Autor Thema: [AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea  (Gelesen 23758 mal)

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Sitzung 70 - 100 Orks und ein Fest für Jiarlirae - Teil II.
« Antwort #75 am: 21.07.2023 | 23:01 »
Es war das werdende Heiligtum von Irrling, der Tempel des Jensehers, von dem uns unsere Göttin hinfort geführt hatte. Tief in die nordwestlichen Lande, die sich dort hinter auftaten. Es war die Festung eines Riesen, die unser Ziel sein sollte. So fanden wir das, was wir suchten. Wir drangen ein in die Gewölbe und der Kampf war lang. Doch wir erschlugen jeden einzelnen dieser plumpen Rasse. Bis auf das Gezücht, ihre Sprösslinge, die wir schonten. Doch gleichwohl zeichneten wir sie - die Abkömmlinge der blinden Rasse - mit Zir’an’vaar, der heiligen Rune von Hingabe und Opferung. Denn die höchste Göttin, die von Flamme und Düsternis, war mit mir und mit meinen Jüngern: Bargh, dem Drachentöter und Zussa, der Hand der Flamme.

Es war in dieser namenlosen Festung, wo das Banner von Jiarlirae offenbart werden sollte. Es war an diesem Ort, wo die Werdung IHRER Prophezeiung einen Klang fand. Es war hier, wo sich die Seelen versammelt hatten, um IHR zu huldigen. Die Seelen waren schwach und unrein, doch es waren Seelen. Die Seelen waren hasserfüllt und opferwillig, sie dürsteten nach Fleisch, Blut und Leben. Es waren die Seelen einer sklavischen Rasse, die versucht hatte, sich zu erheben und doch schwach waren, im Antlitz ihrer einstigen Meister. Es waren ihrer 100 an der Zahl. Doch einer trotzte dem Flüstern in Feuer und Dunkelheit. Einer war bereit sich aufzulehnen und seine Seele in die Waagschale zu werfen.


Eine gespenstige Stille war eingekehrt und der Augenblick war heilig. Das Feuer der Schale knisterte und die Schatten waren lang. Ich, Neire von Nebelheim, Kind der Flamme und Prophet Jiarliraes, trat hervor, in der Flammen Schimmer. Ein Raunen von Bewunderung vernahm ich und einzelne Rufe nach unserer Herrscherin. Doch ich mahnte Stille. Dann bat ich ihn, meinen neuen Diener, Odzor, die Fesseln von Gruk zu lösen. Der Anführer der Orks tat wie befohlen und Erstaunen war in den Gesichtern seiner Gefolgsleute zu erkennen. Ich sprach zu ihnen, in ihrer niederen Zunge. „Sehet, Krieger. Vor euch erhebt sich Gruk, der sich aufgelehnt hat, wider unsere Göttin. Soll er sterben? Ist es euer Wille?“ Die Menge jubelte und rief mir zu: „Ja, tötet ihn. Er soll sterben! Tötet ihn für Jiarlirae.“ Doch erneut hob ich die Hand und es folgte die Stille. „Aber ich sage euch, es liegt nicht an uns über seine Seele zu richten. Die höchste Göttin, sie von Flamme und Düsternis sagt – und lauschet – er solle selber wählen. Den Weg gegen ihre Weisheit oder den Weg der Opferung – offen und freimütig seine Seele zu geben.“ Sie jubelten erneut, denn sie sahen, dass Bargh ihm eine Axt gab. Sie hofften auf den göttlichen Zweikampf, von Gruk und Bargh, dem heiligen Krieger, dem Drachentöter. Doch in all dem Getöse trat Gruk zu mir heran. Er ließ die Klinge der Axt sinken und flüsterte mir zu, so dass nur ich es hören konnte. „Ist es wahr, oh großer Neire? Bereit bin ich meine Seele zu geben. Doch wird SIE, wird Jiarlirae sie akzeptieren?“ Ich rief sie erneut zur Stille, ein drittes Mal. Ich sprach zu ihm, die heiligen Worte, die alle hören konnten. „Sprecht mir nach“, sagte ich. „Dreimal.“ Er nickte und ich begann die Verse zu zitieren. „Bei IHR, Flamme und Düsternis, schwöre ich, Gruk. Ich gebe sie EUCH oh Jiarlirae, ältester und höchster Göttin, Schwertherrscherin, Königin von Feuer und Dunkelheit, Dame des abyssalen Chaos, Herrin der Acht Schlüssel der brennenden Düsternis. Ich reiche EUCH meine Seele. Durch die brennende Düsternis und bis in das Licht der schwarzen Sonne. Ich bin EUER im Jetzt und für alle Ewigkeit.“ Mit einem kleinen Schnitt in seine ausgestreckte Hand, floss sein Blut in den Krug hinab. Ich hob sein Kinn, blickte ihm in seine Augen und sprach. „Einst haben euch die Riesen versklavt. Doch nun sollt ihr keine Meister mehr haben. Ihr dient Jiarlirae; Feuer und Düsternis werden euch leiten.“

Ich winkte Zussa heran, denn ihre Stunde war gekommen. Sie schritt in den Schein der Flammen und die Schatten folgten, wie lauernde Wölfe. Ich nickte ihr zu. Nur das Knistern des Feuers war zu hören. Sie lächelte und ich wusste, dass sie bereit war. Ich hob ihre Hand und wies sie der Menge. „Sehet, die Hand der Flame. Sehet, Zussa. Sie trägt die Male unserer Göttin und sie soll IHRE Zeichen wie eine zweite Haut tragen.“ Die Kreaturen jubelten ihr zu. Sie sahen die verbrannten Finger von Zussa, sahen sie als eine der ihren. Dann zog Bargh den Auserwählten des Gezüchtes der Riesen heran. Kaum größer als Zussa, war die Kreatur, nicht einmal einen Winter alt. Zussa nahm den Dolch von Bargh. Sie zitterte, als sie den ersten Schnitt machte. Doch sie gewann an Zuversicht, als rotes Blut über das Gesicht des Balgs rann. Helle Schreie erfüllten die Halle und ein Johlen der Menge setzte ein. Zussa schnitt und hebelte. Die Haut des Geschöpfes war ledrig und zäh. Doch dann hielt sie das Gesicht der Kreatur in ihren Händen. Die Maske aus Haut war rot verschmiert, doch sie legte sie auf ihr Gesicht. Es sollte ihre heilige Maske werden. Die Tore werden für Zussa geöffnet sein, wenn sie sich einst in die rauschenden Feste von Nebelheim stürzen wird.

Ich bat sie hervor. Den Drachentöter und die Hand der Flamme. Beide wendeten sich an die Menge. Bargh schritt wortlos in das tosende Feuer der Schale. Er kniete sich nieder inmitten der Glut. Erschreckende Schreie waren zu hören. Dann breitete er seine rabenschwarzen Schwingen aus und sie brannten in einem schwarzen Licht. Er sprang hervor, ergriff sich den Schädel des namenlosen Anführers der Riesen und war ihn ins Feuer. Sein Schrei für Jiarlirae erfüllte donnernd die Halle. Zussa hingegen richtete ihre Worte an die Kreaturen. Sie sprang geschickt von Kopf zu Kopf und ihr Lachen war das von Flammen. Sie sprach von Offenbarung, von Geheimnissen in Flamme und Düsternis. Sie sprach davon, wer wert war, die Geheimnisse zu erfahren. Sie sprach davon, wer vergehen würde im Feuer der Sterne und der Dunkelheit des großen Unteren. Dann richtete ich meine Worte an sie. Ich fragte die Kreaturen, ob sie die Göttin in sich aufnähmen, in all ihrer Gänze, in ihrer Absolutheit von Flamme und Düsternis. Und sie schrien und sie tobten. Sie huldigten Jiarlirae. Und ich fragte sie, ob sie der Menschenschlange frohlockten, der Vernichtung und dem Chaos, die sie einst über diese Welt bringen sollte. Und sie jubelten und sie bejahten. Sie huldigten Jiarlirae. Und ich fragte sie, ob sie den Krieg annähmen, den die kommende Herrschaft der Schwertherrscherin erforderte. Und sie feierten und sie tanzten. Sie huldigten Jiarlirae, sie schrien ihren Namen in Chören und feierten ihr Zeichen. Es war die Offenbarung der Dualität der erweiterten Rune Firhu. Wir malten sie mit dem Blut an die Wand über dem Thron. Es war die Gabe des Feuers und der Schatten. Es waren die acht Arme des Chaos, die sich zu zwei Wegen verästelten. Und da war die schwarze Sonne im Mittelpunkt. Der Ursprung der Dualität und der Schlüssel zu allen Geheimnissen.

