem hölzernen Schrank verdeckt war. Als wir ihn zur Seite schoben, wurde mit einem Mal der Geruch von Säure ersetzt durch den Gestank von Fäule und Fäkalien. Der Gang führte uns zu einem kleinen Trakt mit einigen wenigen Zellen. In den Zellen blickten uns schwachsinnige Augen des Nachwuchses dieser Duergar an. Die Kinder in den Zellen wirkten zurückgeblieben und debil. Sie hausten dort auf dreckigem und schimmligem Stroh, inmitten ihres eigenen Urins und Kot. Doch der Sabber und die Art, wie sie mich mit ihrem dümmlichen Lächeln anblickten, sagte mir, dass sie sich gar nicht bewusst waren wo sie sind. Ein Mädchen klatschte mit ihren aufgedunsenen Händen in einer Pfütze herum. Woraus diese Pfütze bestand mochte ich mir gar nicht vorstellen. Ein anderes Ding, vielleicht gerade einmal neun oder zehn Winter alt, blickte mich direkt an. Ebenso debil grinsend wie die anderen zeigte es seine verfaulten Zähne, die aus einem aufgeblasenen, verformten Kopf wuchsen. „Mutter! Mutter! Essen! Hunger!“, strömten die abgehackten Worte aus dem Mund des Geschöpfes. Als ob ich ihnen etwas zu Essen geben würde. Aber ich dachte mir, dass sie vielleicht ganz passable Spielzeuge abgeben würden. Ich könnte ihnen bestimmt ein paar Kunststücke beibringen, so wie ich es mit Funkenträger vorhatte. Vielleicht mit ein bisschen Hilfe, könnte der schwachsinnige Junge auch in so einem schönen Licht strahlen, wenn auch nicht so lange. Vielleicht eine feurige Krone um seinen Kopf? Doch dann machte Bargh einfach alles kaputt. Er begann zu lachen. Er sagte, er wüsste gar nicht, dass ich Kinder hätte. Was fällt diesem Tölpel ein?! Vielleicht sollte er weniger trinken. Seinem Kopf scheint das nicht gut zu tun, Drachentöter hin oder her. Ich hatte nicht wenig Lust in seinem Gesicht ein kleines Andenken meines Säbels zu hinterlassen. Welch eine Frechheit. Ich spürte, wie ich vor Wut fast platzte. Mein Säbel zuckte wie von selbst zur Seite und die Spitze bohrte sich in die Brust dieses schwachsinnigen Jungen. Das half dann wenigstens ein bisschen meine Laune zu bessern, aber dennoch sollte Bargh sich von mir fernhalten.

Halbohr und Lyrismar unterhielten sich über diese Kinder. Es waren wohl die Kinder, die normalerweise öffentlich geopfert werden sollten, um Laduguer ruhig zu stellen. Es waren wohl die Kinder von denen uns der König erzählt hatte, dass sie aus den Kerkern der Stadt verschwunden wären. Vielleicht nutzten die Priester sie, um zu experimentieren. Oder sie wollen einfach nur den König der Stadt schlecht dastehen lassen. Für die Experimente sprach eine Art Tagebuch, das wir in einem anderen Raum fanden. Vermutlich ein neuer Rekrut für den Tempel hatte seine wenigen Gedanken dort aufgeschrieben. Er freue sich auf seine Aufgaben und dass er an Forschungen teilnehmen dürfe. Am Ende stand etwas, dass es von Laargyr, dem Dunklen, Anweisungen gab, dass diese Rüstungen nach einer neuen Prozedur angefertigt werden sollten und dass der Schmerz besonders lang und qualvoll sein solle, um die Rüstungen noch mächtiger zu machen. Dann hatten diese Kinder vielleicht doch noch einen Zweck. Ich stellte mir vor, wie sie diese schwachsinnigen Geschöpfe in diese Rüstungen sperrten, auf dass sie dort einen qualvollen Tod erfahren würden.

Weitere Türen zweigten von den Gängen ab. Eine war besonders gut gesichert mit direkt drei Schlössern. Zwei davon schafften Halbohr und Lyrismar auch zu öffnen, doch beim dritten versagten sie. Doch Bargh rammte sie einfach ein, so dass die stählernen Bolzen zerbrachen. Hinter der Türe führte eine Wendeltreppe weiter nach oben. Das Krachen des Schlosses drang tief durch die Tunnel und die Treppe und kündigte unser Kommen an. Der Ruf „Sie Kommen!“ war überflüssig. In dem ovalen Raum erwartete uns bereits ein ganzer Trupp von gepanzerten Kriegern und Priestern des Tempels. Der Raum war bestimmt einmal recht wohnlich eingerichtet, doch jetzt waren alle Tische leergeräumt. An den Wänden reihten sich die ausgestopften Köpfe von den verschiedensten Kreaturen aneinander. Da waren Köpfe die aussahen wie große Fische, Köpfe die wie die des Hügelriesen Nomrus aussahen, Köpfe mit der dunkelgrauen Haut der Dunkelelfen, Köpfe mit Tentakeln anstatt einem Mund und noch viele andere. Ein schwaches Licht glomm von leuchtenden Kristallen, die mit gemusterten Lampenschirmen abgedeckt wurden. Das Licht wurde von den Rüstungen der Gestalten schimmernd reflektiert. Es war als ob sie sich für diesen Moment herausgeputzt hätten. Über ihren Plattenpanzern und Harnischen trugen sie lange graue Mäntel mit silbernen und einige sogar goldenen Bommeln über den Schultern.

Eine der Gestalten in einem Harnisch brüllte „Angriff!“, doch ich wartete nicht so lange. Mit meinem Stecken der Blitze ließ ich sie schreien, als die Energie durch die Reihen fuhr. Ein jüngerer Priester begann Blut zu spucken. Vielleicht hatte er sich im Krampf seine eigene Zunge abgebissen und verschluckt. Auf jeden Fall fiel er tot um. Auch Lyrismar zögerte nicht. Er schleuderte eine seiner gewaltigen Magma Kugeln auf die Gruppe, die mit einem Bersten explodierte und den Raum in Flammen hüllte. Ich konnte die Nachtzwerge nur noch schwer erkennen. Die Gestalten flehten vor Schmerzen und ihr Fleisch begann durch die unheiligen Flammen zu schmelzen. Doch ihre Erlösung musste noch einige Momente auf sich warten lassen. Die Flammen verbrannten nicht nur ihr Fleisch, sondern ihre Lebenskraft selbst und verzehrten sie. Erst jetzt begann das Schreien langsam zu ersticken. Die jüngere Priesterschaft lag rauchend auf dem Boden, nur ein älterer Anhänger hielt sich noch auf den Beinen. Aber sein Amulett mit dem Diamanten darin glühte auf vor Hitze und seine Haut war aufgeplatzt und verbrannt. Jetzt stürmten auch Halbohr und Bargh nach vorne. Die Schneiden ihrer Klingen fanden ihre Ziele schnell und es dauerte nicht lange, bis auch der letzte Krieger in seinem Feldharnisch zu Boden ging.

Zum Verschnaufen blieb uns keine Zeit. Von unten hörten wir bereits weitere Stimmen die sich an unsere Fersen hefteten. Lyrismar verschaffte uns aber einen Vorsprung. Mit seiner von der Herrin geschenkten Magie erschuf er eine Mauer aus festem Eisen, mit der er die Treppe versperrte. Und so hasteten wir wieder weiter. Vorbei an einem Raum in dessen Mitte eine große Karte, nicht nur von Urrungfaust, sondern auch von weiteren Höhlen und Tunneln dieser Welt unter der eigentlichen Welt abgebildet war. Große Figuren standen darauf. Vielleicht spielten sie hier auch Spiele und diese Figuren gehörten dazu. Aber diese Duergar hatten keinen Sinn für Spiele, also war es wohl eher etwas Langweiliges, an dem Halbohr bestimmt Interesse haben könnte. Doch auch er hastete weiter. Wir kamen in eine weitere Halle, dieses Mal wesentlich größer. In der Mitte hatten sie ein übergroßes Abbild eines Nachtzwergen aus Stein gebaut der dort heldenhaft seine Axt empor hob. Ein unnatürliches Feuer brannte davor. Wahrscheinlich kein einfacher Nachtzwerg, sondern Laduguer höchstselbst. Trotz der Größe konnte diese Statue aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie mickrig er eigentlich war.

An der Seite der Statue führten zwei Treppen nach oben und von dort konnten wir auch schon wieder weiteres Flüstern hören. Die Treppen endeten in einen weiteren Zellentrakt, doch diesmal riefen keine schwachsinnigen Sprösslinge nach Essen. Der Trakt endete in einem kreisrunden Raum, wo sie uns ein weiteres Mal erwarteten. Weitere dieser sich bewegenden Rüstungen stampften auf uns zu, doch waren diese viel größer. Und anstatt normaler Hände, endeten ihre Arme in Äxten und Picken. Dahinter hatten sie eine Maschine aufgebaut, die mehrere riesige Armbrüste auf einem drehbaren Gestell hatte. Die gewaltigen Bolzen blitzen in unsere Richtung. Einige der Duergar waren eifrig dabei den Apparat in die richtige Richtung zu drehen. Und untermalt wurde alles von den widerlichen Gesängen der Priester dahinter. Dieser Gesang bohrte sich in meinen Kopf und blutete in meinen Ohren. Ganz hinten, gerade noch zu sehen, war eine weitere Gestalt. Ein alter Duergar mit eingefallen Gesicht saß auf einer riesigen Panzerspinne. Schimmernde Rüstungsteile bedeckten sowohl Duergar als auch Spinne. Mit listigen blauen Augen blickte er uns aus der Entfernung an. Die Rüstungen stürmten voran. Der Gesang der Priester peitschte sogar diese leblosen Dinger an, als wenn sie auch unter einem Wutrausch stehen würden. Bargh und Halbohr schritten den beiden Rüstungen entgegen. Ein mächtiger Hieb von Bargh und die vielen Schnitte von Halbohr zogen tiefe Risse in das Ne’ilurum. Die Schattenklinge spie Feuer, doch die Flammen perlten einfach an dem Metall ab. Aber allein seine Kraft reichte schon aus um den Brustkorb des Panzers aufzusprengen. Ein bestialischer Gestank von totem Fleisch und faulen Knochen entwich. Und eine schwarze Flüssigkeit haftete innerhalb der Rüstungsteile. Die Priester begannen zu fluchen und ich trat auch nach vorne. Das Amulett, das ich von Neire bekommen hatte, wartete schon darauf, dass seine Magie entfesselt werden konnte. Erst nur ein leichtes Glühen, das schon bald zu einem hellen Leuchten wuchs. Donnernd entlud sich das Inferno, als eine Kugel aus Flammen, die dem Amulett entsprang, sich auf die Soldaten um die Armbrustmaschine ergoss. Doch schafften die meisten es noch im letzten Moment wegzuspringen. Die Feuer vergingen wieder und die Soldaten nutzten die Gelegenheit und zogen die Hebel der Maschine. Mit einem tiefen Surren schossen die Bolzen auf uns zu. Ich spürte ihren Luftzug, aber sie hatten sich nicht mich als Ziel ausgesucht, sondern Halbohr. Dieser taumelte schon zurück als die Axthand der Rüstung vor ihm in seine Schulter rammte. Dann hagelten die Bolzen auf ihn ein. Manchen konnte er noch ausweichen, doch einige drangen in seine Brust und warfen ihn nach hinten.

Auch Lyrismar war bereit. Er beschwor eine Wolke der Schatten die das Schlachtenglück wenden sollte. Die Wolke breitete sich um die Soldaten herum aus. In den Schatten wogten immer wieder kleine Flammen auf die sich in die Köpfe der Duergar einbrannten. Das Chaos breitete sich aus. Einem quoll Blut aus den Augen. Er stand jetzt nur noch regungslos da, die Wände anstarrend. Ich konnte durch die Schatten kaum noch etwas erkennen, aber ich hörte deutlich die Rufe von Angst, Erstaunen und Unglaube. „Hauptmann, was tut ihr?“ hörte man aus der Wolke, als der deutliche Klang von Stahl auf Stahl erklang. Die Wolke lichtete sich etwas und ich sah einen der Soldaten mit einem prächtigen Feldharnisch, gerade wie er seine Axt aus Mithril in einen der Schützen an der Armbrust rammte. Die Priester in der hinteren Reihe sahen wie aussichtslos es war. Sie suchten ihr Heil in der Flucht. Auch der Ältere hatte dies wohl erkannt. Er saß immer noch im Sattel seiner gepanzerten Spinne, doch die Flammen in den Schatten hatten auch sein monströses Reittier beeinflusst. Reglos hing die Spinne an der Decke, so dass ihm nichts anderes übrigblieb als einfach von oben herab zu springen und in einer Türe zu verschwinden. Auch die anderen Priester folgten ihm und ließen ihre Soldaten zurück. Bargh schlitzte dem Soldaten der sich immer noch nicht rührte den Bauch auf und Halbohr die Kehle des Hauptmanns. Die gepanzerte Spinne hatte sich inzwischen wieder herabgelassen, doch auch diese konnte nicht lange gegen uns bestehen. Denn Jiarlirae war mit uns und keine niederen Kreaturen konnten sich mit uns messen.

Wir mussten den anderen hinterher und zwar schnell. Keine Zeit um unsere Wunden in Ruhe zu versorgen, Tränke mussten reichen. Wir hörten die Priester wie sie vor uns liefen, das Krachen eines Gatters. Sie versuchten sich Zeit zu erschwindeln. Als wir an dem Gatter ankamen sahen wir sie noch dahinter, wie sie gerade eine Wendeltreppe nach oben liefen. Das Gatter selbst war mit einem weiteren dieser komplizierten Schlösser verriegelt. Hastig zogen Halbohr und Lyrismar ihre Dietriche und begannen es zu öffnen. Wieder flackerte kurz eine Rune über den Stäben auf und wieder wurde Halbohr aschfahl im Gesicht. Hätte er noch eine weitere falsche Bewegung mit den Dietrichen gemacht hätte sich die Magie dieser Rune entladen. Wer weiß was dann mit ihm passiert wäre. Doch auch Halbohr stand anscheinend in der Gunst unserer Herrin. Sie sandte uns Lyrismar und dieser schaffte es im letzten Moment die Rune zu zerstören. Wir mussten schnell weiter. Das Gatter ließ sich aufschieben und wir rannten die Treppe nach oben. Wir sahen keinen mehr, doch ihre Spuren fanden wir sehr schnell. Sie führten uns in ein großes Gemach, in der Form eines Fünfeckes. Ein dunkles Fenster bot einen Blick auf den Arbolbaar See. Bequeme Sessel standen hier und kleine Tische auf denen in Schalen getrocknetes Fleisch, Pilze und Karaffen mit Wein standen. Die Spuren führten weiter auf eine Türe zu. Wir folgten ihnen und betraten einen kleineren Raum, der völlig dunkel war. Kreisrund, ohne irgendwelche Fenster oder Ausgänge. Als wir in den Raum hineintraten fiel mit einem Krachen die Türe hinter uns zu. Ich warte schon darauf, dass die Priester sich uns stellen würden. Doch stattdessen veränderte sich der Raum selbst. Alles verschwamm vor meinem Auge für einen Moment. Ich kniff sie zusammen und versuchte mich zu konzentrieren. Als ich meine Augen wieder öffnete waren plötzlich sechs Türen in dem Raum. Alle gingen in verschiedene Richtungen. Sie versuchten uns mit billigen Augenwischereien abzuhängen. Aber auch das würde ihnen nicht gelingen. Schon bald werden wir ihnen wieder entgegentreten und sie werden ihren Kameraden folgen.

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Sitzung 99 - Laargyr der Dunkle
« Antwort #104 am: 10.02.2024 | 17:17 »
Von den feigen Priestern des Laduguer war nichts mehr zu sehen und zu hören. Sie hatten uns hier in diesem völlig dunklen Raum zurückgelassen. Zumindest stank es hier nicht ganz so schlimm, wie bei den Hochöfen und Essen. Ganz schwach konnte ich noch irgendwelche Rufe hören. Vermutlich immer noch der verzweifelte Versuch die Verwüstung zu beseitigen und dem Chaos Herr zu werden. Dabei sollten sie inzwischen begriffen haben, dass es vergebene Liebesmüh war. Schließlich waren wir hier noch nicht fertig. Wir waren uns unserer Sache sicher und ich spürte Entschlossenheit. Doch wir mussten auch vorsichtig sein. Bargh suchte auf dem Boden nach Spuren. Es sah schon etwas lustig aus, den übergroßen und von Muskeln und Brandnarben übersäten Körper über den Boden wischen zu sehen. Aber ich war immer noch wütend auf ihn. Doch auch wenn sein Auge geschult war und er Spuren fand, konnte auch das uns nicht weiterhelfen. Die sechs Türen um uns herum sahen alle gleich aus und die Spuren schienen zu allen Türen gleichzeitig zu führen. Auch die Geräusche, die Halbohr und Lyrismar hörten, kamen aus allen Richtungen. Halbohr hing verbissen mit seinen Augen an den Schlössen. Eins nach dem anderen untersuchte er, doch nach jedem schien er sich immer unsicherer zu werden. Eine Panik beschlich mich. Die Hallen schienen mich zu erdrücken, die Geräusche aus der Ferne verrückt zu machen. Schließlich war ich es leid. Ich wusste welche Türe die richtige war. Ich hatte es einfach im Gefühl. Also zeigte ich Halbohr die Türe, doch auch hier traute er sich nicht. Letzten Endes blieb er vor einer der Türen stehen und zog sie auf. Endlich, dieses merkwürdige Drücken im Kopf ließ nach, als sich die Türe öffnete und einen kleinen Gang offenbarte, der an einer Treppe endete. Endlich ging es weiter, nach oben, wie es schien.

Halbohr schlich zu der Treppe. Doch als er gerade an der ersten Stufe ankam, erschien wie aus dem Nichts und um ihn herum die Schergen der Priester. Sie mussten sich im Dunkeln versteckt haben. Alle drei waren auf die Größe von fast vier Schritt angewachsen. Auch der Ältere mit dem haarlosen Schädel und der Hakennase war mit dabei. Dies war Laargyr der Dunkle, einer der Schreckenspriester wie sich noch herausstellen sollte. Er funkelte Halbohr aus zwei listigen blauen Augen an. Sie hatten es auf den elfischen Söldner abgesehen. Axt und Streitkolben rammten in seinen Körper und er schrie auf, noch bevor er reagieren konnte. Aber dadurch hatten sie uns im Rücken. Ich schleuderte ihnen meine Magie entgegen, Bargh und Lyrismar ihre Klingen. Lyrismar bohrte sein schwarzes Schwert einem vergrößerten Duergar in den Unterleib. Als er das Schwert wieder herauszog, änderte es seine Form. Aus der Schneide wuchsen kleine metallene Zähne. Lyrismar riss ein tiefes und grausames Loch in den Leib.

Als sie starben zogen sich unter einem Knacken ihre Knochen wieder zusammen. Jetzt lagen sie da. Die kleinen Wichte die sie waren und zuckten noch in ihrem eigenen Blut. Halbohr sah ziemlich übel aus. Die Wunden waren tief und ich war mir sicher, dass während des Kampfes seine Augen geflackert haben. Er war sicher wieder kurz davor einfach vor Ohnmacht zu Boden zu gehen. Aber langsam sah er es ein. Dass Jiarlirae mit uns ist und selbst ihn, der sie so oft geschmäht hatte, unterstützt. Bargh und ich waren ihre Werkzeuge und zusammen ließen wir die Wunden von Halbohr wieder schließen, untermalt von den Gebeten aus Halbohrs Mund, die wir mit ihm sprachen. Von unten konnten wir das rhythmische Schlagen hören, wie sie weiter versuchten die Wand aus Eisen zu überwinden. Das würde noch eine Zeit dauern, aber nicht mehr ewig. Wir mussten also weiter. Weiter nach oben.

Halbohr und Lyrismar schlichen vor und kamen in einen größeren Raum. Ein großes Fenster aus dunklem Glas zeigte ihnen die Stadt. Die Wand war bestückt mit silbernen Vertäfelungen, die Bilder einer gewaltigen Schlacht zeigten. Nachtzwerge gegen Dunkelelfen. Doch die Nachtzwerge waren nicht allein. Mit ihnen war eine gewaltige Kreatur im Bunde, die wie ein Drache aussah, auch wenn sie keine Flügel trug. Die silbernen Fresken zeigten das Feuer, das aus dem Rachen der Kreatur schlug und auf die Dunkelelfen niederging. Es war sehr detailliert dargestellt, wie sie brennend um ihr Leben liefen. Der Blick von Lyrismar war jedoch auf etwas anderes gerichtet. Im Raum waren nämlich noch zwei Frauen. Eine war menschlich, hatte ein schlankes Gesicht, grüne Augen und lange braune Haare. Die andere, eine Dunkelelfin, war kleiner, hatte spitze Ohren, weißes Haar, violette Augen und aschgraue Haut. Sie hatten beide kaum etwas an und der lüsterne Blick von Lyrismar sagte alles. Die Frauen schienen nur für diesen einen Zweck erzogen worden zu sein. Halbohr erzählte ihnen etwas davon, dass wir nicht die Eindringlinge wären und dass wir von Laargyr geschickt wurden, aber das konnte keiner glauben. Sie hatten bestimmt den Kampflärm von unten gehört; den Todesfluch, den Laargyr ausstieß, als er Meister Halbohr bei seinem Namen verfluchte. Dennoch schien es den beiden nichts auszumachen und Lyrismar zog schon die Dunkelelfin zu sich auf den Schoß. Er musste immer noch benebelt sein von seiner Schattenschimmeressenz. Wie sonst konnte er hier und jetzt, wo unten schon die Soldaten nachrückten, sich mit so einem Wesen die Zeit vertreiben. Als Halbohr uns von unten hinaufholte und ich den Raum betrat, räkelte sich die Dunkelelfin völlig nackt auf einem schwarzen Ledersessel. Lyrismar hatte seine Hosen hinabgelassen und sich von hinten über sie gebeugt. Seine fast völlig verbrannte Haut schien den beiden nichts auszumachen. Nur die nicht verbrannten Stellen zeugten von einstiger nobler Blässe. Der Anblick der rhythmischen Zuckungen war einfach widerlich. Er fing an zu keuchen, wie ein abgestochenes Schwein. Die Dunkelelfin setzte ihrerseits mit einem Stöhnen ein, als Lyrismar sie am Hals packte, sie an ihren langen, weißen Haaren zog. Ich muss gestehen, dass ich ihnen heimlich zuschaute. Was ich früher nur bei Pferden und Schafen beobachtet hatte und wovor ich mich einst ekelte, hatte hier etwas anziehendes für mich. Dann trat ich zu Bargh und begann auf ihn einzureden. Auf dass er nicht lüstern starre. Und nicht einmal Bargh war so plump sich mit ihnen einzulassen, auch wenn es die menschliche Frau bei ihm versuchte. Er vergnügte sich lieber mit den Weinkaraffen, die hier überall rumstanden. Vielleicht würden wir also erst mal nur zu dritt weitergehen.

Die Türe aus diesem Raum heraus war mit einem sehr komplizierten Schloss gesichert, doch Jiarlirae war auch dieses Mal mit uns. Wir hatten Laargyr einen Schlüsselbund abgenommen und einer der Schlüssel passte genau in das Schloss. Es gab ein leichtes Quietschen als sich die Türe öffnete. Nein, das war nicht die Türe, das Geräusch kam jetzt von der Dunkelelfin. Die Türe selbst ging fast lautlos auf. Lyrismar war offenbar fertig mit seinem Liebesspiel und hatte die Güte sich wieder zu uns zu gesellen. Als ich mich umdrehte bedeckte ich mir schnell meine Augen, denn er hatte sich noch nicht bekleidet. Er stank zudem furchtbar nach diesen Frauen. Die Türe führte uns zu einer kleineren runden Halle, an der sich wiederum weitere Räume anschlossen. Die Türe hinter uns verschlossen wir vorsichtshalber, denn das Schlagen von unten hatte aufgehört. Stattdessen waren Stiefelschritte zu hören, die näherkamen. Jetzt hatten wir wirklich keine Zeit mehr. Ein Raum enthielt eine sehr gut ausgestattete Bibliothek. Die Bücher waren interessant, doch ein schmierig beschriebenes Blatt war noch interessanter. Vielleicht hatte sich jemand hier betrunken und versucht seine wirren Gedanken auf Papier festzuhalten. Der Schreiberling erwähnte, dass alte Geschichten aus den Büchern getilgt wurden. Offenbar meinte er die Kriege gegen die Dunkelelfen. Vielleicht waren die Krieger der Duergar doch nicht so ehrenhaft, wie sie immer so gerne tun. Bemerkenswert war auch, dass der Schreiber sich fragte, ob es noch Horte in der Umgebung von Urrungfaust gäbe. Meinte er Horte dieser Drachenkreatur? Vielleicht waren andere Drachen am Krieg beteiligt? Es wurden ebenfalls die Steuern erwähnt und dass sie gierig einbehalten würden. Damit konnte er nur den König von Urrungfaust meinen. Steht der König immer noch mit der Drachenkreatur im Bunde? Oder mit seiner Brut? Ich hatte mal etwas gelesen von einer Stadt der Dunkelelfen die Thysbryr’Il’Dith genannt wurde. Diese Stadt war die Hauptstadt ihres Reichs und wurde vernichtet, in einer großen Schlacht. Ich schätze, dass diese Ereignisse etwa 200 Jahre in der Vergangenheit lagen.

Nachdem wir einige kostbare Bücher mitgenommen hatten, erkundeten wir die anderen Räume. Die Schritte der Stiefel wurden immer lauter. Nicht mehr lange und die Nachhut würde da sein. Vielleicht hätten wir sie einfach erwarten sollen. Je weniger diesem Laduguer huldigten, desto besser. Aber ja, es würde nicht bei diesen bleiben. Immer mehr würden kommen und irgendwann würden sie uns überrennen. Ein weiterer Raum enthielt ein nobles Gemach. Große, schwere Sessel aus einem schwarzen Leder standen um einen prunkvollen Thron herum. Der Thron allerdings war nicht so langweilig, wie die sonstigen Sachen der Duergar. Die Verzierungen waren verspielt und er sah nicht wirklich praktisch aus. Vielleicht irgendein Schatz, den sie aus ihren Kriegen mitgenommen haben. Für einen Schatz sprachen auch die drei großen Truhen, die an der Wand standen. Auch waren überall Gefäße auf Tischen verteilt, in denen Körperteile eingelegt waren. Einige Innereien, aber auch Hände und Köpfe waren zu sehen. Ich konnte erkennen, dass es auch Dunkelelfen waren, die ihre Körper bestimmt sehr gerne zur Verfügung gestellt hatten. In einem Gefäß lag etwas, dass ich erst für ein Stück Fleisch hielt, ähnlich einer Wurst. Aber dann trat Lyrismar neben mich und das Bild, als er sich mit den beiden Frauen vergnügt hatte, kam wieder hoch. Er fragte, ob sie diese Körperteile essen würden. Wer weiß? Wer immer nur an Arbeit denkt und keine Freuden kennt, der ekelt sich vor nichts und isst vielleicht auch so etwas. Wir schafften den Inhalt der Truhen in das Labor, was Ortnor uns netterweise überlassen hatte, und gingen in den nächsten Raum. Diesmal war der Raum etwas kleiner und gefüllt mit dem modrig-süßen Geruch eines Parfüms, welches sie hier unten wohl sehr gerne verwenden. Warmer Dampf von Waschzubern füllte den Raum. Die Kohlebecken unter den Zubern verhießen ein bequemes Bad. Doch die Ketten mit Widerhaken sagten etwas anderes. In den Ketten hingen, wie in einem Regal, weitere Frauen. Sie waren nicht tot, sondern wanden sich und jammerten vor Qualen. Die nackten Körper waren übersät mit Narben der Folter. Sabberfäden hingen von ihren Mündern herab. Sie konnten die Qualen vielleicht nicht mehr aushalten und beschlossen sich in den Wahnsinn zu flüchten. Doch vielleicht waren es auch Drogen. Auf einem Tisch lagen etliche Stücke einer Wurzel, die mir bekannt vorkam. Es war eine der Zutaten für den Grausud, den Neire immer bei sich hatte. In einem Waschzuber lag eine weitere Frau, eine von den Dunkelelfen. Auch für sie war es keine Erholung. Die Ketten und Haken waren durch ihre Haut getrieben und hielten sie in einer verkrümmten Haltung, so dass sie sich nicht rühren konnte. Ihr Augen waren klarer als die der anderen, aber als sie versuchte zu sprechen kam nur ein unverständliches Würgen heraus. Ihre Zunge war nicht mehr da, ebenso wenig wie ihre Zähne. Offenbar war sie zu gesprächig für Laargyr. Das Gesicht, trotz der Spuren der Folter, hatte etwas Erhabenes. Bargh schien das Gesicht von irgendwo zu kennen, aus einem Buch über alte Adelsgeschlechter der Dunkelelfen. Ein weiteres Gemach durchsuchten wir noch, jedoch sahen wir dort nur Kojen, auf denen hübsche menschliche und dunkelelfische Sklavinnen ruhten. Ihre träumenden Augen erinnerten mich an den vernebelten Blick von Lyrismar.

All diese Kammern brachten uns jedoch nicht näher zu unserem Ziel, bis wir durch Zufall an die Decke der Eingangshalle blickten. Dort bildete sich ganz schwach die Kontur einer Luke ab. Wir hatten wieder vergessen, dass es für die Kreaturen der Nachtzwerge natürlich ist, sich auf mehrere Meter zu vergrößern. Die Schritte wurden immer lauter und wir konnten schon ihre Stimmen hören. Bargh breitete seine dunklen Rabenfedern aus, die er durch sein Spiel mit dem Schicksal erhalten hatte. Kraft seiner Schwingen begab er sich langsam zur Decke. Die Stimmen waren jetzt ganz nah. Sie waren direkt hinter der Türe, wo wie die beiden Dirnen zurückgelassen hatten. Doch wie dankten die Frauen es uns, dass wir sie nicht direkt umgebracht hatten? Schon nach dem ersten lauten Wort, plapperten sie direkt heraus, dass es Meister Halbohr war, der hier vorbeikam. Natürlich hatten sie ihn erkannt. Sein Gesicht und sein Ohr kannte inzwischen wohl jeder. Ich wusste, dass sein Handel mit den Dämonen nicht gut für uns gewesen war. Aber wir hatten noch Zeit. Sie fingen an sich zu streiten. Einfach durch die Türe zu gehen war ihnen verboten. Sie hatten Angst obwohl es doch offensichtlich war, welchen Weg wir genommen hatten. Bargh griff in dem Moment nach der Klappe und riss sie aus der Öffnung. Krachend fiel sie zu Boden. Die Stimmen in dem anderen Raum stockten für einen Moment. Die Entschlossenheit wuchs. Einer von unseren Verfolgern bezeichnete sich als Grimringwächter, ein anderer als Runenweber. Es waren wohl militärische Ränge dieser Priester. Sie sagen, dass sie Kraft ihres Ranges wohl Zutritt hätten zu den Kammern. Was ihnen aber nicht helfen würde, denn sie hatten nicht den Schlüssel. Sie entschieden gegen ein Aufbrechen der Türe und schickten nach Daurgonn dem Grauen und Hornbald dem Grausamen für den Schlüssel. Weitere Zeit für uns, dachte ich mir. Das Schicksal sowie Flamme und Düsternis sind uns wohl gesonnen bei unserer Aufgabe.

Bargh ließ ein Seil herunter und während die Verfolger immer noch diskutierten, kletterten wir die Luke herauf. Sie öffnete sich in eine große, halbkreisförmige Halle, die mit Säulen gestützt wurde. Vor jeder Säule stand in ewiger Wachsamkeit eine riesenhafte Rüstung mit Äxten und Schwertern statt Händen. Überall lagerten in Kisten Massen von Erzen und Mineralien, wobei keine Kiste Ne’ilurum enthielt. Dafür aber die große doppelflügelige Türe, die aus dem Saal herausführte. Diese war aus purem Ne’ilurum. Ein meisterhaftes Schloss sicherte das Portal und weder Halbohr noch Lyrismar konnten dem Schloss habhaft werden. Doch auch hier half uns Laargyr ungewollt. An seinem Schlüsselbund befand sich ein weiter Schlüssel, der in das Schloss passte. Knirschend drückte Halbohr die Türe auf. Ich blickte verstohlen auf die Rüstungen und wartete darauf, dass sie sich in Bewegung setzten. Ich sah, dass auch Bargh und Lyrismar meinem Blick folgten, doch nichts passierte. Nicht die kleinste Regung. Schnell huschten wir durch das Portal und folgten dem Tunnel dahinter in die Dunkelheit. Der Tunnel war lang, viel länger als der Tempel sein konnte. Dies musste der Weg zu unserem Ziel, dem Morund Stein sein. Und ein sanftes rötliches Glühen kündigte ihn beeindruckend an.

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Sitzung 100 - Die letzte Linie
« Antwort #105 am: 16.02.2024 | 22:02 »
Je näher wir dem rötlichen Glühen kamen, desto mehr konnte ich die wunderbare Stimme in meinem Kopf wahrnehmen. Ich wusste natürlich, dass die Stimme nicht wirklich da war. Ich war schließlich nicht verrückt. Aber irgendwie war sie doch da. Sie säuselte mir zu, gab mir Kraft und Zuversicht. Ich wusste auch wem die Stimme gehörte, hatte ich sie doch schon lange gemisst. Die Stimme meiner geheimnisvollen und doch wunderbaren Herrin war wieder bei mir. Es war, als ob sie die Prüfungen, die ich über mich ergehen ließ, als bestanden ansah. Verlassen hatte sie mich nie, aber jetzt war sie so nah wie schon lange nicht mehr. Ich trug meine Maske, deswegen konnten die anderen nicht sehen wie ich lächelte. Aber wahrscheinlich hätten sie es eh nicht verstanden. Halbohr auf keinen Fall. Auch wenn der Elf mit dem einem Ohr mit ihr im Bunde stand, so würde er niemals die Nähe zu ihr haben können, wie ich sie habe und auch Neire und Bargh.

Halbohr hielt plötzlich inne. Irgendetwas schien er zu hören. Seinem Flüstern nach, weitere Nachtzwerge vor uns. Sie warteten auf eine Lieferung. Vorsichtig schlichen wir uns voran. Lyrismar ging neben mir, im Schatten des Drachentöters Bargh. Er hatte noch immer noch den Gestank dieser Dirnen an sich. Da der Geruch der Essen immer weniger wurde, drang das Parfüm der Sklavinnen jetzt noch stärker in meine Nase. Die Bilder der Erinnerungen kamen mit dem Geruch und es widerte mich an. Doch ich ertappte mich auch, indem ich Lyrismar heimlich beobachtete. Als sich der Tunnel in eine Höhle öffnete, sahen wir, woher das rötliche Glühen kam. Sie hatten hier in Käfigen Feuerkäfer gefangen. Auch wenn diese Sorte keine Flügel hatte. Dennoch verströmten sie ihr Licht wie glühende Kohlen. Wir waren noch im Schatten des Ganges, daher konnten wir den ein oder anderen Blick riskieren. Ein Gatter versperrte einen dieser Schächte, in denen sie Plattformen durch ihre Konstruktionen nach oben und unten bewegen konnten. Vor dem Gatter standen vier gerüstete Krieger der Nachtzwerge. Die Höhle breitete sich nach rechts aus und dort standen drei lebendige Rüstungen. Ihre Arme endeten in Schwertern und Äxten. Sie waren schwer zu erkennen, da sie fast schon außerhalb des Lichts der Feuerkäfer standen.

Der Plan war schnell gefasst. Wir würden in den Raum hineinstürmen und die Wachen niedermachen. Danach uns um die Rüstungen kümmern. Ich beschwor weitere meiner gefangenen Seelen. Vielleicht würden sich einige ihre Freiheit verdienen, wenn sie mich beschützten. Aber wahrscheinlich führen sie direkt zu Jiarlirae, um ihre Flammen zu nähren. Wir wollten uns bis an den Rand des Lichtes schleichen und dann loslaufen. Doch unsere Schritte waren zu laut. Sie konnten einen zersplitternden Stein hören und waren sofort aufmerksam. Einer schrie noch „Eindringlinge“ und schon brachten sie sich in Formationen. Nun gut, es hätte nichts geändert. Sie waren mir ohnehin nicht gewachsen, das wusste ich von dem Flüstern in mir. Ich beschwor flammende Pfeile die sich in die Leiber bohrten und ihre Kleidung entzündeten. Schreiend liefen sie umher, nur um von Barghs und Lyrismars Klinge erlöst zu werden. Eine Türe flog auf und weitere Schergen strömten dort heraus. Ein Gestank von Schweiß und Fäkalien drang aus dem Raum dahinter und ich konnte kurz sehen, dass sich dort eine Art Pferch für Sklaven befand. Ein großes Rad mit eisernen Sprossen war an weiteren Mechanismen festgemacht, so dass die Sklaven dort drin hineinsteigen und es drehen konnten. Die Wachen drängten sich durch die Türe. Sie stürmten vorwärts, in ihr eigenes Verderben. Ich flehte zu Jiarliare um zerstörende Schatten und sie schenkte mir eine surrende Lanze, die die Leiber der Wachen und einige der Sklaven einfach zerfetzte. Einer der Soldaten konnte sich noch mit einem beherzten Sprung retten, doch der blutende Einhorndolch von Halbohr erwartete ihn schon.

Die Rüstungen hatten sich noch kein Stück bewegt. Halbohr trat in den Sklavenpferch hinein. Ich verstand nicht was er jetzt wieder für einen Plan hatte, als er mit einer größeren Ork-Kreatur sprach. Er wollte sie zu irgendetwas überreden, aber die Kreatur machte keine Anstalten Halbohr zuzuhören. Ich musste schmunzeln. Halbohr hatte wohl vergessen dem Ork zu erklären, dass er jetzt Meister Halbohr war. Es war vergeudete Zeit. Hinter den Rüstungen konnten wir Stimmen hören. Ein Hauptmann befahl wohl einem Trupp, das „Unternehmen Morund“ in Bewegung zu setzen. Was das hieß, sollte ich schon bald am eigenen Leib erfahren.

Wir versteckten uns in verschiedenen kleineren Öffnungen. Meine war eine kleinere Höhle, wo sie große Marmorblöcke lagerten. Bargh und die anderen waren in einer größeren Höhle, wo Haufen von Schilf, Ölfässern und anderen Sachen aufgebahrt waren. Dort warteten wir, wie Halbohr es vorschlug. Doch nichts passierte. Ein weiterer Plan von Halbohr, der uns nicht weiterbrachte. Nicht nur ich wurde unruhig, auch Bargh trat immer wieder aus der Höhle raus. Nach einer gefühlten Ewigkeit trafen wir uns in der offenen Halle und gingen vorsichtig einige Schritte zu den Rüstungen. Schon als wir uns näherten setzten sie sich ruckhaft in Bewegung. Mit schweren stampfenden Schritten gingen rückwärts in die Dunkelheit. Wir folgten ihnen vorsichtig. Ich konnte fast nichts mehr sehen. Das Licht der Feuerkäfer war direkt hinter uns und vor uns nur die Schwärze der Dunkelheit. Doch plötzlich gab es ein Rasseln von schweren Ketten und Funken von Metall auf Metall stoben auf. Die Funken schenkten uns ganz kurz einen Blick, aber das was ich sah war grauenvoll. Aus der Decke des Ganges schossen große metallene Spitzen heraus und die ganze Decke begann auf uns zu stürzen. Halbohr und Bargh gingen ziemlich weit vorne. Die Spitzen rammten sich durch die Rüstung und durch ihr Fleisch. Ich konnte sie im Dunkeln aufschreien hören. Lyrismar schaffte es rechtzeitig nach hinten weg zu springen, doch ich hatte nicht so viel Glück. Die Spitzen fielen auf mich herab, doch die verdammten Seelen sammelten sich. Sie waren meine Sklaven und würden mich noch im Nachleben beschützen müssen. Ich konnte ihre Schreie hören, als sie sich gegen die Spitzen warfen. Nur einige wenige Splitter bohrten sich mir ins Fleisch, als sich die Decke wieder schleifend nach oben bewegte. Auch die Rüstungen wurden durchbohrt, doch ich konnte noch deutlich hören, wie sich quietschend weiterbewegten. Ein Flammenschein erhellte plötzlich den Gang. Es war die Klinge von Bargh. Die Schatten hatten sich entzündet und die gleißende Hitze zerschmolz die Panzerplatten der Rüstungen. Wir standen vor einer weiteren Wand und auch hier drangen kegelartige Spitzen hervor. Auf den Boden sah ich jetzt deutlich drei Schienen die in unsere Richtung führten. Die Wand bewegte sich noch nicht, ich ahnte aber, dass es war nur eine Frage der Zeit war.

Das Licht von Barghs Schwert erlosch und ich war wieder in Dunkelheit gehüllt. Immer noch dieses verfluchte Leuchten dieser Käfer was mir die Sicht nahm. Sie waren Abnormitäten, nicht so wie Funkenträger. Ich wollte irgendetwas töten, also schleuderte ich einige Kugeln aus magischer Energie auf diese Kreaturen. Sie zerplatzten in ihren Käfigen und ihr leuchtendes Sekret tropfte auf den Boden unter ihnen. Vielleicht war das ja eine Möglichkeit. Ich tauchte meinen Säbel in die Flüssigkeit und sie leuchtete weiter an der Klinge. Jetzt konnte ich wenigstens etwas mehr sehen. Plötzlich trat auch Halbohr neben mich. Warum war er nicht da vorne und kämpfte? Brauchte Meister Halbohr etwa meine Hilfe? Traute er sich nicht ohne mich? Ich schrie ihn an und zusammen gingen wir wieder dem Kampfeslärm entgegen. Aber Bargh und Lyrismar brauchten gar keine Hilfe. Zusammen hatten sie schon die Rüstungen in ihre Einzelteile zerlegt. Jetzt konnten wir die Wand genauer sehen. Die Spitzen ragten uns bedrohlich entgegen, aber die Wand reichte nicht bis zur Decke. Man könnte an den Spitzen hochklettern, um sie zu überwinden. Fast so wie wir es am Eingang zu Unterirrling gemacht hatten. Doch ich erinnerte mich noch gut daran, was uns hinter den Speeren erwartet hatte. Hier würde mir das nicht passieren, hier würde ich mich nicht überraschen lassen. So dachte ich zumindest.

Halbohr und Lyrismar kletterten geschickt die Spitzen hoch. Der gesalbte Krieger Jiarliraes zog sich mit seinen ungewöhnlich langen Armen geschwind Wand hoch. Bargh faltete seine schwarzen Rabenfedern auf und stieß sich mit schweren Schlägen seiner Schwingen nach oben. Auch ich zog mich an den Spitzen hoch. Immer wieder schnitten sie mir leicht in die Arme und ich kam nur schleppend voran. Plötzlich konnte ich von der anderen Seite der Wand einen lauten Befehl hören: „Unternehmen Morund: Zweite Wand! Jetzt!“. Das Knacken eines Hebels war die einzige Vorwarnung. Plötzlich schoss die Wand, an die ich mich noch immer klammerte, wie ein Katapult nach vorne und schleuderte mich zurück. Ich schlug hart auf den Boden auf. Mein Rücken schmerzte grauenvoll, genauso wie meine Arme, meine Beine und mein Kopf. Etwas konnte ich mich noch abrollen dennoch schlug ich auf dem Stein auf. Alles drehte sich für einen Moment und ich bekam keine Luft mehr. Doch ich durfte jetzt nicht aufgeben. Gerade jetzt, wo ich meiner Herrin wieder so nahe war. Es war fast als ob sie mich in meinem Kopf anschreien würde. Ich musste aufstehen. Jetzt! Also gehorchte ich, trotz der Schmerzen. Ich musste wieder zurück. Diese feigen hinterlistigen Kreaturen würden dafür bezahlen mit Blut und Qualen. Die Wand kam zwar nach vorne, dennoch versperrte sie noch immer den Gang. Also musste ich wieder hochklettern, schneller diesmal.

