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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea
Jenseher:
„Wie fühlt sich das an?“ Neire sprach mit lieblicher Stimme, in der ein zischelnder Singsang war. Er lag mit Edda auf dem schwarzen Samt des verzierten Himmelbettes. Im Kamin des Turmzimmers brannte ein großes Feuer, das den von kostbaren Fellen ausgelegten Boden in ein rötliches Licht warf. Vor den Bücherregalen des Gemachs funkelten tausende schwarze Kerzen. Ein kleiner Altar, auf dem die Büste einer gesichtslosen Frau dargestellt wurde, war von rötlichem Fackellicht erhellt. Ein Chaosstern sowie Runen aus getrocknetem Blut waren in der Leere des Antlitzes aufgebracht worden. „Ich weiß nicht Neire. Sie sind so warm und weich, meine Glieder. Und meine Finger ziehen rote, lange Fäden… von der Wärme des Feuers in die Dunkelheit des Schneetreibens hinein.“ Neire folgte Eddas Hand, über die er sanft stricht. Sie machte eine elegante Bewegung, in der sie das rötliche Glühen der Kaminflammen in die Richtung der schwarzen Fenster zog, die Neire einst verzaubert hatte. Die Farben waren so intensiv, so glühend. Es war, als quille das Feuer aus Eddas langen, schwarz-gefärbten Fingernägeln. Es war, als würden die Funken verglühen im Schneetreiben der Winternacht dort draußen. Einige Momente hafteten die Augen der beiden Liebenden auf den entfernten Lichtern von Nebelgard, die sie unter sich sahen. „Was fühlt ihr hier? Wo bin ich jetzt?“ Er strich über Eddas dicken Bauch, in dem sie ihre beiden Kinder trug und sah, wie sich eine Gänsehaut auf ihren Armen bildete. Sie lächelte ihn an und zog ihn zu sich heran. „Ihr wart fort Neire, doch jetzt seid ihr hier. Ihr seid hier… hier bei mir.“ Sie küssten sich und da war der Geschmack von Grausud und Wein. Dann betrachteten sie die Farben und lachten. Sie staunten wie kleine Kinder, die sie nicht mehr waren. Irgendwann schliefen sie ein. Sie hörten nicht, wie das Brausen des Wintersturmes stärker wurde und huschende Schneeflocken an den beiden Kristallfenstern vorbeitrug.
Der Traum war fieberartig und verwirrend. Er zehrte an Neires Kräften. Da war Wasser um ihn herum und seltsame Wesen. Das Wasser war zuckersüß und floss in seinen Mund hinein. Die Wesen waren Urformen von Amöben. Sie hatten merkwürdige Formen, wie die Kreaturen aus den sonnenlosen Tiefen der Ozeane. Einige besaßen dickliche, konisch geformte Körper. Andere waren netzgleich und aufgefächert, wie die laublosen Baumkronen alter Wintereichen. Sie alle schimmerten in pulsierenden Farben. Neire musste sich hinfort bewegen. Sie glitten an seinem Körper vorbei und verlangsamten ihn. Da war das Pochen eines riesigen Zeigers einer Uhr. Er sah sie nicht, doch er konnte ihren Rhythmus spüren. Sobald er sich herausgewunden hatte, sobald er sich in die Dunkelheit zog, waren sie wieder um ihn. So ging es fort und er hatte begonnen zu schreien. Er zweifelte an allem was er war und was er tat. Mit jedem Pochen des Zeigers wurde es schlimmer. Er konnte ihnen nicht entrinnen. Selbst dann nicht, als er die Hüllen der Gesichter von Bargh und Zussa sah. Er drückte sie weg, wie lebloses schleimiges Leder. Da waren auch andere Gesichter. Da war Edda… und Heergren, dann Halbohr. Neire stieß sie hinfort, drückte sie weg, doch er wurde noch langsamer. Die merkwürdigen Formen rückten näher und das süße Wasser rann in seinen Mund hinein. Er wollte, doch er konnte nicht mehr schreien. Da war nur noch das Pochen. Der Schmerz kam in Wellen. Wieder und wieder. Harmonisch und vorhersehbar.
Neire wachte auf und zitterte am Körper. Sein Kopf pochte und sein nackter Körper war bedeckt von kaltem Schweiß. Er spürte ein Vibrieren des Bettes. Ein Knacken im Stein des Turmes. Draußen peitschten Sturmböen Schnee heran. Er konnte die Lichter Nebelgards nicht mehr sehen. Es herrschte aber noch tiefste Nacht. Die Wirkung des Grausuds war fast vergangen, die schrillen Farben verschwunden. Da war eine Leere in seinem Kopf, die ihn an sich zweifeln ließ. Er zog sich einen seidenen Nachtumhang über und bedeckte Eddas nackten Körper mit einer Decke. Ihre Haut schimmerte schneeweiß in der Dunkelheit. Dann trat er ans Fenster und blickte in den Wintersturm, der dort draußen tobte. Aus der Finsternis sah er bleiches Licht aufzucken. Etwas später folgte das dumpfe Grollen eines Donners. Es versuchte seine Gedanken zu klären, doch er sah nur diffuse Düsternis. Was hatte das alles noch für einen Sinn, fragte er sich. Dann spürte er, dass Tränen an seinen Wangen hinabrollten und er zitterte. Er unterdrückte ein Schluchzen; er wollte Edda nicht wecken. Die Welt um ihn herum schien leblos und leer. Er sehnte sich nach der feurigen Umarmung. Nach den Schattenflammen seiner Göttin, nach ihrem ewigen Reich. Meine Zeit ist gekommen hier und ich sollte gehen. Doch wie? Neire fasste weitere düstere Gedanken. Dann reifte sein Vorhaben. Er schlich sich durch das dunkle Gemach zur erloschenen Glut des Kamins. Dort kniete er sich nieder. Mit einigen Holzstücken entfachte er das Feuer erneut. Dann öffnete er leise eine der schwarzen Schatztruhen. Er wusste, dass er etwas finden musste, doch er wusste nicht was. Wie in einer Trance schritt er zurück zum Feuer, das mittlerweile dort brannte. Er blickte in die Flammen, sah die Schatten und weinte leise. Immer wieder legte er Holzscheite nach. Bis die Hitze des Feuers das Gemach erwärmte. Dann ließ er seinen Nachtumhang fallen. Hervor kam sein drahtiger Körper, seine bleich schimmernde Haut. Neire hatte mittlerweile ein Alter von 19 Jahren erreicht. Die drei Rubine der Herzsteine funkelten in seiner linken Schulter. Sein gesamter linker Arm war von dunklem Narbengewebe einer einst grausamen Verbrennung überzogen. Neire wischte sich die Tränen hinfort und begann in das Feuer zu klettern. Er spürte das Brennen, die verzehrende Hitze. Zuerst war da der Schmerz, dann hörte er nur noch das Rauschen und das Knacken der Flammen. Er wollte im Feuer vergehen, wollte hineinschreiten in die Schatten des Reiches seiner Herrin. Er erinnerte sich an den Abstieg der Menschenschlange des wahren Blutes. An ihre Vereinigung mit der schwarzen Natter tief im inneren Auge. Er dachte an das Gefolge, was mit der Menschenschlange des wahren Blutes hinabstieg. Es war sein Schicksal, an das er dachte – das Schicksal, das jedem Kind der Flamme vergönnt war. Die Flammen stiegen von seinen gold-blonden Locken auf. Doch da war kein Rauch, kein Glühen. Es war, als trüge er eine goldene Krone aus Feuer. Dann hörte er die Stimmen. Sie knisterten und sie knackten. Sie sprachen von den Runen seiner Göttin. Jetzt sah er sie schimmern in den Flammen. Da war Firhu, die Gabe von Feuer und Schatten, die für seine Werdung standen. Da war Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und von Opferung. Auch sah er Noraun, eine Rune die er zuvor noch nicht gesehen hatte. Sie stand für den ewigen Fluss von Dunkelheit in das Feuer und den fortwährenden Strom von Feuer in die Dunkelheit. Die Fäden, die Noraun spann, sollten in der unsichtbaren Unendlichkeit verwoben sein und von dort zurückführen. Sie sollten alle Konturen umspannen, die sich im Urmeer des unendlich dimensionalen Chaos brachen. Dann verstand er. Alles machte nun einen Sinn. Er griff nach dem, was er instinktiv aus der Truhe geholt hatte. Er trank, doch er trank nicht um zu vergessen. Flamme und Schatten drangen in ihn ein. Er spürte die Schmerzen, spürte seine Knochen sich verändern. Dann übermannte ihn die Pein. Er bemerkte nicht mehr, wie er aus dem Kamin stürzte und in das Gemach rollte. So blieb Neire im Schein des Feuers liegen. Glut funkelte auf seinem Körper. Er war nicht mehr der junge Mann. Das Feuer seiner Göttin hatte ihn verändert. Oder war es der Trank. Er, der dort lag, war Neire von Nebelheim, ein Jüngling im Alter von 15 Jahren. Ein Kind der Flamme, das aus Nebelheim geflohen war und seiner Göttin Jiarlirae diente. Sein Geist, nur, war älter und trug einen Teil IHRER Geheimnisse.
„Neire helft mir, kommt!“ Die Stimme war fern und doch so nah. Sie war in seinem Traum… oder nicht? „Neire, es hat begonnen. Wacht endlich auf!“ Neire wurde langsam wach. Seine Glieder schmerzten und er war noch immer nackt. Das Feuer war heruntergebrannt und ihn fröstelte. Aus den beiden Kristallfenstern kam mattes Licht. Der Schneesturm tobte noch genauso stark, vielleicht sogar stärker als zuvor. Böen brachten die Grundmauern des schwarzen Turmes zum Schwanken. Er richtete sich auf, zog sich seinen Nachtmantel über und bewegte sich zum Himmelbett. Dort lag Edda. Sie hatte ihre Decken hinfort gestrampelt und krümmte sich im Schmerz. Zwischen ihren Beinen sah Neire Schleim und Blut. Sie hielt sich ihren Bauch, hatte ihre Beine angewinkelt sowie gespreizt und biss die Zähne zusammen. Neire kniete sich auf das Bett und ergriff ihre Hand. Er bemerkte jedoch, dass Edda ihn erschreckt anblickte. „Ich bin jetzt bei euch und werde Lyssiva holen. Es wird alles gut.“ Edda biss die Zähne zusammen, doch ihre Augen wichen nicht von seinem Antlitz. Dann drehte sich Neire um und rief nach der Magd. Sie hatten Lyssiva vor einiger Zeit in den Dienst des Turmes gestellt. Die zierliche, kleine Frau mit den blonden Locken, den blauen Augen und dem schlanken, bleichen Gesicht hatte sich einst in der Akademie Schwarzenlohe beworben. Jedoch hatten ihre geistigen Fähigkeiten nicht gereicht, die schwarze Kunst zu meistern. So hatten sie Lyssiva im Turm der Schatten aufgenommen und sie im Glauben gelassen, sie würde eine Vorbereitung als Zauberlehrling durchlaufen. Es dauerte nicht lange und die Magd erschien in der Türe des Gemachs. „Was wünscht ihr mein…“ waren ihre Worte, die stockten, als sie Neire betrachtete. Dann fuhr sie zitternd fort. „Die Frau von Nebelheim, mein Prophet… wie kann ich euch dienen?“ Neire nickte ihr zu und fuhr sich über sein Gesicht. Irgendetwas hatte sich geändert. „Bringt mir frisches Wasser, saubere Tücher und meine Utensilien, die ich für diesen Tag vorbereitet hatte. Bringt sie mir sofort. Verliert keine Zeit.“ Lyssiva verbeugte sich und huschte hinfort, als sie einen weiteren Schrei von Edda hörte. Neire wendete sich wieder Edda zu, kniete sich neben sie und sprach ihr Mut zu. Er litt mir ihr und seine seltsamen Gedanken, die in den letzten Jahren immer stärker geworden waren, waren wie verflogen. Dann kam Lyssiva zurück und brachte den ersten Teil der geforderten Utensilien. Die Schreie von Edda wurden stärker und Neire hatte das Buch bereits aufgeschlagen, das er vor längerer Zeit vorbereitet hatte. Er begann ihren Leib zu untersuchen und erinnerte sich an die Werke, die er gelesen hatte. Er begann zu fühlen und zu drücken; er hielt Eddas Bauch. Doch schon bald spürte er, dass Jiarlirae ihnen wohl gesonnen war. Neire nahm eine Daumenspitze des Grausuds und beugte sich über Edda. Er schaute tief in ihre nachtblauen Augen. „Draußen tobt der Wintersturm, der den Tag verdunkelt und doch das Feuer bringt. Jiarlirae ist uns wohl gesonnen, die Opfer waren nicht umsonst. Die Gesichtslage ist richtig Edda und alles wird gut. Nehmt diese Kappe von Grausud. Es wird euren Schmerz lindern, meine Liebste.“ Edda lächelte Neire an und er spürte ihr blindes Vertrauen. Sie öffnete ihren Mund und leckte den Grausud von seinem Finger. Die Explosion der Farben war augenblicklich für sie. Schmerz löste sich auf in fast ertragbaren, nicht kontrollierbaren, spontanen Impuls. Sie konzentrierte sich auf ihre Muskeln, auf ihre tiefste Kraft. Sie presste und sie drückte, doch es war nicht willentlich. Sie hörte die liebliche Stimme von Neire in ihrem Ohr. Sie biss die Zähne zusammen und sie kämpfte. Sie kämpfte und sie klagte nicht. Dann hörte sie die zarten sanften Schreie. Erst eine Stimme und dann eine zweite. Sie betrachtete nicht die fahlen Farben des Fensters, bemerkte nicht das dumpfe Tosen des Wintersturms. Sie hörte die Stimmen und spürte die Wärme, als sie neues Leben in ihre Arme nahm. Es war das Leben, das sie durch die Gunst der Göttin hervorgebracht hatte. Tränen flossen über ihre Wangen. Dann schloss sie die Augen und sah vielfarbige Blitze in der Düsternis. Sie sprach ihren letzten Schwur zur Göttin von Flamme und Düsternis, bevor sie in Ohnmacht fiel.
