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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea
Jenseher:
Neire und Bargh hatten ihre Pferde um den Palisadenwall gelenkt, um das Dorf Mühlbach zu umgehen. Die Wachen hatten ihnen noch einen Moment nachgeblickt, sich aber dann wieder ihrer Aufgabe gewidmet. Noch immer war der leichte Verwesungsgeruch zu vernehmen, der zusammen mit dem dünnen Rauch von dem Dorf ausging Die Sonne stand schon hoch und es musste später Vormittag sein. Die Strahlen hatten jedoch langsam an Kraft verloren, als ob sich der Herbst langsam anbahnen würde. Umgeben war Mühlbach von einer kargen Landschaft, die zu einem Teil aus kleinen verkrüppelten Kiefern und zum anderen Teil aus kargem Sand sowie einem Bruchland bestand. Mittlerweile waren im Palisadenwall einige handgroße Spalte zu sehen, die einen Blick in das Innere von Mühlbach erlaubten. Als sie die Wachen aus den Augen verloren hatten, drehte sich Neire zu Bargh um. „Wartet einen Moment, Bargh. Ich werde einen Blick durch die Stämme wagen.“ Sprach Neire und sattelte elegant von seinem Pferd ab. Er sah seinen Begleiter wortlos nicken und näherte sich dem Wall. Sein Blick offenbarte ihm ein kleines Dorf, das aus schilfbedeckten Holzhütten bestand. Nur ein prominentes Gebäude stand in der Nähe des Flusses und war als Mühle mit einem Anbau zu erkennen. Neire konnte auch feststellen woher der Verwesungsgeruch kam. Hier und dort sah er Leichen zwischen den Häusern liegen. Die Leiber hatten aufgedunsene Oberkörper und waren teils grausam von Beulen und Eiter gezeichnet. Zwischen den Häusern konnte er zudem leichten Rauch von niedergebrannten Feuern aufsteigen sehen. Sonst bemerkte er keine Bewegung. Augenblicklich fing sein Herz an zu pochen als sich in seinem Kopf der Gedanke formte. Was sollte er sich auch diesen oberweltlichen Regeln unterwerfen... „Bargh, ich werde mich einmal umschauen. Falls ich nach einer kleinen Weile nicht zurück bin, lasst die Pferde zurück und folgt mir“, raunte er jetzt in den leichten Wind und zog sich den Tarnmantel über. Geschickt kletterte Neire über den Zaun und ließ sich auf der anderen Seite hinabsinken. Er versuchte sich, soweit es ging, in den Schatten der Gebäude zu bewegen. Schon bald kam er an dem ersten Leichnam an, konnte jedoch neben den Zeichen der Krankheit keine Besonderheiten feststellen. Vielmehr betrachtete er immer wieder die Einfachheit der Hütten und fragte sich, ob alle Orte der Oberwelt in dieser primitiven Weise errichtet worden waren. Als Neire so für einen Moment verweilte, hörte er ein Geräusch in dem Rauschen des Baches, das sehr leise, aber markant war. Wie ein Reißen von Fleisch und ein schmatzendes Schlingen. Er entschied sich diesem weiter nachzugehen und schlich auf die Mühle zu, von wo er glaubte das Geräusch zu hören. Am Anbau angekommen, bemerkte er eine geschlossene Türe, aber geöffnete Fenster. Das Schmatzen war jetzt deutlich aus dem Inneren zu hören und der Gestank von Verwesung war hier penetranter. Neire zog sich lautlos durch das Fenster in den verlassenen Wohnraum. Er hörte das Geräusch von einer Treppe, die in den Keller hinabführte. Vorwärts schlich er und je weiter er vorankam, desto penetranter wurde der Leichengestank. Die Kellertreppe, die dort hinabführte, war aus einfachem Lehm. Das Schmatzen kam von unten. Er tastete sich vorsichtig voran und versuchte den Würgereiz zu unterdrücken. Schließlich konnte er die Dunkelheit durchblicken. Als er um den Treppenabsatz herumschaute, sah er einen einfachen, in den Lehm geschlagenen, Kellerraum. Das Kopfende des Raumes war mit einem Berg von Leichen bedeckt. Eiter und Wundsekret rann von den menschlichen Körpern hinab und hatte bereits eine kleine Pfütze gebildet. Der Gestank war nicht zu ertragen. Doch in dem Raum sah er Bewegungen. Drei entstellte Leichname krochen auf dem Haufen herum und schlugen lange Hauer in das tote Fleisch. Die Kreaturen erinnerten nur noch im Entferntesten an Menschen. Sie trugen Reste von Kleidung, waren von Beulen und aufgedunsenen Körpern gezeichnet und hier und dort kam der blanke Knochen hervor. Es schien sich um eine Familie des Grauens zu handeln. Neben einem Mann, waren eine wohl noch schwangere Frau und ein Säugling zu sehen, wobei letzterer noch seine Nabelschnur hinter sich herzog. Die Untoten glitten hinweg über die Toten in einer vergänglichen Anmut, während sie das schwache Fleisch zerrissen. Der Gestank und die Szenerie erzeugten in Neire eine Art Lähmung, die zum einen in dem Terror des Anblicks und zum anderen in der morbiden Faszination des Todes beruhte. Er beneidete die Kreaturen nicht, die die Hingabe zu Jiarlirae nicht kannten. Kreaturen, die den Dualismus von Feuer und Schatten nicht zu ergründen versuchten. Als er einen Schritt in den Raum machte, spürte er, dass er sich übergeben musste. Er nahm alle Kraft zusammen und versuchte das Erbrochene hinunterzuwürgen – keinen Laut zu erzeugen. Er zitterte am ganzen Körper. Tatsächlich gelang es ihm langsam Kontrolle zu gewinnen und Abstand von dem Schauspiel zu nehmen. Der Geist der Sehnenden Jiarliraes stand über allem. Der Wille triumphierte, auch über dem Tanz der Toten.
Bargh hatte einige Zeit lang auf Neire gewartet. Er hatte gegrübelt über seinen alten Lehrmeister. Er hatte sich gefragt, ober er ihn nicht auch eher hätte töten können. Doch damals war er ein geistiger Sklave gewesen. Ein Sklave des Gottes, dem die Diener des Tempels der Ehre sich hier ergaben. Niemals… nein, niemals hätte er eine andere Entscheidung getroffen, als seinen ehemaligen Meister in der Adlerfeste zu ermorden. Er hatte es genossen, jeden einzelnen Moment. Einzig die Beleidigungen nagten noch immer an seinem Selbstbewusstsein. Als er das Zischen hörte, drehte er sich ruckhaft um, doch instinktiv wusste er, dass es sich um die Stimme Neires handelte. „Bargh, es gibt dort Kreaturen – nicht lebendig und auch nicht tot. Im Gebäude der alten Mühle. Sie hätten mich fast erkannt und dann…“ Bargh sah, dass Neire am ganzen Körper zitterte und sich geschickt auf sein Pferd zog. Neire lenkte sein Pferd hinfort, weiter an dem Wall entlang und blickte sich nach ihm um. „Neire, was dann…? Was wäre gewesen?“ „Vielleicht… vielleicht wäre ich jetzt einer der ihren, ein alter Fluch… doch ich glaube nicht, dass der Geist der Anhänger Jiarliraes derart unterlegen ist… Bargh… lasst uns beten zu unserer Göttin… und lasst uns dabei Wein trinken!“ Bargh sah, dass Neire bereits einen Schlauch aus der Satteltasche seines Pferdes hervorgezogen hatte und einen tiefen Schluck nahm. Sein junger Begleiter, dem die Angst noch immer anzusehen war, reichte ihm lächelnd den Schlauch und er nahm ihn gerne an. Mehre tiefe Züge des kostbaren Getränks aus der verlassenen Feste schlang er in sich hinein. Währenddessen ritten sie weiter an dem Wall von Mühlbach entlang. Als sie auf der gegenüberliegenden Seite des zuvor passierten Eingangs in das Dorf ankamen, sahen sie zwei Krieger, die hier Wache standen. Es war ein ungleiches Paar: Der Anführer älter und in einen gelben Schurz mit Kettenhemd gekleidet. Der zweite Wächter war jünger, vielleicht gerade volljährig und trug eine Lederrüstung. Als sie sich näherten, hob der ältere Krieger die Hand und rief ihnen bestimmende Worte zu: „Haltet ein! Das Dorf ist für einen…“ „Ja, wir wissen es schon. Mühlbach ist gesperrt für Reisende. Wir haben bereits mit Weismar am anderen Eingang gesprochen. Ihr könnt euch eure Worte sparen.“ Bargh spürte den aggressiven Unterton in Neires zischelnder Stimme, als sein Begleiter den älteren Wächter unterbrach. „Wem dient ihr hier, der euch das befiehlt? Wem dient ihr Menschen?“ Bargh bemerkte, dass beide Wachen irritiert waren vom Singsang und von der zischelnden Stimme Neires. Doch nach einem kurzen Moment der Stille erhob der Ältere das Wort. „Wir dienen Clavius, dem Herrscher von Dreistadt. Lang möge er leben.“ Sie waren mittlerweile bis auf einige Schritte an die beiden herangeritten und Bargh bemerkte die Spannung. „Ihr Menschen seid Sklaven, ihr dient, doch ihr dient einem falschen Herrn. Nennt mir seinen Namen!“ Bargh fühlte, dass Neire jetzt, angetrieben durch den Alkohol und die fanatische Zuneigung zu Jiarlirae, den Angriff suchte. Er sah, dass der jüngere der beiden Anstalten machte sein Schwert zu ziehen um anzugreifen, doch von dem älteren Krieger zurechtgewiesen wurde. Diesmal sprach der ältere Krieger wieder. „Wir sind Krieger des Tempels der Ehre. Wir dienen dem Magistraten von Dreistadt, doch unser oberster Herr ist Torm. Er ist unser Herr der Ehre, des Gesetzes und der Rechtschaffenheit. Nichts für Vagabunden wie ihr es seid…!“ Bargh spürte wie Neire begann wie von einer Mordlust zu kochen. Aber auch er wollte die armseligen Kreaturen vor ihnen zerquetschen, sein Schwert durch ihre schlaffen Leiber stoßen. Bevor er antworten konnte, erhob Neire wieder das Wort. „Nicht Torm sondern Clavius ist euer wahrer Herr, menschliche Sklaven. Torm ist nicht mehr als ein Bastard… Wein ist nichts für euch! Wein ist ein Getränk der Götter, nichts für schwache Geister wie Torm und erst recht nichts für seine Sklaven!“ Bargh sah wie Neire vor den beiden vorbeiritt und den edlen Wein aus dem Weinschlauch in den Dreck ergoss. Bargh war zum Kampf bereit. Er scheute weder das Gemetzel, noch den Tod. Doch er spürte tief in ihm, dass Neire nur aufstachelte. Sein junger Begleiter wollte die Krieger von Torm zu einem Angriff provozieren. Fast gelang ihm diese Provokation, doch der jüngere Krieger wurde erneut zurecht gewiesen von seinem Meister, alsbald er seine Waffe erhob. Bargh spürte den abgrundtiefen Hass stärker werden. Er zog sein Schwert und hob es bedrohlich über seinen Kopf. Doch die beiden Krieger bewegten sich kein Stück weit auf sie zu. Sie bewahrten beide ihre Haltung - Schwerter in den Händen und zum Kampf bereit. So zogen er und Bargh weiter. Weiter Richtung Dreistadt. Sie durchritten die karge Landschaft der Küstenlande und blickten sich nicht mehr um.