Als ich oben ankam konnte ich besser sehen. Das Licht der Käfer wurde von der Mauer abgehalten. Die anderen waren schon in einer weiteren Höhle. Weitere der Duergar-Schergen waren dort. Einer hatte eine silberne Kordel um die Schulter geworfen. Auf diesen wollte sich Halbohr stürzen, doch er prallte plötzlich gegen etwas Unsichtbares. Ich kniff meine Augen zusammen und konnte einen leichten milchigen Schimmer erkennen. Dort stand eine durchsichtige Wand aus Energie und die Nachtzwerge dahinter grinsten Halbohr an. Ich konnte die Stimmen eines Gebetes hören und der Nachtzwerg mit der Schnur brüllte einen weiteren Befehl. Das Flimmern in der Luft fiel in sich zusammen und die Duergar stürzten sich auf die drei. Der Kampf entbrannte. Barghs Klinge spie Flammen, die Dolche von Halbohr fanden ihren Weg. Doch auch Axt und Picke der Nachtzwerge rammten sich in das Fleisch ihrer Gegner. Es war ein harter Kampf und ich musste mich beeilen. Ich würde sie alle brennen lassen. Als Lyrismar ebenfalls magische Energien beschwor, brach das Chaos aus. Die Axt des Anführers traf Lyrismar im gleichen Moment, als er die magischen Energien entfesselte. Als das geschah explodierte die Welt um Lyrismar herum. Ein Meer von Flammen füllte die ganze Höhle aus. Ich konnte nichts mehr erkennen, nur die Schreie waren noch da. Es war als ob die Herrin selbst Rache nehmen wollte und sich Lyrismar als ihr Gefäß ausgesucht hatte. Kampfeslärm und Todesschreie waren das Einzige, was noch da war. Ab und zu sah man die massive Gestalt von Bargh auftauchen. Die Flammen stoben um ihn herum, berührten ihn aber nicht. Aus den Flammen sprang Halbohr heraus und suchte sein Heil in der Flucht. Irgendwann brüllte Bargh etwas, was ich nicht verstand, doch das Flammenmeer bewegte sich dann langsam auf mich zu. Von der Spitze der Wand konnte ich etwas über die Flammen sehen. Dort wo das Feuer sich jetzt weg bewegte, waren nur noch die verkohlten Leichname der Duergar übrig. Ich sah Bargh schwer keuchend und verletzt dort stehen, sein Schwert bedeckt mit verbranntem Blut. Es dauerte noch etwas, dann verschwanden die Flammen wieder. Dort war auch Lyrismar, wütend und fluchend. Die Flammen hatten sich anscheinend um ihn herum gebildet und waren ihm gefolgt. Doch man sah ihm an, dass dies nicht von ihm gewollt war. Er riss die Haut des Höllenhundes von sich und warf sie auf den Boden begleitet von Verwünschungen. Er war wohl der Meinung, dass diese Haut es war, die seine Magie gestört hatte. Aber er war sich seiner Sache selbst nicht sicher. Er hielt inne und betrachtete die Haut. Sie hatte ihm bisher vor Flammen beschützt. Daran erinnerte er sich auch wieder. Immer noch fluchend, aber inzwischen leiser, nahm er die Haut wieder an sich und warf sie über.

Wir plünderten das, was von den Leichen übrig war. An der Höhle hinter der Stachelwand schloss sich eine kleinere Kammer an, die sie als kleineren Wachraum nutzten. Wir fanden auch einige Hebel, die Lyrismar direkt ausprobierte. Mit knackenden Geräuschen steuerten die Hebel die Wände des Ganges und sogar die flimmernde Barriere von Magie. Und schließlich fanden wir unseren weiteren Weg, eine breite Wendeltreppe, die in die Tiefe führte.

Ich war aufgeregt, aber auch vorsichtig als ich die Stufen hinab schritt. Man konnte von unten ganz schwach ein Rauschen hören, wie von Wassermassen. Da war aber auch ein dumpfes Dröhnen. Der ätzende Geruch des Sees wurde wieder stärker und drang langsam und beißend in meine Nase. Die Außenseite der Treppe öffnete sich mit einem Mal. Sie führte an einer Felswand um einen Abgrund entlang. Neben uns ging es hinab und auf der anderen Seite konnten wir den spiralförmigen Tunnel unter uns sehen. Ein falscher Schritt und wir würden hier in endlose Tiefen stürzen. So gingen wir weiter und weiter nach unten. Inzwischen konnte ich vom Abgrund her ein verwaschenes Licht sehen. Gift-gelblich und grün, schimmerte es wie ein leuchtender Nebel. Ein dumpfes Dröhnen drang aus der Tiefe empor. Lyrismar wurde mit jedem Schritt nachdenklicher, was ich bei ihm noch nicht gesehen hatte. Irgendwann hielt er inne und streckte seine Hand über den Abgrund aus. Seine Stirn legte sich nachdenklich in Falten und er sagte: „Der Nebel, das Licht...Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich kann es spüren, irgendeine Veränderung. Es fühlt sich fast wie meine Heimat an, aber doch irgendwie anders. Wir müssen mit unserer Magie vorsichtig sein. Die Kunst, die einen an andere Orte bringt, wird hier nicht funktionieren.“ Ich hörte seine Worte, aber ich würde weiter gehen. Natürlich nicht für einen König. Ich würde weiter gehen, weil es mein Weg ist, der mir gewiesen wurde. Ich spürte die Furcht, die Angst vor meinem Tode. Doch die Stimme meiner Göttin war mit mir, wie sie auch mit Bargh und Lyrismar war. Ich würde meinen Tod freudig erwarten, denn ich würde in ihr Reich hinabsteigen. Und mit mir wären meine Begleiter. Die Seelen der auf ewig Verdammten, die ich an mich gebunden hatte. Ich lauschte ihren Schreien und ihrem Flehen. Sie gaben mir glorreiche Erhabenheit, einen unstillbaren Durst auf das Nachleben im Reich der Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes.

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Sitzung 101 - Geschwür einer anderen Welt
« Antwort #106 am: 24.02.2024 | 11:45 »
Die Rampe bohrte sich immer tiefer hinein, in den im gelblich-grünlichen Licht wabernden Abgrund unter uns. Es war wie eine Schnecke, die sich in eine andere Welt grub. Das Licht weiter unten machte alles diffus und mit ihm drang auch der beißende Geruch des Arbolbaar Sees wieder an meine Nase. Unser Weg hinab war untermalt von dem dumpfen Geräusch, das irgendwo aus den gift-gelben Nebeln und der Tiefe kam.

Einer weiteren Windung folgte noch eine, doch dann verschwand die Rampe vor uns. Dort wo die Säulen eigentlich hätten stehen sollen, die den steinernen Weg stützten, fehlte ein großes Stück der Felswand - vielleicht herausgebrochen und das auch schon vor langer Zeit. Aber es war nicht das Ende unseres Weges. Kurz vor der Kante stand eine steinerne Türe und führte in den Felsen hinein. Es war keine dieser Türen, wie sie die Nachtzwerge gerne benutzten. Diese hier schien kunstvoller, sie wirkte irgendwie fehl am Platze. Wir waren jetzt schon recht tief und inzwischen konnten wir in dem gelben Dunst unter uns einige Konturen erkennen. Die einzelnen Umrisse sahen aus wie Seile und da war etwas, das an den Seilen hing - vielleicht Kisten oder eher Käfige. Halbohr bemühte sich die Türe leise aufzudrücken, doch wir alle konnten die lauten Geräusche dahinter hören, den Lärm von Kindern, die riefen, lachten und schrien. War es wirklich das, was ich dort hörte oder spielte dieser unheilige Ort mit meinen Gedanken? Als sich die Türe öffnete, konnten wir dahinter einen großen Raum erkennen und wieder schien es mir, als ob wir die Stadt der Nachtzwerge schon lange hinter uns gelassen hätten. Auch dieser Raum hatte Bogen-ähnliche Verzierungen. Doch welch kranker Geist auch das Bauwerk vollbracht hatte, hatte überall die Muster von Tentakeln hineingearbeitet. Das Ganze sah aus, als ob man versucht hatte eine Krankheit von Geschwüren darzustellen. Der Boden war übersät mit allerlei kleinen Gegenständen. Rasseln, Murmeln, Puppen, hölzerne Räder, Kreisel und sonstiger Kram lag verstreut herum. Ich verstand nicht, wozu diese Dinge alle dienen sollten. Wenn hier wirklich Kinder sein sollten, wieso hatten sie dann nichts Besseres zu tun als mit diesen Dingen zu spielen? Mussten sie denn keine Arbeit verrichten?

Vorsichtig tasteten wir uns weiter. Kleine Treppen führten hinab in einen weiteren Raum wo eine große Tafel voller Essen aufgebaut war. Dort saßen sie alle und verschlangen Fleischstücke und Tintenfische. Die Kinder waren allesamt Duergar, doch sie hatten alle Missbildungen. Ich konnte ihre aufgeblähten Köpfe und verdrehten Augen erkennen. Ich sah, dass sie debil waren. Weitere der zurückgebliebenen Kinder, die in Urrungfaust eigentlich geopfert werden sollten? Sie wurden umsorgt von einer jüngeren Matrone der Duergar, die zwischen den Stühlen hin und her huschte und verzweifelt versuchte für etwas Ordnung zu sorgen. Was ihr aber nur schwer gelang. Immer wieder hielt es einer der Bälger für lustig, laut zu furzen und die anderen, bar jeglichen Verstandes, lachten lauthals mit. Auch trommelten sie mit ihren Gabeln oder mit nackten Händen auf den Tisch. Das Gejohle klang hell wie hohl und wurde durchbrochen von einzelnen schwachsinnigen Lachschreien. Die meisten hatten schon ihr Essen beendet und die Frau begann die Schüsseln wegzuräumen. Der Teller vor einem Kind hatte noch ein großes Stück gebratenes Fleisch darauf und offenbar wollte der Junge noch weiter essen. Er öffnete seinen Mund und zwischen seinen faulen Zähnen drangen dumpfe Laute hervor. Vielleicht sollte das ein Schreien sein, aber sein missgebildeter Verstand konnte keine vernünftigen Laute vorbringen. Als er aber seine Hand nach dem Fleisch ausstreckte begann das Stück plötzlich in der Luft zu schweben. Das Kind machte eine ruckhafte Bewegung und das Fleisch flog wie von selbst in seinen Mund. Die Duergar Frau schien davon aber nicht wirklich beeindruckt zu sein. Doch aus anderen Ecken des Raumes traten zwei Gestalten in den Raum und als ich sie sah, blieb mir kurz der Atem weg. Ein außerweltliches, fremdes Grauen war in die unwirkliche Szene gebrochen. Auf den ersten Blick wirkten sie wie zwei Menschen, gekleidet in schmutzige Roben, aber ihr Schädel war mit rötlichen Wülsten bedeckt und glänzten schleimig. Der Kopf drehte sich etwas und ich konnte deutlich den Mund sehen. Allerdings war dort kein Mund, sondern vier Tentakel wuchsen an dessen Stelle. Ich erkannte sie wieder. Diese Kreaturen hatten wir schon in Unterirrling auf dem Markt gesehen. Und ich erinnerte mich auch an die Stimmen, die ich in meinem Kopf gehört hatte. Nicht lieblich und angenehm waren sie gewesen, sondern abscheulich und erschreckend. Die Augen hatten keine Pupillen und waren einfach nur weiß. Trotzdem schienen sie des Sehens fähig, als sie das Kind mit großem Interesse betrachteten. Sie schauten die Duergar Frau an und sie nickte einfach nur und sagte: „Jawohl meine Meister, ich werde nur noch die Tafel abräumen“. Von keiner der Kreaturen war auch nur der kleinste Laut gekommen, doch die Duergar Frau schien trotzdem verstanden zu haben.

Halbohr schlich sich nach vorne, von Lyrismar war schon nichts mehr zu sehen. Leise folgte er der Duergardienerin, doch er hatte nicht aufgepasst. Sein Stiefel trat auf eine Rassel, die mit einem lauten Knacken auseinander¬sprang. Plötzlich richteten sich alle Augen auf Halbohr. Vorbei war es mit der Heimlichkeit. Es war mir ohnehin lieber und so sparten wir uns Rederei. Als die weißen Augen der Kreaturen uns anstarrten, spürten wir, wie in unseren Köpfen etwas wütete. Eine Kälte jagte durch unseren Geist und lähmte alle unsere Nerven. Doch Jiarlirae ist stärker als diese Kreaturen. Ich spürte wieder ihr Säuseln in meinem Kopf und merkte wie allein ihr Dasein die Macht der fremden Kreaturen zunichtemachte. Lyrismar erschien aus dem Schatten direkt hinter einer der Kreaturen und stach seine gezackte Klinge durch den Brustkorb. Auch Bargh und Halbohr stürmten nach vorne. Schnell lagen die Kreaturen in ihrem eigenen Blut. Die Duergar Frau versuchte zu fliehen doch Bargh schaffte es sie einzuholen bevor sie durch eine weitere Türe verschwinden konnte. Seine Klinge blutete Feuer und das Feuer verzehrte die Frau.

Die Kinder waren zu dumm um zu verstehen was geschehen war. Für sie war es nur laut und sie bekamen Angst. Dümmlich begannen einige zu schreien. Tränen strömten über ihre rundlichen Gesichter und gelber Sabber lief über ihr Kinn. Bargh und Lyrismar schleiften die Leichen in einen Küchenraum, während Halbohr den Kindern Spielzeug zuwarf. Tatsächlich begannen sie sich zu beruhigen. Ihre ärmlichen Gedanken hatten offenbar nicht genug Platz für viele Erinnerungen und der Schrecken war schnell wieder vergessen. Ich schlug vor den Kindern ein neues Spiel zu zeigen. Nämlich das Spiel wie man fliegen lernt. Der Abgrund würde sich gut dafür eignen und es würde ein richtig schönes Spiel werden. Und ein Einfaches, sogar diese Missgeburten würden es verstehen. Entweder sie würden schnell lernen zu fliegen oder sie würden verlieren. Lyrismar fand die Idee auch gut, doch Bargh und Halbohr konnten wir nicht überreden.

Weitere Räume schlossen sich der Essstube an. Es waren Schlafkammern wovon zwei sogar von außen ein Schloss hatten. Immerhin etwas beruhigendes in dieser Fremdheit. Auch hier wurden ungehörige Kinder bestraft. Wir folgten einer Treppe hinab, wohin die Duergar Frau versucht hatte zu fliehen. Vor einer Türe hörten wir weitere Stimmen. Jemand gab Anweisungen, irgendetwas mit einer Murmel und in welche Richtung sie rollen sollte. Halbohr drückte vorsichtig die Türe auf. Der Raum dahinter war in ein warmes, grün-gelbes Licht getaucht und am anderen Ende war an der Wand eine weitere Art von Spiel aufgebaut. Metallnägel waren in regelmäßigen Abständen in Holz gehauen. Auf der Oberseite waren Öffnungen und ein debiles Mädchen, mit zwei kurzen, geflochtenen dunkelblonden Zöpfen an der Seite und schmalen Augen, warf gerade zwei Murmeln in die mittlere Öffnung hinein. Wir konnten sehen wie sie mit einem Klacken von Nagel zu Nagel fielen. Eigentlich erwartete ich, dass die Murmeln einen zufälligen Weg nehmen würden, doch stattdessen fielen sie, zumindest eine davon, immer zur linken Seite. Neben ihr stand eine weitere Duergar Frau und gab ihre Kommandos: „Nein nein, sie müssen beide hierhin. Versucht es mit beiden Kugeln.“. Und: „Jetzt in diese Richtung!“. Die rechte Seite des Raumes war ausgefüllt mit einem gläsernen Bildnis. Wir konnten das Spiegelbild des Raumes darin sehen, doch die Reflexion sah irgendwie merkwürdig aus. Halbohr schlich sich weiter nach vorne in den Rücken der Duergar Frau. Sein Einhorndolch glitt durch ihren Hals. Blut spritzte auf und röchelnd sank sie zu Boden. Das Mädchen wollte schreien doch Halbohr drückte ihr schnell seine Hand auf ihren Mund. Dann hörten wir das helle Klingeln von Glöckchen. Wir konnten keinen Ursprung des Geräusches ausmachen.

Wir hatten es gehört, doch konnten mit dem Geräusch nicht wirklich etwas anfangen. Das Klingeln klang nah, aber dann doch wieder so, als ob es ganz weit weg wäre, wie von einem Echo. Es ebbte etwas ab und dann spürten wir die Welle von Kälte über uns hinwegfegen. Wieder zuckten alle Nerven in meinem Körper zusammen. Es war noch stärker als beim letzten Mal. Das Mädchen konnte nur noch die Augen vor Schreck aufreißen, dann froren sämtliche Muskeln von ihr ein. Wie aus dem Nichts erschienen mitten in dem Raum sieben dieser schrecklichen Kreaturen. Aus nächster Nähe konnte ich die Saugnäpfe auf ihren Tentakeln sehen und den Schleim den sie absonderten. Bargh und Halbohr zögerten nicht lange und drängten auf die ersten Kreaturen. Auch ich war nicht untätig. Ich beschwor eine Lanze von wirbelnden Schatten. Doch anstatt die Monstrositäten zu zerfetzen, floss die Magie einfach um sie herum. Nicht jedoch das Glasgemälde. Innerhalb nur eines Herzschlages zitterte erst das Glas und sprang dann mit einem Krachen in tausende kleine Splitter. Hinter dem Glas offenbarte sich ein weiterer Raum. Keine Spielsachen, sondern blutverschmierte Tische waren zu erkennen. Auf einem lag der tote Leib eines weiteren Kindes. Der Schädel war ihm geöffnet worden und das extrahierte Gehirn ruhte fein säuberlich daneben. Auf dem Tisch daneben lagen nur noch Knochen. Das Fleisch war sauber abgeschält worden und aufgeschichtet, als wenn es schon bald in einem Kochtopf landen sollte. Ich konnte mir vorstellen, dass sie den schwachsinnigen Kindern weiter oben das Fleisch ihrer geschlachteten Kameraden servierten. Schnell verwarf ich den Gedanken und betrachtete hastig den Raum. Gläser enthielten weitere Gehirne. Zwei der Kreaturen standen dort vor dem Tisch. Über ihren dreckigen Roben trugen sie schwere Lederschürzen, die voll mit frischem Blut waren. Eine weitere Welle dieser Geisteskälte flog über uns, doch immer noch konnten sie unseren Glauben an unsere Herrin nicht brechen. Ich packte den schwarzen Säbel an meiner Seite und stürmte auf die Gestalten mit den Tentakelmäulern zu. Die zwei Hiebe auf den Körper taten richtig gut. Sie schrien zwar nicht auf, dafür fehlten ihnen wohl die Münder. Aber dennoch konnte man den Schmerz erkennen. Zusammen mit Bargh und Lyrismar machten wir sie nieder. Halbohr sprang durch das zersprungene Glas und rannte den beiden Fliehenden hinterher. Sie hatten wohl erkannt, dass sie hier keinen Sieg mehr erringen konnten. Sie versuchten über eine weitere Türe zu entkommen, doch sie waren nicht schnell genug. Jetzt waren auch die anderen da und der Tod der beiden letzten Tentakel-Kreaturen kam schnell.

Wir fanden ihr Gemach. Eine dunkle und stinkende Kammer. Die schwarzen Möbel, die dort standen, waren mit Schleim bedeckt. Wir fanden Notizen, doch die Schrift hatte noch niemand von uns gesehen. Auch fanden wir diese Glöckchen, die wir gehört hatten. Als ich mir eines anschaute spürte ich etwas – ein Gefühl, das ich kannte. Es war so ähnlich wie das was ich spürte, als wir durch das Portal im Tempel des Jensehers geschritten waren. Ein weiteres Glöckchen war etwas anders. Im Gegensatz zu den anderen war es aus Kristall, nicht aus Silber. Ich glaubte, wenn man dieses Glöckchen klingen lässt weiß jemand anderes, wo es passiert ist.

Eine weitere Türe führte uns wieder zurück in die Säule und auf die Rampe. Weiter abwärts. Das Leuchten wurde stärker. Und wir konnten sehen, dass tatsächlich Käfige an stählernen Seilen über der Leere aufgehängt waren. Dort drin vegetierten verschiedene Körper. Ich konnte einige Dunkelelfen sehen, auch Menschen und einige wenige der Nachtzwerge, aber keine Kinder. Wir folgten der Rampe weiter nach unten und gelangten an einen weiteren Einbruch und eine Türe, die wieder in den Felsen führte. Dieses Mal war es eine doppelflügelige Türe, die wieder mit Tentakeln verziert war. Bargh fand die Spuren von Laargyr, aber sie waren sehr alt. Es waren auch andere Spuren zu sehen. Keine von den Duergar, sondern sie schienen eher den Tentakelkreaturen zu gehören. Das Portal führte uns in eine Höhle. Die Tentakel hier waren nicht mehr aus Stein, sondern sie waren lebendig. Schleimig pulsierten sie und gruben sich durch den Stein. Wir waren wirklich nicht mehr in Urrungfaust. Diese andere Welt darunter versuchte sich ihren Weg nach oben zu bahnen und die Tentakel waren wie eine Krankheit, die sich von hier ausbreitete. Es stank bestialisch. Nicht mehr so sehr nach dem Arbolbaar See, sondern nach Fäule und Verwesung. Die Spuren von Laargyr führten hier durch. Er hatte anscheinend stets darauf geachtet, die Tentakel nicht zu berühren. Als wir uns weiterbewegten, machten wir dasselbe. Die Höhle führte an mehreren alten Türen des stämmigen Volkes vorbei. Dort waren nur die Spuren der Tentakelkreaturen zu erkennen, also machten wir einen großen Bogen darum. Die Spuren, denen wir folgten, führten in einen kleinen Tunnel. Abzweige endeten an Türen, von denen Halbohr ein schweinisches Grunzen und Stöhnen hören konnte. Es klang entfernt wie Ork Kreaturen, aber auch irgendwie anders. Ein Abzweig führte zu einer alten verfallenen Kapelle. Irgendwann musste jemand hier einmal Laduguer gehuldigt haben, doch das war schon lange her. Wer es auch war, sie mussten festgestellt haben, dass ihr Gott schwach war. Die Tentakel haben diese Kapelle für sich erobert und schlängelten sich um das, was von den Statuen übriggeblieben war. Eine war in der Mitte aufgebrochen und offenbarte einen alten geheimen Gang. Und dahin führten auch die Spuren von Laargyr.

Der Gang offenbarte sich als Zellentrakt. In kleinen Nischen in der Wand konnten wir die verschlossenen Türen sehen. Über jeder führte ein dickes stählernes Seil an Rollen zu dem Abgrund. Wer auch immer dieses Gemäuer gebaut hatte, musste ein Meister sein. Ich nahm an, dass man mit komplizierten Mechanismen die Zellen mit denen tauschen konnte, die über den Abgrund schmorten. Der Gang führte an einer weiteren Türe vorbei und endete schließlich an einer Wendeltreppe. Von der Türe konnten wir wieder das Grunzen der Orkrasse hören. Es hörte sich an als, ob sie gleichzeitig fressen würden und sich mit Frauen vergnügten. Dieses Bild sollte erst überhaupt nicht in meinen Kopf hinein, sonst würde nur wieder der Ekel und die Abscheu über diese primitiven und minderwertigen Kreaturen hochkommen. Vorsichtig gingen wir an der Türe vorbei und betraten die Treppe nach unten. Der Geruch von Fäkalien und auch von Verwesung wurde wieder stärker. Es war mir klar, dass wir noch tiefer in das faulende Herz dieser fremden Welt hinein tauchen würden. Und wenn wir dort ankommen würden wir es herausreißen. Solch eine Fäule, solch eine Krankheit muss heraus gebrannt werden. Das wusste doch jeder.

Offline Jenseher

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Sitzung 102 - Geschwür einer anderen Welt II
« Antwort #107 am: 2.03.2024 | 23:57 »
Wir schritten in die Tiefe. Weiter hinab in das verdorbene Herz des Morund-Steines. Die von Schleim feuchten Wände gaben mir immer mehr die Sicherheit, dass es ein krankes Herz war. Durchzogen von irgendeiner fremden Fäule. Im Stein sah ich kleine Löcher. Wie Maden fraßen sich dort Tentakel nach außen. Maden, die das Fleisch von Urrungfaust fressen wollten. Vermutlich war die Stadt schon lange tot, sie wusste es nur noch nicht. Es stank widerlich nach Verwesung aber auch der beißende Hauch des Arbolbarer Sees war wieder stärker geworden. Es kostete mich einiges an Überwindung in den Tunnel zu schreiten, der sich hinter der Wendeltreppe öffnete. Den anderen schien es nichts auszumachen. Wer weiß durch welchen Unrat sie sich schon wühlen mussten, bevor ich sie kennengelernt hatte. Oder sie konnten es gar nicht riechen. Bei Bargh war ich mir zum Beispiel nicht sicher. Hinter seiner grünen Maske regte sich nichts. Nur der Opal, der sich vor seinem Rubinauge befand, glitzerte merkwürdig ohne äußeren Lichteinfluss. Es sah so aus, als ob der schwarze Edelstein in seinem Innern brennen würde, als ob der in seinem Auge verwachsene glühende Rubin dort sichtbar würde.

Vor uns zweigten zwei Tunnel ab und wir konnten wieder ein Grunzen und ein Stöhnen hören. Es klang dumpf. Es klang nach riesigen Brustkörben. Halbohr und Lyrismar schlichen voran. Der Abgesandte Jiarliraes bewegte sich in seiner roten Chaosrobe fast lautlos über den glitschigen Stein. Beide mussten immer wieder Haufen von Fäkalien ausweichen. Wer auch immer hier hauste, er hielt es nicht für nötig einen Abort zu besuchen, sondern legte sein Geschäft einfach im Gang ab. Es mussten Tiere sein. Beide spähten in die Tunnel hinein und kamen nach kurzer Zeit wieder zurück. Flüsternd beschrieb Halbohr die beiden Höhlen, die sich hinter den Durchgängen eröffneten. Dort hausten Kreaturen die so ähnlich wie Orks aussahen, jedoch viel größer waren. Sie hatten riesige Schweinekreaturen dabei. Angeblich hatten sie lange Hauer, Sattel und Rüstungen. Vielleicht dienten sie ihnen als primitive Reittiere. Als Halbohr erzählte, dass ein Ork versucht hatte eines der Schweine von hinten zu begatten, war ich mir nicht mehr sicher, ob sie sie nur als Reittiere nutzten. Die anderen Orks hatten den Schweineliebhaber wohl mit Bierhumpen beworfen und sich mit stupiden, brüllenden Lachschreien über ihn lustig gemacht. Er hatte dann von dem Tier abgelassen, bevor es zum Akt kam. Aber ich war mir sicher, dass beide, Orks und Schweine, nur wilde, wertlose Tiere waren.

Ich wusste was zu tun war. Die Stimme in meinem Innern flüsterte es mir zu. Die anderen sollten sich bereit machen. Ich würde sie ausräuchern und was noch übrig war, konnten sie erlegen. Jiarlirae schenkte mir wieder die Macht der Flammen. Ich formte sie zu einem Ball den ich behutsam in eine der Höhlen lenkte. Die anderen waren schon in Position. Krachend zerplatzte die kleine Kugel aus Feuer in der Höhle und beschwor ein flammendes Inferno. Ich genoss die Schreie der Kreaturen, wie sie dort brannten. Aber sie waren schnell. Ich glaube nicht, dass sie wirklich so etwas wie Verstand hatten, vielleicht waren es eher tierische Instinkte. Einige konnten zur Seite springen und in der gegenüberliegenden Höhle formierten sie sich. Halbohr und Lyrismar stürmten in die andere Höhle hinein, während Bargh und ich uns um das kümmerten, was noch übrig war. Als Bargh in das drecke Wachgemach eindrang, rutschte er jedoch auf dem schleimigen Boden aus. Er versuchte sich zwar noch zu halten, aber durch sein Taumeln wurde sein kostbares Schild aus Ne‘ilurum zur Seite geschleudert. Aber Bargh wäre nicht der Drachentöter, wenn er nicht auch damit fertig werden würde. Schnell raffte er sich auf und griff mit der freien Hand zu seiner Klinge Blutstein. Die Schneide war aus Knochen und sie dürstete es nach Blut. Ihr Durst sollte schon bald gestillt werden und als Blutstein in das Fleisch eines Orks eindrang saugte sich der Knochen damit voll. Der Durst war noch lange nicht gestillt, aber schon jetzt begann der Knochen zu glänzen und sah mehr nach blankem Stahl aus. Barghs Klingen und meine Schatten zerschmetterten die Überlebenden. Auch die Schweinskreaturen, die bestimmt mehrere Schritte umfassten und die Größe von kleinen Pferden hatten, gaben ihr Leben. In der anderen Höhle sah ich Halbohr umringt von einer Meute von Orks. Einige Male rammte ein Streitkolben in die Seite des elfischen Söldners. Aber auch Halbohr war im Bunde mit Jiarlirae und das schien er auch immer mehr zu begreifen. Seine Einhornklinge schlitze die Bäuche von Schweinen und Orks gleichermaßen auf. Mit der Hilfe von Lyrismar waren auch diese Kreaturen recht bald nur noch Haufen von totem Fleisch.

Der Tunnel endete an einer der steinernen Türen, die aus vergangen Zeiten der Duergar zu stammen schien. Dahinter kamen wir wieder zurück in das hohle Zentrum des Morundsteines, mit der in die Wand geschliffenen Rampe, die uns weiter nach unten brachte. Doch wir kamen unserem Ziel näher. Der Grund dieses Schlundes tat sich vor uns auf. Der dicke grün-gelbe Dampf waberte dort über den Boden. Ich konnte spüren, wie er in meiner Lunge brannte. Hier hatten die Baumeister in steinernen Nischen Armbrust-Apparate aufgestellt, doch der Rost, mit dem sie zerfressen waren, zeigte mir, dass sie schon seit langer Zeit nicht mehr funktionierten. Laargyrs Spuren führten durch eine große doppelflügelige Türe aus Stahl, die mit alten Runen der Duergar verziert war. Ich wusste nicht genau was diese Runen bedeuten sollten, aber sie erzählten etwas von Verehrungen, vermutlich für Laduguer, obwohl er doch hier schon lange keine Macht mehr hatte. Halbohr zog einen der Türflügel auf. Er wollte dabei wie immer besonders vorsichtig und leise sein, doch stattdessen hörten wir ein lautes Knirschen durch den Stein gehen. Soviel zur Heimlichkeit. Hinter dem Tor lag ein breiter Säulengang. An den Wänden waren die Bildnisse nachtzwergischer Krieger als Fresken eingelassen. Einige Türen, aus dem harten Eisenpilzholz der Unterreiche gefertigt, lagen an den Seiten. Auch hier waberte der giftige Dampf über den Boden. Am Ende unseres Sichtbereichs, wo sich der Gang verzweigte, konnte ich jedoch einen anderen Nebel erkennen. Nicht gelb und giftig, sondern weiß, fast schon strahlend. Aber viel dicker. Wie eine Wand zog er sich durch den Gang und keiner von uns konnte dort hindurchschauen.

Halbohr wollte sich gerade zum Boden bücken, um den Spuren zu folgen, da öffneten sich die Türen an den Seiten. Heraus traten die Kreaturen, die uns dank des Knirschens wohl schon erwartet hatten. Weitere dieser abscheulichen Rasse, mit den Köpfen von Tintenfischen. Die Tentakel in ihren Mäulern zuckten wild hin und her und die weißen Augen blitzten uns mit kaltem Hass an. Eines blickte mir direkt in die Augen und ich konnte die Stimme dieser Kreatur in meinem Kopf hören. Sie versuchte die Stimme der Herrin zu übertünchen. Sie säuselte etwas von unserer verlorenen Aufgabe und wie ich mich retten könnte. Pah! Meine Herrin war mächtiger, bei weitem. Die Stimme der Kreatur wurde leiser, nur noch ein Flüstern. Ich stellte mir eine flammende Wand vor mit der ich die Stimme aussperrte. Ich weiß nicht ob diese Kreaturen Überraschung zeigen konnten, aber als Bargh, Lyrismar und Halbohr mit erhobenen Klingen auf sie stürmten, meinte ich eine kurze Reaktion in den Schädeln gesehen zu haben. Barghs flammende Klinge schnitt mit einem Hieb durch die erste Kreatur hindurch. Die anderen versuchten wieder mit ihrer Geisteswelle unsere Muskeln zum Erstarren zu bringen, doch auch dieses Mal hatten sie keinen Erfolg. Eine stand direkt vor mir und ich lachte ihr ins Gesicht. Mein Säbel zuckte nach vorne und ich schlitzte sie auf.

Es dauerte nicht lange und dann zuckten keine Tentakel mehr aus den Kreaturen. Doch dann geschah etwas Merkwürdiges. Die liebliche Stimme, die ich hörte, war jetzt kein Säuseln mehr, sondern sie wuchs an und wurde zu einem aufgeregten Rufen. Sie rief mich zur Eile, sie drängte mich. Ich musste jetzt sofort loslaufen, durch die Wand aus dem silbernen Nebel hindurch. Ich blickte zu Bargh und Lyrismar. Auch sie schienen etwas zu hören oder vielleicht auch nur zu fühlen. Selbst bei Halbohr konnte ich die Unruhe sehen. Ich ließ mir keine Zeit zum Nachdenken, es musste jetzt passieren. Also rannte ich los. Bargh rief einen Angriffsbefehl und zusammen stürmten wir durch den silbernen Nebel.

Der Nebel ragte nicht weit in den Tunnel hinein. Schon nach einem Schritt waren wir hindurch und sahen das, was dahinter lag. Der Gang erweiterte sich zu den Überresten einer kleineren unterirdischen Kapelle. Man konnte eine Doppelreihe von Säulen sehen, die aber auch von schwarzem Schleim und Tentakeln überwuchert wurden.
Auf einer Empore, dort wo früher vielleicht mal ein Altar stand, war ein widerlich anzusehender Haufen von schwarzen Tentakeln. Die Tentakel wuchsen dabei in einem Bogen über den Resten und ich konnte jetzt sehen, dass in den Tentakel verstrickt die immer noch lebenden Leiber von Kreaturen hingen. Die Leiber wurden durchzogen von Geschwüren und Tentakeln wie ein wucherndes Rankengewächs. Durch das Fleisch hindurch hatten sie sich gebohrt. Zusätzlich waren vier Maschinen darin verwoben. Die Maschinen kamen mir bekannt vor, aber erst nach dem zweiten Blick erkannte ich sie. Es waren die gleichen Kugeln, die wir bereits im Tempel des Jensehers gesehen hatten. Im Tempel des Jensehers hatten sie pulsierend die unwirkliche Scheibe versorgt, die sich in Mitten des Raumes gedreht hatte. Es fiel mir auch wieder ein, dass im Tempel einige dieser Orben gefehlt hatten, weswegen die Scheibe sich nie richtig materialisieren konnte. Hier waren sie also. Irgendwie hatten sie es geschafft den Gefahren des Tempels zu trotzen und diese Maschinen zu rauben. Ich konnte ein Prickeln auf meiner Haut spüren, denn inmitten des Bogens aus Tentakeln und Körpern sah ich die spiegelnde Fläche, aus der ein milchig-silbernes Licht strahlte.

Das Licht warf lange Schatten von den Gestalten, die sich vor dieser Konstruktion versammelt hatten und uns schon erwarteten. Direkt vor der spiegelnden Fläche stand in einer leuchtenden Mithril Rüstung ein Nachtzwerg. Die Rüstung war überzogen mit einer Schicht von Frost. In seiner Hand trug er einen langen Speer, dessen Spitze ebenfalls aus Mithril zu bestehen schien. Um seinen Hals hing an einer Kordel ein Amulett mit einem Opal, dessen eine Seite schwarz wie die Nacht und dessen andere Seite milchig, wie ein düsterer Tag war. Das musste der Erzgraf von Düstergrau sein, der Abt des Tempels Glammringsfaust. Ich konnte seine blitzenden Zähne sehen, als er mit halb geschlossenen Augen Gebete an seinen Herren sang. Das war der Grund warum wir nicht zögern sollten. Es war das erste Gebet. Wenn er Zeit gehabt hätte, weitere von sich zu geben, wäre er noch gestärkter gewesen. Vor ihm reihten sich vier muskulöse Orkkrieger auf und dahinter vier der Tentakelkreaturen. Halbohr und Bargh stürmten ohne zu zögern der Reihe der Orks entgegen. Lyrismar dagegen beschwor eine Lanze der Schatten, dessen Spitze in den Erzgraf traf. Doch der Nachtzwerg hielt seinen Speer vor sich, der einen Teil der Magie in sich aufsog. Dennoch konnte ich sehen wie sich sein faltiges Gesicht vor Schmerzen zusammen zog. Er würde die Macht von Jiarlirae zu spüren bekommen. Ich selbst erbat von meiner Herrin eine flammende Kugel. In einem hohen Bogen schleuderte ich das Geschoss aus den heiligen Flammen ihm entgegen und mit einem Bersten platzte diese über ihm. Auch hier hielt er seinen Speer vor sich und auch hier schien es, als würden die Feuer um ihn schwächer werden. Dennoch konnte er ihnen nicht komplett widerstehen. Selbst eine der Tentakelkreaturen konnte sich dem Feuer nicht entziehen. Die Flammen trotzten dem Wesen und ich konnte in meinem Kopf den Schmerzensschrei hören. Ich flehte um weitere Magie und wieder wurde sie mir geschenkt. Mehr im Hinterkopf konnte ich spüren, dass die Herrin immer näherkam, je mehr sie mir ihre Macht schenkte. Der Erzgraf änderte sein Gebet zu einem unvorstellbar komplexen Gesang. Ich erkannte direkt was er vorhatte. Sein Gesang sollte Welten jenseits der unseren erreichen und von dort weitere Kreaturen anlocken. Doch wie immer unterschätzten sie mich, sahen in mir immer noch das kleine Mädchen. Ich warf blitzschnell kleine Kugeln aus Energie auf den Erzgraf und seine Worte gerieten ins Stocken.

Vor mir drang das Klingen von Stahl auf Stahl, als Bargh den letzten der Orkkreatur fast das ganze Bein abschlug. Halbohr und Lyrismar waren schon weiter vorne und töteten die Tentakelkreaturen. Von allen Seiten drangen wir jetzt auf den Erzgraf ein. Seine stahlgrauen Augen blitzten zu Halbohr, als er sprach: „Ihr wisst nicht mit wem ihr es zu tun habt, Meister Halbohr! Nach mir werden viele andere kommen. Wir sind alle eins, unser Geist ist eins!“ Um den Erzgraf brach ein unvorstellbares Getümmel aus. Schläge der Schwerter wurden pariert, die Spitze des Speers schnellte nach vorne, traf aber nur Luft. Er war geschickt mit seiner Waffe. Gerade als ich dachte er würde sie ein weiteres Mal nach vorne stoßen, drehte er sie in der Luft und hieb damit wie ein Schwert nach Halbohr. Dieser war nicht schnell genug und die scharfe Schneide schnitt tief in sein Fleisch. Er strauchelte kurz und der Erzgraf nutzte die Gelegenheit und den Speer in seinen Bauch zu treiben. Doch Halbohr hielt sich tapfer und ging zum Gegenangriff über. Auch Bargh und Lyrismar rammten ihre Klingen in seine Seite. Ich schleuderte weiter magische Kugeln auf ihn und schließlich begannen seine Augen zu zittern. Keuchend sank er auf die Knie. Blut lief aus seinem Mund und aus der Vielzahl von Wunden. Er war dem Tode nahe und dieses Mal wusste er es. Röchelnd hauchte er mit seinem ersterbenden Atem sein Leben aus. Es war, als würde er aus einem tiefen Schlaf aufwachen: „Was haben wir getan? Wir wurden hintergangen...Schließt das Portal…“ Dies waren die letzten Worte des Erzgrafes von Düstergrau, dem höchsten Vertreter des Laduguer von Urrungfaust, die wir tief unter den Morundstein hörten.

Bargh nahm sich keine Zeit zum Verschnaufen. Mit Abscheu blickte er auf die Ranken von Tentakeln und begann sie wie in einem Rausch zu zerschlagen. Klappernd fielen die Maschinen zu Boden, zusammen mit den Körpern. Es war ein Blutbad das er anrichtete. Seine schwarze Klinge Glimringshert durchschnitt Leiber, wie Geschwüre. Schwarzes Blut spritzte auf und die verwachsenen Zwerge, Menschen und Elfen – allesamt Opfer der fremden Tentakelwesen – schrien in ihrem Tode. Doch der Spiegel war immer noch da, als wollte er uns anlocken - oder eher verspotten? Bargh hatte die Leiber zerstört und war von schwarzem Blut besudelt. Was war diese Scheibe, dieser Spiegel, der dort milchig-silbern schimmerte. Um eines war ich mir sicher: Der Erzgraf war schwach, sein eigentlicher Meister würde irgendwo auf uns warten.

Offline Jenseher

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Sitzung 103 - Die Welt aus Eisen
« Antwort #108 am: 10.03.2024 | 14:44 »
In dem verfallenen Tempel des Laduguer war wieder Ruhe eingekehrt. Nur das Knistern des Portals durchbrach die Stille und erzeugte mir ein Kribbeln im Nacken. Das Blut der verfaulten Leiber, die das Portal noch gehalten hatten, begann schon langsam zu stinken. Aber die milchig schimmernde Oberfläche des Portals war immer noch da, sogar als wir diese sphärenartigen Maschinen aus den Tentakeln- und Fleischmassen geschält hatten. Inzwischen war der Boden bedeckt mit Körperteilen von Nachtzwergen, Menschen, Elfen. Zudem waren da die im Kampf getöteten Leichname der Orks und der Tentakelkreaturen. Einige ihrer Tentakel zuckten noch leicht und ich glaube, einmal habe ich mich sogar etwas erschreckt. Zum Glück hatten Bargh und Lyrismar es nicht gesehen. Mit dem neuen Säbel schnitt ich der Kreatur schnell die Tentakel ab. Jetzt zuckten sie nicht mehr. Die Rüstung des Drachentöters war besudelt mit dem Blut der Kreaturen und auch mit seinem eigenen. Mit den Maschinen trat er an Lyrismar und befahl ihm sie zurück in den Tempel des Jensehers zu bringen. Damit sollte das Weltentor wieder vollständig herzustellen sein. Es sollte unser eigener Zugang sein, nach Euborea und zu anderen Welten außerhalb. Lyrismar aber schien Bargh nicht direkt zu verstehen. Seinem Blick nach zu urteilen, hatte er immer noch einige Nachwirkungen seines Öles im Kopf. Noch einmal sprach Bargh ihn an, dann reagierte er. Er sagte, es würde einige Zeit dauern und sei auch nicht ungefährlich, doch er nahm die Kugeln und bewegte sich mit seiner Magie durch Raum und Zeit. Sagte er nicht, dass diese Art von Magie hier unten nicht richtig funktionierte? Wenn etwas schief läuft, erscheint er am Ende im Tempel des Jensehers inmitten des Bauches einer der Riesen. Ich stellte mir seinen Blick vor, wenn er sich durch den Körper nach außen schneiden musste und grinste dabei. In dem Moment verwandelte er sich in brennende Schatten und war verschwunden. Nur glühende Asche schwebte langsam zu Boden. Wir durchsuchten die Räume, in denen sie gehaust hatten. Wir fanden mehrere der kleinen Glöckchen und weitere Schriftstücke sowie Bücher in der seltsamen geschriebenen Sprache der Kreaturen. Und sie hatten mehrere grünlich schimmernde Steine gehortet. Sie waren leicht warm. Doch als ich genauer hinschaute, zog ich meine Hand schnell zurück. Es waren Steine, die auf der Haut widerliche Geschwüre erzeugen konnten, wenn man sie nur lange mit sich herumtrug. Aber man konnte sie auch für die Herstellung starker Säuren benutzen. Bestimmt würden sie noch nützlich werden, also schaffte ich sie vorsichtig in das außerweltliche Laboratorium, was Ortnor uns freundlicherweise nach seinem Tode überlassen hatte.

Ein weiterer Raum offenbarte uns, was für absonderliche Versuche diese Kreaturen durchführten. In dem Raum standen auf Säulen mehrere der Sphärenmaschinen, doch sie sahen irgendwie anders aus, fast als ob sie in falscher Weise selbst erbaut wurden. Wir hörten ein tiefes Summen und Knallen aus dem Gemach. Zwischen den Maschinen zuckten helle Bögen aus elektrischer Energie und in der Mitte des Raumes stand auf einem Sockel ein großes Gefäß aus Kristall. Ein Haufen grüner Schleim war dort drin, doch dieser bewegte sich. Es war nicht nur ein Bewegen, sondern es war, als ob er sich in meine Richtung drehen würde. Ich sah keine Augen oder irgendetwas, was man als Kopf bezeichnen könnte, dennoch spürte ich, dass mich dieser Schleim direkt anschaute. Er zuckte und blubberte in seinem Gefäß, doch sein Gefängnis war mit einem schweren eisernen Deckel verschlossen. Auf einem Tisch lagen die Überreste eines Menschen. Er hatte ein großes Loch in seinem Schädel und seine Haut war bereits schwärzlich verfault. Irgendetwas hatte ihm sein Gehirn direkt durch den Kopf ausgesaugt. Wir fanden weitere Bücher, dieses Mal aber in der Schrift der Nachtzwerge verfasst. Eins beinhaltete eine Anleitung, wie man die Sphärenmaschinen bauen könnte. Doch es hatte offenbar nicht richtig funktioniert. Wir fanden auch das Gemach des Erzgrafen. Dieser hatte hier eine Sammlung von verschiedenen farbigen Flüssigkeiten in großen Gläsern, die das Licht von den Kristallen hier wie einen Regenbogen warfen. Auch waren überall weitere Bücher und Notizen verteilt. Halbohr fand eines besonders interessant. Es enthielt Anweisungen wie man Grausud herstellen konnte. Er meinte, er könnte die Rezeptur sogar noch verbessern. Das würde Neire bestimmt gefallen, war doch sein Vorrat bereits so gut wie aufgebraucht.

Lyrismar war dann wieder aufgetaucht und gerade dabei Halbohr die Neuigkeiten aus dem Tempel mitzuteilen. Ich hörte nur beiläufig zu. Irgendetwas besprachen sie über Neire und einige Einzelheiten gefielen Halbohr nicht. Wahrscheinlich war er einfach zu unzufrieden, weil Neire die Sachen nicht so langweilig werden lässt, wie er selbst. Ich konnte es kaum noch abwarten herauszufinden, was hinter dem Portal lag. Auf jeden Fall war es stabil und man konnte damit auch wieder zurückkehren. Zwar spürte ich eine Kälte davon ausgehen, aber nicht so kalt wie es in den Gletschern der Kristallnebelberge war. Nur einen Schritt müssten wir tun, mehr brauchte es nicht. Nach kurzer Beratung war es soweit. Wir murmelten alle ein Gebet an unsere Göttin und traten durch die seltsame Oberfläche in das Ungewisse.