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„Ich sehe, ihr habt euch in Dreistadt fürstlich eingerichtet, Eirold.“ Neire blickte sich um im Hauptturm, der drei Türme von Dreistadt. Er erinnerte sich zurück. Eirold Mittelberg war von ihm vor über einem Jahr in die Stadt geschickt worden, in der der Kult von Azathoth zuvor gehaust hatte. Er hatte den einstigen Dorfvorsteher von Wiesenbrück mit einer stolzen Kasse von 300.000 Goldstücken nach Dreistadt entsandt. Nach dieser langen Zeit und nach der Geburt seiner beiden Kinder, hatte sich Neire schließlich entschlossen, den Ort aufzusuchen, den er bereits zweimal erobert hatte. Er hatte sich Kraft seiner schwarzen Kunst durch Zeit und Raum bewegt und stand jetzt im Gemach von Eirold, das der neue Vorsteher von Dreistadt als höheres Geschoss auf dem mittleren der drei Türme erbaut hatte. Licht strömte aus wabenförmigen Bleiglasfenstern in einen Saal-ähnlichen Raum, der von Teppichen und Fellen ausgelegt war. Neben einem großen Himmelbett waren ein Thron und ein eleganter Schreibtisch zu sehen. Auf dem Schreibtisch lag eine große Karte, auf der Eirold Notizen gemacht hatte. Der Vorsteher von Dreistadt stand jetzt von seinem Thron auf und näherte sich Neire. Er trug eine rote Robe mit goldenen Verzierungen. Der über sechzig Winter alte Mann hatte seine beiden spärlich bekleideten jungen Gespielinnen bereits herausgeschickt und nach Skyghar Finsterhand rufen lassen, einem Schattenläufer und Diener von Meister Halbohr. Eirold verbeugte seinen Kopf mit dem dünnen grauen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen, Haar. Auf seiner faltigen Haut waren bereits Altersflecken zu sehen. „Ah, Neire von Nebelheim, mein Prophet. Es ehrt uns, dass ihr uns hier in Dreistadt besuchen kommt. Es freut mich, wieder einmal mit einem wahren Freund sprechen zu können.“ Neire nickte Eirold zu und erinnerte sich, wie er einst die Augen des Jensehers eingesetzt hatte. Eirold trat näher zu ihm heran, so dass Neire den blumigen Duft der beiden Gespielinnen vernehmen konnte, der dem Vorsteher von Dreistadt anhaftete. Als Eirold ihm die Hand schüttelte, fuhr der alte Mann fort. „Wie steht es um Meister Halbohr und… äh… ja, wie steht es um Bargh, den Drachentöter?“ Neire schüttelte mit dem Kopf, als er antwortete. „Ich habe noch nichts von ihnen gehört, doch das ist nicht der Grund wieso ich hier bin.“ Dann drehte sich das Kind der Flamme um und sagte. „Skyghar, kommt herein und berichtet mir.“ Durch die Türe und vorbei an den außenstehenden Wachen trat ein groß gewachsener, schlanker Mann, der in einen dunklen Ledermantel gekleidet war. Der Diener Halbohrs hatte langes schwarzes Haar, das er offen trug. Die schneeweiße Haut seines kantigen Gesichtes war von alten Narben einer einstigen Hautkrankheit geprägt. Wachsame stahlblaue Augen betrachteten Eirold und ihn. Skyghar nickte ihnen zu und gesellte sich wortlos zu Eirold. Hinter sich hörte Neire die Tür ins Schloss fallen. Dann begann Eirold wieder zu sprechen. „Ja, werter Freund, es gibt einiges zu berichten. Skyghar und ich waren nicht untätig. Unsere Macht in Dreistadt ist gefestigt und der Ausbau des Hafens schreitet voran. Die Lande des einstigen Protektorats von Dreistadt sind unter unserer Kontrolle und reichen von der Bucht von Glimmersflamm bis nach Heerebodden.“ Neire sah Skyghar grimmig nicken, als wolle er etwas dazu beisteuern, doch Eirold redete weiter. „Was gibt es sonst noch zu berichten? Nun, wir haben jetzt fast 100 Mann in Dreistadt unter Waffen. Ein Teil gehört zur Stadtwache. Ein anderer Teil bewacht die Wägen der Händler und treibt unsere Steuern ein.“ Eirold grinste bei seiner Wortwahl. „Es gab keine Angriffe von Riesen mehr. Nur noch kleinere, vereinzelte Angriffe von hungrigen Kreaturen aus den Bergen. Doch auch diese Angriffe wurden weniger. Es ist, als ob die Schwertherrscherin ihre schützenden Hände über uns ausgebreitet hätte, mein Prophet.“ Neire stimmte Eirold zu, gab dann aber zu bedenken. „Nun, es gibt noch keinen heiligen Ort von IHR in Dreistadt, doch Jiarliraes Macht ist groß. Mit der Hilfe der Schwertherrscherin wächst unser Einfluss beständig. Doch sagt, was ist mit der Adlerfeste, was ist mit Amria?“ „Sie tut treu ihren Dienst am Pass“, antwortete Eirold. „Sie entrichtet ihre Einnahmen nach Kusnir, die von dort aus in den Tempel des Jensehers gelangen. Unsere Geschäfte mit der Adlerfeste sind gering, daher haben wir nichts Weiteres von ihr gehört.“ Dann wurde die Miene von Eirold ernst. „Vor drei Monaten waren Abgesandte aus dem Reich von Vintersvakt hier. Diener des Frostes und ein Kryomant, genannt Aethelfryr von Briegeburg.“ Neire spürte, dass Eirold ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Die Verhandlungen waren schwer und ich wünschte mir, Meister Halbohr wäre hier gewesen. Nun, sie hatten bereits von Meister Halbohr gehört und sie wollten Waffen aus Ne’ilurum-Stahl kaufen. Wir einigten uns darauf Handel zu treiben. Alles andere sollen sie mit Meister Halbohr erörtern. In den letzten beiden Monaten gelangten bereits drei Schiffe zu uns, die unter der Flagge von Vintersvakt fuhren.“ Neire lauschte Eirold und dachte an die Geschichten Eddas aus ihrer Heimat. „Die Schiffe und die Abgesandten. Waren sie aus Vintersvakt? Waren sie aus dem fernen Süden?“ Jetzt war es Eirold, der verneinte. „Ein Schiff kam aus Vintervakt, ja. Die Abgesandten und zwei der Händlerschiffe waren aus Sturmhort am Ostend.“ „Gab es irgendwelche Vorfälle? Habt ihr Priester des Frostgottes gesehen, die mit ihnen waren.“ Eirold schüttelte mit dem Kopf, doch Skyghar trat hervor. Er hatte beide Hände auf die Dolche gelegt, die er im Gürtel trug und flüsterte Worte mit heiserer, heller Stimme. „Prophet, sie waren in der Stadt. Die Priester des Frostviggier und zwei Kryomanten. Sie kamen aus Sturmhort am Ostend. Sie stellten einige Fragen. Nach Meister Halbohr, nach den Ne’ilurum Minen und nach dem Tempel des Jensehers. Ihre Fragen konnten nicht beantwortet werden. Wäre es anders gewesen, hätten wir die allzu neugierigen Bürger verschwinden lassen.“ Neire nickte und sagte. „Tut was ihr für richtig haltet und berichtet an Meister Halbohr. Er wird bald wieder zurück sein. Ich habe die Zukunft in den Flammen unserer Herrin gesehen.“ Skyghar verbeugte sich vor ihm, raunte dann aber weiter. „Da ist noch etwas, mein Prophet. Unsere Späher berichteten von einem Aufstand in der Stadt Westwacht, einem Außenposten des Orumanischen Reiches am nordöstlichen Rande der Sümpfe der Swerwhinnamark. Bei der Stadt handelt es sich um das Protektorat des Orumanischen Reiches. Es wäre nicht weiter erwähnenswert. Die Grafschaften und Herrschaftsbereiche der Küstenlande befinden sich in Chaos und Bürgerkrieg. Wir hörten jedoch merkwürdige Berichte von Predigern, die dort aufgetaucht sein sollen. Sie prophezeien die Ankunft der Lichtkinder, der Lys’saihwan, die einst die Siegel brechen sollen. Sie predigen von einer heilenden Kraft in den Sümpfen. Die Massen folgen ihnen und wer weiß, wer sich zum Herrscher über Westwacht erhoben hat.“ Neire lauschte den Worten von Skyghar und nickte ihm zu. „Sind die Herrscher von Sturmhort am Ostend beteiligt? Hat Vintersvakt etwas damit zu tun?“ Skyghar zuckte mit den Schultern und auch Eirold wirkte unsicher. Neire hob den Zeigefinger seiner linken verbrannten Hand. „Seid wachsam und vorsichtig Skyghar. Lasst eure Männer den Geschehnissen in Westwacht nachgehen. Halbohr wird sich bestimmt der Sache annehmen. Nun sollten wir aufbrechen, Eirold. Ihr könnt mir den Hafen zeigen und ich möchte mit dem Meister der Wache sprechen.“
Nachdem Eirold sich fertig gemacht hatte, waren sie zum Hafen von Dreistadt aufgebrochen Auch Skyghar Finsterhand war ihnen gefolgt. Neire hatte Eirold auf dem Weg von der Geburt seiner Zwillinge erzählt. Er hatte zurückgedacht an die Stunden nach der Geburt, als er mit Edda glücklich im Bett gelegen hatte. Edda war erschöpft gewesen, doch sie hatte sich schnell erholt. Er hatte sie gefragt, welche Namen sie dem Jungen und dem Mädchen geben wollte. Sie hatte gesagt, dass der Junge Faust heißen solle. Dann hatte sie darauf beharrt, dass er den Namen für das Mädchen aussuchen solle. Neire hatte sich zurückerinnert an Nebelheim. An das, was einst war. Und so hatte er Lyriell als Namen bestimmt. Edda hatte gelacht und ihn geküsst. So soll es sein, hatte sie gesagt. Faust und Lyriell von Nebelheim sollten die beiden heißen. Eirold, der Vorsteher von Dreistadt, hatte Neire gefragt, während er erzählt hatte: Nach der Sturmnacht und ob die Geburt der Zwillinge ein Omen sei. Sie hatten mittlerweile die Baustelle des Hafens erreicht, der als felsiger Einschnitt in die Küste von Dreistadt geschlagen worden war. Von den Klippen betrachten sie die Baustelle zweier großer Speicherhäuser, die als Fachwerkbauten in den Stein der Steilwände getrieben wurden. Neben dem Geschrei von Möwen, hörten sie die Rufe der Handwerker hallen. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und obwohl es Winter war in den Küstenlanden, wehte ein milder Wind vom Meer heran. „Omen gibt es viele Eirold. Doch sie offenbaren sich in den Flammen und Schatten von Feuer und Glut.“ Sie waren gerade an der Baustelle angelangt und blickten hinab in das Hafenbecken, das dort unten grünlich schimmerte. Handwerker, die an ihnen vorbeikamen, hatten Eirold, den Vorsteher von Dreistadt mit Verbeugungen begrüßt. Neire legte dem älteren Mann eine Hand auf die Schulter und sagte. „Faust und Lyriell waren kein Omen, Eirold. Sie waren ein Geschenk von Jiarlirae. Wie sollte die Göttin mir sonst die Dualität von Flamme und Düsternis zeigen, als mit diesen wundervollen Zwillingen. Es ist diese Dualität, die aus dem Gegensatzpaar ihrer Geheimnisse, Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit sowie Mann und Frau erschaffen hat. Das Licht der schwarzen Sonne war in jener stürmischen Winternacht bei uns und Faust und Lyriell werden bald schon nach den Geheimnissen unserer Herrin greifen.“
Jenseher:
