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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea
Jenseher:
Um sie herum war der Geruch von Fäulnis, Moder und Verfall. Die Luft schien zu stehen in dem Tunnel. Außer Halbohr mussten sich alle bücken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Der Gang war zwar breiter geworden, doch neben Pestilenz und Fäkalien war es, als würde sie das Gewölbe selbst zerdrücken. Bargh war voran gekrochen. Auf einen Bereich zu, an dem sich der Tunnel gabelte. Der Krieger, mit dem von Brandwunden bedeckten Kopf, musste sich immer wieder niederknieen. Jetzt stützte er sich gerade auf sein Langschwert und drehte sich um, um nach seinem Gefährten Neire zu sehen, der dicht hinter ihm folgte. Für einen kurzen Moment blitzte der rote Rubin auf, der das rechte Auge von Bargh ersetzt hatte und mittlerweile mit dem umliegenden Fleisch verwachsen war. Hinter Neire folgten Halbohr und zu guter Letzt Gundaruk, der mit einiger Mühe die engen Tunnel überwunden hatte. Halbohr bemerkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Selbst Neire, der zuvor immer wieder versucht hatte Dreck und Fäkalien von seinem roten Umhängemantel zu entfernen, zuckte zusammen und starrte in die Dunkelheit. Sie hatten von vorne ein Geräusch gehört. Wie ein Knacken von Knochen. Für einen kurzen Moment kehrte wieder Stille ein. Dann sahen sie Bewegungen, die sich zu den Geräuschen gesellten. Kreaturen, die sich aus dem Unrat des Bodens schälten. Sie geiferten nach Leben und begannen augenblicklich durch den Tunnel auf sie zuzustürmen. Von der Größe waren sie gewachsen wie kleine Menschen, doch ihre Haut war gräulich-blass, ihre Kleidung hing in Fetzen hinab und lange Zähne blitzten in der Dunkelheit auf. Die Gesichter waren eingefallen und entstellt und überlange Zungen lechzten nach Blut. Die Kreaturen rannten unkontrolliert auf sie zu. Dabei behinderten sie sich gegenseitig, warfen andere zu Boden oder stießen sie gegen die Wände. Bargh hob zum Schutz sein Schwert, doch die erste Kreatur hatte ihn bereits erreicht. Schläge und Bisse prasselten auf Krieger Jiarliraes hernieder, der durch die Brutalität der Angriffe wie gelähmt schien. Für einen kurzen Moment war das siegessichere Geheul der Ghule zu hören, von deren Zähnen und Klauen Barghs Blut floss. Doch nur für einen kurzen Moment. Eine Woge rötlichen Feuers hüllte plötzlich den Tunnel in Flammen, entzündete die ersten Gestalten und trieb sie ein Stück zurück. Schon eilte Halbohr nach vorne und führte mehrere tödliche Angriffe aus. Sie wussten, dass die Kreaturen nicht nachgeben würden, dass sie weder Zweifel noch Furcht kannten. Sie mussten den Kampf annehmen, denn eine Flucht durch die engen Tunnel war ihnen verwehrt. So intensiv war die Schlacht, dass sie nicht bemerkten, dass Gundaruk sich in einen großen Luchs verwandelt hatte.
„Halbohr… Gundaruk! Stellt euch vor Bargh und schützt ihn; er ist wie versteinert und kann sich nicht wehren.“ Sie hatten die erste Welle der Kreaturen niedergestreckt und hörten in dem sich gabelnden Tunnel bereits weitere Geräusche. Neire zitterte am ganzen Körper als er sprach. In seinen Augen war noch immer der rötliche Glanz und er hatte für eine kurzen Moment den Gestank des Tunnels vergessen. Er starrte zuerst Halbohr an, dann das große, elegante Tier, in das sich Gundaruk verwandelt hatte. Doch keiner befolgte seinen Befehl. Halbohr regte sich nicht und stand hinter ihm. Gundaruk war ein paar Schritt nach vorne gegangen und lugte in den rechten Tunnel hinein. Neire wiederholte den Befehl ein zweites Mal, doch seine Mitstreiter beachteten ihn nicht. Jetzt wuchs der Zorn in ihm. Ungläubige. Beide sind nur durch mich am Leben und mir zu Gehorsam verpflichtet. Sie sollten im Gegenzug Bargh mit ihrem Leben verteidigen. Neire trat ein paar Schritte auf den linken Tunnel zu. Er blickte in die Dunkelheit, hörte die Geräusche. Nur durch den Zorn konnte er seine Angst überwinden. Seine Gedanken waren bei Bargh, der sich noch immer nicht bewegen konnte und gegen eine der rauen Wände gesunken war. Haben sie so auch in den Eishöhlen gekämpft? Bestimmt haben sie dort keine Kameraden zurückgelassen, den Chin’Shaar zum Fraß vorgeworfen. Sie sind dort zu Kupfernen Kriegern geworden. Bargh ist auf seinem Weg zum Krieger Jiarliraes. Bargh darf nicht versagen. Ich muss ihn beschützen. Neire war ein paar Schritte auf den linken Tunnel zugegangen. Er spürte, dass Halbohr ihm gefolgt war. Jetzt konnte er die Geräusche hören. Ein Geifern und ein Schnappen. Leiber, die sich gegenseitig beim Fortkommen hinderten und doch auf sie zu hasteten. So stand der Junge alleine im Tunnel, den gewellten Degen mit dem Schlangengriff zitternd in Hand. Schon kamen die ersten Kreaturen um die Ecke gestürmt. Wie Hunde krochen sie allen Vieren voran. Doch die Gesichter waren nur im Entferntesten menschlich. Blutleer eingefallen und monströs entstellt. Neire versuche sie mit seinem Degen zurückzuhalten. Die langen Zungen schnappten ihm entgegen. Er spürte kaum den Schmerz, als eines der Wesen ihm in den Arm biss. Augenblicklich begann sich eine paralysierende Kälte auszubreiten, die seine Muskeln lähmte. Doch dann war da das Feuer. Es breitete sich von den drei Herzsteinen aus, die er in der linken Schulter trug. Es schmerzte. Die Pein war elektrisierend. Sein linker Arm begann in der Dunkelheit zu glühen, als ob von einer fluoreszierenden Schicht bedeckt. Neire wusste, dass er einen weiteren Segen von seiner Göttin erhalten hatte. Er beschwor die Flamme aus Schatten und Feuer in seiner linken Hand und murmelte die Beschwörungsformeln. Als das Feuer aus Magma aus dem Boden schossen und die Ghule, seine Mitstreiter und ihn einhüllten schrie er trotzig die Worte, die sich in den arkanen Singsang mischten: „Gehorcht… meinem… Befehl!“
Noch als die Verwandlung vollzogen war leckte sich Gundaruk seine Wunden. Das Verhalten des Tieres, der Verwandlung, war noch in ihm und er handelte instinktiv. Er erinnerte sich an den Kampf in Luchsform wie an einen Traum. Er hatte leise die Kämpfenden umschlichen und von hinten angegriffen. Zwei Ghule hatte er mit seinen Klauen und Bissen niedergerissen. Noch immer schmeckte er das faulige Blut in seinem Mund. Gundaruk spie aus und blickte sich um. Er befand sich in einer Höhle aus mehreren Findlingen, voll von Unrat, Fäkalien und Knochen. Wie ein unheiliger natürlicher Dom, eine Kapelle der Ghule, war das Innere anzusehen. Hier und dort konnte er Nester der Kreaturen sehen, doch keine Regung. Neires Feuer hatte die letzten Ghule in Flammen aufgehen lassen. Auch er war, wie Halbohr, von den Flammen des Jiarlirae Priesters erfasst worden. Gundaruk blickte sich um und sah an einem Felsen den elfischen Söldner sitzen. Halbohr schlug sich gerade die letzten Flammen aus, die von seinem verdreckten Mantel brannten. Gundaruk beugte sich nieder zu Halbohr und begann seine Wunden zu untersuchen. Er rezitierte den Runengesang seiner Vorfahren. Den Gestank konnte er nicht vertreiben, doch er sah zu seiner Erleichterung, dass die alte Heilkunst auch an diesem Ort wirkte. Die Wunden Halbohrs begannen sich langsam zu schließen. Jetzt, als er bei Halbohr kniete, begann Gundaruk zu sprechen. „Was hat sich Neire, was hat sich dieser Bengel eigentlich dabei gedacht?“ Er legte dabei eine Hand auf Halbohrs Schulter. Der Dolchkämpfer wich jedoch seinem Blick aus und murmelte unverständliche Worte. Für einen kurzen Moment herrschte Stille und Gundaruk kümmerte sich um seine eigenen Wunden. „Dieser Bengel hat euch aus dem Grab befreit und euer Leben gerettet. Vergesst das nicht Gundaruk! Ihr solltet ein wenig Dankbarkeit zeigen und meinen Befehlen folgen.“ Gundaruk drehte sich augenblicklich um, als er die Stimme hörte. Neire war zwischen zwei Findlingen aufgetaucht und grinste ihn an. Noch immer war ein rötlicher Schimmer in den Augen des Jungen. Die goldenen Locken schienen nicht vom Schmutz berührt worden zu sein. Wenn er so lächelte sah sein Gesicht so lieblich, so unschuldig aus. „Das Grab in dem Felsen, ja. Woher wollt ihr das wissen, Neire? Woher wollt ihr wissen, dass ihr mich gerettet habt?“ Gundaruk sah, dass der Junge jetzt wütend wurde. Neire stampfte mit einem Fuß auf dem Boden. „Wissen Gundaruk? Durch mich spricht Jiarlirae, die Größte unter den Göttern. Ich habe den Schlüssel zu Feuer und Schatten. Ich kenne die Namen der Erzdämonen der Hölle. Fragt mich nicht nach meinem Wissen.“ Gundaruk sah, dass jetzt auch Bargh in der Öffnung erschien. Der gefallene Paladin wurde anscheinend angestachelt durch die Rede Neires. Bargh fing an zu schreien. „Ist es soweit Neire? Ist jetzt die Zeit zu handeln?“ Gundaruk sah, dass sich die Miene von Neire änderte. Plötzlich hob er beschwichtigend seine linke vernarbte Hand. „Lasst ab, Bargh. Es sind Ungläubige. Dennoch müssen sie wissen, dass sie das Leben eines heiligen Krieger Jiarliraes zu schützen haben.“ Bargh war noch immer sichtlich erregt und schlug mit seinem Panzerhandschuh in das Felsgestein der Wand. In seinem verbliebenden Auge konnte Gundaruk einen fanatischen Blick erkennen. „Lasst es zu… lasst die Flammen euch verbrennen. Erst tut es weh, doch dann werdet ihr die Macht spüren.“ Als Bargh sprach, überschlug sich fast seine Stimme und das Lispeln der erst kürzlich gespaltenen Zunge war nicht zu überhören. Ohne die Miene zu verziehen, drehte sich Gundaruk um und verließ die Höhle von Unrat. Er kannte den Blick von Fanatikern und wusste, dass die Auseinandersetzung mit ihnen keinen Sinn machte.