„Könnt ihr ein Geheimnis bewahren? Könnt ihr?“ Neires bereits angetrunkene Stimme lispelte stärker und sein angeschwollener Singsang machte die Worte, die er in der gemeinen Sprache murmelte, fast unverständlich. Finnger, ein Bürger von Dreistadt mit dem Neire jetzt sprach, nickte eifrig und rückte mit seinem Ohr näher an Neires Gesicht. Sie füllten gerade die Humpen für die kleine Gesellschaft von Bürgern auf, die sich zu ihnen an den Tisch gesellt hatte. Ariold, der Wirt des Gasthauses hatte sie zuerst unfreundlich und dann immer langsamer bedient. Zuletzt hatte er sich taub gestellt, bis ihn sein Begleiter Bargh dann mit den Worten „Was ist mit euch passiert? Seid ihr als Kind auf den Kopf gefallen oder nur gegen eine Steinwand gerannt?“ zurechtgestutzt hatte. Danach hatte ihnen Ariold zwar Essen gebracht, hatte sich dann jedoch zurückgezogen. Jetzt füllten sie gerade die Humpen und das plätschernde Geräusch des Bieres ließ Neire zurückdenken an den weiteren Teil ihrer heutigen Reise am Fluss Richtung Dreistadt. Sie waren eine Zeitlang durch die karge Landschaft geritten, die von Sträuchern, Sand und Marschland gekennzeichnet war. Von einer Moräne aus hatten sie schließlich die Küste gesehen, an der die Stadt lag. Dreistadt war von imposanten Wehranlagen geschützt und nur die drei Türme ragten aus dem Inneren der Stadt über die Mauern hinweg. Die Portale waren geöffnet gewesen und so waren Neire und Bargh in die Stadt geritten. Im Inneren hatten sie größtenteils arme und verwahrloste Bürger gesehen. Viele Häuser waren verrammelt gewesen oder hatten einen verlassenen Eindruck gemacht. Dreck und Unrat lag auf den Straßen herum. Zuerst hatten sie eine Frau nach den Örtlichkeiten gefragt. Dann waren sie zum kleinen Markt gelangt, auf dem eine größere Ansammlung von Menschen zu sehen gewesen war. Hier waren sie von einem Obdachlosen auf ein paar Groschen angesprochen worden. Er hatte ihnen nur in einer Seitengasse und in paranoidem Gehabe von dem Joch des Tempels der Ehre erzählt. Dass die Priester und Krieger sich ihren Schutz teuer bezahlen ließen. Dass sie in der Stadt nicht besonders beliebt waren. Der stark nach Alkohol und schweiß riechende Mann mit dem nackten Oberkörper, der sich ihnen als Dagwin vorgestellt hatte, hatte ihnen schließlich den Weg in das Gasthaus gewiesen und ihnen von dem Wirt Ariold erzählt. Er hatte ihnen auch berichtet, dass Ariold wohl eine große Menge an Schutzgeld an den Tempel der Ehre bezahle und nicht besonders gut auf dessen Gefolgsleute zu sprechen war. So waren sie schließlich im Gasthaus eingekehrt. Sie hatten gegessen und Bier getrunken, bis sie schließlich mit der lokalen Gesellschaft ins Gespräch gekommen waren. Das Gespräch hatte sich um dies und das gedreht, bis Neire einen möglichen Krieg gegen das Herzogtum Berghof angesprochen hatte. Damit war eine rege, trunkene Diskussion angefacht worden. Neire hatte bereits eine Runde an Bier ausgegeben und holte jetzt mit Finnger die nächste. Er begann nun wieder zu flüstern und musste für einen Moment sein Schwanken kontrollieren. „Vergesst Heria Maki. Sie ist nur eine schwache Göttin des Feuers. Ich diene Jiarlirae, der Göttin von Feuer und Schatten. Sie ist der Schlüssel zu Geheimnissen und Macht. Sie hält die Schlüssel zum Jenseits.“ Neire blickte in das trunkene Gesicht seines Gegenübers, der, soweit es ihm möglich war neugierig schaute. „Wir suchen nach den Geheimnissen der Magier der Küstenlande“. Finnger lachte. „Die alten Sagen, die Magier… Sie sind längst zu Staub zerfallen.“ Neire grinste. „Dann lasst uns auf diesen Staub trinken!“
Jenseher:
Das einfache Gemach war völlig abgedunkelt. Es musste später Nachmittag sein, denn Neire hatte bereits die ersten Geräusche aus dem weiter unten liegenden Schankraum gehört. Kaum nahm er Notiz von Bargh, der auf einem der einfachen Holzbetten saß, seine Augenbinde abgenommen hatte und ihn betrachtete. Es war jetzt schon einige Zeit her, dass sie aufgestanden waren. Doch er spürte noch immer den Alkohol des gestrigen Abends in seinem Atem. Sie hatten noch länger in der Schenke verbracht. Die beiden Freunde von Finnger hatten schließlich den mit Tischen zugestellten Schankraum mit schwerer Schlagseite verlassen. Finnger war noch länger geblieben, aber schon bald in einen Zustand geraten, in dem er mit halb geöffneten Augen seltsame Dinge gebrabbelt hatte und sich kaum noch am Tisch halten konnte. Auch Neire erinnerte sich an den Rest des Abends nur noch verschwommen. Sie hatten versucht den Wirt Ariold auf die Schutzgelderpressung des Tempels der Ehre anzusprechen. Doch der Wirt hatte stoisch seine neutrale Position eingehalten. Auch auf Finngers betrunkene Rufe - Ariold, diese Bastarde beklauen euch. Ist es nicht so? Ist es nicht so, Ariold? - hatte die in entferntester Weise an einen Aasvogel erinnernde Gestalt des Wirtes nicht geantwortet. Sie waren dann irgendwann in Richtung ihres Gemaches getorkelt, das sie über eine Außentreppe erreichen konnten. Neire hatte die erste Nachtwache übernommen. Am nächsten Morgen hatten sie einige Besorgungen in Dreistadt gemacht und waren schließlich in ihr Gemach zurückgekehrt. Jetzt blickte Neire auf seine zitternden Hände, mit denen er den violett schimmernden Pilz in der kleinen Pfanne umrührte. Ein bitterer, leicht beißender Gestank hatte bereits den gesamten Raum erfüllt. Die Flamme des Lampenöls brannte heiß unter dem Topf. Immer wieder musste er ein plötzliches Aufkochen verhindern. Er durfte sich hier keine Fehler erlauben. In alten Schriften hatte er schon über die violette Version des bunten Vierlings gelesen. Als älteste Variante des Vierlings war dieser für sein starkes Gift berüchtigt. Schon die bloße Berührung der unzubereiteten Pilze konnte tödlich sein. Einigen Sammlern war dieses Schicksal bereits zuteilgeworden. Neire ließ den Sud immer wieder aufkochen, der schon dickflüssiger geworden war. Nur noch wenige Augenblickte, dann war die richtige Konsistenz erreicht. Er dachte zurück an seine Zeit in Nebelheim. Wie er in den alten Wälzern der Bibliothek des inneren Auges gestöbert hatte. Farne, Kräuter und Pilze hatten ihn schon immer interessiert. Doch er hatte nur in Büchern über sie gelesen; hatte sie nie zu Gesicht bekommen. Jetzt kochte der Sud wieder auf. Er hob rasch den Topf von der Flamme und rührte um. Das musste die richtige Zähflüssigkeit sein. Behutsam hob er eine seine vorbereiteten Violen auf und begann den schwarzen Extrakt abzufüllen. Wie flüssiger Teer zog die Substanz lange Fäden. Die Arbeit musste behutsam erfolgen. Kein Tropfen durfte daneben gehen. Diese und noch eine weitere Viole konnte er füllen. Er nickte lächelnd über sein vollbrachtes Werk und dachte bereits an seinen Degen, den er damit bestreichen würde. Vielleicht bis zu zwanzig Menschen würde er mit dem gewonnenen Extrakt töten können.
Bargh nickte Neire zu, der jetzt wieder den Raum betrat. Die Hände Neires zitterten nicht mehr so stark und ein Teil der Anspannung war abgefallen. Bargh sah, dass er die gesäuberten Töpfe des Sturmkochers trug, den sie zuvor beim Schmied von Dreistadt gekauft hatten. Er hatte dann Neire ruhig und interessiert bei seiner Arbeit zugeschaut. Doch innerlich war er aufgewühlt gewesen. Fast als ob Neire Gedanken lesen konnte, kam er auf ihn zu und legte ihm seine Hand auf die Schulter. Immer wieder hatte er sich gefragt, wieso Neire nicht an seine Maske dachte. Hatte er es ihm nicht versprochen? Er blickte in das schlanke, von gold-blonden Locken umrahmte Gesicht seines Mitstreiters und konnte blaue Augen auffunkeln sehen. Neire stelle die Töpfe ineinander und begann feierlich zu sprechen. „Bargh, es ist die Zeit gekommen uns eurer Maske zuzuwenden. Lasst uns damit anfangen.“ Bargh jubelte innerlich auf. Es wich seine verkaterte Depression im Antlitz des neuen Erstrebens. Er sah, dass Neire bereits die skalpierte Haut des riesigen Bergpumas hervorgeholt hatte. Hastig wühlte er in seinem Rucksack nach den grünlichen Schuppen des von ihm getöteten Drachen. Er sah auch das Neire einige der Drachenschuppen auf den kleinen Nachttisch gelegt hatte. Zudem zog sein junger Begleiter den wertvollen schwarzen Opal hervor, den sie im Herrenhaus der Arthogs dem Herz des Wesens aus Dunkelheit entrissen hatten. Während Bargh sich noch um die Anordnung von Schuppen und Opal kümmerte, bearbeitete Neire die Pilze und das Harz zu einem Sud. Er nutze dazu die gesäuberte Pfanne, die er im metallenen Rahmen des Sturmkochers über die Ölflamme gebracht hatte. Nur durch die Hitze verschmolz das Harz mit dem zerkleinerten Pilz. „Schaut, Bargh. Wenn die alten Schriften Recht haben, wird dieser Sud, einst abgekühlt und ausgetrocknet, die Flächen aneinanderhalten, als wären sie verschmolzen.“ Bargh blickte Neire bewundernd an. Er mochte den Geruch von Harz und Pilz. Schon bald begann Neire die ersten Schuppen zu verkleben. Bargh stimmte dabei einen Gesang an die Schwertherrscherin an, in den Neire einfiel. So verbrachten sie Schuppe um Schuppe auf der Maske und zuletzt den großen schwarzen Opal, über der Position des rechten Auges.