Es waren in ihrer Welt fast vier Jahre vergangen, seitdem sie ihre Reise nach Urrungfaust angetreten hatten. Sie waren schließlich doch zurückgekehrt in den Tempel des Jensehers. Zussa war erstaunt und beeindruckt von der Veränderung im Tempel und in Nebelgard. Sie hatte bereits ein paar Tage in ihren Gemächern und in der Stadt verbracht, bevor sie mit Bargh die Höhlen, den Tunnel und die Stadt erkundet hatten. Dann war sie von einer Zofe abgeholt worden, die sich ihr als Lyssiva vorgestellt hatte. Zussa hatte die zierliche Frau mit den blonden Locken, den blauen Augen und dem schlanken, bleichen Gesicht bereits anschnauzen wollen, dann hatte sie aber Bargh gesehen, der bereits an einer Ecke des von schwarzen Kerzen erhellten Ganges gewartet hatte. Zussa hatte schnell ihre Sachen gepackt und war zusammen mit Bargh Lyssiva gefolgt. So war sie in das Gemach von Neire gelangt. Aus dem Raum, dessen Wände teils von kostbaren Tierfellen bedeckt waren und eine Flagge mit der Rune Jiarliraes zeigten, war ihr warme Luft entgegengeströmt. Zussa hatte fasziniert die mit schweren Wälzern gefüllten Bücherregale betrachtet, die im Licht von immerbrennenden schwarzen Kerzen eine gewisse Anziehung auf sie bewirkt hatten. Auch die kostbare Einrichtung hatte sie wahrgenommen, dann aber das Schreien gehört. Vor einem Schreibtisch aus edlem, dunklem Holz hatte Neire gestanden, der ein Kleinkind von etwa einem Jahr im Arm trug. Neire war in seine schwarze Sternenrobe gekleidet. Er lächelte Zussa an und schien keinen einzigen Tag gealtert. Ja so hat er ausgesehen, als er mich damals aus dem Gefängnis befreit hatte, dachte sie und begrüßte ihn freudig. „Neire, ihr seht so unverändert aus, so jung, wie ein Kind…“ Neires Lächeln wurde größer und er strich sich seine gold-blonden Locken zurück. Dann bemerkte Zussa ein Räuspern, das von einem großen, dunklen Himmelbett kam. Dort saß eine junge Frau in einem Nachtgewand, die gerade ein zweites Kind stillte. Zussa starrte die Frau mit geöffnetem Mund an, betrachte ihr schwarzes, volles Haar, das sie sich mit saphirgeschmückten Silbernadeln zu einer Rebe gesteckt hatte. Sie gaffte das zweite Kind an, das von ähnlichem Alter war, wie das, was Neire trug. Beide Kleinkinder hatten feines gold-blondes Haar. „Habt ihr euch eine Dirne genommen, Neire?“ Zussa konnte nicht glauben, was sie vor sich sah. „Ich freue mich auch euch zu sehen, Zussa und Bargh. Ihr erinnert euch vielleicht… ich bin ein Kind der Flamme und werde es für immer sein. Aber genug davon… Ich möchte euch natürlich meine Frau vorstellen, die Mutter unserer beiden Kinder. Bargh, Zussa, das ist Edda von Nebelheim.“ Neire drehte das Kind in seinem Arm, das für einen Augenblick verstummt war und sie mit großen Augen betrachtete. Dann fuhr er weiter fort. „Das ist Lyriell von Nebelheim, unsere Tochter.“ Er blickte hinüber zu Edda und sprach. „Und das ist Faust von Nebelheim unser Sohn. Sie wurden als Zwillinge geboren. Ein Geschenk unserer Herrin von Flamme und Düsternis.“ Zussa konnte es immer noch nicht glauben. Ihr war es egal, dass sie Neires Frau als Dirne beleidigt hatte. Sie bemerkte auch nicht, dass Bargh sich in Richtung Edda verbeugte, als er sprach. „Frau von Nebelheim, es ist mir eine Freude euch kennenzulernen. Ich beglückwünsche euch zu eurem Nachwuchs.“ Zussa ging mit offenem Mund auf Neire zu und streckte ihre Hand nach dem kleinen Mädchen aus. In dem bereits hübschen Gesicht schimmerten zwei sternenblaue Augen. Sie begann auf eine Backe von Lyriell zu drücken, doch das Kind fing augenblicklich an zu schreien. „Das heißt nicht, dass euch Lyriell nicht mag Zussa. Ihr solltet sie nur so behandeln, wie man ein Kind behandelt.“ Zussa grinste Neire hämisch an und kicherte. „Noch mehr von eurer Sorte Neire? Ich weiß nicht, ob ich das verkraften kann.“ Sie erwarte eine Reaktion des Propheten, doch Neire wendete seinen Blick in Richtung der Tür. „Kommt herein Meister Halbohr. Herzlich willkommen im Tempel des Jensehers.“ Zussas Laune sank, als sie den Schatten Halbohrs sah, der sich durch die Türe schlich. Sie dachte sich, dass Halbohr mal wieder gelauscht hätte und warf ihm einen ihrer bösen Blicke zu. Halbohr beachtete sie nicht und erhob das Wort. „Ich sehe ihr wart nicht untätig Prophet. Der Tempel des Jensehers und Nebelgard haben sich zum Guten gewandelt. Die Krieger, die ihr gesammelt habt, sind stark. Es ist ein Anfang.“ Neire nickte Halbohr zu, dessen linke Gesichtshälfte von verbrannter Haut überzogen war. Auch die einstige Narbe seines fehlenden Ohres war von wildem, verbranntem Fleisch überwuchert. Sein Haar schien dort auszufallen und er hatte sich anscheinend das vernarbte Gewebe an einigen Stellen blutig gekratzt. Die Wunde hatte sich bis zu seinem Mund verbreitert, so dass das Sprechen für ihn nicht leicht war. Zussa war bereits jetzt schon gelangweilt, setzte sich auf den Rand der Badewanne aus Ne’ilurum und begann mit ihrem kostbaren Säbel zu spielen. „Der Handel mit Unterirrling, Urrungfaust und Kusnir floriert und Nebelgard ist gewachsen. Vor anderthalb Jahren haben wir Dreistadt und die Adlerfeste erobert. Ich habe Eirold Mittelberg dorthin entsandt. Der alte Dorfvorsteher ist ein fähiger Mann und er hat mir gut gedient. Einer eurer Schergen, der Schattenläufer Skyghar Finsterhand, begleitete ihn. Doch ihr solltet selbst dort nach dem Rechten schauen. Ich schickte Eirold damals mit einer Menge Gold. Er sollte den Hafen von Dreistadt ausbauen lassen und den Handel mit dem südlichen Reich von Vintersvakt beginnen.“ Zussa hörte Neire erzählen und Halbohr fragen. So wechselte sich das ab. Sie musste immer wieder gähnen. Als Neire vom Kampf um die Adlerfeste erzählte und vom Kult des Azathoth, horchte sie für einen Augenblick auf. Schließlich hörte sie Halbohr sagen. „Wieso habt ihr euch nicht um den Nordosten und den Norden gekümmert. Wieso nicht um den Osten von Dreistadt?“ Zussa bemerkte, dass Neires Augen wach funkelten und sein zischelnder, lispelnder Singsang schärfer wurde. „Ich habe eure Arbeit in eurer Abwesenheit getan, Meister Halbohr. Doch ich bin ein Kind der Flamme und IHR Prophet auf Euborea. Ich habe andere Dinge zu tun. Vergesst das nicht!“ Halbohr nickte und Zussa hörte ihn bereits Pläne in sich hineinmurmeln. „Ich habe sogar einen Vertrag für euch abgeschlossen, Halbohr – einen Pakt. Obwohl es mir zuwider war. Aber ich habe es in eurem Namen getan.“ Zussa lachte prustend, als sie Neires Worte hörte. Sie bemerkte wie Halbohr sie boshaft anschaute und seine blutverschmierte Hand, instinktiv zu seinem triefenden Einhorndolch ging. „Halbohr, habt ihr das gehört. Neire hat einen Vertrag für euch abgeschlossen. So steht es also um euch, so tief seid ihr schon gesunken…“ Halbohr funkelte sie an und knirschte mit den Zähnen. „Lasst mich ihn sehen. Habt ihr alles schwarz auf weiß?“ Neire schüttelte mit dem Kopf und antwortete. „Nein Halbohr, ihr wisst doch, dass ich so etwas hasse. Die Kommandantin der Adlerfeste, Amria, hat mir ihr Wort gegeben euch zu dienen. Sie ist eine fähige Kriegerin, aber so sehr einfältig. Ihr solltet euch ihrer annehmen.“ Zussa verdrehte die Augen und gähnte erneut. Dann begann sie wieder mit ihrer Waffe zu spielen. Neire sprach weiter, doch sie hörte nicht mehr richtig zu. „Eure Schergen berichteten von der Sphäre der Dunkelheit über Aschwind. Die Stiurmark gilt als verflucht. Die Milizen haben sich zerstreut und die Einwohner sind geflohen. Doch sie erzählten, dass es einige Expeditionen in den Höllenkessel gab. Sie kamen aus dem Fribönder Land oder sogar aus dem Orumanischen Reich. Die Späher konnten mir nicht sagen, wer die Geldgeber waren; wer hinter den Vorhaben steckte. Es gab Gerüchte über eine Diebesbande, die sich das Triumvirat der Drei nennt. Andere Gerüchte sprachen von drei Königen. Wieder andere sagten, es solle sich um drei mächtige Wirker der schwarzen Künste handeln. Nun, keine der Expeditionen kam zurück. Berichten zufolge drangen sie in die Gegend um die Festung des einstigen König Isenbuks vor.“ Zussa erhob sich, steckte mit einer schnellen Bewegung ihren Säbel hinfort und schlenderte zu Edda. Sie beachtete den Dialog zwischen Halbohr und Neire nicht mehr. Ab und an hörte sie auch die Stimme von Bargh. Sie blickte den niedlichen Faust an, der friedlich an Eddas Brust trank. Sie beugte sich über das Kind und erinnerte sich an die missgestalten Bälger von Urrungfaust. Doch bei Faust konnte sie keinerlei Deformationen erkennen. „Und noch eines Halbohr,“ sagte Neire gerade im Hintergrund. Er kam dabei zu Edda, die den schlafenden Faust auf das Bett legte. Dann übergab Neire ihr die kleine Lyriell, die Edda begann zu stillen. „Wir vernahmen Gerüchte aus dem östlichen Teil der Swerhwinnamark. Die Stadt Westwacht, die dort in den Sümpfen liegt, war seit langem ein Außenposten für das Orumanische Reich. Doch wir hörten, dass die Stadt rebelliert hat. Vielleicht hat es etwas mit dem Reich von Vintersvakt zu tun, dass sich seit einiger Zeit in den Küstenlanden etabliert hat. Die Grafschaft von Sturmhort halten sie dort besetzt.“ Zussa drehte sich jetzt um und sah Halbohr mit ernster Miene nicken. „Wir werden uns schon ihrer annehmen. Wenn sie sich uns entgegenstellen, werden wir sie zermalmen.“ Jetzt war es Edda die ihre klare Stimme erhob. Sie musterte Halbohr dabei. „Ihr solltet Vintersvakt nicht unterschätzen, Meister Halbohr. Ich selbst bin dort aufgewachsen. Bis mich mein Vater, Einhard von Hohenborn, nach Sturmhort am Ostend geschickt hat. Die hohen Priester, die Männer des Eises, dienen einem grimmigen Gott, dessen Name Frostviggier ist. Frostviggier ist der ewige Winter, der die Schwachen ausmerzt und die Starken mächtiger macht. Sie herrschen Hand in Hand mit einer Kaste von Schwarzkunstwirkern. Sie sind als Kryomanten bekannt und gefürchtet. Meister des Frostes, die den ewigen Winter beschwören und denen übernatürliche Fähigkeiten nachgesagt werden.“ Edda hatte Zussas Aufmerksamkeit gewonnen und sie hatte gespannt ihren Erzählungen gelauscht. Als Halbohr wieder anfing von seinen Planungen zu sprechen, hatte Zussa genug. Sie schaute wütend Bargh an und wollte, dass er ihr folgte. Doch der dunkle Ritter mit dem verbrannten Gesicht blieb bei Neire. Schnaubend und fluchend rannte sie hinaus, durch die düsteren Gänge des werdenden Heiligtums ihrer so geliebten Göttin.