Ein Schmerz durchzog mich. Mein Gesicht fühlte sich an, als ob jemand mir die Haut vom Schädel reißen würde. Alles bewegte sich falsch, während ich durch den Durchgang gezogen wurde. Ich blickte mich um und sah die verzerrte Gestalt von Lyrismar hinter mir. Er bewegte sich, aber viel schneller, als ob die Zeit für ihn gerafft wäre. Licht und Dunkelheit wechselten sich wie ein Gewitter in dunkler Nacht ab. Und es war kalt. Nicht einfach kalt wie ein Winter. Irgendetwas zog mir die eigene Wärme aus meiner Haut. Dann spürte ich festen Boden unter meinen Füßen. Alles drehte sich noch, doch langsam festigten sich die Konturen um mich herum. Ich spürte, dass meine Stiefel harten Boden berührten. Kein Stein, sondern Metall. Ich konnte einen Himmel erkennen, doch weder Sonne noch Mond und Sterne. Alles war grau, als ob der Horizont mit einer dicken und ewigen Wolkendecke verhangen wäre. Im Himmel konnte ich aber etwas erkennen. Ich dachte erst es wäre der Mond, aber das dort war eckig. Ein gigantischer Würfel bewegte sich dort und spiegelte das karge Licht. Wo waren wir hier? Was ist das für ein Ort wo im Himmel Würfel aus Metall flogen? Alles war aus Metall. Auf dem Boden lagen Reste von großen Metallstücken, die vielleicht von irgendeiner Maschine abgebrochen waren und schon vom Rost zerfressen wurden. Keinerlei Holz oder Stein, nirgendwo. Wir mussten auf einer Empore sein, denn die Oberfläche auf der wir standen hatte links und rechts und auch vor uns eine scharfe Kante hinter der nur der Abgrund war. Aber ich konnte vor uns etwas erkennen. Eine Öffnung oder vielleicht ein Loch mit den Konturen einer Treppe. Mir war unwohl an diesem Ort und meine Neugier war schon gestillt. Bargh und Lyrismar ging es nicht anders, nur Halbohr schien wie immer unbeeindruckt zu sein. Allerdings glaube ich nach wie vor, dass er uns das nur vorspielt und in Wahrheit seine Knie schlotterten vor Angst. Bargh murmelte: „Dies ist kein Ort unserer Göttin. Sie ist weit entfernt und ich kann sie kaum noch spüren“. Er hatte Recht. Sie war zwar immer noch da, diese freundliche Stimme in meinem Kopf. Aber nur ein Wispern, kaum zu verstehen.

Plötzlich krachte es neben uns. Metallsplitter flogen durch die Luft und prasselten vor uns nieder. Dort wo sie hinabkamen war plötzlich eine tiefe Mulde im Eisenboden entstanden. Ich schaute mich verwirrt um. Ich konnte nicht sehen, was dort passiert war und was dort eingeschlagen war. Und erst recht nicht von wo. Dann ein zweites Krachen und dieses Mal viel näher. Ein Splitter schoss mir durch meinen Arm und ich schrie auf. Für einen kurzen Moment konnte ich das Geschoss sehen. Eine große Kugel aus massivem Eisen flog offenbar direkt aus dem Himmel herunter. Es blieb keine Zeit nachzudenken. Wir rannten um unser Leben. Der Beschuss wurde immer stärker und immer treffsicher. Mit einem Donnern schlug eins nach dem anderen um uns herum ein und die Schrapnelle durchbohrten uns. Eins war so groß wie ein Speer und schlug Lyrismar durch die Brust. Ich rannte noch schneller, was auf dem Metallboden nicht einfach war. Mittlerweile liefen wir durch einen Regen von Metallschrapnellen. Ich musste den scharfen Kanten ausweichen, musste mich auf die Trümmer des Bodens konzentrieren. Ich blickte mich um zu Bargh. Er war nicht so schnell wie wir, aber ich konnte ihn nicht einfach zurücklassen. Doch dann faltete er schon seine Rabenschwingen auseinander und hob sich mit schweren Schlägen in die Lüfte. Wir hasteten schneller und noch schneller. Doch je schneller wir liefen desto mehr Geschosse prasselten auf uns nieder. Das rettende Loch kam immer näher doch noch nicht nah genug. Mein Herz raste und doch versuchte ich noch schneller zu laufen. Endlich war es da. Ohne nachzudenken sprang ich hinein. Alles war besser, als weiter hier zu bleiben.

Der Fall tief und schmerzhaft. Irgendetwas krachte in meinen Knien. Vielleicht hatte ich mir etwas gebrochen. Mir blieb für einen Augenblick die Luft aus den Lungen weg. Die Treppe, die ich gesehen hatte, ging am Rande dieses eckigen Schachtes entlang. Auch sie war aus Eisen und vom Rost halb zerfallen. Und auch sie war wie alles andere hier eckig, kantig und irgendwie anders. Nichts sah so aus als ob es natürlich gewachsen wäre. Nicht einmal der Boden. Wir zogen uns hastig in die Dunkelheit des schützenden Schachtes. Über uns krachten noch immer die Geschosse, doch sie wurden etwas weniger. Das Geräusch, der Metallklang, waren noch immer ohrenbetäubend. Halbohr vermutete, dass die Nachtzwerge uns schon erwartet hatten und uns mit Belagerungswaffen angegriffen hatten. Doch Lyrismar hatte viel mehr Erfahrung, was die Welten jenseits unserer Eigenen angeht. Für ihn waren diese Geschosse eher so etwas wie ein Gewitter. Statt Blitze und Regen hagelte es Brocken aus Metall – ein Sturm aus Eisen Da war ich mir nicht sicher was schlimmer wäre. Nachtzwerge, die selbst hier Fuß gefasst hätten oder ein Regen aus Schrapnellen. Ich wollte und konnte nicht darüber nachdenken. Nach dem Schock spürte ich den überwältigenden Schmerz. Blut strömte nicht nur aus meinem Körper. Bargh half mir die rostigen Geschosse aus meinem Fleisch zu ziehen. Ein Schrapnell hatte sich durch den Rücken meiner Hand gebohrt. Ich wollte schreien, doch ich biss die Zähne zusammen. Tränen liefen über meine Wangen hinab. Ich wollte nicht weinen, ich wollte nicht das Mädchen sein, das ich früher war. Halbohr war am übelsten mitgenommen von uns. Bargh beschäftigte sich eine längere Zeit mit ihm. Wir verbanden unsere Wunden und behandelten sie mit Heilkräutern. Vor unserer Ruhe beschwor Bargh seine die heilenden Mächte von Flamme und Düsternis und ich schöpfte ein wenig Hoffnung, als ich die vertraute Kraft spürte. Meine Wunden schlossen durch die Wundheilung meiner Herrin und meine Tränen versiegten.

Ich schlief zwar, aber es war alles andere als entspannend. Die scharfen Kanten des Eisens schnitten mir immer wieder in meine Haut. Es roch nach unserem Blut und nach Rost. Wie schön es doch wäre, noch einmal in einem weichen und bequemen Bett zu schlafen. Die Wärme einer wohligen Schankstube zu spüren. Mit Verbänden und dem Segen Jiarliraes kümmerten wir uns nach unserem Schlaf ein weiteres Mal um unsere Wunden. Bargh schien auch nicht so gut geschlafen zu haben, zumindest hatte er ein nachdenkliches Gesicht, als er aufwachte. Er hatte geträumt. Er sah Neire, wie er schon alt war. Ich fragte ihn, wie Neire mit grauen Haaren ausgesehen hätte, doch konnte er sich schon nicht mehr an alles erinnern. Aber er wusste noch, dass es Neire war, wie er in einer fernen Zukunft sein würde. Und mir war klar, dass dies ein Bild von Jiarlirae war. Sie zeigte Bargh, dass es Neire auch noch in der Zukunft geben würde; dass er leben würde. Und wenn er lebendig war, würde er sein Ziel auch erreicht haben, denn nicht einmal der Tod könnte ihn davon abhalten.

Wir brachen auf und folgten der Treppe eine Zeit in die Tiefe. Wir stießen auf einen Tunnel am Ende der Treppe. Der Tunnel war hier durch das Eisen getrieben und gewährte uns einen Ausweg. Aber ich hatte mich geirrt. Nicht alles hier war aus Eisen. An den Wänden des Tunnels wuchsen anfangs spärlich, später immer stärker, Pilze. Das erste lebendige, was es hier überhaupt gab. Man konnte sie sogar essen, auch wenn sie vermutlich furchtbar schmecken würden. Bargh fand auch Spuren. Es waren die Spuren der Kreaturen mit den Tentakelköpfen. Da waren aber auch andere Spuren. Größere Kreaturen, die den Abdrücken nach Krallen an den Füßen hatten. Wir folgten den Spuren und hörten schon bald ein Geräusch durch den Tunnel hallen. Es war wie ein Schnalzen einer Zunge. Es wiederholte sich unregelmäßig. Der Tunnel öffnete sich in eine größere Höhle. Hier war ein richtiger Wald von Pilzen, die teilweise mehrere Meter wuchsen. Und es führten weitere Tunnel hier heraus. Es sah aus wie Geflecht von Adern, durch ein eisernes Herz. An den Wänden war Rost hinabgelaufen. Wir folgten den Spuren weiter. Zu dem Schnalzen gesellten sich die Geräusche von Stimmen und auch Schreie dazu. Eine weitere Höhle öffnete sich, eigentlich sogar zwei. Die erste war recht klein und viereckig. In den Ecken waren vier große schwarze Opale eingelassen, die wie schwarze Augen auf die Mitte starrten. Dort stand ein Sockel mit einigen Hebeln, die aber verbogen und kaputt aussahen. Vor dem Sockel saßen vier muskulöse Kreaturen die mit weißen Augen diese Opale anstarrten. Die Schnalzgeräusche kamen von ihnen, ihre Kiefer bewegten sich leicht. Sie hatten eine dicke schuppige Haut und langes, gewelltes schwarzes Haar. Gekleidet in dreckigen Lumpen, sahen sie aus wie heruntergekommene Krieger, mit langen krummen Messern an ihrer Seite. Eine Vielzahl von Gegenständen lag vor dem Sockel, fast wie Opfergaben, für wen auch immer. Dahinter konnte ich leichten Feuerschein erkennen und die Umrisse einer viel größeren Höhle. In der riesigen Kaverne konnte ich sogar noch die Konturen von einfachen Hütten erkennen.

Halbohr und Lyrismar schlichen lautlos nach voran und postierten sich hinter den Kreaturen. Ich starrte ihnen gespannt nach. Zwar sah es so aus als ob die Kreaturen blind seien, aber sie konnten bestimmt etwas hören und vielleicht konnten sie ja doch sehen. Aber die beiden kamen unentdeckt an und hoben ihre Klingen. Gleichzeitig stachen sie ihre Waffen in die Hälse von zwei Kreaturen, die röchelnd zu Boden sanken. Die beiden anderen schreckten auf, doch Halbohr und Lyrismar waren schneller. Halbohr stach den Einhorndolch tief in das Herz der einen und die Klinge von Lyrismar zeigte ihre Sägezähne. Quer über den Bauch schnitt sie und die Stränge der Gedärme verfingen sich darin. Mit einem Ruck zog er sie einfach raus und die Eingeweide fielen flatschend und warm dampfend zu Boden.

Die größere Höhle lag vor uns. Die Spuren der Tentakelkreaturen führten dorthin und auch ein vielfaches Schnalzen war zu hören. Wo hatte uns Jiarlirae hingeführt?

Offline Jenseher

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Sitzung 104 - Welt aus Eisen II
« Antwort #109 am: 14.03.2024 | 18:46 »
Die Gedärme der Kreatur stanken. Als Lyrismar sie mit seiner Sägeklinge herausriss, hatten sich vermutlich schon einige Fäkalien dort angesammelt. Ruhig starrten die schwarzen Opale der Wände auf die Leichen dieser muskelbepackten Kreaturen, deren dunkles Blut an ihrer geschuppten Haut herabrann. Die Augen von einer Gestalt waren noch weit geöffnet. Die vollständig weißen Augäpfel waren mir etwas unheimlich. Ich fragte mich die ganze Zeit, wie diese Kreaturen denn überhaupt überleben und sich verbreiten konnten, ohne irgendetwas zu sehen. Als ich sie betrachtete, fingen auch meine Augen wieder an zu brennen. Ich dachte es wären die kristallenen Linsen, die ich trug. Vielleicht vertrug ich sei nicht mehr. Doch als ich sie herausnehmen wollte, fühlte ich sie nicht mehr. Sie waren verschwunden. Noch immer konnte ich aber die Umrisse der warmen Körper meiner Mitstreiter erkennen, genauso klar wie die langsam kälter werdenden Körper der Leichen. Ich wusste, Jiarlirae hatte mich gesegnet. Um ihr besser dienen zu können, hatte sie mir die Gabe geschenkt zu sehen, ohne auf irgendwelche dummen Kristalle angewiesen zu sein.

Die größere Höhle vor uns schloss sich fast direkt zu dieser kleineren an. Ab und zu konnten wir das Schnalzen der Zungen hören, was diese Kreaturen von sich gaben. Hier und da brannte ein Feuer in einer schäbigen Hütte und warf die Schatten von verrammelten Fensterläden zu uns herüber. Ich glaubte auch zwischen dem Schnalzen irgendein Wimmern zu hören, fast wie das Gezeter kleiner Kinder. Halbohr und Lyrismar beschlossen die größere Höhle zu erkunden. Ich blieb bei Bargh. Der Krieger strahlte eine Ruhe und Stärke aus, die ich als sehr angenehm empfand. Vielleicht war es auch seine Klinge. Die Schatten, die beständig aus den dunklen Adern von Glrimringshert, bluteten besänftigten mich und versicherten mir, dass wir in Jiarliraes Sinne handelten. Als ich wieder zu der Höhle blickte konnte ich nur noch die letzten Umrisse von Lyrismar erkennen. Sein vollkommen verbranntes Gesicht ging beinahe im Dunkeln unter, nur seine violetten Augen stachen hier und da hervor. Wir hatten verabredet, dass wir ihnen etwas Abstand lassen und dann folgten sollten. Also wartete ich kurz und trat ebenfalls in die Höhle hinein. Der Gestank wurde stärker. Fäulnis, Fäkalien und einfacher Dreck bestimmten den Geruch hier. Die Hütten waren aus dem Holz der großen Pilze dieser Welt gefertigt und schmiegten sich fast an die Höhlenwand. Nur ein schmaler Abstand war hier, wo ich auch kurz die Gestalt von Halbohr auftauchen sah. Die widerlichen Kreaturen gaben sich nicht die Mühe ihre Notdurft weg zu schaffen. Sie ließen sie einfach hinter ihren Hütten ab. Für sie war das vielleicht kein Problem, für mich hieß es aber, wenn ich Halbohr und Lyrismar folgen wollte, an den Haufen vorbei, die direkt vor mir lagen. Ich konnte an den Spuren sehen, dass Halbohr dies wohl nichts ausmachte. Er lief einfach hindurch. Ich wollte aber nicht für Ewigkeiten den Gestank an mir haben. So wichtig war diese ganze Heimlichkeit auch wieder nicht. Ich nahm kurz Anlauf und sprang über den Haufen vor mir hinüber. Der Boden hier war auch wie die Wände und alles andere aus Metall, aber zum Glück vom Rost etwas angefressen, so dass ich recht weich landen konnte.

Zwischen den Hütten konnte ich einen Turm aufragen sehen. Der Gebilde war aus rostbraunem Eisen. Ich weiß nicht wie diese Kreaturen es geschafft hatten so etwas zu bauen, ohne Stein oder Holz. Aber vielleicht wachsen auf dieser Welt Gebäude aus Metall einfach aus dem Boden, wie anderswo Bäume. Der Turm ragte wie ein gerader Zylinder etliche Schritte in die Höhle und mindestens eine eiserne Leiter war an einer Seite festgemacht. Auf der glatten Spitze konnte ich auch zwei bewaffnete Gestalten sehen. Sie reckten ihre weißen Augen nach unten und gaben ihr Schnalzen wieder. Dann warteten sie einen Moment und drehten sich wieder um. Bargh und ich folgten Halbohr hinter einer weiteren Hütte entlang. Plötzlich krachte vor uns die Türe der Hütte auf und ein widerliches Etwas trat hervor. Man könnte es vielleicht als Frau bezeichnen. Aber eine hässlichere Frau habe ich bisher noch nicht gesehen. Sie kam völlig nackt heraus. Ihre fetten Brüste baumelten auf ihrem dicken Bauch herum. Speck hatte sich auch an ihrem Hinterteil und an ihren Oberschenkeln gesammelt. An ihrem Mund liefen noch die Reste einer braunen Suppe hinab. Dem Rülpsen nach, dass sie von sich gab, hatte es ihr wohl geschmeckt. Sie schnalzte kurz in die Dunkelheit und kam uns entgegen. Ihr Gesicht war knöchern, hässlich – schwarzes, wirres, dreckiges Haar rahmten einen breiten Mund mit angespitzten Zähnen sowie disproportionierte weiße Augen ein. Bargh packte mir auf die Schulter und wir beide standen im Schatten der Barackenwand wie Steinstatuen. Ich wagte es nicht einmal zu atmen, was sich als sehr gut herausstellte. Die Gestalt blickte blind mit ihren weißen Augen in unsere Richtung, sah aber nicht so aus als ob sie uns sehen würde. Dann hockte sie sich hin. Es war wie eine Folter. Mit lauten Geräuschen erledigte sie direkt vor uns ihr Geschäft. Rülpsend und spuckend genoss sie es richtig, während ich all meine Kraft sammelte um mich nicht direkt zu übergeben.

Für mich wirkte es wie eine Ewigkeit, dazu verdammt zu sein dieser Kreatur zuzuschauen. Irgendwann gab sie ein zufriedenes Schnalzen von sich, raffte sich auf und ging wieder in ihre Hütte. Man konnte kurz das Geschrei von Kindern von innen hören. Ich hielt immer noch die Luft an. Zwar war die direkte Gefahr vorbei, aber der Gestank war bestimmt furchtbar. Ich nahm kurz Anlauf um in einem weiten Bogen über den frischen Haufen zu springen. Aber ich hatte mir eine schlechte Stelle ausgesucht. Mit einem lauten Knirschen durchbrachen meine Stiefel eine morsche Stelle im Rost des Eisens. Fast augenblicklich blickten zwei weiße Augenpaare von dem Turm herab und ein Schnalzen von Zungen war zu hören. Die Kreaturen zeigten in meine Richtung. Ich drückte mich zwar in die Schatten, doch war es schon zu spät. Das Chaos brach los.

Halbohr reagierte sehr schnell und warf seine Dolche auf die Kreaturen auf dem Turn. Ein Dolch blieb im Hals des ersten Höhlenbewohners stecken. Als er röchelte tropfte ein Rinnsal von Blut dem Mundwinkel entlang. Neben uns krachte die Türe wieder auf. Dieses Mal war es aber kein weibliches Geschöpf, sondern eindeutig ein männliches. Auch dieses Exemplar war groß und muskulös, mit dicker, schuppiger Haut und langem, schwarzen Haar. Völlig nackt sprang er aus der Hütte heraus, gerade als Bargh und ich in Richtung des Turmes laufen wollten. Er hatte angespitzte Zähne im Maul, aus dem er auch das Schnalzen von sich gab. Sein Ohr hielt er dabei in unsere Richtung. Dann drehte er sich abrupt zu uns und gab ein hohes Zischen von sich. Damit rannte er auf uns zu, doch direkt in den Schwertarm von Bargh. Die Klinge des Antipaladins schnitt beinahe ohne Widerstand durch den Körper hindurch und sein schwerer fleischiger Leib klatschte wie ein nasser Sack zu Boden. Wir liefen weiter in Richtung des Turmes, zur senkrechten Leiter. Aus dem Augenwinkel konnte ich noch die weibliche Kreatur in der Hütte sehen. Aufgeregt schnalzte sie vor sich hin und hielt eine wimmernde Schar von verwahrlosten Sprösslingen hinter sich. Weitere Kreaturen tauchten am oberen Rand des Turmes auf. Einer hielt seine Klauenhand nach oben und drehte die Finger dabei ineinander. Fast zeitgleich flogen aus der offenen Hütte einige Splitter sowie Messer und Gabeln heraus und rasten auf Halbohr zu. Eine Gabel blieb in Halbohrs Hals stecken. Er verzog das Gesicht, als er sich gerade dran machte die Leitern, die auf den Turm führten, hoch zu klettern. Lyrismar war etwas schneller. Auf einer anderen Seite flog er fast die Leiter hoch und schlug mit seinem Schwert auf die verbliebenen Kreaturen. Dem ersten Wesen schnitt er quer über den Brustkorb. Es torkelte und fiel dann mit einem lauten Platschen und Knacken von Fett und Knochen auf den Metallboden vor mir. Der Turm war frei, also rannten wir. So schnell ich konnte zog ich mich die Sprossen der Leiter hoch.

Von hier oben hatte ich einen guten Ausblick. In der Mitte des Turms konnte man die Umrisse einer runden Luke erkennen die wohl in den Turm hinein führte. Doch ich erkannte keinen Öffnungsmechanismus. Ich wandte meinen Blick wieder hastig dem Geschehen zu. Die Höhle verzweigte sich noch etwas und weitere Hütten waren zu sehen. Sie brachten fortwährend Kreaturen hervor, die aussahen, als ob sie gerade aus dem Schlaf gerissen wurden. Ein Schwall von Schnalzgeräuschen erfüllte jetzt die Höhle, während blinde Augen in alle Richtungen starrten. Jetzt war ich mir sicher, dass diese Kreaturen tatsächlich blind waren und diese Geräusche nutzten, um ihre Umgebung auszumachen. Nur drei Leitern führten zu dem Turm hoch. Es wäre Selbstmord, wenn sie versuchen würden hier hinauf zu stürmen. Doch was sie vielleicht an Intelligenz hatten, wurde von einem brennenden Hass, einer Gier nach Fleisch überstrahlt. Sie sammelten sich kampfbereit an den Leitern. Einer nach dem andern kletterte die Sprossen empor und wurde von Halbohr und Lyrismar bereits erwartet. Krachend fiel eine Kreatur nach der anderen nach unten. Ich wollte gar nicht so lange warten. Auf meiner Seite kletterten bereits drei die Leiter nach oben und unten sammelten sich noch viel mehr. Jiarlirae schenkte mir einen Strahl schneidender brüllender Schatten der durch die Kreaturen fuhr. Der Lärm war für sie noch schmerzhafter als das Aufplatzen ihrer Körper. Sie mussten ein sehr feines Gehör haben. Das Metall der Leiter löste sich von dem Strahl. Die wenigen die sich noch an ihr klammerten wurden mitsamt der Leiter hinab gerissen. Unten türmten sich die Leichen. Einige versuchten unserer habhaft zu werden, indem sie weitere Gegenstände aus den Hütten mit ihrer Gedankenkraft auf uns schleuderten. Doch auch das konnte sie nicht mehr retten.

Etwas tiefer in der Höhle sah ich Bewegungen. Ein großer Trupp der Kreaturen hatte sich gesammelt und marschierte auf unseren Turm zu. An der Spitze stolzierte ein besonders großes Exemplar dieser fremden Rasse. Fast so groß wie Bargh war er und trug einen glänzenden und fast durchsichtigen Feldharnisch. Das Metall sah aus als ob es auch aus Ne’ilurum gefertigt wurde. Wie es auch immer hier an diesen Ort gelangen konnte. In seiner Rechten ragte eine schwarze Schlachtenaxt auf und in seiner linken trug er einen Schild, dessen Oberfläche so glattpoliert war, dass man sich darin spiegeln konnte. Hinter dem offensichtlichen Anführer gingen drei weitere Krieger mit dicken stählernen Plattenpanzern und dahinter schließlich eine Vielzahl weiterer Kreaturen. Wie ein Rudel von wilden Tieren scharten sie sich um ihren Anführer und kamen mit wankenden Schritten auf uns zu. Und dieses Schnalzen! Hatte ich mich zuerst gefürchtet, machte es mich jetzt wahnsinnig. Es hallte von den Wänden der Höhle hin und her.

Der Anführer war wohl ein etwas klügerer Vertreter seiner Art. Zumindest konnte er reden, wenn auch sehr grob. Von unten schallte seine Stimme zu uns herauf: „Freunde! Gäste! Wieso diese Gewalt? Kommt runter von unserem Turm. Ihr eingeladen zu Festmahl! Legt Schwerter nieder, schließt euch uns an!“ Ich war mir nicht sicher ob die Kreatur wirklich dachte, wir würden uns darauf einlassen. Keine noch so dummes Wesen würde einfach so einen Fremden einladen, der gerade noch etliche seiner Gefährten niedergeschlachtet hatte. Er musste doch die Berge der Leichen sehen. Ich rief zurück: „Kommt ihr doch zu uns herauf! Wir haben hier schon ein Festmahl für euch vorbereitet, das euch sicher schmecken wird!“ Tatsächlich folgten sie meiner Einladung und der Anführer und seine drei Begleiter kletterten die Leiter hoch. Schnalzend und in die Leere starrend standen sie uns gegenüber. „Ihr seid meine Gäste in Grumelrönslag, ich Feringoth Gruum, ich Anführer.“ Die Kreaturen stanken. Es war mir, als ob Ausdünstungen direkt aus ihrem Fleisch entweichten, was ich dem Anführer direkt sagte. Ich hatte einmal gehört, dass es ein Zeichen von Höflichkeit ist, wenn man ehrlich wäre. Feringoth Gruum ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. „Fleisch ist gut von der Jagd, von Würfeln aus Metall. Menschen gut, Zwerge gut, Elfen sehr gut! Elfenfleisch, jaaa…“ Er grinste dabei Halbohr an. Aber keiner von uns war besonders begierig die Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Bargh brachte es auf den Punkt: „Wir sind nur zufällig hier. Wir wollen hier durch.“ Der Krieger Jiarliraes trat auf die Luke in der Mitte des Turms. Der Anführer verzog das Gesicht: „Nein… nein, Öffnung nur von innen.“ Er wurde sichtlich nervös und zeigte auf mich: „Ihr seht schwach aus, ihr müsst essen.“ Ich trat einen Schritt nach vorne und zeigt nach unten: „Ihr meint ich sei schwach? Fragt doch die dort unten wie schwach ich bin!“ Damit war das Gerede beendet. Feringoth hielt seinen spiegelnden Schild hoch: „Mädchen hat wenig Fleisch, aber sehr schmackhaft. Verhandlung beendet, jetzt kommen Waffen.“ Ich sah mich dort selbst, aber als ob er den Spiegel absichtlich so hielt, war ich dort viel kleiner. Ich sah wirklich aus wie ein kleines Mädchen, dass ich aber wirklich nicht bin. Dieses Geschöpf lachte mich aus dabei, als er den Schild in meine Richtung hielt. War es überhaupt ein Lachen? Es sah zumindest für mich so aus. Ich spürte die Wut in mir hochkochen und brodeln. Ich wollte ihn hier und jetzt mit meinen Händen erwürgen und ihm die Zähne ausschlagen. Doch kurz bevor meine Wut explodierte, konnte ich mich etwas beruhigen. Es wäre töricht jetzt einfach auf ihn zuzustürzen. Er sollte brennen. Er lachte auch nicht mehr und mein Spiegelbild in seinem Schild war wieder größer geworden. Wieder schenkte mir Jiarlirae als Strafe für die Kreaturen die Lanze der Schatten und sie brachte die Knochen der Kreaturen zum Brechen. Bei einer platzten die Augen und vermutlich auch das Herz. Sie stürzte rücklings vom Turm hinab.

Der Anführer war kein Gegner für Bargh. Glimringshert entzündete sich und schnitt durch sein Fleisch. Halbohr und Lyrismar kümmerten sich um die drei anderen. Plötzlich krachte die Klappe im Boden auf und eine Kreatur schwebte dort nach oben. Es war eine weitere dieser Kreaturen mit Tentakelköpfen, doch dieser hatte sogar noch mehr Tentakel aus dem Maul. Sie war auch etwas größer und hatte dunklere violette Haut unter der Schicht aus Schleim. Auf ihrem kahlen Schädel trug sie einen Schmuck aus Dreiecken, Kreisen und Quadraten. Lyrismar reagierte sehr schnell. Er wendete sich zu der Kreatur und rammte seine Klinge in das Fleisch. Die Tentakel zuckten, doch kein Schrei von Schmerzen. Sie holte aus ihrer schwarzen Robe ein kleines silbernes Glöckchen hervor. Lyrismar strauchelte kurz, doch er fing sich wieder und öffnete mit schnellen Schnitten der Gestalt den Bauch auf. Erst taumelte sie dann fiel sie die offene Luke hinunter. Über die beiden äußeren metallenen Leitern strömten wieder weitere Kreaturen nach oben, die sich sogleich in meine Klinge des Chaos stürzten. Aus den Hütten drangen Schreie und zwischen den Fensterläden konnte man hier und dort ein Gesicht auftauchen sehen. Einer nach dem anderen kletterte in sein Verderben und nach einiger Zeit wurde es wieder ruhig. Kein Schnalzen mehr und am Fuß des Turmes hatte sich ein Haufen von Leichen gesammelt.

Die Luke offenbarte einen tiefen Schacht an dessen Seite eine Leiter herabführte. Von unten drang faulige Luft nach oben. Entfernte Geräusche von Lachen, Lallen und Weinen waren zu hören, wie von schwachsinnigen Kindern. Vorsichtig kletterten wie die Sprossen runter und Bargh zog die Luke über uns wieder zu. Auch hier war alles aus Metall und jedes Geräusch wurde wieder und wieder hin und her geworfen durch das Eisen. Der Schacht verbreiterte sich und führte an mehreren Etagen vorbei, die ringsum einen Rundgang mit kleinen Zellen enthielten. Dort hauste eine Vielzahl von Kreaturen. Nicht nur Nachtzwerge, sondern auch Menschen und Elfen, aber keine älter als vielleicht 14 Winter. Einige spielten mit kleinen Metallsplittern und ließen sie vor ihren Gesichtern einfach schweben. Dümmlich grinsten sie dabei. Eine Kreatur, offenbar ein Elfenkind, machte das gleiche mit einem Haufen Kot und lachte dabei in Richtung Halbohr. Vielleicht hatte Halbohr ja tatsächlich einen neuen Freund gefunden. Die Kreaturen griffen auch mit ihren unsichtbaren Kräften nach uns. Ich spürte wie etwas an meinen Haaren zog und an meiner Robe zerrte. Wir kletterten weiter nach unten und kamen schließlich am Boden des Schachtes an. Der Körper der Tentakel Kreatur war den ganzen Schacht heruntergefallen und der zerschmetterte Körper lag neben einer weiteren Luke. Hier war nicht nur ein Rad, sondern direkt vier Räder. Zudem waren die Räder hier auf der uns zugewendeten Seite. Halbohr schaute sich die Konstruktion genau an. Man musste jedes Rad in eine bestimme Richtung drehen, sonst würde irgendetwas schlechtes passieren. Ich blickte mich um und sah im Rost des Metalls die verdeckten Umrisse von mehreren Türen. Das gehörte wohl auch zu dem Schlechten was passieren würde. Aber Halbohr und Lyrismar waren sich sicher, welches Rad man wohin drehen musste. Tapfer meldete sich Bargh freiwillig und Halbohr erklärte ihm jeden einzelnen Schritt. Dann kletterten wir die Leiter wieder rauf während Bargh unten vorsichtig das erste Rad bewegte. Ratternd bewegte sich das Metall und bei jedem neuen Rad was er berührte, hielt ich jedes Mal neu die Luft an. Doch es passierte nichts Schlechtes. Stattdessen gab es nur ein lauteres Klacken. Quietschend zog Bargh die verrostete Luke auf und ein weiterer Schacht führte uns weiter in die Tiefe dieser Welt aus Eisen und Stahl.


Offline Jenseher

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Sitzung 105 - Die Herausforderungen
« Antwort #110 am: 22.03.2024 | 20:00 »
Das debile Lachen und Weinen der Kinder über uns erstarb mit einem Mal, als Bargh die Luke über uns wieder schloss. Der kurze Schacht führte uns in einen neuen Tunnel. Um uns herum roch es nach rostigem Eisen. Trotzdem sah es so aus als ob der Tunnel natürlich gewachsen wäre, wie es auch immer möglich war, dass etwas aus Metall natürlich entsteht. Überall in unserem Schacht waren kleine Löcher, die ihrerseits wieder in kleine Tunnel führten. Wenn nicht das klingende Geräusch von unseren Stiefeln auf den Metallboden gewesen wäre, hätte man meinen können, man ginge durch einen wurmzerfressenden Apfel.

Unser Tunnel endete nach einer Weile an einem Becken mit trübem Wasser. Ein leichter Schimmer kalten, grün-gelblichen Lichtes war im Wasser zu sehen, vielleicht von irgendwelchen Algen oder Pflanzen. Pilze hatten sich dank des Wassers hier angesiedelt und sich auf den rostigen Stellen des Eisens festgesetzt. Der Rost war hier ohnehin sehr stark. Überall glitzerte es von Nässe und an den Wänden waren braune Farbtöne hinabgelaufen. Irgendetwas war auch im Wasser. Ab und zu konnte ich dort kleine Tiere sehen, zuckend wie schnelle Schatten. Vielleicht irgendeine Art von Fischen? Halbohr beugte sich vorsichtig über die Kante und tauchte die Spitze seines Dolches in das trübe Nass. Der Elf hatte wohl wirklich Angst vor dem Wasser. Ich war versucht ihm einen kleinen Schubs zu geben, vielleicht würde er dann auch besser riechen. Aber dann erhob er sich auch wieder. An der Spitze der Klinge lag ein kleiner Tropfen denn er sich betrachtete. Bargh war etwas mutiger. Der große Krieger beugte sich hinab und selbst das schwache Licht fürchtete ihn und berührte ihn kaum. Er benetzte einen Finger und berührte es mit seiner gespaltenen Zunge. Leicht verzog er das Gesicht. Es schmeckte salzig. Doch er erinnerte sich an Erzählungen, dass wohl Alchemisten in seiner Stadt Fürstenbad solche Flüssigkeiten benutzten um Brandwunden zu heilen. Ich glaubte, es waren eher Ammenmärchen, denn so wie er es erzählte wurde man dort komplett hinein getaucht und man konnte trotzdem atmen, als ob man ein Fisch wäre. Ich wollte ihn danach genauer fragen, doch als er von Fürstenbad erzählte, verfinsterte sich seine Miene. Wahrscheinlich wäre es besser es dabei zu belassen. Er hörte offenbar wieder die Stimme Jiarliraes. Und ihr Wille war es dem Wasser zu folgen. Ich konnte nichts dergleichen hören. Hatte sie mich wieder verlassen? Nein, das konnte nicht sein, ich hatte sie nicht enttäuscht. Oder vielleicht doch? Hätte ich ihr noch besser dienen können? Ich wusste es einfach nicht.

Unser Weg war klar, und wir baten unsere Herrin um den Segen, dass wir uns in der glitschigen Flüssigkeit besser bewegen konnten. Lyrismar war der erste der in das Wasser eintauchte. Einige wenige Blasen zerplatzten noch an der Oberfläche, dann war von dem Krieger des Abgrundes nichts mehr zu sehen. Halbohr folgte als nächstes, danach ich. Das Wasser fühlte sich seltsam auf meiner Haut an. Aber Bargh hatte recht. Ich hielt die Luft an und hatte keinerlei Probleme immer weiter die Luft in mir zu behalten. Langsam atmete ich aus und ließ ich mich nach unten sinken. Ich sah zurück, wo Bargh als letzter kommen sollte. Doch es war merkwürdig. Der Herold Jiarliraes bewegte sich mit rasanter Geschwindigkeit. So schnell, dass ich kaum die Konturen des großen Kriegers erkennen konnte. Erst als er ins Wasser sprang bewegte er sich wieder normal. Aber vielleicht haben mir meine Augen in diesem Wasser einen Streich gespielt. Sie juckten immer noch dort, wo die Linsen sich in meine Augen verwachsen hatten. Bargh breitete seine dunklen Rabenschwingen aus und schwamm mit seinen kräftigen Armen durch das Wasser. Er sah aus wie ein Drache, geboren aus Schatten.

So schwammen wir durch die Dunkelheit. Hier und da wuchsen weitere jener Pflanzen, die ihr gelbliches kaltes Licht verströmten. Sie waren aber nur sehr selten. Die kleinen Fische wurden dagegen immer mehr. Sie zuckten von uns weg, wenn wir in ihre Nähe kamen. Es waren auch keine richtigen Fische, eher so etwas wie Kaulquappen mit vier Flossen an der Hinterseite mit denen sie sich wegstießen. Der Tunnel durch den wir schwammen ging manchmal in die Tiefe, manchmal waagerecht nach vorne. Und ich sah wieder, wie die Bewegungen des Letzten unglaublich und unnatürlich schnell abliefen. Erst als derjenige wieder näherkam, wurde es normal. Aber wenn jemand von uns vor schwamm sah es so aus als ob er sich nur noch mit quälender Langsamkeit vorwärtsbewegte. Je tiefer wir schwammen, desto mehr schien die Zeit selbst auseinander zu laufen. Wer weiß wie lange wir in Wirklichkeit schon hier drin waren. Vielleicht würden Tage oder Wochen vergehen, bis wir wo auch immer herauskommen würden.

Nach einiger Zeit sahen wir auch die ersten schwarzen Tentakel durch die eiserne Wand wachsen und auch tauchten an einigen Stellen Aussparungen im Tunnel auf. Dort waren kleine Kammern die mit einem Wulst von Tentakeln verschlossen waren, wie Gitterstäbe. In den Kammern schwebten in der Flüssigkeit weitere Kinder. Sie schienen zu schlafen. Einige knirschten dabei mit den Zähnen und ihre aufgedunsenen debilen Köpfe zuckten leicht. Vermutlich träumten sie irgendetwas in ihren zurückgebliebenen Gedanken. Die Kaulquappen waren hier schon etwas größer und es wurden immer mehr. Wir sahen richtige Schwärme, die vor unseren Bewegungen in das gelb-grüne Zwielicht flüchteten. Nach einer langgezogenen Kurve tauchte eine Kreatur vor uns auf. Es war eine weitere dieser Tentakel-Kreaturen. Die weißen Augen standen offen, doch sie blickten ins Leere. Drei große schwarze Tentakel, die aus der Wand kamen, wuchsen direkt in die Gestalt hinein und verschwanden dort in ihrem Körper. Der Brustkorb unter der dunklen Robe hob und senkte sich langsam und ruhig. Wir alle blieben erstarrt stehen, doch die Kreatur rührte sich nicht. Halbohr bewegte sich langsam nach vorne. Beinahe in Zeitlupe setzte er einen Schritt nach dem anderen, immer darauf bedacht in dem Wasser keine Wellen oder Strömungen zu verursachen, die uns verraten könnten. Und es funktioniert. Keine Unachtsamkeit, wie zuletzt ein übersehenes Spielzeug. Als er auf der anderen Seite der Kreatur ankam, machten wir es ihm nach. Einer nach dem anderen schwammen wir an der Kreatur vorbei. Ihr Atem beschleunigte sich nicht. Vielleicht war sie ja doch schon längst tot und nur die Tentakel hielten sie noch gerade so am Leben.

Die Tentakel wucherten immer stärker, je tiefer wir kamen. Lange folgten wir den Gängen; ich kann gar nicht sagen wie lange. Hinter einer Ecke öffnete sich plötzlich eine große Kammer. Aus dem Metall hatte irgendjemand eine Höhle erschaffen, die wie zwei aufeinander liegende Pyramiden aussah. Auch hier wuchsen Tentakel, aber sie waren eher rötlich. Und sie wucherten auch nicht ziellos, sondern sammelten sich an drei Stellen, teils über uns, teils unter uns. Die Wucherungen wuchsen über eiserne Pulte. Auch waren hier wieder die Kugeln aus Obsidian in den Ecken. Alles wirkte falsch, nichts passte wirklich zusammen. Als ich genauer hinschaute, bemerkte ich, dass über jedem dieser drei Gebilde eine Art Scheibe lag. Wobei es nicht wirklich eine Scheibe war, sondern eher eine metallene Platte, die die Innenseite von einem Gesicht hatte. Alles triefte von Schleim, aber in dem Schleim konnte ich auch noch Runen erkennen. Alte, sehr alte Runen. In einem der Bücher die wir gefunden hatten, waren die Formen einmal erwähnt gewesen. Sie stammten von einer uralten Rasse, die dort die Steuermänner oder die Steuernden genannt wurde. Anscheinend war es eine Rasse, die fremde Welten auf Schiffen bereist hatten, die durch den Himmel und das was dahinter lag fuhren. Der Autor des Buches hatte sogar gemutmaßt, dass die Schrift jener Rasse vielleicht die elfische Schrift begründet hatte, vielleicht sogar die elfische Rasse selbst. Wir schwammen zu einem der kopfartigen Tentakelkonstrukte und aus der Nähe konnte ich die Runen entziffern. Die erste trug den Titel: „Gesicht des Streiters“. Das zweite Gesicht hieß: „Gesicht des Wirkenden der schwarzen Künste“ und das dritte lautete: „Gesicht des Verborgenen“. Es war bestimmt kein Zufall, dass diese Gesichter genau unsere Künste zeigten. Der Streiter war der Krieger Bargh, der Verborgene war der heimliche Halbohr und die Wirkende der Künste war ich selbst. Und tatsächlich, als ich mir die Konturen anschaute sah ich das große, schlanke und junge Gesicht von Bargh und das halb verunstaltete Gesicht von Halbohr. Jemand erwartete uns. Und ich konnte die Stimme von Jiarlirae wieder hören. Sie sprach wieder zu mir, also wusste sie, dass ich ihr mit allem diene was ich zu bieten habe, vielleicht sogar noch mehr. Sie sagte uns, dass wir unsere Gesichter in die Schalen legen mussten, aber wir mussten es alle gleichzeitig tun. Also ging jeder von uns zu seinem Gesicht. Nur Lyrismar hatte keines. Aber es schien ihn nicht zu beunruhigen. Ruhig und gelassen schwebte er in der Mitte dieser Halle im Wasser. Er wachte dort mit gezogenen Schwertern. Halbohr zählte mit seinen Fingern herunter und als der letzte Finger sich senkte legte ich mein Gesicht auf das kalte und schleimige Metall.

Zuerst passierte gar nichts, doch dann begann die Welt um mich herum zu verschwimmen. Ich raste plötzlich durch ein dunkles Nichts. Dann tauchten helle Punkte auf die immer näher kamen. Sie wurden größer und es waren keine Punkte, sondern eine Sonne und dann noch eine. Ein ganzer Haufen von verschiedenen Sonnen die sich zu einer gigantischen Scheibe zusammen taten. Doch auch an dieser raste ich vorbei in die Leere dazwischen, wo keine Sonne mehr schien. Es war ruhig, doch ich spürte in meinem Kopf, dass jemand auf uns wartete und es um Leben und Tod ging. Es war mein Schicksal und das des Unbekannten. Dieser Jemand wusste, dass wir kommen, doch wir wurden vor eine Wahl gestellt: Ich konnte entweder den Ort meiner Begegnung wählen oder in welcher Umgebung diese Begegnung stattfinden würde. Ich wusste, dass der Unbekannte auch eine Wahl hatte. In meinem Kopf musste ich für einen Moment überlegen, was es für Auswirkungen haben könnte. Doch dann entschied ich mich. Die Begegnung sollte auf meiner Welt stattfinden, in Euborea. Dort wusste ich, dass meine Herrin mir nah war, dort kannte ich mich aus. Ich entschied mich und plötzlich stand ich in einer steinernen Kerkerhalle. Es roch nach Fäkalien und ich konnte Ratten quietschen hören. Einige Pechfackeln flackerten im unruhigen Licht. Dort waren zwei gewaltige eiserne, verschlossene Türen. Und ich war nicht allein. In der Ecke gegenüber stand eine monströse Gestalt. Bestimmt fünf Schritt groß mit gewaltigen Fleischmassen, die wie Buckel aus dem Rücken wuchsen. Schwarzes ausgefranstes Haar fiel von einem missratenen Kopf hinab. In der rechten Hand trug er eine riesige rötlich glühende Schlachtenaxt und ein übergroßes Schwert mit einem bläulichen Schimmer in der Linken. Hass war in seinen Augen und brüllend stürmte er auf mich zu. Doch ich besann mich auf meine Künste. Es brannten Fackeln, das bedeutete die Kreatur brauchte Licht um zu sehen. Dieses Licht würde ich ihr nehmen. Ich beschwor die Schatten, die Jiarlirae innewohnen und sie schluckten das Licht der Fackeln. Durch ihr Geschenk konnte ich immer noch sehen und erkennen, dass diese Kreatur im Dunkeln herumstocherte. Mit der geweihten Klinge sprang ich zur Seite und der Chaos-Stahl senkte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit in das Fleisch. Die Axt sauste auf mich herab, doch traf nur den Boden. Das Schwert schwang zur Seite. Ich war zu langsam und die Klinge rammte tief in meine Schulter. Ich schrie auf, doch machte mich das nur noch wütender. Immer wieder glühten die Chaos-Runen auf meinem Säbel auf und fanden ihr Ziel. Blut tränkte sie dabei. Mein Atem keuchte. Doch dann geriet die Kreatur ins Wanken und fiel auf ein Knie. Das war meine Gelegenheit. Dieses Opfer würde ich ihr widmen. Die Klinge fuhr nach vorne und durchbohrte die Kehle der Kreatur. Doch das sollte noch nicht ihr Ende sein. Ich konnte sehen und spüren wie die Seele dieser Kreatur in einem rötlichen Nebel das Fleisch verließ. Die Energie kribbelte auf meiner Haut. Ich wollte sie haben, sie sollte mir gehören. Also zog ich sie in mich. Das was noch von der Kreatur übrig war schrie vor Pein, doch das machte meinen Genuss nur noch größer. Eine gewaltige Kraft wohnte dieser inne und ich wollte noch mehr. Meine Haut begann zu glühen und ich spürte ein Ziehen. Doch ich wollte noch viel mehr. Meine Haut begann zu platzen und ein Leuchten war dort, anstelle von Blut. Es schmerzte je mehr ich nahm. Erst im letzten Moment, bevor mich die Energien zu zerreißen drohten, ließ ich davon ab und es wurde wieder dunkel um mich herum.