„Bleibt ihr hier Bargh. Ich werde mir den Turm einmal genauer ansehen. Falls ich beim ersten Sonnenlicht nicht zurück bin, brecht die Türe auf.“ Neire flüsterte zischelnd in das Ohr Barghs und deutete auf den runden Turm, der unweit von ihnen knappe zehn Schritt hoch aufragte. Aus dem Turm sahen sie das Licht des Leuchfeuers ausgehen, das ab und an seine Richtung und Farbe änderte. Neire hatte kein Muster in diesen Änderungen gesehen, die sie bereits am ersten Abend ihrer Ankunft bemerkt hatten. Jetzt ließ er Bargh zurück und schlich im Schatten seines Tarnmantels über die kleine Gasse, die zu Wehrmauer und Turm führte. Von jenseits des Turmes konnte er die Wellen der Brandung rauschen hören. Eine Brise von Salz erfüllte die Luft und vermengte sich mit dem Geruch des unweiten Fischmarktes. Die Nacht war noch nicht weit vorrangeschritten, aber der bewölkte Himmel war bereits stockduster. Als er an der alten, aus dicken Steinquadern errichteten Mauer ankam, leitete er seinen Blick nach oben. Zum Meer hin hatte der Turm in seiner Spitze große Öffnungen. Wie Säulen, die das silberne Licht über die nächtlichen Fluten wiesen. Da war es wieder. Als er nach oben schaute pulsierte das Licht, sprang von Silber zu giftigem Grün und anschließend zu Violett. Er wollte dem nachgehen. Vorsichtig suchte er Halt in den engen Ritzen der Quader. Die Wand ragte senkrecht über ihm auf. Langsam zog sich Neire nach oben und begann sicherer zu werden, je höher er kam. Der Boden der Gasse war schon weit unter ihm, als seine Hand das Gesims der Leuchtkammer berührte. Über ihm war gleißendes Licht. Er kniff die Augen zusammen und zog sich über den Rand. Als er vorsichtig zu blinzeln begann, konnte er das Innere des oberen Gemachs erblicken. Vor ihm eröffnete sich ein Turmraum, dessen Rückseite von einem Halbkreis glänzender, menschengroßer Spiegel gesäumt war. Vor den Spiegeln war die Lichtquelle auszumachen. Von zwei goldenen Ketten getragen hing ein glühender Oktaeder-förmiger Kristall über einem Becken. Das Becken war mit rötlich-porösem Bimsgestein gefüllt, brannte jedoch nicht. Das Licht kam aus dem Edelstein selbst. Dort… da war es wieder. Während Neire langsam auf die Spiegel zu schlich, wechselte der Kristall abermals seine Farbe und Strahlrichtung. Neire suchte das Gemach ab. Neben einer Falltür nach unten, konnte er hinter den Spiegeln Ölkannen finden. Eine nähere Untersuchung des Kristalls offenbarte eine schwarze Schrift, die sich in geschwungenen Lettern über den Ring zog. Unsere silberne Herrin, sie leitet euch, sie weißt, den Weg. Irgendetwas kam ihm merkwürdig vor in der Zusammensetzung der Worte, in der Kommasetzung. Für einen kurzen Moment blickte er in die Flammen und da war etwas. Als ob eine Präsenz ihn betrachten würde. Als ob das Licht, von einer niederträchtigen Intelligenz beseelt, blicken würde. Er hatte genug gesehen und machte sich wieder an den Abstieg. Er ließ sich die Brüstung hinab, doch diesmal konnte er keinen geeigneten Halt finden. Wieder und wieder probierte er andere Stellen, doch zwecklos. So schlich er sich hinter die Spiegel und wartete dort. Vielleicht würde eine Wache nach dem Feuer schauen. Lange wartete er und als schließlich der Morgen graute, musste er handeln. Nochmals versuchte er sein Glück. Diesmal hatte er eine Stelle weiter außen gefunden. Er fand ausreichend Halt im Stein und kletterte hinab. Zu Bargh angekommen berichtete er ihm von seinen Erlebnissen. Gemeinsam schlichen sie, so unauffällig wie möglich, zurück zu ihrem Gasthaus. Während der Rückkehr spürte Neire bereits ein Dröhnen in seinem Kopf. Ein rhythmisches Pochen, das immer stärker wurde. Zudem brannte sich der magische Schutzring an seiner linken Hand in sein Fleisch. Es quälte und bohrte ihn bereits jetzt der Gedanke und er wusste, dass er sich vergangen hatte an Nebelheim. Das Ritual der Fackeln hatte er vergessen. Er, Neire, Kind der Flamme.
Das Licht war gleißend und blendete ihn. Doch er musste kämpfen und stürzte nach vorne. Hinter ihm hörte er noch die Falltür mit einem Krachen zustürzen. Bargh schwang sein Langschwert gegen die Kreatur aus grünlich-hellem Licht, die sich vor ihm aus dem Kristall gelöst hatte und sich ihm summend näherte. Er spürte eine elektrisierende Aura auf seiner Haut. Die Feuerkugel war etwa einen Schritt im Durchmesser und bestand aus waberndem, kaltem Licht. Sie schwebte in rasanter Geschwindigkeit auf ihn zu. Er reagierte schneller und ließ sein Schwert in einem tödlichen Schnitt durch die Kreatur fahren. Hatte das Licht ihn geblendet, gar getäuscht? Keinen Widerstand spürte er und musste den Schwung des Schlages abfangen. Jetzt sah er Neire von hinten auf die Kreatur einstechen, doch auch der Degen seines Begleiters fuhr ins Leere. Was war das für ein Zauber, der sie im obersten Raum des Leuchtturmes erwartete? Eigentlich hatten sie ihren Einbruch sorgfältig geplant. Neire hatte den gesamten Tag wie in einem Fieber im Bett verbracht. Er hatte schweißgebadet Gebete zu seiner Göttin gemurmelt und wie in einem Wahn von Nebelheim gesprochen. Von dem alten Fluch, der über der Stadt lag und den es zu ergründen galt. Dass er die immerbrennenden Fackeln des Inneren Auges entzünden musste – Nacht für Nacht. Neire hatte von sich als Auserwähltem gesprochen, diese Aufgabe zu übernehmen, um Nebelheim von seinem Schicksal zu retten. Nach Einbruch der Nacht hatte sein junger Begleiter dann das Ritual der Fackeln durchgeführt. Danach hatte sich sein Zustand verbessert. Sie hatten gegessen und dabei eine Zeitlang geplant. Dann waren sie zum Leuchtturm aufgebrochen. Kurz hatten sie Wachen auf der Stadtmauer gesehen, die wie sie das Lichtschauspiel des Leuchtfeuers verwundert betrachtet hatten. Als diese über den Wehrgang in die Dunkelheit verschwunden waren, hatte Neire die Türe aufgebrochen. Er hatte Bargh den Weg ins Innere gewiesen, wo eine lange runde Treppe aus Stein weit nach oben führte. Bargh hatte die Treppe genommen und Neire war wieder über die Außenmauer nach oben geklettert. Als Bargh die Falltür nach oben gestoßen hatte, hatte sich das Licht aus dem Kristall gelöst und war in eine Lebensform übergegangen, die ihm nun gegenüberstand. Immer wieder hackte und stach er mit seinem Schwert in Richtung des Lichts. Er verfehlte stets. Dann ging die glühende Kugel in den Gegenangriff über. Er spürte einen Schlag, das Verkrampfen seiner Muskeln und für eine kurze Zeit die Luft aus seinen Lungen weichen. Bargh torkelte benommen zurück. Doch Neire nutzte den Moment und stach in das Herz des Wesens. Für einen Augenblick war ein höheres Surren zu hören. Jetzt dränge auch er wieder heran und attackierte. Eine Zeitlang kämpften sie so. Als das Wesen sich vor einem der Spiegel platzierte, zerstörte Neire diesen mit einem Hieb des Degens. Danach wendete sich die lichtene Kugel Neire zu. Jetzt war sein Moment. Bargh drang nach vorn und ließ das Schwert niederfahren. Er zielte so, als ob er die Kreatur verfehlen würde – mit genügend Vorhalt. Und tatsächlich spürte er den Widerstand, als das Schwert sich in das faulige Herz der Erscheinung bohrte. Das Herz, das unsichtbar hinter gleißendem Licht verborgen war. Elmsflammen zuckten in einem letzten Todesschrei auf. Augenblicklich verdimmte der Schein und ein schwarzer Klumpen fiel mit einem Flatschen auf dem Boden. Dort wo die nach elektrisch verbrannter und verfaulter Haut stinkende Masse sich verteilte, sah Bargh jetzt Gegenstände liegen. Er ächzte und blickte sich um. Hinter ihnen lag die große, entvölkerte Stadt, die auf einst ruhmreiche Zeiten zurückblickte. Es war dunkel geworden um sie herum. Er hörte das Rauschen der nächtlichen Brandung unterhalb der Klippen des Turmes. Bargh trat zwischen die Säulen und blickte in Richtung Süden. Dort musste der Tempel der Ehre liegen. Der rote Kristall in der rechten Augenhöhle seines verbrannten, haarlosen Schädels schimmerte matt in der Düsternis.
Jenseher:
Durch die gotischen Säulen des jetzt dunklen Leuchtturmes pfiff der Wind des Meeres. Der Geruch von Algen und Salz war in der Luft. Bargh hatte sich mittlerweile niedergekniet und versorgte seine Wunden. Immer wieder blickte er in Richtung des Tempels der Ehre. Die Wut und der Hass auf seinen alten Orden wollten nicht weichen. Unter dem wolkenverhangenen Nachthimmel sah er nur Dunkelheit. Neire war zu ihm getreten und half ihm beim Anlegen der Verbände. Doch Bargh konnte nur das von den gold-blonden Locken eingerahmte Gesicht des Jünglings erkennen. Der Rest von Neires Körper war durch den elfischen Umhang in Schatten gehüllt. „Was tun wir jetzt Neire? Wir sollten diesen Ort verlassen.“ Neire nickte, während er antwortete. „Ja, ich habe bereits eine Idee.“ Bargh atmete noch immer tief von der Anstrengung des Kampfes und richtete sich jetzt auf. Er folgte Neire zu dem stinkenden Haufen von Haut und Fleisch, der von der Kreatur übriggeblieben war. Er beugte sich hinab und begann die Gegenstände in seinem Rucksack zu verstauen. „Bargh! Ich habe ein Geräusch von unten gehört. Stimmen. Vielleicht Wachen, die sich nähern.“ Bargh spürte die Aufregung in der jetzt zischelnden Stimme von Neire. Er verstaute hastig den letzten Beutel mit Münzen, dann richtete er sich auf. Neire hatte die noch geöffnete Falltür bereits geschlossen und sich in die Schatten gekauert. Bargh hörte nur noch die Stimme in der Dunkelheit. „Versteckt ihr euch hinter einem der Spiegel. Ich werde an Falltür lauern.“ Bargh packte sein Schwert, erhob sich und begab sich hinter einen Spiegel.