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Neire schlich durch den natürlichen Tunnel tief unter der Erde. Aus der Ferne hörte er klar ein leises, kontrolliertes Flüstern. Es war nur kurz und nur in unregelmäßigen Abständen zu hören. Vor ihm begann der Gang sich in eine Höhle zu verbreitern. Er konnte kalkartige Säulen von Tropfsteinzapfen erkennen, die von der Decke hinab- und vom Boden hinaufragten. Hier und dort lagen Steine. Moosartige Gewächse wuchsen an verschiedenen Stellen und verbreiteten ein schwaches fluoreszierendes Licht. Neire hielt für einen Augenblick inne, lauschte und erinnerte sich zurück. Sie hatten mit Halbohr vereinbart, den Expeditionen nachzugehen, um so dem Triumvirat der Drei zuvorzukommen. Halbohr hatte mit Edda im Tempel des Jensehers bleiben sollen. Bargh, Zussa und er selbst hatten den Geschehnissen nachgehen wollen. Sie hatten vor ihrer Abreise noch eine längere Zeit mit dem Studium der Bücher verbracht, die Bargh, Halbohr, Zussa und Lyrismar auf ihrer Reise erbeutet hatten. So hatten sie sich schließlich vorbereitet und das Weltenportal benutzt, das von Neire schon vor langer Zeit erneuert wurde. Halbohr hatte mit einigen Kriegern der Duergar ihre Abreise überwacht und ihnen eine kurze Zeitspanne für ihre Rückkehr gelassen, bevor er das Portal schloss. Zussa hatte sich mit einigen schnellen Bewegungen ihres Säbels verabschiedet und Neire hatte bemerkt, dass sie das nicht tun sollte, wenn Funkenträger in ihrer Nähe sei. Daraufhin hatte sie Halbohr schmollend angeschaut und ihn angebettelt: „Halbohr bitte… passt auf Funkenträger auf, wenn ich weg bin. Bitte Halbohr, bitte…“ Halbohr hatte zähneknirschend genickt und so waren sie durch den schwebenden Spiegel aus milchigem Quecksilber geschritten. Ihre Berechnungen waren nicht falsch gewesen und so waren sie in der Höhle aufgetaucht, in der sie einst gegen Eclavdra aus dem Hause Eilserv gekämpft hatten. Sie hatten den Fluss aus brodelndem Magma über die metallene Hängebrücke überquert und vor dem Tunnel in die Tiefe nach Spuren gesucht. Bargh hatte die Paare mehrerer Spuren entdeckt, von denen ein Teil mehrere Monate und ein anderer Teil etwa einen Monat alt war. Es hatte sich bei einigen Abdrücken um leichtes Schuhwerk kleinerer Größe gehandelt. Sie waren dann dem Tunnel gefolgt und Neire hatte die Karte hervorgeholt, die sie einst Eclavdra abgenommen hatten. Sie hatten sich an die dunkelelfischen Runen erinnert, die sie bereits damals entschlüsselt hatten und die mit einer Legende versehen waren. Sie konnten dort lesen:
Rune 1: Wachposten,
Rune 2: Wachposten (alt),
Rune 3: Gehege,
Rune 4: Brücke über Schwarzstrom,
Rune 5: Fischmäuler,
Rune 6: Grenzposten,
Rune 7: Friedhof,
Rune 8: Sternenhalle.
Von dem Namen Sternenhalle hatten sie alle bereits mehr oder weniger gehört. Sie hatten gewusst, dass es sich um ein riesiges unterirdisches Gewölbe handelte, in dem es seltsame Lichterscheinungen gab. Es gehörte wohl als Herzstück zum Dunkelelfenreich. Auch eine dunkelelfische Stadt, die von oberweltlichen Schreibern zuletzt auf 15000 dunkelelfische Einwohner und eine unbekannte Menge an Sklaven geschätzt wurde, sollte sich in dieser Höhle befinden. Zussa war sogar den Namen der Stadt bekannt gewesen, der bis in die Bücher der Gelehrten der Oberreiche als Erelhei-Cinlu geläufig war. Sie hatten sich nach einer kurzen Beratung entschieden, den Spuren in den Tunnel zu folgen, der beständig in die Tiefe führte. Die Luft wurde langsam kühler und der Wuchs von merkwürdigen fluoreszierenden Pflanzen nahm zu. Neires Stimmung hatte sich beständig verbessert und so hatte er Bargh und Zussa leise erzählt. „Ihr sagtet Zussa, dass ich aussähe wie früher und ihr habt recht. Ich bin ein Kind der Flamme und werde es für immer sein. Die Kinder der Flamme waren in ihrem Schicksal vorbestimmt für den Abstieg ins Innere Auge von Nebelheim. Es waren nur die Älteren, die mit der Menschenschlange des reinen Blutes in das Reich unserer Herrin reisten. In der Zeit, in der ihr fort wart, habe ich viel darüber nachgedacht. Es hat mich fast verrückt gemacht. Ich fing an zu trinken, viel zu viel Grausud zu nehmen und gab mich seltsamen Forschungen hin. Doch als ich den Trank nahm, der meinen Körper, nicht aber meinen Geist verjüngte, wurde alles wieder anders. Ich bin wieder der alte Neire, doch ich bin weiser und mächtiger als zuvor.“ Zussa hatte geschnaubt. Sie hatte dann Neire unterbrochen. „Ich würde nicht jünger werden wollen, Neire. Halbohr würde mich dann weiter als Mädchen bezeichnen, obwohl ich es hier oben gar nicht mehr bin.“ Dabei hatte Zussa auf ihren Kopf gezeigt. Neire hatte gelächelt und während sie sich weitergegangen waren, hatte er erzählt. „In diesen Wirren Geisteszuständen habe mich mit schwarzer Kunst beschäftigt, die weit abseits vom richtigen Pfad liegt. Die meisten Einfälle musste ich verwerfen. Doch durch das Studium einiger alter Wälzer konnte sie rekonstruieren. Ich spreche von der Magie des Mondes, die im Laufe der Zeit vergessen oder gar getilgt wurde aus den alten Schriften. Es war vor tausenden, vielleicht vor zehntausenden Jahren, als sie zuletzt benutzt wurde. Sie benutzt die Wechselwirkung, die durch Licht und Schatten des Mondes entsteht. Und sie kann auch nur dann Wirken, wenn sein silberner Glanz strahlt. Nur durch die Mondmagie gelangt man so einfach an die Lebensessenz intelligenter Wesen. Alle anderen Wege sind um ein Vielfaches schwieriger. Stellt euch vor, welche Macht wir haben werden. Wir werden uns die Jahre anderer nehmen und sie von unserer Uhr hinabzählen. Auf dass wir ewig leben. Auf dass ich auf ewig ein Kind der Flamme bleiben kann.“ Neire hatte gelacht und Zussa und Bargh waren in seinen Bann gezogen worden. Dann hatte er gesagt. „Oder wollt ihr alt werden Zussa? Wer war der älteste Mensch, den ihr kantet?“ Zussa hatte kurz nachgedacht. „Eine alte Schachtel aus meinem Dorf. Irgendwann ist sie gestorben und sie haben sie hinter der großen Scheune vergraben… Nein Neire, ich will keine alte Schachtel werden, die hinter einem Schweinestall begraben wird!“
Jetzt verdrängte Neire die Erinnerungen an seine neue Magie. Er dachte auch nicht mehr an den weiteren Weg hierher. Auch nicht daran, wie er das Geräusch gehört hatte und wie er vorgeschlichen war. Er bewegte sich leise vorwärts; im Schutze seines Tarnmantels. Dann sah er die beiden Wachen. Es waren zwei Krieger der Größe zwölfjähriger Menschenjungen. Beide waren in Kettenhemden eines dunklen Stahls gekleidet. Beide hatten matt schimmernde Langschwerter gezogen. Der eine besaß kurzgeschorenes platinfarbenes Haar, während der andere lange graue Haare hatte. Neire kam immer näher und konnte die Gesichter erkennen. Sie trugen längst verheilte Narben in ihrer steingrauen Haut und hatten feine, elfisch-schlanke Züge. Beide blickten jedoch aus violett schimmernden Augen einer boshaften Niedertracht. Neire schlich sich in den Rücken einer der Krieger. Die Stimmen kamen nicht von ihnen, sondern aus den Tunneln beider Seiten, die vom Hauptgang hinfort führten. Von dort konnte er ab und an einzelne Sätze hören. Sein Herz raste, doch er musste als erster handeln. Er musste angreifen, bevor sie Zussa und Bargh hören konnten. Er platzierte den Degen und stieß zu. Die Waffe aus grünlich schimmerndem Stahl war fast durchsichtig und wie aus einem Stück geschmiedet. Um den Griff herum ragten acht natürliche Spitzen wie Dorne und Widerhaken hinweg. Nur der Griff der Chaoswaffe war mit weichem Leder umwickelt. Die Waffe glitt fast ohne Widerstand durch den Leib des Kriegers. Sie durchstieß sein Herz und ragte aus der Brust hervor. Augenblicklich wandte sich sein Kamerad um und suchte den Angreifer. In seinen Augen war furchterfüllter Hass zu sehen. „Wir werden angegriffen!“ Die Gestalt hieb mit ihrem Schwert und schrie in der Sprache der Dunkelelfen. Ihre Schläge gingen ins Leere, denn Neire war bereits in einen Gang zurückgewichen. Er lauerte in den Schatten und hoffte auf das Erscheinen seiner Mitstreiter. Als er die nächsten Krieger herbeieilen sah, stieß er wieder zu und zog sich zurück. Er tötete aus dem Dunkel. Einen nach dem anderen. Sie schlugen nach ihm, doch er war eins mit den Schatten und er war zu schnell. Er sah die beiden Kriegerinnen, die von der anderen Seite kamen. Sie waren sehr jung, hatten vielleicht ein menschliches Vergleichsalter von 16 Jahren. Eine hatte silberne Locken. Die andere trug lange graue Haare. Beide waren von schönem Antlitz, trugen Kurzschwerter und Kettenhemden. Neire zog sich wieder in die Schatten zurück. Er hörte das Gemurmel eines Spruches, das auf die Stelle abzielte, von wo er zuvor angegriffen hatte. Eine weitere Frau mit plumpem Gesicht, einer langen, olivgrünen Robe und einem Kettenhemd war aus einem der Tunnel der anderen Seite hervorgetreten. Sie hatte einen Streitkolben und trug eine Messingbrosche eines zusammengezogenen Auges. Außerdem hing das schwarze Amulett der Spinnengöttin um ihren Hals. Neben ihr war ein Mann in einem langen Ledermantel erschienen, der ölig glänzte. Er trug eine Handarmbrust und hatte langes, platinernes Haar. Neire stach zu und tötete einen weiteren der Krieger, die von seiner Seite gekommen waren. Die Dunkelelfen reagierten und richteten ihre Magie auf diese Stelle. Der Dunkelelf hatte seine Armbrust fallenlassen und wob seine schwarze Kunst. Doch wieder war Neire schneller. Eine Kugel aus Säure zerplatzte und fraß sich in ihre eigenen Soldaten. Auch der Schlafzauber der Priesterin ging ins Leere. Neire schlich sich von einem Ort an den anderen und stach zu. Eine der beiden jungen Kriegerinnen starb blutüberströmt. Wieder hastete er hinfort und sah, wie die Luft um ihn herum zitterte. Eine Lanze der Macht zerfetzte weitere der ihn angreifenden Dunkelelfen. Als die Leichen der Krieger den Höhlenboden bedeckten, zeigte er auf den Mann und beschwor seinen Fluch. Danach widmete er sich der Frau. Als Bargh und Zussa endlich heranstürmten, sahen sie die blutüberströmten Leichen und die beiden zitternden Dunkelelfen, die wie eingefroren schienen. Schnell drückten sie die beiden zu Boden und begannen sie zu fesseln und zu knebeln.