Zussa hatte Neire bei seiner Rede beobachtet. Der Jüngling hatte seinen Mantel und seinen Rucksack abgelegt und seine gold-blonden Locken schimmerten rötlich im Schein des Feuers. Im Augenblick eingefroren wirkte Neire wie das Kind, das er war. Doch die Rede, seine Mimik und seine Bewegungen zeigten seine Erfahrung. Nur unterbewusst nahm Zussa die überhebliche Selbstverliebtheit wahr, die Neire ausstrahlte. Für sie war es die Stimme von Jiarlirae, die durch Neire sprach. Er hatte sie schließlich aus dem Kerker gerettet und ihr Dinge gezeigt, von denen sie vorher nicht einmal geträumt hatte. Während sie die Gesichtshaut des Riesenbalgs abgerissen hatte, hatte Neire ihr zugeflüstert: „Je schlimmer die Schmerzen, desto schöner die Erinnerung.“ Sie musste grinsen, als sie zurückdachte, wie sie die Haut abgeschnitten hatte und was für eine leere blutige Hülle von der armseligen Kreatur übriggeblieben war. Sie erinnerte sich zurück, an das, was nach der Rede von Neire passiert war. Sie hatten die drei Größten der Abkömmlinge der Riesen gepackt und einen nach dem anderen auf die Knie gezwungen. Neire hatte jedem der Drei das linke Ohr abgeschnitten und es in die Menge der Orks geworfen. Dann hatte Bargh ein glühendes Langschwert aus dem Feuer gezogen und es gegen das verstümmelte Ohr gehalten. Neire hatte schließlich die Kreaturen in die Menge entlassen, in dem er folgende Worte schrie: „Sehet, sie haben das Mal Halbohrs und sie werden Halbohr, dem kommenden Führer dienen. Quält sie gut, so dass sie auf ihre Aufgabe vorbereitet werden.“ Die Glieder der armseligen Kreaturen waren noch wie eingeschlafen, als sie sich furchterfüllt umblickten und versuchten dem Mob zu entfliehen. Doch sie wurden von den Orks empfangen. Ein Hagel von Tritten und Schlägen ging über die drei Zöglinge nieder, als sie durch die Halle gejagt wurden. Einige Orks benutzen Messer und fügten ihnen oberflächliche Schnitte zu. Schließlich hatte sich die Szene beruhigt und die drei jungen Hügelriesen hatten sich weinend in eine Ecke zurückgezogen. Zussa beobachtete jetzt die Szenerie der Orks. Sie hatte die Kreaturen vielleicht unterschätzt. Ihre Laune hatte sich zunehmend verbessert, nachdem sie bemerkt hatte, dass die Kreaturen Jiarlirae besonders zugetan waren. Jetzt war die Stimmung jedoch angespannt und Zussa konnte erkennen, dass die ausgemergelten Kreaturen nach Fleisch lechzten. Zussa bemerkte, dass sie beobachtet wurde. Im Toben und Schreien der versammelten Orks drehte sich Neire um und nickte Bargh und ihr zu. Sie wusste, was zu tun war. Sie hatten vorher darüber gesprochen. Sie trat mit Bargh und mit Odzor an die Feuerschale heran, in deren riesenhafter Breite ein großes Feuer brannte. Bargh hatte die metallenen Bratspieße der Riesen hervorgeholt, auf dem zuvor die Rinder über dem Feuer gedreht wurden. Die eisernen Lanzen waren bestimmt vier Schritt lang und mit einer scharfen Spitze versehen. Bargh packte den ersten gefesselten Zögling der Hügelriesen und führte ihn heran. Zussa begann mit Neire die Körperbegebenheiten der Kreatur zu studieren. Sie erinnerte sich zurück an die Bücher der Anatomie, die sie zuletzt in der Irrlingsspitze gelesen hatte. Es musste jetzt alles schnell gehen. Odzor drückte die schreiende Kreatur zu Boden und sie begannen ihr blutiges Werk. Als sie die Lanze von hinten einführten, begann das Balg in einen Schreikrampf zu verfallen. Wie eine Sau, die zur Schlachtbank geführt wurde. Zussa kannte die Geräusche von Schlachtungen aus ihrem Dorf. Sie hatten die Lanze jedoch falsch vorangetrieben und zu viel Blut strömte zwischen den Beinen der Kreatur hinab. Alsbald begann das Schreien zu ersterben. Auch bei der zweiten und der dritten Gestalt wurde es nicht besser. Doch mit jedem weiteren Abkömmling des Gezüchts, verbesserten sie ihre Technik. Die Pfählung der verbleibenden fünf Kreaturen führte nur zu minimalen Blutungen und so sah Zussa erleichtert, dass die Gestalten noch lebten, als die Bratlanzen über die Dreibeine der Feuerschale gehoben wurden. Was dann kam, erfüllte sie mit ekstatischen Glücksgefühlen. Sie begaffte die Zöglinge, wie sie von den Flammen verzehrt wurden. Sie tanzte um sie herum und genoss den Anblick. Wie die Haare anfingen zu brennen, die Augen platzten. Odzor und ein weiter Ork drehten die Spieße, als die Schreie zu einer grausamen Kakophonie von irdischer Qual anwuchsen. Zussa lächelte und äffte ihre Schreie nach. Sie dachte an die Welt dort draußen, an Städte und Dörfer. Sie stellte sich vor, wie die Welt brennen würde. Wie sie selbst sie anzünden würde. Sie nahm nicht mehr Notiz von dem was dann geschah. Kaum hörte sie Neires helle, zischelnde Stimme, wie er das Fest eröffnet. Kaum bemerkte sie die anstürmenden Orks, die sich rohe Stücke von Fleisch von den noch lebenden Kreaturen abschnitten, die über dem Feuer brannten. Der Anblick hätte sie erfreut, doch sie stierte in die Flammen und dachte an ihre Vergangenheit. Dann zog sie das blutige Stück Haut hervor, das sie selbst nach den Formen ihres Gesichtes geschnitten hatte. Immer wieder stülpte sie sich die Maske über. Sie blickte in die Flammen und dachte an das, was sie mit Neire und Bargh noch erleben würde.