Halbohr war noch immer an den Felsen gelehnt und hatte die Szene beobachtet. Gerade als er sich erheben wollte, trat Neire an ihn heran. „Halbohr, die Sache mit dem Feuer tut mir leid, aber ich hatte keine andere Wahl. Wenn ihr das gesehen hättet, was ich gesehen habe, hättet ihr nicht anders gehandelt.“ Halbohr runzelte die Stirn und dachte nach. Irgendwie glaubte er Neire nicht ganz. „Was habt ihr gesehen Neire? Wieso sollte ich euch glauben?“ Neire legte ihm sanft einen Arm auf die Schulter. „Halbohr, ich bin ein Kind der Flamme. Ich habe die Runen im Magma des inneren Auges betrachtet. Mein Leben lang. Die Runen aus Feuer und Schatten, sich ewig verändernd. Sie bergen die Geheimnisse des Chaos, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; die Magie von Jiarlirae.“ Halbohr stieß verächtlich die Luft aus. „Wenn ihr die Zukunft lesen könnt Neire, dann erzählt mir doch, was uns erwartet in dieser verlassenen Feste.“ Neire nickte und nahm den Arm von seiner Schulter. „Ich wusste, dass sie nicht verlassen war. Vielleicht hat uns die Herrscherin angelogen, vielleicht hat sie auch die Kontrolle über ihr Reich verloren. Es macht keinen Unterschied.“ Halbohr nickte und dachte zurück an die Begegnung mit der seltsamen Dunkelelfin, die sie auf die Jagd nach dem goldenen Schädel geschickt hatte. Dann bemerkte er, dass Neire nur über die Vergangenheit gesprochen hatte. „Und was ist mit der Zukunft, was erwartet uns in den nächsten Tunneln?“ Halbohr spürte, dass Neire die Antwort nicht leichtfiel. „So funktioniert es nicht Halbohr. Man kann diese Fähigkeit nicht herausfordern. Die Dinge entfalten sich von selbst, wie eine Flamme, die ewig tanzend mit der Dunkelheit ringt. Die Geheimnisse liegen im Schatten und im Feuer.“ Neire machte eine kurze Pause. „Ich sollte diese Macht nicht verschwenderisch einsetzen. Alles hat seinen Preis.“ Jetzt war es Halbohr, der anfing zu grinsen. Er hatte so etwas schon oft gehört. Alte Kameraden hatten Weissager aufgesucht und dort ihre Münzen gelassen. Gebracht hatte es ihnen nichts; sie hatten alle ins Gras gebissen. Als ob Neire seine Gedanken ahnen konnte, erhob er erneut das Wort. „Selbst wenn ich es wollte Halbohr, ich weiß nicht, ob ich euch helfen könnte. Es ist wie mit der Heilung, ihr müsst glauben, beten zu Jiarlirae… Eine große Zukunft könnte auf euch warten. Ihr könntet mit mir nach Nebelheim zurückkehren. Wir würden dort herrschen und ihr werdet alles haben, Halbohr. Gold, Juwelen, Frauen, Sklaven, was auch immer euch gelüstet.“ Halbohr konnte nicht leugnen, dass die Gedanken an die ferne, unterirdische Stadt seine Fantasie schweifen ließen. Der seltsame Jüngling, der an diesem Ort auf ihn einredete, war dort aufgewachsen. Halbohr glaubte sogar, dass Neire in Bezug auf Nebelheim die Wahrheit sprach. Der Reichtum und die Macht mussten unermesslich sein. Doch sie hatten andere Dinge zu tun. Gerade waren sie aus den Katakomben aufgestiegen und Neire schien nicht zu wissen, was hier noch auf sie wartete. So erhob sich Halbohr und schritt auf den Gang zu. Er drehte sich noch einmal um zu Neire und flüsterte. „Nebelheim ist weit weg, Neire. Wir haben hier andere Dinge vor uns und ihr könnt nicht sagen was uns erwartet. Also achtet auf eure Flammen.“
Sie waren danach weiter vorgedungen durch die Tunnel und hatten eine große unterirdische Gruft erreicht. Dort hatten sie sich in die Schatten geduckt, da sie ferne Stimmen und ein Rasseln von Ketten gehört hatten. Als die Stimmen sich entfernt hatten, waren sie in das Gewölbe vorgedrungen und hatten es durchsucht. Doch sie hatten nur leere Särge und ein verschlossenes Gitter gefunden. Dahinter war ein Gang zu sehen gewesen, in dem Fackeln brannten. Nachdem Halbohr das Schloss geknackt hatte, waren sie weiter durch den Tunnel geschlichen und standen jetzt an einer Gabelung. Im rechten Tunnel waren Stufen zu erkennen gewesen, die in die Tiefe führten. Kurz berieten sie sich über das weitere Vorgehen. Sollten sie dem rechten Tunnel folgen und einen Hinterhalt möglicher Bewohner aus der Tiefe riskieren oder den linken Tunnel nehmen, von dem sie nicht wussten ob er sie an die Oberwelt führen würde.