Jenseher:
Es war Stille eingekehrt nach dem Kampf. Einzig das schnelle Atmen von Neire, Bargh und Zussa war zu hören. Um sie herum war die dunkle Kaverne, in der sie das nasse Glitzern von Stalaktiten und Stalagmiten sehen konnten. Kleine schwache Lichtpunkte blasser Glühwürmchen tauchten wie aus dem Nichts auf und verschwanden wieder. Ihre Leuchtkraft war zu schwach, um auch nur kleine Bereich zu erhellen. Die Dunkelheit machte die Gerüche intensiver. Sie vernahmen einen modrigen Hauch, der jedoch von dem Gestank von verbranntem und verätztem Fleisch sowie von frischem Blut überdeckt wurde. Neire kam gerade aus den anliegenden Tunneln zurück. Der Jüngling mit den gold-blonden Locken hatte sich einzelne Spritzer fremden Blutes in seinem Gesicht verwischt. Er schüttelte mit dem Kopf und blickte seine Mitstreiter an. „Es waren alle von ihnen. Das Lager scheint noch nicht alt zu sein. Außer Vorräten und einigen wertlosen Gegenständen, habe ich nichts gefunden. Die Männer müssen auf einer Seite und die Frauen auf der anderen gerastet haben.“ Neire deutete mit seiner, durch dunkle Brandwunden vernarbten Hand in Richtung der fortführenden Gänge. „Gut, dann können wir also endlich anfangen. Ich beginne mich zu langweilen,“ erwiderte Zussa, die über dem Körper des Dunkelelfen mit dem langen, platinernen Haar saß und immer wieder seinen Kopf auf den Stein rammte. Neire nickte und zeigte auf die Frau, die von Bargh fixiert wurde. „Wir fangen mit ihr an. Entfernt den Knebel.“ Bargh nickte und wendete seinen vernarbten, großen Schädel der Dunkelelfin zu. Neire sah die Angst in ihren Augen, als sie den roten Rubin sah, der sein rechtes Auge ersetzte und mit seiner Haut verwachsen war. Neire kniete sich über der Dunkelelfin nieder, als Bargh den Knebel entfernte. Er betrachtete ihre Brosche. „Sind alle Frauen eures Hauses so hässlich? Ich kannte einst eine Dunkelelfin aus dem Hause Aleval und sie stand euch nicht nach, in eurem abscheulichen Aussehen. Doch nun ist sie tot… was für ein Jammer.“ Neire zischelte die Worte in der dunkelelfischen Sprache und wartete auf eine Reaktion. Als die Dunkelelfin ihn anspucken wollte, schnellte seine Hand nach vorne und packte sie am Kiefer. Neire spürte die Kraft des magischen Gürtels, den Halbohr ihm aus Urrungfaust mitgebracht hatte und den er jetzt trug. „Wer seid ihr und was ist eure Aufgabe hier? Antwortet!“ Als die Dunkelelfin schwieg, schaltete sich Bargh ein. „Wir können euch laufenlassen. Doch sie dort kann euch in eine Spinne verwandeln und ihr würdet auf immer in den Tunneln wandeln.“ Neire, Bargh und Zussa konnten das Grauen in den Augen der Frau sehen, als die Dunkelelfin begann sprechen. Ihre Stimme war vor Arroganz und Hochnäsigkeit kaum zu ertragen. „Ich habe meiner Herrin stets treu gedient. Ich habe sie noch nie enttäuscht und habe nichts zu befürchten.“ Zussa war sichtlich erbost und antwortete gebrochen in der Sprache der elfischen Unterreichsbewohner. „Lasst sie uns töten, sie ist den Aufwand nicht wert und sie widert mich an.“ Neire nickte Zussa zu, erhob sich und wendete sich dem zweiten Gefangenen zu. „Entfernt den Knebel Zussa. Vielleicht will dieser Mann ja leben.“ Er sprach weiter auf dunkelelfisch. „Wir können euch gehen lassen. Ihr sagt uns wie sie sterben soll. Habt ihr euch das nicht schon immer gewünscht? Also sprecht!“ Der Mann zitterte und schaute unterwürfig die Frau aus dem Hause Aleval an. „Ja, ihr könntet sie einfach töten. Ihr den Kopf abhacken. Ein schneller sauberer Tod. Ihr könnt mich laufenlassen. Ich bin ein Nichts, völlig unwichtig und habe nichts gesehen.“ Neire lachte und stieß Zussa neckisch mit seinem Ellenbogen an. „So uninspiriert, so langweilig. Enttäuscht mich nicht, Elf!“ Zussa fiel in sein Lachen mit einem irren Kichern ein und erhob sich. Sie schritt zu der Frau und begann rituelle Formeln zu murmeln. Sie hatte einen Kokon eines Seidenspinners hervorgeholt, aus dem ein Faden hervorkam, mit dem sie die Dunkelelfin umwickelte. Schon bald begannen die silbrige Umschlingung von allein zu wachsen und die Frau zu umgarnen. Dann verschwand die Priesterin vollständig unter dem neuen Kokon aus Seide. Zussa lachte immer noch, als sie ihren Spruch beendete. Sie blickte sich um und Neire und Bargh konnten einen rötlichen Schimmer in ihren grünen Augen sehen. Für den Moment war ihr Gesicht von dämonenhaften Schatten durchzogen. Aus dem Kokon hörten sie alle ein Kacken von Knochen und ein Schmatzen von Fleisch. Dann sahen sie, wie das Geflecht von innen heraus aufgebrochen wurde. Zuerst tasteten sich lange dünne Beine hervor. Dann erschien eine Weberspinne, der Größe einer menschlichen Hand. Bargh packte zu und griff nach der Spinne. In der Vielzahl von Augen konnten sie eine höhere Intelligenz sehen. Aber da war nur Wahnsinn und Furcht. Die Spinne machte zuckende Bewegungen in Barghs Hand, wurde dann aber langsamer und erstarrte schließlich, in ihrem Tode. Bargh richtete sich jetzt auf und sagte auf Dunkelelfisch. „Was für eine schwache Kreatur. Sehet sie als Zeichen ihrer schwarzen Göttin, wie sie uns unterlegen ist.“ Dabei knirschte der Antipaladin mit den Zähnen und zerquetsche die neugeborene und doch tote Kreatur in seinem Panzerhandschuh. Den Schleim klatschte er mit einer abfälligen Bewegung auf einen Tropfstein, wo der zerstörte chitinerne Körper mit einem Flatschen kleben blieb. Neire wendete sich wieder dem Mann zu, in dessen Augen totales Grauen war. „Ihr… ihr wollt mich gehen lassen? Ich erzähle euch alles. Alles was ich weiß.“ Neire nickte und wendete sich ihm zu. „Wer war sie und was macht ihr hier?“ Bibbernd antwortete der Mann. „Ihr Name war Dhaugara de’Aleval. Eine Priesterin der Spinnengöttin, aus dem Hause Aleval. Wir… wir wachen hier. Sollen Ausschau nach Eclavdra halten.“ Neire lachte. „Dann seid ihr Narren. Eclavdra ist lange tot.“ Die Augen des Dunkelelfen wurden noch größer. „Eclavdra tot?“ Neire nickte und holte die Karte hervor, die sie Eclavdra einst abgenommen hatten. Er zeigte auf die Rune und hielt das Pergament dem Mann vor die Augen. „Was hat es mit dem Gehege auf sich? Was befindet sich dort.“ Der Mann nickte und antwortete. „Es… es sind Sklaven. Troglodyten. Sie werden von anderen Sklaven bewacht. Von Grottenschraten.“ Neire starrte ihn an und fragte: „Gibt es weitere von eurer Rasse dort?“ Die Stimme des Dunkelelfen wurde jetzt fast weinerlich. „Ihr lasst mich gehen, ja? Ich bin unwichtig und werde nichts erzählen. Ich habe euch nie gesehen.“ „Antwortet ihm!“ Brüllte Bargh. „Es gibt Dunkelelfen dort. Nicht viele und ich weiß nicht, wer es ist.“ Bargh schrie den Mann weiter an. „Ihr kommt aus Erelhei-Cinlu? Wie weit ist es bis zur Stadt?“ Für einen Augenblick erstarrte die Gestalt, dann fing er wieder an zu zittern. „Ja… ja… ich komme dorther. Es ist weit. Einige Tagesreisen durch die Tunnel.“ „Und wie kommen wir in die Stadt hinein? Können Reisende passieren?“ Neires Ton war fast besänftigend, als er die Frage stelle. Der Mann redete nun schneller. „Reisende passieren? Nein… ihr würdet nicht am großen Wachturm vorbeikommen. Doch es gibt Händler, denen Zutritt gewährt wird. Sie haben silberne Amulette eines bestimmten Abzeichens.“ Jetzt riss Zussa ihn an seinen Haaren und fauchte ihn an. „Wie sieht es aus, das Abzeichen? Wagt es nicht uns zu betrügen!“ Angstschweiß lief mittlerweile von der grauen Haut des Dunkelelfen. Er stammelte. „Ein Wappen von drei Türmen über einer welligen Linie. Über den Türmen ein Halbkreis. Ich kann es euch aufzeichnen.“ Bargh richtete die Kreatur auf und der Mann begann das Wappen mit einem Stein in einen Tropfsteinzapfen zu ritzen. „Welche Häuser gibt es in Erelhei-Cinlu und wo beten sie die Spinnengöttin an?“ Wieder begann der Mann zu stammeln. „Es gibt acht Häuser in der Stadt. Es sind die Häuser Aleval, Eilserv, Tormtor, Despana, Noquar, Kilsek, Auvyndar und DeVir. Es gibt auch ein Heiligtum, einen Tempel. Doch ich weiß nicht viel darüber. Sie hätte es euch sagen können.“ Er deutete dabei auf den Chitinschleim, der an einem der Tropfsteinzapfen verteilt war. Neire nickte und sagte. „Gut, ihr habt euer Wort gehalten und ihr könnt gehen. Lasst ihn frei.“ Zussa blickte Neire zuerst verwirrt an, löste aber dann die Fesseln des Mannes. Als er sich begann aufzurichten, stand Bargh mit seinem Schwert Glimringshert hinter ihm. „Er hat euch gehen lassen, doch ich sage, ihr seid mein. Ihr gehört nun meiner Göttin.“ Damit stieß er seine Schattenklinge durch die Brust des Mannes. Flammen gingen von dem schwarzen Schwert, als es sich durch sein Herz bohrte. Das Blut des Dunkelelfen begann zu kochen, als er grauenvoll starb. Für einen Todesschrei hatte der zitternde Mann keine Kraft mehr.