Neire hatte die Worte gerufen. Das Fest war eröffnet und der Mob brach sich seine Bahn. Lodernde Gier und verzehrende Lust rafften die ausgemergelten Kreaturen hin, die wieder und wieder den Namen der wahren Göttin grunzten. Bargh, Neire und Zussa hatten sich auf ihren Fellen niedergelassen, tranken den Wein und schauten dem Spektakel zu. Sie hatten alle von den gebratenen Riesenkindern gekostet, sich dann aber doch entschieden von den Rindern zu essen. Neire hatte schließlich seinen alten Nebelheimer Degen hervorgeholt und allen vom Grausud eine Fingerkuppe angeboten. In dem Geheimfach am Griff der Schlangenklinge war noch eine große Menge der Substanz vorhanden gewesen. Jetzt, im einsetzenden Alkoholrausch und unter dem Einfluss des Grausuds, begannen die Farben zu leuchten und lange feurige Fäden zu ziehen. Sie scherzten einige Zeit, als sie immer wieder einzelne Orks betrachteten, die seltsame Handlungen vollzogen. Gerade schrie Zussa auf: „Bargh, Neire, schaut! Schaut was Gruk dort macht.“ Sie folgten Zussas Finger und sahen Gruk, der sich ein großes Stück gebratenes Fleisch von den Zöglingen abgeschnitten hatte. Doch er hatte es nicht für sich selbst bestimmt. Gruk ging zu den noch lebenden Bälgern mit dem verstümmelten Ohr, begann sie zu schlagen und ihnen das Fleisch ihrer Geschwister zu füttern. Sie alle lachten, als sie das Schauspiel sahen. Neire blickte Zussa und Bargh voller Bewunderung an. „Natürlich hat es nicht den Glanz von Nebelheim. Natürlich ist es kein Fest im inneren Auge. Doch es hat seine eigenen Geschehnisse und Wunder. Ich bin so froh, dass ich das mit euch erleben kann. Auch wenn ich aus Nebelheim fliehen musste und meiner wahren Bestimmung den Rücken gekehrt habe.“ Bargh und Zussa hatten zugestimmt, doch der Drachentöter hatte schneller und schneller getrunken. Schließlich war Bargh aufgestanden und hatte angefangen einige der Köpfe der Riesen ins Feuer zu werfen. Dabei hatte er Beleidigungen an seinen alten Orden gelallt. Als Zussa ihn schließlich beruhigen wollte, war er erstarrt und hatte sie angestiert. „Zussa… wann wollt ihr endlich erwachsen werden. Längst seid ihr kein Kind mehr. Ihr wisst doch… was ich meine… wie es geht.“ Bargh hatte einige vulgäre Hüftbewegungen vollzogen und Zussa hatte ihm aus Wut gegen das Schienbein getreten. Doch Bargh hatte keine Reaktion gezeigt. Schwankend hatte er weiter gelallt. „Ihr müsst euch einmal einen Mann nehmen… ähhh… wisst nicht wie? Dann… Neire, zeigt es ihr. Befehlt diesen verdammten Orks, sie sollten die Frau des Nomrus begatten.“ Neire hatte den Kopf geschüttelt und wollte etwas sagen, doch Zussa hatte angefangen zu schreien. Dann war sie hinfort gelaufen in eines der anderen Gemächer. Neire hatte noch etwas zu Bargh sagen wollen, doch der Drachentöter war der Länge nach zusammengebrochen. Neire hatte sich zu ihm gesetzt. Immer wieder hatten ihm Orks gehuldigt, waren vor ihm auf die Knie gefallen. Doch nach und nach war auch die Letzte der Kreaturen im Suff umgefallen. So hatte Neire ins Feuer gestarrt und nach Runen gesucht. Und er hatte sie gefunden. Firhu war zu sehen gewesen, doch die Rune hatte sich geändert. Es war jetzt sein Symbol das er sah. Es war seine Stunde, denn Flamme und Düsternis waren über Euborea gekommen. Neire schwelgte in Gedanken. Er war bei Jiarlirae und sponn die Zukunft. Sie würden Feuer und Dunkelheit bringen. Und sie würden sie überkommen. Sie waren Treu im Glauben an die Schwertherrscherin. Und wer war mehr als das…

Sein Kopf schmerzte. Er schwitzte kalten Schweiß. Obwohl die Luft kühl und klar war. Äste streiften sein Gesicht und einige Mücken schwirrten um ihn herum, doch er nahm davon keine Notiz. Das letzte, an was er sich erinnern konnte, war, dass Neire Zussa und ihm Grausud gegeben hatte. Danach setzte seine Erinnerung aus. Irgendetwas musste er gemacht haben. Irgendetwas war passiert. Zussa beachtete ihn kaum und wahrte einen gewissen Abstand. Auch Neire war nicht gerade gesprächig. Bargh erinnerte sich nur schemenhaft, dass Neire vor ihrem Abschied lange mit dem Anführer der Orks gesprochen hatte. Dann waren sie aufgebrochen. Bargh konnte die Stille nicht mehr ertragen. So zog er seine Armbrust und sagte: „Lasst uns auf die Jagd gehen. Wer weiß, was wir hier finden.“ Nachdem die Antwort verhalten war, fügte er hinzu. „Was ist eigentlich noch passiert gestern? Bin ich eingeschlafen? Irgendwie kann ich mich nicht mehr erinnern.“ Als Zussa ihre Augen verdrehte und auch Neire nicht reagierte, hatte Bargh genug. „Ach, was solls. Damals in Fürstenbad habe ich mir noch Gedanken gemacht um solche Dinge. Irgendwann bin ich mit blutigen und geschwollenen Händen aufgewacht. Ja, ich war trinken gewesen, in einer Schenke. Im Galgenbogen, soweit ich mich erinnere. Damals habe ich mich geschämt. Meine Oberen haben mich büßen lassen. Doch ich habe nur meine Ehre verteidigt. Habe den Bastard niedergeschlagen. Was konnte ich dafür, dass er tot war? Heute ist es mir egal. Keiner sagt mir, was ich tun soll, was gut oder schlecht ist. Heute gibt es nur noch Bargh und Jiarlirae und natürlich Neire, ihren Propheten.“ Neire und Zussa folgten Bargh schweigsam. Die Worte des Kriegers drangen durch den Wald. Doch nach einiger Zeit wurden auch seine Silben karger, verebbten schließlich gänzlich. So schritten sie dem Abendlicht entgegen und dachten an das, was einst war.