Jenseher:
Von dem Feuer aus Knochen stieg der Geruch von gebratenem Krebsfleisch auf. Das monströse Ungetüm, das sie in den Tiefen erlegt hatten, war vor dem dunklen See zusammengesunken. Hier, in der unteren Halle, hatte Gundaruk große Stücke von Fleisch aus der Kreatur geschnitten. Neire hatte ein Feuer aus den Knochen der Opfer errichtet, die das Wesen irgendwann einmal verspeist hatte. Sie hatten sich zuvor in den dunklen Fluten des kleinen unterirdischen Sees gewaschen und ihre Kleidung gereinigt. Jetzt brutzelten die großen Stücke, die sie in die Flammen gelegt hatten und verbreiteten einen angenehmen Geruch. Für einen Moment vergaßen die Helden die Strapazen, die sie seit der Flucht durch Regen und Unterreich erlitten hatten. Sie genossen schweigend das köstliche Fleisch, das einen schweren, salzigen Geschmack hatte. Bargh verschlang wie gewohnt die doppelte Menge. Doch sie wussten, sie konnten hier nicht länger bleiben. Sie erinnerten sich an die Stimmen, die sie zuvor gehört hatten. Da waren die brennenden Fackeln im Gang gewesen, die erst kürzlich erneuert worden waren. Als sie schließlich aufbrachen, blickte Gundaruk ein letztes Mal zurück auf die Knochen und den Moder: „Es kommt mir vor, als wären wir am Ort des Abfalls gelandet.“ Sprach er und blickte die Treppe hinauf. Neire lächelte ihn in diesem Moment an und flüsterte. „Auch wenn wir uns an einem Ort des Abfalls befinden… so werden wir einst aufsteigen, wie glühende Juwelen am Nachthimmel; wir werden die Welt überkommen.“
Neire blickte an Bargh vorbei in den von Fackeln erhellten breiten steinernen Gang. Halbohr war schon vor einiger Zeit vorgeschlichen. Jetzt war er entweder in der Dunkelheit oder hinter einer Ecke des unterirdischen Weges verschwunden. Neire nickte Bargh zu und sah, dass der Krieger Jiarliraes sich vor ihm in Bewegung setzte. Leise klirrten die Kettenglieder, die die schweren Platten seiner Rüstung zusammenhielten. Neire schlich hinter seinem Mitstreiter und konnte dessen verbrannten Schädel im Fackellicht sehen. Der Kopf von Bargh war völlig haarlos und die Haut immer noch gerötet. Schließlich erreichten die beiden das geöffnete Portal, an dem der Gang einen Knick machte. Dahinter sah Neire eine weitere Türe zur Linken und schemenhaft die gekniete Gestalt von Halbohr. Der elfische Söldner blickte zu ihnen auf und hatte den Zeigefinger auf den Mund gelegt. Mit einer Kopfdrehung deutete er auf die geschlossene Türe. Neire trat vorsichtig dort hin und legte ein Ohr an das Holz. Er hörte gedämpfte menschliche Stimmen, Schritte und Gelächter. Augenblicklich stieg die Aufregung in ihm. Wieso sollten hier Menschen hausen, so nah bei den Monstern und untoten Geschöpfen? Vielleicht waren es Räuber, Geflüchtete oder eine Art Kult? Vielleicht waren es aber auch Suchende, so wie er selbst. Er war sich sicher, dass sie ihn mit offenen Armen empfangen würden. Sie mussten sich nach einer Abwechslung sehnen. Sie würden seiner Schönheit zugetan sein, seinem Witz und seinen weisen Worten lauschen. Neire schaute zu Halbohr und deutete eine Klopfbewegung an. Er sah, dass Halbohr ihn zuerst fragend anschaute, aber dann mit den Schultern zuckte. Jetzt drang das Geräusch des dumpfen Holzes durch den Tunnel: Drei kurze feste Schläge. Für einen Moment herrschte Stille. Dann konnte Neire Schritte hören, die sich näherten. Es gab das Geräusch eines zurückgezogenen Riegels, dann glitt die Türe knirschend auf. Neire bemerkte, dass Halbohr sich bereits in die Schatten zurückgezogen hatte, als das Licht aus dem Inneren hervordrang. So stand der junge Priester alleine im Gang und musterte seinen Gegenüber. Ein noch recht junger Krieger war ihm entgegengetreten. Er trug ein Schwert und einen Schuppenpanzer, über dem ein Waffenschurz zu sehen war. Dort war ein großes blaues Auge, umgeben von gelben Flammen dargestellt. Ein okkultes Symbol, das Neire nicht kannte. Vielleicht war es neueren Ursprungs. Für einen kurzen Moment herrschte eine gespannte Stille. Blaue Augen funkelten Neire misstrauisch an. Dann nahm der Jüngling tief Luft und hob sein Kinn. Er versuchte sein Zittern zu kontrollieren und sprach mit zischelnder Stimme eines fremden Akzentes. „Mein Name ist Neire. Wir sind von weit her gekommen um uns euch anzuschließen. Doch wir verlangen eine Bezahlung.“ Neire hielt in der rechten Hand den gewellten Degen mit dem Schlangengriff; doch nicht in einer feindseligen Pose. Er strich sich mit seinem verbrannten Arm die gold-blonden Locken zurück, die ihm ins Gesicht gefallen waren. Doch das Gesicht des Kriegers vor ihm verzerrte sich und er begann zu schreien. „Alarm, Alarm… Eindringlinge.“ Neire sah bereits, dass in dem langen, Fackel-erhellten Tunnel dahinter Bogenschützen ihre Positionen eingenommen hatten. Wut stieg in ihm auf. Hatte er nicht freundlich mit dem Krieger gesprochen. Sich sogar höflich vorgestellt. Ich muss es wie die Platinernen Priester tun. Ich muss sprechen mit der Stimme der schwarzen Natter. Tragen das betörende Feuer der Schatten. „Ich bin als Suchender gekommen und wollte euch meine Fähigkeiten anbieten. Sehet, was das Kind der Flamme im Stande ist zu tun.“ Neire hatte bereits seine linke Hand nach vorne gestreckt. Mit dem Ballen nach oben, wie man einen Apfel halten würde. Schon begann die Flamme aus Magma und Schatten zu züngeln, als ob sie aus seiner Haut selbst brenne. Er sah, dass die Krieger gebannt in das tanzende Licht blickten. Neire murmelte jetzt die zischelnden Worte uralter Gebete aus Nebelheim. Es waren die Verse des Abgrundes, die Reime aus der Düsternis. Schon blickten die Krieger gebannt in die Flammen und konnten ihre Augen nicht mehr lösen. Neire begann mit seinem einflüsternden Singsang: „Ihr dienet mir. Geleitet mich zu eurem Anführer. Tuet, was ich sage.“ Die zwölf Worte hallten vor Macht und die Augen Neires brannten wie glühende Kohlen. Doch zwei der Krieger widersetzten sich seinem Befehl. Neire konnte nichts tun, als sie sich zum Angriff bereit machten. Er bemerkte jetzt, dass Bargh zu ihm aufgeschlossen war und begann Schritt für Schritt in den Tunnel zu vorzudringen. Tatsächlich eskortierten ihn die Krieger. Dann hörten sie weitere Stimmen und Schreie. Sie kamen aus einer Windung, die sie nicht einsehen konnten. Neire begann abermals den alten Hohegesang zu rezitieren. Nun waren es die Gebete der Menschenschlange des wahren Blutes. Er entfesselte damit die Wut der Anhänger des Chaos - der Getreuen Jiarliraes. Schon sah Neire Geifer aus dem Mund von Bargh laufen. Der große Krieger stürzte sich auf den ersten Widersacher, der seinem bezirzendem Schlangenfeuer standgehalten hatte. Mordlüstern durchbohrte er dessen Brustkorb. Der Kristall, der das rechte Auge von Bargh ersetzte, schimmerte jetzt rötlich, als ob eine dunkle Flamme in ihm brennen würde. Sie rückten gemeinsam vorwärts und der zweite Widersacher flüchtete sich tiefer hinein, in die Behausung der Anhänger des brennenden blauen Auges. Auch Halbohr war plötzlich zu sehen und eilte voraus bis zur Ecke. Dort begann er mehrere Dolche in den Raum zu werfen, der sich hinter der Biegung auftat. Als sie die Ecke erreicht hatten erblickte Neire die Halle und die feindlichen Krieger. Ein halbes Dutzend Gestalten konnte er sehen. Jetzt rief er zu Bargh und denen, die in des Feuers Bann waren: „Greift an. Tötet sie, denn sie haben euch verraten.“ Sie stürzten nach vorne und ein grausames Gemetzel begann. Bargh war wie in einem Kampfrausch. Neire lächelte und hielt die Chaosflamme der alten Göttin in die Höhe. Er trieb sie an und betrachtete das Blutbad. Den Abriss zu Leichen, zertrümmert und zerbrochen, den Haufen der Eingeweide – feucht und dampfend; durchtrennte Sehnen, verstümmelte Gesichter und abgerissene Haut. Heftiges Scheiden, ernsthaftes Hacken – Todesgeräusche erfüllten die Luft.
Halbohr hatte den Kampf wie einen Traum erlebt. Alles war so langsam passiert und doch so schnell vorrübergegangen. Als Söldner kannte er dieses Gefühl aus vergangenen Schlachten, doch einen Kampf, der in dieser Brutalität geführt wurde, hatte er noch nicht erlebt. Begonnen hatte es durch den okkulten Gesang von Neire. Der liturgische Choral hatte ihm Kraft gegeben und er hatte die Macht des Chaos gespürt. Seine militärische Disziplin hatte er verloren, doch jeder seiner Angriffe war anders gewesen. Sie hatten alle ein Überraschungsmoment gehabt, waren geglückt und hatten ihn vor größerem Schaden bewahrt. Darüber hinaus waren sie tödlich gewesen und hatten ihn weiter angestachelt. Als ob er durch die Mordlust von Bargh mitgerissen worden wäre. Dann war der Krieger aus einer hinteren Türe erschienen und Halbohr hatte ihn direkt als Anführer erkannt. Ein Mann von hoher, aber nicht übergroßer Statur, mit blondem Haar und feinen Gesichtszügen. Kaum war er erschienen, wurde er von Neire angegriffen. Eine Kugel aus dunklen Magmaschatten verbrannte ihn; nekrotisierte seine Haut. Danach flüchtete der Mann, durch die Türe, durch die er gekommen war. Jetzt, nachdem Bargh und er alle feindlichen Krieger getötet hatten, standen sie vor eben dieser Türe, die metallverstärkt und versehen mit einem Schlüsselloch war. „Reißt sie nieder, brecht sie auf!“ Halbohr hörte die Worte von Neire und spürte für einen Moment die Freude selbst dem Befehl Folge zu leisten. Doch er hielt sich zurück. Er sah das Feuer in den Augen des Jünglings. Neire hatte offensichtlich ein weiteres Mal seinen Verstand verloren und war von purer Mordlust angetrieben. Halbohr hörte das gewaltige Krachen, als Bargh seinen gepanzerten Körper gegen die Türe warf. In diesem Moment gab es ein Leuchten, das von der Türe ausging. Das Portal hielt stand, doch eine betäubende Magie, getragen durch das silberne Licht, strömte auf ihn. Er spürte wie sich sein elfisches Blut sträubte, hörte die Stimmen aus der Ferne. Jetzt überschlugen sich die Dinge. Bargh torkelte zurück und schrie wie verrückt. Ich muss sie zur Vernunft bringen. Wir müssen zusammen kämpfen und zusammen werden wir die Eingeweide der Erde verlassen. Wie in einem plötzlichen Wachheitszustand richtete Halbohr die Stimme an Neire und Bargh. „Neire, Bargh! Wo ist Gundaruk? Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Wir müssen ihn suchen. Vielleicht befindet er sich in Gefahr.“ Halbohr starrte Neire eindringlich an, doch das Kind der Flamme schien nicht zu reagieren. Als sich Halbohr umdrehte, hörte er erneut den zischelnden Singsang von Neire. Diesmal war das Feuer in den Augen des Kindes der Flamme intensiver. Halbohr eilte den Tunnel zurück. Weiter und weiter. Das letzte was er sah, war das Brennen, das aus den Augen Neires hervorbrach und alles in seinem Weg zerstörte.