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Sie waren danach durch die Tunnel gewandert. Weiter und tiefer unter die Erde. Es war zuerst etwas kälter geworden. Irgendwann hatte Neire Stimmen und einen Schrei gehört. Dann war er vorgeschlichen. Er hatte einen frischen Leichnam eines dunkelelfischen Händlers entdeckt, der ein klaffendes Loch auf seiner Stirn hatte und dessen Schädel bar eines Gehirnes war. Sie hatten die umgebenden Höhlen durchsucht, aber keine Kreaturen gefunden. Bargh und Zussa hatten von den Gedankenschindern erzählt, die sie in Urrungfaust und in Araphyx bekämpft hatten. Sie hatten von ihren Vorlieben für Gehirne erzählt, die diese Kreaturen aus den aufgebissenen Schädeln anderer Rassen saugten. Sie hatten danach den Leichnam untersucht und eine Menge von Platinmünzen gefunden, die offensichtlich eine Fälschung waren. Sie hatten den leblosen Körper geplündert, hatten eine Händlerplakette erbeutet und waren schließlich den Höhlen gefolgt, die sie der Stadt Erelhei-Cinlu näherbringen sollen. Eine Rast hatten sie in einer kleinen Felsennische des Tunnels verbracht. Neire hatte einen Weinschlauch hervorgeholt und Bargh und Zussa hatten schnell getrunken. Bargh hatte gut gelaunt angefangen zu erzählen. Er hatte Zussa gefragt ob sie wüsste, wie weit es nach Fürstenbad sei. Dann hatte er die Geschichte erzählt, wie er Neire und Halbohr einst in der Jagdhütte getroffen hatte. Sie hatten alle gelacht bei der Erzählung von Bargh, der einige Details – wie die Mär der Jägergilde Halbohrs, der sie alle angehört gehabt haben sollten – nicht vergessen hatte. Bargh war schließlich betrunken eingeschlafen und Zussa hatte sich an ihn gekuschelt. Neire hatte weniger getrunken und die erste Wache übernommen. Er hatte das Nebelheimer Fackelritual durchgeführt und gelauscht. Dann war Zussa von ihm geweckt worden und er selbst hatte sich zur Ruhe begeben. Die Rast war ohne weitere Ereignisse verlaufen und so waren sie wieder durch die ewige Dunkelheit gewandert. Die Luft war bald wärmer und feuchter geworden. Der Pflanzenwuchs hatte zugenommen und sie hatten immer wieder kleine Höhlen mit Pilzwäldern angetroffen. Schließlich waren sie in eine große Höhle gelangt, in der Neire Geräusche gehört hatte. Daraufhin war er wieder vorgeschlichen. Er hatte sich alsbald einer Kaverne genähert, die von Verzweigungen geprägt war. Stalagmiten und Stalaktiten glänzen in weißlichem Kalk in der Dunkelheit. Die feuchtwarme Luft hatte einen säuerlichen Geruch. Neire hörte ein Grunzen aus dem rechten Teil der Höhle sowie Stimmen von Dunkelelfen aus einem anderen. Zudem konnte er den matten grünlichen Schimmer eines großen Wasserbeckens erkennen, in das ein unterirdisches Füßlein floss. Neire schlich sich weiter voran. Er hörte Zussa und Bargh nicht mehr, wähnte sie jedoch hinter sich. Je weiter er kam, desto mehr eröffnete sich die Höhle zur rechten Seite. Er konnte dort große Kreaturen erkennen, die bewaffnet vor weiteren Gängen lauerten. Sie hatten lange Knüppel vor sich auf den Boden gestellt und waren in Lederfelle gekleidet. Die Kreaturen selbst hatten ein hell-braunes, teils rostfarbenes Fell und ihre Schädel erinnerten Neire an eine humanoide Form von Bärenköpfen. Gelbliche Augen starrten listig in seine Richtung. Neire schlich sich jedoch weiter nach links, wo er die Stimmen der Dunkelelfen hörte. Er musste einige riesige Pilze umrunden, zwischen deren schleimigen Lamellen er das Summen dicker schwarzer Fliegen hören konnte. Sein Herz fing an zu pochen, als er die dunkelelfischen Wächter bemerkte, die sich mit übergeworfenen Tarndecken zwischen die Unterreichspflanzen kauerten. Er schritt nun noch langsamer und betrachtete sie aus nächster Nähe. Mit schimmernden rötlichen Augen blickten sie in die Richtung, aus der er kam. Zudem war auf den Bolzen ihrer, in Anschlag gehaltenen Armbrüste eine dunkle, klebrige Substanz zu erkennen. Neire bewegte sich weiter fort und drang in den Tunnel ein, aus dem er jetzt Worte verstehen konnte. „Wann ist die nächste Wachablösung?“ Eine anderer Dunkelelf antwortete. „Bald… bald.“ Neire bewegte sich leise durch die Wohnkaverne, in der er mehrere Krieger an hölzernen Tischen sitzen sah. Aus einer anliegenden Höhle vernahm er plötzlich ein Wiehern und ein Scharren. Zudem waren da beruhigende Worte einer Dunkelelfin. Neire näherte sich dem Geräusch und sah den Schimmer eines Kohlefeuers. Es handelte sich um eine weitere Wohnkaverne, in der sich Kriegerinnen aufhielten. Eine Dunkelelfin war an eine Ecke getreten, in der sich eine monströse Kreatur befand. Dort stieg gerade ein pechschwarzes Pferd mit glühenden Augen und dampfenden Nüstern. Es war muskulös und seine Hufe brannten in roten Flammen. Es hatte die Dunkelelfin mit hasserfülltem Blick gemustert und drohte sie zu zermalmen. Neire näherte sich der anderthalb Schritt großen Frau, die ein Kurzschwert und ein Schild trug. Zudem steckte eine kleine Lanze in ihrem Gürtel, die aus schattenhaftem dunklem Holz bestand. Die Frau war älter und hatte langes silbernes wallendes Haar. Weiter drängte sie die Kreatur in die Ecke, raunte ihr Worte entgegen. „Ruhig, ruhig. Es wird euch nichts passieren.“ Neire war jetzt im Rücken der Frau angekommen und zielte mit seinem Degen nach ihrem Herz. Die Klinge drang durch die Rüstung der Frau, doch im letzten Moment hatte sie sich bewegt. Der Degen glitt ein Stück am Herz vorbei. So schnell es ging zog Neire die blutbedeckte Waffe unter seinen Mantel. Er sah, wie die Frau sich umdrehte und die wabernde Dunkelheit, die er darstellte, versuchte zu durchdringen.
Jenseher:
Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Neire blickte sich hastig um und zog seinen blutbefleckten Degen zurück unter seinen Schattenmantel. Aus der zwielichtigen Wohnhöhle um ihn herum vernahm er einen modrigen Geruch, der Noten von Schweiß und Parfüm trug. Vor ihm stand die ältere Dunkelelfin mit weißem, langem Haar. Sie war herumgezuckt und ihre rot glänzenden Augen waren weit aufgerissen. Die Gestalt war gekleidet in ein Kettenhemd aus schattenhaft schimmerndem Stahl. In ihrem Gürtel konnte Neire ein Kurzschwert und eine kleine Lanze sehen. Dunkelelfische ölige Runenbänder verschwommen in zwielichtiger Unschärfe dieser seltsamen Waffe. Der spärliche Lichtschein, der die Höhle erhellte, kam von der pferdeartigen Kreatur, die wild scharrend und unruhig in eine Ecke gedrängt war. Das Wesen war fast völlig schwarz. Nur von den Hufen stiegen rötliche Flammen auf. Aus Nüstern und Maul drangen warmer Rauch. Der Augenblick löste sich auf, als die Dunkelelfin schrie. „Ein Angriff!“ Neire duckte sich in die Dunkelheit, als die weiblichen Soldaten aufsprangen und ihre Waffen zogen. Auch aus der benachbarten Höhle der Männer hörte er jetzt Stimmen. Die Dunkelelfin zog ihre Lanze und zeigte auf die Stelle, wo er eben noch gestanden hatte. Sie konnte ihn anscheinend nicht sehen. Mehrere Dunkelelfinnen hieben mit Schwertern in die Luft und Neire duckte sich unter den Angriffen hinweg. Er verlor die Anführerin aus den Augen, die nach ihm stach. Mehr zufällig fand die dunkle Lanze ihren Weg zu ihm und traf Neire am Oberkörper. Er spürte die Schmerzen des Stiches, doch da war noch ein anderer Harm. Es war das taube Gefühl von absterbendem Fleisch, das er vernahm. Auch war da eine Lähmung, die sich von der Wunde ausbreitete. Neire biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich. Er beschwor die Mächte seiner Göttin, über die er als Kind der Flamme verfügte. Er achtete nicht auf die heranstürmenden Männer, deren Anführer brüllte. „Wer greift an? Wo sind sie?“ Auch bemerkte Neire nicht die abfälligen Blicke, die von den Dunkelelfinnen auf das Männchen geworfen wurden. Der muskulöse Elf gedrungenen Körperbaus hob seine Hand und brachte seine Krieger zum Stehen. Neire versank in einem innerlichen Singsang, in dessen Reigen er traumtanzartig die Macht hervorrief. In dem Moment, als die verletzte Anführerin schrie: „Dort ihr Tölpel. Greift an, es verbirgt sich in den Schatten,“ entfesselte er die Kräfte Jiarliraes. Augenblicklich wurde es dunkel um ihn herum. In der totalen Finsternis schlugen Flammen hervor, unsichtbar und doch glühend heiß. Auch Neire wurde von den Flammen erfasst, die auf seinem Körper brannten. Er fühlte den Schmerz des Feuers, jedoch stand sein Geist über der geisterhaften Brunst. Um ihn herum hörte er Schreie. Kraft der Fähigkeiten seiner Göttin, konnte Neire die Schwärze des Zaubers durchblicken. Er sah die Wachen verwirrt durch die Flammen laufen. Eine stießen aneinander, als ihre Kleidung und Haare an zu brennen fingen. Auch das Nachtmahr – als eine Kreatur, beschworen aus einer fernen Ebene, hatte Neire das tobende schwarze Pferd erkannt – rannte durch die Flammen hinfort. Neire folgte der Anführerin, die sich instinktiv in Richtung des Ausganges bewegte. Hinter sich sah er die Krieger in dem Inferno aus brennender Düsternis zu Grunde gehen. Frauen und Männer schrien, als sie ihr Leben aushauchten. Augen platzten auf, Harre verbrannten und ihre Gliedmaßen verkrampften sich im Hitzetod. Auch das Nachtmahr und die Anführerin starben während ihrer Flucht aus der Wand brennender Dunkelheit. Als Neire die Flammen ausbrennen ließ und die Finsternis auflöste, war hinter ihm nur der Tod. Er trat heraus in die große Grotte, aus der er Kampfgeräusche hörte. Dort sah er Bargh und Zussa, die gerade den letzten dunkelelfischen Armbrustschützen töteten.