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Sitzung 71 - Ins Herz der Kristallnebelberge
« Antwort #76 am: 27.07.2023 | 21:41 »
Die Sonne war schon im Westen verschwunden und das Licht dämmerte langsam. Sie waren den Tag über gewandert. Ihr Weg hatte sie an der Ostflanke der Kristallnebelberge entlanggeführt. Die majestätische Landschaft von weißen Gipfeln war immer dann zu sehen gewesen, wenn der wolkige Himmel aufbrach. Einige Gebirgsflüsse hatten sie überquert, die einen relativ niedrigen Wasserstand gehabt hatten. Jetzt waren sie müde und ihre Füße taten weh, von der Wanderung. Als sie die Lichtung im spärlichen Gebirgswald überquerten, zeigte Bargh auf eine Stelle nahe des Waldsaums. Unweit von einem kleinen Bach schien es, als wären zwei Felsen auseinandergebrochen. „Seht ihr den Überhang? Er wird uns einen Unterschlupf für die kommende Nacht geben“, sagte Bargh und wendete sich zu Neire und Zussa. Schweiß glänzte auf dem haarlosen, vernarbten Kopf des Kriegers und er verlangsamte seine Schritte. „Dann soll es so sein“, antwortete Neire. Sie schritten näher zu den Felsen und begannen ihr Lager auszubreiten. Neire und Zussa säuberten ihr Schuhwerk und ihre Kleidung von Morast. Dann schritten sie beide zu dem kleinen Bächlein und begannen sich zu waschen. Sie blickten hinab über die karge Bergwiese. Die östliche Hügellandschaft war in den Niederungen von Nebeln verhangen und ein kühler Bergwind frischte auf. Neire fröstelte in der Kälte des Bächleins, hatte er doch seine Schuhe und Kleidung abgelegt. Zussa kam immer besser mit der Kälte klar. Sie hatte jedoch aus Scham ihre Unterkleider angelassen und wälzte sich so im Wasser. „Was macht Bargh eigentlich, Neire? Er sollte es uns nachtun und den Gestank dieses Abschaumes abwaschen. Seit wir die Feste verlassen haben, haftet uns dieser Geruch an.“ Neire lächelte Zussa zu und trat in Pfütze, in der sie saß. Zussa bekam das Wasser ins Gesicht und schaute ihn vorwurfsvoll an. Doch Neire bemerkte, dass das Mädchen seinen linken Arm betrachtete. Die schwärzlich verbrannte Haut schimmerte rötlich an seiner Schulter. Dort, wo die drei Herzsteine mit seiner Haut verwachsen waren. Bevor Zussa etwas sagen konnte, wendete Neire seinen Kopf und warf seine nassen, gold-blonden Locken zurück. „Riecht ihr nicht den Rauch. Bargh macht ein Feuer. Vielleicht brät er uns etwas von dem Fleisch.“ Zussa schluckte bei dem Gedanken an die Rindshälfte, die sie aus der Feste des Nomrus mitgenommen hatten. So gingen sie zurück zum Feuer und trockneten ihre Kleidung. Bargh hatte tatsächlich etwas von dem Fleisch gebraten. Doch der große Krieger Jiarliraes hatte bereits gegessen und war in einen tiefen Schlaf gesunken. Über seiner Winterdecke hielt er Glimringshert, das schwarze Schatten blutende Schwert. Für einen Augenblick hatte Neire neckische Gedanken, als er Bargh so wehrlos dort liegen sah. Der Hunger und die Müdigkeit waren aber größer. So aß er mit Zussa von dem Fleisch. Sie tranken das klare Gebirgswasser und unterhielten sich leise über Nebelheim. Neire lehrte Zussa die heiligen Worte der Sprache der Yeer’Yuen’Ti. Doch Zussa konnte sich nicht mehr richtig konzentrieren. Immer wieder fielen dem Mädchen mit den roten Locken und den Sommersprossen die Augen zu. Schließlich wandte sich Neire an Zussa. „Ich werde die erste Nachtwache halten, Zussa. Wir werden ein andermal weitermachen, mit der heiligen Sprache der Yeer’Yuen’Ti.“ Er zischelte die Worte und Zussa schlug nochmals die Augen auf. Dann kuschelte sie sich in ihre Winterdecke und schlief ein. Nachdem er gegessen hatte, stand Neire auf, schritt über die Wiese und versuchte die Müdigkeit zu verdrängen. Er blickte in Richtung der entfernten Berge, die wie weiß gepuderte Riesen in den Nachthimmel aufragten. Er dachte an ihre Aufgabe und an ihre Reise. Er dachte an Nebelheim und an den Schrein des Jensehers, an Halbohr. Und er genoss den Anblick der Oberwelt, ihre grenzenlose Freiheit.

„Neire, schnell, wacht auch.“ Zussas Stimme war warnend und eindringlich. Neire schreckte augenblicklich auf und blickte sich um. Es noch nicht lange hell. Graue bleierne Wolken bedeckten den Himmel. Die Glut des Feuers loderte noch. Zussa grinste ihn mit großen, grünlich funkelnden Augen an. „Was Zussa? Wieso müsst ihr mich jetzt wecken…“ Mürrisch runzelte Neire die Stirn. Das Zwitschern von Vögeln war zu hören und Zussa zeigte in Richtung des Bächleins. „Dort Neire, schaut.“ Neire richtete sich langsam auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und blickte in die Richtung, in die Zussa zeigte. Dort wusch sich Bargh. Er hatte seine Rüstung abgelegt, war nackt und offenbarte seinen, von Brandwunden und Schwertnarben bedeckten Körper. Nachdem Bargh den Schicksalskartenfächer gespielt hatte, war seine Statur auf die Größe eines Ogers angewachsen. Bargh hatte zudem abgenommen. Muskelstränge waren an seinem gesamten Körper zu sehen. Zussa hielt sich die Hand vor den Mund, als sie kichernd auf den nackten Bargh zeigte. Neire atmete zischelnd ein und aus und stieß einen Fluch der Yeer’Yuen’Ti aus, den Zussa noch nicht kannte. „Habt ihr noch nie einen nackten Mann gesehen, Zussa?“ Er sah, dass Zussa errötete und verlegen zu Boden schaute. „Naja, eigentlich nicht. Nur Kinder und Jungen.“ Neire nickte und erinnerte sich an die Feste in Nebelheim zurück. Wie sich die Yeer’Yuen’Ti in der von Alkohol und Drogen geschwängerten Luft ungezügelter Lust hingegeben hatte. Er verdrängte die Gedanken an die Orgie der Massen und zog das Zauberbuch hervor, das einst Ortnor besessen hatte. Sie wollten bestimmt bald aufbrechen und er musste sich der schwarzen Kunst widmen.

Sie waren bereits zwei Tage gewandert und der bleierne Himmel hatte sie begleitet. Es hatte nicht geregnet. Die weißen Gipfel waren jedoch hinter der Wolkendecke versteckt gewesen. Immer höher und höher hatte sie das Tal geführt. Die letzten Bäume hatten sie schon am ersten Tag hinter sich gelassen. Sie waren in eine Wüste aus grauem Fels und Gestein gelangt. Ein reißender Strom grünlich schimmernden Wassers hatte ein Hochtal durchflossen; hatte sich in Schlangenlinien seine Bahn durch die Geröllmoränen gesucht. Bargh hatte nach Spuren gesucht, bevor sie sich niedergelassen hatten. Und er war fündig geworden. Große Abdrücke von Monstrositäten, mit drei Zehen, hatte er entdeckt. Die Abdrücke waren noch nicht alt gewesen und so hatten sie die erste Nacht umso wachsamer verbracht. Irgendwann waren sie von Bargh geweckt worden. Ein eisiger Wind war durch das karge Tal gezogen. Wolken hatten jedes Sternenlicht verschluckt. Sie hatten die Dunkelheit durchblicken können und die Kreaturen gesehen, die sich dort anpirscht hatten. Die Gestalten waren von einer primitiven Intelligenz gewesen, doch sie hatten sich instinktiv geschickt bewegt. Sie waren abgemagert gewesen, von gräulich-grünlicher Haut und dünnen Armen und Beinen. Die Gesichter der drei Schritt großen Kreaturen hatten wie entstellte Fratzen von Menschen gewirkt - lange Fangzähne und Mäuler aus denen Geifer rann. Neire hatte den Vorteil genutzt und das Feuer Jiarliraes hervorgerufen, das die Kreaturen einhüllt hatte. Doch sie waren herangestürmt, vier Stück an der Zahl. Der Kampf war kurz gewesen, doch tödlich. Glimringshert hatte durch die Leiber geschnitten und Bargh hatte einen Troll nach dem anderen niedergemacht. Sie hatten die Leichen entzündet, so gut wie es ging. Den Rest der Nacht hatten sie dann in unruhigem Schlaf verbracht. Am nächsten Morgen war die Reise von ihnen fortgeführt worden. Sie hatten nur die Karte mit der Markierung der Riesen gehabt und waren ins Ungewisse gewandert. In unweiter Entfernung ihres Nachtlagers hatte Bargh dann die Spuren der Trolle entdeckt. Sie waren den Spuren gefolgt und in eine kleine verlasse Höhle gelangt, die sie abgesucht hatten. Nachdem sie die Schätze der Trolle in Ortnors extraplanares Labor geschafft hatten, waren sie weitermarschiert. Höher und höher hatte sie das Tal geführt, welches sich schon bald verzweigt hatte. Die Klamm war enger und steiler geworden und schließlich wurden sie gezwungen zu klettern. Weiter aufwärts hatten sie einen Grat gesehen, an dem das Tal endete, doch im schwindenden Lichte des Abends war es ihnen nicht möglich gewesen den Grat zu erreichen. So hatten sie sich zu einer weiteren Rast niedergelassen. Bargh musste wohl kurz eingenickt sein. Er hatte noch das Bild des Traumes im Kopf. Wie er die Pforte in das Heiligtum von Fürstenbad öffnete. Er hatte gedrückt. Stärker und stärker. Doch das Tor wollte sich nicht bewegen. Dann hatte er das Bersten von Holz vernommen und den Schmerz gespürt. Als er nun aufschreckte, merkte er, dass der Schmerz echt war. Felsbrocken stürzten neben ihm hinab und der große Stein hatte sie nur um Haaresbreite verfehlt. Er fühlte nach den kleinen Steinsplittern, die sich in seine Haut gebohrt hatten. Instinktiv blickte er sich um, schaute hinauf durch das felsige Tal. Im Mondlicht bemerkte er sie. Dort oben sah er die Regung. Eine Gestalt, kaum zu unterscheiden vom glitzernden Schnee, der dort erstmalig auftrat. Die Gestalt war riesenhaft. Das konnte Bargh bereits aus dieser Entfernung erkennen. Muskulös war der Krieger, der bereits einen weiteren Felskoloss hob. Hell-bläulich leuchteten seine Haare im Licht des Mondes und seine Haut schimmerte wie das Eis eines Gletschers. Die Kreatur trug ein Kettenhemd sowie Fälle und ein langer Bart reichte bis auf ihre Brust. Bargh musste reagieren bevor es zu spät war. Er schrie in den heulenden Wind: „Neire, Zussa, wacht auf. Versteckt euch, hinten den Felsen.“ Hastig sprangen die drei auf und begannen nach Deckung zu suchen. Keinen Augenblick zu spät, denn ein weiterer Felsbrocken, diesmal tödlich nahe, brach über ihre Deckung hinweg. Sie lugten aus ihrem Versteck hervor. Sie sahen, dass die Gestalt mit großen Schritten näherkam und nach einem weiteren Felsbrocken griff. Neire murmelte bereits Worte arkaner Macht und richtete sich auf. Durch seinen Schattenmantel war er fast völlig unsichtbar. Die Kugel, die wie eine glühende Träne in Richtung des Riesens schoss, war klein und schwach. Doch nur einen kurzen Augenblick später zuckte Magmafeuer in einer Explosion auf, das die gesamte Gestalt umhüllte. Nach dem verzögerten Donnerhall, hörten sie das Brüllen der Kreatur und das Zischen des nächsten Geschosses. Der dritte Felsbrocken krachte in ihre Deckung und brach fast den gesamten Felsvorsprung ab, hinter den sie sich duckten. Sie drohten mit dem Felsen in die Tiefe zu stürzen. Dann zog Zussa ihren Rubinstab und Neire beschwor seine Kunst. Der Riese, der bereits sein Schwert gezogen hatte, wurde von kleinen, schattenhaften Magmageschossen durchbohrt. Sie sahen, wie er noch einige Schritte weiterging und dann der Länge nach zusammenbrach. Sie wussten nun, dass sie an diesem Ort nicht mehr verweilen konnten. Hastig begannen sie sich aufbruchsbereit zu machen und stiegen weiter in die Höhe. Vorbei an dem Leib der fast sieben Schritt großen Kreatur und entgegen der Schneegrenze.