„Ich habe es dir doch gesagt. Es war keine gute Idee. Die Sache war von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Der junge Wächter des Tempels der Ehre bewegte sich vorsichtig die Stufen des Turms hinauf. Er hatte sein Kurzschwert gezogen und zitterte am ganzen Körper. „Ja… aber das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Seid still und geht. Vorwärts.“ Der ältere Soldat des Tempels stieß seinen jüngeren Gefolgsmann unsanft nach vorne. Die Dunkelheit war dicht und fast undurchdringbar. Sie trugen trotzdem keine Fackel bei sich. Es gab ein Knarzen als der Jüngere das schwere Holz der Luke nach oben drücke. Hervor kam ein pausbackiges Gesicht eines Mannes, der vielleicht etwas mehr als 20 Winter gesehen hatte. Furcht stand in seinen Augen, als er das Zwielicht abtastete. Dann zog er sich über die Stufen nach oben. Ihm folgte der Ältere, der von muskulöser Gestalt war und dessen haarloser Schädel einige Narben trug. Der Jüngere war bereits zum Becken mit dem Kristall vorgedrungen, als sich die Masse von Schatten hinter dem Älteren zu bewegen begann. Keiner von beiden sah das Funkeln des Stahles, als der Degen sich von hinten durch den oberen Torso bohrte. Der Stich war präzise und tödlich. Der Ältere spucke gurgelnd Blut, als er, nach Luft schnappend, wie ein nasser Sack zu Boden sank. Der Jüngere blickte sich panisch um, doch er sah keinen Gegner. Auch die blutige Klinge verschwand geisterhaft in den Schatten. Was ist das nur für eine schwarze Magie, dachte er sich und drehte hastig den Kopf. Da war sie plötzlich, die Erscheinung. Ein Ritter stand vor einem Spiegel, seine Silhouette von den anderen Spiegeln wiedergegeben. Ein roter Kristall schimmerte glühend in seinem rechten Auge. Er hatte ein Schwert erhoben und kam auf ihn zu. Der verbrannte Schädel des Ritters brannte vor Hass, seine narbige Haut schrie nackte Gewalt. Was war das nur für ein Alptraum? Dafür war er nicht ausgebildet worden. Er wollte um Gnade betteln, doch er konnte nicht. Er wollte laufen, doch er konnte nicht. Der Ritter hatte ihn längst erreicht und die Klinge seines Hasses senkte sich unaufhaltsam hinab. Er spürte noch den warmen Strom an seinem Bein hinab gehen, als er sich einnässte. Dann kam der Stahl. Kalt und unbarmherzig griff er nach seinem Leben.
Sie hatten die beiden Wachen auf die Brennsteine und unter dem großen Kristall platziert. Bargh hatte die Schwerter so in ihre Körper gesteckt, als ob es aussah als ob sie sich gegenseitig getötet hatten. Dann hatte Neire gesagt er sollte sich auf den Weg zum Gasthaus machen. Neire wollte sich um alles andere kümmern. Jetzt stand Neire alleine in dem dunklen Gewölbe des alten Turms. Er hatte eine Karaffe von dem zähflüssigen Öl in Hand. Für einen kurzen Moment dachte er nach. Dann begann er das Öl langsam über Boden und Spiegel zu verteilen. Karaffe um Karaffe verteilte er so. Bis der gesamte Boden und alle Spiegel bedeckt waren. Er stellte sich vor einen Spiegel und begann das Öl zu entzünden. Zuerst wollte die träge Substanz nicht richtig Feuer fangen. Doch dann flackerten bläuliche Flammen auf. Neire folgte dem Schauspiel fasziniert. Die kindliche Freude, die er in diesem Moment verspürte, erfüllte ihn mit Glück. Er blickte in den Spiegel und zog seine Kapuze zurück. Er dachte zurück an Nebelheim. An seine Zeit als Anwärter. Als er noch den obsidianernen Boden putzen musste. Er dachte wehmütig zurück und erinnerte sich an ihre Stimme. Er wusste auch jetzt noch genau was Lyriell, die Kupferne Kriegerin, damals zu ihm gesagt hatte, als er sein Spiegelbild im Obsidian betrachtet hatte. Er flüsterte die Worte in die Flammen, so als ob er mit seinem Spiegelbild sprechen würde. „So klein und schon so selbstverliebt. Dabei hast du noch nicht die große Prüfung hinter dir, Anwärter.“ Er wusste auch noch, was er geantwortet hatte. „Ich habe keine Angst vor der Prüfung. Ich habe bereits mein Schicksal im inneren Auge gelesen.“ Auch jetzt betrachtete er sich in dem langsam größer werdenden Feuer. Das blau der Flammen war schon in ein gelb übergegangen. Sein Gesicht war nicht mehr so eingefallen wie zuvor, wie in den langen Regennächten am Wolfsfelsen. Wie lange das wohl schon her war? Er hatte die Tage nicht gezählt, die nach seiner Flucht aus Nebelheim vergangen waren. Jetzt hatten sie eine Aufgabe. Für Bargh. Doch dann? Was würde danach passieren. Er durfte Nebelheim nicht vergessen. Er sah eine einzige Träne über seine Wange rollen. Doch war es der Gedanke an Lyriell und Nebelheim, der seine Emotionen entfachte oder weinte er um seine Schönheit – das Kind der Flamme, das sich in Feuer und Schatten ewiglich jugendhaft geborgen wähnt. Er wusste es nicht. Er drehte sich rasch um. Der Spiegel begann sich bereits zu verbiegen. Er entzündete noch die Steine im Becken und schlich sich in Richtung Falltür. Als er den Geruch von verbranntem Fleisch vernahm, zog er sich die Kapuze über und ließ sich über die Stufen in die Dunkelheit hinab. Hinter ihm prasselten die Flammen des Ölfeuers und er hörte das Brechen des ersten Spiegels. Doch seine Gedanken waren in Nebelheim und bei seiner Lyriell. Sie war jetzt im Reich der schwarzen Natter. Dort wo der Stein flüssig brannte. Dort wo die Dunkelheit Runen in das brodelnde Magma zeichnete.
Bargh stand auf dem Pier und blickte auf die drei Männer im Ruderboot hinab. Er hielt sich im Hintergrund während Neire mit den beiden sprach. Sie waren am letzten Abend unerkannt in das Gasthaus zurückgekehrt. Aus der Ferne hatten sie das Feuer brennen sehen können, das auch am heutigen Tag noch im Turm wütete. Doch Wachen des Tempels der Ehre schienen keine Versuche zu machen das Feuer zu löschen. Er wollte gerade wieder seinen Blick dem Turm zuwenden, als einer der Jungen im Boot Neire abermals ansprach. „Seid ihr eigentlich auch auf dem Weg zum Tempel der Ehre? Wollt ihr euch dem Orden anschließen, wie wir es tun wollen?“ Die Sonne brach gerade wieder durch die Wolken und ließ das Wasser des Hafens grünlich schimmern. „Nein, wir suchen, wie bereits gesagt, ein Boot, das nach Fürstenbad fährt. Aber das scheint es ja hier nicht zu geben. Auch wissen wir ja nicht ob sie uns im Tempel überhaupt nehmen würden.“ Der etwas verwahrlost aussehende Junge deutete jetzt auf ihn und lachte, während sein Freund anfing leise zu murmeln. „Müsst ihr eigentlich immer jeden ansprechen?“ Doch der Junge mit den verfilzten Haaren und fauligen Zähnen ließ sich nicht beirren und erhob erneut das Wort. „Der da sieht aus wie ein stattlicher Krieger. Natürlich würden sie einen Krieger nicht abweisen.“ Bargh musste jetzt auch lachen, obwohl er die neue Gesprächigkeit von Neire nicht mochte. Er klopfte sich mit seinem Panzerhandschuh auf die Augenbinde, die den Rubin überdeckte und sprach. „Nun, ich sehe ja mit einem Auge nur noch halb so viel. Ich bin mir nicht sicher ob sie dort so etwas gebrauchen können.“ Der Junge dachte kurz nach, dann antwortete er erneut. „Naja, wenn ihr halb so viel sehen könnt, aber dafür doppelt so feste zuschlagt, solltet ihr keine Probleme haben.“ Jetzt sah er auch Neire lachen, der den Jungen zynisch anschaute. „Weise Worte.“ Der Junge grinste und deutete auf seinen Kopf, indem er Barghs vorherige Geste imitierte. „Jaha, hier oben ist ganz schön viel los, ja… ganz schön viel los hier oben.“ Jetzt fiel der ältere Mann mit der Glatze dem Jungen ins Wort. Er hatte die Taue schon gelöst und schaute Neire und ihn an. „Also wollt ihr jetzt mit? Ich habe noch zwei Plätze frei.“ „Nein, wir wollten nach Fürstenbad. Wie schon gesagt.“ Antwortete Neire. Das Boot legte daraufhin ab, während sich Neire und er in Richtung Fischmarkt begaben. Vielleicht werden wir uns wiedersehen, dachte Bargh. Dann wollte er sehen, was in dem Kopf des Bastards los war. Er würde dort schon nachschauen. Sein Schwert würde ihm dabei helfen.