Vielleicht war es ein Instinkt, der Kontrolle über das Handeln von Gundaruk nahm. Erfahrung kam durch Wissen und durch Anwendung. Stärke war keinem in die Wiege gelegt. Sie kam durch den Kampf, das Fallen und das Wiederaufstehen. Instinkt war die Summe aus allem, aus Erfahrung und Weisheit und - vor allem - aus dem Lernen vergangener Fehler. Vielleicht war es dieser Instinkt, der Gundaruk dazu bewog einen anderen Weg zu nehmen und an der noch unerforschten weiteren Türe zu lauschen. Er sah seine Kameraden in den fackelerhellten Gang verschwinden und ihn erfüllte ein Gefühl von Wehmut. Dieses Gefühl war jedoch nicht in dem Verhalten seiner neuen Freunde begründet. Es war vielmehr eine Erinnerung die ihn plagte. Eine Entscheidung, die er damals in einer Schlacht getroffen hatte und die zu viel Leid geführt hatte. Vielleicht war es dieser Instinkt, der nun sein Unterbewusstsein bewog diese Entscheidung erneut zu treffen – in der Hoffnung das Schicksal möge sich diesmal zu einem Besseren wenden. Seit dem Verlassen des Grabes war Gundaruk wieder völlig allein. Er umklammerte den elfischen Speer und betrachtete das Runenband aus Gold, das den ewigen Ruhm und den Glauben seiner Vorfahren trug. Diese Betrachtung führte zu einer tiefen Zuversicht, die ihm Halt gab. Dann war da plötzlich der Schrei. Er hörte den Alarm Ruf aus den Tunneln und machte sich kampfbereit. Hinter der Türe waren jetzt lautere Geräusche zu vernehmen. Gundaruk hatte sich bereits angriffsbereit gemacht, als der Kampf begann. Die Türe wurde aufgerissen und er sah dahinter riesenhafte Kreaturen, in der Form von aufrecht gehenden Hyänen. Nahkämpfer stürmten heran – in der unterirdischen Halle bemerkte er Bogenschützen. Ein Gemetzel begann, als er den Speer wie eine Nähnadel des Schicksals bewegte. Nur waren es die Fäden des Lebens die er durchtrennte. Wie in einem Rausch kämpfte Gundaruk. Bis zur totalen Erschöpfung. Angriff um Angriff führte er, Leib um Leib fällte er. Er spürte nicht die vielen kleinen und tieferen Wunden. Hier verletzte ihn ein Morgenstern, dort eine Axt. Er sah die Bilder einer Schlacht aus seiner Jugend. Schneebedeckte Berge, ein Tal und einen See. Die Burg auf der kleinen Insel war dem Untergang geweiht, sollte er sie nicht verteidigen. Er hatte die Übermacht an Gegnern bereits dezimiert und er schwelgte bereits in dem Sang seines Landes – die Steine, Eichen, Haine und Runen. Dann kam der Schlag. Kreaturen waren durch die hintere Türe durchgebrochen. Er hatte sie zu spät bemerkt. Die Wurfaxt senkte sich tödlich auf seinen Kopf. Er spürte, wie seine Glieder weich und warm wurden, als er zusammenbrach. Seine letzten Gedanken waren bei seinem stolzen Volk.
Jenseher:
Leise und schnell bewegte sich der elfische Söldner durch den Fackel-erhellten Tunnel. Er wusste nicht wo Gundaruk sich befand, doch er ahnte, wo er sein musste. Halbohr folgte seinem Instinkt und seiner taktischen Ausbildung als Söldner. Als er um die Ecke blickte, sah er, dass die zuvor verschlossene Türe jetzt geöffnet war. Dahinter war ein weiterer Raum zu sehen, in dem sich ein Knäuel von grünlichen und hyänenähnlichen Kreaturen befand. Diese standen aufrecht und schlugen auf etwas ein; etwas, das auf dem Boden lag. Sein Instinkt hatte Halbohr nicht betrogen. In dem Knäuel sah er für einen kurzen Moment den blutverschmierten Kopf von Gundaruk. Halbohr wusste, dass er jetzt handeln musste. Falls Gundaruk noch lebte, würden die blutrünstigen Geschöpfe nicht lockerlassen; sie würden auf ihn einschlagen bis er sich nicht mehr regte. Dann würden sie ihn zerreißen und bei rohem Leibe verspeisen. Doch Halbohr wusste, dass auch sein Leben auf dem Spiel stand. Den Kampf mit fast einem Dutzend Gegner konnte er nicht aufnehmen. Er packte seine Dolche fester und trat aus den Schatten in das Fackellicht. Seine gerufenen Laute ahmten die gesprochenen Worte der Kreaturen in einem Spott nach und er sah wie sie sich umdrehten. Jetzt spürte er das Adrenalin; sein Herz begann zu pochen. Doch seiner militärischen Ausbildung nach, musste er sie an einem anderen Ort stellen. Einem Ort, den er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Halbohr wartete einen Moment und zog sich dann mit hastigen Schritten in den Gang zurück. Er lockte die Gestalten die ihm folgten in die Dunkelheit, doch er sah nicht wie viele ihm folgen. Auch ließ er Gundaruk seinem Schicksal zurück. Doch so war nun mal der Krieg. Es mussten Entscheidungen getroffen werden und Entscheidungen bedeuteten nun mal Leben oder Tod.
Flammen schlugen aus dem versperrten Portal. Rauch und Asche strömten ihm entgegen. Das Kind der Flamme ließ den grausamen Strahl von rötlicher Magmafarbe abebben. Das Feuer loderte noch in seinen Augen. Vor ihm hatte Neire die Türe in fast zwei Stücke verbrannt. Die Flammen prasselten aus dem Holz und um das geschmolzene Metall. Sie drohten Neire zu verzehren. Doch den jungen Priester schien das nicht zu irritieren. Er hob seinen mit gold-blonden Locken umspielten Kopf und machte einen Schritt in Richtung der Türe. In diesem Moment konnte ihn nichts aufhalten und er fühlte sich unbesiegbar. Neire hob die schattenhafte Chaosflamme in seiner linken Hand und zeigte mit seinem gewellten Degen auf die Türe. „Voran Bargh, Drachentöter Jiarliraes, voran!“ Angetrieben von seinem schlangenhaften Singsang ließ Bargh seinen niederen Instinkten freien Lauf. Schweiß lief mittlerweile vom haarlosen und von Brandwunden gezeichneten Kopf des noch jungen Mannes. Der Krieger Jiarliraes warf das massive Gewicht seines silbern schimmernden und von Scharten gezierten Plattenpanzers gegen die brennende Türe, die augenblicklich zerfetzte. Im Glutregen sahen Neire und Bargh nun das dahinter liegende Gemach. Kein Ausgang war zu erkennen und ein Feuer loderte in einer kleinen Schale. Die Einrichtung war kostbar. Viele Teppiche und Wandbehänge schimmerten in seltenen Fliederfarben. In die nähere Betrachtung fiel ein großer Wandspiegel, vor dem eine kristallene Vase auf einem kleinen Tisch stand. In diesem Gefäß waberte eine rötliche Flüssigkeit wie Nebel. Im hinteren Teil des Raumes bemerkten sie zudem einem kleinen Altar mit einer silbernen, acht-beinigen Spinne. Eine schwarze Kerze war an jedem Bein entzündet. „Kommt hervor ihr Gewürm!“ Die bedrohliche Stimme Barghs überschlug sich fast vor Wut, als der etwa 19 Jahre alte Krieger wutentbrannt in den Raum eindrang. Neire sah wie Bargh auf das Bett zusteuerte, das eine verdächtige Wölbung angenommen hatte. Mehrere Stiche und Hiebe ließ er auf das Bett niedergehen, so dass weiße Federn aufgewirbelt wurden und sich mit dem dunklen Rauch vermischten. Neire trat währenddessen an die Vase heran und ließ den Feuerstrahl aus seinen Augen wieder auflodern. Unter dem Knistern und Knacken der Vase, auf die der Strahl gerichtet war rief er zu Bargh: „Durchsucht den Raum, unterm Bett, im Schrank und hinter dem Schankeck. Der feige Bastard darf uns nicht entkommen.“ Neire konzentrierte sich auf die Flammen, sein Feuer erhitzte das Gefäß, das bereits glühte. Nur aus dem Augenwinkel sah er, dass der von ihm bezauberte letzte verbliebene Krieger ihn nun angriff. Neire ließ das Feuer seiner Augen nicht von der Vase weichen und führte zwei schnelle Angriffe mit dem Degen. Beide trafen ihr Ziel, der zweite umso tödlicher. Mit aufgeschlitzter Kehle ging der Krieger im Schuppenpanzer nieder.