Höher und höher waren sie gestiegen. Der Morgen graute und der Wind, der sich an dem felsigen Schacht brach, der das Ende des Tals darstellte, war stärker geworden. Sie hatten sich in einer kleinen, geschützten Felsnische niedergelassen, als sie einen größeren Abstand zwischen die Gestalt und ihr Nachtlager gebracht hatten. Zussa und Bargh hatten sich Steigeisen unter ihre Stiefel geschnallt, während Neire in seinen magischen Stiefeln vorangeschritten war. Nach ihrem Frühstück und einer kleinen Rast brachen sie jetzt wieder auf. Entgegen dem Kamm aus Schnee. Der Wind wirbelte dort Flocken hervor. Auf dem harten Firneis kamen sie besser voran, doch die Luft war kalt und dünn. Bargh musste ab und an innehalten und keuchte mit jedem Schritt, den er in seiner Panzerrüstung machte. Schließlich kamen sie über den Grat und blickten und blickten auf die andere Seite. Es ging ein wenig hinab, über spiegelglatte, glitzernde Firnfelder. Im Reigen von tanzenden Eiskristallen, blickten sie auf ein ewiges Reich des Winters. Die hart gefrorenen Schneefelder unter ihnen gingen in einen Gletscher über, der so weit ihre Augen sehen konnten reichte. An einigen Stellen durchbohrten schroffe dunkle Felsen das Eis, das von tiefen Gletscherspalten durchzogen wurde. Weiter entfernt sahen sie Berggipfel aufragen, die in dem Nebel der Wolken über ihnen verschwanden. Neire zeigte auf einen Bereich, der von einer riesigen Gletscherspalte durchzogen wurde. Er schrie gegen den Wind. „Dort! Seht, die Spalte. Ich bin mir nicht sicher, aber das muss der Punkt, die Markierung sein.“ Bargh hatte sich gebückt und richtete sich jetzt wieder auf. „Die Spuren des Riesen führen dort hin. Doch es sind noch weitere Spuren zu sehen. Der Angreifer war nicht allein.“

Die Spuren hatten sie zu Stufen im Eis geführt. Zuvor hatten sie langsam und beharrlich die Eiswüste navigiert. Trotz des nahenden Winters war nicht viel Neuschnee gefallen und die Spalten waren sichtbar gewesen. Auch waren die Spuren der Riesen einem ausgeklügelten Pfad gefolgt, der größere Gletscherspalten umrundete. Sie waren schnell vorangekommen und blickten jetzt in die Tiefe. Die Stufen waren in das Randeis der riesigen Spalte geschlagen. Sie teilten sich in einen linken und einen rechten Weg auf. Sie schritten tiefer und folgten dem linken Weg. Das Heulen des Windes verbarg einen jeden ihrer Schritte. Sie hatten ihre Waffen gezogen, da Bargh sie auf die Spuren hingewiesen hatte, die hier hinab führten. Tiefer in der Spalte wagten sie einen Blick in den Abgrund, der sich zu ihrer Rechten auftat. Der Gletscher schimmerte in seltsamen Blautönen und tief unten sahen sie einen eisigen Boden. Schließlich kamen sie an einen Tunnel, der zur Linken ins Eis führte und sich dort verzweigte. Aus dem Inneren hörten sie sonore Stimmen einer fremden Sprache. Die kuppelförmigen Eisgänge waren von riesenhaften Ausmaßen, so dass sie sich wie kleine Fliegen vorkamen, die in diese kalte, fremde Behausung eindrangen. Hinter einer Biegung sahen sie die Kreaturen auf Eisbrocken sitzen. Eine Eishöhle, die mit Fellen ausgelegt war, tat sich vor ihnen auf. Alle vier Riesen waren mit Äxten bewaffnet und in Kettenhemden gehüllt. Sie hatten lange weißliche Haare und Bärte, die fettig und in Strähnen von ihren Köpfen fielen. Neire hatte sich vorgeschlichen und eröffnete den Angriff aus dem Hinterhalt. Die Höhle wurde von einer Explosion von Magma erfüllt, die die Riesen einhüllte und Teile des Eises schmelzen ließ. Im sich neu gebildeten Nebel stürmte Bargh voran und griff unbarmherzig an. Zussa beschwor die Kraft von Jiarlirae und gemeinsam töteten sie einen nach dem anderen. Doch aus einem der Tunnel hörten sie Schreie und Gebrüll. Drei weitere Kreaturen stürmten heran, die von Neires und Zussas elektrischen Flammen invertierten Lichtes empfangen wurden. Bargh hob unbarmherzig sein Schwert und machte die letzte Kreatur nieder, die ihm ihren Rücken zugedreht hatte und ihr Heil in der Flucht suchte. Keuchend blickten sie sich hektisch um. Der durch das Feuer hervorgerufene Nebel war überall, doch keiner war verletzt. Waren sie bemerkt worden?