Neire ächzte, als er den leblosen Körper auf den Boden fallen ließ. Sie waren nach ihrem Besuch auf dem Fischmarkt wieder in das Gasthaus zurückgekehrt, wo sie den Rest des Tages verbracht hatten. Auf dem Fischmarkt hatten sie einen Fischer, der sich Bregor nannte, überzeugt, mit ihnen auf Fischfang zu gehen. Sie wollten sich am nächsten Abend, oder am darauffolgenden Abend mit ihm treffen. Im Gasthaus hatten sie dann in ihrem Raum gewartet bis es Nacht wurde. Die Zeit bis dahin hatten sie mit Gebeten an ihre geliebte Göttin verbracht. Nachdem Neire dann sein Fackelritual durchgeführt hatte, waren sie aufgebrochen. Im Schutz der Dunkelheit waren sie bis zu einem Turm der Stadtmauer gelangt, in dem sich eine Türe befand. Sie hatten die Türe aufgebrochen und hatten geplant so lange zu warten, bis die Wachen den Wehrgang über ihnen passiert hatten. Neire hatte sich auf der Wehrmauer in die Schatten gekauert. Doch der Plan hatte nicht funktioniert. Die Wachen waren nicht an ihnen vorbeigegangen, sondern waren in den Wachraum hinabgestiegen. In diesem Moment hatte Neire zugeschlagen. Die erste Wache hatte er von hinten mit seinem Degen ermordet und so leise wie möglich fallen lassen. Dann hatte er auch die zweite Wache gemeuchelt. Jetzt lagen beide Wachen in einer Lache von Blut unter der hölzernen Wendeltreppe. Neire blickte Bargh an und flüsterte keuchend. „Es ist Zeit für unsere Masken. Der Weg über die Mauer ist frei. Lasst uns herausfinden welche Geheimnisse die Magier der Küstenlande hinterlassen haben.“ Bargh nickte freudig und zog seine Maske mit dem grünen Drachenschuppen und dem schwarzen Opal hervor. Die Maske machte ihn unheimlich. Auch Neire zog sich die Maske der Feuerschlange über, die er noch aus Nebelheim hatte. Gemeinsam schlichen sie sich über die Mauer, bis sie die drei alten Türme genauer sehen konnten. Die drei Türme waren alle zylinderförmig. In den beiden kleineren Türmen konnte Neire Licht sehen. Der große Turm schien verlassen zu sein. Sie ließen sich an der Mauer hinabgleiten. Neire kletterte, während Bargh Kraft seines Ringes wie von Zauberhänden getragen in die Tiefe sank. Dann schlich sich Neire auf den großen Turm zu. Er sah zwei Eingangsportale. Große Türen waren mit blumenförmigen Mustern verziert. Beide besaßen ein Schloss, das von einem Muster umgeben war. Eine Untersuchung nach Fallen offenbarte kleine Löcher und einen gespannten Faden im Schloss. Neire begann vorsichtig das Schloss zu knacken, indem er den Faden mied. Und tatsächlich hörte er ein Knirschen, als sich das Schloss bewegte. Er kehrte zurück zu Bargh. Gemeinsam drangen sie in das Innere vor, das sich als verlassen herausstelle. Staub bedeckte den Boden, als ob jahrelang kein Besucher mehr die Halle betreten hätte. Die stattliche Halle war mit kunstvollen Bildern ein und desselben Mannes ausgestattet. Selbst die Decke war von einem Bild von ihm bedeckt. Der Mann trug feuerrotes gelocktes langes Haar und hatte leuchtend blaue Augen. Nachdem sie die Türe hinter sich zugezogen hatten flüsterte Neire verächtlich. „Was für ein menschlicher Abschaum. Wir sind Diener Jiarliraes. Wer ist mehr?“ Sie berieten sich daraufhin kurz. Bargh wollte unten warten, während Neire die Treppen untersuchen wollte. Er schlich sich vorsichtig die Stufen hinauf in ein darüberliegendes Herrschaftsgemach. Die Decke war bemalt mit einem strahlenden Himmel von Sonnenschein. Kostbare Einrichtungsgegenstände und gotische Möbel füllten die Halle. Auch hier war ein wertvoller Teppichboden zu sehen. Sogar ein verzierter Badezuber war neben dem prunkvollen Himmelbett zu sehen. Doch Neire erstarrte wie zu einer Eissäule, als er in Richtung eines Schminktisches blickte. Dort saß eine Gestalt vor einem zerbrochenen Spiegel. Zuerst konnte er nicht genau erkennen, ob es sich um eine Leiche handelte. Die greisenhafte Gestalt hatte schwarze Stellen von verfaulter Haut auf ihrem Kopf, auf dem Neire noch hier und dort Stellen des roten lockigen Haares sah. Doch da war es. Er hatte bemerkt, dass sich der Brustkorb der Gestalt gehoben hatte. Als ob diese atmen würde. Es folgten keine weiteren Atemzüge. Neires Herz begann höher zu schlagen. Er zog langsam den Degen unter seinem Umhang hervor. Langsam schlich er auf die Gestalt zu. Für einen Moment war er unachtsam und streifte beim Losgehen die Kante einer Kommode. Doch das kleine Geräusch war genug um die Gestalt hochschrecken zu lassen. Zuckend begann sich diese zu bewegen. Ruckhaft blickte der Kopf in seine Richtung. Er konnte eine große Kette erkennen, die um ihren Hals gelegt war. Dort war das Wappen der Stadt zu sehen. Neire hörte einen hellen Schrei, der von der Kreatur ausging. Er blickte in matte graue Augen. Das Grinsen des Wesens offenbarte faulige Zähne. Nachdem Neire kurz eingefroren war schlich er trotzdem weiter. Von unten hörte er schon die Schritte von Bargh nahen. Auch die Gestalt schien das abzulenken. Schließlich kam er im Rücken des Greises an. Die Kreatur hatte gerade begonnen seltsame Formeln zu murmeln, als er zustach. Tief drang der Degen und die arkanen Formeln verhallten ins Leere. Auch Bargh warf sich der Gestalt jetzt entgegen. Der Streich von Bargh drang tief in den Hals hin und der Mann vor dem zerbrochenen Spiegel hauchte mit einem letzten schrillen Schrei sein Leben aus.
Jenseher:
Die Ruhe nach dem Todesschrei des fauligen Greises war gespenstig. Die Gestalt war jetzt in sich zusammengesackt und ein Fäulnisgeruch ging von ihr aus. Neire und Bargh schauten sich in dem Gemach um, das von dem durch die gotischen Fenster eindringenden Mondlicht erhellt wurde. Neben dem schweren Atmen von Bargh waren keine weiteren Geräusche zu hören. Aufgewirbelte Partikel reflektierten hier und dort das silberne Licht und erzeugten eine nebelhafte Distanz zu dem vergangenen Prunk. Von der Heftigkeit des Kampfes immer noch überrascht, nickte Neire Bargh zu und beugte sich langsam über den Leichnam hinab. Der Jüngling, von dem momentan nur Schatten zu sehen waren, begann die leblose Gestalt zu durchsuchen. Bis auf einen verzierten Ring und die große goldene Kette mit dem Wappen der Stadt, fand er aber nichts. Plötzlich horchte Neire auf. Durch die Fenster hatte er aufgeregte Stimmen von draußen gehört. Wachen hatten sich dem Turm genähert. „Vergesst es. Bis hierhin und nicht weiter. Zutritt verboten.“ Hörte Neire die erste Stimme sagen. Er zog seine Kapuze etwas zurück und strich die Haare von seinem Ohr. Seine gold-blonden Locken schimmerten im Mondlicht - die Maske der Feuerschlange trug glänzende Juwelen. „Ja, aber… habt ihr es nicht gehört? Der Schrei?“, antwortete eine andere Stimme. „Jeder hat es gehört. Doch für uns geht es hier nicht weiter. Befehl ist Befehl.“ Eine Zeitlang lauschte Neire den Stimmen, bis er zwei neue Stimmen hörte. „Ihr da, was macht ihr hier?“ Fragte ein älterer Mann in barschem Ton. „Irgendetwas stimmt hier nicht. Habt ihr nicht den Schrei gehört?“ Antwortete die Stimme von vorher. „Ja, haben wir. Aber für euch ist jetzt Schluss hier. Geht zurück auf euren Streifgang.“ Die beiden Wachen schienen sich zu fügen und langsame Schritte begannen sich zu entfernen. Jetzt war es an der Zeit das Gemach zu durchsuchen. Bargh und Neire machten sich vorsichtig an die Vielzahl von Schubladen und Kästen, die der Hallen-artige Raum zu verbergen hatte.
Vorsichtig ließ sich Neire an der Außenfassade des Turmes hinab. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Über ihm brach ab und an der Mond durch die Wolken. Es war bereits etwas kälter geworden. Als er sich in das weiche, nasse Gras hinabsinken ließ, konnte er bereits die Schatten der beiden Wachen erkennen, die sich vor dem Eingangsportal des Magistratenturms postiert hatten. Dunkel ragten die beiden anderen Türme auf, aus dessen Schießscharten ein Lichtschimmer zu erkennen war. Neire schlich sich vorsichtig auf die Gestalten zu, die nun in sein Sichtfeld kamen. Nur einen kurzen Moment dachte er an die Schätze, die sie bei der Durchsuchung des Gemachs gefunden hatten. Es waren einige Juwelen und Schmuck gewesen sowie ein magischer Ring und magisches Amulett. Ein Gegenstand hatte jedoch in besonderer Weise seine Aufmerksamkeit erregt. Es war eine Dose mit gefülltem Gelee gewesen, auf deren Rückseite er das eingravierte Bild einer wunderschönen Frau gesehen hatte. Diese Frau hatte er als die Göttin Sune identifiziert. Doch als er für einen kurzen Moment seine Augen abgewendet hatte, war das Bild einer inneren Wandlung unterzogen gewesen. Als ob das Gesicht sich verzerren würde, zu einem boshaften und niederträchtigen Grinsen. Er hatte das Gelee untersucht und tatsächlich nur normale Kräuter für Haut und Gesichtspflege festgestellt. Doch sein Gespür für Flüche hatte ihn gewarnt. Irgendetwas stimmte mit der Substanz nicht. War die Substanz vielleicht für den Wandel des Magistraten verantwortlich? Er verwarf den hastigen Gedanken und schlich sich weiter durch Schatten. Als er im Rücken der ersten Wache ankam, zog er den Mantel enger und bereitete den Degen zum tödlichen Stoß vor. Er war jetzt bis aufs Äußerste gespannt. Dann ließ er den Degen nach vorne schnellen. Er spürte den Widerstand des Kettenhemdes, doch die Glieder sprangen entzwei durch die Wucht des Stoßes. Sein Degen traf das Herz und die Wache im gelben Umhang ging zuckend zu Boden. Die andere Wache blickte sich erschreckt um und setzte zu einem Schrei an. Doch auch diesmal war Neire schneller. Er bewegte sich einen Schritt hinter die Gestalt und griff abermals an. Der Degen drang vom oberen Teil des Rückens durch den Hals. Ein feiner Strahl von Blut sprühte hervor und die Gestalt begann zu röcheln. Doch schwer verletzt konnte die Wache sich auf den Beinen halten. Der noch junge Mann fing an zu schreien. „Hilfe, kommt herbei, eine Abscheulichkeit, schwarze Kunst…“ Neire sah bereits aus den Augenwinkeln die zwei weiteren Wachen zu Hilfe eilen. Auch sie trugen Kettenhemden und farbige Mäntel. Einer der beiden hatte einen grünen Mantel, der andere einen grauen. Sie konnten ihn anscheinend nicht ausmachen und stürzten sich in den Nahkampf. In diesem Moment schwang die Tür des Turmes auf. Bargh trat heraus. Die Maske der grünen Drachenschuppen und des schwarzen Opals bedeckte sein Gesicht. Mondlicht glitzerte auf seinem Plattenpanzer. Er hob sein Schwert und tötete die verletzte Gestalt mit einem tiefen Schnitt. Ein heftiger Kampf entbrannte jetzt mit den beiden neu eingetroffenen Wachen. Sie wehrten sich mit all ihrer Kraft, wurden dann aber von Bargh und Neire niedergestreckt.