Jetzt lauerte Halbohr in den Schatten und bewegte sich nicht. Wie eine Vogelspinne konnte er so verharren – stundenlang. Er hatte gelernt plötzlich hervorzuzucken, das Momentum auf seiner Seite. Ein wahr gezielter und ein recht dosierter Angriff aus dem Hinterhalt konnte den mächtigsten Gegner fällen. Um Ehre hatte er nie gekämpft. Ehre war für starke Schwache. Sie fühlten sich stark, doch endeten schwach, wenn er sie ermeuchelt hatte. Aus dem Raum, in den sich der vermeintliche Anführer zurückgezogen hatte, bemerkte Halbohr Feuerschimmer und Rauch hervordringen. Zudem hörte er die Schreie von Neire von dort. Doch jetzt kamen sie. Er erlauschte Schritte aus dem Tunnel und sah bereits die ersten Kreaturen auftauchen. Die Grünlinge gingen voran. Halbohr betrachtete sie aus dem Verborgenen und studierte wunde Punkte. Sie waren groß und muskulös, von gedrungenen Gesichtern und mit spitzen Ohren. Nein, Orks waren es nicht. Dafür waren ihre Köpfe zu flach, ihre Nasen zu platt. Eher hatten sie Ähnlichkeiten mit Goblins, jedoch diesen in Größe und Stärke um ein Vielfaches überlegen. Hinter den vier Gestalten, folgten zwei der Hyänenkreaturen. Als die Feinde sich zum Kampf bereit machten, nutzte Halbohr seine Gelegenheit. Aus den Schatten schoss er nach vorne und rammte der ersten Hyänenkreatur den Dolch von hinten in den Hals. Das Wesen sank augenblicklich zu Boden, in einer leisen Bewegung, die von ihm geführt wurde. Die zweite Kreatur hatte ihn noch nicht bemerkt und wurde Opfer eines weiteren hinterhältigen Angriffes. Zwei Gestalten drehten sich jetzt zu ihm um, gierig nach Blut und Morgensterne in den Händen. Dann schoss plötzlich der brennende Strahl von Magma aus der Kammer des Anführers. Es musste Neire gewesen sein, dachte Halbohr. Der Kopf eines Wesens wurde in Flammen gehüllt und grausame Schreie erfüllten die unterirdische Wachstube. Nur einen Augenblick später sah Halbohr den dunklen Krieger mit dem rotschimmernden Rubinauge auftauchen. Wie in einem Blutrausch schlug Bargh der verbrannten Kreatur den Kopf ab und stach bereits die nächste nieder. Sie hatten die Feinde jetzt in einem Zangengriff; eine militärische Wendung, die nur den Sieg bedeuten konnte. Halbohr spürte noch immer die Mordlust des Gesanges der alten Chaosgöttin. Gemeinsam mit Bargh rang er die letzten Kreaturen nieder. Doch es waren nur sechs. In dem Knäuel bei Gundaruk hatten seine soldatisch geschulten Augen acht Gegner gezählt. Er durfte keine Zeit verlieren und drehte sich wortlos um, um den Tunnel hinabzustürmen. Was hatten die zwei verbliebenen Kreaturen mit Gundaruk angestellt?
Sie hatten das Gemach in ihrem Kampfrausch abgesucht, aber es glich eher einem Schlachtfeld. In blinder Wut hatten Neire und Bargh die glühende Vase zertrümmert. Erst hatte Neires feuriger Magmastrahl sie zum Glühen gebracht, dann hatte Bargh sie mit seinem Schwert zerschmettert. Der rötliche Nebel war aus dem Inneren gewichen und durch das Feuer aufgelöst worden, wie in einem Glitzern von Sternen. Doch vom Anführer der Wachleute gab es keine Spur. Verzweiflung überkam Neires Gemüt und er blickte sich langsam um. Um sie herum sah er die Spuren der Verwüstung. Das Feuer an der Eingangstüre war bereits ausgegangen. Ja, sie hatten eine Menge Schätze gefunden. Darunter eine mit Diamanten besetzte Goldkette und fast ein Dutzend wertvolle Feueropale. Doch Neire dachte an die Kupfernen Krieger und die Jagd in den Eishöhlen. Er erinnerte sich an die dunklen Geschichten. War damals eine der Kreaturen entkommen, konnte das einen Hinterhalt für die Kupfernen Krieger bedeuten. Ganze Expeditionsgruppen waren wegen eines solchen Grundes nicht zurückgekehrt. Er durfte nicht versagen. Er dachte an Lyriell. Was würde sie jetzt tun? Schon war die Aggression des Kampfes und die Mordlust vergessen. Er fühlte sich nicht mehr unbesiegbar, sondern klein und schwach. Kaum nahm Neire Notiz von Halbohr, der den schwer verwundeten Gundaruk in den Raum schleifte. Neben den vielen Schnittwunden trug Gundaruk auch Bissspuren. Drei der Wunden sahen entsetzlich aus, dort wo die Zähne der Kreaturen das Fleisch herausgerissen hatten. Die aufrecht gehenden Hyänen hatten anscheinend bereits begonnen Gundaruk zu verspeisen. Neire hatte sich dem Schreibtisch zugewendet. Er sah dort mehrere Briefe und eine markierte Karte. Die Briefe waren größtenteils Korrespondenzen. Ein Teil der Briefe belegte einen Schriftwechsel mit einem Heiligtum der vier Mächte. Ein sogenannter Lareth, vermutlich der verschwundene Anführer, forderte besseren Nachschub von diesem Heiligtum, das sich in der Nähe von Klingenheim befinden musste. Auch wurde über das jüngste Wetter gespottet. Ein anderer Teil der Briefe kam von der Dunkelelfin Raxira. Sie warf Lareth vor ein falsches Ziel im Namen der Spinnengöttin zu verfolgen. Er solle sich lieber um Ched Vurbal kümmern. Gemeinsam müssten sie den Kampf gegen Akatea Abyssa aufnehmen, die als geschuppte Pest verunglimpft wurde und den Zugang zum Nest der versteinerten Spinne versperrte. Den Namen Akatea Abyssa kannte Neire nicht, aber das Nest der versteinerten Spinne konnte er als Ched Vurbal interpretieren. In seiner Verzweiflung überstürzten sich die Gedanken in Neires Kopf: Die geschuppte Pest kann ein abwertender Ausdruck für einen Drachen sein. Halbohr hat doch von einem Drachen erzählt, oder vielmehr von Schuppen, die er im Gemach der Herrscherin gesehen hatte. Vielleicht ist die Herrscherin nicht diejenige, für die sie sich ausgibt. Vielleicht haben wir unter der Erde bereits Akatea Abyssa getroffen. Doch diese Gedanken brachten Neire keinen Mut. Er dachte an Raxira und ihre Beziehung zu Lareth. Anscheinend beteten sie beide zur schwachen Spinnengöttin. Vielleicht hatte Raxira Lareth etwas gegeben, durch das er sich hatte erretten können – teuflische dunkelelfische Magie. Vielleicht war er in Windeseile durch Raum und Zeit gereist, um sich in der Feste Faust und an der Seite von Raxira zu materialisieren. Sie mussten herausfinden, wer Akatea Abyssa war und was es mit diesem Heiligtum der vier Mächte auf sich hatte. Tatsächlich hatte Neire schon einmal von letzterem gehört. Ein Tempel der vier Elemente, der vor etwa 40 Jahren zerstört wurde und in der Nähe von Klingenheim lag. Neire blickte sich um. Halbohr kümmerte sich um Gundaruks Wunden und Bargh näherte sich dem kleinen Schankeck im Raum. Auch er sehnte sich nach den Festen von Nebelheim, den Getränken – dem Rausch. Doch er musste weiter untersuchen. Er murmelte die zischelnden Formeln und betrachtete den Spinnenaltar. Er bemerkte eine mittelstarke Magie der Veränderung, doch nichts weiter. Auch anderswo im Raum war keine Magie zu entdecken. An diesem Punkt gab er auf. Das Lachen und der angetrunkene Gesang von Bargh waren bereits laut zu hören. Neire gesellte sich zu ihm und trank. Die Getränke waren fein und hochprozentig. Sie tranken und lachten. Sie grinsten sich gegenseitig an, als sie ihre blutverschmierten Körper sahen. Doch es war das Blut der Feinde was an ihnen haftete. Das Gelage ging so eine Weile und es war Bargh, der in einem Übermut die erste Kristallkaraffe gegen eine Wand schleuderte. Das kostbare Gefäß zerbrach und der wertvollere Inhalt wurde über die Wand verteilt. Neire macht es Bargh nach und sie beide fielen in einen jugendlichen, unbedarften Freudentaumel von Zerstörungswut. Als das letzte Gefäß zerstört war, torkelte Neire bereits und sah verschwommen seine Umgebung. Er wusste, dass auch dieses Fest ein Ende haben würde. So wie damals in Nebelheim; beim Abstieg der Menschenschlange des wahren Blutes. Und da war er wieder; der Schmerz der Erinnerung. Er torkelte zum Spiegel und betrachtete sich. Dahin war seine Schönheit. Mit zischelnder trunkener Stimme sprach er zu sich selbst: „Kind der Flamme, paah. Ein Nichts bist du. Klein und schwach. Du hast versagt in Nebelheim und du wirst wieder versagen.“ Neire dachte an das letzte Bild von Lyriell und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Er schlug mit geballter Faust in sein Ebenbild und sah sich selbst in Scherben zu Boden gehen.