Erst später erfuhr ich von den anderen, welche Herausforderungen sie erwartet hatten. Halbohr erschien auf einem Feld mit großen Runensteinen. Er hatte auch Euborea als Ort gewählt und das silberne Mondlicht tauchte die großen Obelisken in lange, düstere Schatten. Ein Feigling eines Dunkelelfs lauerte ihm von oberhalb einer dieser Steine auf und sprang auf ihm herab. Eine scharfe Klinge zuckte in Richtung seines Herzens, doch die Robe die er trug, rette ihm das Leben. Anstelle Halbohr traf dieser Dunkelelf nur die Luft, als die Gestalt Halbohrs plötzlich wenige Schritte neben ihm erschien. Halbohr erzählte von dem verschlagenen vernarbten Gesicht und von dem Degen, dessen Stahl wie Perlmutt schimmerte. Halbohr wollte seinerseits mit dem Dolch aus dem Tempel des Jensehers, Eugorn, der Gestalt die Kehle aufschlitzen, doch der verdammte Dunkelelf bewegte einen Ring an seiner Hand und war verschwunden. Der Gegner war nicht weit, denn er hatte sich nur auf eine weitere Stehle bewegt. Dort stieß er wieder den Degen nach Halbohr und dieses Mal traf er. Es musste ein Kampf auf Leben und Tod gewesen sein, doch Halbohr gewann irgendwann die Oberhand. Sein Einhorndolch fand den Weg in das Herz der Gestalt und diese röchelte seinen letzten Atemzug aus. Und auch aus dieser sprudelte die Energie seiner Seele. Ich weiß nicht ob Halbohr dieser Versuchung widerstand, aber so wie ich ihn kenne war er sehr vorsichtig und hat viel der Macht einfach verpuffen lassen.

Barghs Herausforderer war eine engelsgleiche Gestalt die jedoch vom Hass übermannt war. Der gefallene Engel und der Antipaladin trafen sich an gegenüberliegenden Enden einer großen Nebelschlucht. Barghs Gegner hatte wohl angenommen, er wäre ein leichtes  Opfer, doch er hatte ihn bei weitem unterschätzt. Barghs Rabenflügel trugen ihn über die Schlucht und die Macht seiner Klinge beschützte ihn vor der Magie der Gestalt. Noch im Flug fuhr sie nach vorne. Der Engel hatte auch eine Klinge aus durchsichtigem Stahl und wollte sie heben um Barghs Angriff zu parieren. Das war töricht. Der Krieger schlug der Gestalt das Schwert zur Seite und Grimlingshert schnitt durch den Schwertarm und trennte ihm vom Körper ab. Ein gewaltiger Schwall von Blut ergoss sich über Bargh und der Gegner des Antipaladins hauchte seine Seelenenergie aus, an der sich der Sieger labte.

Offline Jenseher

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Sitzung 106 - Das Herz von Araphyx
« Antwort #111 am: 30.03.2024 | 22:23 »
Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Ich wusste zwar wo ich war, denn ich spürte wieder das schleimige Nass um mich herum und schmeckte das Salz des Wassers. Ich hatte Angst als ich mir vorstellte, was in der Zeit um uns herum passiert wäre. Ich schwamm wieder in der großen pyramidenförmigen Halle. Ich blickte mich um und sah auch die anderen, wie sie ihre Köpfe von den Tentakel-überwucherten Masken nahmen. Die rötlichen Tentakel hatten wohl ihren Zweck erfüllt. Sie verloren ihre fleischige Farbe und wurden grau und mürbe. Wie totes Gewebe zogen sie sich zurück von den Maskenpulten sowie den Wänden dieser Halle. Ich blickte in die Gesichter der anderen. Deutlich sah ich bei Bargh wie er es genoss, die Seelenenergie seines Gegners in sich aufgenommen zu haben. Das vernarbte, haarlose aber junge Gesicht strahlte neue Kraft aus. Halbohr schien wie immer nachdenklich zu sein. Vermutlich konnte er das Geschenk, was er mit der Hilfe Jiarliraes erhalten hatte, nicht richtig würdigen, vielleicht auch nicht richtig verstehen. Wir trafen uns bei Lyrismar, der uns mit seien violetten Augen fragend anblickte. Bei Bargh war es offensichtlich, dass er seine Schwimmbewegungen mit noch nie gesehenem Geschick ausführte. Auch mich blickte Lyrismar fragend und auch etwas überrascht an. Ich verstand nicht direkt warum, bis ich an mir herunterblickte. Ich fühlte mich stärker und sah auch etwas kräftiger aus. Aber wir alle konnten die Stimme unserer Herrin jetzt lauter hören. Sie war nähergekommen. Und sie hieß uns weiter zu gehen. Die Tentakel an den Wänden dieser Kammer hatten sich zurückgezogen und gaben einen kleineren Tunnel frei, der durch das Metall führte und auf einen größeren Kreisgang schloss. Und schon nach wenigen Metern sahen wir einen kleineren Einschnitt. Er endete an fleischigen Hautlappen, die eine Art Türe bildeten. Die Lappen aus rötlichem Muskelfleisch erinnerten mich an das Innere eines überdimensionalen Herzens. In einem Herz gab es auch solche Klappen, die immer wieder kleine Mengen Blut in das Innere des Herzens lassen. Ich hatte es in einer der alten Schriften in der Irrlingsspitze gelesen. Vielleicht war es hier ähnlich, nur, dass das Herz im Inneren einer Welt aus Eisen schlug.

Wir näherten uns dieser Klappe. Um uns herum huschten weiter die Schwärme der Kaulquappen die inzwischen mehr als faustgroß waren. Ich beobachtete eines dieser Geschöpfe und als sie kurz vor einer Klappe schwamm, sah es so aus als ob sie dort regungslos verharrte. Nur beim genaueren Hinsehen konnte man das ganz langsame Schlagen von vier Flossen am Ende sehen. Also spielte auch hier weiter die Zeit ihre Spielchen mit uns, nur noch schlimmer als vorher. Wer weiß wie viel Zeit für Neire im Tempel des Jensehers vergehen würde. Als Halbohr kurz vor der Klappe ankam, schnappte das fleischige Portal mit einem hässlichen Flatschen auseinander. Dahinter öffnete sich ein riesiger Raum. Die Wände waren, zumindest das was wir sehen konnten, komplett mit rosigem Fleisch überzogen. Fleisch, das in einem rosa Schimmer glühte. Das Licht verlor sich jedoch schon bald in der trüben Flüssigkeit. Und wir spürten alle einen Sog der uns in die Mitte zog. Es war als ob wir fallen würden, aber nichts schien richtig, nicht einmal was oben oder unten war. Wir fielen in die Mitte hinein. Anfangs versuchten wir dagegen anzuschwimmen. Als Halbohr versuchte sich an der fleischigen Haut festzuhalten, hörten wir alle eine Stimme in unserem Kopf, die uns als Fremdkörper bezeichnete. Wir sollten uns entfernen sonst würden wir sterben. Die Stimme hatte keine rohe Wut inne, sondern war kalt und berechnend. Wir schwammen am Rand dieser Höhle entlang, immer wieder gegen den Sog ankämpfend. Die ganze Höhle war wie eine riesige Kugel gebaut und wir waren in ihrem Innern. Aber es war schwer die Orientierung zu behalten. Keiner von uns wusste mehr wo oben oder unten war, geschweige denn wo wir hereingekommen waren. Irgendwann ließen wir uns einfach treiben und kamen schließlich in der Mitte dieser Kugel an. Schwerelos schwebten wir in der Flüssigkeit. Ich konnte Jiarlirae deutlich hören und sie sagte mir, dass wir hier auf jeden Fall richtig wären. Aber hier war nichts. Halbohr schwamm aufs gerade wohl in eine Richtung, aber auch er fand nichts weiter. Der beste Einfall kam von Bargh. Wir sollten beten und uns wieder besinnen. Also schloss ich die Augen und genoss die Nähe von Jiarlirae.

Nach einiger Zeit schreckte ich hoch als eine weitere Stimme in meinem Kopf zu hören war, leise aber bestimmt: „Eingedrungen seid ihr in unserem Zuhause. Ergreift jetzt die Möglichkeit und flieht. Es wird euch nichts geschehen.“ Bargh sah verwirrt aus und fragte, warum es uns nicht einfach tötete, wenn es könnte. Warum redete es nur mit uns. Wahrscheinlich waren es nur leere Drohungen und es konnte uns nicht töten. Vielleicht hatte es auch Angst, dass dieses Zuhause, wie die Stimme es nannte, dieses Herz, dabei beschädigt würde. Aber die Stimme hörte uns offenbar zu und antwortete: „Oh, glaubt uns, wir können euch töten und wir werden euch töten, wenn ihr nicht flieht.“ Diese Drohungen waren mir zuwider. Wer viel redet, kann nicht angreifen und erst recht nicht töten. Sollen sie doch herkommen und es versuchen! Die Antwort auf meine Gedanken kam fast augenblicklich. Im Wasser hörten wir ein Flatschen und wir wussten dass jemand durch die fleischigen Lappen kam. Schnell baten wir Jiarlirae um ihren Segen, denn kurz darauf sahen wir die ersten Kreaturen auftauchen. Es waren furchterregende Kreaturen der Hölle. Insektenkörper größer als ein Mensch mit dämonenartigen Köpfen. Rötlich glühende Facettenaugen starrten uns an und einige hielten in ihren dünnen Gliedmaßen gekrümmte Schwerter aus einem roten Stahl. Dahinter schwammen mit mechanischen Bewegungen komplette Rüstungen. Sie erinnerten mich an die belebten Rüstungen aus Urrungfaust, aber im Gegensatz zu den Panzern von Glammringsfaust hatten sie an ihren Helmen Aussparungen. Dort waren metallisch geformte schwarze Tentakel, die dort herauswuchsen. Als letztes folgten weitere der Kreaturen mit Tentakelköpfen, jedoch waren sie größer und sechs Tentakel wuchsen dort, wo eigentlich ein Mund sein sollte. Aus allen Richtungen versuchten sie uns zu umzingeln, doch Bargh ließ ihnen keine Zeit. Mit einem kräftigen Zug schwamm er den ersten Insektendämonen entgegen und schwang sein Schwert Glimringshert. Wir alle folgten Bargh und spürten die Aura der Klinge die uns umgab. Und es war gut so, denn einer der Dämonen erschuf eine Kugel aus glitzernden violetten Blitzen um uns herum, die das Wasser in ätzende Säure verwandelte. Doch die Macht Jiarliraes, gebündelt im Stahl, nahm die fremde Magie in sich auf und vernichtete sie. Rücken an Rücken ließen wir die Kreaturen zu uns kommen. Wir alle rammten unseren Stahl in die Leiber hinein. Mein Chaos-geweihter Säbel schnitt der ersten einfach die Kehle durch, auf dass schwarzes Blut sich mit der Flüssigkeit mischte. Barghs Schwert glühte als sich die Schatten entzündeten. Aus dem Wasser stiegen Blasen auf als die Hitze der Flammen es zum Verdampfen brachte. Ein Teil der Rüstungen folgte und griff uns ebenfalls an, doch die anderen Rüstungen hielten sich auf Abstand. Dann hörten wir aus dieser Richtung ein ohrenbetäubendes Kreischen von tausenden debilen Kindern, die ihre Qual herausbrüllten. Es kam direkt aus den Rüstungen und betäubte unseren Geist. Doch mit der Macht der Gebete Jiarliraes konnten wir uns wehren, bis auf Lyrismar. Ein kleiner Moment des Zweifels und des Zögerns wurde ihm zum Verhängnis. Einige Blutstropfen drangen aus seinen Ohren und seine Augen verdrehten sich. Seine Arme und Beine zuckten und er konnte nichts anders mehr machen als sich wieder in die Mitte der gewaltigen Fleischsphäre treiben lassen. Die Rüstungen folgten jetzt den anderen in den Kampf.

Die Schlacht tobte ohne Lyrismar weiter. Die Klingen der Insektendämonen und Rüstungen zuckten nach vorne. Ein Speer eines Insekts durchbohrte meine Schulter, dafür spaltete ich seinen Kopf. Ein Morgenstern einer Rüstung drückte mir meine Rippen ein, dafür durchbohrte ich seine Brust. Als meine Klinge durch den Stahl drang, hörte ich wieder das schmerzhafte Seufzen der Kinderseelen die dort gefangen waren. Ich sah auch, dass auf der Innenseite eine Schicht aus Fleisch auf dem Stahl gewachsen war. Darunter war die lebende Rüstung jedoch hohl. Die Tentakel-Kreaturen hielten sich immer noch im Hintergrund und beobachteten den Kampf mit ihren weißen Augen. Immer mehr der Rüstungen und Insekten fielen und ihre toten Körper schwebten dem Mittelpunkt entgegen. Bargh nutzte die Lücke und flog fast auf die Tentakel-Kreaturen zu, die uns jetzt in einem großen Kreis umringten. Seine Klinge spaltete der ersten den Schädel, doch die anderen sandten wieder diese Welle von Energie auf uns, um unseren Verstand zu zerstören. Und jetzt fühlte es sich tatsächlich so an, als ob unser Verstand nicht nur eingefroren werden sollte, sondern völlig vernichtet würde. Wir würden wie diese debilen Kinder enden, vielleicht sogar noch schlimmer. Doch unser Geist war stärker und die Welle prallte an uns ab. Ich und Halbohr folgten Bargh und einer nach dem andern fiel unseren Klingen zum Opfer. Nur noch einer war übrig. Das Wesen musste erkannt haben, dass es uns nicht besiegen kann. Der Körper fing an silbrig zu schimmern und löste sich in kleine silberne Blitze auf.

Die Leichen der Kreaturen und die reglosen Rüstungen sammelten sich alle in der Mitte. Das Blut bildete eine durchsichtige rötliche Kugel als es ebenfalls von der Schwerkraft angezogen wurde. Halbohr schwamm wieder in eine Richtung bis zum Rand der Sphäre und er wurde er fündig. Er fand eine weitere Türe aus fleischigen Hautlappen, doch hier waren sie viel dicker und mit schwarzen Adern durchzogen. Wir folgten und Barghs Wut wurde entfesselt. Er hieb einfach mit Glimringshert auf die Haut des Portals. Als der Stahl das Fleisch berührte entlud sich eine Welle von Magie von der gesamten Wand der Sphäre. Gleißende Blitze schlugen in alle Richtungen, doch die Macht des Schwertes konnten sie nicht überwinden. Wie in einem eigenen Kampf siegte die Macht der Klinge und vernichtete die Entladungen. Wieder hörten wir die Stimme von Jiarlirae. Wie eine Mutter sprach sie zu uns und riet uns vorbereitet zu sein. Ein weiteres Mal erbaten wir ihren Segen und keinen Moment zu früh. Aus dem Wasser sahen wir abermals eine Formation von Rüstungen und den Tentakel-Kreaturen auf uns zu schweben. Als letztes war jedoch eine andere Gestalt zu sehen. Sie war größer als Lyrismar und schlank. Sie trug schwarze Roben mit rötlich glühenden Schriftzeichen. Man sah nur die Hände und den Kopf der Gestalt, doch das was man sah, war nur verfaultes schwarzes und totes Fleisch. Faulige dunkle Tentakel wuchsen auch aus dem Kiefer. Die Augen waren nicht mehr da, stattdessen konnte man die Knochen des Schädels in den leeren Augenhöhlen sehen und ein rötliches Glühen daraus. Die Gestalt erhob ihren Finger und zeigte auf mich. In meinen Ohren hörte sich die donnernde Stimme wie sie nur das Wort „Stirb!“ herausstieß. Dieses Wort war so mächtig, dass für einen Moment mein Herz drohte stehen zu bleiben. Doch die Seelenenergie des Riesen hatte mich stärker gemacht und mein Herz schlug kräftig weiter.

Bargh schwamm den Rüstungen entgegen und zerschlug mit einem mächtigen Hieb die Brustpartie. Doch er hielt sich nicht weiter damit auf. Wie in einem Rausch schwamm er an den anderen einfach vorbei, der untoten Kreatur entgegen. Die Rüstungen und auch die anderen Tentakel-Kreaturen hieben nach Bargh doch trafen sie nur das leere Wasser. Er war jetzt etwas weiter weg und ich konnte wegen dem trüben Wasser nicht so gut sehen. Aber ich meinte, dass Bargh kurz seine Augen schloss als er seine Klinge zum Schlag erhob. Und ich wusste was er vorhatte. Der Herold gab sich vollständig Jiarlirae hin. Die Schwertherrscherin sollte seine Klinge führen und ihre Macht sollte direkt durch den Stahl geleitet werden. Die Klinge glühte vor Hitze fast weiß und seine Flügel breiteten sich aus, als die Klinge auf die Kreatur fiel. Das tote Fleisch fing an zu kochen als der erste Schlag in sie eindrang. Ein weiterer und noch einer prasselten auf sie hinein. Der letzte drang durch den Kiefer. Der Schwert war so stark geschlagen, dass durch die Wucht und mit einem Knacken die obere Kopfhälfte über dem Oberkiefer abgerissen wurde. Eine Welle von Energie drang in dem Moment durch die Sphäre und wir konnten alle einen furchtbaren Schrei hören der sich immer weiter entfernte bis er nur noch ein leises Echo war. Das Licht aus den Augenhöhlen verblasste und verschwand und die Fleischhaut der Wände begann zu nekrotisieren. Nicht nur auf der Kreatur, sondern auch das Fleisch, was die Sphäre auskleidete wurde dunkel. Einige Adern platzten und das Fleisch wurde spröde. Brocken begannen sich zu lösen und wurden von dem Wasser hinfortgespült. Weitere Adern platzten auf und Reste von Blut sickerten heraus bis auch sie schwarz wurden. Alles um uns herum starb. Die letzten Kreaturen waren ihres Meisters beraubt und fielen einer nach dem anderen unseren Klingen zum Opfer. Nur wir lebten noch, Jiarlirae sei Dank!

Nachdem wieder etwas Ruhe einkehrte, verstanden wir auch die Sphäre. Gänge mit fleischigen Pforten zweigten zu allen Kardinalpunkten ab, auch nach oben und unten - wobei diese Begriffe inzwischen in den Hintergrund traten. Wir durchsuchten die Räume und eine Halle in der die toten Überreste eines gewaltigen Gehirns schwammen. Überall in dem Raum waren Stücke verteilt. Es sah aus als ob es geplatzt wäre, als Bargh der Kreatur den Schädel abschlug. Jetzt labten sich die Kaulquappen an den Resten. Weitere Zellen waren rings um die Sphäre angeordnet, wo eine Vielzahl der debilen Kinder in ihrem Wahn vegetierten. Und eine Kammer war dort, wo eine magische Barriere das Wasser daran hinderte einzudringen. Triefend traten wir seit langer Zeit das erste Mal wieder ins Trockene und fanden die Schätze der untoten Kreatur. Gold, Silber, Juwelen und auch Wissen, das, wer weiß wie lange, hier gehortet wurde. In den Schriften waren die Versuche aufgezeichnet. Der Herr des Hauses war Ghuur’Bhaal’Barnas, ein unsterblicher Meister der schwarzen Künste. Er wollte anscheinend eine Perversion erschaffen. Eine Verbindung der Geister der Tentakel-Kreaturen, mit den der schwachsinnigen Kinder im lebenden Metall der Rüstungen, die vielleicht sogar irgendwann das Metall dieser ganzen Welt korrumpieren sollte. Es sollte der Triumph der Rasse der Illithiden werden. Es hatte auch bereits in den Rüstungen funktioniert, wo die Geister von schwachsinnigen Kindern mit denen der Gedankenschinder in ewiger Qual verbunden wurden. An diesem Ort wollte er eine Unmenge an diametral entgegengesetzten Geistern – schwachsinnig-debil und genial – in einem gewaltigen Würfel aus schwarzem Metall zu einer neuen Lebensform ausbrüten. Der Würfel war die Welt in der wir uns befanden und wurde in den Schriften als Araphyx bezeichnet. Welche Macht hätten sie wohl erlangt, wäre der gesamte Würfel, der in den Schriften auch als hyperdimensionale Rüstung bezeichnet wurde, zu einem lebenden Wesen geworden. Es wäre eine gottgleiche Entität gewesen, das lebendige Araphyx, in dessen getötetem Herz wir jetzt standen. Jetzt war es nur noch totes Metall. Wir hatten gesiegt über Araphyx und Jiarlirae sei gepriesen!

Offline Jenseher

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Sitzung 107 - Verrat!
« Antwort #112 am: 6.04.2024 | 22:44 »
Triefend von dem salzigen Nass der Unterwasserhöhlen bahnten wir uns unseren Weg wieder zurück auf die metallene Oberfläche. Es musste wirklich einiges an Zeit vergangen sein. Als wir an den Zellen vorbeikamen, waren einige der dort eingesperrten Kinder nur noch abgemagerte Überreste. Wer weiß schon, wann hier das letzte Mal jemand vorbei kam um sie zu füttern. Erst recht, wo wir den Anführer der Gedankenschinder - so wurden sie in den Büchern genannt - getötet hatten. Auch das Dorf der primitiven, blinden Kreaturen sah nicht besser aus. Auch hier hatten wir ihren Anführer getötet. Die Zeit hatte dazu geführt, dass Chaos ausbrach. Chaos um die Lücke der Macht, die wir geschlagen haben. So huschten wir durch Höhlen und Tunnel und kamen unbehelligt wieder auf die Oberfläche. Hier erwartete uns der milchige, sonnenlose Himmel und die Einöde aus scharfkantigem, rostigem Metall. Im Himmel konnte ich deutlich das Aufblitzen eines der riesigen Würfel sehen. Das Himmelsobjekt schien näher gekommen zu sein. Wer weiß ob der Würfel irgendwann hier einschlagen würde. Bis jetzt waren auch keine Schrapnelle zu sehen oder zu hören, dennoch nahm ich die Beine in die Hand und rannte zum Portal was, der Göttin sei Dank, auch noch aktiv war.

Wieder war da dieses Ziehen, wieder das Gefühl an einer Sonne nach der anderen vorbei zu rasen. Einige dieser Reisen hatte ich nun schon gemacht, aber ich werde mich wohl nie daran gewöhnen. Mir wurde leicht übel und ich schloss die Augen, obwohl im Flug zwischen den Welten ohnehin nichts zu erkennen war. Irgendwann ließ das Ziehen nach und ich roch die abgestandene Luft von Mauern und totem Fleisch. Ein Schritt und ich spürte Boden unter meinen Füssen. Ich hätte nie gedacht, dass ich den Duft von Stein mal so vermissen würde. Ich brauchte einige Momente um mich wieder zu sammeln, doch dann erkannte ich den Raum des alten Altars wieder. Die Leichen die das Portal auf dieser Seite gebildet hatten waren schon bis zu Unkenntlichkeit verwest, ebenso wie die Körper der Gedankenschinder. Ich suchte die Leiche des Abtes. Jemand musste hier gewesen sein, denn es fehlte jede Spur. Auch der Ausgang aus dem Altarraum blieb uns verwehrt. Irgendjemand hatte in unserer Abwesenheit die Halle komplett zugemauert. Nicht einmal ein Staubkorn konnte die steinerne Mauer vor uns durchdringen. Bargh war bereits vor mir durch das Portal geschritten und sah sich zu mir um. Ich konnte mein Gesicht in seinem spiegelnden Schild sehen und erschrak kurz. Völlig verdreckt war ich. Ein Bad, ich musste unbedingt ein langes Bad nehmen um den ganzen Dreck und Unrat dieser Gedankenschinder von mir zu waschen. Er untersuchte gerade den Boden und fand auch Spuren, die aber schon mehr als ein Jahr alt waren. Seitdem waren wir die ersten die diesen Raum wieder betraten.

Hier kamen wir nicht weiter und Bargh fragte Lyrismar ob er uns durch Magie wieder zu dem König bringen könnte. Schließlich hatten wir einen Vertrag, wie Halbohr mehr als nur einmal betonte. Lyrismar schrak auf, als wenn er mit seinen Gedanken gerade völlig woanders wäre. Er hatte auf dem Weg mehrere Male wieder seinen glühenden Ölstab auf seiner Brust gedrückt und offenbar war er in seinem Geiste immer noch nicht wieder völlig klar. Aber er war sich sicher, dass er für einen Zauberspruch konzentriert genug war. Wir fassten uns an den Händen und wieder wurde mir etwas schwindelig, aber es war bei weitem nicht so schlimm und nur ganz kurz. Ein Zucken durchfuhr meine Haut dann wurde es wieder hell. Wir befanden uns wieder in dem pompösen Gemach des Königs von Urrungfaust. Er saß dort auf seinem Thron, aus Basalt und mit funkelnden Edelsteinen verziert. Doch seine Gestalt wirkte noch älter und viel gebrechlicher als bei unserem letzten Treffen. Die dicken Augenringe und rote Nase sagten mir, dass er sich lieber dem Suff hingegeben hatte, als zu regieren. Dennoch hatte er immer noch eine Spur von vergangener Pracht und Kraft. Und seine Hand lag wie immer auf dem Griff der glitzernden Kriegspicke, die das Blut von unzähligen Dunkelelfen hatte schmecken durfte. Offenbar hatte er uns noch nicht bemerkt und redete gerade mit einer anderen Duergar Frau. Umringt wurde er von seinen Grauwegur Rittern. Von den Leibwächtern des Königs schreckte einer kurz zusammen, als er uns dann doch erblickte und sie erhoben ihre Waffen. Der König kniff seine geröteten Augen zusammen und dann kam auch bei ihm die Erkenntnis und Erinnerung. „Meister Halbohr?! Ihr wagt es euch nach fast vier Jahren einfach so und ohne Ankündigung in meinen Palast zu stehlen?“ Dann grinste er in seinem faltigen Gesicht und fing an zu lachen: „Kommt näher und erzählt. Ich dachte, ihr würdet nie wieder zurückkommen.“ Seine Ritter beruhigten sich und die Duergar Frau schickte er fort.

Wir erzählten ihm die Geschichte unserer Reise, angefangen von unserem Sturm auf den Tempel, den Geheimnisse, die sich in den Tiefen abgespielt hatten und schließlich die Welt aus Metall und die Gedankenschinder im Hintergrund. Der König hörte zu, sah aber verwundert aus. Er prahlte damit, dass seine Rasse besonders gut darin wäre den Geist zu verschließen und dass gerade die Priester der Laduguer für ihren unbrechbaren Verstand bekannt seien. Offenbar nicht für die Gedankenschinder. Aber das Gerede fing an mich zu ermüden und ich erinnerte den König an unsere versprochene Belohnung. Ich wunderte mich, dass Halbohr nicht auch etwas sagte, schließlich gehörte das zu seinem Vertrag dazu. Der König grinste wieder und erhob sich langsam von seinem Thron. Auf der Rückseite drückte er auf irgendwelche Schalter und der gesamte Thron bewegte sich zur Seite. Eine Treppe wurde sichtbar, auf die der König, begleitet von seinen Rittern, herab schritt. Wir folgten ihnen in die Tiefe und kamen in einen alten Tunnel. Staub lag auf dem Boden. Der König bemerkte, dass es wohl lange her war, seit ein Nicht-Duergar hier unten war. Wahrscheinlich wären wir auch die ersten überhaupt. Ab und zu flogen glühende Funken von Asche durch die Luft, was merkwürdig war, denn hier brannte kein Feuer. Die Luft war heiß und die Wände des Tunnels waren gesäumt von den steinernen Bildnissen alter Könige. Einen erkannte ich wieder, es war einer seiner Vorfahren, Norbin von Werunstein der im Krieg gegen die Dunkelelfen gekämpft hatte, aber dort auch fiel. Ich sprach den König darauf an und er setzte wieder sein Grinsen auf: „Ihr kennt euch gut aus mit den Königen und unserer alten Geschichte. Dann solltet ihr doch auch wissen, dass niemand, der diese heiligen Hallen betritt, sie auch wieder verlässt.“

Sofort fühlte ich mein Herz schneller schlagen, doch keiner von uns hatte Zeit zu reagieren. Krachend fiel hinter uns eine Wand aus purem Ne’ilurum herunter und versperrte den Rückweg. Der König lachte laut auf und zog sich seinen Helm über den Schädel. Die Grauwegur Ritter wandten sich um und richteten ihre Waffen auf uns. Verträge, pah! Das hat man davon, wenn man sich an Verträge hält. Der Krieger Bargh zog seine Schattenklinge Glimringshert und stürzte sich auf den ersten Grauwegur Ritter. Als die Klinge aus der Scheide befreit wurde, fühlten wir die Dunkelheit um uns herum, wie sie uns beschützte. Auch ich und Halbohr zogen unsere Waffen. Mit der Chaosklinge schnitt ich in Windeseile einem der Ritter ins Fleisch. Seine Rüstung konnte den Stahl aus dem Abgrund nicht aufhalten. Ich sah das Blut, doch die Ritter waren zäh. Kein Schrei, nicht einmal ein Stöhnen drang unter der Rüstung hervor. Bargh hieb ebenfalls auf die Gestalt ein. Als die Schatten seines Schwertes sich in gleißendem Feuer entzündeten konnte er doch dem Ritter einen wunderschönen Schmerzensschrei entlocken und er fiel zu Boden. Das Lachen des Königs erstarb. Lyrismar war noch etwas weiter hinten und beschwor gleißende Blitze die durch die Ritter und auch durch den König fuhren. Die Grauwegurritter trotzten der Macht und duckten sich hinter ihre Schilde, um nicht verbrannt zu werden. Diesen Moment nutzten wir und griffen weiter an.

Der König polterte vor Wut. Dann konnte ich ein Knacken hören und sah, wie sich seine Knochen und sein ganzer Körper aufblähte und wuchs. Mehrere Schritte groß, blickte er auf uns herab und schwang seine Picke. Die Spitze des Rabenschnabels traf Bargh tief in die Brust und der große Krieger torkelte zurück. Auch die Grauwegur Ritter wurden vom König angestachelt und gingen in den Angriff über. Tief schnitten sich Äxte, Speere und Streitkolben in unser Fleisch. Auch mich griffen sie an, doch ich spürte den Schmerz kaum, so groß war der Hass. Dann aber beschwor Lyrismar eine Lanze von Schattenenergien auf den König. Das brachte Bargh die Sekunden um sich zu berappeln und sein Schwert nach vorne zu stoßen. Der letzte Grauwegur Ritter fiel durch den Dolch von Halbohr und Bargh stieß Glimringshert in den Kiefer des Königs. Der Stahl drang durch Knochen und Gehirn und die Spitze platzte durch den Schädel wieder nach außen. Kein Lachen war mehr zu hören, der König sank zitternd zu Boden und wurde wieder zu dem alten gebrechlichen Elend. Doch sollte es noch nicht unser Sieg sein. Wir wollten uns gerade um unsere Wunden kümmern, da tauchte am Ende des Tunnels etwas Leuchtendes auf. Glühende gewaltige Augen einer riesigen Kreatur konnte ich kurz sehen und mit einem Mal explodierte alles um uns herum in einem Meer von Flammen. Die Flammen verzehrten die Toten und die Lebenden; den König, seine Ritter und auch uns. Der Schmerz der mich durchfuhr ist nicht mit Worten zu beschreiben. Ich konnte zusehen wie meine Haut sich von meinem Körper ablöste, wie die Muskeln darunter anfingen zu kochen. Ich konnte mein eigenes verbranntes Fleisch riechen und für einen ganz kurzen Moment konnte ich darin sogar etwas Faszinierendes erkennen. Dann wurde es schwarz um mich herum und ich muss wohl bewusstlos zu Boden gefallen sein.

Als ich wieder erwachte, hörte ich wie durch einen Schleier die Schreie der anderen. Ich spürte irgendeine Flüssigkeit, die mir jemand einflößte. Ich fühlte, wie sich meine Wunden schlossen. Meine Augen öffneten sich. Vor mir sah ich Bargh. Flammen wüteten um uns herum, der gesamte Gang brannte in einem gleißenden Feuer. Doch um Bargh hatte sich eine Insel gebildet, in der die Flammen nicht eindrangen. Schützend hielt er das heilige Schwert Glimringshert vor sich, als er sich wieder erhob. Die Schatten, die aus den Adern der schwarzen Klinge quollen, schienen die Sphäre des Schutzes anzureichern. Ich ahnte, dass mir die Klinge des heiligen Ritter Jialiraes das Leben gerettet hatte. Ich zog mich an ihm hoch und langsam torkelte ich, Bargh folgend, dem Ende des Tunnels entgegen. Als ich aus der Flammenwand hervorkam, versuche ich mich davonzustehlen. Ich konnte mich kaum bewegen. Ich schaute mich nicht um. Dann explodierte ein weiteres Mal die Luft um mich herum. Gerade geschlossene Haut platzte wieder auf, doch der größte Teil der Woge konnte die Macht von Bargh und von Jiarlirae nicht durchdringen. Der Tunnel hatte sich in eine große Höhle geöffnet in deren Mitte ein gigantischer Haufen von Schätzen lag. Unmengen von Münzen, Geschmeide, Edelsteinen, Schwertern und anderen Reichtümern waren hier aufgetürmt. Und über allem thronte die gigantische Gestalt einer drachenähnlichen Kreatur. Sie hatte keine Flügel, aber das machte sie nicht weniger furchterregend. Das Maul in dem langen Schädel war fast so groß wie ein Haus. Lange Zähne wie scharfe Säbel ragten daraus empor. Die rötlichen Schuppen brachen das Licht der Feuersbrunst. Mehr noch, die Kreatur selbst strahlte einen rötlichen Glanz aus. Als ob ihre Schuppen wie Kohlen glühen würden. Sie erhob sich und ich sah auf der Brust einen großen schwarzen Fleck, in dem das Fleisch verwest aussah wie ein großes Geschwür. Da erkannte ich die Kreatur. Es war der Feuerlindwurm Thiangjord, jene legendäre Kreatur, die im Kampf mit dem Dunkelelfen den Duergar den Sieg einbrachte. Angelockt von den Reichtümern, die ihm versprochen wurden, verließ er sein altes Heim im Höllenkessel und zog in das Reich unter den Reichen. Hier saß der Lindwurm nun über den gesammelten Schätzen aus jahrhundertelanger Zeit von Krieg und Steuern. Die Dunkelelfen hatten nur einen Schlag gegen ihn vorbringen können und die Magie des Abgrundes, die in diesem Streich gebannt wurde, brachte der Kreatur die schwarze Narbe aus ständig wucherndem Gewebe. Ich zitterte immer noch, war kaum imstande mich richtig zu bewegen, geschweige denn der Kreatur zu trotzen. Mit letzten Kräften schleppte ich mich in eine Ecke und kauerte mich nieder. Die anderen stellten sich der Kreatur und Dolch und Schwert drangen zwischen den Schuppen ins Fleisch. Doch die Kreatur schien nicht beeindruckt zu sein und lange tobte der Kampf. Lyrismar beschwor magische Geschosse. Seine Magie zerplatzte einfach wie Wassertropfen auf der Gestalt. Der Lindwurm griff immer wieder an und brachte den Streitern Jiarliraes grauenvolle Wunden. Dann schloss sich das Gebiss um Halbohr und ich konnte seine Schreie hören. Doch Bargh nutzte den Moment aus und Glimringshert fand die schwarze Stelle am Bauch. Ob die Kreatur hier wirklich verwundbarer war, würden wir wohl nie erfahren, jedoch schrie sie. Ein weiteres Mal ließ sie Feuer regnen doch verstand sie immer noch nicht, dass wir mit Jiarlirae im Bunde waren. Und das Licht des Feuers warf lange Schatten, anders geht es gar nicht. So auch hier. Glimringshert schluckte die Flammen und Bargh setzte zum erneuten Schlag ein. Er hatte sich die Stelle gemerkt. Wieder und wieder stieß er auf die faule Stelle und beim dritten Schlag fand die Klinge im Herzen der Kreatur ihr Ziel. Thiangjord brüllte ohrenbetäubend und wandte sich. Sein schlangenhafter Körper bäumte sich noch einmal auf und fiel dann berstend auf seine Schätze. Ein Regen von schwarzem Blut kam auf uns hernieder. Und als ob es sein letzter Atemzug sei, hörten wir in unserem Kopf die Stimme die sprach: „Ich bin Thiangjord! Mein Name hat in der Ewigkeit einen Klang, Meister Halbohr. Ihr seid ein Nichts und werdet alsbald vergessen werden.“ Dann kam die Ruhe, denn die Wand der Flammen im Tunnel hinter uns fiel plötzlich in sich zusammen.

Wir leckten unsere Wunden und kümmerten uns um das goldene Vermächtnis des Lindwurms. Doch waren damit weitere Probleme entstanden. Bargh sprach es aus: „Wir haben nicht viel Zeit. Es wird schon bald auffallen, dass ihr König nicht mehr da ist.“ So wurde ein Plan gesponnen wie auch die mächtige Stadt Urrungfaust Jiarlirae zu Diensten sein konnte, ohne dass die Stadt es erfahren würde. Daera Düsterung wurde auserkoren den Platz des Königs einzunehmen. Offenbar besaß sie die Fähigkeiten dies zu tun. Es würde nicht für lange sein. Der König war ohnehin alt und hätte nicht mehr lange zu leben gehabt. Er hatte einen Sohn. Daera würde ihn sich angucken, ob er geeignet wäre als König eingesetzt zu werden. Wenn nicht...Nun, in jeder Geschichte um Könige gibt es Streitereien um die Nachfolge in denen die Nachkommen des alten Königs nicht selten dem Tode geweiht sind. Lyrismar sprach wieder die arkanen Formeln und verschwand in Richtung des Tempels des Jensehers. Er wollte keine Zeit verlieren und schon kurz danach kam er zurück. Nicht alleine, mit dabei waren die bezaubernd aussehende Daera Düsterung, der Edelmann Mordin von Norisfyring und noch jemand, dessen Erscheinen ich nicht erwartet hatte und mich deswegen umso mehr freute. Neire hatte Lyrismar begleitet. Das Wiedersehen war herrlich. Neire schien uns vermisst zu haben in den Jahren, auch wenn er keinen einzigen Tag älter aussah. Neire hatte immer noch das güldene lockige Haar eines Jünglings und sein Gesicht wirkte auf mich anziehender als jemals zuvor. Ich glaube selbst Halbohr freute sich über das Wiedersehen, obwohl der Griesgram dies nicht zeigte.

So tauschten wir die Geschichten aus, die uns widerfahren waren. Neire erzählte uns von den Geschehnissen im Tempel des Jensehers, die nicht weniger interessant als unsere eigenen Erfahrungen waren.

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Sitzung 108 - Besuch aus Fürstenbad
« Antwort #113 am: 13.04.2024 | 14:41 »
Die Geschichten von Neire mussten leider noch etwas warten, denn wir hatten wirklich ein Problem. Wir waren immer noch in der großen Halle unter dem Thronsaal und wussten nicht was mit Urrungfaust passieren sollte. Die anderen hatten schon angefangen die Berge von Schätzen zu verstauen. Es stank grauenvoll nach verbranntem Fleisch. Das Fleisch des Königs und seiner Ritter. Aber auch nach meinem Fleisch. Der Trank der Heilung hatte zwar in Windeseile die Wunden wieder geschlossen, dennoch zuckte mein ganzer Körper zusammen bei der Erinnerung. Halbohr schien auch nicht ganz er selbst zu sein. Er hockte auf dem Boden und spielte mit einigen Münzen. Tauschte sie aus, stapelte sie und entfernte einige. Vielleicht war es aber auch kein Spiel. Vielleicht versuchte er einen viel zu komplizierten Plan auszuarbeiten, wie es nun mal seine Art ist. Und der gehäutete Leib des kolossalen Lindwurms schien alles aus seinen toten Augen zu beobachten.

Jetzt galt es unser Problem zu lösen. Der König war nur noch ein verbranntes Etwas, doch wir brauchten einen König. Wir konnten uns nicht durch die ganze Stadt Urrungfaust kämpfen. Doch genau das würde passieren, wenn wir ohne den König wieder auftauchen würden. Die Lösung unseres Problems sollte Daera Düsterung sein. Die wunderschöne Dame mit ihren schwarzen Tätowierungen, die auf ihrer milchig weißen Haut im starken Kontrast hervorstachen, hatte die Fähigkeiten dazu. Offenbar konnte sie nicht nur den Geist von anderen beherrschen, wie auch Neire, sondern sie verstand es auch ihre Gestalt zu ändern. Sie hätte am liebsten die Frau gespielt die wir kurz im Thronraum gesehen hatten, doch half uns dies nicht bei dem Problem mit dem König. Schließlich, nach zeitraubenden und langweiligen Diskussionen, stand der Plan. Daera würde die Gestalt des Königs Granryks annehmen. Fehlten noch die Grauwegur Ritter. Wenn einer der Ritter fehlen würde, würde dies sicherlich nicht besonders auffallen. Doch wenn alle fehlten, würden sich unangenehme Fragen anschließen. Also schafften wir einige Orks aus dem Tempel des Jensehers heran. Und dann wurde ich mit in das Versteckspiel einbezogen. Ich hatte eine Idee und niemand sollte die schweinsähnlichen Kreaturen für etwas anderes als stolze Grauwegur Ritter halten. Ich half nach und mit der Hilfe der Herrin ließ ich ihre Knochen, Haut und Haare zu denen der Duergar werden. Zusätzlich brach Neire mit seinen Augen des Jensehers ihren Geist. Sie sollten nicht nur so aussehen wie Nachtzwerge, sondern sie sollten alles vergessen was sie vielleicht vorher gewesen waren. Einige widerstanden wie durch ein Wunder. Sie wurden getötet und entsorgt. Wir konnten es uns nicht erlauben, dass eine geistige Stärke in diesen Kreaturen heranwuchs. Andere konnten die Schmerzen, die die Umwandlung ihnen bereitete, nicht aushalten. Sie verwandelten sich in verkrümmte Abscheulichkeiten. Irgendetwas zwischen Ork und Duergar, bevor ihr Herz den Qualen nicht mehr standhalten konnte. Irgendwann hatten wir genug, um sie in die Rüstungen zu stecken. Einer fehlte jedoch immer noch. Die letzte Grauwegur Rüstung war durch die Flammen komplett verbogen und nicht mehr zu gebrauchen. Aber das war nicht schlimm. Dann würde eben ein Grauwegur Ritter immer gerade auf Botengängen sein. Auch Daera war nicht untätig geblieben. Als wir mit den verwandelten Orks aus Nebelgard zurückkamen (Neire ist dortgeblieben), war von ihr nichts mehr zu sehen. Aber wir standen plötzlich wieder vor dem König Granryk von Werunstein, als wenn ihm kein Haar gekrümmt worden wäre. Jedes kleinste Detail hatte sie nachgeahmt. Nur weil sie gerade neben dem verkohlten Leichnam stand konnte ich überhaupt auf den Gedanken kommen, dass dies in Wahrheit Daera war. Sie wies die Orks im Körper der Duergar zurecht und sie zogen sich die Rüstungen an. Sie waren noch etwas ungeschickt dabei und brauchten Hilfe. Der falsche König hatte auch die Rüstung angezogen und Waffen und Schild geschultert. Zusammen gingen sie wieder zurück in den Thronsaal. Wir warteten erst einmal bis Daera sich umsehen konnte, ob irgendjemand schon Verdacht geschöpft hatte. Daera wolle auch herausfinden wer diese Frau gewesen war, die mit König Granryk von Werunstein bei unserem Besuch gesprochen hatte.

Nach etlichen Stunden kam Daera wieder zurück. Ihr Gang war überaus selbstsicher. Und sie hatte den Rat, den ihr ihr gegeben hatte, bereits berücksichtigt, dass der König des Öfteren in das Lachen eines Säufers gefallen sei. Bereits jetzt konnte sie es täuschend echt nachahmen. Daera berichtete, sie fände die Frau nicht mehr wieder. Niemand hatte sie wieder gesehen. Offenbar war es die neue Gemahlin des Königs, Thunriel von Grauroch. Die alte Frau, Idriania von Werunstein war wohl vor kurzem gestorben. Ich fand es merkwürdig, dass die neue Königin nicht auch den Namen des Mannes angenommen hatte. Sollte vielleicht der alte Wurm Thiangjort etwas damit zu tun gehabt haben? Aber wer weiß schon, welche Gepflogenheiten bei den Nachtzwergen geduldet werden und vielleicht war es ja die neue Frau des Königs. Daera hatte etwas über einen Sohn des Königs, Breodin von Werunstein herausfinden können. Obwohl er als Abkömmling der nachtzwergischen Rasse noch im Alter eines Kindes, vielleicht eines Heranwachsenden, war, schien er doch stärker zu sein als man meinen könnte. Vielleicht würde er uns irgendwann einmal Probleme bereiten, aber jetzt widersetzte er sich den Befehlen des neuen Königs nicht. Und der erste Befehl war, dass ein neues Bündnis mit Unterirrling geschlossen werden sollte. Dieses Bündnis sollte den Grundstein für den Reichtum von Urrungfaust legen. Und in Wahrheit sollte Urrungfaust an den Tempel des Jensehers und damit an Jiarlirae gebunden werden.