Bargh drehte sich um. Er sah nicht viel von Neire, doch er wusste ungefähr, wo sich der Jüngling mit dem Schattenmantel befand. Neire machte sich gerade an dem Türschloss des zweiten Turmes zu schaffen. Sie hatten den ersten der beiden erleuchteten Türme bereits erkundet. Die Eingangstüre war auch mit einem Schloss versehen gewesen, das Neire geknackt hatte. Im Inneren hatten sie eine hohe, runde Halle vorgefunden, an deren Wänden sich gefüllte Bücherregale befanden. Sie hatten dort zwei Leitern und einen Kronleuchter gesehen, in dem ein kleines Feuer brannte. Die Bücher und Schriftrollen waren daraufhin von ihnen untersucht worden. Neire hatte zudem immer wieder gehorcht, ob Gefahr im Anmarsch sei. Doch er hatte eine längere Zeit nichts gehört. Die Bücher waren teils einfache Geschichten und Romane gewesen. Doch sie hatten auch schriftliche Aufzeichnungen des Handels des Magistraten gefunden. Auch der Gelee-artige Gesichtsaufstrich war als Schachtel von Sune vermerkt gewesen, nur ohne die Angabe eines Verkäufers. Es waren aber einige interessante Dinge vermerkt. So war zum Beispiel von einer Münze von Tymora die Rede, die als Fälschung gekennzeichnet war und vor kurzer Zeit an den Müller von Mühlbach verkauft wurde. Bargh hatte sich dabei an die Geschichte von Neire erinnert. Was er in dem Keller von Mühlbach gesehen hatte. Ein Stern von Selune wurde gekauft und auch die Schachtel von Sune war vermerkt gewesen. Zu guter Letzt hatten sie eine alte Karte der Tempelinsel gefunden, auf der einige Ruinen eingezeichnet waren. Sie hatten daraufhin den Raum verlassen und sich dem letzten der drei Türme zugewandt. Jedoch mochte Bargh die anhaltende Ruhe nicht. Irgendetwas musste hier faul sein oder wollte er nur weiter töten? Er blickte am Turm vorbei in Richtung Stadt. Die Wolken waren mittlerweile vollständig aufgerissen und so konnte er dunkle Umrisse der Stadtmauer im silbernen Mondlicht sehen. Er hörte ein Flüstern aus Richtung der Türe. „Bargh, der Weg ist frei. Lasst uns sehen was sich in diesem Turm befindet.“ Bargh machte einen Schritt zur bereits halb geöffneten Tür und schaute in den Turm. Sein von Blut verschmiertes Schwert schimmerte dunkel unter dem Vollmond. Es kam ihm der Geruch von Lebensmitteln und Rauch entgegen. Das Gemach wurde erhellt von einer Feuerschale, die durch Ketten getragen von der Decke hinabhing. Hier und dort sah er Säcke mit Getreide, Körbe mit Nüssen und Wurzeln, Trockenfleisch und Würsten. Auch einige Fässer waren zu sehen. Eine kleine Treppe führte in ein oberes Stockwerk. Er spürte, dass Neire an ihm vorbeischlich und folgte ihm in das obere Gemach. Er kam in einen weiteren kreisrunden Raum, über dem er das Dachgebälk sehen konnte. Offene Schießscharten waren in jede Himmelsrichtung in den Stein gelassen. In einem Halbkreis standen ein Dutzend schwere Truhen. Jede einzelne war kniehoch und etwa einen Schritt lang. Die Truhen waren mit schweren Eisenstreben verstärkt. Überall waren große Vorhängeschlosser zu sehen. Augenblicklich hörte er die Stimme von Neire. „Bargh, ich werde nach den Schlössern sehen. Achtet ihr auf die Treppe nach unten.“ Er nickte und postierte sich an den Eingang des Raumes. Von unten sah er das Licht der brennenden Schale schimmern. Sie sollten nur kommen, dachte er sich. Er würde schon mit ihnen fertig werden. Junge Burschen, die den Dienst an der Waffe noch nicht lange begonnen hatten. Nicht wie er, ja… Hinter sich hörte er die ersten Schlösser knacken. Neire hatte bereits zwei Truhen geöffnet, die aber beide leer waren. Bei der dritten und der vierten Truhe hatten sie mehr Glück. Gold und Edelsteine zog Neire hervor und ließ sie in seiner magischen Schatulle verschwinden. Als Neire sich bereits der fünften Schatulle gewidmet hatte, hörte Bargh in Fluchen. Das Kratzen des Dietrichs auf Metall war zu hören. Dann ging alles ganz schnell. Zuerst war da ein kleines Summen, wie das eines Gongs. Tief und hoch zugleich. Es pulsierte und wurde lauter und lauter. Das Geräusch schwoll in rasanter Geschwindigkeit an - bis es ohrenbetäubend wurde. Aus dem Schloss sprang zudem etwas hervor. Eine kleine schwarze Kugel, die sich in einem Bogen dem Boden näherte. Als die Kugel den Boden berührte breitete sich in kürzester Zeit eine schwarze Schicht einer viskosen Substanz über die Steine des Gemachs aus. Bargh sprang zurück und sah auch, dass Neire sich bereits auf eine Truhe gerettet hatte. Das Geräusch war jetzt so laut, dass sein Trommelfell zu bersten drohte. In was für eine List war Neire da hineingetappt? Bargh hielt sich die Panzerhandschuhe auf die Ohren, doch es half nichts. Dann verstummte das Geräusch. Plötzlicher als es gekommen war. Bargh hörte nur noch ein hohes Fiepen in den Ohren. Dann war da Neires Stimme, entfernt und schwach: „Bargh, wir müssen handeln. Geht und entzündet die beiden anderen Türme. Flieht danach durch die Dunkelheit. Wir sehen uns im Gasthaus wieder.“ Bargh lächelte Neire an, doch seine Maske überdeckte seine Gesichtszüge. Die Türme sollten brennen und mit ihnen die Leichen. Endlich konnte er handeln. Wortlos nickte er Neire zu und verschwand über die Treppe ins untere Geschoss.
Neire schlich geduckt durch den Raum. Es stieg bereits Rauch von den Getreidesäcken auf. Hier und dort züngelten die ersten Flammen auf. Er spürte in diesem Moment die Dualität von Feuer und Schatten in ihm. Er war so aufgeregt, doch auch von einem tiefen inneren Glück erfüllt. Gerade hatte er die Eingangstüre zum Turm verschlossen, um ein Eindringen der Wachen zu verhindern. Nachdem Bargh ihn verlassen hatte, war er vorher mit den anderen Truhen beschäftigt gewesen. Er hatte eine nach der anderen geöffnet. Irgendwann hatte er Schreie gehört und einen Trupp von Wachen durch die Stadt eilen sehen. Sie mussten aus der Hafengegend gekommen sein und bewegten sich in Richtung der drei Türme, von denen zwei bereits in Flammen standen. Das Feuer, das Bargh gelegt hatte, hatte sich rasch ausgebreitet. So hatte Neire sich beeilt und die letzte Truhe geöffnet. Diese war leer gewesen. Aus den anderen Truhen hatte er jedoch einige Schätze bergen können, die er in seiner magischen Schatulle verstaut hatte. Er schlich sich in das Dunkel des oberen Gemachs und lugte durch die Schießscharten. Die Wachen waren mittlerweile durch das Gatter der kleineren Mauer gebrochen, die den Teil des Magistratenturms abschirmte. Die Gestalten irrten zwischen den beiden brennenden Gebäuden hin und her und riefen sich neue Befehle zu. „Holt Wasser!“, „Die Türme brennen. Rettet den Magistraten.“ „Das Feuer ist zu groß, wir können nicht hinein.“ „Dann holt Wasser, ihr dort.“ Neire entschloss sich die Gunst der Verwirrung zu nutzen und an dem Turm hinabzuklettern. Als er sich an der Mauer hinunterließ hörte er plötzlich einen schaurigen Schrei. „Leichen, unsere Kameraden, sie sind alle tot. Wo sind die Mörder? Welche Abscheulichkeit.“ Dieser Ausruf stachelte ihn irgendwie an. Er hatte geplant diesen Ort im Schutze der Schatten zu verlassen. Doch jetzt reifte ein neuer Plan. Auf der Rückseite des Turmes kauerte er sich nieder und begann den dunklen Giftextrakt des bunten Vierlings auf seinen Degen zu streichen. Dann schlich er sich um den Turm und beobachtete die Szenerie. Beide Gemäuer standen bereits vollkommen in Flammen. Das Feuer schlug aus Schießscharten hervor und tobte pfeifend durch die Vollmondnacht. Wie in einem Albtraum rannten die Wachen auf und ab. Wie kleine Ameisen bewegten sie sich wirr. Neire kauerte in den Schatten und wartete auf seinen Moment. Er schaute in das Feuer und versuchte Formen in den Flammen zu entdecken - die Runen seiner Göttin. Doch er sah nur die alles vernichtenden Flammen. Da wusste er, dass er töten musste. Als sich zwei der Wachen auf den dritten Turm zubewegten, um nach Wasserfässern zu suchen, kam seine Gelegenheit. Der ersten Gestalt rammte er hinterhältig seinen Degen in den Rücken. Tödlich verwundet sank diese zu Boden. Im prasselnden Feuer hatte der Kamerad der Wache noch nichts bemerkt. Und so wurde auch er ein Opfer eines weiteren Angriffs. Neire zog sich wieder zurück und wartete ab. Es dauerte nicht lange und die toten Wachen wurden entdeckt. „Wir werden angegriffen.“ Schallten die Stimmen über den Platz. „Schwärmt aus und sucht sie!“ Neire wartete bis er zwei weitere Wachen sah, die jetzt von den brennenden Türmen in die Dunkelheit schritten. In ihren jugendlichen Gesichtern war Angst zu sehen. Er hatte das Gift auf seinem Degen erneuert und meuchelte die erste der Gestalten. Doch bei der zweiten traf er nicht richtig das Herz. Schwer verletzt, doch um sich schlagend, wimmerte die Wache, als sie um ihr Leben kämpfte. Und wieder zog sich Neire zurück. Er trug abermals Gift auf seinen Degen, ließ die Wache weiter ins Leere schlagen und schlich den letzten beiden Wachen nach. Der erste Angriff tötete eine der beiden Wachen mit der Wirkung des Giftes. Der zweiten stach er, nun in einem Mordrausch, dreimal in den Rücken, bis der leblose Leib zu Boden fiel wie ein nasser Sack. Nun schlich er sich zur bereits verletzten Wache, die er von hinten meuchelte. Er atmete keuchend auf. Noch immer war das hohe Fiepen in seinen Ohren. Sein Degen schimmerte nass im Licht des Feuers und seine Maske war von Blut bedeckt. Auch der dritte Turm hatte mittlerweile angefangen zu brennen und lodernde Flammen schossen aus den Schießscharten hervor. Jetzt musste er seine Spuren verwischen. Neire begann die Leichen, eine nach der anderen, in Richtung des Bibliothekturms zu ziehen. Dort wickelte er sich in einen Umhang und warf sie ins Feuer. Nur einen Leichnam verschonte er. Diesen Leichnam brachte er zu den Klippen. Er begann mit einem weiteren Kurzschwert in die drei Wunden des Rückens zu stechen. In der dritten Wunde ließ er das Schwert stecken. Die Taschen der Gestalt füllte er mit Münzen, die er auch in der rechten Hand platzierte. Dann blickte er sich nochmals um und betrachtete sein Werk. Die drei Türme brannten mittlerweile lichterloh. Er wendete sich ab und floh durch die Schatten hinfort. Die Flammen waren nach Dreistadt gekommen und mit ihnen die Schatten. Er hoffte, dass die Königin von Feuer und Dunkelheit stolz auf ihn sein würde. Die Welt sollte brennen und er würde IHR Prophet sein. Die Runen werde er lesen in der feurigen Düsternis.