Halbohr hatte Gundaruk gerade noch rechtzeitig aus dem Raum gezogen. Neire hatte sich plötzlich und ohne erkennbaren Grund in einen Wutrausch gesteigert. „Hinaus!“ hatte er trunken gebrüllt. Auch Bargh war davon getorkelt. Dann war das Gemach des Anführers in verstetigtem Magmafeuer explodiert. Gleißende magische Flammen und Dunkelheit. Kein Mensch konnte diese Hitze überleben. Doch nach einiger Zeit war Neire aus den Flammen erschienen. Mit feurigen Augen und gold-blondem schimmerndem Haar. Er hatte Lobpreisungen zu Jiarlirae gerufen und zum Kampf angespornt. Neire und Bargh hatten dann die Pferde gesattelt und mit Proviant ausgestattet. Als sie an Halbohr vorbeiritten, hatte Neire seinen fragenden Blick bemerkt und war seiner Frage zuvorgekommen. „Wir haben Dinge zu tun Halbohr, doch wir werden zurückkommen. Wir tragen die Chaosflamme der höchsten Göttin und erforschen die tiefsten Geheimnisse ihrer Schatten. Tut euren Teil Halbohr. Denkt an euren Vertrag.“ Mit diesen Worten warf ihm Neire die goldene Juwelenkette zu und verschwand mit seinem Kameraden Bargh durch den fackelerhellten Gang.
Jenseher:
Es schwelte die Hitze der Flammen, die von Neire in den Baracken-Räumen der alten Feste entfacht wurden. Die Räume stanken erbärmlich nach dem Ruß verbrannten Holzes, Stoffes und Fleisches. Die riesige Gestalt Gundaruks lag in einer unruhigen Ohnmacht auf einer der Liegen. Sein Leib war gezeichnet durch Wunden, die die Speere der Hyänen Kreaturen ihm zugefügt hatten. Doch der Elf Halbohr wollte ihm keine Rast gönnen. Der grobschlächtige Söldner wog die Möglichkeiten ab, die sie hatten und vor allem die, die ihre Feinde hatten. Unsanft weckte er Gundaruk aus seinem Schlaf: „Gundaruk, wacht auf! Schlafen können wir später! Der Anführer der Wächter ist entkommen, wer weiß, wen er auf uns hetzt. Wir müssen ihn jagen, bevor er uns jagt!“ Halbohr war sich nicht sicher, ob er seinen Mitstreiter tatsächlich überzeugen konnte oder ob Gundaruk einfach zu geschwächt war, um anderer Meinung zu sein. Der kürzlich in einem Grabe erwachte große Mann aus einer fernen Vergangenheit beschwor die Kräfte der Natur. Die tiefsten Wunden begannen sich zu schließen. „Wo sind Neire und Bargh?“ fragte Gundaruk, nachdem er sich wunderte, dass die beiden Anhänger Jiarliraes nirgendwo zu sehen waren. Die einzige Antwort, die Halbohr darauf geben konnte, war: „Wer weiß schon, auf welche Irrwege die beiden sich begeben.“
Da alle Wächter der von ihnen erstürmten Gemächer als verwesende Leichen zu Boden lagen, entzündete niemand mehr die Fackeln in den Gängen. Dies wollte Halbohr nun ausnutzen und die Dunkelheit zu seinem Gefährten machen. Tatsächlich dauerte es auch nicht lange, und die Gänge lagen in tiefer Schwärze vor Halbohr und Gundaruk. Sie folgten dem Verließ zu der Halle in der Gundaruk gegen die Kreaturen gekämpft hatte. Blut bedeckte den ganzen Boden und ein Leichengestank lag über der Kammer. Als Halbohr eine der Türen in diesem Raum öffnete, stutzte er. Direkt dahinter war nichts weiter als blanker Stein. Kein Mechanismus oder versteckte Öffnungen waren zu sehen. Verwirrt verließen die beiden den Raum und folgten weiter den dunklen Gängen. Immer wieder hielt Halbohr inne und versuchte, Geräusche des Anführers der Wächter auszumachen, doch es herrschte nur Stille. Sie folgten den unterirdischen Tunneln und passierten eine Abzweigung, die mit einem schweren Eisengatter versperrt wurde. Hier kehrten sie um und erreichten einen weiteren Raum, der gefüllt war mit Zielscheiben und Puppen aus Stroh. In einigen kleinen Nebenräumen waren Zellen zu sehen, die wohl für Rekruten errichtet worden waren, die sich Verfehlungen bei ihrem Wachdienst eingehandelt haben. Im geistigen Auge Halbohrs blitzen bei dem Anblick Bilder seiner Vergangenheit auf. Er dachte zurück an Tage, als er noch nicht seinen Namen angenommen hat. Wie lange er in diesen Übungsräumen verbracht hatte und verdammt gewesen war, mit dem unfähigen Abschaum zu üben. Seine einstigen Kameraden, die ihr Glück oder - wie er selbst – vielleicht ihre Flucht im Soldatentum gesucht hatten. Eine der Türen in diesem Raum öffnete sich an eine blanke Felswand, doch diesmal sah Gundaruk einen leichten Schimmer. Es war ein feiner silberner Draht, der von der Ture in den Stein verschwand. Vermutlich ertönte irgendwo eine Alarm-Glocke, wenn ein Unwissender versuchte, diese Türen zu öffnen. Gundaruk und Halbohr gingen wieder zurück, als Halbohr in einem der Gänge feine Rillen entdeckte. Wieder fanden sie eine der verborgenen Türen die sie hier schon öfters entdeckt hatten. Hinter der Türe verbarg sich ein schmaler Gang, der an einer Konstruktion aus zwei großen hölzernen Rädern endete. Lag nicht auch das Gatter in der Nähe? Mit vereinten Kräften drehten sie ein Rad, was entfernt an das Steuerrad eines Schiffes erinnerte. Und tatsächlich hörten sie nicht weit das Schleifen von Metall auf Stein. Sie verließen den geheimen Raum und gingen zurück zu dem Gatter, dessen Gitterstäbe in Öffnungen in der Decke verschwunden waren. Treppenstufen zeigten den weiteren Weg nach oben. Gundaruk und Halbohr gelangten jetzt in einen Bereich der Feste, an dem die Wächter bisher kein Interesse gehabt hatten. Die Gänge und Räume hier schienen schon seit langer Zeit nicht mehr betreten worden zu sein. In einem Raum, dessen Wände mit alten staubigen Spinnweben bedeckt waren, hielt Gundaruk inne. Auch hier befanden sich feine Rillen in einer Wand und er entdeckte eine weitere verborgene Türe, die die beiden aufdrückten. Dort hinter führte eine Wendeltreppe nach oben. Entfernt konnten sie den schwachen Schein von Sonnenlicht ausmachen. Die Wendeltreppe endete an einer hölzernen Türe. Leise gingen die beiden Abenteurer auf diese zu, hatte Halbohr doch hinter der Türe Geräusche von Stimmen vernommen. Mit einem leisen Knirschen öffneten sie die Türe. Was sie dahinter erblickten überraschte nicht nur die beiden. Sie kamen in große Halle, deren Wände aus schwarzem Stein, mit Verzierungen aus Elfenbein bestand. Dieser Ort war jedoch in einem verwahrlosten Zustand. Eine Wand war völlig weggebrochen und offenbarte den Blick nach außen. Hinter Schlieren von Regen konnten sie den Zwielichtigen Saum des Waldes aufragen sehen. Doch was sie wirklich überraschte, waren die Gestalten, die um einen Topf auf einer Feuerstelle kauerten. Etliche Menschen, die noch nicht viele Winter erlebt hatten, waren hier versammelt. Jedoch schienen sie nicht zu der Wächterschar aus den unteren Stockwerken gehören. Jedenfalls trugen sie keinerlei Wappen. Gundaruk und Halbohr tauchten direkt hinter ihnen aus der Türe auf. Halbohr dachte einen Augenblick über eine Verhandlung mit den Gestalten nach, aber er wollte die Gelegenheit direkt nutzen und keine Risiken eingehen. Also stieß er seinen Dolch in die Kehle einer der Gestalten, die einen gold-glänzenden Streitkolben in der Hand hielt. Blutend und röchelnd fiel der Mann zu Boden. Auch Gundaruk zögerte nicht. Er stieß mit seinem Speer nach vorne und bohrte die Spitze in den Leib einer anderen Gestalt. Es dauerte nicht lange, bis die Gruppe von den beiden Abenteurern niedergemacht wurde. Sie konnten so gut wie keine Gegenwehr leisten. Sie atmeten die kalte Regenluft und begannen die Fremden zu untersuchen. Der Streitkolben aus Gold trug eine Inschrift: „Gold ist der Weg zum Reichtum; Macht ist Gier“. Alles in allem schienen Halbohr und Gundaruk in eine Gruppe von Grabräubern gelaufen zu sein, die dachten, die alte Feste wäre ein leichter Ort um an Reichtümer zu gelangen. Die eingestürzte Wand offenbarte auch, dass es vermutlich sehr einfach war über die Trümmer in diesen Turm zu klettern. Die beiden schritten weiter durch die obersten Stockwerke der alten Feste. Das Bild des Verfalls zog sich hier weiter fort. Sicherlich schien es mal ein prächtiger Ort gewesen zu sein, doch der Zahn der Zeit und die Zerstörung einiger Kriege hatte viele der Räume zusammenfallen lassen. Sie blickten in einen Innenhof, der übersäht war mit Schutt. Durch die eingestürzten Mauern konnten sie auf den überschwemmten Wald schauen, von dem die Feste umgeben war. Der Blick hatte etwas Trostloses und Einsames.