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Sie hatten die Höhlen der Dunkelelfen durchsucht, nachdem Neire seine Wunde versorgt hatte. Der Stich hatte einen Teil seiner Haut schwarz werden lassen und nur mit der Macht von Jiarlirae war es ihm möglich gewesen, das nekrotisierte Gewebe zu heilen. In den Höhlen der Wachmannschaft hatten sie, neben den dunkelelfischen Waffen und Rüstungen aus Adamant, Vorräte und auch zwei Schläuche mit einem Brandwein gefunden. Sie hatten von dem Getränk gekostet und Zussa hatte aufgrund der Schärfe angefangen zu husten. Nachdem Neire sie mit den Worten: „Was würde Meister Halbohr zu euch sagen Zussa… nichts für kleine Mädchen!“ geneckt hatte, hatte Zussa ein paar Schlücke genommen. Danach waren sie in die anliegenden Höhlen aufgebrochen und hatten diese durchsucht. In einer Höhle hatte plötzlich die Erde begonnen zu vibrieren und sie waren von einem riesigen Wurm angegriffen worden, der sich durch den Stein gefressen hatte. Sie hatten den Wurm getötet und aus dem Tunnel gezogen, den er gegraben hatte. Danach hatten sie den Wurm aufgehackt und nach Schätzen durchsucht. In den stinkenden Verdauungssäften des blass-rosa schimmernden Wesens waren einige halb verdaute humanoide Kreaturen gewesen. Neben Edelsteinen hatten sie auch die Teile eines magischen Plattenpanzers gefunden, dessen Befestigungsschnüre jedoch verdaut worden waren. Auch das todbringende Gift des Wurmes hatten sie aus der Blase des Schwanzstachels extrahieren können. Jedoch erforderte das Gift eine weitere Bearbeitung, um es auf Waffen aufzubringen. Sie waren danach durch einige verlassene Höhlen gelangt und Bargh hatte hier und dort Spuren entdeckt. Vor einer wundersamen Grotte, die von purpurnen Kristallen bedeckt war, war Bargh stutzig geworfen. Er hatte dort Spuren entdeckt, die hinein, aber nicht wieder hinausgeführt hatten. Neire hatte den Eingang nach Fallen untersucht und er hatte eine Kreatur entdeckt, die sich wie ein dünnes Bettlaken über den Boden ausgebreitet hatte. Bargh hatte daraufhin das Wesen, das zur Tarnung die Färbung des Kristallschimmers angenommen hatte, angegriffen und die Kreatur hatte sich geisterhaft erhoben. Jedoch waren die Angriffe des dunklen Antipaladins schneller gewesen und er hatte das Wesen in der Luft zerschnitten. Auf dem von dunkelrotem Blut besudelten Boden hatten sie dann Edelsteine und Münzen der Opfer der Kreatur gefunden. Sie hatten die Höhle durchsucht und waren in einen noch unerforschten Trakt weiterer Tunnel aufgebrochen. Aus der Dunkelheit vernahmen sie einen fauligen Gestank von Fleisch, Urin und Fäkalien. Neire hörte ein gutturales Flüstern und Brabbeln. Bargh suchte nach Spuren und fand die Abdrücke von dunkelelfischen Wachen, aber auch die von Trollen. Je weiter sie in den Tunnel vordrangen, desto stärker wurde der Gestank. Warme Luft strömte ihnen entgegen. Da war das Flackern von Feuern und der Geruch von Rauch. Es eröffneten sich zwei Höhlen, in denen sie stinkende, faulige Strohlager und die Reste von Fellen sahen. Im Feuerschein hockten dünne, aber große Kreaturen, die durch spitz zulaufende Köpfe und lange krumme Nasen gekennzeichnet waren. Die Kreaturen waren von bräunlich Haut mit leichtem grünlichem Schimmer. Sie waren mit kruden Keulen und Knüppeln bewaffnet. Neire eröffnete den Kampf, indem er eine glühende Kugel von Magma in eine der beiden Höhlen warf. Für einen Augenblick wurde die stinkende Kaverne in einen Schimmer von Glutlicht getaucht, dann hörten sie das Donnern der Explosion. Einige Kreaturen wurden von der Wucht der Detonation zerfetzt und ihre brennenden Körperteile bedeckten den Boden der Höhle. Andere rollten sich instinktiv hinfort, erhoben sich und stürmten schreiend aus den Flammen heran. Bargh stellte sich ihnen mit seinem Schwert Glimringshert entgegen. Zwei Kreaturen tötete er mit seiner schwarzen Klinge, deren Schatten sich in einem Feuer entzündeten. Dann beschwor Zussa die Macht Jiarliraes. Die gesamten Höhlen vor ihnen wurden in einen Feuerschein getaucht. Gleißende, Fleisch verzehrende Flammen brachen aus dem Boden hervor und rafften die Trolle dahin. Einige versuchten an Bargh vorbeizurennen. In wüstem Gebrülle und einem Chor von Schmerzensschreien stürmten die Kreaturen heran. Jene Trolle, die bis zu Bargh kamen, wurden von ihm getötet. Die anderen vergingen im tobenden Feuer. Als die Flammen herunterbrannten schritten sie über die brennen Leichen. Zussa lächelte und betrachtete ihr Werk. Ihre Augen funkelten rötlich, als würde der Sturm der Feuersbrunst dort weitertoben.
Jenseher:
Schon bald hatten sie die stinkenden Höhlen der Trolle verlassen. Sie hatten kaum atmen können in dem schweren Hauch von Fäkalien und verwesten Fleisch, der durch die teils noch brennenden Leichen verschlimmert wurde. Zussa hatte sich fast übergeben müssen und sich ein Stück Stoff vor den Mund gehalten. So hatten Bargh und Neire die Höhlen nach Schätzen durchsucht. Nachdem sie in die große Hauptkaverne zurückgekehrt waren, hatten sie aufgeatmet. Der Gestank war nicht so weit vorgedrungen und es war fast still gewesen. Sie hatten das Rauschen eines Höhlenbächleins und das Summen von Insekten gehört sowie ab und an diffuse Geräusche in der Dunkelheit. Zussa drehte ihnen ihren, von rotlockigen Haaren bedeckten, Kopf zu und grinste sie an. Nach dem Feuersturm, den sie über die Trolle gebracht hatte, hatte sich ihre Laune gebessert und sie war voller Tatendrang. Neire konnte die Sommersprossen in ihrem Gesicht schneeweißer Haut sehen, aus dem zwei grüne, intelligente Augen blitzten. „Wir haben es ihnen gezeigt, Neire. Sie haben das Feuer unserer Göttin verdient!“ Neire nickte Zussa zu, als er antwortete. „Es sind armselige Kreaturen, denn sie werden nie zu unserer Göttin finden. Sie leben in der Dunkelheit, doch sie müssen das Feuer fürchten.“ Zuerst zog Zussa eine beleidigte Grimasse, doch dann fing sie an zu strahlen. „Ah, ich verstehe euren Scherz Neire… wie Motten drängen sie ins Licht unserer Herrin, in dem sie vergehen…“ Neire lächelte wohlwollend, doch nicht ganz überzeugt. Es war Bargh, der mit seiner tiefen Stimme sprach. „Wenn die Trolle den Dunkelelfen dienen… wie gehorchen sie ihnen? Wie kontrollieren sie diese Kreaturen. Und wie wichtig ist ihnen dieses… dieses Gehege.“ Er sprach das letzte Wort in der Sprache der elfischen Spinnenanbeter. Zussas gute Laune wandelte sich augenblicklich in Desinteresse und sie begann blitzschnelle Bewegungen mit ihrem silbernen Chaossäbel durchzuführen. „Ich weiß es nicht, doch wenn es ihnen wichtig ist, werden sie vermutlich schon bald einen Wachwechsel schicken.“ Neire schaute hinauf zu Bargh. Zu dessen von Brandnarben bedeckten Schädel, den der unheilige Krieger in der Düsterheit der Aura der Klinge Glimringshert verhüllte. Jetzt antwortete Zussa schnappend. „Dann müssen wir ihnen eben zuvorkommen, Neire.“ Neire musterte Zussa, dann sagte er sanft aber bestimmt. „Das müssen wir Zussa, doch ihr solltet nicht zu übermütig werden… Lasst uns nun in diesen Tunnel schreiten. Ich habe von dort ein Knurren und ein Grunzen gehört.“ Bargh nickte und sie begannen mit Neire die Höhle zu durchqueren. Hätten sie sich umgeblickt, hätten sie die Grimassen gesehen, die Zussa zog, um sie zu verspotten.
„Freunde wir, nicht Feinde… Friede für Fremde.“ Neire hatte aus dem Tunnel Worte in der Zunge der Dunkelelfen gehört, die jedoch immer wieder in eine fremde Sprache aus Knurr-, Grunz-, Schmatz- und Zischlauten verfallen war. Er hatte auf Dunkelelfisch geantwortet und gerufen. „Dient ihr den Elfen aus den Schatten, aus der Tiefe?“ Für einen Augenblick waren nur die Worte der seltsamen Sprache, wie aus den Mäulern mehrerer Kreaturen zu hören gewesen. Dann war die stockende Antwort gekommen. „Ja, wir dienen Dunklen, aber wir auch euch dienen.“ Bargh hatte daraufhin gefragt. „Dient ihr der Spinnengöttin Lolth?“ Die Antwort war schnell gekommen und sie war verneinend gewesen. Daraufhin waren sie vorsichtig in den Tunnel geschritten, aus dem das kleine Bächlein durch den Kalkfelsen strömte. Der Tunnel hatte sich verzweigt und sie waren zur Linken in eine größere Höhle gelangt, auf deren Boden länger eingerichtete Lager zu sehen gewesen waren. Von dort kam ein Geruch von stinkenden Decken, aber auch ein erdig-modriger Geruch von räudigem Fell. Im Licht eines fast heruntergebrannten Feuers, auf dem Neire noch einige Fleischspieße liegen sehen konnte, stand ein Dutzend felliger Kreaturen. Einige hatten mit zweieinhalb Schritten die Größe von Bargh und waren mit Muskeln bepackt, die deutlich unter der rostbraunen Behaarung zu sehen waren. Ihre Gesichter stellten eine Mischung aus Bären und Menschen dar. Eine bärenartige Nase und ein raubtierhaftes Gebiss standen im Kontrast zu bernsteinschimmernden, intelligenten Augen. Die Kreaturen waren bewaffnet mit kruden Morgensternen und Streitkolben. Neire trat bei ihrem Anblick zu Bargh, doch dann sprach er. „Wir haben die Dunkelelfen getötet und wir werden euch nichts tun.“ Neire verwendete die allgemeine Sprache der Unterreiche, welche die Grottenschrate anscheinend besser verstehen konnten. Ein besonders großes Exemplar mit spitzen Hauern und Narben trat hervor. Der vermeintliche Anführer trug eine Weste aus einer Adamantplatte, über deren Herzregion ein Loch klaffte. In seiner Linken hielt er ein Schild mit dem Wappen einer Berglandschaft und in seiner Rechten einen Flegel aus Adamant. Er formte dumpfe gutturale Worte, als er antwortete. „Grublik weiß, Grublik hat euch gesehen.“ Neire nahm seinen Mut zusammen und trat etwas hervor. „Wie viele seid ihr hier, Grublik? Wie viele von eurem Stamm?“ Grublik blickte auf ihn herab und antwortete. „Viele!“ „Ihr könnt nicht zählen, Grublik?“ Zuerst mischte sich Überraschung, dann Überheblichkeit in Grubliks Mimik, als er über Neires Frage nachdachte. Doch dann antwortete er, mit einer Wut in seiner Stimme, die nur von Barghs dunkler Aura der Macht im Zaum gehalten wurde. „Warum wollen Fremde wissen?“ Jetzt lächelte ihm Neire zu, zeigte seine perfekten weißen Zähne und verbeugte seinen Kopf mit den gold-blonden Locken in einer höfischen Geste. Dann sprach der äußerlich 15-Jahre alt wirkende Jüngling. „Wie unhöflich von mir Grublik, mich nicht vorzustellen. Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet Jiarliraes und das sind Bargh und Zussa. Wenn ihr leben wollt, nun… wenn ihr leben wollt, solltet ihr ihr diesen Ort verlassen. Ihr seid jetzt frei!“ Neires Stimme frohlockte, als wolle er ein Fest ankündigen. Doch Grubliks Miene verfinsterte sich. „Stamm von Grublik nicht frei. Dunkle haben uns in…“ Er machte dabei eine Geste eines Würgegriffs mit seinen von Klauen besetzten Pranken. Neire lachte auf und schüttelte den Kopf. „Womit haben euch die Dunklen gepackt?“ „Wenn Stamm nicht gehorcht, kommen sie und töten einen von uns. Oder zwei.“ Einige andere der Kreaturen hinter Grublik schnaubten verächtlich und nickten mit ihren Köpfen. „Oder sie hetzen Trolle auf uns. Trolle kommen und schnappen sich einen, dann fressen uns…“ Neire trat zu Bargh zurück, schüttelte mit seinem Kopf und sagte. „Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet Jiarliraes. Und wenn ich sage ihr seid frei, dann seid ihr frei. Wir haben auch die Trolle getötet.