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Sitzung 72 - Die Spalte im Eis
« Antwort #77 am: 4.08.2023 | 22:08 »
Zussa, Bargh und Neire traten näher zusammen. Sie konnten sich kaum sehen, so stark war der durch die Explosion hervorgerufene Nebel und Wasserdampf. Langsam legten sich die Schwaden zu Boden und gefroren dort. Das Eis unter ihnen wurde dadurch milchig weiß und schimmerte in anderen Farbtönen. Sie alle betrachteten die teils haushohen Gänge aus Eis, die aus der Kammer hinfort führten. Sie lauschten dem fernen Kreischen des Windes, der durch die Spalte fegte. Sie blickten in das schummrige Zwielicht, das die grün-bläulich glitzernden Wände hervorbrachte. Als der Nebel sich langsam gelegt hatte, konnten sie die reglosen Körper von verbranntem Fleisch und aufgehackten Bäuchen erkennen. Hier und dort hatten sich große Blutlachen gebildet und Dampf stieg von Innereien auf. Sie hatten Kreaturen zu Fall gebracht, die die Länge von Baumstämmen hatten. Zussa kam näher zu Neire und Bargh. Ihre kleinen Schritte waren staksig, so dürr wirkte die Gestalt der Feuerhexe, die mit ihren Steigeisen über das Eis schritt. Ihr rotes Haar stand in Locken vom Kopf ab und Eiskristalle glitzerten dort. Das gespenstische Licht der Gletscherwände spiegelte sich in ihren grünen Augen. Sie blickte fast etwas mitleidig, doch ehrfurchtsvoll zu Neire, der nach der Entfesselung seiner schwarzen Kunst getaumelt hatte und nun noch immer zitterte. Ein gekünsteltes Lächeln war in ihrem Gesicht zu sehen, als sie sprach. „Das Feuer unserer Herrin hat ihnen nicht bekommen, was meint ihr?“ Neire zog jetzt seine Kapuze zurück und offenbarte sein gelocktes, gold-blondes Haar. Er warf die langen Strähnen über die Schultern und antwortete: „Sie leben hier, an diesem gottverlassenen Ort. Sie streben nicht nach den Geheimnissen. Doch wie überleben sie hier? Von was ernähren sie sich? Von Eis und Schnee?“ Bargh, der auf einem Bein niedergekniet war und interessiert gelauscht hatte, erhob sich jetzt. Er spukte aus, als er mit zischelnder Stimme antwortete. „Wen interessiert das schon. Sie sind tot. Und falls es weitere gibt, werden sie auch sterben.“ Zussa jedoch hatte bei Neires Worten vehement den Kopf geschüttelt. „Ich glaube nicht Neire – Schnee und Eis. Sie fressen die kleineren Riesen. Vielleicht die aus der widerlichen Halle aus Holz.“ Neire musste jetzt lachen und sein Zittern verschwand. „Und die kleineren Riesen? Wen fressen sie? Und wo endet das alles?“ „Naja, die kleineren fressen vielleicht die Orks und die Orks wiederum… hmmm… Vielleicht fressen die Orks die Ortnors.“ Als Zussa das Gesicht verzog, als sie Ortnors Namen aussprach, mussten Neire und Bargh lachen. Aber Bargh hatte sich bereits umgedreht und begann die Riesen zu durchsuchen. Auch Zussa tat es ihm nach. Nur Neire blickte immer wieder ängstlich in die Tunnel. Er schien nach weiteren Kreaturen zu lauschen.

Sie waren ohne eine weitere Rast aufgebrochen. Den Tunnel, in den sich der Riese hatte flüchten wollen, hatten sie nicht weiter untersucht. Andere Tunnel hatten sie in Sackgassen und in die Wachhöhle der zur Hilfe geeilten Riesen geführt. Sie hatten in dieser Eishalle, neben Säcken mit Münzen, einige Vorräte gefunden. Neire hatte dort auf die gewaltigen, gefrorenen Laibe aus Brot gezeigt und Zussas Theorie spöttisch angezweifelt. Danach waren sie über den Eissteig an der Gletscherspalte weitergegangen. Der Wind war frostklirrend gewesen und der Blick hinab hatte eine düstere, bedrückende Tiefe offenbart, die kaum abschätzbar gewesen war. Bald hatte sie der Steig wieder in einen Eistunnel geführt. In eine Höhle, deren Decke große Risse gezeigt hatte. Hier hatten sie im Kreischen des Windes ein deutliches Hecheln gehört. Zussa hatte sie darauf hingewiesen, keine lauten Geräusche zu machen. Sie war besorgt um die Stabilität der Risse im Eis gewesen. So hatten sie behutsam und so leise, wie es ging, ihren Weg fortgesetzt. Die Höhle hatte sich verzweigt und sie waren dem Hecheln nachgegangen. Jetzt sahen sie vor sich die bläulich glitzernde Gletscherhalle, die von Knochen und Schädeln bedeckt war. Inmitten der Knochen lagen zwei riesige Kreaturen. Noble Wölfe, welche die Größe von ausgewachsenen Gäulen hatten. Ihr Fell hatte einen strahlend weißen Schimmer, von beeindruckender Schönheit. Um sie herum tollten drei Welpen. Das Fell der Kleintiere – die bereits so groß waren, wie mittlere Jagdhunde – war gräulich-weiß und weit von der Schönheit des Fells ihrer Eltern entfernt. Die kleinen Tiere tobten spielerisch in der Kälte. Ein Knäuel von Fell und Kulleraugen war zu sehen. Nur ab und an verbiss sich eines der Wesen und wurde mit einem scharfen, intelligenten Blick seiner Eltern zurechtgewiesen. Die Welpen fügten sich sofort und änderten geschickt die Taktik ihres Spiels. Es war fast, als ob man kleinen menschlichen Kindern zusehen konnte, die eine Sprache von Jaulen, Fauchen und Hecheln benutzen. Bargh zögerte bei diesem Anblick nicht und stürmte voran. Der Krieger hob sein Schild und Glimringshert, das schwarze, schattenblutende Schwert. Doch die Winterwölfe wirkten nicht überrascht. Sie sprangen augenblicklich auf und begaben sich in eine Angriffshaltung, in der sie ihre Köpfe senkten und die Sehnen und Muskeln ihrer Läufe spannten. Noch bevor Bargh sie erreichen konnte, spie der rechte Wolf seinen todbringen Atem. Scharfe Eiskristalle und Frostluft griffen nach dem dunklen Krieger, der wiederum sein Schild aus Ne’ilurum hob. Dann schnellte Glimringshert nach vorne und antwortete in der Zunge Jiarliraes. Die Sprache, die das heilige Schwert raunte, war die von Flamme und Düsternis und sie brachte den edlen Kreaturen den Tod. Dem ersten Wolf zerteilte Bargh den Kiefer und den Schädel. Einen weiteren Hieb in Richtung der zweiten Kreatur stach er durch das Maul und durch den Kopf. Beide Leiber brachen hernieder und das dumpfe Fauchen der elterlichen Kreaturen, wich dem panischen Hecheln und Winseln der Welpen. Sie waren in die Ecken der Höhle geflüchtet und sie blickten nach dem dunklen Krieger. Sie betrachteten in Furcht den glühenden Rubin in Barghs rechten Auge.