Plötzlich hörte Halbohr von einem der Türme ein Grollen, wie Stein auf Stein. Sie folgten dem Geräusch und kamen zu einem weiteren Turm. Auch hier war eine der Wände durch das Alter eingestürzt und lag offen. Plötzlich stieß durch die Öffnung der gewaltige Schädel einer abscheulichen Echsenkreatur. Schwarze Augen blickten wütend auf Gundaruk und Halbohr herab und gelbliche Reißzähne verbargen den tief-schwarzen Schlund der Kreatur. Mit ihren langen Krallen zog sie ihren Körper näher. Ihre grün-gelben Schuppen glänzten selbst in dem Zwielicht des vorherrschenden Regens. Das Maul der Kreatur öffnete sich und versuchte den Leib Gundaruks zu verschlingen. Der Gestank war betäubend, voll von Tod und Verwesung. Doch fast zeitgleich nutzen Halbohr und Gundaruk genau diesen Moment. Halbohr stieß mit seinem Doch in das Maul der Kreatur und die Klinge fand die weiche Stelle des Gehirns der Echse. Der Speer Gundaruks fand ebenfalls seinen Weg und schwarzes Blut sprudelte den beiden entgegen. Mit einem letzten Kreischen fiel die Kreatur in sich zusammen. Der leblose Leichnam rutschte an den Trümmern der gebrochenen Wand herunter. Das einstmals stolze Geschöpf, verschwand in die nasse, dunkle Tiefe des Burggrabens.
Jenseher:
Immer wieder peitschte der Regen auf sein durchnässtes Fell hinab. Doch der Jagdtrieb ließ kaum andere Gedanken und erst recht keine Pause zu. Er dachte nicht viel nach. Die menschlichen Erinnerungen kamen und gingen, wie der Geruch, der während der Verfolgung mal stärker und mal schwächer wurde. Der große Wolf trabte beharrlich durch das Unterholz; er verausgabte sich nicht, doch er durfte auch die Spur nicht verlieren. Hier und dort musste er Pfützen umkreisen oder einen reißenden Bach überspringen. Denn der anhaltende Regen hatte den Wald gezeichnet. Wasser waren angeschwollen, Pfützen zu Tümpeln geworden, Bäume umgestürzt und Fäulnis hatte sich ausgebreitet. An einigen Stellen drohte der Nebel, der die Hügel hinabsickerte, die Geruchsspur zu verwischen. Gundaruk wusste nicht, wie lange er Halbohr bereits gefolgt war. Der Regen hatte längst das dunkle Blut der Echsenkreatur abgewaschen, das ihn im letzten Kampf besudelt hatte. Er konnte sich verschwommen erinnern, dass Halbohr mit den Worten „Ich habe etwas gesehen. Folgt mir!“, plötzlich aus der Feste und in Richtung des umliegenden Waldes verschwunden war. Er war ihm gefolgt. Doch Halbohr war schneller gewesen. So hatte er sich in Tierform gewandelt und einen gewissen Abstand zum elfischen Söldner gewahrt. Die letzten Stunden war es dann fast kontinuierlich bergauf gegangen. Der Regen hatte langsam nachgelassen. Jetzt lichteten sich die Bäume und hier und dort ragten Felsen auf. Ein Wind war zu verspüren, der unangenehm an seinem nassen Fell zog. Gundaruk war sich zudem nicht mehr sicher, ob er den Geruch von Halbohr weiterhin erriechen konnte. Er begab sich in einen langsameren Trott, der plötzlich zu einem jähen Stillstand kam. Vor ihm ging es eine Felsklippe hinab. Doch darunter und dahinter konnte er weiter blicken. Unter dem Zwielicht des bleiernen Himmels sah er ein bewaldetes Tal vor ihm aufragen. Eingerahmt von Hügelketten führte es in die Ferne, in der er Felder und einen Fluss erahnen konnte. Gundaruk wusste, dass er in Wolfsform nicht über die Klippen klettern konnte. Er bereitete sich auf den erneuten Schmerz der Verwandlung vor und kauerte sich auf den Boden. Die Fähigkeit war schwer zu ertragen, doch er hatte keine andere Wahl. Nach nicht allzu langer Zeit waren graue Fellreste das Einzige, das der noble Wolf auf dem Felsen zurückließ. In die Lüfte empor flatterte eine übergroße Krähe, deren Schreie das unerforschte Tal erfüllten.
„Schau Bargh, ein Tal. Es ist riesig.“ Neire war in diesem Moment fasziniert von der immensen Größe der Oberwelt. Für eine Zeit konnte er seinen Blick der überwältigenden Weite nicht entziehen. Er kommandierte sein Pferd zu seinem Stillstand. „Ich weiß nicht wo wir sind Neire. Eine Gegend, in der ich nie war.“ Der Jüngling hörte die Worte Barghs gegen das Rauschen des Wasserfalls, der hinter ihnen aus der Klamm strömte und dann über die Felsen vor ihnen in die Tiefe stürzte. Sie waren der Eingebung von Neire gefolgt und hatten die Pferde vorsichtig durch die steile Klamm manövriert, die sich ihnen im Verlauf des Quellflusses offenbart hatte. Neire trug schon seit einiger Zeit seine Gesichtsmaske, die er noch aus Nebelheim hatte. Die Maske stellte eine Feuerschlange dar. Sie war sein erstes Werk als Kind der Flamme gewesen und mit kostbarem Gold und Edelsteinen verziert. Neire blickte durch die Augenschlitze zu Bargh und sah, dass der Krieger Jiarliraes immer wieder seine Maske betrachtete. Bargh hatte den roten Rubin, der sein rechtes Auge ersetzte, mit einer Binde verdeckt. Trotz seines jugendlichen Alters strahlte der von Brandnarben gezeichnete Anhänger der Chaosgöttin eine dunkle Zuversicht aus. Mit ihm bildete Bargh eine kleine verschworene Einheit, getrieben durch die Gier nach Geheimnissen und verankert im Glauben an die Schwertherrscherin. Neire nickte Bargh zu, bevor er zu ihm sprach. „Bargh, wir werden schon bald mit der Fertigung der Maske anfangen. Sie wird ein Kunstwerk werden; euren ruhmreichen Taten gerecht. Jiarlirae wird sie sicherlich gefallen. Ihre Gunst wird euch zu Teil werden.“ Neire sah wie Bargh lächelte und verträumt in die Landschaft blickte. Er nahm jetzt seine Maske ab und fügte hinzu. „Jedoch solltet ihr euch überlegen, welches Motiv ihr wählen wollt. Es ist eine wichtige Entscheidung und ihr sollt sie treffen.“ Erst jetzt sah Neire aus den Augenwinkeln die große, dunkle Krähe, die über ihnen ihre Kreise zog. Er nahm die Zügel in die Hand und steuerte sein Pferd vorsichtig vorwärts. „Kommt Bargh, wir werden sehen, wer der Herr dieses Landes ist.“
Bargh und Neire waren dem Fluss gefolgt. Langsam waren Fels und Wald einer Graslandschaft gewichen. Aus der Talsohle konnten sie Felder und Wiesen sehen. Kleine Punkte in der Ferne waren nun als Bauern zu erkennen, die anscheinend die Felder bewirtschafteten. Es war ein leichter Nieselregen zu spüren, doch das Tal war geschützt vor Wind. Es war zudem wärmer geworden. Sie waren schließlich auf eine Straße getroffen, die parallel zum Fluss lief. Das eintönige Geräusch der beschlagenen Hufe der Pferde verfolgte sie jetzt schon eine Zeit lang. Die Pflastersteine der Straße glänzten nass und abgewetzt. Als sie eine alte, steinerne Brücke erreichen, die den hier zu einem kleineren Strom angewachsenen Fluss überspannte, sah Neire ein weiteres Mal die dunkle Krähe, die in den letzten Stunden ihre Kreise über ihnen gezogen hatte. Das übernatürlich große Tier hatte sich auf einem vereinzelt aufragenden Steinpfeiler der Brücke niedergelassen und betrachtete sie mit funkelnd grünen Augen. Neire dachte nach. Die Krähe… sie begleitet uns schon einige Zeit. Als ob sie uns den Weg weisen wollte. Das muss ein Omen sein. Tatsächlich hatte er bereits gelesen über die Bedeutung des plötzlichen Erscheinens fremder Tiere. „Bargh, schaut. Die Krähe. Sie ist uns gefolgt. Ein Zeichen der Göttin. Das Glück ist auf unserer Seite.“ Neire sah, dass Bargh nickte und antwortete, während sie über die Brücke ritten. „Neire, ich habe nachgedacht. Die Maske soll einen Drachen darstellen, grün und voller Dunkelheit schimmernd.“ Neire strich sein nasses gold-blondes Haar zurück und lächelte. „So soll es sein Bargh. Wir haben die Schuppen und den Zahn der Kreatur, die von euch ermordet wurde. Doch wir benötigen Smaragde. Dann können wir das Werk beginnen.“ So setzten sie ihren Weg weiter fort. Als sie an eine Weggabelung kamen, blickte Neire auf. Tatsächlich sah er die Krähe auf der linken Seite kreisen und so wählten sie diesen Weg. Leise rezitierten sie die alten Gebete aus Nebelheim. Neire hatte begonnen Bargh die Sprache der Yeer’Yuen’Ti zu lehren. Bargh sprach bereits einige Sätze. Nur an der Intonation musste er noch feilen. Die Aussprache bereitete ihm Probleme – trotz seiner bereits gespaltenen Zunge.