Jenseher:
Neire huschte durch die leeren Straßen. Es war noch kühler geworden. Der Vollmond ließ die Häuser und die Stadtmauern wie schattenhafte Konturen aufragen. Neire war noch immer voll von Adrenalin. Ein Gefühl von tiefem Glück suchte ihn heim, immer dann, wenn er sich umschaute. Hinter ihm brachen gewaltige Flammen von der kleinen Anhöhe des abgesperrten Bereichs des Magistraten. Die drei Türme innerhalb der inneren Mauer der Stadt standen jetzt völlig in Flammen. Die dichten Rußwolken waren als dunkle Säule im Mondlicht zu sehen. Der Brand war wohl noch weit über Dreistadt hinweg zu erblicken. Vielleicht bis zum Tempel der Ehre. Frohlockend jauchzte Neire innerlich auf. Das war sein… das war ihr Werk gewesen und es würde Aufmerksamkeit erzeugen. Er hoffte, dass der nächtliche Mord an einem Dutzend Wachen und die Brandstiftung eine Reaktion provozieren würde. Er hoffte, dass der Tempel der Ehre reagieren würde und seine besten Wachen nach Dreistadt schicken würde. Dann sollte der Weg frei sein für sie. Frei für die Rache von Bargh und die Gunst von Jiarlirae. In diesen Gedanken schwelgte er, als er langsam die Außentreppe des Gasthauses hinaufschlich. Dort stand Bargh, sein Begleiter, der ihn noch nicht erkannt hatte. Im verbrannten Gesicht, in dem verbliebenen Auge des einstigen Ritters, spiegelte sich die ferne Feuersbrunst. Neire sah, dass Bargh lächelte, als er in diese Richtung blickte. Mit seiner gespaltenen Zunge formte er Worte. Worte in der heiligen Sprache von Nebelheim, die ihrer Göttin, der Königin von Feuer und Dunkelheit, huldigten.
Bargh sah Neire ächzen. Der Jüngling fasste sich noch immer an seinen Oberschenkel. An die Stelle, wo er im gestrigen Kampf verletzt wurde. Bargh erinnerte sich an den letzten Abend. Nachdem Neire zurückgekommen war, hatten sie seine Wunden versorgt und ein wenig Wein getrunken. Dann war Neire in einen tiefen Schlaf gesunken und er hatte die erste Nachtwache übernommen. Er hatte bemerkt, dass Neire immer wieder im Schlaf gemurmelt hatte. Schließlich hatte er sich kaum noch wachhalten können und Neire hatte ihn abgelöst. Jetzt, als er langsam aufwachte, vernahm er den beißenden Geruch des bunten Vierlings. Neire hatte das alchemistische Besteck in ihrem Gemach aufgebaut und der dunkle Sud köchelte in den bauchigen Glasviolen. Er begann langsam die Stahlplatten seiner Rüstung anzulegen und schaute Neire zu. Sein Begleiter hatte den Schattenmantel abgelegt und schien in tiefe Konzentration verfallen zu sein. Immer wieder strich sich Neire die gold-blonden Locken zurück, wenn er sich zu seinen Gefäßen hinabbeugte. Bargh stand ruckhaft auf. Er wusste um die Gefährlichkeit des bunten Vierlings violetter Farbe. Er durfte Neire nicht stören. So bewegte sich durch die Tür und den kleinen Flur auf das hölzerne Podest, auf dem die äußere Treppe endete. Es offenbarte sich ihm der mittägliche Blick über Dreistadt. Ein kühlerer Wind war aufgekommen und jagte tiefliegende Wolken aus Richtung des Meeres heran. Für einen Moment stand er da und zog die nach Salz riechende Luft ein. Dann ließ er seinen Blick über Häuser und Stadtmauern schweifen. Die Straßen von Dreistadt waren heute leerer als zuvor. Und dennoch konnte er Bewegung und einige Stände auf dem Markt sehen. Im Bereich der drei Türme des Magistraten bemerkte er dunklen Rauch aufsteigen, der trotz des starken Windes nur schwer auseinandergetrieben wurde. Die grüne Graskuppe um die verkohlten Gebäude war an einigen Stellen schwärzlich verbrannt. Auch konnte er kleine Gestalten erkennen, die zwischen den Gebäuden umherschritten. Als er die Szenerie eine längere Zeit betrachtete, sah er, dass sich eine Gruppe von drei Personen in Bewegung setzte und den ummauerten Hügel in Richtung des stadteinwärts liegenden Tores verlassen würde. Bargh stand noch eine Zeitlang auf der Außentreppe und beobachtete die Gruppe. Tatsächlich bewegten sich die drei Wachen, die Bargh aus der geringeren Entfernung als solche identifizieren konnte, in Richtung des Marktplatzes. Er drehte sich um und begab sich in den Raum zurück. Er wusste, dass er Neire darüber informieren sollte.
„Bargh, geht ihr hinab ins Gasthaus. Ihr wisst was ihr zu tun habt. Ich werde mich um unsere Sachen kümmern.“ Bargh sah, dass Neire auf ihre Rucksäcke deutete, die sie an ihre Betten gelehnt hatten. Er legte kurz die Hand auf sein Schwert und ging dann los. Zu Neire murmelte er nur die Gebetsformel: „Und preiset das schwarze Licht unserer Göttin, auf das die Dinge sich aufs Neue entzünden.“ Dann verließ er die Türe in Richtung der Außentreppe. Er bemerkte, dass er keinen Moment zu lange gezögert hatte. Die Wachen waren bereits vom Markt aufgebrochen und näherten sich dem Gasthaus. Bargh dachte zurück. Er hatte Neire im Gemach vorgefunden, sein Alchemistenbesteck zusammenpackend. Als er ihm von den Wachen erzählt hatte, die sich dem Marktplatz näherten, hatte Neire nervös reagiert. Sein junger Begleiter hatte hastig seine Sachen zusammengerafft und war anschließend auf die Außentreppe geschlichen. Eine Zeit hatte er dort verbracht und gelauscht. Dann hatte er sich umgeschaut und zu ihm geflüstert, dass die Wachen nach Fremden suchen würden. Die Bürger waren befragt worden, ob sie irgendetwas auffälliges gesehen hätten. Bargh und Neire hatten sich daraufhin kurz beraten. Neire wollte sofort fliehen, doch Bargh hatte seinen Begleiter überzeugt zu bleiben und zu handeln. Er war sich sicher, dass sie mit den drei Wachen fertig werden würden. Und er wollte jeden der Tempeldiener ermorden. Neire hatte schließlich eingewilligt und so hatten sie hastig ihr Vorgehen abgestimmt. Als Bargh jetzt die Stufen der äußeren Treppe hinabging, sah er, dass die Wachen ihn bereits bemerkt hatten. Jetzt durfte er keine Fehler machen. Innerlich pulsierte sein Herz, doch er versuchte so ruhig wie möglich zu wirken. Er ging um das Gasthaus herum und öffnete den Haupteingang in die Schankstube. Im Inneren sah er hinter der Unordnung einer Anhäufung von Stühlen und Tischen den Wirt Ariold. Die hagere Gestalt blickte kurz auf und machte den gewohnt desinteressierten Eindruck. Doch Bargh konnte sofort die innere Anspannung ihres Gastgebers erkennen - der Rest war von Ariold gespielt. Er bewegte sich langsam auf den Wirt zu, der dort in gekrümmter Haltung verweilte. Hinter der Theke konnte er ein ledernes Bündel erkennen. Als ob Ariold eine plötzliche Abreise planen würde. Bargh nickte dem Meister der Schankstube zu, als er an die Theke trat und nach einem Humpen griff. Er begann den Hebel des Fasses zu öffnen, das dort stand, während er sprach. „Ariold, schön euch zu sehen. Habt ihr schon gehört was in der Stadt passiert ist? Ein Brand der drei Türme, wie grauenvoll.“ Er musste selbst bei seinen Worten grinsen und konzentrierte sich wieder auf das Bier, das schäumend in seinen Humpen lief. „Natürlich habe ich schon davon gehört,“ sagte Ariold, der jetzt etwas von der Theke und in Richtung seines Bündels zurückwich. Bargh nahm gerade einen großen Schluck, setzte den Humpen ab, deutete auf das Bündel und sprach jetzt lauter. „Auf der Flucht Ariold? Bleibt ruhig verdammt nochmal.“ Bargh spürte die Furcht, als der Wirt zusammenzuckte. Trotzdem antwortete Ariold direkt. „Wie lange seid ihr jetzt hier? Und was ist passiert seitdem? Brannte nicht zuerst der Leuchtturm und dann die drei Türme?“ Bargh musste wieder lachen und wollte gerade antworten, als er das Geräusch der Türe hörte, die unsanft aufgeworfen wurde. Er zwinkerte Ariold mit seinem gesunden Auge zu, bevor er sich umdrehte. Das schäumende Bier in der Hand, fing er augenblicklich an zu schwanken. Die Binde bedeckte den Rubin seines rechten Auges und sein kahler, von Brandnarben gezeichneter Schädel, schimmerte vom Schweiß im Halbdunkel. Dann drehte er sich wieder zur Theke, beachtete die Wachen nicht mehr und schenkte nach. „Wie ist euer Name und was ist euer Anliegen in Dreistadt?“ Die Stimme schallte durch Gasthaus, als die drei Wachen eintraten. Zwei von ihnen waren älter und trugen grüne Umhänge und Kettenhemden. Die jüngere Wache war muskulös. Unter dem gelben Umhang trug der Wächter des Tempels der Ehre einen Lederpanzer. Bargh drehte sich gespielt torkelnd um. Er krachte dabei mit seiner Rüstung gegen die Theke. „Ah, Freunde. Kommt zu mir und trinkt einen mit. Heute wollen wir feiern…“ Seine lallenden Worte schienen nicht auf fruchtbaren Boden zu fallen. Abermals brüllte die Wache im grünen Umhang ihren Befehl. Jetzt noch lauter und intensiver. Bargh bewegte sich langsam auf die drei Gestalten zu und rempelte dabei ein paar Stühle um. „Trinken will ich und ich geb‘ euch einen aus. Heute bin ich in Feierlaune. Was ist mit euch, häh?