Das Feuer aus Knochen brannte lichterloh auf dem Eis. Doch die Flammen vereinten sich mit der dunklen Aura von Bargh. So wurde die Höhle in ein Zwielicht gehüllt, das der Höhe der Flammen nicht gerecht wurde. Neire spürte die Macht des Jensehers in seinem Kopf nachhallen. Da war das rötliche Glühen der Linsen, das die Welt in ein seltsames Licht tauchte. Er war in die Geister der Welpen eingedrungen und hatte sie ihm hörig gemacht. Dann hatte er mit ihnen gespielt – eine Zeit. Als Zussa ihn unverständnisvoll angeblickt hatte, hatte Neire sie gefragt. Ob sie nicht auch mit ihnen spielen wolle. Doch Zussa hatte verneint. Sie hatte bestärkt, dass die Kreaturen des Frostes und des Eises waren. Sie hatte gesagt, dass Jiarlirae ein Opfer verlange und dass sie brennen sollten. So hatten sie das Feuer entfacht und die Welpen gefesselt. Zussa, Bargh und Neire beteten. Die alten Verse aus Nebelheim. Vom aufsteigenden Chaos des Abgrundes und der Menschenschlange des reinen Blutes. Bargh reichte Zussa seinen Dolch und sie hielten die erste Kreatur über das Feuer. Das Wesen schaute Neire mit seinen Kulleraugen an, als wollte es ihn als seinen Freund, vielleicht als seinen Vater, innig bitten, sein Leben zu schonen. Doch Neire kannte nur Verachtung. Einen Moment hatte er sich hinreißen lassen zu dem Spiel. Das Kind in ihm war stärker und der Prophet Jiarliraes war schwach gewesen. Nachdem Zussa ihn zurechtgewiesen hatte, war ihm das nicht mehr passiert. Er betrachtete Zussa. Sie lächelte diabolisch, als sie den Dolch an die Kehle setzte. Einige heftige Schnitte und die kleine Kreatur fing an zu zucken. Die treuen Blicke gingen über in eine Art Ungläubigkeit und dann in Hass. Doch das Jaulen kam zu spät. Das Blut tropfte zischend in die Flammen und verbreitete den Geruch. Erinnerungen an Nebelheim, Erinnerungen an archaische Opferrituale – Erinnerungen an brennendes Blut. Neire spürte die geistige Verbundenheit mit Zussa und Bargh. Der Geruch von verbranntem Lebenssaft brachte das Gefühl von Glück. Er vergaß die Kälte und die Gefahren. Er zischelte die alten Gebete in der Sprache von Nebelheim. Und er streckte seine Hand aus und sammelte das Blut. Seine Rune malte er Zussa auf die Stirn. Sie lachten und frohlocken. Dann opferte Zussa das zweite und das dritte Wesen. Mit dem Lebensblut der Kreaturen malten sie sich die Runen auf die Stirn. Zussa die für Bargh und Bargh die Rune für ihn. Das Ritual war heilig und würde die Göttin erfreuen. Sie hatten Flamme und Düsternis an diesen verlassenen Ort gebracht.

Weiter und weiter – einige eisige Tunnel hatten sie nun erforscht. Die meisten waren in Sackgassen geendet. Doch in einer kleinen Höhle hatte sie eingefrorene Leichen entdeckt, die teils tödliche Wunden trugen. Vorsichtig hatten sie die Gegenstände der Leichname herausgemeißelt, die sie größtenteils in Ortnors extradimensionalen Labor verstaut hatten. Als sie alle Tunnel durchsucht hatten, waren sie zurückgekehrt in den ersten Wachraum, in dem die Leichen der Riesen jetzt zu Eis erstarrt waren. Sie hatten den Tunnel genommen, der sie zu einer Vorratskammer geführt hatte. Dort hatten sie merkwürde Schleifspuren neben einem Fass entdeckt. Unter dem Fass hatten sie dann einen Goldschatz geborgen. Auf ihrem weiteren Weg hatte Bargh dann an einer Verzweigungsstelle nach Spuren gesucht. Im Eis war hier und dort Fels zu sehen gewesen, der sich deutlich von den Wänden abzeichnete. Bargh hatte Spuren der Riesen entdeckt, die hauptsächlich in zwei Tunneln zu sehen gewesen waren. In einem Tunnel hatte er aber die Spuren von Ogern entdeckt, die er aus der Feste des Nomrus wiedererkannt hatte. Sie waren daraufhin diesem Tunnel gefolgt, der sie in eine riesige Höhle geführt hatte. Die Formation war teils aus Eis, teils aus dunklem Felsgestein gewesen und sie hatten ein Schnarchen sowie gedämpfte Stimmen gehört. Neire hatte seinen Mitstreitern zu erkennen gegeben, dass er vorschleichen würde, um sich ein Bild zu machen.

Durch seinen Tarnmantel geschützt, schlich das Kind der Flamme vorwärts. Die Angst brachte das Blut in seinen Ohren zum pulsieren. Doch Neire hatte bereits zu viel mitgemacht, als dass die Angst ihn lähmen könnte. Am Ende der Höhle sah er mehrere Tunnel im Felsen, die, bereits aus der Entfernung sichtbar, nach kurzer Distanz in eine weitere Höhle führten. Dort hatten sich Kreaturen mit Haufen von Fällen bedeckt. Ein tiefes Schnarchen war neben dumpfen, gutturalen Stimmen zu hören. Er schlich weiter voran und wählte einen leeren Tunnel. Der Gestank von vergorenem Schweiß kam ihm entgegen. In der Dunkelheit konnten seine geübten Nebelheimer Augen die gelbhäutigen Kreaturen sehen, die dort standen und wild gestikulierten. Sie waren fast doppelt so groß wie er selbst, hatten lange Arme und affenähnliche Schädel. In der Höhle hatten sie ihr Hab und Gut aufgebahrt. Gefrorene Rinds- und Schweinshälften, wie Kisten und Fässer. Felle und Lederhäute offenbarten weitere Schlaflager. Neire dachte nach. Er sah keinen Ausgang. Er musste das Feuer beschwören, musste die Kreaturen opfern. Sollten sie den Flammen widerstehen, sollten sie fliehen, würde sie Bargh empfangen und ihnen weiteres Feuer bringen. So schlich sich Neire zurück und begann seine Formeln zu rezitieren. Seine Gedanken waren bei seiner Göttin, obwohl die schwarze Kunst diese Verbindung nicht benötigte. Dann entfachte er die Flammen aus Magma. Wie aus dem Nichts schossen sie hervor und erfüllten die Höhle in ein infernalisches Glühen. Neire hörte aufschreckende Schreie und dumpfe Ausrufe, erfüllt von einem ohnmächtigen Hass. Decken begannen zu brennen, doch die Gestalten konnten sich nicht freiwinden. Eine Kreatur wollte aus dem Inferno herausbrechen, doch auf den letzten Schritten begann sie sich ihres Fellumhanges zu entledigen. Dabei schälte sie sich die brennende Haut vom eigenen Leib. In den glühenden Flammen erstarben die Schreie und Neire betrachte den Wasserdampf. Er genoss den Geruch von verbranntem Haar und Fleisch. Er genoss den Brodel, gebracht durch die heißen Flammen. Doch die Flammen und das Eis brachten die Gedanken und Nebelheim. Die Gedanken kamen und sie blieben. Sie erinnerten ihn an die alte Zeit; an das was einst war. So dreht er, Neire, das Kind der Flamme, sich um. Als kleiner Schatten war er zu sehen für Zussa und Bargh. Sie sahen die Tränen, die Neire vergoss. Sie sahen sein Gesicht, das in Schmerz verzerrt war. Er dachte an Nebelheim und so nah es war, war es doch nicht hier. Neire brach auf die Knie und ließ die Flammen erlöschen. Da war kein Feuer mehr. Keine Flamme. Er spürte Nebelheim nicht. Doch da waren die Schatten und der Schmerz. Sie waren hier, mit ihm, an diesem Ort. Und er war IHR Prophet. Und er wusste, was zu tun war.