Für uns gab es nichts mehr zu tun und wir verließen die stinkende Stadt des Unterreichs über die breite Brücke, auf dem Weg auf dem wir gekommen waren. Es war das gewaltige Bauwerk über den See von Arbolbaar, das von den Nachtzwergen Brücke Irrlingglomm genannt wurde. Keiner behelligte uns auf den Weg, auch wenn uns einige immer wieder misstrauische Blicke zuwarfen, vor allem unserem „Meister Halbohr“. Wir waren fast schon über die breite und imposante Brücke gelangt, als Bargh etwas Merkwürdiges auffiel. Er zeigte in die Richtung, in der die Brücke sich dem Ufer der Höhle näherte. Keiner von uns verstand im ersten Moment worauf er hinaus wollte, bis er sagte: „Schaut, die Wägen!“. Dann fiel es mir auch auf. Der immerwährende Strom von Karren, Kutschen und Kolonnen war in unsere Richtung abgebrochen. Einige Wägen betraten gerade noch die Brücke um ihre Waren in Urrungfaust anzubieten, doch es kamen keine neuen aus dem Dunkel der Tunnel. Halbohr sprang schnell zu einem der letzten Wagen. Der ältere Nachtzwerg der ihn zusammen mit seinem Sohn führte, erkannte ihn fast direkt. Er wusste auch etwas, doch die Gier dieser Geschöpfe war unermesslich. Selbst für eine einfache Frage wollte er bezahlt werden. Ich hätte ja die Worte mit glühendem Stahl aus ihm heraus gebrannt, doch Halbohr war schwach und gab nach. Zwei blitzende Citrine hielt er ihm vor seine knollige Nase. Das lockerte seine Zunge. Er erzählte, dass sie tatsächlich in den Tunneln etwas gesehen hatten. Ein Glitzern von Metall, wie von Rüstungen. Das war auch gar nicht weit weg gewesen. Und er hatte Stimmen gehört. Sein Sohn bestätigte es. Er hatte sogar etwas mehr gesehen: Die Schatten von Gestalten, die aber viel zu groß waren um Duergar sein zu können.

Das Ganze war sehr besorgniserregend. War neben dem Tempel und Urrungfaust noch eine dritte Macht im Spiel die sich bisher bedeckt hielt? Das sollte und durfte nicht sein. Wir mussten die einzige Macht sein und unsere Vorherrschaft durfte von niemanden angefochten werden. Lyrismar nahm magischen Kontakt zu Neire auf. In seinem Geist hielt er eine kurze Zwiesprache mit Neire, der weit weg im Tempel des Jensehers verweilte. Er fragte den Propheten des Tempels des Jensehers um Rat. Neire berichtete, dass dort ein Spitzel ausfindig gemacht wurde. Dieser hatte unseren Weg und unsere Ziele verraten, nämlich, dass wir von Urrungfaust aufbrachen. Wer dieser Spitzel war und von wem er bezahlt wurde wusste er noch nicht. Die Folterungen brachten jedoch eine Spur, die nach Fürstenbad führte. Barghs Gesicht wurde grimmig als Lyrismar die Worte die er hörte wiederholte. Was wollten sie hier und was hatten sie mit uns zu tun? Wollten sie an Bargh Rache nehmen? Oder war es nur reiner Zufall? Ich rätselte über die Gründe, als Bargh ein weiteres Mal rief und auf das dampfende und stinkende Wasser des Sees deutete. Jetzt sah ich, was er meinte. Irgendetwas machte eine Spur von Wellen im Wasser, und diese Wellen kamen auf uns zu. Wir zogen unsere Waffen und sprachen unsere Gebete zum Lob von Jiarlirae. Dann brach wie aus dem Nichts die Kreatur hervor, die sich im Tiefflug unsichtbar über das Wasser bewegt hatte.

Ein gewaltiger Schatten der die Lichter der Dunkelfeuer von Urrungfaust schluckte legte sich über uns. Eine Kreatur mit riesigen Schwingen und schuppigen Körper. Hier und da blitzten die Schuppen wie Kupfer auf, doch an vielen Stellen sahen sie aus, als ob das Kupfer vom Grünspan zerfressen wurde. Die Augen der Kreatur brannten in grünem und rötlichem Licht. Der gewaltige Schädel warf sich nach hinten. Doch der Schwanz der Kreatur war kürzer als man es eigentlich erwartet hätte. Ab der Mitte schien es, als ob der Rest weggebrannt wurde. Schwarze vernarbte Schuppen waren das Einzige, was übriggeblieben war. Die Kreatur trug auf ihrem Rücken ein Geschirr mit mehreren Sätteln wovon einer besetzt war, von einer Frau mit langen silbernen Haaren und einer Haut die so hell war wie kaltes Mondlicht. Als ich den Schwanz sah, erinnerte ich mich in einem Buch von so einer Kreatur gelesen zu haben. Dies musste der alte kupferne Drache der Wildweberberge sein, Lysseryth’Branthil. Die Berge, in denen er in den Geschichten lebte, waren ganz in der Nähe von Fürstenbad. Auch wurde von einem Kampf zwischen Lysseryth‘Branthil und einem anderen Drachen mit roten Schuppen erzählt, bei dem der kupferne Wurm als Verlierer hervorging und dabei einen Teil seines Schwanzes einbüßen musste. Der Schädel stieß zu uns herab und aus den Tiefen des Rachens spie er eine grüne Flüssigkeit auf uns alle. Schon als der erste Tropfen meine Haut berührte, brannte es fürchterlich und dann kam der Rest der Flüssigkeit auf mich. Ich musste aufschreien als sich meine Haut begann aufzulösen. Den anderen ging es nicht besser. Und dabei hatten wir noch Glück denn wir konnten alle noch ein Stück zur Seite springen. Auf der Brücke nach Urrungfaust tauchten weitere Gestalten auf. Ganz vorne schritt ein Krieger in einem Feldharnisch aus einem matten Stahl, auf dem Runen und das große Bild eines Adlers prangerten. Unter dem Helm quollen lange blonde Haare hervor und er trug einen purpurnen Mantel über seine Rüstungen. Dieser wehte durch die Schwingen des Drachen zur Seite und ich konnte darauf das widerliche Symbol von Torm sehen. Hinter ihm folgte ein Trupp von Rittern und weiteren Soldaten, die schon ihre Bögen spannten. Der Ritter des Torm stellte sich uns entgegen und brüllte über die Brücke: „Meister Halbohr, ihr werdet bezahlen für eure Taten. Stellt euch ehrenhaft im Kampf und sterbt!“ Ich rappelte mich auf. Sie sollten die wahre Macht Jiarliraes zu spüren bekommen. Ich beschwor einen gleißenden Blitz und schleuderte ihn auf die Drachenkreatur. Doch er fuhr einfach an den Schuppen entlang, ohne dass die Kreatur etwas davon zu bemerken schien. Stattdessen jedoch fuhren die Energien auf die Frau im Sattel die gerade schon begonnen hatte Zauberformeln zu rezitieren. Sie schrie auf, als auch ihre Haut aufplatze und ihr Fleisch begann zu kochen.

Zur gleichen Zeit stürmte Bargh den Rittern entgegen. Das Wappen von Fürstenbad setzte ihn in Rage. Die Schatten von Glimringshert tropften aus der Klinge. Der Ritter erhob sein Schild und Barghs Schwert krachte scheppernd dagegen. Er wollte den Angriff mit seinem Hammer erwidern doch auch Bargh wehrte den Angriff mit seinem Schild ab. Ich hörte das Klingen von Stahl auf Stahl, das für eine Weile tobte. Dann war da ein fürchterlicher Schrei. Glimringshert zog einen Flammenschweif hinter sich und der vor Hitze glühende Stahl fuhr durch das Bein des fremden Ritters. Sauber schnitt Bargh durch Muskeln und Knochen, als ob sie nur aus Luft bestünden. Der stolze Ritter fiel zur Seite, als Bargh sein Bein an der Hüfte abhackte. Dennoch feuerte er unter Schmerzen seine Kameraden weiter an. Die Soldaten in den letzten Reihen entließen ihre gespannten Bögen und ein Pfeilhagel legte sich über uns, während die anderen Ritter an Bargh vorbei stürmten. Sie wollten Halbohr um jeden Preis. Lyrismar beschwor mit seinem Stecken weiter Blitze, aber auch dieses Mal fuhren sie einfach der Schuppen des kupfernen Wurmes entlang in den Körper der Frau hinein. Sie schrie kurz auf, dann fiel der tote Körper mit einem dumpfen Knacken auf die steinerne Brücke. Ihr schöner elfischer Schädel hatte sich geöffnet und etwas Rotes hatte sich dort verteilt. Ich freute mich, als ich sie stürzen sah und musste trotz meiner Schmerzen auflachen, als sie dort am Boden lag. Wie sich nachher herausstellte, hatten wir die alte elfische Hexe der Wildweberberge getötet, die elfische Königin Learwy’thi’Silgur. Die Ritter trafen jetzt auf uns, aber ich und Halbohr erwarteten sie schon. Mein dem Chaos geweihter Säbel blitze nach vorne, viel zu schnell, als dass der Ritter ebenfalls sein Schild erheben konnte. Auch der Dolch von Halbohr fand sein Ziel und stach in den Hals eines anderen Ritters. Bargh war ihnen in der Zwischenzeit gefolgt und griff sie von hinten an, doch als ob seine Wut auf Fürstenbad ihn übermannt hätte stolperte er. Glimringshert dürstete es nach Blut und es war der Klinge egal wessen Blut es werden sollte. So senkte sich der Stahl in Barghs eigenes Bein. Es sah so aus als ob der Kampf nicht gut enden würde für uns, doch dann kam der Prophet von Flamme und Düsternis zu uns.

Wie ein Engel aus Schatten erschien er in der Luft über der Brücke. Sein Gesicht war noch eingehüllt in seinen Mantel, doch konnte ich die blonden Locken erkennen. Aus seiner Hand schossen mehrere glitzernde Geschosse aus Schatten in den Kopf des Drachen die nicht mehr einfach abflossen, sondern an den Schuppen aufplatzten. Die Kreatur brüllte als sich dunkles Blut über die Brücke ergoss und ein riesiges Stück Kupfern-besetztes Fleisch aus ihrem Körper gerissen wurde. Ein Diener des Torm rief die anderen zum Sturm, während er selbst eine Säule der Flammen auf uns warf. Doch Glimringshert konnten die Flammen nicht schaden. Das Schwert saugte sie in sich auf und brach die Macht des schwachen Gottes. Der Anführer der Ritter, ein Krieger mit Namen Sigwolv von Ulminrun, wie wir später erfahren sollten, hauchte seine letzten Atemzüge, während das Blut in Strömen aus dem Beinstumpf floss. Mit einem röchelnden Schrei rief er: „Verzagt nicht, meine Brüder. Tötet sie!“ Dann verdrehten sich seine Augen und er starb in der Gewissheit versagt zu haben. Neire hatte die Wendung gebracht und das ist ihm bewusst geworden. Der Drache war schon in einer Taumelbewegung als weitere Geschosse von Neire in den Körper trafen. Eine gewaltige Wunde platzte dabei auf und die Kreatur rammte mit einem kolossalen Getöse in den Stein der Brücke. Lyrismar beschwor eine Feuersbrunst die sich mit einem Bersten über die restlichen Soldaten legte. Ich sah Teile von Körpern durch den Druck einfach wegfliegen, als ob jemand einen kleinen Zweig aus einem Ast reißen würde. Auch Bargh war wieder auf den Beinen, seine Wunde war zum Glück nicht so tief. Von hinten schnitt das Schwert den Rücken eines Ritters auf und von vorne teilte ich die Kehle eines anderen. Einer nach dem anderen fiel. Doch waren sie verblendet und sahen nicht wie hoffnungslos ihr Kampf geworden war. Der letzte Anhänger des Torms lag in einer Lache seines Blutes. Zitternd versuchte er noch zu sprechen, als ob das, was er sagen würde noch irgendeinen Wert hätte: „Seht was ihr angerichtet habt. Ihr seid mit Dämonen im Bunde…“.

Ich lachte ihn aus, denn ich wusste, dass er log. Nein, wir waren im Bunde mit der Schwertherrscherin Jiarlirae, der Herrin über Feuer und Schatten. Wir hatten Nebelgard, den Tempel des Jensehers, Unterirrling und Urrungfaust erobert, doch ich wollte mehr. Bald schon, sehr bald würde auch Fürstenbad mit meiner Herrin im Bunde sein, oder es würde brennend untergehen.

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Zwischenspiel 01 - Ringgeist Fraertha
« Antwort #114 am: 20.04.2024 | 12:49 »
Die Luft des Gemachs roch nach fluoreszierenden Tinkturen, nach den alchemischen Flüssigkeiten, die dort in den Schatten aufgebahrt waren. Für Ungewohnte mochte der Hauch abstoßend sein, zu beißend und zu fremdartig. Neire störten die Dämpfe kaum noch. Zudem musste er sich jetzt konzentrieren. Er musste seine Müdigkeit überwinden, musste sie abschütteln wie eine zweite Haut. Der junge Priester ließ für einen Augenblick seine zitternden Hände sinken und betrachtete die Dietriche, die er zwischen seinen Finger verhakt hatte. Er senkte seinen Kopf mit dem gold-blond gelockten Haar und dachte an die beiden letzten Wochen zurück. Seit der Abreise von Bargh, Zussa und Halbohr, hatte Neire seine freie Zeit in dem alten Lagerraum verbracht. Er hatte wenig geschlafen und die Pläne und Unternehmungen von Halbohr vorangebracht. Doch innerlich war Neire von Zweifeln geplagt gewesen. Er hatte die Tätigkeiten unterschätzt, die Halbohr mit seiner minutiösen Planung verfolgt hatte. Nicht nur die sture Beharrlichkeit Halbohrs hatte Neire nicht aufbringen können, sondern auch die Anweisungen und Unterredungen, die er mit den neuen Dienern Jiarliraes abhalten musste, waren ihm unangenehm. Viel lieber flüchtete er sich in den alten Lagerraum, den er langsam in ein kleines Labor umgerüstet hatte. Hier hatte er die Apparaturen aus Ortnors magischer, extradimensionaler Kammer aufgebaut, die sie vor Barghs Abreise dort herausgeholt hatten. Hier hatte er auch die drei sphärischen Gegenstände aufgebahrt, die Lyrismar Schwefelschimmer ihm vor einigen Tagen aus Urrungfaust gebracht hatte. Die Sphären waren aus Ne’ilurum, besaßen eine Käfig-ähnliche Struktur und Kristallglasverbindungen. Nur ein mattes Licht drang aus den Fenstern aus Bergkristall, die im dunklen Ne’ilurum Stahl eingelassen waren. Doch auch die Gedanken an die wundersame Bestimmung der Sphären, die Neire zu ergründen versucht hatte, waren für den Moment in weitere Ferne gerückt. Neires Aufmerksamkeit lag auf der kleinen bleiernen Tür, die er hinter einem Schrank entdeckt hatte. Sie war verschlossenen; Halbohr, Bargh und Zussa mussten sie wohl übersehen haben. Neire atmete tief ein und begann die Dietriche in das Schloss einzuführen. Er hatte die Tür bereits nach Fallen untersucht und eine giftige Nadel entdeckt. Der Schlossmechanismus war sehr alt und kompliziert. Er musste bereits von den elfischen Erbauern des Tempels konstruiert worden sein. Neire begann die Dietriche an den Kraftpunkten zur fixieren. Seine Hände waren jetzt ruhig. Als er sich sicher war, dass er genügend Halt hatte, leitete er die Bewegung ein. Das Metall der Dietriche begann sich zu spannen, das alte Schloss knirschte. Für einen Augenblick glaubte er, die Fixierung würde reißen. Doch er hatte auch Glück. Die Bewegung hakte nicht und endete schließlich mit einem Einrasten. Neire atmete aus. Sein Herz raste und er hörte seinen Puls in den Ohren. Er zog vorsichtig die Tür auf. Dahinter sah er ein kleines, etwa drei mal drei Schritt großes Gemach liegen. Die Wände waren mit Blei beschichtet. Eine dicke Schicht Staub verhinderte ein Schimmern. Dennoch drang genügend des vielfarbigen Lichtes hier hinein. Der Raum war leer, bis auf ein kleines eisernes Podest. Dort lag ein funkelnder Ring auf einem verwelkten Stück Samt. Neire schlich sich langsam näher und betrachtete seinen Fund. Der Ring war aus einem Kranz von schwarzem Opal, der über glänzendes Mithril geschoben war. Vorsichtig untersuchte Neire das Podest und den Ring nach Fallen und Flüchen. Nur als er sich sicher war, nahm er den Ring auf. Ein merkwürdiges Kribbeln floss durch seine Finger und stieg seinen Arm hinauf. Es war, als würde er ein fernes Flüstern hören. Er versuchte sich zurückzuerinnern. Er hatte schon einmal von einem solchen Ring gelesen. Es musste sich um einen der Svaerendor handeln – ein Arkefakt aus einer fernen Welt; Ringe, die okkulte, mächtige Geisterwesen an sich gebunden hatten. Neire hatte auch von einem alten Fluch gehört, doch er hatte keine direkte Gefahr verspürt. Er begann sich den Ring über den Ringfinger der linken Hand zu ziehen. Das Flüstern wurde stärker. Wie eine ferne Stimme sprach es zu ihm. Lieblich, eindringlich und flehend zugleich. Es war ein besonderer Zustand, in den sein Verstand glitt. Fast wie der, des geöffneten Geistes. Neire betrachtete das funkelnd schwarze und helle Schimmern. Er begann den Ring zu drehen. Zuerst wurde das Säuseln geringer. Dann war es plötzlich da. Ein kalter Windhauch erfüllte den Raum und silbriges Licht war zu sehen. Sein Atem kondensierte in der zuvor warmen Luft; Eiskristalle begannen sich an den Wänden zu bilden. Da war ein Gesang, wie von alten elfischen Runenliedern. Neire spürte, dass ihn etwas von hinten betrachtete. Langsam begann er sich umzudrehen. Vor den Lichtern des alchemischen Gemachs, den Steintischen und Regalen, stand die geisterhafte Gestalt. Sie war lieblich anzusehen; von bleicher Haut und silbrigem, langen, lockigem Haar. Ein Hauch von Frost war um sie herum, doch sie fröstelte nicht. Im Gegenteil. Silberne feine Ketten, an denen kleine blaue Juwelen funkelten, bedeckten Brust und Scham ihres sonst nackten Körpers. Magisch blau leuchtende Augen blickten ihn aus einem noblen Gesicht an. Hohe Wangenknochen, eine gerade Stirn und spitze Ohren charakterisierten die Schönheit ihrer übermenschlichen Symmetrie. Der junge Priester stand in diesem Moment da und betrachtete das Wesen aus einer anderen Zeit. Dann hörte er ihre Stimme.

Ringgeist: „Ihr habt mich gerufen Meister des Rings. Ich gebe mich euch hin und begrüße euch, Neire von Nebelheim, Diener von Jiarlirae.“
Neire: „Ihr… ihr dient dem Ring, Svaerendor, ist es nicht so? Wie ist euer Name Geist?“
Ringgeist: „Weise seid ihr, mein lieblicher Junge. Ihr kennet die Namen aus alter Zeit. Mein Name ist Fraertha, doch ein Geist bin ich nicht. Gebunden bin ich, fern in Raum und Zeit, doch aus Fleisch und Blut. Jetzt diene ich euch. Fragt mich, wie ich an diesen Ring gefesselt wurde und befreit mich, wenn ihr mich befreien wollt.“
Fraertha schenkt Neire ein kaltes Lächeln. Ihre langen silbernen Locken umspielen ihre nackten Hüften. Sie kommt einen Schritt näher. Ihre Augen leuchten blau.
Neire: „Wir alle dienen alle unserem Herrn. Ich diene der Schwertherrscherin, der Königin von Flamme und Düsternis, der Dame des abyssalen Chaos. Ihre Stimme sagt mir, dass ihr nicht die ganze Wahrheit sprecht, Fraertha. Sie spricht von einem Fluch der Bindung, von verborgenem Wissen. Das Verborgene treibt den Wissenden zur Erlösung des Fluchs oder in den Wahnsinn, in dem er einst vergehen wird, sollte er den Fluch nicht brechen können.“
Fraerthas Lächeln erstirbt, als Neire die Worte zischelt. Sie hebt den Zeigefinger ihrer linken Hand, als sie spricht. In der kleinen bleiernen Kammer haben sich Eiskristalle gebildet.
Fraertha: „So sagt mir Neire, was ist euer Begehr? Ich diene euch, bis ihr mich wieder in die Schatten entlasst.“
Neire: „Die alten Sagen und Mythen sprechen von drei Wünschen, die ihr mir erfüllen müsst. Doch gebunden seid ihr an den Ring. Welche Macht gewährt ihr dem Träger?“
Jetzt tritt der Jüngling näher an Fraertha heran und streicht sich die gold-blonden Locken zurück. Sein schattenhafter Umgang verbirgt seine äußeren Konturen. Das Glitzern von Sternen sowie dunkle Aussparungen von Tentakeln sind auf seiner Robe zu erkennen.

Eine Zeit hatte sich Neire mit Fraertha unterhalten und sie nach ihrer alten Zeit gefragt. Zuerst hatte sie sich gesträubt und ihm kurze Antworten gegeben. Dann hatte sie Neire nach der Rasse der Schneeelfen gefragt und Fraertha hatte ihm von ihrer vergangenen Welt erzählt. Sie hatte von Inseln ewigen Schnees im Nordmeer berichtet, von Kriegen und von der Herrschaft ihrer hohen Rasse über versklavte Menschen und Zwerge. Sie war einst eine Hexenmeisterin am kaiserlichen Hofe gewesen. Sie hatte im Blute menschlicher Jungfrauen gebadet und schlimmere Dinge getan. Sie hatte den alten Chaosgöttern gedient. Sie hatte Arioch als ihren Herrn genannt. Sie hatte die Macht der Portale in andere Welten beherrscht und war deren schwarzer Künste Herrin. Sie gewährte Neire seinen Wunsch, den er dreimal wiederholte. Seine Worte waren: „Gewähret mir Wortgewandtheit, Ausstrahlung und Einfluss.“

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Zwischenspiel 02 - Die Entdeckung im Tunnel
« Antwort #115 am: 29.04.2024 | 20:28 »
Es war jetzt eine Zeit her, dass Neire das letzte Mal etwas von Bargh, Zussa, Lyrismar und Halbohr gehört hatte. Zuletzt war Lyrismar Schwefelschimmer plötzlich und wie aus dem Nichts erschienen. Der Diener Jiarliraes mit der kohlenschwarz-verbrannten Haut und dem schmalen, länglichen und völlig haarlosen Kopf hatte ihm vier der Sphären aus dem dunkel-schimmernden Glasstahl übergeben. Nur kurz hatte Lyrismar über die Erstürmung des Tempels Glammringsfaust berichtet. Der Gesandte aus dem fernen Reich von Flamme und Düsternis hatte zudem nach den jüngsten Entwicklungen im Tempel des Jensehers gefragt, bevor er wieder in die Hallen des Nachtzwergengottes zurückgekehrt war. Neire hatte die geraubten Strukturen aus Ne’ilurum untersucht, aus deren kristallischen Öffnungen noch ein schwacher Schimmer von Lichtmagie drang. Er hatte festgestellt, dass die Sphären noch intakt und für das Weltentor brauchbar waren. Er hatte daraufhin einige schlaflose Nächte damit verbracht die Sphären in ihren Verankerungen anzubinden, um damit das Weltentor wieder vollständig in Gang zu setzten. Nach einigen erfolglosen Versuchen war er sich der Funktionsweise der Lichtinstrumente immer sicherer geworden. Sie schienen einen Teil derer Energien anzuzapfen, welche das dreiundzwanzigjährige Wiederkehren des Linnerzährns in die Ne’ilurum-Adern des Unterberges verbracht hatten. Neire hatte seine Erkenntnisse notizenhaft auf Papyrus niedergeschrieben und betrachtete jetzt sein Werk von teils wirren Runenzeichnungen. Er wusste, dass die Energiesphären magische Kräfte aufnehmen und für eine Zeit speichern konnten. Der Magiefluss, den diese Instrumente speicherten, war anscheinend für verschiedene Zwecke verwendbar. Er hatte Mechanismen entdeckt, die die Magie in Untergruppen von Kräften aufteilte, um sie dann nach anderen Mustern wieder zusammenzufügen. Geschah dies in richtiger Weise, konnten die unendlich-dimensionalen Gebilde von Raum und Zeit, so zusammengesetzt werden, dass neue Verbindungen und Brücken entstanden. Neire hatte sich dazu entschlossen den Vorgang als Umkehrung derer Gesetze einzustufen, die die Welt um ihn herum steuerten. Er war sich sicher, dass, sollte die Maschine in richtiger, noch unbekannter Weise benutzt werden, auch die Grenzen zu den Reichen der Götter überbrückbar sowie vielleicht die Zeit selbst umkehrbar sein würden. Er war voll von unbändiger Neugier und urtümlicher Freude, vielleicht eine Entdeckung gemacht zu haben, die einst die Schöpfung der starr-gesetzlichen Ebenen widerrufen könne. Sollte er der Prophet der Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes sein, der die verhassten Reiche jener Götter in ein Urmeer aus Chaos wandelte? Er verharrte einen Moment und betrachtete sein Spiegelbild im glasigen Schimmer des dunklen Metalls. Sein Antlitz hatte an Ausstrahlung gewonnen, seitdem er dem Ringgeist seine drei Wünsche geäußert hatte. Er ahnte und wusste, dass noch etwas fehlte in seinen Forschungen. Er war gerade dabei das Weltentor auf einen Fokus zu setzen. Die Kristallsphären mussten dafür in eine bestimmte Neigungs- und Drehwinkel gesetzt werden, um das Tor auf einen Punkt einer fernen Welt zu richten. Die Verdunklung der Kristallgitter, die über Mechanismen in den Sphären selbst bestimmbar war, entschied dann mit den Neigungen und Drehungen über die auszuwählende Welt. Die Möglichkeiten schienen schier unendlich zu sein. Er hatte eine lange Zeit damit verbracht verschiedene Kombinationen auszuprobieren. Der Vorgang war dem ähnlich, den er mit seinen Dietrichen vollführte, wenn er ein Schloss öffnen wollte. Allerdings waren es hier nicht mechanische Kraftpunkte und Drehrichtungen, mit denen er das Schloss bewegen wollte. Das Gebilde des Weltentors musste auf einer imaginären Ebene der Erkenntnis einrasten, um den Mechanismus der Umkehrung zu aktivieren. Zu dieser imaginären Ebene musste sich zudem die Weltliche einfügen, um bestimmte, wiederkehrende Zyklen aus dem Chaos zu schöpfen. Neire hatte bereits eine Kombination entdeckt. Jetzt forschte er an einer neuen Konstellation, die ihm den Weg zu einem anderen Ort dieser Welt öffnen sollte. Das Tor begann zu flimmern und er konnte sehen, wie sich die geisterhaft-durchsichtige Spiegelscheibe bildete, die sich begann über dem Boden zu drehen. Sollte er die Kombination finden, die das Portal öffnete, musste er schnell sein. Er hatte zwar einige nachtzwergische Söldner befehligt nahe dem Weltentor zu wachen, doch sollte etwas das Portal durchdringen, wäre er für eine Zeit allein der Gefahr ausgesetzt. Sicherer fühlte er sich, wenn er den Raum verlassen und die Türe mit dem schweren Rad von außen verriegeln würde. Neire konzentrierte sich, um den Lichtpegel der letzten Sphären zu justieren. Er lauschte dem summenden Geräusch. Er fühlte den Kraftfluss der Magie des Unterberges. Er spürte das Ne’ilurum der Irrlingsspitze, das unsägliche Mächte speicherte. Doch da war auch etwas Anderes. Ein Geräusch das wie… ja es waren, es mussten Schritte sein. Schnell, als wenn jemand laufen würde. Sie hallten durch ein Gewölbe und sie kamen näher. Neire zögerte, dann ahnte er Herkunft des Geräuschs. Aus dem Tunnel hörte er plötzlich ein Rufen in der Sprache der Nachtzwerge. „Wo ist er, wo ist der Prophet? Wo ist Neire von Nebelheim?“

Neire war Granrig Hellengrub durch die Tunnel gefolgt. Er hatte keine weitere Zeit damit verloren das Weltentor zu öffnen. Im Gegenteil. Kurz bevor er den Raum verlassen hatte, hatte er eine der Kristallsphären in eine neutrale Stellung bewegt, in welcher der Kraftfluss der Magien unterbrochen war. Jetzt eilte er mit dem Baumeister durch die alten Gänge des elfischen Komplexes. Der Nachtzwerg, der den Bau des Tunnels nach Wiesenbrück verantworte, ging voran. Nur wenn Neire mit ihm sprach, drehte er sich um und antwortete ihm. Er hatte Neire bereits berichtet, dass etwas im Tunnel vorgefallen war; dass sie etwas entdeckt hätten und dass sie in ein Höhlensystem hineingebrochen waren. „Und ihr sagtet, ihr habt noch keinen Schritt durch die Öffnung getan? Ihr habt nicht nachgesehen, was dahinter war?“ Granrig drehte sich wieder um zu Neire, als er ihm antwortete. Der Nachtzwerg hatte langes schwarzes, gelocktes Haar und ein, für einen Zwerg, schmales Gesicht. In der Dunkelheit funkelten seine grauen Augen. Granrig besaß keinen Bart und war gekleidet in seine Schuppenrüstung aus geölten Stahlplatten, in der Form kleiner Schilde. Auf seinem Haupt und seiner Rüstung haftete noch der Steinstaub des Tunnelbaus. Sein kleines Schild hatte der Nachtzwerg an seiner linken Schulter befestigt, seine militärische Picke trug er im Gürtel. „Wir haben den Tunnel sofort gesichert. Ich sagte euch doch bereits, mein Prophet. Ich habe mich an die Erfahrung meines Volkes gehalten und dem jungen Feuerriesen Theredal das Kommando übergeben. Er und Gelundara wachen dort über die Orks, die für die Steinarbeiten eingeteilt waren.“ Neire dachte an die jungen Feuerriesen, die sich beim Dienst im Tunnelbau abwechselten. Er hatte bereits öfters mit Theredal gesprochen, der für einen Feuerriesen relativ intelligent war. Theredal konnte lesen und schreiben und hatte sogar Interesse an Jiarlirae gezeigt. Die junge Feuerriesin Gelundara kannte Neire nicht so gut. Er wusste, dass sie für eine Feuerriesin stark und groß gewachsen war. Auch hatte er von ihrem aufbrausenden Charakter gehört. Sie hatten mittlerweile den einstigen Forschungskomplex der Grauelfen verlassen und schritten durch die Höhlen, in denen die Orks hausten. Die Kaverne war natürlichen Ursprunges und nicht erleuchtet. Zwischen Tropfsteinen, die an einigen Stellen, die Verbindung zwischen Boden und Decke hergestellt hatten, flackerte jedoch der Schein von Feuer. Der Gestank von Müll, verrottetem Fleisch und Fäkalien erfüllte die Höhle. Zudem war das Schreien von Orkkindern zu hören. Sie verließen die Kavernen der Orks und gelangten durch einen Gang zur Halle der unterirdischen Spalte. Der Tunnel, der sie dorthin führte war bereits verbreitert worden. Die Riesen hatten den Stein an vielen Stellen abgeschlagen und den Gang auf eine Breite von mindestens drei Schritten sowie eine Höhe von vier bis fünf Schritten erweitert. Jetzt lag der Tunnel hinter ihnen und sie blickten auf die schwarzmetallische Konstruktion, die den an dieser Stelle verbreiterten Abgrund überspannte. Die Höhle wurde bereits von zwei Feuerkäfern erhellt, deren Licht aus den eisernen Käfigen drang, die dort von der Decke hingen. Zwei grimmige Feuerriesen, der eine gehüllt in ein Kettenhemd, der andere in einen Schienenpanzer, hielten dort Wache. Sie wurden unterstützt von acht Orks, die für die Wache sowie den Betrieb der beweglichen Plattform vorgesehen waren. Neben dem Transport der Tunnelgräber bewegten sie hauptsächlich den Abraum des Tunnels hinauf. Die Orks sahen zwar erschöpft aus, waren aber längst wieder zu Kräften gekommen, nachdem sie sie damals aus den Kerkern des Nomrus befreit hatten. Vernarbtes Gewebe war jedoch an den Stellen zu erkennen, an denen ihre Haut nicht von Schuppen- und Lederpanzern bedeckt war. Granrigs Stimme dröhnte durch die Halle, die im rötlichen Schimmer der Feuerkäfer lag. „All der Götterheil Jiarlirae! Gribtus, Ulfur. Macht die Plattform bereit. Der Prophet ist mit mir und wir müssen hinab.“ Beide Feuerriesen schienen die Kommandos in der gemeinen Zunge zu verstehen und murmelten kurze Beleidigungen gegen den Nachtzwerg. Gribtus, der kleinere der beiden Riesen, drehte seine gedrungene Gestalt in Richtung der Orks und donnerte den Befehl. „Auf das Rad, worauf wartet ihr noch, verfluchte Bastarde. Der Prophet ist hier und muss hinab in den Tunnel.“ Neire betrachtete den Feuerriesen. Gribtus‘ lange rot-blonde Haare quollen unter seinen Helm hervor. Er besaß einen kurzen, ausgefransten rot-braunen Bart. „Schaut sie an, wie langsam sie klettern, Prophet! Wir sollten vielleicht ab und an einen in den Schacht hinabwerfen, so dass sie das hinaufklettern lernen, hahahaha…“ Gribtus hatte Neire in der Sprache der Feuerriesen geantwortet und hielt sich jetzt den Bauch. Neire grinste zwar, aber der ältere, größere Feuerriese Ulfur zog eine missmutige Miene. „Wie sollten sie das überleben, dort hinab. Wollt ihr dann selber auf das Rad steigen Gribtus? Nicht lustig, nicht lustig.“ Gribtus‘ Lachen wurde weniger, als er den fettleibigen Ulfur betrachte. Ulfurs Gesicht war dreckig und ungepflegt, wie auch seine Rüstung. Strähniges Haar war größtenteils unter seinem Helm verborgen und bernsteinfarbene Augen musterten seinen Kameraden. Beide Feuerriesen hatten aschgraue Haut. Bevor Gribtus etwas erwidern konnte, antwortete Neire. „Lernen sie nicht, müssten sie gezüchtigt werden. Doch wir brauchen sie lebend. Tod im Schacht nützen sie uns nichts.“ Beide Feuerriesen nickten zustimmend und beobachteten sie. Neire und Granrig waren bereits auf die Plattform gestiegen, die an vier Seilen hing. Gribtus murmelte zwar noch etwas, doch Neire konnte die Worte nicht verstehen. Dann senkte sich der Aufzug in die Tiefe. Das Knirschen von Kettengliedern war zu hören, als die Orks sich auf der Trittrolle bewegten. Die Plattform schaukelte bedrohlich, als es durch den Steinschacht hinabging. An den Wänden funkelten die Spuren des Ne’ilurumerzes in matten, dunklen Glastönen. Als sie ein Stück hinabgelitten waren und die Geräusche der Ketten leiser wurden, sprach Granrig zu Neire. „Prophet, sie gehorchen zwar der Königin und achten euch, doch sie tun alles um sich meinen Anweisungen zu widersetzen. Es gefällt mir nicht. Wir kommen nicht schnell genug voran. Und wer weiß, wann sie ihre Gelegenheit sehen mich mit einem Felsbrocken zu erschlagen. Ich habe keine Angst, doch ich habe ein ungutes Gefühl.“ Neire strich sich die Locken zurück, die mittlerweile von Steinstaub bedeckt waren. Der Luft des Schachtes war wie von einem feinen Nebel durchzogen, den man auf der Zunge schmecken konnte – der zwischen den Zähnen knirschte. Er nickte, als er antwortete. „Ich verstehe Granrig. Sie erinnern sich an Umbari, den Diener König Isenbuks. Er verriet einst seinen König und zahlte den Preis dafür. Vielleicht sehen sie Umbari, wenn sie mit euch reden.“ Granrig schüttelte den Kopf und wollte gerade antworten, da unterbrach Neire ihn. „Ihr werdet unsere heilige Sache nicht verraten, Granrig. Ich sehe die Zukunft in Flamme und Düsternis und ich sehe euch dort. Ich werde mit Königin Hulda sprechen müssen. Ihr gehorchen die Feuerriesen und sie werden ihr nicht widersprechen.“ Granrig nickte, als sie weiter in die Tiefe sanken. „Habt Dank, mein Prophet.“ Schon bald kam die Plattform zu einem Halt. Sie waren am Fuß der Spalte angelangt, die nur im Bereich des Schachtes verbreitert worden war. Spinnweben und Gebeine füllten den Grund der natürlichen Felsöffnung aus. Sie drehten sich jedoch zu dem Tunnel, der durch den Stein der Irrlingsspitze hinfort führte. Der Gang war fast fünf Schritt breit und ebenso hoch. Er führte durch die ewige Dunkelheit, mit einer leichten Abwärtsneigung. Für eine lange Zeit knirschten ihre Schritte über die Steine, die noch hier und dort lagen. Je weiter sie kamen, desto weniger wurden die Erzspuren des Ne’ilurums. Schließlich konnte Neire die kältere Luft spüren, die durch den Tunnel drang. Ein Höhlengeruch, wie von Wasser und Erde kam ihnen entgegen. Dann hörten sie die Stimmen und sahen Umrisse nebelhaft im flackernden Fackellicht. Zwei riesenhafte Gestalten, von muskulöser, leicht gedrungener Gestalt. Sie hielten ihre Köpfe geduckt, wohl bedacht nicht an die Decke zu stoßen. Ihren Gesichtern war ihre Jugendlichkeit anzusehen, die im Kontrast zu ihren großen Körpern stand. Beide Riesen waren umringt von fast zwei Dutzend orkischer Arbeiter, die auf Abraum saßen oder lagerten. Die heranwachsenden Riesen drehten sich zu ihnen, als sie die Schritte im Tunnel hörten. Je näher sie kamen, desto besser war der Dunst von Steinstaub zu durchblicken. Gerätschaften und Loren standen im Gang, Werkzeuge waren an die Wände gelehnt. Neire konnte hinter den Gestalten ein Loch in der Felswand des Tunnels erkennen – dorthin, wo sie den Gang gruben. Ein Raunen von grunzenden und gutturalen Stimmen war zu hören, das die beiden heranwachsenden Riesen mit einem scharfen Zischen unterbanden. Hervor trat Theredal, der, von Steinstaub bedeckt, nur einen Lendenschurz trug. Er war schlank und drahtig für einen Feuerriesen und trotz seines jugendlichen Alters bereits fünf Schritt groß. Ein kindliches Gesicht kennzeichnete ihn, ohne Bartwuchs und umrahmt von langen, fettigen schwarzen Haaren. Er beugte sich zu Neire hinab und begrüßte ihn: „Allheil Jiarlirae! Ihr seid endlich gekommen, Prophet. Wieso mussten wir so lange warten hier?“ Neire nickte ihm zu und zog seinen Tarnumhang zurück. „Granrig suchte mich im Tempel auf und erzählte mir von eurem Fund. So tretet zu Seite und lasst mich sehen, was ihr entdeckt habt.“ Theredal trat zur Seite, doch da war Gelundara, die jetzt den Gang versperrte. Sie war jünger als Theredal, aber bereits genauso groß wie er. Auch sie war in Unterkleidung gehüllt und von Steinstaub bedeckt. An einigen Stellen hatte getrockneter Schweiß lange Bahnen in den Staub ihrer schwarz-grauen Haut gezogen. Sie war muskulöser als Theredal und korpulent. Ihre rötlichen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. „Ach was, er hat uns warten lassen, dieser kleine Bastard. Wieso sollte er anders als Umbari sein? Wieso sollten wir ihn nicht hier und jetzt zerquetschen und den Orks zum Fraß vorwerfen?“ Ihre rötlich schimmernden Augen funkelten hasserfüllt in ihrem rundlichen Gesicht, als sie sprach. Neire richtete sich auf und trat ihr einen Schritt entgegen. Er durfte keine Schwäche zeigen. Obwohl er innerlich vor Furcht zitterte, klang seine Stimme entschieden. Neire würde die Kraft der Linsen des Jensehers einsetzen, sollte sie ihm widersprechen. „Ich bin Neire von Nebelheim. Ich bin der Prophet, dem eure Königin Hulda vertraut, der euch hierhin geführt hat und euch einst vor dem Verrat Umbaris und eurem Verderben bewahrte. Ihr müsst eurer Königin gehorchen. Sie hat euch aufgetragen diesen Gang zu graben, unter Granrigs Kommando.“ Neire sah, dass Gelundara ein beleidigtes Gesicht zog. Er fuhr weiter fort. „Solltet ihr euch weigern, werde ich mit Königin Hulda sprechen. Ihr solltet ihre Strafe fürchten.“ Gelundara schien zu grübeln. Sie konnte die Worte wohl nicht ganz fassen, nickte aber und trat zurück. Neire bewegte sich näher zu den beiden jungen Riesen und den orkischen Arbeitern. Er blickte in Richtung des Lochs in der Höhlenwand, aus dem ihm klare, kalte Luft entgegenströmte. Theredal und Gelundara wichen zur Seite und wiesen ihm den Weg. Er hörte das schweinische Grunzen einiger Orks, die ihn bewundernd anschauten und ihre Köpfe vor ihm beugten. Die Öffnung war drei Schritt hoch und gerade breit genug für ihn durchzusteigen. Neire überlegte einen Augenblick, ob er allein hindurchsteigen oder die beiden Riesen mit ihm nehmen sollte. Das Fackellicht des Tunnels drang nicht weit in die Dunkelheit dahinter. Er hörte ein Rauschen, wie von Wasser und sah den Schimmer bleicher fluoreszierender Pflanzen. Dahinter schien es hinabzugehen, in die Tiefe. „Theredal, Gelundara, verbreitert die Öffnung. Wir werden zu dritt hinabsteigen. Granrig wird mit den Arbeitern hierbleiben.“ Er trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie die beiden jungen Riesen ihr Werk vollbrachten.

Steine waren polternd in die Tiefe gefallen. Der Nachhall hatte eine größere Höhle erahnen lassen. Theredal und Gelundara hatten ihre Werkzeuge mit Gewalt und Geschick eingesetzt und das Felsgestein hinfort geschlagen. Als das Loch breit genug für die beiden Riesen war, hatten sich Theredal sowie Gelundara bewaffnet und eine Fackel aufgenommen. Dann waren sie hinabgestiegen. Neire war ihnen gefolgt. Sie hatten den Tunnel offenbar in die Felswand einer Höhle getrieben, die knappe vier Schritt unter ihnen aufragte. Im Licht der Fackeln hatte sich Neire der Blick auf nässlich schimmernde Felswände eröffnet. Der Boden war von einer Schicht Erde bedeckt gewesen, auf der Flechten und matt-weißlich fluoreszierende Pilze wuchsen. Sie hatten begonnen die Höhle zu erkunden und einen klaren unterirdischen See gefunden. Am Ufer des Sees hatten sich Bänke aus dunklem Sand gebildet, die teils von Flechten überwachsen waren. Neire hatte mittlerweile die Fackel von Theredal übernommen, der einen riesigen Zweihänder trug. Die jungen Riesen standen neben ihm und betrachteten das glitzernde, klare Wasser. Beide fröstelten in der kalten Luft, zeigten aber eine furchtlose Entschlossenheit. Gelundara trug die Fackel in ihrer linken sowie ein übergroßes Langschwert in ihrer rechten Hand. Neire deutete wortlos in eine Richtung und sie begannen dem Ufer zu folgen. Sie schritten schweigsam am Strand des Sees entlang. Zwei Lichtkegel, verloren in der Dunkelheit. Dann fanden sie den unterirdischen Fluss, der den See nährte. Entgegen des reißenden Wassers schritten sie und erkundschafteten zwei höher liegende Höhlen, die von einem Pilzwald bewachsen waren. Bis auf das beständige Rauschen des Wassers hörten sie keine Geräusche. Nicht einmal Insekten waren hier zu finden. Am Ende der zweiten Höhle stießen sie auf einen Wasserfall, der durch den Strom eines engen Tunnels genährt wurde. In dem kleinen See am Fuße des Wasserfalls konnten sie bleiche Fische sehen, die in dem klaren Wasser schwammen. Sie durchsuchten die Höhle und begaben sich dann wieder auf den Rückweg, um den Strom des Wassers zu folgen. Nach einiger Zeit kehrten sie zurück in die Höhle mit dem See und schritten am Ufer entlang. Auch hier schlossen sich mehrere kleinere und größere Kavernen an, die mit bleichen Pilzen bewachsen waren. Die Höhlen waren frei von Tieren, die nicht im Wasser lebten. Die letzte Höhle war fast vollständig von einem See ausgefüllt, dessen Wasserstand niedriger als die ihn umgebenen Felskanten lag. Das Wasser war klar und tief und sie konnten nicht sehen, wohin der unterirdische Strom floss. Das Fackellicht war zu schwach, um in weitere Tiefen vorzudringen. Neire hatte jedoch genug gesehen. Die Höhlen schienen unbewohnt und ohne weitere Gefahren. Sie mussten Granrig Bericht erstatten. Er würde den weiteren Bau des Tunnels planen.