“ Die Reaktion auf Neires Worte war ein ungläubiges Staunen und dann Laute ihrer niederen Sprache. Neire führte weiter aus. „Ich kann euch den Weg zu einem anderen Ort zeigen, zu einer verlassenen Festung eines Feuerriesenkönigs. Der Feuerriesenkönig ist tot und die Festung, sie kann euch gehören, Grublik. Doch alles hat seinen Preis. Habt ihr schon einmal etwas von Meister Halbohr gehört?“ Schnaufen und Grunzen wurden leiser, dann antwortete der Anführer. „Meister Halbohr? Ja, Grublik hat von Halbohr gehört. Großer Krieger und Heerführer Halbohr ist.“ „Ihr werdet ihm dienen und er wird euch gut behandeln. Ihr werdet nicht mehr durch Trolle gefressen.“ Einen Augenblick dachte der große fellige Hüne nach, bevor er antwortete. Dann fauchte er entschlossen. „Feuerriesenkönig tot? Feuerriesen tot? Dann Grublik Meister Halbohr dienen. Eine Festung ist ein großes Geschenk.“ Neire nickte und schaute zu Bargh. Der Antipaladin hob sein Schwert und winkte Grublik heran, als er in der Zunge der Dunkelelfen sprach. „Ihr müsst schwören auf die heilige Klinge Glimringshert, das Herz aus Feuer und Schatten. Tretet hervor und besiegelt euren Schwur mit Blut.“ Grublik trat entschlossen vor Bargh und packte die schattenblutende Klinge. Doch Bargh schüttelte mit dem Kopf. Er verhakte sein Schild in Ortnors Mechanismus und griff nach Grubliks Pranke. Der Anführer der Grottenschrate wehrte sich sichtlich, als Bargh die Hand vom Schwert zog. Es war wie ein Wettkampf, ein Kräftemessen zweier Unholde. Doch Bargh war stärker und eisern zwang er die Hand Grubliks in eine geöffnete Position. Dann schnitt er mit der Klinge über die Oberfläche, so dass rotes Blut hervortrat. Glimringshert fing dabei an zu brennen. Dann war wieder die Stimme von Neire zu hören. „Ihr müsst mir nachsprechen Grublik. Dreimal!“ Der Jüngling schaute nach oben und rief dem Anführer entgegen. „Bei Flamme und Düsternis unserer höchsten Herrin Jiarlirae, Königin von Feuer und Dunkelheit und Dame der acht Schlüssel des großen Unteren, schwöre ich Grublik, ihrem General Halbohr zu dienen in den kommenden Schlachten. Ihre Geheimnisse werden Reichtum und Stärke bringen und Verräter sollen in der glühenden Finsternis vergehen.“ Grublik sprach die Worte, so gut wie er konnte, nach. Dann senkte Bargh die brennende Klinge über die Wunde und kauterisierte das Gewebe. Ein leises Grunzen war zu hören, doch dann streckte der Anführer seine Hand in die Höhe. Er sprach Worte zu seinem Stamm und ein Jubeln war zu hören. Danach drehte er sich wieder um und schaute Bargh an. In seinen Augen war Respekt, wenn nicht gar Angst vor dem Krieger Jirarlraes zu sehen. Neire beachtete er nicht, als er sprach. „Grublik wird Stamm sammeln und den Dunklen den Rücken zukehren. Doch Stamm brauchen Zeit für Aufbruch. Ihr zeigen Weg und Grublik wird Festung von Feuerriesenkönig finden.“
Sie waren danach die verwinkelten Höhlen begangen und Grublik hatte ihnen seinen Stamm gezeigt. Sie hatten eine Vielzahl an Kriegern, aber noch mehr Frauen, Heranwachsende, Kinder und Säuglinge gesehen. Die jüngeren Grottenschrate hatten teils andere Fellfärbungen gehabt. Die Jugendlichen hatten sie vorsichtig und wortlos betrachtet, während die Säuglinge gekrächzt hatten. Sie selbst wiederum hatten die Frauen beobachtet, die durch Wänste, fettleibige Hüften und gewaltige Brüste ausgezeichnet gewesen waren. Sie hatten aber auch das weibliche Fell bewundert, das teils flaumartig prachtvoll ausgebildet war. Sie hatten sich gefragt, ob die Fettleibigkeit der Frauen ein Schönheitsideal dieser Kreaturen darstellte – einen Gegensatz zu den athletischen Körpern der Männer. Die Frauen waren mit den Feuern beschäftigt oder stillten die Säuglinge an ihrem Busen. Grublik hatte ihnen seinen Sohn, eine etwas kleinere Kreatur mit dem Namen Bakz vorgestellt. Der jüngere Grottenschrat war bereits sehr muskulös gewesen und hatte einen Morgenstern und eine Kettenweste getragen. Sein Fell war an den Armen räudig und dort waren die vernarbten Schnitte von rituellen Wunden zu sehen gewesen. Zuletzt hatte Grublik ihnen seinen Unterführer, Ruddug, präsentiert. Ruddug war einer der größten Grottenschrate und von besonders muskulöser Statur gewesen. Der Unterführer hatte sich einige violett und silberfarbene dunkelelfische Gewänder über seine Rüstung gezogen und einen Morgenstern getragen. Neire hatte danach die dunkelelfische Karte auf ein Pergament gezeichnet, das er Grublik übergeben hatte. Mehrfach hatte er dem Anführer der Grottenschrate den Weg erklärt, den Grublik zwar schnell verstand, dem aber oftmals bestimmte Worte unbekannt waren. Danach hatten sie den Pilzwald und die anliegenden Höhlen durchsucht. Sie hatten die meisten Höhlen als leer vorgefunden, doch Neire hatte aus einigen Höhlen Geräusche wie von einem Schnalzen, Zischeln und Klicken gehört. Sie hatten diese Höhlen gemieden und waren in eine Stallhöhle vorgedrungen, in der sie die gesattelten Kreaturen von vier Rudelechsen gesehen hatten. Neire hatte von diesen Kreaturen bereits gehört – dass sie von Dunkelelfen als Reittiere dressiert wurden und dass sie für ihr besonders mächtiges Gebiss bekannt waren. Sie waren den gesattelten Tieren nicht nähergekommen und wollten gerade zu den Grottenschraten zurückkehren. Da sah Neire die fast verborgenen Treppenstufen im Stein einer Spalte, die nach unten führten. Sie schlichen vorsichtig in die Tiefe und entdeckten eine mittelgroße Grotte. In einer Ecke war ein Wasserloch zu sehen. Ansonsten war die Höhle leer. Sie blickten in das Wasser hinein und untersuchten die Höhle. Auf dem Boden des Lochs konnten sie eine matte Rune erkennen, die dort in den Felsen geritzt war. Neire begann einen Zauber zu wirken, der ihn die Strömungen der Magie entdecken ließ. Plötzlich glitzerte die gesamte Kaverne für ihn im Lichte der Erkenntnismagie auf. Die Rune im Stein des Wasserlochs glühte in mächtigen Farben von Zeit-, Dimensions- und Veränderungsmagie. Neires Herz begann höher zu schlagen, als er horchte und sich vorsichtig umblickte. Dann war er sich sicher. Irgendetwas betrachtete sie aus der Dunkelheit heraus: Er wusste nur nicht was. Auch Bargh spürte die unsichtbaren Blicke, die sie durchbohrten. Sie mussten handeln und Bargh ließ sich als erster in das Wasserloch hinab. Nur bis zur Hüfte versank er in den Fluten. Er begann die Rune mit dem Zeigefinger seines Panzerhandschuhs nachzuzeichnen und verschwand plötzlich. Neire schrie jetzt: „Folgt ihm Zussa, wir werden beobachtet und wir wissen nicht wo Bargh sich befindet.“
Das Wasser rann von seiner kalten Stahlrüstung hinab und gefror auf dem glitzernden Metall. Bargh bemerkte das Knacken des dünnen Eises nicht, als er sich umdrehte. Er war in einer dunklen Kammer erschienen, die durch glühende Aschefunken erhellt wurde. Er stand auf feinstem Teppich, auf den das Wasser jetzt hinabfloss. Um ihn herum bemerkte er Tische und Stühle, die mit seltsamen Gegenständen belegt waren. Dort konnte er auch große dunkle Blutlachen erkennen, die schon vor langer Zeit getrocknet waren. Die Wände der fast 20 Schritt im Durchmesser betragenden Halle waren mit Bannern behangen, die in edlen Blau- und Goldtönen glitzerten. Auf einer Seite sah er das Bildnis eines Mannes hinter einem Tisch hängen. Das Gemälde stellte ein nobles, adeliges Gesicht mit langem, grauem Bart und schneeweißer Haut dar. Blaue Augen funkelten wachsam und intelligent. Bargh bemerkte viele Details, um die er sich nicht kümmerte. Auf einem Tisch sah er Skalpelle, Messer, Zangen und Knochensägen liegen. Auf einem anderen ruhte ein goldenes Zepter mit einem faustgroßen Diamanten an der Spitze. Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle konnte er einen Schrank aus edlem Holz sehen. Bargh konzentrierte sich auf die Silhouette der schattenhaften Gestalt die vor einem hölzernen Thron stand und Zauberformeln murmelte. Sie war nur unscharf zu erkennen und verschwamm in der glühenden Dunkelheit. Barghs Stimme dröhnte tief und sicher durch die Halle und er hob Glimringshert. „Stellt die faulen Reime der Kunst ein, Wurm! Dann werde ich euch leben lassen.“ Von der Gestalt war keine Regung zu sehen und er begann sich auf sie zuzubewegen. Doch mit jedem Schritt den er tat kam er nicht viel näher. Er fluchte und hob seine Klinge, aus der die Schatten hervorquollen. Er sprach den Reim zu seiner Herrscherin und beschwor so ihre unheilige Urgewalt. „Der Dame des Abgrundes, Glimringshert, Geheimnisse des aufsteigendes Chaos mich lehrt. Oh heiliges Schwert, es führt mich voran, so breche der schwarzen Künste Bann.“ Er spürte die Macht der Klinge und dachte an den Henker der letzten Einöde. Dann durchbrach er den Fluch. Vor sich sah er den alten Mann, doch die bleiche Haut war eingesunken und an vielen Stellen nekrotisiert. In seinen leeren Augenhöhlen glühte ein rötliches Feuer. Bargh stürmte vorwärts und schlug zu. Die Schatten brachten das totbringende Feuer und mit mehreren Hieben stach er die Kreatur nieder. Der Leib stürzte zu Boden, doch die Knochen des unheiligen Magiers zerbrachen in tausend kleine Scherben. Bargh spürte, dass der Fluch für jetzt gebrochen war. Doch irgendetwas stimmte nicht und er drehte sich um zu seinen Gefährten.
„Blickt euch um, er dessen Name Arberdys von Lichtenhoch war, will euch betrügen. Der Glanz ist hinfort, es ist nur Verfall und Fäulnis hier.“ Bargh und Zussa konzentrierten sich auf Neires Worte hin. Der Jüngling hatte einen schwarzen, schweren Wälzer aufgenommen, den er auf den Tisch gelegt und dann geöffnet hatte. Für Bargh und Zussa ändere sich der Raum, je länger sie ihre Blicke bemühten. Sie sahen zerfallenen Teppich, ausgeblichene und verstaubte Wandvorhänge und Schimmel an Boden und Wänden. Die Funken waren plötzlich hinfort und Dunkelheit hatte sich in der Halle ausgebreitet. Neire hielt noch immer das goldene Zepter, das er zuvor zielstrebig untersucht und dann aufgenommen hatte. „Sehr ihr es jetzt?“ fragte er sie eindringlich. Als Bargh und Zussa nickten, fuhr der Jüngling fort. „Ich habe noch mehr gesehen. Nachdem ihr ihn niedergestreckt hattet, hat sich als eine weiße Wolke einer nekromantischen Essenz in diesen Edelstein bewegt. Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht ist er dort gefangen.“ Zussa trat zu Neire und beäugte den Edelstein. Ihre nassen Haare klebten an ihrem Gesicht. „Gefangen, dort drin? Hihihi… wir können ihn vielleicht als Sklaven nutzen, was meint ihr Neire?“ Neire stimmte in das Lachen ein, sagte dann aber. „Als Sklaven oder wir binden den Seelenstein an eine mächtige Waffe. In alten Legenden habe ich schon davon gehört. Doch der Name, der in diesem Zauberbuch steht, ist mir von irgendwoher bekannt. Aberdys von Lichtenhoch war einst ein Fürst der Küstenlande, vielleicht einer der Magierkönige selbst. Er war Herrscher der alten Grafschaft Hornheim und Gründer der dortigen Schule von Askafyr. Er war berüchtigt für seine Gier nach Macht, bevor er plötzlich verschwand. Bis heute ist es ein Rätsel.“ Jetzt zeigte Bargh auf die Schleifspuren, die von der Stelle, wo sie erschienen waren, zu den Tischen führten. Bargh deutete auf die getrockneten Blutlachen. „Vielleicht hat er den Dunkelelfen nicht gedient. Vielleicht hatte er etwas anderes mit ihnen vor. Die Spuren auf der Treppe gingen hinab, doch nicht wieder hinauf.“
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