“ Als er näher kam hob der älteste der drei abwehrend die Hand und bellte wieder: „Halt, keinen Schritt weiter Fremder. Wie ist euer Name und was ist euer Anliegen in Dreistadt?“ Bargh lachte gespielt betrunken auf. Aus den Augenwinkeln vernahm er, dass die beiden hinteren Wachen anscheinend ein Geräusch gehört hatten und sich umdrehten. Er sprach jetzt umso lauter. „Das habe ich euch doch schon alles gesagt. Mein Name ist Bargh und ich möchte saufen hier, versteht ihr? Bier trinken, das will ich. Das ist mein Anliegen in dieser Stadt.“ Der ältere Mann mit dem grauen, kurzen Haar schien mit seiner Antwort nicht zufrieden zu sein. Immer noch hielt er die Hand hoch, blickte zu Ariold und schrie: „Ihr da, Wirt! Kommt zu uns herüber und berichtet… und zwar schnell.“ Bargh wusste, dass er jetzt handeln musste. Die beiden hinteren Wachen hatten sich wieder umgedreht und er ahnte, dass Neire sich bereits im Raum befinden musste. „Lasst doch den alten Mann aus dem Spiel, er soll mir nur sein Bier verkaufen. Der Wirt hat mir bis jetzt gute Dienste geleistet.“ Bargh lallte jetzt lauter und setzte nach, bevor der Anführer antworten konnte. „Kennt ihr eigentlich Akram? Das solltet ihr vielleicht oder?“ Für einen Moment schien der Anführer seine Fassung verloren zu haben. Er dachte nach. „Ja, Akram. Woher kennt ihr ihn,“ antwortete er etwas leiser. In diesem Moment sah Bargh, dass sich die Schatten hinter dem Mann in Bewegung setzten. Eine stählerne Klinge eines Degens blitzte in der Dunkelheit auf. Er begann sein Schwert zu ziehen, als er nüchtern sprach. „Akram ist tot und ihr werdet sterben wie er.“ In diesem Moment warf Bargh den Krug mit dem Bier in Richtung des Gesichts der Wache. In dem Regen von schäumendem Bier war eine Klinge zu sehen, die sich durch den Rücken des Wächters bohrte. Neires Degen hatte das Herz zwar verfehlt, doch der Extrakt des violetten Vierlings breitete sich in Windeseile in seinem Körper aus. Schwarz wurden die Adern des Anführers und er brach zitternd zusammen. Augenblicklich entbrannte ein Kampf, der von Bargh mit blindem Fanatismus und der Absicht zu töten geführt wurde. Bargh war im Angriff schneller als sein Gegner und hackte den anstürmten jüngeren Krieger mit zwei Angriffen in der Hüfte fast entzwei. Über den zu Boden sinkenden Leichnam schritt er auf die letzte Wache zu, die von Neire von hinten angegriffen wurde. Gemeinsam nahmen Neire und er den Krieger des Tempels in die Zange und zeigten keine Gnade.
Ariold kauerte nach Luft schnappend auf dem Boden und wurde von Neire bedrängt. Der Geruch von Tod und Blut war um sie herum. Der Priester Jiarliraes hatte die Kapuze des Schattenmantels zurückgezogen und den Degen an den Hals des Wirtes gelegt. Sein schönes jugendliches Gesicht war von Wut und Hass verzerrt und seine gespaltene Zunge fuhr über seine blassen Lippen. „Mensch… wir wollen nur ein Spiel spielen. Wie steht es mit euch? Wollt ihr nicht mit uns spielen?“ Ariold zitterte, als er in das von gold-blonden Locken gezierte Gesicht mit der geraden Stirn und den hohen Wangenknochen blickte. Die großen nachtblauen Augen Neires betrachteten ihn forschend. Langsam erhob er die Stimme. „Ja… natürlich, Herr…“ „Wir sollten uns natürlich respektvoll verhalten, wie Brüder und Schwestern eben zueinander sind… ja?“ Ariold wusste wohl nicht ganz wie ihm geschah und antwortete zustimmend. Wieder erhob Neire die Stimme. „Nun, ihr sagtet, ihr wollt nach Norden fliehen, doch wir kommen dorther. Das Dorf Mühlbach wurde von der Pest verwüstet. Ein dummer Bauer hat eine Münze von Tymora gekauft und damit ihr unseliges Schicksal besiegelt.“ Ein Funken Hoffnung wich sichtlich aus dem Gesicht von Ariold. Neire drang weiter auf ihn ein. „Doch der Pass nach Berghof ist frei. Wir sind im geheimen Auftrag des Herzogtums hier. Ihr könntet dorthin reisen und ein neues Leben beginnen. Wir könnten euch freies Geleit über den Pass gewährleisten. In Kusnir befindet sich sogar ein Gasthaus, das auf euch wartet. Ein minderwertiger Sklavenbastard namens Walfor könnte ein würdiger Diener für euch werden. Was sagt ihr dazu?“ Ariold versuchte nach Worten zu suchen, doch es war nur ein Stammeln und Brabbeln zu hören. „Ich sage euch etwas Mensch. Ich gebe euch diesen Ring, als Zeichen unserer Anerkennung. Und ihr reitet mit unseren Pferden in das nächste Dorf an der Küste. Dort werdet ihr sie für uns hüten. Wenn wir sie uns wiedergeholt haben, werden wir euch den Weg nach Berghof zeigen.“ Neire lächelte Ariold an, zog seinen Degen etwas zurück und Ariold antwortete. „Ja, ich kenne ein Dorf. Stadwilla liegt unweit von hier an einem gestauten Fluss. Fischer und Bauern leben dort. Ich werde dort auf euch warten.“ Neire lächelte jetzt freundlich und schob den Ring aus kostbarem Silber über den Finger von Ariold. Als er wieder sprach, drückte er nochmals den Degen enger und zischelte: „Und wir mögen keine Spielverderber, Mensch… Wisst ihr was mit ihnen passiert? Sie werden aussortiert und müssen auf ewig in den Eishöhlen hausen.“
Das Boot schaukelte im Wind. Es war bereits dunkel geworden. Dicke tiefliegende Wolken waren über ihnen und ließen das silberne Licht des Vollmondes nur erahnen. Trotzdem sah er die Klippen des Eilands aus dem Meer ragen. Die Insel des alten, erloschenen Vulkans war verboten für ihn. Der Tempel der Ehre herrschte dort und seiner Priester bedurfte es stets an neuen Rekruten, nicht aber an neugierigen Besuchern. Bregor fragte sich, worauf er sich eigentlich eingelassen hatte, als er das Werk des jungen Fremden betrachte. Die Seile waren verknotet und verheddert. Es war, wie er vermutet hatte. Nett reden konnten die Fremden, doch vom praktischen Handwerk verstanden sie anscheinend nichts. Nur Buchwissen… ansonsten warme Luft, dachte er sich. Das Boot drehte sich gerade in eine Welle und er musste schnell sein. Die beiden Fremden, die sich ihm als Bargh und Neire vorgestellt hatten, hatten ihn zudem dazu gedrängt in neue Gewässer zu fahren. Nahe der alten Vulkaninsel. Darauf hatte er sich eingelassen. Es würde sich jetzt zeigen, ob sie recht gehabt hatten. Doch er dachte auch an seine Familie. An die hungrigen Mäuler, die er zu stopfen hatte. Und er dachte an seine Frau. Vielleicht hatte sie heute wieder unnötige Sachen vom Markt gekauft. Im ersten Moment und in der Kälte des Windes spürte Bregor, dass ihn irgendetwas am Rücken kitzelte. Er wollte sich kratzen, doch wie gelähmt war er und ein Gefühl von Kälte breitete sich über seine gesamte Brust aus. Als er das Blut in seinem Mund schmeckte, merkte er, wie er langsam kopfüber ins Wasser fiel. Aus den Augenwinkeln konnte er die rote Maske einer Feuerschlange sehen, dann umschlang in das kühle Nass. Die letzten Gedanken waren bei seinen geliebten Fischen, die er Tag für Tag, Jahr für Jahr aus den Tiefen gezogen hatte. Doch wer würde seinen Körper hinaufziehen? In welchem Netz würde er landen? Als die Dunkelheit auf ihn zu kam, trat er ihr mit offenen Armen entgegen. War dort der Schimmer eines glühenden Funkens zu sehen oder war es das große Nichts, dass sich für ihn eröffnete? Langsam erstickten seine Bewegungen und sein Sinn, als er in die Tiefe sank. Alles um ihn herum war wie roter, dunkler Samt. So weich und warm.
Bargh hatte die Ruder übernommen und stemmte sich gegen die Wellen. Der Wind war gleichbleibend stark geblieben und die Wogen trugen Schaumkronen. Neire reinigte den Stahl seines Degens vom dunklen Blut des Fischers. Sie beide blickten immer wieder in die Dunkelheit. Dort lag sie, die verhasste Insel. Schwarze Felswände ragten hinauf in den Nachthimmel und verschwanden in den unruhigen Wolken. An den Ufern konnten sie hier und dort einen dichten Wald erkennen. Auch waren Strände sichtbar, deren hellerer Sand matt in der Düsternis glänzte. Als das Boot mit einem Knirschen auf den Untergrund lief, sprang Neire als erster in das Wasser hinab. Bargh folgte ihm auf das Eiland. Sie wussten, dass es jetzt kein Zurück mehr geben würde. Sie hatten sich lange vorbereitet. Und doch mussten sie das Boot verstecken, beten und für eine paar Stunden Schlaf finden. Im Dunkel des Morgens wollten sie angreifen. Tief in ihrem Inneren wussten sie, dass Jiarlirae mit ihnen war.
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