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Zwischenspiel 03 - Audienz bei Königin Hulda Isenbuk
« Antwort #116 am: 4.05.2024 | 22:25 »
Neire ließ sich auf einen der gepolsterten Stühle hinabsinken, den ihm Königin Hulda gewiesen hatte. Er nahm einen Schluck des von gelblichem Schaum bedeckten Dunkelbraans, welches ihm Hulda angeboten hatte. Er genoss den starken, bitteren Geschmack und die feine, säuerliche Note des urrungfauster Bieres. Neire musterte die Königin kurz, ließ seinen Blick dann aber durch das Gemach schweifen. Pechfackeln brannten an den Wänden und warfen lange flackernde Schatten. Der Boden war mit kostbaren Fellen ausgelegt und gestickte Teppiche schmückten die Wände. Dort waren die Runen von Jiarlirae zu sehen sowie Feuerriesen, die in glorreichen Schlachtenszenen dargestellt wurden. Teils stammten die Wandteppiche noch aus den Mitbringseln König Dunrok Isenbuks. Das Empfangsgemach beinhaltete zudem Bänke und Stühle, die dem Thron aus Ne’ilurum zugewandt waren. Dort saß Königin Hulda. Zwei hohe eiserne Türen führten in anliegende Räume. Große Schatztruhen waren um die Erhöhung des Thrones aufgestellt. Die Wirkung des Dunkelbraans setzte augenblicklich ein und Neire genoss die Wärme und die flackernden Schatten des Gemachs. Er blickte Königin Hulda an, schwelgte jedoch in Gedanken an die vergangenen Monate, die seit dem Aufbruch von Bargh, Zussa, Halbohr und Lyrismar vergangen waren. Im Tempel des Jensehers hatte sich seitdem einiges verändert. Neire hatte bereits vor einiger Zeit seine Forschungen am Weltenportal abgeschlossen. Die ursprüngliche Macht des magischen Tores hatte er vollständig wiederhergestellt. Zudem war er sicher in der Bedienung des Mechanismus geworden, der das Weltenportal steuerte. Aber auch in anderen Bereichen hatte sich der Tempel verändert. Sie hatten den Ausbau der Höhlen weiter vorangetrieben. Granrig Hellengrub hatte die Arbeiten geplant und beaufsichtigt. Neire erinnerte sich an seinen letzten Rundgang durch die unterirdischen Hallen. Die Düsterheitpilze hatten sich dank des ausgeklügelten Bewässerungssystems und der beständigen Zufuhr von Fäkalien und totem Fleisch ausgebreitet. Sie hatten Riesen und Orks angewiesen ihre Geschäfte in Bettpfannen zu sammeln und sie dann in die Höhlen zu bringen. Neire erinnerte sich an das purpurne Glühen der nässlich schimmernden Höhlen. Hier und dort hatte er die zerteilten Überreste von Körpern gesehen, die bereits von den Pilzen überwuchert wurden. Wann immer einer der Orks starb - was alle paar Tage einmal vorkam, wenn ein Riese in einem Wutanfall einen erschlug – hatten sie den Leichnam zerlegt und ihn zur Anreicherung des Nährbodens unter den Pilzen verteilt. Die Höhlen hatten eine morbide Schönheit. Sie waren voll von vergänglichem Gestank, doch von einem überweltlichen, purpurnen Lichtglimmer. Aber nicht nur der Anbau der Düsterheitpilze war vorrangeschritten. Nahe den Lagern der Orks hatte Granrig eine Ne’ilurum Mine erschlossen, in der sie das wertvolle Erz abbauten. Auch der zweite zwergische Berater, Heergren Nuregrum, der von Halbohr angeheuert wurde, war nicht untätig gewesen. Der Nachtzwerg in den Diensten des Tempels des Jensehers hatte eine Schmiede und einen Hochofen aufgebaut, die sich nahe den Gemächern von Königin Hulda befanden. Dann hatte er mit der Ausbildung der Feuerriesen Vargur und Gryvik begonnen. Vargur kannte Neire gut, hatte doch der erwachsene aber sehr junge Feuerriese die Gruppe von Frauen und Kindern in die entfernten Höhlen abseits des Krieges geführt. Über ihn munkelte man, dass er von König Isenbuk und einer Feuerriesin gezeugt wurde, die bei seiner Geburt starb. Gryvik hingegen war ein heranwachsender Feuerriese, mit schneller Auffassungsgabe und guten kämpferischen Fähigkeiten. Er war von Heergren als zweiter Diener an der Esse ausgewählt worden. Zusammen hatten Heergren, Vargur und Gryvik begonnen Stahl aus Ne’ilurumerz sowie Waffen und Werkzeuge herzustellen. Sie hatten Kohlelieferungen aus Unterirrling erhalten und zudem einige Orks zum Dienst abkommandiert. Neire hätte seine Gedanken so weiter schweifen lassen können. Er dachte gerade an ihre Erfolge in der Zucht der Feuerkäfer, als er von der Stimme Königin Huldas aus den Gedanken gerissen wurde. Er verdränge die Erinnerungen an die Bruthöhle der glühenden Rieseninsekten und blickte Hulda in die Augen. Die Königin hatte ihre beiden Beine verschränkt und betrachtete ihn wohlwollend von ihrem Thron. Ihre grau-dunkle Haut hing von ihrem Körper und Gesicht in Falten hinab und wurde größtenteils von wertvollen Wildlederfällen überdeckt. Die beiden dunklen, schweinsartigen Augen betrachteten Neire bewundernd aus ihrem Ratten-ähnlich spitz zulaufenden Gesicht. Neire ließ sich nicht abschrecken von ihrer Hässlichkeit, von ihren abstehenden, rot-verfilzten Haaren und den Geschwüren, die ihre Wangen bedeckten. Er dachte zurück an ihre gemeinsamen Gespräche. Immer seltener hatte er die Linsen des Jensehers eingesetzt und über die vergangenen Monate hatte die Königin ihn auch ohne seine Bezauberungsmagie als ihren engsten Freund akzeptiert. Er hatte sie zudem von seiner Herrin, der Schwertherrscherin, der Göttin von Flamme und Düsternis überzeugen können. Auch Huldas untergebene Feuerriesen hatten sich der neuen Schutzpatronin zugewendet und ihn, Neire von Nebelheim, als ihren Propheten akzeptiert, wenngleich sie ihre Befehle nur von der Königin empfingen. Die Königin zeigte ihre fauligen Zähne, als sie ihn anlächelte und sprach.

Königin Hulda: „Neire, mein lieber Freund. Wie lange ist es her, dass wir zuletzt redeten? Waren es zwei oder drei Wochen? Sagt, was gibt es Neues zu berichten. Habt ihr etwas von euren Freunden gehört, aus Urrungfaust?“
Neire von Nebelheim: „Es ist zu lange her, meine verehrte Königin. Seitdem ist viel geschehen, nur eure Schönheit bleibt unverändert bestehen. Nachdem mir Lyrismar Schwefelschimmer die Sphären für das Weltenportal brachte, habe ich nichts von Meister Halbohr, Bargh und Zussa gehört. Doch ich habe sie in meinen Visionen gesehen. Sie kämpfen für Jiarlirae in diesem Augenblick. Ich bin mir sicher, sie werden siegreich sein.“
Die Königin kneift ihre Schweinsaugen zusammen und lächelt, geschmeichelt durch Neires Worte. Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Kupferbecher und bringt ein tiefes Rülpsen hervor.
Königin Hulda: „Ihr müsst mir unbedingt erzählen… was habt ihr in euren Visionen gesehen?“
Neire von Nebelheim: „Ich kann es euch nicht nur erzählen, Königin. Ich kann euch die Visionen zeigen. Doch ich habe heute ein dringendes Anliegen, das leider nicht warten kann.“
Sorgenfalten zeigen sich auf Neires Stirn, als er sie eindringlich und mit großen, nachtblauen Augen anschaut. Das Lächeln in Huldas Gesicht erstirbt und ihre dunklen Augen funkeln erbost.
Königin Hulda: „Ist es wieder die junge Gelundara, die für euren Unmut sorgt? Sagt es nur und ich werde sie selbst züchtigen.“
Neire von Nebelheim: „Nein meine Königin, es geht nicht um Gelundara. Ich komme von einer Unterredung mit Granrig Hellengrub. Er sagt, dass wir bald den Durchbruch nach Wiesenbrück haben werden. Es sind Dinge vorzubereiten, bevor wir das Dorf erreichen. Ich plane ein Fest zu Ehren von Jiarlirae in den inneren Hallen des Tempels.“
Königin Hulda: „Das sind hervorragende Neuigkeiten Neire. Wie lange habe ich darauf gewartet und die Bücher studiert. Die Fertigstellung des Tunnels bedeutet das Ende meines Wartens. Ich hatte euch bereits erzählt, dass die Riesen anfangen zu reden. Die Frauen haben sich alle einen neuen Mann gewählt, doch sie schauen auf ihre Königin und reden über mich im Verborgenen.“
Neire von Nebelheim: „Ihr habt Recht Königin Hulda. Ihr sollt nicht länger warten und ich habe versprochen euch auf der Suche nach eurem neuen Gemahl zu helfen. Aber ihr seid die Königin. Das Gerede habt ihr nicht zu erdulden. Ergreift sie und bestraft sie, statuiert ein Exempel, um ihnen zu zeigen, dass ihr mit eiserner Hand regiert.“
Erst nickt Hulda grimmig, doch dann schüttelt sie ihren Kopf.
Königin Hulda: „Ihr sprecht die Wahrheit, doch dies war nie mein Weg. Sehet Neire, dafür war stets König Dunrok Isenbuk zuständig. Er regierte mit eiserner Hand, nach meinem Willen. Ich formte ihn nach meinem Begehr und er folgte mir, für das Wohl unseres Volkes. Nur wurde er fett, träge und hässlich. Er war nicht mehr schön, wie einst, als ich ihn heiratete.“
Neire von Nebelheim: „So soll es wieder sein, wenn ihr euren neuen Herrscher gefunden habt. Jung und stark soll er sein, wie ihr ihn euch gewünscht hattet. Und nach eurem Willen formbar. Eure Schläue, meine Königin, steht eurer Schönheit um nichts nach. Euer Volk und Jiarlirae braucht euch. Sagt Königin Hulda, haben eure Nachforschungen bereits Früchte getragen?“
Königin Hulda: „Ja, habt Dank Neire. Ihr habt recht, nur ich habe die notwendige Weitsicht meine Riesen zu führen. Doch dazu brauche ich meinen Gemahl. Die Bücher, die ihr mir aus Urrungfaust beschafft habt, haben eine Erinnerung in mir hervorgerufen. Es ward geschrieben von der alten Eisenfeste Sverundwiel, die einst den Strom des Feuers gebar. Errichtet wurde sie von der Rasse der Nachtzwergen, auf der Grenze von Schatten und Licht. König Dunrok Isenbuk erzählte von einem jungen Jarl, genannt Eldenbarrer. Er wurde einst bekannt als Träger der Flamme von Thiangjord, eines schwarzen Schwertes, das im Feuer des alten, gleichnamigen Lindwurms geboren wurde. Eldenbarrer sammelte Riesen um sich und eroberte die Eisenfeste Sverundwiel. Ich erinnerte mich, dass Dunrok damals Boten schicken wollte, auf dass sich Eldenbarrer unserem Kampf anschließen solle. Doch wir warteten auf das Gold der schwarzen Elfen und so kam der Austausch nie zustande.“
Neire hört aufmerksam zu, erhebt sich und verbeugt seinen Kopf.
Neire von Nebelheim: „Eine weise Wahl, Königin. Auch ich habe von der alten Eisenfeste Sverundwiel gehört. Ich werde mit den Vorbereitungen beginnen und wir werden aufbrechen, wenn die Zeit reif ist. Ihr habt euch Jiarlirae zugewendet. Ihr Reich ist ein ewiges, aus Flamme und Düsternis. Unter ihrem Zeichen werdet ihr euren neuen König gewinnen. Er wird euer Volk durch eure verborgene Stimme zu neuem Heldentum führen. Die alten Runen deuten euer Schicksal, sie sprechen von Ruhm und Ehre.“

Neire verließ die Gemächer der Königin der Feuerriesen. Er musste mit den Vorbereitungen anfangen und durfte keine weitere Zeit verlieren. Sie mussten das Fest feiern, um die Gunst Jiarliraes zu erhalten. Erst dann konnten sie nach Wiesenbrück vordringen. Er lächelte, als er an das Bergdorf am reißenden Strom Fireldra dachte. Es würde ihr Zugang in das Reich der Oberwelt werden. Ein Ort der Verbindung beider Welten. In seinen Gedanken formte sich bereits ein neuer Name für Wiesenbrück.
« Letzte Änderung: 10.05.2024 | 23:11 von Jenseher »

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Zwischenspiel 04 - Ein Fest im Tempel des Jensehers - Teil I
« Antwort #117 am: 10.05.2024 | 23:20 »
Das Kohlefeuer glühte hell in der Feuerschale aus Ne’ilurum. Die Flammen vereinzelter Scheite getrockneter Riesenpilze brannten im gelblichen Licht, das lange Schatten warf. Trotz der Helligkeit schien es, als würde der alte Stein der hohen Halle des inneren Tempels das Licht schlucken, je weiter es kam. Die Randbereiche der zum Festsaal geschmückten Kammer waren daher mit Wandfackeln erhellt, die viel kleinere Lichtkegel bildeten, als sie es eigentlich sollten. Ein Stimmengewirr erfüllte das Gewölbe, in das zwei große, sich gegenüberliegende Gänge hineinführten. Die Luft war wohlig-warm und erfüllt von Feuer-, Alkohol- und Schweißgeruch. Paare von Augen schattenhafter Gestalten waren in der Dunkelheit zu erkennen. Die größten Kreaturen waren die Feuerriesen, die mit einer Höhe von bis zu sieben Schritten fast die Decke des Gemachs erreichen. Zwischen den Riesen, die sich teils auf Decken und Felle niedergelassen hatten, waren kleinere Kreaturen zu sehen. Sie waren menschengroß und muskulös, mit wulstigen Augenbrauen, fliehender Stirn sowie einem Unterbiss, aus dem wildschweinartige Hauer aufragten. Vereinzelt waren zudem Nachtzwerge zu erkennen, deren bleiche Haut mit Venengeflechten durchzogen war und deren Augen bläulich im Feuerschein blitzen. Die Menge war chaotisch, teilweise bewaffnet und euphorisch. Grollende wie grölende Stimmen, Brüllschreie und unflätige Rülpslaute durchzogen das Gewölbe. Ein Bereich nahe dem Feuer war mit wertvolleren Fellen ausgelegt. Dort war ein Thron aus Holz zu erkennen, auf dem Königin Hulda saß. Neben dem Thron standen einige Stühle. Hier hatten sich die beiden Nachtzwerge und engsten Berater von Meister Halbohr, Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub, niedergelassen. Zudem saß dort Neire von Nebelheim mitsamt seinem engsten Zirkel des Tempels - Daera Düsterung und Mordin von Noresfyring. Daera Düsterung saß zur Linken von Neire und war in dunkle, leichte Seidengewänder gehüllt. Sie trug einen roten Umhang. Schwarzes, langes, lockiges Haar fiel von ihrem schönen, symmetrischen Gesicht und umhüllte die weiße Haut ihrer weiblichen Kurven. Sie betrachtete die Menge und sprach angeregt lächelnd mit Mordin und Neire. Zur rechten Seite von Neire saß Mordin von Noresfyring. Mordin war groß gewachsen, scheinbar um die 30 Jahre alt und von athletischer Statur. Die Haut seines Gesichtes glänzte wie frischer Schnee in der Dunkelheit und wurde eingerahmt von rotblonden langen Locken. Grünliche Augen blitzten intelligent in seinem adeligen Antlitz. Neire von Nebelheim hielt einen kostbaren Silberkrug in der Hand und trug seine silberne Krone mit dem großen glitzernden Diamanten, der auf seiner hohen Stirn zu sehen war. Die Krone drückte seine gold-blonden Locken, die mittlerweile über seine Schultern fielen, an seinen Kopf. Dort war sein schönes Gesicht zu erkennen. Die weiße makellose Haut, die großen blauen Augen, die gerade Nase und die hohen Wangenknochen. Der Jüngling war vor kurzem sechzehn Jahre alt geworden und gekleidet in seine kostbare, dunkle Magierrobe. Im schwarzen Samt des Kleidungsstücks blitzten leuchtende silberne Sterne eines fernen Nachthimmels. Dunkle Stellen zogen sich wie Tentakel über Brust und Beinkleider. Neire hatte seinen Tarnumhang abgelegt und trug seinen roten Nebelheimer Umhang mit den goldenen Chaosrunen. An beiden seiner Hände blitzten kostbare Ringe.

Neire betrachtete abwechselnd Daera und Mordin, von denen er wusste, dass sie seit langem ein Liebespaar waren. Sie hatten ihn sogar einst eingeladen an ihrem Liebesakt teilzuhaben, doch Neire hatte abgelehnt. Zuviel hatte er zu tun und außerdem fürchtete er sich vor Daera. In seiner kurzen Zeit, in der Lyrismar Schwefelschimmer im Tempel des Jensehers verweilt hatte, hatte er ihn vor Daera gewarnt. Jetzt lächelte Daera sie beide an, sprach dann aber zu Mordin. Neire betrachtete bewundernd ihre okkulten Tätowierungen und genoss ihr Parfüm, das nach Weihrauch und brennenden Gewürzen roch. „Mordin, erzählt doch nochmals eure Geschichte, wie ihr mich einst fandet und wie wir uns das erste Mal liebten.“ Mordins Lächeln kam nicht schnell und wirkte auf Neire etwas gezwungen. Dennoch antwortete er, nachdem er etwas Wein aus seinem Kristallglas getrunken hatte. „Hatte ich sie euch nicht schon einmal erzählt, mein Prophet? Es kommt mir so vor als hätte ich sie bereits jedem erzählt.“ Neire bemerkte, dass Daera ihr Lächeln verzog und für einen Augenblick raubtierhafte Fangzähne in ihrem Mund zu sehen waren. „Wir haben die Zeit Mordin und ich habe die Geschichte noch nicht gehört. War es dort, wo ihr einst aufgewachsen seid? Im Reich unserer Herrin?“ Mordin nickte und als Neire zu Daera blickte, lächelte sie. Ihre Fangzähne waren verschwunden. Ein orkisches Sklavenmädchen schenkte ihnen Wein nach und Mordin begann zu erzählen.

„Es war vor langer, langer Zeit. Vielleicht vor 23 Jahrzehnten? Ich lebte im Schloss meiner Mutter, dem Sitz der Familie Noresfyring. Meine Mutter war und ist Liv, VII. von Noresfyring und sie herrscht von Schloss Schattenflamme. Sie ist Liv, die Hexenkönigin, genannt auch die oberste Schattenflamme. Ich aber hatte eine schwere Kindheit. Doch das soll eine Geschichte für einen anderen Tag sein, mein Prophet. Als ich älter war, durfte ich an den wilden Blutjagden teilnehmen und so fing alles an. Ich liebte den brennenden Schattenwald, mit all seinen Gefahren und den fremden Kreaturen. Ihr müsset wissen, mein Prophet. Schloss Schattenflamme und der brennende Schattenwald liegen auf der fernen Ebene Molgor, im ewigen Reich unserer Herrin Jiarlirae. Als Abkömmling der Noresfyrings war es mein heiliges Recht und meine Pflicht den brennenden Schattenwald zu durchstreifen. Ich tat es mit meinen Gespielinnen, den Konkubinen des Chaos. Sie waren glorreiche Geschöpfe, voll von brennender Gier, zerstörerischer Lust und aufopferungsvollem Hass. Ihre Namen waren Ida, Ylvi und Lyke und sie waren, wie meine Familie selbst, aus alten adeligen Geschlechtern der Blutmark. Geschlechtern, die seit jeher den Schwertherrschern, den alten Chaosgöttern gedient hatten.“

Mordin beugte sich zu Neire und der junge Priester konnte die übermenschliche Hitze spüren, die von Mordin ausging und jeden normalen Menschen verbrannt hätte. Ein Leuchten war in seinen grünlichen Augen zu sehen, als Mordin von den drei Konkubinen des Chaos sprach. Nur das Zischen von Daera brachte Mordins Geschichte ins Stocken. Er hielt für Augenblick inne und der Schimmer in seinen Augen verschwand. Dann fuhr Mordin fort.

„Es war am dreizehnten Tag unseres Streifzuges durch den brennenden Schattenwald, als wir auf die Ruinen der alten Stadt Hagatorm stießen. Ich hatte von der Geschichte der Stadt bereits gehört. Die Herrscher des Waldes hatten im Zentrum von Hagatorm einst die dunkle Pyramide errichtet, um das silberne Feuer des Mondlichtes auf eine ferne Welt hinab zu bringen. Doch wir waren nicht an den Geheimnissen von Hagatorm interessiert, nicht an dem alten Fluch der Stadt. Wir suchten die Lichtung des brennenden Schattenwaldes, den verwunschenen Ort Gladenlys. Wir schritten durch das vergangene Reich und sahen den alten Silberfluch. Die Bäume schrien, denn ihre Wurzeln brannten im Feuer des flüssigen Mondlichtes. Doch da war kein Mond, kein Himmel im Reiche Molgor. Das Feuer ist überall in Molgor und der Himmel selbst ist der brennende Schattenwald. Dann kamen wir an den weinenden See und wir sahen, was aus Gladenlys geworden war. Die Tränen aus Mondlicht waren zu brennendem Quecksilber gewandelt. Wir legten unsere Kleider ab und nahmen ein Bad in den silbernen Fluten. Nur dort im See, nur in den blubbernden Fluten, im Quecksilbernebel, hörten wir ihre Schreie. Wir sahen die Insel und die brennende Esche. Wir schwammen näher und erfreuten uns an ihren Schreien. Es waren die Kinder der brennenden Esche, die dort gefangen waren. Silberne Mondfeen aus der einstigen Welt von Hagatorm. Sie waren die Wurzeln der Esche, wie die Wurzeln der Esche sie waren. Ihre Flügel waren durchsichtig und trugen das Feuer; sie schwirrten beständig, als ob sie ihre Schreie vervielfältigen wollten. Wir gingen näher auf sie zu, die Konkubinen des Chaos und ich. Wir waren fasziniert von ihrer Schönheit, dem Schmerz ihrer in die Ewigkeit gestreckten Vergänglichkeit. Ich wollte nach ihren Flügeln, nach den Wurzeln greifen. Doch die Wurzeln begannen sich zu bewegen und dann stand sie dort. Ich trug damals bereits mein Breitschwert aus Graustahl, geschmiedet von der hohen Inquisition der Blutmark und seit langem in unserem Familienbesitz. Doch ich hatte die Waffe nicht bei mir, war wie meine Konkubinen völlig nackt. Das Wesen aus den Wurzeln kam zu mir und sie sprach. Sie sagte, sie wäre Daera Düsterung, die erste Frau, seit dem Anbeginn der Zeit. Das erste Weib, das aus dem Urchaos geboren ward. Ich war gefangen in ihrem Blick, ihren violetten Augen und in ihren von Quecksilberflammen verzehrten schwarzen Locken. Sie fragte mich wer ich sei, was ich an diesem Ort verloren hätte. Ich sagte, ich bin Mordin von Noresfyring, Sohn der Hexenkönigin, der obersten Schattenflamme. Ich sagte, ich hätte keine Furcht vor ihren schwarzen Lippen, ihren lebenden Tätowierungen und ihren dunklen Krallen. Sie lächelte und fasste mich bei meiner Männlichkeit. Sie zog mich hinein in die brennenden Wurzeln, welche die silbernen Mondfeen waren. Und sie waren um uns herum während wir uns liebten. Da waren die Schreie der auf ewig gequälten Kreaturen und ihre Flügel, die uns sanft berührten. Es war dieser Schmerz, der zärtliche Flügelschlag, der mich dort wie rötlicher Samt umschloss. Die Hitze wollte mich verschlingen, die Feuchte der Flammen anreichern und mich verwelken lassen. Ich spürte ihren Mund und ihre Klauen. In größter Ekstase begann ich die Flügel der silbernen Mondfeen auszureißen. Ihr Klagegesang schwoll zu einem Höhepunkt heran, dann ward der Fluch gebrochen. Daera Düsterung ward befreit von ihrer Aufgabe. Ich war nicht verwelkt, nicht dahingerafft in ihrer Liebkosung. Wir sammelten die ausgerissenen silbernen Flügel und verließen diesen verfluchten Ort. Wie vereinbart brachte ich die Flügel meiner Mutter, die sie für ihre schwarze Kunst benötigte. Doch ab jetzt waren es Daera Düsterung, meine Konkubinen des Chaos und ich, die den brennenden Schattenwald von Molgor durchstreiften.“

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Zwischenspiel 04 - Ein Fest im Tempel des Jensehers - Teil II
« Antwort #118 am: 18.05.2024 | 21:38 »
Neire hatte während der Geschichte an Mordins Lippen gehangen. Er hatte sich jede einzelne Szene vorstellen können. Er war fasziniert vom Reich seiner Herrin, von der Urgewalt des Chaos, die dort herrschte. Er konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als einst in dieses Reich zu reisen, um die Welt seiner Göttin selbst zu erleben. Er schaute Mordin und Daera mit bewunderndem Blick an, während er sprach. „Es ist eine solche liebliche Geschichte Mordin. Habt Dank! Ich dachte, ich wäre selbst dort gewesen, als ihr sie erzähltet. Ihr müsset versprechen, mir den brennenden Schattenwald einst zu zeigen, Mordin. Vielleicht reisen wir zusammen mit Daera dorthin?“ Mordin nickte zögerlich, doch Daera blickte Neire begeistert an. „Natürlich werden wir einst dorthin reisen, mein Kind der Flamme.“ Neire lächelte Daera an. Vielleicht sollte die Zeit einst kommen. Nur die Göttin selbst wusste, welche Zukunft auf ihn warten würde. Neire begann sich aufzurichten. Er musste jetzt das Fest eröffnen. Er wusste, dass es den Glanz der Feiern im inneren Auge von Nebelheim nicht erreichen würde, doch die Zusammenkunft hier sollte niemand jemals vergessen. Als Neire seinen Becher erhob und in die Menge der Gestalten blickte, konnte er keine Reaktion sehen. Erst als sich Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub erhoben und mit ihren Waffen auf ihre Schilde klopften, richteten sich die Blicke auf sie und die Stimmen begannen langsam abzuebben. Dann war da nur noch das Knistern der Flammen zu hören und Neire fing an zu sprechen. Seine ersten Worte klangen nervös und leise, zunehmend wurde er aber sicherer. „Horcht her, die ihr hier versammelt seid. Anhänger und Gefolgsleute unserer hohen Herrin, der Schwertherrscherin, der Dame des abyssalen Chaos, der größten unter allen Göttern: Jiarlirae. Wir weihen diesen neuen Tempel in ihrem Namen. Es ist der Tempel des Jensehers, ihr Heiligtum. Wir tun es in Anwesenheit der mächtigen und schönen Königin der Feuerriesen Hulda von Isenbuk. Königin Hulda, alle die ihr folgen und die Anhänger des Tempels des Jensehers huldigen Jiarlirae mit dem Blut eines Kampfes. Schafft die Feuerschale zur Seite und sehet Gruschuk, den Grausamen, aus der Rasse der Hügelriesen.“ Jubelschreie waren zu hören, als Gruschuk sich aufrichtete und zur Feuerschale hervortrat. Mehrere orkische Sklaven begannen bereits die große Glutschüssel zur Seite zu ziehen. Sie benutzten hierfür die Widerhaken der großen Bratspieße. Gruschuk drehte sich im Licht des Feuerscheines, stellte seine Muskeln zur Schau und hob seinen riesenhaften Streitkolben beidhändig über den Kopf. Der junge Hügelriese hatte ein menschliches Vergleichsalter von etwa 14 Jahren erreicht und an einigen Körperstellen bereits Fett angesetzt. Er war fast drei Schritt groß, besaß krauses, schwarzes Haar, das an einigen Stellen schon dünner wurde und ein abgeschnittenes rechtes Ohr. Sein Brüllen erfüllte die Halle, jedoch fingen einige Feuerriesen an zu lachen und spotten. Neire bemerkte die Unsicherheit bei Gruschuk, als der junge Hügelriese in die Gesichter der älteren Feuerriesen schaute. Neire trat jetzt näher zur Mitte und führte seine Rede fort. „Gegen Gruschuk, den Grausamen, kämpfen drei ausgewählte Krieger der Orks. Tretet hervor Oruk, Gornakh und Utnakh und kämpft für den Ruhm Jiarliraes.“ Das Grölen kam jetzt hauptsächlich von den vielen Orks, die zwischen den Riesen saßen. Es traten drei Krieger hervor, von denen zwei Kurzschwerter und einer eine einköpfige Schlachtenaxt trug. Sie waren muskulös, doch lange nicht die stärksten Exemplare im Tempel des Jensehers. Sie trugen, wie auch Gruschuk, Teile von Rüstungen, mit denen sie verschiedene Stellen ihrer Körper geschützt hatten. Als der Jubel verhallte, begann Neire seine Rede fortzusetzen. Die Kontrahenten hatten sich bereits begonnen zu mustern und sich zirkelnd zu bewegen. „Kampf ist Leben, Kampf ist Tod. Kampf ist Chaos und dieser hier ist ein Kampf des Chaos auf Leben und Tod. Die Seelen derer, die heute hier fallen werden, werden in das Reich unserer Herrin eingehen. Sehet also eurer Zukunft glorreich entgegen. Es gibt keine Regeln… nur wer lebend diese Mitte verlässt, soll an diesem Tag mit uns feiern.“ Neire streckte seinen Becher der Menge entgegen, die die Kontrahenten grölend anfeuerte. Gruschuk warf ihm einen letzten Blick zu bevor er sich den Kämpfenden zuwendete. Neire konnte das Wort Freund erahnen, das Gruschuk lautlos über die Lippen ging. Er nickte dem jungen Riesen lächelnd zu.

Er hatte nicht alle Worte verstanden, die sein Freund Neire gesagt hatte. Die Sätze waren so lang, so kompliziert gewesen und einige Worte waren ihm unbekannt. Auch wenn Gruschuk nicht alles hatte deuten können, so hatte er doch die Ankündigung seines Namens gehört: Gruschuk, der Grausame. Er verstand die Bedeutung und lächelte, als er an die Worte seines Freundes Neire dachte. Das höhnende Lachen der Feuerriesen hatte bereits wieder vergessen. Gruschuk zog die Augen zusammen und blickte in Richtung seiner drei Widersacher. Er wollte sie töten und dann zertrampeln. Er wollte den Ruhm des Kampfes für sich. Ja, er würde ihnen keine Gnade zeigen. Er hasste Orks über alles. Sie hatten ihn schließlich gequält, nachdem sein Freund Neire die Feste von Nomrus befreit hatte. Und was waren sie?… sie waren vorher Nomrus‘ Sklaven gewesen. Im düsteren Licht, im Gegröle der Menge, musterte Gruschuk seine Gegner. Ihnen lief wie ihm der Schweiß vom Körper. Gruschuk verlor keine weitere Zeit. Er knirsche mit seinen Zähnen, dann fing er an zu Brüllen und schlug auf den Ork ein, der rechts von ihm stand. Die drei Orks hatten ihn schon umzingelt und er hatte den Kontrahenten mit dem Kurzschwert vor ihm gemustert. Der Ork mit der Schlachtenaxt hatte seinen Angriff nicht erwartet. Gruschuk führte den Streitkolben von links nach rechts in eine Aufwärtsbewegung und traf den Ork im Bauch. Durch die Gewalt wurde die Kreatur zur Seite geschleudert und seine Bauchdecke zerfetzt. Gruschuk sah das Blut aufspritzen und einen Leichnam zu Boden fallen. Seine Wut verstärkte sich. Er blickte jetzt wieder nach vorn auf den Angreifer mit dem Kurzschwert. Angst war in den Augen des Wesens zu sehen, das er um mehrere Köpfe überragte. Doch der Ork mit den verheilten Narben von Peitschenhieben ließ sein Schwert nach vorn schnellen. Gruschuk spürte den Schmerz nicht, als das Kurzschwert in sein Bein stach. Er sah sein eigenes Blut auf der Klinge des Angreifers. Auch spürte er nicht, dass der Ork hinter ihm angriff. In seinem Wutrausch hatte er ihn fast vergessen. Nur als die Klinge gegen seinen Panzer rammte, sagte ihm sein Instinkt, dass dort etwas war, hinter ihm. Gruschuk drängte auf den Ork vor ihm zu, der zurückwich und ein weiteres Mal nach ihm stach. Jetzt hob er den Schienenpanzer des Unterarms und der Schlag prallte harmlos ab. Doch etwas biss sich in seinen Rücken und der Schmerz war groß. Gruschuks Wut explodierte, er fuhr herum, um das zu zertrampeln was dort war. Es war der dritte dieser verhassten Kreaturen, der sich hinter ihm versteckt hielt. Gruschuk rammte seinen Streitkolben in die Brust des Angreifers. Er hörte das Knacken von Rippen und sah den Ork Blut spuken. Dann brach die Kreatur vor ihm zusammen. Doch stach etwas in seinen Rücken, den er unvorsichtig, seinen Gegner missachtend, gedreht hatte. Gruschuk wendete sich abermals um und holte mit seinem Streitkolben aus. Er sah, dass der letzte Ork mit seinem Kurzschwert nach ihm stach. Im gleichen Augenblick. Doch Gruschuk war schneller. Sein riesiger Streitkolben rammte gegen den Kopf der kleineren Kreatur und der junge Hügelriese hörte das Knacken des schweinischen Schädels. Der Ork taumelte tot zu Boden und sein Angriff ging ins Leere. Gruschuk blickte sich um. Er war voll von einer wutentbrannten Gier, einem unersättlichen Gewalthunger. Er spürte nicht die blutenden Schnitte an seinem Körper, hörte nicht die grölenden Jubelschreie der Menge. Er wollte töten, er wollte mehr. Er schritt zu einer Leiche, die er zerschlagen hatte und trampelte mit einem Bein auf den Brustkorb. Blut spritzte auf, als Rippen wie Streichhölzer knackten. Gruschuk stellte sich auf den Ork, dann nahm er dessen Arm und begann zu reißen. Sehnen und Haut wurden zerfetzt, als der blutende Hügelriese den orkischen Arm ausriss. Gruschuk warf das Stück Fleisch in die Menge und brüllte: „Gruschuk siegen, Gruschuk grausam.“ Dann nahm er sich einen weiteren Arm und noch einen und dann einen Kopf. Wieder und wieder brüllte er seinen Namen in Richtung der Feuerriesen. Erst als er die rötlich glühenden Augen in dem von gold-blonden Locken eingerahmten Gesicht sah, den funkelten Diamanten auf der Stirn des Jünglings, hielt Gruschuk ein. Er lauschte den Worten, die sein Freund Neire sprach. Sie wirkten besänftigend auf ihn und lobten seinen Ruhm. Wieder verstand er nicht alle Worte, konnte deren Sinn aber erkennen. „Sehet Anhänger von Jiarlirae. Gruschuk, der Grausame, war siegreich. Er verschonte seine Gegner nicht. Sie haben tapfer gekämpft und ihre Seelen werden in das Reich unserer Göttin eingehen, geheiligt sei ihr Name. Bringt dem Sieger den Kelch, auf dass das Fest beginnen kann.“ Gruschuk brüllte nachdem der Prophet die Worte zur Menge gesprochen hatte. Er hob seinen Streitkolben. Blut und Schweiß tropften ihm in die Augen, die anfingen zu brennen, als er sie rieb. Verschwommen sah er drei orkische Frauen auf ihn zukommen. Sie trugen einen großen silbernen Kelch mit schäumendem Bier. „Trinkt Gruschuk, trinkt Anhänger von Jiarlirae. Heute feiern wir mit Gruschuk, dem Grausamen.“ Gruschuk stieß wieder sein Brüllen aus und nahm den Kelch. Er kostete das Bier, trank gierig. Den ganzen Kelch konnte er nicht in einem Zug trinken, also setzte er ab und ließ ein tiefes Rülpsen von sich. Als er die Augen wieder öffnete sah er, dass die Farben der Fackeln intensiver waren und lange Fäden zogen, wenn er seinen Blick schweifen ließ. Gruschuk spürte eine innere Wärme in ihm aufsteigen. Es konnte nicht nur die Wirkung von Bier sein, doch Gruschuk war viel zu einfältig, dies zu begreifen. Plötzlich war da Neire, der seine Hand nahm und ihn durch die Mitte der Halle führte. Gruschuk hörte die Rufe und die Gesänge der Kreaturen, von denen er glaubte sie würden ihn feiern. Schließlich kamen sie zu einem Fell auf dem seine beiden Gefährten Kulde und Gulgra saßen. Die beiden Hügelriesen waren Geschwister und hatten, wie er, das rechte Ohr verloren. Gruschuk schwankte zwar immer noch, sah aber mittlerweile nicht mehr so verschwommen. Er nickte Gulgra zu und blickte in ihr dickliches, rundes Gesicht, das etwas debil aussah, für ihn aber wunderschön war. Er betrachtete lüstern ihren Körper. Gulgra und er waren schon seit längerer Zeit ein Paar und ihr dicker Bauch deutete an, dass sie sein Kind trug. Für die Feierlichkeiten hatte sie sich ihre beiden geflochtenen Zöpfe mit Knochen verziert. Gulgra war nicht dick, aber ihre bereits zuvor gewaltigen Brüste waren noch größer geworden. Ihr Gesicht und ihr Körper waren geziert von den Narben unzähliger Schnittverletzungen, die ihr von den Orks zugefügt wurden. Doch Gruschuk mochte ihre Narben. Während Gruschuk Gulgra betrachtete, spürte er das warme Gefühl in seiner Lendengegend, als seine Erregung stieg. Jetzt zog Neire ihn zu sich hinab und flüsterte ihm ins Ohr. „Gruschuk, der Sieger nimmt sich was er will. Sie gehört euch und sie ist bereit für euch.“ Gruschuk nickte und folgte den Worten seines Freundes. Er ließ den Streitkolben fallen und riss sich das Fell von seinen Lenden. Er hörte nicht mehr das Lachen der Feuerriesen, sah nicht mehr die Witze und Anspielungen, die sie über die Größe seiner voll ausgebildeten Männlichkeit machten. Er stürzte nach vorn… keuchend und von Schweiß und Blut bedeckt. Es war die Ektase des Kampfes, des Rausches und der Lust, die in ihm tobte. Er bemerkte nicht, dass Gulgra sich dümmlich und ängstlich umblickte, sich ihm anfänglich verwehrte. Als er in sie eindrang, begann er tief und stupide an zu grunzen. Sein Denken setzte vollständig aus, als er in rhythmische Bewegungen verfiel. Er spürte nicht, dass seine Wunden aufrissen, sah nicht sein frisches Blut, das Gulgra besudelte. Gruschuk war reduziert auf die Begattung von Gulgra, bestand nur noch aus seiner Männlichkeit. Gulgra fing jetzt an zu Stöhnen, in einem helleren, heiseren Ton, doch Gruschuk bemerkte es nicht. Um die Liebenden hatte sich eine Traube von Gaffern gebildet. Hunderte Augenpaare von Orks, Feuerriesen und Nachtzwergen glotzten auf das Geschehen. Anfeuerungsrufe waren von Feuerriesen zu hören, ihre Frauen rollten nur mit den Augen, konnten aber nicht ihre neugierigen Blicke abwenden. Im Höhepunkt explodierte die Welt von Farben um Gruschuk. Die Lust überkam ihn im unerreichten Rausch. Sein Liebesmuskel verkrampfte ein letztes Mal und die Welle seiner Gefühle rollte unkontrollierbar davon. Dann wurde es dunkel um ihn. Wie ein nasser Sack brach der junge Hügelriese Gruschuk ohnmächtig über Gulgra zusammen.

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Zwischenspiel 05 - Der Tunnel nach Wiesenbrück - Teil I
« Antwort #119 am: 25.05.2024 | 20:15 »
Der erfahrene Feldwebel schlug seinen gewaltigen Ne’ilurum-Hammer gegen die Felswand. Wieder und wieder. Fuldir keuchte und Schweiß lief an seinem riesigen Körper hinab, an dem hier und dort Fettpolster zu sehen waren. Das Fackellicht, das die Diener Jiarliraes hinter ihm trugen, reichte kaum zu ihm heran, so dicht war der Steinstaub. Fuldir blickte sich nicht um und wechselte die Führungshand. Dann schlug er wieder gegen den Stein. Er ächzte und seine Muskeln schmerzten. Doch er gab nicht auf, er durfte nicht aufgeben. Zwei, drei, vier Schläge, er zählte nicht mit. Dann war das Geräusch anders und er verlor fast das Gleichgewicht. Lichtstrahlen drangen vor ihm durch ein Loch und er spürte den Zug kalter Luft. Es roch nach Schnee. Fuldir lachte laut und blickte sich um. Sie alle sahen im Fackellicht sein von alten Kriegsnarben gezeichnetes Gesicht. Die einst eingeschlagene, jetzt schiefe Nase und seine abgebrochenen Zähne. Der Feuerriese mit der kohlenschwarzen Haut und dem kahlen Schädel drehte sich wieder um und schlug zu. Schneller und hastiger. Große Steinbrocken brachen hinaus und das Loch war bald großer als der Oberkörper eines erwachsenen Menschen. Fuldir drehte sich um und trat zurück. Er verbeugte sich vor den Anwesenden, vor dem Prophet des Tempels des Jensehers und seiner Königin Hulda Isenbuk. Dann sprach er. Er unterdrückte sein Keuchen so gut es ging. „Meine Königin, Prophet Jiarliraes, der Weg ist frei. Sehet das Licht, vernehmet die kalte Luft.“ Seine Königin nickte ihm lächelnd zu und der Prophet trat jetzt näher. Das Kind der Flamme kam Fuldir klein und zerbrechlich vor, im Vergleich zu seiner Größe. Doch er hatte bereits von den Kräften Neires gehört, der den heiligen Segen der alten Chaosgöttin Jiarlirae haben sollte. Seine Königin Hulda Isenbuk glaubte jedenfalls fest daran. Neire nickte ihm zu, lächelte und hustete im Staub. Dann sprach der Jüngling, der in seine von Sternen glitzernde Roben und einen Tarnumhang gekleidet war, in der Sprache von Fuldirs Vorvätern: „Hab Dank Fuldir, heute ist ein großer Tag, im Namen von Jiarlirae. Ihr alle habt große Arbeit geleistet. Lasst mich sehen, was auf der anderen Seite liegt und wartet hier.“ Dann schritt der Jüngling an ihm vorbei und bückte sich durch das Loch, durch das mittlerweile Schneeflocken rieselten. Hinter ihm herrschte ein gespanntes Flüstern. Nach kurzer Zeit tauchte das Gesicht von Neire wieder auf. Er strich sich die gold-blonden Locken zurück und sprach feierlich. „Wahrlich, ein besonderer Tag ist heute und wir werden unserer Göttin huldigen. Doch mein besonderer Dank gilt Granrig Hellengrub, der diesen Tunnel plante. Seine Berechnungen waren richtig. Vergrößert das Loch und kommt hinaus, auf dass ihr diesen Anblick ersehen könnt.“ Dann verschwand der Jüngling wieder durch die Öffnung. Bevor die ersten Orksklaven durch die Öffnung huschten, bellte Fuldir barsche Befehle. Er wies sie zum Arbeiten an. Die Sklaven und die jüngeren Feuerriesen. Seiner Königin sollte die Ehre zu Teil werden, dem Propheten zu folgen. Dann würde auch Fuldir hindurchschreiten. Er hatte diesen Tag herbeigesehnt, hatte die Höhlen fast nicht mehr ertragen. Jetzt stand er vor dem Tor zur oberen Welt. Seine Königin hatte ihm erzählt von den Plänen, die der Prophet hatte. Seine Aufgabe als Krieger erwartete ihn. Er wollte dienen und er wollte kämpfen. Er hatte den Krieg und die Gewalt so schmerzlich vermisst.