Ganz langsam, aber stetig waren die beiden Gestalten nähergekommen. Sie kamen Neire und Bargh entgegen. Der ältere der beiden Männer war in ein rotes Gewand gehüllt und zog einen kleinen Karren. Sein einst volles schwarzes Haar zeigte hier und dort graue Stellen. Trotz des verhangenen Himmels strömte ihm der Schweiß in Strömen vom Kopf. Der jüngere Mann war von muskulöser Statur, in ein Wams aus gehärtetem Leder gekleidet und trug eine Kriegspicke. Sein Schädel war kahlrasiert - sein Blick gelangweilt, doch seine Augen funkelten wachsam. Als Bargh und Neire die beiden passierten, nickten die Fremden ihnen unterwürfig zu. Ihr Gesichtsausdruck ließ eine Mischung aus Neugier und Ehrfurcht erahnen. Neire kommandierte sein Pferd zu einem Stillstand, blickte nicht wirklich hinab und erhob die Stimme. „Mensch… was zieht ihr dieses Gefährt umher? Ist das ein Spiel?“ Für einen kurzen Moment herrschte eine gespenstige Stille. Dann antwortete der ältere Mann auf die gezischelten Worte fremder Intonation. „Mein junger Herr… wir spielen das Spiel der Münze, wenn ihr so wollt.“ Er lächelte freundlich während er sprach. Auch der Söldner mit der Kriegspicke fing an zu grinsen. „Es sind Händler Neire. Sie verkaufen Waren gegen Münzen.“ Neire sah, dass Bargh die beiden grimmig anblickte, während er ihm den Witz erläuterte. Neire musste grinsen, doch der ältere Mann erhob erneut die Stimme. „Ihr seid wohl nicht von hier, Jungherr, kommt ihr vielleicht aus den Küstenlanden?“ Neire wägte kurz seine Antwort ab. „Wir sind aus Fürstenbad. Sagt mir, wohin führt diese Straße?“ „Fürstenbad ist mir nicht bekannt. Diese Straße führt nach Kusnir, Jungherr. Die Ortschaft ist nicht mehr weit von hier.“ Neire dachte nach. Er hatte tatsächlich in alten Chroniken von Nebelheim bereits von Kusnir gehört. Die Ortschaft war Teil des einst wohlhabenden Herzogtums Berghof. Berghof, hinter einer Wetterscheide liegend, war als fruchtbares Tal beschrieben, das sich mehrere Tagesreisen weit erstreckte. Es war von Mittelgebirgen und Bergketten umgeben, die dem Talkessel eigene Wetterbedingungen bescherten. In längst vergangenen Zeiten hatte es einen Konflikt mit den im Süden gelegenen Küstenlanden gegeben. Ein Bergpass, in den Chroniken als Adlerweg benannt, war besonders umkämpft gewesen. Doch es hatte keinen Gewinner gegeben. Der Konflikt war schließlich zu einem kalten Krieg geworden und die Küstenlande waren verfallen. Berghof war zwar besser weggekommen, doch auch hier war das Herrschergeschlecht zugrunde gegangen. Zudem war das alte Herzogtum von Auswanderung betroffen. Neire wurde von einem Krähen jäh aus den Gedanken gerissen. Es sah, dass sich das dunkle, große Tier, das sie jetzt schon einige Zeit verfolgte, auf den Beuteln des Karrens niedergelassen hatte. Hektisch beäugten die fremden Männer das Tier. „Es ist ein Omen. Das Erscheinen einer schwarzen Krähe verspricht euch Glück“, sprach Neire zu den Fremden, doch er sah, dass der Söldner die Krähe mit seiner Kriegspicke versuchte hin fortzuscheuchen. Tatsächlich erhob sich das Tier mit einem weiteren Schrei in die Lüfte und ließ sich jetzt auf dem Hals von Neires grasenden Pferdes nieder. Augenblicklich bemerkte Neire sein Reittier in Panik verfallen. Mit einem Wiehern begann es zu steigen. Neire klammerte sich im Sattel fest. Wütend auf den Söldner versuchte er das Pferd in Richtung des Wagens zu lenken. Er sah, wie der Söldner auswich und sich ins Gras warf. Die Krähe war bereits in die Luft gestiegen, als Neire das Pferd unter Kontrolle brachte. „Achtet auf euer Tier, Jungherr!“ Die Stimme des jüngeren Mannes war eindringlich und er hielt die Kriegspicke vor sich. Neire blickte arrogant auf ihn hinab, während er mit einem Lächeln im Gesicht antwortete. „Ihr solltet die Omen der Götter achten, Mensch! Die Krähe kommt aus der Dunkelheit und fliegt über das Feuer hinfort. Sie ist ein Bote von Heria Maki, der Göttin des reinigenden Feuers.“ Neire sah, dass Bargh beim Namen von Heria Maki spöttisch zu grinsen begann. So betrachteten sie wortlos die beiden Knechte, die vorsichtig an ihnen vorbeizogen.
Die Krähe hatte sie bis nach Kusnir verfolgt. Dort waren sie die Hauptstraße entlanggeritten und hatten nicht mehr nach dem Vogel Ausschau gehalten. Bei ihrem Ritt durch Kusnir hatten Neire und Bargh dann wohl für genügend Gerüchte und Gespräche kommender Tage gesorgt. Spielende Kinder waren ihnen gefolgt und die bäuerliche, größtenteils übergewichtige Bevölkerung hatte sie voll Staunen und Ehrfurcht betrachtet. Schließlich hatten sie am Ende der Straße und in der Nähe des Sees, an dem Kusnir lag, das örtliche Gasthaus gefunden und ihre Pferde in einem offenen, überdachten Stall untergebracht. Für eine kurze Zeit hatte Neire versucht die seltsamen Runen zu entziffern, die mit rötlicher Farbe in das Gebälk des Stalls gepinselt waren. Doch sie waren arkaner Natur und er konnte sie nicht deuten. So waren sie schließlich in die Schankstube eingetreten; Bargh, schwer beladen mit den Satteltaschen, voran. Aus dem Inneren strömte ihnen ein angenehmer Geruch von gebratenem Fleisch und Bier entgegen. Der abgedunkelte Raum hatte die Größe einer kleinen Halle und war von Öllampen erhellt. Vier große hölzerne Pfeiler trugen die Decke des Raumes. Hinter den Tischen und Bänken, von denen die meisten leer waren, war der flackernde Schein eines Kaminfeuers zu erkennen. Dort stand ein dicker Mann mit einer Glatze, gekleidet in einen fettigen Lederschurz. Er schien nicht Notiz zu nehmen von Neire und Bargh, drehte er doch einen gewaltigen Spieß, der den Körper eines ganzen Rindes trug. Immer wieder griff der Mann in ein Gefäß und zerbröselte ein Gewürz über minutiös ausgesuchte Stellen des Rinds. An einem weiteren Tisch konnten Neire und Bargh eine Gruppe von drei Bauern verschiedenen Alters erkennen, deren angeregtes Gespräch nach ihrem Eintreten plötzlich verstummt war. In einer Ecke saß zudem eine einzelne Gestalt, die in Gedanken versunken einen Humpen Bier trank. Dieser Mann war älter, von muskulöser Statur und gekleidet in ein Lederwams. Eine Axt steckte in seinem breiten Ledergürtel. Neire, der sich zuerst hinter Bargh verborgen hatte, trat jetzt hervor und genoss die von Ehrfurcht und Neugier erfüllten Blicke der Gruppe von Bauern. Sie suchten sich einen Platz in der Nähe der Flammen des Kamins. Als der Mann am Spieß sie nicht beachtete blickte Neire in das Feuer und zischelte in dessen Richtung. „Mensch… bringt uns zwei Bier und eine Mahlzeit von dem Fleisch.“ Er sah, dass der Spießdreher aufschreckte und einen kurzen Moment in seine Augen blickte, in denen das rötliche Feuer schimmerte. „Oh, entschuldigt, meine Herren. Natürlich bringe ich euch das Bier und eine Mahlzeit. Äh… das mit den Kupferstücken regeln wir später.“ In diesem Moment krachte der gepanzerte Handschuh von Bargh auf den Tisch. „Und bringt mir die doppelte Portion, verdammt!“ Schon bald wurde ihnen das Bier gebracht und sie tranken in gierigen Zügen. Neire betrachtete interessiert den Raum und fragte sich, ob alle Menschen der Oberwelt ein solch erbärmliches Leben fristeten. Als der Wirt mit drei großen Tellern gebratenem Fleisch zu ihnen kam, zwei davon für Bargh, zeigte Neire auf den brutzelnden Körper des Rinds. „Mensch… was ist das für ein Tier?“ Doch noch bevor der Wirt antworten konnte, flog mit einem Krachen die Eingangstüre des Raumes auf. Unter der Türe duckte sich die riesenhafte Gestalt von Gundaruk hindurch. Hier und dort war er immer noch gezeichnet von tiefen Wunden des letzten Kampfes in der verlassenen Feste. Er steuerte auf den Tisch von Bargh und Neire zu und baute sich vor ihnen auf. „Gundaruk, es freut mich euch zu sehen. Setzt euch zu uns und trinkt so viel ihr könnt. Trinkt mit uns auf die glühende Nacht der ewigen Stadt, wo Feuer, Dunkelheit und Stein eins ist“, sprach Neire und lächelte ihm zu. Gundaruk zog seine Luchsfellmütze zurück, erwiderte das Lächeln und ließ sich niedersinken. „Neire… ich sehe ich seid so schön… äh, ich meine natürlich so eitel, wie je zuvor. Bargh… ihr solltet vielleicht an eurem Haarschnitt arbeiten!“
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