Als Neire durch die Öffnung getreten war, hatte sein Herz laut und schnell geklopft. Er hatte sich diesen Tag so lange herbeigesehnt. Kurz glitten seine Gedanken in die Vergangenheit. Wie lange hatten sie an diesem Tunnel gebaut? Er wusste es nicht genau. Vielleicht fünf, vielleicht sechs Monate? Das Licht blendete ihn zuerst, dann gewöhnten sich seine Augen langsam an die Helligkeit der Winterwelt. Neire blickte in ein schneebedecktes Tal, über dem bleierne Wolken hingen. Die aufsteigenden Bergflanken verschwanden in der grauen Unterkante des bedeckten Himmels. Gipfel zu den Seiten des Tals konnte er nur erahnen. Ein leichter Schneefall rieselte hinab und begrenzte die Sicht. Trotzdem konnte er hinabblicken auf die weiß bedeckten Dächer von Häusern, die dort auf dem Talboden standen. Er bemerkte zudem das Band eines Flusses, der dunkel und frei von Schnee eine Bahn um die andere Seite des Dorfes zog. Dies musste Wiesenbrück sein, denn er erkannte die Brücke über die Firedra wieder. Zudem sah er das Gasthaus zum alten Nussbaum in der Mitte des Dorfes, wo die jetzt laublose Krone aus dem Dach aufragte. Neire betrachtete seine Umgebung, während er hinter sich das Klingen von Hämmern und Spitzhacken hörte. Immer wieder brachen Felsbrocken hinaus, als sich das Loch vergrößerte. Neire trat durch den knirschenden Schnee zur Seite. Die Öffnung des Tunnels war in der aufsteigenden Bergwand über Wiesenbrück entstanden. Von hier aus konnte man das Dorf gut überblicken. Über dem Tunnel wurde das Gelände steiler und die schneebedeckten Tannen spärlicher. Vor der Wolkendecke konnte man hier und dort schroffe Felsen aufragen sehen. Neire grübelte, als er sich umblickte. Er fing an sich auszumalen, was sie hier verändern würden. Nach einiger Zeit hörte das Hämmern auf und die Königin bückte sich durch die Öffnung, die jetzt größer geworden war. Ihre schweinischen Augen blinzelten in ihrem rattenhaft-spitzen Gesicht. Dann fing Hulda an zu lächeln, strich ihre verfilzten, roten Haare zurück und zeigte ihre fauligen Zähne. Sie fröstelte, obwohl sie sich einige kostbare Felle übergeworfen hatte. „Es ist schön Neire, aber so kalt. Ihr habt nicht zu viel versprochen. Was wollen wir tun? Wollen wir hinab gehen und diese Menschlein zerquetschen?“ Hulda lachte, als sie den Satz beendete. Weitere Feuerriesen drängten hinaus und gaben überraschte Rufe von sich. Der junge Riese Redebald schritt auf eine Tanne zu und sagte erstaunt. „Schaut her, ein weißer Baum.“ Dann begann er die Tanne zu schütteln, so dass er plötzlich von Schnee bedeckt wurde. Als er verdutzt zurücksprang und sich prustend schüttelte, war das Gelächter groß und Redebald verzog beleidigt sein Gesicht. Neire drehte sich zu den Erschienenen und sprach: „Wählt Wachen aus, die den neuen Tunnel beschützen. Wir werden nach Wiesenbrück gehen und uns die Stadt nehmen. Sie gehört ab diesem Tag unserer Göttin Jiarlirae und soll zu ihrer Ehre neu benannt werden.“ Die Feuerriesen und einige Orks hoben jubelnd ihre Waffen. Dann wählte Fuldir die Feuerriesen aus, die ehrenhaft ihre Pflicht der Wacht am Tunnel entgegennahmen. Sie brachen umgehend auf und stiegen durch den verschneiten Wald hinab. Sie schritten hinab nach Wiesenbrück mit grimmigen, entschlossenen Mienen und gezogenen Waffen.

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„Sind es alle Bewohner, seid ihr euch sicher Eirold? Bedenkt eure Worte gut, denn ich toleriere kein falsches Wissen und erst recht keine Lügen.“ Neire blickte dem Dorfvorsteher Eirold Mittelberg in die Augen. Er selbst war etwas größer als der schlanke Mann mit dem Pferdeschwanz, den er auf etwa 60 Winter schätzte. Schneeflocken legten sich immer wieder auf das dünne graue Haar, unter dem Neire die Kopfhaut von Eirold sehen konnte. Angst war dem Dorfvorsteher anzusehen, der mit seinen stahlblauen Augen hastig die Riesen musterte, die die Menge mit gezogenen Waffen bedrohten. Sie waren hier auf dem kleinen Platz vor dem Gasthaus Zum alten Nussbaum zusammengekommen – Männer, Frauen und Kinder. Vielleicht an die vierzig bis fünfzig Familien, die in Wiesenbrück lebten. Neire erinnerte sich zurück an die Geschichte, die ihm einst Zussa erzählt hatte. Die Geschichte der Totenfeier im Gasthaus. Der anschließend durchzechten Nacht von Bargh mit seinen beiden Gespielinnen. Er hatte auch die Jäger nicht vergessen, von denen Bargh einen am nächsten Morgen niedergemacht hatte. „Ja, soweit ich es sehe… es sind alle, Prophet. Bis auf einige Jäger, die sich auch in den Wintermonaten in die Berge wagen… ich weiß nicht wann sie zurückkommen, sie haben dort ihre Jagdhütten.“ Die Stimme des alten Mannes zitterte, als er sprach. Neire spürte, dass er die Wahrheit sagte. Jedenfalls glaubte er es. Er ließ ab von Eirold und drehte sich zur Menge, zu der er trat. „Bürger von Wiesenbrück. Wir sind hier zusammengekommen an einem großen Tag. Es ist der heutige Tag, an dem ich, Neire von Nebelheim, aus den Tiefen der Erde hervorgetreten bin. Ich habe die Flamme aus der Dunkelheit geholt, die Flamme, die auf ewig mit den Schatten vereinigt sein wird. Es ist das Feuer und die Düsternis, die durch mich sprechen, die Worte meiner Herrin, der Schwertherrscherin Jiarlirae. Ich bin ihr Prophet und ich bringe euch Ruhm, Reichtum und eine glorreiche Zukunft.“ Neire hielt einen Augenblick inne und betrachtete die Menge, die begann zu tuscheln. Rauch stieg aus den Kaminen uriger Häuser und der Schneefall hielt an. Die Feuerriesen überragten den Platz wie Kolosse. Einige waren größer als die verzierten Giebel der Häuser. „Bürger von Wiesenbrück. Heute bin ich gekommen als Kind der Flamme, als Reisender in einem Meer unendlicher Wege und Möglichkeiten. Ich frage euch, wollt ihr mich begleiten auf meinem tausendjährigen Gang durch diese schwindende Welt, auf der ihre Flamme uns zu den Geheimnissen ihrer Schatten führt. Wollt ihr mich begleiten und euch Jiarlirae widmen, mit all eurem Streben und all eurem Sehnen? Schließt euch mir an und wir werden gemeinsam beten. Die Wahl jedoch ist eure. Tretet jetzt hervor, wenn ihr zweifelt an ihr, deren geheiligter Name Jiarlirae ist.“ Kein Jubeln war zu hören, nur das Schreien einiger Kinder. Zu groß war die Angst der einfachen Menschen. Neire fragte sich, wieso sie ihm nicht zujubelten. Wieso sie den Ruhm der Göttin nicht freudig empfingen, sich nicht mit all ihren Herzen ihr zuwendeten. Als eine Windböe den Schnee von den Dächern pfiff, hörte Neire die Stimme von Eirold hinter sich. Er drehte sich langsam um und sah, dass der Dorfvorsteher niedergekniet war und auf den Boden blickte. „Seht, Bürger von Wiesenbrück. Er ist mit den Riesen des Feuers gekommen und sie haben uns nicht getötet, noch haben sie uns ausgeraubt. Sie gehorchen ihm, dem Kind der Flamme. Es muss diese wahre Macht sein, die ihm seine Göttin gibt. Ich, Eirold Mittelberg, erkenne sie an. Seine Göttin soll die meine sein. Ich werde ihr treu dienen und ihr, Bürger von Wiesenbrück, solltet es mir nachmachen. Heil Jiarlirae!“ Neire lächelte Eirold zu, obwohl der ältere Mann noch seinen Kopf gesenkt hatte. Einige Bürger traten nun hervor, senkten die Knie und wiederholten die Heilsbekundungen. Neire frohlockte innerlich, bis die heisere Stimme einer Frau die Luft zerschnitt. „Ich werde mein Knie nicht beugen, bei den alten Göttern, bei Torm, dem Wächter und Walldung, dem Einäugigen. Es war diese Göttin, die mir meinen Jungen genommen hat, meinen Siguard.“ Ein Raunen ging durch die Menge, als die Frau, die sichtlich betrunken war, stolperte. Sie hatte ein eingefallenes Gesicht, ergraute lange Haare und glasige Augen. Hinter ihr war ein dürrer Mann erschienen, der ihr aufhalf. „Schweigt, Runa!“ Rief Eirold und fuhr erklärend fort: „Siguard ist tot und er hat bereits Unheil über eure Familie Einhand gebracht. Lasset die Toten ruhen, Weib!“ Jetzt sah Neire, dass Eirold auf die beiden zugehen wollte, um sich einzumischen. Er hob seine Hand und Eirold verstummte. „Lasst sie reden Eirold. Lasst sie ihr Anliegen vorbringen… Sagt Runa, glaubt ihr nicht an IHRE Macht? Misstraut ihr dem Kind der Flamme, dem Propheten Jiarliraes?“ Runa wurde jetzt von dem Mann gestützt, der ihr gefolgt war. Er war nicht wesentlich jünger als sie. „Eure Göttin hat genug Unheil über meinen Sohn gebracht. Nein, ich glaube nicht an ihre Macht und werde mein Knie nicht beugen.“ Neire sah, dass auch der Mann mit dem Ansatz einer Glatze nickte. „Seid ihr auch ihrer Meinung? Wie ist euer Name.“ Der Mann wollte zurücktreten in die Menge, doch Runa blickte ihn vorwurfsvoll an. „Osbart ist mein Name, mein Herr. Der Osbart Einhand, der sein Knie nicht beugen will.“ Neire schritt jetzt in die Mitte der Menge und blickte sich um. Es schneite noch immer und die Feuerriesen wurden unruhig. Einige zitterten bereits vor Kälte. „Es wird ein Gottesurteil geben. Wir werden sehen, auf wessen Seite die Macht steht. Wer den Segen Jiarliraes hat.“

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Zwischenspiel 05 - Der Tunnel nach Wiesenbrück II
« Antwort #120 am: 31.05.2024 | 22:43 »
Der Schneefall hatte zugenommen und der Tag ging dem Ende zu. Die dunklen Wolken lagen bedrückend über dem Tal. Nebel kroch die Bergwände hinab. Einige der Riesen hatten Fackeln entzündet, die den Platz in ein geisterhaftes Flackern hüllten. Neire zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Er konnte sich kaum noch bewegen. Die Fesseln schnitten in seine Hände und seine Füße. Er war vollkommen nackt. Nackt, wie auch die beiden Gestalten neben ihm, die zu Flehen begonnen hatten. Nach seiner Verkündung hatten sie Brennholz aus dem ganzen Dorf herangeholt und zu einem großen Haufen aufgeschichtet. Dann waren hastig drei Pfähle in das Holz gestellt worden. Unter den Schreien von Runa und Osbart, waren die beiden von einigen Orks entkleidet und an die beiden äußeren Pfähle gebunden geworden. Neire hatte selbst seine Kleidung abgelegt, war auf den Haufen geklettert und hatte sich anbinden lassen. Immer wieder sah er die neugierigen Blicke der Menge, die seinen linken, bis zur Schulter schwärzlich verbrannten, Arm betrachteten. Dort funkelten die drei roten Rubine, die Herzsteine, die mit dem Fleisch seiner Schulter verwachsen waren. Auch die Narbe an seinem seitlichen Bauch war zu erkennen. In der Kälte schimmerte sie rötlich. „Bürger von Wiesenbrück. Wir gekommen… für Gottesurteil.“ Die Stimme Königin Huldas schallte über den Platz. Sie sprach mit dem schweren Akzent ihrer riesischen Weise. „Urteil bedeuten Feuer und durch Prüfung muss gehen. Müssen brennen in Feuer, in Reinigung. Gunst der Göttin belohnt Prüfung. Es beginnen.“ Hulda war nähergekommen und warf ihre Fackel auf das Holz. Einige der Riesen taten es ihr nach und begannen zu jubeln. Neben ihm hörte Neire Runa schreien. Ihr Flehen hatte sich in blanken Hass gewandelt. „Ihr seid wahnsinnig Flammenkind, ihr werdet verbrennen. Ist es das, was ihr wollt? Habt ihr das meinem Siguard erzählt? Verflucht sollt ihr sein. Bei allen Höllenteufeln möget ihr in diesem Feuer schmoren.“ Neire lächelte sie an, mit klappernden Zähnen. Dann blickte er verträumt zur Menge. Zuerst konnte er den Rauch riechen, der vom trockenen Holz aufstieg. Dann waren dort die ersten Flammen. Er spürte die wohlige Hitze, die ihn wärmte. Schon nach kurzer Zeit brannte es auf seiner Haut. Die Schmerzen waren fast unerträglich und Tränen liefen an seinen Augen hinab. Neben ihm hörte er jedoch panische Todesschreie. Sie wurden lauter und lauter. Es roch nach verbranntem Fleisch, nach schwelenden Haaren. Die Flammen waren jetzt um ihn und Neire begann die Todesschreie nachzuahmen. Dann vollführte er die Transition der Schreie in den Singsang seiner schlangenhaften Gebete. Er spürte die Schmerzen, sah das helle Feuer. Als die Schreie erstarben, begannen sich seine Fesseln zu lösen. In roten Glutstücken brachen sie auseinander und fielen hinab. Auch die Reste der Leiber von Runa und Osbart sanken in sich zusammen. Die Flammen waren so hell, dass er ihre leblosen Körper nicht mehr sah. Um ihn herum waren die Flammen, ein Zischen und ein Knacken von infernalischer Glut. Verzerrte, ferne Rufe der Menge drangen an ihn heran. Alles war wie in einem Traum. Ein Traum von Feuer und von Schatten im Schnee. Dann stieg Neire durch die Glut hinweg. Er näherte sich der Menge. Er trat heraus aus dem Feuer und Schneeflocken fielen auf seine makellos weiße Haut. Er war das Kind der Flamme – verbrannt mit den Sündern und Blasphemikern auf einem Scheiterhaufen und wiedergeboren in Flamme und Düsternis. Er war ihr Kind, ihr wahrer Prophet. Neire hob seinen linken schwarz-verbrannten Arm und formte seine Hand zu einer Faust. Die Herzsteine in seiner linken Schulter pulsierten rötlich-glühend. In seinen gold-blonden Locken schienen die Flammen noch zu tanzen, seine Augen wie von der Feuersbrunst rot zu leuchten. Seine Worte waren kraftvoll, ein zischelnd-hörbarer Schimmer in eisiger Winternacht. „Sehet den Ruhm der Göttin, den Ruhm von Jiarlirae.“ Und sie riefen ihm zu oder träumte er es nur. Sie frohlockten ihm, riefen ihn als Kind der Flamme an. Sie warfen sich nieder vor ihm in den kalten, dunklen Schnee. Neires Stimme überschlug sich, als er in den warmen Rauch des Feuers und in den schattenhaften Frostnebel blickte, der von den Berghängen kam. Er hatte seinen Namen für diesen Ort gefunden. Er rief der Menge zu: „Der Segen von Jiarlirae wird diesem Ort zu teil werden, der von nun an NEBELGARD heißen soll.“

Sie saßen im wohlig warmen Raum des Gasthauses zum alten Nussbaum. Ein Feuer prasselte im Kamin und erhellte den alten dicken Stamm des Baumes, in dessen Rinde Schnitzereien zu sehen waren. Der Geruch von gebratenem Ziegenfleisch und gerösteten Zwiebeln strömte aus dem Küchenbereich, aus dem sie dumpfe Klänge von Töpfen und Messern hören konnten. Bis auf Eirold, Mordin und Neire war die Halle des Gasthauses leer. Der Wirt, Raimir Gruber, hatte ihnen drei Krüge mit dunklem Bier gebracht und war dann verschwunden. Jetzt saßen sich Neire und Eirold am Tisch gegenüber. Mordin hatte am Feuer Platz genommen und starrte in die Flammen. Neire saß mit dem Rücken zum Kamin und blickte in das Gesicht des Dorfvorstehers. In dem flackernden Licht wurden die Falten des Alters zu Furchen und Schluchten. „Ihr habt weise gehandelt Eirold, doch meine Göttin verlangt die Wahrheit. Sie verlangt die ganze Wahrheit, falls sie auch eure Göttin werden soll.“ Wieder sah Neire die Furcht in den Augen des alten Mannes, dessen Blick wirr im Raum umherglitt. Eirold fing an zu stammeln. „Prophet… natürlich habe ich euch nicht alles erzählt. Wir hatten Probleme nach den Angriffen der Riesen. Seit sie wieder in den Bergen verschwunden sind. Drei Häuser sind vollständig niedergebrannt und es gab Streit über die Unterbringungen. Auch die Schäden der Flut sind noch nicht ganz beseitigt.“ Neire schüttelte den Kopf und sein Blick verfinsterte sich. „Das will ich alles nicht wissen, Eirold. Erzählt es Meister Halbohr, wenn er wieder hier ist. Ich möchte wissen, was ihr vor mir verbergt.“ Beim Namen Halbohr konnte Neire ein kurzes Aufflackern in den Augen von Eirold sehen. Dann blickte der Dorfvorsteher auf den Tisch und blieb stumm. Neire schaute einen Augenblick in das Feuer und konzentrierte sich. Die Flammen änderten langsam ihre Färbung und die Gaststube wurde karmesinrot vor seinen Augen. Er spürte das Pochen auf den Augen, doch es war längst nicht so stark wie einst in der Festung König Isenbuks. Neires Stimme zischelte in einem fremden Singsang. Leise anfangs, doch dann hörbar lauter. „Eirold, solltet ihr einem alten Freund nicht alles erzählen? Die Wahrheit und nur die Wahrheit, wie es sich alte Blutsbrüder versprochen hatten?“ Eirold hob seinen Kopf und in seinen Augen war ein rötlicher Schimmer. „Ja, mein Prophet… ja Neire… einem Freund wie euch kann ich es natürlich anvertrauen. Vor euch brauche ich keine Geheimnisse zu haben.“ Sie beide lächelten sich jetzt an und tranken an ihrem Bier. Dann fuhr Eirold fort. „Es war vor langer Zeit, da ich nach Wiesenbrück… äh… Nebelgard kam. Die Arbeit war hart und das Leben karg, doch nach ein paar Jahren konnte ich mir ein Haus kaufen. Auch nahm ich mir ein Weib. Wedrun war ihr Name. Wir hätten wahrscheinlich wie alle hier Kinder bekommen, wären alt geworden und dann gestorben. Es sollte aber alles anders kommen.“ Wieder hob Eirold seinen Krug, nahm einen tiefen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. „Es war eines Abends, als ich in den Keller ging, um etwas von unseren Vorräten zu holen. Es war Winter und draußen fegte ein kalter Wind über den hohen Schnee. Es muss bestimmt mehr als zwanzig Jahre her sein.“ Neire unterbrach den alten Mann. „Wann war es Eirold, könnt ihr nicht erinnern?“ Auch Mordin hatte sich vom Feuer zu Neire und Eirold gedreht und lauschte aufmerksam. „Es war… ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Es muss kurz vor der vorletzten Ankunft des Linnerzährn gewesen sein. Es war noch nicht lange Winter und die Gruppe um die Abenteurer war noch nicht eingetroffen.“ Neire unterbrach Eirold wieder. „Niroth, Kara, Wargo, Faere und Adanrik, waren das nicht ihre Namen?“ Eirold nickte zögerlich. „Ja das mag sein. Ich erinnere mich nicht richtig… Nun, naja… ich ging also in den Keller und da sah ich den toten Fuchs. Ich weiß bis heute nicht, wie das Tier dort hinab gekommen war, doch er lag vor einer Wand und hatte im Boden gewühlt. Blut war an seinen Vorderpfoten und an seinem Maul zu sehen. Es sah fast so aus, als ob das Tier wie tollwütig nach etwas gegraben hätte. Ich brachte danach die Vorräte zu meiner Frau, doch in dieser Winternacht stieg ich wieder hinab und begann an zu graben. In den Morgenstunden wurde ich fündig. Ich hatte eine alte Treppe freigelegt, die weiter hinabführte und an einer schwarzen Türe endete. Meine Neugier hatte mich gepackt. Ich öffnete die Tür und fand dahinter eine Treppe die noch tiefer nach unten führte, in ein steinernes Labyrinth. Die Wände schimmerten in einem Schwarz, als ob sie das Licht meiner Lampe aufsaugen würden. Ich stieg hinab und fand weitere Türen. Einige verschlossen, doch andere führten in uralte Räume.“ Jetzt war es Mordin, der Eirold unterbrach. „Was habt ihr gefunden Eirold? Was war es?“ Eirold zuckte auf, als wäre er aus einem Traum erwacht, doch Neire beruhigte ihn. Dann fuhr der Dorfvorsteher fort. „In den nächsten Tagen und Wochen stieg ich immer wieder hinab. Ich studierte alte Schriften, fand seltene Gegenstände, dort verborgen. Dann war es Wedrun, mein törichtes Weib. Sie war mir gefolgt und hatte den Eingang entdeckt. Ich hatte es nicht gemerkt. Als ich am nächsten Tag arbeitete, muss sie wohl hinabgestiegen sein. Ich weiß nicht was sie dort entdeckt hatte, denn ich habe sie seitdem nie wieder gesehen. Voller Kummer widmete ich mich nun vollends dem Studium der alten unterirdischen Ruinen. Aus Wochen wurden Monate und aus Monaten Jahre. Ich lernte die Schrift zu verstehen, die Runen der schwarzen Künste zu lesen. Denn es waren die alten Meister der grauen Rasse, die diese Kerker erbaut hatten. Vielleicht unter ganz Nebelgard. Ich lernte ihre Kunst zu nutzen und verschaffte mir meine Vorteile. Jetzt wisst ihr es, mein Freund. Die ganze Wahrheit. Die schwarze Kunst half mir auf dem Weg zur Macht. So wurde ich Dorfvorsteher von Wiesenbrück… äh, Nebelgard. Die Geister der Bürger sind schwach, wendet man den Zauber nur im richtigen Augenblick an.“ Eirold lachte und jetzt stimmte auch Mordin in das Lachen von Neire ein. Neire trank einen Schluck seines Bieres, bevor er zu Eirold sprach. „Eure Geschichte ist wahr und nach dem Gefallen von Jiarlirae. Habt Dank für eure Ehrlichkeit. Ihr müsst mir zudem später diesen geheimen Eingang zeigen. Wer hätte gedacht, was sich unter Nebelgard verbirgt.“ Die Antwort von Eirold kam augenblicklich. „Natürlich zeige ich euch die unterirdischen Ruinen. Ihr seid Jiarliraes Prophet. Vielleicht seht ihr etwas dort, was ich nicht sehen konnte… Einen Gefallen müsst ihr mir aber tun, mein Freund.“ Neire nickte, als Eirold fragend abwartete. „Die Bürger von Nebelgard haben Angst. Ich glaube nicht, dass ihr es seid oder eure Riesen. Wir wurden überfallen. Sie haben unser Dorf geplündert und einige Einwohner erschlagen oder geraubt. Es war eine Horde von Riesen, doch andere als eure Feuerriesen. Kleiner, doch riesig. Primitiver, dümmer und unorganisiert, doch nicht weniger gefährlich. Wir haben Angst, dass sie zurückkommen und sich holen, was übriggeblieben ist. Das was wir noch haben ist nicht viel.“ Neire hatte ernsthaft zugehört. Jetzt lächelte er. „Ihr steht nun unter Jiarliraes Schutz. Habt keine Angst mehr Eirold. Sagt, wisst ihr wo diese Riesen herkamen?“ Eirold nickte zögerlich. „Ich glaube ja. Ein Jäger erzählte, dass er sie nordwestlich von hier gesehen hätte - vier Tagesreisen. In der Nähe des Halgahorns. Wenn ich mich richtig erinnere, in der Hirinrother Alm am Flüstersee. Doch es gibt keine Alm dort, gab vielleicht auch niemals eine. Die Ammenmärchen erzählen von einer weißen Weide, die dort seit jeher stand. In einer mondlosen Winternacht, sollte ein Blick durch die Zweige des Baumes die Feuer der Sterne offenbaren. Manch einer sprach gar von wilden Träumen, die einem dort widerfuhren. Einst kam ein Sternenkundiger in die Schneeberge und baute dort einen Turm, der Legende nach um die Weide.“ Neire deutete auf die alte Rinde des Nußbaums, die inmitten des Raumes aufragte. „So wie hier, so wie im Gasthaus zum alten Nußbaum?“ Eirold nickte und fuhr fort. „Vielleicht hat es damit etwas auf sich. Vielleicht war der Sternenkundige hier. Vielleicht gehörte er zur grauen Rasse. Ich habe der Geschichte nie richtig geglaubt, denn heute sind nur noch Ruinen am Flüstersee. Sie sind längst überwuchert vom Wald, von der weißen Weide keine Spur. Selbst die Jäger meiden die Gegend um den See, soll sie doch verwunschen sein. Verwunschen, das sagten sie sei…“ Mit einem lauten Krachen flog die Tür zur Küche auf und der Wirt, Raimir Gruber, erschien mit seiner Tochter Edda. Ein Lächeln war in dem Gesicht des Mannes mit den kurzen blonden Haaren, als er zu seiner fast erwachsenen Tochter sprach. „Erzählt ihr wieder eure alten Spukgeschichten, Eirold? Wir stehen unter dem Schutz der Göttin von Feuer und Schatten, da ist mit diesen Schreckensmärchen nichts mehr zu gewinnen.“ Seine Tochter lachte laut und warf ihre langen, blonden Haare zurück. Dann stellten sie die großen Teller mit dem dampfenden Ziegenbraten und den gerösteten Zwiebeln auf ihren Tisch. Auch brachten sie volle Krüge mit schäumendem Bier. Eirold stimmte in das Lachen ein und pries Jiarlirae. Doch Neire blieb diesmal still. Er dachte an die Hirinrother Alm und den Flüstersee. Er stellte sich den Blick durch die weiße Weide in den Sternenhimmel vor und fragte sich, was ein Sternenkundiger dort wohl gesucht hatte. Er fragte sich, ob die Geschichte wahr war und wo die Riesen jetzt ihr Unwesen trieben.

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Zwischenspiel 06 - Nebelgard
« Antwort #121 am: 14.06.2024 | 07:28 »
Neire schnappte nach Luft und taumelte zurück. Die Energie, die er für den neuen Spruch hatte aufbringen müssen, raubte ihm alle Kräfte. Seine Knie zitterten. Dann blickte er auf das schwarze dünne Material, das einst wie dunkles Kristallglas, jetzt durchsichtig war. Das Ne’ilurum war kunstvoll dünn geschmiedet. Es hatte die Höhe eines großen Menschen und war mehr als halb so breit. Der Blick des Jünglings ging durch die Scheibe, in der er seine Silhouette wie ein schwaches Spielbild sah. Viel Zeit war vergangen, seit ihrer Eroberung von Nebelgard. Er war seitdem gewachsen und sein Gesicht hatte einige kindliche Züge abgelegt. Es waren zwei Winter vergangen seit Bargh, Halbohr und Zussa aufgebrochen waren und mittlerweile hatte der Frühling schon ein zweites Mal in diesem Teil der Schneeberge Einzug gehalten. Noch einen Augenblick betrachtete Neire seine Schönheit: Die weiße makellose Haut, die hohe Stirn und die gerade Nase. Seine gold-blonden, vollen Locken fielen ihm weit über seine Schultern hinab. Seine Augen schimmerten bläulich, doch schlangenhaft, vertikal geteilt. Auch seine gespaltene Zunge erinnerte in an sein nebelheimer Erbe. Dann blickte er auf sein jüngstes Werk und durch den Stahl hindurch. Tatsächlich vermochten seine Augen die Schwaden durchdringen, die über dem einstigen Bergdorf lagen. Die Macht seiner schwarzen Kunst, die jetzt im Stahl des seltsamen Erzes der Irrlingsspitze lag, machte es ihm möglich. Dass sein neuer Spruch erfolgreich gewirkt hatte, erfüllte ihn mit einem jauchzenden Glücksgefühl. Seine Kraft kehrte bereits zurück. Doch was er dort betrachtete, übertraf für einen Moment seine Erwartungen. Durch das Fenster konnte er in die Ferne blicken. Es war ein sonniger Tag und er sah die schneebedeckten Gipfel aufragen, die das Tal umgaben. In der Ferne thronte die steile weiß-glitzernde Pyramide der Irrlingsspitze über allen anderen Bergen. Er ließ seinen Blick in nächste Nähe hinabgleiten und sah unter ihm Nebelgard liegen. Das Dorf hatte sich geändert, seit sie es vor zwei Wintern erobert hatten. Neue größere Häuser waren entstanden und der Deich, der den Ort vor den Wassern der Fireldra schützte, war mit einer Stadtmauer erweitert worden. Er sah auf den matschigen Straßen Gestalten, die ihren Geschäften nachgingen. Rauch stieg aus vielen Schornsteinen auf. Auf der anderen Seite des Flusses und jenseits der Fireldrabrücke, hatte sich eine kleine Barackenstadt angesammelt in der die Flüchtlinge lebten, die aus den umliegenden Landen nach Nebelgard gekommen waren. Es handelte sich um arme, ausgestoßene oder zwielichtige Menschen, von denen einige in Acht und Bann standen. Sie hatten diese Hütten erbaut, arbeiteten auf den Baustellen von Nebelgard und hofften auf ein besseres Leben. Sie hofften auf den Reichtum und den Ruhm, der durch den Segen Jiarliraes kam, sollten sie auch als Henker, Soldaten, Huren, Waschweiber, Diebe, Spione oder Tagelöhner arbeiten. Sie träumten von einem Leben im Tempel oder vom Wissen schwarzer Kunst, denn sie hatten die Geschichten gehört, die man sich über Nebelgard erzählte. Es waren diese Geschichten an die Neire gerade dachte, als ein Lächeln über sein Gesicht huschte. Es waren die Geschichten, die er sich von den Spähern gerne und immer wieder erzählen ließ. Sie berichteten von einer dunklen Stadt, die Tag und Nacht und in jeder Jahreszeit unter einer dunstigen Glocke von Nebel lag. Man erzählte sich, dass das Feuer gewaltiger Essen der Unterberge und das Tauwasser von Bergschnee den Nebel schufen. In dieser Stadt sollte man schnellen Reichtum erlangen können, doch in einem weiteren Satz wurde dann gewarnt vor den dunklen Machenschaften, die dort im Gange waren. Besonders der letzte Teil der Legenden interessierte Neire. Es wurde berichtet von einer Bergfeste die im Bau war, von Riesen des Feuers, die die Errichtung der Zitadelle vorantrieben. Die Geschichten begannen fast immer mit Meister Halbohr, der als hinterlistiger Verräter und grausamer Heerführer die Stadt beherrschte. Sie endeten meist mit der Legende des Propheten, dem Kind der Flamme. Es wurde erzählt von einer Göttin, deren Geheimnisse in Flamme und Düsternis offenbart werden sollten. Es wurde berichtet vom Kind der Flamme, das mit Sündern auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden war und doch wiedergeboren und schöner als je zuvor aus des Feuers Brunst stieg. Neire liebte diesen Teil der Geschichte. Doch er verwarf die Gedanken. Jetzt war er stolz auf das Erreichte. Auf die Wirkung seines neuen Zaubers und auf das sehende Fenster aus Ne’ilurum. Er wollte weitere Fenster folgen lassen, um den Nebel der Stadt in jede Richtung zu durchblicken. Der Gedanke holte ihn in das hier und jetzt zurück. Er hatte so viele Dinge, denen er nachgehen wollte. Er liebte es sich im sich im Turm der Schatten aufzuhalten. Das Gebäude war inmitten von Nebelgard errichtet worden. Sie hatten dafür das Fundament das Haus von Eirold Mittelberg abgerissen. Die Nachtzwerge unter Granrig Hellengrub hatten den Turm aus Steinen geplant, die die Reste von Ne’ilurum in sich trugen. Das fünfeckige Gebäude überragte ganz Nebelgard und barg in den Tiefen die Geheimnisse der grauen Rasse der Elfen. Doch der Turm war erst vor kurzem fertiggestellt worden. Eirold war Neire treu ergeben und wachte über die niederen Geschosse. Die oberen Ebenen gehörten Neire. Hier rief er seine engsten Vertrauten zusammen und hatte Laboratorien jenseits des Tempels des Jensehers. Neire schüttelte den Kopf und trat vom durchsichtigen Ne’ilurum Stahl zurück. Die Kammern des Turmes und die Laboratorien mussten weiter gestaltet werden. Jede Aufgabe schien eine neue nach sich zu ziehen. Jede Forschung an Zaubern erschuf neue Ideen. Neire verstaute seine Zutaten und machte sich auf den Weg hinab. Er musste zurück in den Tempel des Jensehers, wo seine wahren Forschungen warteten.

Ohne den Sonnenschein war die Luft kalt und er sah seinen Atem kondensieren. Er schritt durch den Matsch der Gasse, die bergauf führte. Schlamm und Unrat häufte sich mit nichtgetautem, schwarzem Schnee, der an die Seiten der Häuser geschafft worden war. Der Nebel war dicht und überall. Er trug den Geruch von Feuer und Vergänglichkeit. Nuancen, die sich auf angereicherten Lüften dermaßen intensiviert hatten, dass sie nur noch als beißender Gestank wahrgenommen werden konnten. Neire hatte sich nach dem Verlassen des Schattenturms in eine graue Robe gehüllt, die seinen gesamten Körper und Kopf bedeckten. Er war in Gedanken versunken und dachte an die Vergangenheit und die Zukunft. Als er die Bäckerei passierte, aus deren Hintergasse der Geruch von warmem Brot den Gestank verdrängte, hörte er den einen schmatzenden Schritt im Schlamm, der näher war, als er eigentlich sein sollte. Nach dem Geräusch vernahm er ein weiteres… dann noch eins. Die Schritte kamen näher, doch durch die tiefgezogene Robe konnte er niemanden sehen. Dann drehte er sich um und fasste in das Leere. Sein Herz pochte und er war auf alles vorbereitet. Eine Hand hatte er an seinem Degen. Im Drehen schlug seine Hand gegen einen Widerstand, wie etwas Weiches. Für einen Bruchteil eines Augenschlages konnte er die Umrisse einer Gestalt sehen, die nach seinem Gürtel gegriffen hatte. Der Angreifer fühlte sich ertappt und zog ruckhaft seine Hand zurück. Neire sah, wie sich die Konturen einer bemäntelten Gestalt formten, die nun durch die Hintergasse des Bäckers flüchtete. Augenblicklich lief Neire hinterher, erinnerte sich dann aber an die Worte der schwarzen Kunst. „Erstarre!“ Seine Stimme hatte eine rohe und urtümliche Gewalt in sich. Die Fäden von Flamme und Düsternis waren in das Machtwort verwoben. Neire zeigte mit dem Finger auf die Silhouette und im Licht des offenen Hintereingangs begann sie ihre Richtung zu ändern. Sie wurde langsamer und stieß mit einem Stapel von Mehlsäcken zusammen. Weiterer Staub wurde in die Luft gewirbelt. Der Schlamm war hier weniger und Vordächer zogen sich lang über Hintergasse hinweg. Neire schritt vorsichtig näher und zog seinen Degen aus dunkel glänzendem Ne’ilurum. Die Gestalt schien wie eingefroren, übermannt von seiner schwarzen Kunst. Im Zwielicht waren nicht viel mehr als ihre Umrisse erkennbar. Neire legte den Degen an den Hals der Kreatur, die etwas kleiner als er war. Er flüsterte die Worte, als er die Kapuze der Robe zurückzog. „Wer seid ihr, dass ihr es wagt das Kind der Flamme zu bestehlen?“ Im Nebel erschwerten die aufgewirbelten Mehlpartikel die Sicht, doch er war in der Lage das Gesicht seines Angreifers zu erblicken. Was er sah, erfüllte ihn mit Erstaunen. Ihm gegenüber stand eine zierliche junge Frau, kaum älter als 17 Winter. Sie hatte langes schwarzes Haar und eine schneeweiße Haut. Eine feine Schicht von Mehlstaub hatte sich über ihre vollen roten Lippen gelegt. Ihr hübsches Gesicht besaß einen teilnahmslosen, überlegenen Ausdruck. Dieser Ausdruck schien nicht aufgesetzt, war ihr Gesicht doch unter seiner schwarzen Kunst fast erstarrt. Neire konnte nur sehen, wie sich ihre strahlend-blauen Augen langsam bewegten. Doch da war keine Furcht in ihrem Blick. Sie schien ihn interessiert zu betrachten. Ihre Hände waren in schwarze Handschuhe gehüllt und hatten gerade nach ihrer Waffe, einem Kurzschwert getastet. Neire strich über ihr Gesicht und ihre Lippen. Der Mehlstaub rieselte hinab und die Muskeln ihrer Wange fingen an zu zucken. Sie blieb jedoch stumm. Neire trat näher an sie heran und vernahm ihren süßlichen Geruch von Vanille und Honig. Er öffnete ihre Hand und griff nach dem Schwert, während er zischelnd sprach. „Ich nehme an ihr werdet diese schöne Waffe nicht gebrauchen wollen, wenn ich euch aus der Erstarrung entlasse. Es ist schon verwunderlich, dass ihr mich versucht zu bestehlen und in euren Augen keine Furcht zu sehen ist.“ Neire sprach die Wahrheit, doch er verheimlichte, dass er von ihrer Schönheit und ihrer Anmut verzaubert war. In der Rechten hielt er ihre Klinge, die einen schwarzen Opal am Ende des Griffstücks eingelassen hatte. Der Stahl der Schneide glitzerte silbern in der Düsternis. Mit der Linken, seiner verbrannten Hand, vollzog Neire eine schnelle Geste, als würde er eine Rune in die Luft zeichnen. Er beendete damit seinen Zauber. Langsam kehrte Leben in die Gestalt zurück. Ihre schwarzen Augenbrauen fingen an zu zucken und ihre Lippen begannen sich zu bewegen. Die ersten Worte waren langsam, klangen fast gelähmt. „Ich… ich wusste nicht… Ich wusste nicht wer ihr seid. Verzeiht, Kind der Flamme. Mein Name ist Edda, Edda von Hohenborn. Ich kam nach Nebelgard wegen des Goldes, was man hier verdienen kann. Doch ich wollte euch nicht bestehlen.“ Sie trat einen Schritt zurück und blickte sich um, als würde sie nach Fluchtmöglichkeiten suchen. Als sie von Gold sprach, lächelte Neire und sie erwiderte sein Lächeln. „Oh, eure Hand war dort, wo sie nicht hingehören sollte und ein einfaches Menschlein hätte euch wohl nicht bemerkt, Edda. Ich bin aber kein einfaches Menschlein. Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet von Jiarlirae und Herr des Turmes der Schatten. Ihr seid mir jetzt etwas schuldig und ich habe euer schönes Schwert.“ Das Lächeln in ihrem Gesicht erstarb sofort, als Neire seine Forderung stellte. Edda stieß einen Seufzer aus und ließ bewusst übertrieben ihre langen, geschminkten Augenwimpern sinken. Allein ausgelöst durch diese Geste, spürte Neire ein warmes Gefühl durch seine Brust fließen und lächelte erneut, als sie antwortete. „Ich fürchte, ich habe keine Wahl. Doch ich bitte euch mir eines zu versprechen, Neire. Auch wenn ich nicht euer Göttin Jiarlirae diene, will ich nicht auf dem Scheiterhaufen enden.“ Jetzt war es Neire, dessen Miene sich verfinsterte. Er spürte die Wut – oder war es Enttäuschung – als Edda so über seine Göttin sprach. Er spürte, dass er wollte, dass sie Jiarlirae liebte, so wie er es tat. So wie einst Lyriell es getan hatte. Doch je länger er nachdachte, desto schneller verflog die Wut. Sie hatte schließlich Jiarlirae nicht verneint. Neire nickte und sagte: „Gut ihr habt mein Wort. Nun kommt. Ich habe im Tempel des Jensehers einige Dinge zu erledigen und ihr sollt dort eure Aufgabe erhalten.“

Neire und Edda waren der breiteren Gasse gefolgt, die mittlerweile in Serpentinen den Berg hochführte. Die Häuser schienen alle neueren Ursprungs zu sein. Düsterer Nebel und schwebende Asche verdunkelten auch hier das Sonnenlicht und der Matsch der Straße erschwerte das Gehen. Neire war bis jetzt schweigsam hinter Edda gegangen. Die Diebin hatte es nicht gewagt ihm eine Frage zu stellen oder zu sprechen. Sie spürte wohl, dass er ihr Schwert gezogen hatte und es ihr jederzeit in den Rücken stoßen konnte. „So sagt Edda, von woher kommt ihr? Erzählt mir von eurem Weg hierhin. Eurer Reise nach Nebelgard.“ Sie hatten mittlerweile die letzten urigen Häuser passiert, auf deren steinernen Mauern hölzerne Obergeschosse mit mächtigen, runenverzierten Dachgiebeln ruhten. Als Neire die Frage stellte, war nur noch der Nebel um sie herum. Die Geräusche seiner zischelnden Stimme wurden geschluckt von den Schwaden. „Ich komme von weit her. Von einer südlichen Insel. Dort liegt eine Stadt, die Vintersvakt genannt wird.“ Neire antwortete sofort. „Winter im tiefen Süden? Ich habe von der Wärme des Südens gelesen. Wieso dieser Name Edda?“ Sie drehte sich um und lachte auf, bevor sie weiter fortfuhr. „Es ist warm in Vintersvakt, oh ja. Es ist sehr warm. Doch die Stadt liegt an einem hohen Berg, der seit jeher eine weiße Spitze trägt. Man sagt der Schnee besänftigt das Feuer, das im Inneren des Berges tobt. Nur der weiße Rauch über der Spitze zeugt noch von diesem Feuer. Man sagt, seit der Ankunft der ersten meiner Vorfahren ist die Kuppe weiß gepudert. Seitdem wachen die heiligen Männer des Frostviggier über Vintersvakt. Dort oben, von ihrem Tempel im ewigen Schnee. Sollten sie einst nicht mehr dort wachen, so sagt man, wird das Feuer wieder ausbrechen und Vintersvakt zerstören.“ Neire spürte, dass er die heiligen Priester des ihm fremden Gottes nicht mochte. Er malte sich aus, wie sie versuchten das Feuer mittels Eis zu kontrollieren; wie sie die fortwährende Veränderung einfroren, um sie an ihre Gesetze zu binden. Er lachte auf. „Ha… eine Geschichte, die man vielleicht kleinen Mädchen erzählt. Seid ihr so aufgewachsen? Habt ihr den Geschichten der Frostviggier Diener gelauscht?“ Edda drehte abermals ihren Kopf zu ihm und rollte gelangweilt ihre Augen. „Andere Mädchen? Vielleicht ja. Ich hatte einen Vater der nie Zuhause war und meine Mutter starb bei meiner Geburt. Also spielte ich mit meinem Schwertmeister und er lehrte mich den Gesang der Klinge, die ihr nun für mich tragt. Als ich älter war, wurde ich dann von meinem Vater in die östlichen Küstenlande geschickt, um dort in einem unserer Schlösser zu leben. Burg Sturmhort am Ostend. Irgendwann wurde mir jedoch langweilig und ich kehrte von einem meiner Ritte nicht zurück. So kam ich nach Nebelgard, von dem ich einige Gerüchte gehört hatte.“ Neire ließ Edda ausreden, spürte aber, dass sie in Teilen log. Für heute wollte er es bei der Geschichte belassen, doch er würde sie wieder fragen. Die fernen Lande und Geschichten von Vintersvakt hatten sein Interesse geweckt. Mittlerweile waren Neire und Edda an das Ende der Straße gelangt. Nebelgard lag irgendwo hinter ihnen, verborgen in den dichten Schwaden. Hier oben war der Dunst lichter und sie sahen vor sich die Mauern aus gewaltigen schwarzen Steinquadern. Der Weg führte über eine provisorische Holzbrücke und überall ragten hölzerne Gerüste auf. Gedämpft klangen die Geräusche von Spitzhacken, Hämmern und Meißeln zu ihnen heran. Sie durchquerten die Burgmauern und kamen vorbei an Arbeitern. Menschen, Nachtzwerge und muskulöse Orks schufteten auf der Baustelle. Ab und an sahen sie schemenhaft die Gestalt eines Riesen gewaltige Steinquader schleppen. Die oberen Körperteile verschwanden unscharf im Nebel, so groß waren die schwarzen Körper der Feuerriesen. Dann durchquerten sie die Hallen eines fast fertiggestellten Hauptgebäudes. Als sie in den fackelerhellten Tunnel blickten, der in das Innere des Berges führte überholte Neire Edda und verbeugte sich gespielt elegant vor ihr. „Willkommen Edda im Reich von Flamme und Düsternis, willkommen im Tempel des Jensehers.“

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Zwischenspiel 07 - Edda von Hohenborn
« Antwort #122 am: 22.06.2024 | 20:12 »
Sie war immer wieder zurückgekehrt. Sie wusste nicht wieso. Sie hatte auch nie darüber nachgedacht wieso sie zurückgekehrt war. Sie hatte nur über den Gedanken gebrütet, ob sie zurückkommen sollte oder nicht. Waren es die Geheimnisse des Tempels des Jensehers? Oder war es die unbeschwerte Erscheinung des kindlichen Propheten, ein Verlangen in seiner Nähe zu sein und an seinen Geheimnissen von Feuer und Schatten teilhaben zu können? Edda wusste nicht genau was es war. Sie konzentrierte sich auf das, was einst war, was ihr jetzt bevorstand. Sie dachte an ihre Aufgabe und ihre kommende Begegnung. Bereits zum dritten Mal war sie in die steinernen Hallen unter der Irrlingsspitze zurückgekehrt. Die erste Aufgabe, die ihr Neire gegeben hatte, war einfach gewesen. Sie hatte eine kleine Schatulle nach Kusnir bringen müssen. Ihr wurde ein Pferd zugewiesen und sie war schnell vorwärtsgekommen. Es war Sommer gewesen in den Schneebergen, doch je näher sie dem Herzogtum Berghof kam, desto wärmer war es geworden. Das Wetter hatte Edda nicht überrascht – Wärme war ihr aus ihrer Heimat, Vintersvakt, bekannt. Sie hatte sich gewundert über die große Anzahl an Karren, die teils von Pferden oder Ochsen über die Straße nach Kusnir gezogen wurden. Ebenso viele Karren kamen ihr entgegen. Güter, die nach Nebelgard gebracht wurden oder von dort stammten, mussten sich auf den Gefährten befunden haben. In Kusnir hatte sie die Schatulle dem neuen Ortsvorsteher geben, der den Namen Jorwin Raunenstharr trug. Sie hatte gehört, dass sein Vorgänger Kurst mit einigen anderen unglücklichen Seelen auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Alle, die in den Flammen zu Grunde gegangen waren, hatten das Knie vor Jiarlirae nicht beugen wollen. Edda hatte natürlich versucht die Schatulle zu öffnen. Die kleine Kiste war verschlossen gewesen und sie hatte ihre Dietriche benutzt. Das Schloss war für sie kein Hindernis gewesen und im Inneren hatte sie einige wertvolle Platinumstücke und mehrere Fläschchen mit einer schwarzen Flüssigkeit entdeckt. Die Violen hatte sie als Extrakt der Droge Düsternis erkannt, von der sie in Nebelgard bereits probiert hatte. Eines der Fläschchen hatte sie dann für sich behalten, bevor sie die Schatulle wieder verschloss. Der weitere Teil ihrer ersten Aufgabe war ohne besondere Ereignisse verlaufen. Auf dem Rückweg von Kusnir hatte sie einige Abende im Freien verbracht und sich an Düsternis berauscht. Sie hatte sich ein Lager im weichen Gras und unter den Bäumen kleiner Haine gesucht, die in dieser unbewohnten hügeligen Wiesenlandschaft aufragten. Unter dem Blattwerk uralter Weiden und unweit eines plätschernden Bächleins hatte sie den Sommersternenhimmel betrachtet. Geträumt hatte sie vom Tempel des Jensehers und von Neire. Edda hatte sich an ihre Dialoge erinnert und darüber nachgedacht, was sie ihm sagte, wenn sie ihn wiedersehen würde. Sie hatte sich gefragt, ob sie ihre Instinkte wieder betrügen würden, wie damals in Vintersvakt. In diesen Tagen hatte sie lange nachgedacht, wohin sie reiten solle. Sie war dann doch zurückgekehrt und hatte, wie von ihr erwartet, den nächsten Auftrag erhalten. Der Auftrag war ungleich schwerer und unangenehm gewesen und hatte einiges von Edda abverlangt. In der Flüchtlingsstadt vor Nebelgard sollte sie eine alte Frau beschatten, die unter dem Namen Mutter Ormrynda für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Edda hatte sich in Lumpen gehüllt, sich nicht mehr gewaschen und war für eine Zeit in der Barackensiedlung vor den Toren der Stadt abgetaucht. Sie hatte Mutter Ormryndra ausfindig gemacht und schon bald festgestellt, dass sich Ormrynda als Hüterin und als Mensch gewordene Schlange ausgab. Die alte Frau hatte sich als Predigerin Jiarliraes ausgegeben und war geübt mit einigen niederen Taschenspielertricks, um die Hungerleider eines Besseren zu überzeugen. Edda hatte einige Wochen im Dreck gelebt und mit ihrem Dolch und Kurzschwert in griffbereiter Nähe geschlafen. Die Zeit hatte sie an ihre alten Tage erinnert. An eine Zeit, an die sie nicht zurückdenken wollte. Zu groß war der Schmerz der Erinnerung. Sie hatte sich zudem um das harte Überleben in dieser Umgebung kümmern müssen. Nicht nur einmal wäre sie fast vergewaltigt worden, hätte sie nicht den Angreifern mit dem Kurzschwert geschickt durch das Gesicht geschnitten und sie so verjagt. Bei Mutter Ormrynda hatte das für Aufsehen gesorgt und sie war der älteren Dame nähergekommen. Die Frau war von Spenden der Hungerleider versorgt worden und Edda hatte sich gewundert, wieviel selbst die Ärmsten noch abgeben konnten. Doch sie hatte gewusst, dass sich die Menschen hier ein besseres Leben erhofften und die Opfergaben nicht aus freiem Herzen kamen. In den Abendstunden, wenn die Sommersonne bereits über den Bergen untergegangen war und ein magisch-bläuliches Himmelsglühen den Horizont über den weißen Gipfeln überzog, hatte Edda wie gebannt auf die düsteren Schwaden geschaut, die über Nebelgard waberten. Sie hatte sich auf dem Dach der Baracke niedergelassen und sich gefragt, ob sie all das Elend nur verlassen wollte oder ob sie sich nach Neire sehnte. Sie hatte sich sein Gesicht vorgestellt und seine zischelnden Worte fernen Singsangs waren in ihrem Kopf gewesen. Wie einstige Melodien ihrer Kindesstatt. Eines Abends hatte ihr Mutter Ormrynda erzählt, dass der Tempel neue Diener suche, die in der schwarzen Kunst unterrichtet werden sollten. Ormrynda hatte ihr bereits einige ihrer Zaubertricks gezeigt, die größtenteils auf einfacher Täuschung beruhten. Sie hatte aber auch ein Wort von ihr gelernt, das die Schatten ihrer Bewegungen ein wenig länger werden lassen konnte. Mutter Ormrynda hatte sich über ihre Lernfähigkeit gefreut und die alte Frau hatte gehofft, dass sie so einen Zugang zu den Geheimnissen des Tempels des Jensehers haben würde. Edda hatte eingewilligt und die alte Frau verlassen. Sie war nach Nebelgard zurückgekehrt, doch anstatt sich als Schülerin der neuen Akademie Schwarzenlohe anzuschließen, war sie unverzüglich in den Tempel des Jensehers zurückkehrt. Dort hatte sie Neire sofort empfangen. Junge Orksklavinnen hatten sie gebadet und ihr ein fürstliches Mahl gebracht, während Neire sich mit ihr unterhalten hatte. Der Jüngling hatte ihr Wein eingeschenkt und an ihren Lippen gehangen. Nach der Zeit in der Flüchtlingsstadt, die immer öfters als Eldrabrück bezeichnet wurde, hatte sie sich so nach einem Bad gesehnt. Die Wärme und der Wein waren ihr zu Kopf gestiegen und sie hatten getrunken, gesungen und gelacht. Das glitzernde Licht der Fackeln, die Juwelen, der Reichtum und der das Licht absorbierende Stein, von dem das Gemach in ein angenehmes Zwielicht gehüllt wurde, hatten sie in einen träumerischen Zustand versetzt. Neire hatte ihr Haar mit warmem Wasser sowie Duftölen gewaschen und sie hatte wie in einer Trance weitererzählt. Dem nächsten Teil ihrer Aufgabe hatte sie ohne Zögern zugesagt. Den letzten Auftrag hatte sie mit Neire zusammen geplant. Sie war nach ihrem Aufenthalt im Tempel des Jensehers in die Akademie Schwarzenlohe eingetreten, in der sie anschließend die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Dort hatte sie einige Zeit mit anderen Schülern verbracht und Bücher studiert, von denen sie sehr wenig verstanden hatte. Sie hatten keinen richtigen Lehrer gehabt. Nur ab und an hatte ihnen Neire einen Besuch abgestattet und ihnen über die Geheimnisse von Flamme und Düsternis erzählt. Richtige Lehrstunden, wie die, die sie bei ihrem damaligen Schwertmeister in Vintersvakt hatte, waren es aber nicht gewesen. Ihre Zeit, in der kein Lehrmeister vorhanden war, hatten einige ihrer Mitschüler für andere Dinge verwendet. Sie hatten sich dem Wein, der berauschenden Substanz der Düsternis und dem Liebesspiel hingegeben. Edda hatte sich dann in ihr Zimmer zurückgezogen und studiert, so gerne sie auch mit ihren Gleichaltrigen abgegeben hätte. Sie hatte sich an das Wort der Macht zurückerinnert, mit dem Neire ihre Bewegungen hatte einfrieren lassen. Schon damals hatte sie gewusst, dass dies die Macht war, die sie einst selbst beherrschen wollte. Nach drei weiteren Wochen, die viel zu schnell vergangen waren, hatte Neire ihnen allen freie Tage zugestanden, die sie nach ihren eigenen Vorlieben gestalten konnten. Edda war nach Eldrabrück und zu Mutter Ormrynda zurückgekehrt. Sie hatte den wissbegierigen Fragen der alten Frau gelauscht und ihr erzählt, was ihr in der Akademie Schwarzenlohe widerfahren war. Das Gespräch hatte sich bis in die Abendstunden gezogen. Ormryndas Wachen, zwei grobschlächtige Schläger, von denen einer schielte, hatten dafür gesorgt, dass sie ungestört blieben. Schließlich hatte sich Ormrynda verabschiedet und Edda hatte sich vor ihr verbeugt und ihre bleiche, faltige Hand geküsst. Als sich die alte Frau umdrehte, hatte Edda zugeschlagen. Sie hatte ihr Kurzschwert gezogen, auf dem Neire das tödliche Gift aufgebracht hatte. Sie hatte Ormrynda das Kurzschwert in den Rücken gestochen und der Mutter der Schlange den Mund zugehalten. Das Schwert war in tief in den Rücken eingedrungen, hatte aber nicht das Herz von Mutter Ormrynda getroffen. Die ältere Frau mit dem grauen, schmutzigen Haar hatte angefangen zu zittern und war ohne ein weiteres Aufbäumen in sich zusammengesackt. Edda hatte daraufhin den Körper aufgefangen und ihn vorsichtig auf das einfache Lager im türenlosen Seitenraum gezogen. Sie hatte versucht so geräuschlos wie möglich zu sein. Bis auf das leise Knarzen der Bretter waren keine Geräusche zu hören gewesen. Dann hatte sie sich das Blut von den Händen gewaschen und ihre Kapuze übergezogen. Sie hatte anschließend die Hütte durch den Eingang und in die Nacht von Eldrabrück verlassen. Die beiden Wachen hatten sie zwar anschaut, ihr aber keine weiteren Fragen gestellt. Erst als Edda die Stadtwachen von Nebelgard, die an der Fireldrabrücke standen, passiert hatte, war die Anspannung von ihr abgefallen. Erst jetzt war ihr aufgefallen, dass sie unter ihrer Kleidung und in ihrer rechten Hand das Kurzschwert hielt. Ihre Linke hatte sie zur Faust geballt, so dass sich ihre Fingernägel in die Haut geschnitten hatten. Sie hatte Nebelgard durchquert und war dem Tunnel in den Tempel des Jensehers gefolgt. Jetzt, nach ein paar Stunden Fußmarsch war die Anspannung von ihr abgefallen und sie spürte die Müdigkeit des langen anstrengenden Tages, als sie in der großen Halle wartete, deren hohe Decke nicht gänzlich von dem Licht erhellt wurde. Edda betrachtete immer wieder die Wände, der mit einem grauen, geschliffenen Alabasterstein versehenen Halle. Rote und schwarze Banner waren dort aufgehängt, die goldene Runen der Chaosgöttin Jiarlirae trugen. Junge Orksklavinnen hatten ihr bereits das zweite Glas Wein gebracht, an dem sie hin und wieder trank. Die Halle war ab und an von den Dienern Jiarliraes betreten worden, die, ohne mit ihr zu sprechen, wieder in einer anderen Türe verschwanden. Augenblicklich war jetzt wieder das Geräusch einer Türe zu hören. Hervortreten sah sie jedoch das Kind der Flamme, gekleidet in einen roten Umhang mit den Stickereien von goldenen Chaosrunen. Neire warf seinen Kopf mit den gold-blonden Locken zurück und lächelte ihr zu. Sie schätzte das Alter des Propheten auf 17 Winter; so alt, wie sie selbst war. Edda erwiderte das Lächeln. Sie konnte ihren Blick nicht von Neires anmutigem Gesicht nehmen. „Edda, seid gegrüßt. Wie ist es euch ergangen? Ihr seht müde aus und müsst hungrig sein. Hat man euch Speise und Trank gebracht.“ Edda nickte und deutete auf das Glas. „Ich habe getan, was getan werden musste, Neire. Ormrynda ist tot. Sie ist gestorben durch meine Hand.“ Neire trat jetzt näher an sie heran und nahm ihre Hände. Dort waren noch geringe Verfärbungen des Blutes zu erkennen. Edda vernahm sein modrig-süßes Parfüm, das nach Erde und einer fremden Wurzel roch. Sie konnte die schlangenhaft geteilten Pupillen seiner nachtblauen Augen glitzern sehen. „Das sind wunderbare Nachrichten Edda und das müssen wir feiern. Nehmt etwas von dieser Substanz, die sich Grausud nennt und erzählt. Ich bin so gespannt eure Geschichte zu hören.“ Edda dachte nicht lange nach und leckte den grauen klebrigen Tropfen von Neires Finger. Sie verspürte den Geschmack von ranzigem Fett und exotischen Gewürzen. Augenblicklich fing ihre Zunge an zu kribbeln. Dann schossen Lichtblitze durch ihr Blickfeld. Die Zeit schien still zu stehen, Wärme floss durch ihre Gliedmaßen und sie dachte, sie würde schweben. Neires Antlitz leuchtete golden im Licht der Fackeln. Seine Haare zogen lange vielfarbig glitzernde Fäden, die an einigen Punkten wie helle Sterne schimmerten. Sie sah, dass Neire sich auch ein Glas Wein eingoss und einen Tropfen der seltsamen Substanz nahm. Dann fing sie an zu erzählen. Für eine Weile sprudelten ihre Worte hervor wie ein Wasserfall. Sie war glücklich und erfüllt von Freude. Sie saßen eng beieinander und Neire hörte ihr zu. Sie hatte die Entbehrungen, die Angst und den Schmutz vergessen. Selbst den Mord an Mutter Ormrynda erzählte sie mit sehnsüchtigem Rückblick, in ein nostalgisch verklärtes Gestern. Jetzt war es das, was einst war.

~

„Wenn das Licht uns einst nehmen sollte…, wenn es uns unser Geheimnis stehlen sollte… wir dürfen es niemals dazu kommen lassen. Jiarlirae ist stark, sie würde es nicht zulassen.“ Edda war an die schwarze Sphäre herangetreten, die dort zwischen den drei spitzen Obelisken aus Ne’ilurum schwebte. Die Sphäre war mehr als doppelt so groß wie sie selbst und sie konnte förmlich die fremde Macht spüren, die dem seltsamen Konstrukt innewohnte. Sie ließ das Licht der Kammer auf sich wirken, das in der schwarzen Kugel verschluckt wurde. In den Steinwänden schimmerten dunkle Ne’ilurum Adern wie Kristallglas. Die kolossale Halle verfügte über Halbhemisphären-ähnliche Teilkammern, die sich in der Mitte trafen und sich überlappten. Neire hatte es als verborgenes Herz eines Gottes bezeichnet, als sie durch die doppelflügeligen Ne’ilurumtüren gegangen waren. Es war wie ein Herz, was in den Berg geschnitten wurde, um unglaubliche Energien zu beherbergen. Edda sprach zu Neire ohne sich umzudrehen. Sie spürte den Rausch des Grausud und des Weines, den sie danach getrunken hatten. Überall funkelte das Licht um sie herum und begann sich zu drehen. Nur die Kugel aus Dunkelheit bewegte sich nicht. „Es ist so schön Neire. Es ist das Heiligtum eurer Göttin und ich spüre ihre Macht.“ Sie hörte sich selbst frohlocken, als sie sprach. Sie fühlte sich hingezogen zu Feuer und Dunkelheit. Was konnte man Besseres tun, als in kindlicher Freude mit den Dingen zu spielen, bei der Offenbarung solch unglaublicher Möglichkeiten. Wie würde eine tanzende Flamme mit ihrem Schatten spielen? Neires Stimme war jetzt hinter ihr. „Ja, es schön. Doch es ist auch ein Portal. Eine Öffnung in eine andere Welt hinter den Sternen. Nicht die Welt meiner Herrin. Eine kalte Hölle kreischender Winde verbirgt sich auf der anderen Seite.“ Eddas Neugier wuchs bei jedem von Neires Worten. Jetzt lachte sie auf. „Wo seid ihr gewesen Kind der Flamme, während ich Mutter Ormrynda tötete. Wo seid ihr jetzt Neire, während wir das schwarze Portal eurer Göttin betrachten, das in eine Höllenwelt jenseits der Sterne führt?“ Sie spürte, dass Neire näher an sie trat und seine linke Hand ihr Haar zurückstrich. Sie konnte das Narbengewebe seiner verbrannten Haut an ihrer Wange fühlen. Dann flüsterte Neire in ihr Ohr, während er sie umschlang. „Ich bin hier Edda. Ich bin hier bei euch und es gibt nur uns beide.“ Sie drehte sich zu ihm um und er zog sie zu ihm. Als sich ihre Lippen berührten konnte sie das verrückte Kreischen des kalten Windes in der Ferne hören. Sie fühlte Neires gespaltene Zunge, die die ihre berührte. Da waren die Lichter des Herzens im Berg. Die Lichter des göttlichen Herzens, die schimmerten wie ferne Sterne. Und da waren sie: Edda und Neire. Sie waren wie zwei tanzende Flammen in berauschter Schwärze. Sie waren wie zwei sterbliche Menschenschlangen, verzaubert verschlungen im Erahnen eines unendlich-dimensionalen Meeres von Macht. Es war die Brandung des Urchaos, ein feuriger Reigen junger Geister, der an diesen sternenlosen Strand der Düsternis brauste.
« Letzte Änderung: 27.06.2024 | 19:06 von Jenseher »

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Sitzung 109 - Aufbruch in den Höllenkessel - Teil I
« Antwort #123 am: 27.06.2024 | 19:07 »
Die Tage vergingen wie im Rausch. Neire verbrachte einen Großteil seiner Zeit in der Akademie Schwarzenlohe. Er arbeitete in den Laboratorien und lehrte die neuen Schüler, die teilweise jünger als er selbst waren. In Wahrheit verbrachte er aber seine Zeit dort wegen Edda. Die anderen Schüler hatten dies schnell bemerkt; sie tuschelten und kicherten, wenn sie Neire und Edda zusammen sahen. An den Abenden und in den Nächten hielten sich Neire und Edda in den Laboratorien oder in Neires Schlafraum auf. Sie sprachen über die schwarze Kunst, die Formeln, von denen einige tödlich in der Wechselwirkung mit lebendem Fleisch waren und von denen andere fortwährende Dunkelheit und Verdammnis brachten. Sie sprachen auch über ihre Erfahrungen, über alte Geschichten, vergangene Kunst und neue Lieder. Edda wollte alles über Neires Kindheit in Nebelheim wissen und das Kind der Flamme erzählte ihr mit leuchtenden Augen von Jiarlirae. Wenn sie nicht forschten, tranken die beiden Wein, berauschten sich mit Grausud oder liebten sich dort, wo sie sich gerade befanden. Das Zeitgefühl ging ihnen verloren und Edda lernte schnell. Doch je länger die beiden in Schwarzenlohe verweilten, desto öfters klopften die Boten an die Pforten der neugegründeten Akademie. Meist waren es Unterredungen, zu denen Neire gebeten wurde. Zum einen mussten Entscheidungen beim Bau der Festung an der Felswand über Nebelgard getroffen werden. Zum anderen waren es aber auch viele kleinere Dinge, wie die Steuerung des Handels mit Unterirrling, Urrungfaust oder dem Herzogtum Berghof. In diesen Situationen fiel beiden der Abschied schwer und zog sich meist so lange, bis selbst die Boten unruhig wurden. Dann aber änderten sich die Dinge und es erschien ein anderer Bote an der Pforte von Schwarzenlohe. Es war eine junge Feuerriesin, die Neire zu einer Audienz mit Königin Hulda von Isenbuk bat. Neire willigte sofort ein und ließ Edda nach einem langen Abschiedskuss zurück. Die Feuerriesin, die sich ihm als Thialda vorstellte, führte Neire durch die Baustelle der Festung und den Tunnel, bis in das Gemach der Königin. Dort nahm Neire auf einem Stuhl Platz und wartete auf Hulda. Er betrachtete den Empfangsraum der Königin, während er die Wärme genoss, die von dem neu errichteten Ofen aus Ne’ilurum ausging. Der Jüngling hatte bereits ein Dunkelbraan erhalten und genoss den starken, bitteren Geschmack sowie die feine, säuerliche Note des urrungfauster Bieres. Dann öffnete sich die Tür zu Huldas Gemächern und hervor trat die Königin. Neire erhob sich und verbeugte sich tief, dann lächelte er der Anführerin der Feuerriesen zu. Hulda hatte sich in kostbare purpurne Gewänder gehüllt, die dem Anlass nicht entsprechend waren. Sie zeigten zu viel ihrer grau-dunklen Haut, die in langen Falten hinabhing. Huldas dunkle, schweinsartige Augen waren zusammengekniffen, als sie zur Begrüßung sein Lächeln erwiderte. Im flackernden Licht der Fackeln wirkte ihr Ratten-ähnlich spitz zulaufenden Gesicht älter, als es eigentlich war. Oder ging es ihr vielleicht nicht gut? Neire verwarf den Gedanken, als er den Reichtum des Gemachs betrachtete, den Hulda nach ihrer Ankunft hier angehäuft hatte. Nachdem sie die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatten, sprach Hulda den wahren Grund der Audienz an. Sie erhob das Wort in der Sprache ihrer Vorväter, in der Weise der Feuerriesen. „Neire, seit ich euch kenne seid ihr zu meinem besten Freund geworden und daher wage ich es offen mit euch zu sprechen.“ Neire nickte zustimmend und Hulda fuhr fort. „Es bedrücken mich einige Entwicklungen in meinem Volk, deren Anfänge ich schon seit unserer Ankunft beobachten konnte. Euch sind sie vielleicht nicht aufgefallen, da nur ein Feuerriese sein eigenes Blut derart kennt.“ „Was ist es Königin? Was bedrückt euch?“ Hulda beendete ihr Stocken, als Neires Frage sie bestätigte. „Anfangs waren es kleine Streitigkeiten zwischen meinen Kriegern. Rivalitäten, nichts Schlimmes. Es folgten Schlägereien, die mit einer zunehmenden Brutalität geführt wurden. Schließlich bildeten sich Gruppen, die nun mein Volk vergiften.“ Neire neigte fragend seinen Kopf und die Königin fuhr fort. „Es ist der fehlende König an meiner Seite. Es weckt Begehrlichkeiten. Jeder der fähig ist, will seine Macht zeigen, versucht Anhänger zu sammeln. Sie umwerben mich immer offensiver; sie möchten mit ihren Taten glänzen. Doch sie sind nicht geeignet als Nachfolger Dunroks. Sie sind nicht stark genug und auch nicht schön genug. Ich fürchte, dass es noch schlimmer werden wird. Wenn wir nicht etwas unternehmen, wird es bald Mord und Totschlag geben.“ Neire nickte, als er langsam die Schwierigkeiten verstand, die Hulda belasteten. „Ich verstehe euch, Königin. Ihr seid intelligent und weise in euren Vorahnungen. Ihr habt meinen Dank im Namen von Jiarlirae, dass ihr ehrlich zu mir sprecht. Wahrlich seid ihr eine große Freundin.“ Er verbeugte sich und die Königin erwiderte seine Geste. „Ich brauche euren weisen Rat Königin. Was kann ich tun? Sollte ich nochmals mit ihnen sprechen? Kann ich den Unruhen Einhalt gebieten?“ Hulda schüttelte ihr Haupt, bevor sie antwortete. Ihre verfilzten rötlichen Haare standen von ihrem hässlichen Kopf ab, auf dem Geschwüre zu sehen waren. „Ich fürchte nein. Ihr habt einen großen Einfluss Prophet und mein Volk respektiert euch. Doch, verzeiht meine Ausdrucksweise, ihr seid so klein. Eure Worte würden vielleicht eine Zeit wirken. Dann würde alles wieder anfangen. Vielleicht schlimmer als vorher.“ „Ich verstehe, Königin. Es braucht Macht und es braucht Furcht, um euer Volk zu beherrschen. Es braucht einen König, der nur aus eurem Blute entstammen kann.“ Jetzt war es Hulda, die in ein breites Grinsen verfiel und ihre fauligen Zähne zeigte. „Deswegen seid ihr mein bester Freund Neire. Ihr seid so klug und weise. Ja, es braucht diesen König an meiner Seite, den König aus meinem Blute. Groß und stark soll er sein. Und schön, so wie einst König Isenbuk… bevor er fett und hässlich wurde. Und nicht zu intelligent muss er sein. Damit ich, Königin Hulda, herrschen kann. Damit wir Jiarlirae dienen können.“ „Wer kann es sein, Königin? Wer könnte euer König werden?“ Hulda antwortete ihm wohl überlegt. „Erinnert ihr euch? Ich erzählte euch einst von dem jungen Jarl Eldenbarrer, dem Träger der Flamme von Thiangjord. König Dunrok Isenbuk hatte damals bereits mit ihm Kontakt aufgenommen, um ihn als Verbündeten im Krieg gewinnen zu können. Aber ich glaube die beiden waren da bereits verstritten. Eldenbarrer schaute auf das hinab, was aus Dunrok geworden war. Ein fetter und träger Säufer. Doch er hatte Respekt vor Dunrok und wäre wohl seinem Waffenruf gefolgt.“ „Ihr erzähltet mir einst über die Eisenfeste Sverundwiel. Über ihre Geschichte und ihre Erbauer, die Nachtzwerge, habe ich gelesen. Den Legenden nach soll sie südwestlich von hier, im Höllenkessel liegen.“ Hulda nickte, als er sprach. Neire bemerkte ihre Aufregung. „Ich bitte euch Neire, brecht bald auf. Doch seht davon ab, meine Untergebenen mitzunehmen. Die alten Feindseligkeiten zwischen Dunrok und Eldenbarrer könnten wieder aufleben.“ Neire überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, Königin Hulda, habt keine Angst. Ich werde einen Riesen aus Halbohrs Garde mitnehmen. Wir werden bald aufbrechen.“ Er erhob sich und verbeugte sich tief. Dann warf er seine gold-blonden Locken zurück, die ihm mittlerweile bis auf die Brust hinabfielen. Königin Hulda lächelte ihm ein letztes Mal zu, als sie die Worte des Abschieds sprach. In ihren Worten schwang ein emotionaler Ton, der auf mehr als Freundschaft deutete. „Ach mein Neire. Ihr seid mein bester Freund, mein Seelengefährte. Wenn ihr doch nur nicht so klein wärt. Ihr seid mein wahrer König und werdet es für immer sein.“

~

Neire hatte mit allen gesprochen. Keiner hatte sich der Aufgabe verwehrt, doch den Hügelriesen Kulde aus seinen Aufgaben zu lösen, hatte sich am schwierigsten dargestellt. Neire hatte hierzu die Baustelle der Festung am Tunneleingang aufgesucht. Er hatte nach Fuldir Ausschau gehalten und war dem Riesen mit der schiefen Nase und den zerbrochenen Zähnen schließlich begegnet. Im Nebel hatte Fuldir eine Peitsche getragen und sich bereits wie ein König aufgeführt. Neire hatte die Augen des Jensehers eingesetzt. Er war so in der Lage gewesen, den Unteroffizier zu überzeugen, dass er sich mehr um die Arbeiten und nicht um andere Dinge kümmern sollte. Dann hatte er Fuldir befohlen Kulde herbeizurufen und ihn aus seinem Dienst zu entlassen. Fuldir hatte sich militärisch gefügt und Neire versprochen den Bau der Festung voranzutreiben. Die folgenden Tage waren sie mit den Vorbereitungen der Reise beschäftigt gewesen. Neire hatte den Nachtzwerg Heergren Nuregrum beauftragt einen großen Rucksack für Kulde anzufertigen. Als Heergren diese Aufgabe beendet hatte, hatten sie ihre Sachen gepackt und waren aufgebrochen. Sie wollten nur nachts reisen und verließen Nebelgard in den Abendstunden in südlicher Richtung. Sie waren zu viert: Neire von Nebelheim, Edda von Hohenborn, Heergren Nuregrum und Kulde, der Hügelriese. Der Himmel war von Wolken verhangen und der sommerliche Abend war nicht zu warm. Sie folgten dem Tal in Richtung des strömenden Gebirgswassers. Die Fireldra schimmerte von grünlich-grauem Gletscherwasser; ihr Rauschen erfüllte die Abendstille. Das Tal schlängelte sich durch die Landschaft und schon bald war Nebelgard hinter einem Bergrücken verschwunden. Als die Nacht einsetzte, hörten sie das Zirpen der Grillen. Sie vernahmen den Geruch von Bergblumen und dem des Grases der Wiesen. Irgendwann in der Nacht, sie mussten wohl schon einige Zeit gegangen sein, hörten Neire Stimmen in der Entfernung. Edda sah dort den Schimmer eines Lagerfeuers, auf der anderen Seite des Flusses. Sie berieten sich kurz, entschieden sich dann aber weiterzugehen und dem Feuerschein keine Beachtung zu schenken. Als dann der Morgen graute wurden sie müde und suchten sich einen kleinen Lagerplatz. Neire und Edda sprachen sich ab, die Wachen zu wechseln. Heergren und auch Kulde waren bereits in tiefen Schlaf gefallen. So verbrachten sie den Tag am Fluss. Neires Wache verlief ohne besondere Ereignisse. Er schaute immer wieder fasziniert auf den großen Leib von Kulde, dessen muskulöser, behaarter Oberkörper sich im Takt seines rasselnden Atmens hob. Einmal sah Neire ein Reh auftauchen, das neugierig in ihre Richtung glotzte. Als sie sich ausgeschlafen hatten, machte Neire ein Feuer und sie nahmen ihre Mahlzeit ein, die Kulde aus seinem schweren Sack beförderte. Nur Nuregrum blieb unter seiner Decke und im Schatten des Felsen liegen und sie brachten ihm geräucherte Würste und Brot. Dem Nachtzwerg ging es nicht gut im Licht. Seine Augen hatten zu tränen angefangen und er sprach von Kopfschmerzen. Neire und Edda unterhielten sich und erzählten sich lustige Geschichten. Neire fiel auf, dass Edda neugierig zu Kulde blickte, der schmatzend und rülpsend die dreifache Portion verschlang. Der Hügelriese hatte sich Felle und Teile einer Rüstung übergeworfen und saß auf dem Stamm einer alten umgekippten Eiche. Dann stand die zierliche junge Frau mit den schwarzen, langen Haaren auf und setzte sich neben Kulde. Zuerst bemerkte der Hügelriese Edda nicht, die in einen schwarzen Umhang gekleidet war. Sie trug ein abgewetztes Lederwams und einen kurzen Rock über einer Lederhose. „Euer Name ist Kulde und ihr dient Meister Halbohr, ist es nicht so?“ Edda sprach in einem lieblich neckenden Ton, als würde sie mit Kulde spielen. Der Riese hörte auf zu kauen und blickte mit geöffnetem Mund zu ihr hinab. Speichel sabberte schon bald aus seinem Maul hinab. Neire konnte den Schweiß und Uringestank von Kulde durch das Feuer und bis zu ihm riechen, obwohl er nicht wie Edda neben Kulde saß. „Uhhh?“ sagte Kulde und blickte mit seinen kleinen schwarzen Augen in Richtung Neire. Kulde hatte dünnes braunes fettiges Haar und einen ausgeprägten Unterbiss, der seinem Gesicht eine zurückgebliebene Hässlichkeit verlieh. „Meisschter Halbohr, ja… Neire Freund“ sprach er schließlich und Fleischbrocken fielen aus seinem Maul hinab, als er wieder zu kauen begann. Neire betrachtete Edda, doch sie zeigte keine Anzeichen von Abscheu, rümpfte nicht ihre Nase. Im Gegenteil. Sie berührte mit ihrer behandschuhten Hand den langen Arm von Kulde, der von Narben gezeichnet war. „Ihr tragt einige Narben, Kulde. Woher habt ihr sie?“ Wieder blickte Kulde zu Neire, als er zu überlegen begann. Dann schluckte er und drehte sich zu Edda hinab. Der Riese, dessen menschliches Vergleichsalter noch nicht ganz 17 Jahre war, sprach langsam und lispelnd. „Narben von Kampf… Kulde kämpfen… Kulde sschiegreissch… Kulde sshtark… Kulde sschiegreissch.“ Dann blickte Kulde wieder zu Neire und der Jüngling der Flamme nickte ihm lächelnd zu. Er sah die grausame Brandnarbe des rechten Ohrs, von dem nur noch der Gehörgang zu sehen war. Sie würden wohl noch eine Zeit zusammen reisen, dachte Neire. Ihn freute die Furchtlosigkeit von Edda, doch spürte, dass er auch Angst um sie hatte. Kulde gehorchte ihm zwar, aber Neire wusste nicht wieviel die Augen des Jensehers dazu beitrugen. Der junge Riese hatte im Tempel seinen Zorn bereits gezeigt, als er einen Ork erschlagen und ihn dann auf dem Feuer gebraten und gegessen hatte. Kulde war gewachsen und groß für einen Hügelriesen. Bereits jetzt hatte er die Größe über vier Schritten erreicht. Zudem hatte er fast täglich mit Heergren und Granrig trainiert. Er trug seinen Morgenstern mit Stolz, dessen Kopf aus Ne’ilurum größer als der Oberkörper von Edda war. Neire ließ die beiden reden, doch er warf ein Auge auf Edda. Er würde einschreiten, falls es erforderlich sein würde. Neire wusste, dass er Edda beschützen wollte, koste es was es wolle.

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Sitzung 109 - Aufbruch in den Höllenkessel - Teil II
« Antwort #124 am: 4.07.2024 | 21:23 »
Sie waren einige Tage gereist, in der Edda die Zeit mit Neire genossen hatte. Sie gingen beieinander in der Nacht und teilten ein Lager von Winterdecken und Fellen bei Tag. Die Tage waren warm gewesen und es hatte nicht geregnet. Sie hatten keine weiteren Begegnungen gehabt und hatten nach zwei weiteren Nächten der Wanderung das Tal der Fireldra in Richtung Westen verlassen. Edda hatte nach Spuren gesucht, während Neire versucht hatte sich nach seinem Kartenwissen zu orientieren. Am insgesamt vierten Tag waren sie immer höher gekommen und am fünften Tag waren sie über vereinzelte Schneefelder geschritten. Die Bäume waren kleiner hier und die Landschaft war karger. Berggipfel konnten sie immer noch nicht erkennen, da die Bewölkung anhielt. Langsam spürte Edda die Strapazen der Wanderung. Eigentlich war sie lange Tagesmärsche gewöhnt. Blasen hatte sie nicht und auch ihre Füße taten nicht weh. Die kühleren Temperaturen und die Höhe machten ihr aber zu schaffen. An diesem Morgen hatten sie sich in einem lichten Nadelwald niedergelassen, der vor einer Felswand endete. Ein kleines Feuer brannte vor dem Stein, vor dem sie die Decken ausgebreitet hatte. Sie blickte ins Feuer und fragte sich, was Jiarlirae Neire mitteilte, wenn er in die tanzenden Flammen starrte. Am Ende eines jeden Tages hatte sie interessiert dem Fackelritual zugeschaut, das Neire nach Einsetzten der Dunkelheit vollführte. Sie selbst sah nichts in den Flammen, doch sie spürte die wohlige Wärme des Feuers. Jetzt trat Neire zu ihr und gab ihr einen Kuss. „Hier meine Liebe. Trinkt. Wir werden den ganzen Tag hier sein, bis die Sonne sich wieder gesenkt hat. Wir haben genug Zeit, Edda.“ Edda nahm den Weinschlauch und trank mehrere große Züge. Augenblicklich spürte sie den Rausch – ein flaues Gefühl, als sie den Wein in ihrem nüchternen Magen fühlte. Ihre Laune stieg, als sie an den Schlaf und das Lager von Decken dachte. Sie kicherte, als sie Neire antwortete. „Haben wir genügend Zeit Neire? Ich weiß es nicht… wir sollten aufpassen… hihi… Heergren nicht zu wecken. Kulde schläft ja wie ein Stein.“ Dabei schaute Edda in Richtung des Riesen, der auf der anderen Seite des Feuers saß. Kulde blickte auf sie hinab und versuchte das Wort mit seinem Unterbiss nachzusprechen. „Ssshhtein… Shtein…“ grummelte der Riese lispelnd und schwerfällig, während er seinen Unterkiefer seltsam vorwärts bewegte. Edda blickte zum schattigen Lager von Heergren, doch sie bemerkte keine Reaktion. Er hatte sich bereits unter seine Decke verkrochen, die er als Schutz vor dem Licht über sich ausgebreitet hatte. „Vielleicht spielen wir ein Spiel? Was meint ihr? Kulde? Neire?“ Edda erhob sich aus ihrem Kniesitz und streifte das Fell ab. Sie konnte ihren Atem in der kühlen Morgenluft kondensieren sehen. Kulde grübelte, dann verzog sich sein Gesicht in ein Grinsen. Sie konnte sehen, dass seine Zähne trotz seines jungen Alters bereits faulig waren. „Sshhtein Sshpiel… Kulde liebt… werfen Sshtein… ja“. Edda hörte Neire lachen, doch sie schüttelte mit dem Kopf. „Nein Kulde, kein Steinspiel. Nein, nein, nein. Wir spielen ein viel besseres Spiel. Ihr flüstert Neire etwas ins Ohr und dann muss ich raten. Neire darf das Wort sagen, aber er darf nur seine Lippen bewegen. Keinen Ton darf er sagen. Wenn ich geraten habe, seid ihr dran Kulde.“ Kulda saß dort mit geöffnetem Mund. Sabber lief an seinem Kinn hinab und er hatte die Augen zugekniffen, als würde er überlegen. Dann sagte er: „Sshpiel?“ Edda wurde bereits unruhig, doch Neire trat zu dem Riesen hin. Der Jüngling zog Kulde am Arm und sagte. „Kommt Kulde. Wir müssen etwas weggehen. Edda darf es nicht hören, kommt.“ Neire führte Kulde zur Seite und Edda hielt sich die Ohren zu. Sie sah, wie sich Kulde hinabbeugte und versuchte zu flüstern. Doch das Wort war so laut, dass sie es trotz zugehaltener Ohren hörte: „Sshtein“, sagte Kulde. Dann trat er zurück, richtete sich auf und lehnte sich gegen einen Baum. Einige Tannenzapfen regneten auf sie hinab, als der Baum unter dem gewaltigen Körper Kuldes knarzte und sie sprang zu Neire. „Sagt es Neire, aber macht kein Geräusch.“ Neire formte die Worte mit seinem Mund. Edda konnte seine makellosen Zähne und die gespaltene Zunge sehen, er flüsterte jedoch nicht Stein. Vielleicht war es sein Nebelheimer Akzent, den er pflegte. Hätte sie das Wort nicht gehört, hätte sie „Steig“ geraten, doch Edda drehte sich zu Kulde, lachte und sagte. „Das war leicht Kulde. Ihr habt Stein gesagt.“ Der Mund von Kulde fiel noch weiter hinab, als er erstaunt zu ihr blickte. „Ohh, risshtissh… kluge Frau, oh ja…“ „Jetzt ihr Kulde. Jetzt müsst ihr raten.“ Kulde nickte, als hätte er das Spiel verstanden und Edda ging zu Neire. Sie trat an ihn heran und lächelte ihm zu. Sie spürte das Kribbeln im Bauch, roch den Geruch seines exotischen Parfüms. Sie fuhr ihm durch die gold-blonden Locken, strich seine Haare zurück und ihre Lippen berührten sein Ohr. Sie flüsterte ihm zu: „Liebe.“ Dann wandte sie sich ab. „Jetzt ihr Kulde. Schaut auf Neires Lippen. Was habe ich gesagt?“ Jetzt weiteten sich Kuldes Augen, doch sie waren immer noch klein. Sein Mund hing klaffend geöffnet, er stierte Neire an. Dann sagte er: „Sshtein es issht. Es issht Sshtein“ Neire fing zuerst an zu lachen, dann stimmte Edda kein. Sie konnten nicht mehr aufhören. Sie lachten, bis ihnen die Tränen kamen, bis ihnen der Bauch wehtat. Kulde lachte mit. Tief und debil. Er freute sich, weil er glaubte gewonnen zu haben. Selbst von Heergrens Lager kam ein kurzes Lachen und dann ein Fluch: „Hahaha, bei der Herrin von Flamme und Düsternis. Dieser verdammte, dumme Riesenbastard.“ Sie lachten und lachten, dann wischte sich Edda die Tränen aus den Augen und sprach zu ihrem großen Begleiter. „Nein Kulde, Stein war falsch. Es ist die Liebe und es ist nur die Liebe!“ Erst lachte Kulde weiter, doch dann weiteten sich seine Augen. In seinem Gesicht fing es an zu arbeiten. Da war Wut und Zorn. Kulde schritt zur Felswand und rammte seine Faust gegen den Stein. Brocken rieselten hinab, als die Wand zitterte. Edda sah Blut von Kuldes Faust rinnen. Dann lehnte er seinen riesigen Rücken gegen die Wand und ließ sich dort hinabrutschen. Er wippte mit seinem Oberkörper, vor und zurück, als er wieder und wieder die Worte sagte. „Blödes Sshpiel, dummes Sshpiel…“ Edda ging zu Neire und gemeinsam schlüpften sie unter die Decke. Sie tranken dort Wein und erzählten sich die Geschichte des Spiels. Sie kicherten und sie erzählten. Edda kuschelte sich an den warmen Körper von Neire und so schlief sie ein.

~

Sie waren in der Dunkelheit gewandert. Die nächste Nacht und noch eine weitere. Edda hatte in der Gebirgswildnis nach Spuren gesucht und Neire hatte die grobe Richtung vorgegeben. Sie waren gut vorangekommen und hatten die größten Höhen der Kristallnebelberge erreicht. In der siebten Nacht ihrer Wanderung war es dann aufgeklart und sie hatten den Sternenhimmel über sich sehen können. Eisbedeckte schroffe Wipfel ragten in unerreichte Höhen auf und Gletscher glitzerten schattenhaft in der Ferne. Doch die Landschaft war einer Änderung unterzogen gewesen, je weiter sie nach Süden vorgedrungen waren. Sie waren tiefer und tiefer abgestiegen und schließlich waren sie an eine Art Wetterscheide gelangt. Unter sich hatten sie in eine Landschaft sehen können, die wie eine Art Hochplateau aufragte. Überall war Rauch aufgestiegen und in der Ferne hatten rötliche Lichter geglitzert. Ihnen war wärmere Luft entgegengeströmt, die nach Schwefel roch. Nach einem weiteren Lager während des Tages hatten sie sich an den Abstieg gemacht und waren durch die seltsame Landschaft gewandert. Je weiter sie in den Höllenkessel vorgedrungen waren, desto schroffer waren die Berge geworden. Sie hatten die verschiedensten Farbtöne gesehen, von schwarz bis rostbraun. Dann waren sie an den Lavastrom gelangt, der die Landschaft wie ein rot glitzerndes Band durchzog. Die Luft war hier unerträglich warm und besonders Kulde schleppte sich mühevoll voran. Schweiß lief vom Körper des jungen Riesen und er trank gierig von dem Quellwasser aus einem großen Schlauch. Edda und Neire kamen besser mit der Hitze klar. Auch Heergren litt unter der Hitze, kämpfte aber verbissen und ohne Klagen. Sie entschieden sich dem Lavastrom zu folgen, da Neire in den alten Geschichten von einem Fluss aus Feuer gehört hatte. Einige Stunden folgten sie in gebührendem Abstand der schnell fließenden Masse aus flüssigem Stein, dann sahen sie es vor sich liegen. Das Morgengrauen hatte mittlerweile eingesetzt und die ersten Sonnenstrahlen durchdrangen die Wolken von Schwefel- und Gesteinsgasen nicht. Ein schwarzer Berg war vor ihnen zu sehen, aus dessen Kamm nadel-artige Spitzen aufragten. Das Massiv war riesig und zeigte gewaltige Verfärbungen von Eisenadern. In der senkrechten Felswand, von der Teile im giftigen Nebel verschwanden, sahen sie das kolossale Konstrukt aus schwarzem Stahl. Es war die Festung Sverundwiel die sie dort erblickten. Die Vorderseite schien aus massivem Metall zu sein und schloss mit den Wänden des Berges ab. Vor der Schwarzeisenwand waren die Statuen von Kriegern zu sehen, die sich dort riesenhaft erhoben. Es waren vier Stück an der Zahl und sie waren auf metallenen Plattformen aufgebacht. Sie stellten Nachtzwerge in mächtigen Helmen und Panzern dar. Krieger die Hämmer trugen. Aus ihren Mündern strömte ein nicht abebbender Quell von heißem flüssigem Stein, der in hellerem Gelb schimmerte. Die Fluten schossen wie Wasser hervor und sammelten sich in einem riesigen See unter ihnen. In der Mitte der Statuen war ein großes Portal zu sehen, zu dem Stufen hinaufführten. Von der Macht des Bauwerks gebannt, kauerten sich die Streiter hinter einen Felsen. Um sie herum war ein Feld von schwarzer vulkanischer Asche. Sie spürten ein beständiges Rumoren des Bodens – ein Vibrieren, das stets anschwoll oder abebbte. Mit trockenen Zungen und heiseren Stimmen berieten sie ihr weiteres Vorgehen. Sie hatten die Eisenfeste Sverundwiel erreicht und es war ihnen eines bewusst. Nur wenn sie weitergehen würden, nur wenn sie den brennenden See aus flüssigem Gestein passieren würden, würden sie das Portal erreichen. Dann würden sie vielleicht erfahren, ob der junge Jarl Eldenbarrer, Träger der Flamme von Thiangjord, die Eisenfeste hatte unterwerfen können.