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Sitzung 73 - Durch Tunnel aus Eis
« Antwort #78 am: 12.08.2023 | 23:20 »
Das letzte Glühen der Feuer verschwand mit den ersterbenden Flammen. Die Hitze, die Neires Wand aus loderndem Magma entfacht hatte, verflüchtigte sich und der Nebel begann auf den Boden zu sinken. Mit dem Schwinden der Wärme kam die Frostluft. Durch die Frostluft wirkte das grün-bläuliche Schimmern des Gletschers so gespenstig, wie es sie hatte erschaudern lassen, als sie die Spalte hinabgestiegen waren. Bargh und Zussa schritten langsam zu Neire, der dort auf die Knie gesunken war. Das Kind der Flamme hatte den Tarnmantel zurückgezogen und ließ den Kopf sinken. Sie hörten beide ein leises Schluchzen. Der Jüngling, dessen Hände zu Fäusten verkrampft zitterten, schaute auf und Tränen standen in seinen nachtblauen Augen. Die Dampfschwaden hatten sich auf seine langen, gold-blonden Locken gelegt. Eiskristalle glitzerten in seinen Haaren. Für Zussa war die Reaktion von Neire nicht verständlich. Sie hatte innerlich gejauchzt, als sie die Kreaturen im Feuer brennen sah. Sie hatte die verrückten Schreie genossen, als die Leiber in ihren Felllagern verbrannten. Sie hatte triumphiert, denn sie hatte gesehen, dass der letzte Oger zusammenbrach, bevor er das Ende der Feuerwand erreichte. Sie blickte erst Neire, dann Bargh fragend an. „Was ist mit euch Neire, wieso weint ihr?“ Der Jüngling erhob zitternd seine zischelnde Stimme. „Der Nebel und das Feuer. Die Erinnerungen. Ich dachte, ich wäre der Stadt nah, doch ich spürte nichts. Nebelheim ist nicht hier.“ Für Zussa war kein Sinn in den Worten zu erkennen. Bargh baute sich über dem Kind der Flamme auf und in seinen Worten war ungeduldige Bestimmtheit. „Auch, wenn es hier nicht ist, Neire, wir werden es finden. Ihr solltet euch aber das Weinen abgewöhnen, Junge.“

Sie hatten danach die Höhle abgesucht und in einigen Truhen und Säcken einen Schatz gefunden. Der Schatz hatte hauptsächlich aus Gold und Geschmeiden bestanden. Doch sie hatten auch ein Paar Armschienen entdeckt. Der wertvolle Gegenstand war aus Gold und Elfenbein gewesen und ein großer Bernstein war in der Form eines brüllenden Bären kunstvoll eingelassen worden. Neire hatte den Gegenstand als eine Art Wappen erkannt, doch er hatte eine genaue Herkunft nicht deuten können. So waren sie schließlich weitergeschritten und ihr Weg hatte sie in einen von Eis versperrten Bereich geführt. Nachdem sie die Barriere durchbrochen hatten, waren sie in die Gletscherhöhlen dahinter vorgedrungen. Sie hatten in einer von Knochenresten bedeckten Eishalle eine faustgroße, glühende Edelsteinstatue in Form einer Kröte gefunden. Doch bevor sie hatten reagieren konnten, waren sie von mannsgroßen Eiskröten angegriffen worden, die sie mit ihrer frostigen Aura umhüllt hatten. Nach einem kurzen, aber heftigen Kampf, hatten sie die Kröten getötet, den Edelstein an sich genommen und waren in den letzten unerforschten Eistunnel gelangt. Je weiter sie in den Tunnel vordrangen, desto deutlicher konnten sie tiefe, sonore Stimmen einer fremden Sprache hören. Im bläulich glitzernden Eis mehrte sich das Auftreten von dunklem Gestein. Augenblicklich eröffnete sich eine Höhle vor ihnen, deren mittlerer Bereich von einer Felsnadel durchbrochen wurde. Neben einem Feuer befanden sich vier Riesen. Die fast hausgroßen Gestalten waren von gelblichem Haar, blasser Haut, langen Bärten und muskulöser Statur. Sie trugen Kettenwesten, Fälle und übergroße doppelbärtige Äxte. Sie unterhielten sich angeregt und bedienten sich dabei wilder Gesten. Neire eröffnete den Angriff und beschwor die Feuer Jiarliraes. Als die Luft um die Kreaturen explodierte, schwoll der Gesang an, den Bargh und Zussa angestimmt hatten. Ein dumpfes Schreien hallte durch die Höhle, als die Riesen nach ihren Äxten griffen. Doch aus einem seitlichen Tunnel eilten ihnen drei weitere Riesen entgegen. Schnell wendeten sich jetzt auch die vier verbrannten Kreaturen dem Kampf zu und stürmten heran. Doch Bargh trat hervor und eine Aura von Düsternis umgab den Krieger. Er stellte sich den gewaltigen Bergen aus Fleisch und Muskeln. Präzise und tödlich führte er seine Angriffe und er erschlug Riese um Riese. Den Großteil der Angriffe konnte er mit seinem Schild abwehren, doch vier der Kreaturen hatten ihn fast umringt und hieben unbarmherzig mit ihren Äxten nach ihm. Neire und Zussa hörten ein Aufächzen von Bargh. Ihn traf ihn hier und dort der Streich einer Axt. Die Platten der Ne’ilurumrüstung wurden eingedrückt und bald lief rotes Blut an Barghs Panzer hinab. Gleichwohl loderte der Hass in Barghs linkem Auge und der Edelstein glühte in seinem Singsang. Glimringshert verrichtete sein Werk aus Feuer und Schatten und gemeinsam fällten sie die letzte der Kreaturen. Als Bargh nach dem Kampf auf die Knie brach eilten Zussa und Neire heran und stützten ihn. Sie begannen sich um seine Wunden zu kümmern, seine Blutungen zu stillen. Bargh blickte derweil auf die Klinge Glimringshert. Der unheilige Krieger legte seinen Panzerhandschuh auf seine Brust. Alsbald begannen sich seine Wunden zu schließen. Die schwarzen Schatten des Schwertes flossen wie gespenstiges Blut in seinen Körper. Sie alle beobachteten die dunkle Macht des Antipaladins. Sie spürten die Gewalt von Jiarlirae. Sie hatten in ihrem Namen den Tod gebracht. Sie lauschten dem disharmonischen Singsang von Bargh. Er murmelte die Gebete. Fürbitten an den Henker der letzten Einöde.

Neire schlich sich weiter durch den Tunnel. Von vorn roch er den Geruch von Feuer. Er spürte den Hauch von warmer Luft an seinem Gesicht vorbeiziehen. Für einen Moment fühlte er sich durch die Augen des Jenseher getäuscht. Der Gang vor ihm glitzerte rötlich, wie durch den Schein eines Feuers erhellt. Doch es war bereits einige Zeit her, dass er die Macht der Augen des Jensehers entfaltet hatte. Sie hatten nach dem Kampf die Höhle der Riesen durchsucht und die Schätze eingesammelt. Bei den Riesen hatten sie mehrere Armbänder gefunden, die ähnlich denen der Höhle der Oger waren. Dann waren sie dem verbleibenden Felstunnel gefolgt, der aus der Höhle hinfort führte. Nach einiger Zeit waren sie an eine Gabelung gestoßen, an der der Gang nach links ein wenig abfallend in die Dunkelheit führte. Aus dem rechten Gang hatten sie einen kalten Luftzug gespürt und sich entschieden, diesem zu folgen. Nach einiger Zeit waren sie dann auf den Riesen gestoßen, der, auf seine Axt gestützt, hier Wache hielt. Der Riese hatte nicht sofort angegriffen, aber seine Axt erhoben. So hatte Neire ihm die Armschiene gezeigt und die Augen des Jensehers benutzt. Er hatte ihre Macht gespürt – die Welt um ihn herum hatte sich verfärbt. Der Geist des Riesen hatte Neire nicht widerstanden und er hatte seine Axt gesenkt. So hatte ihm Neire einige Befehle gegeben. Doch seine Antworten hatten sie nicht verstehen können. Schließlich hatten sie die Höhle durchschritten. Zwei schlafende Riesen und einen zweiten Wächter am anderen Ausgang hatten sie gefunden. Neire hatte beim zweiten Wächter die Linsen des Jensehers benutzt und auch hier war seine Macht stärker gewesen. Auch diese Kreatur hatte ihre Axt sinken lassen; hatte Neire als vertrauten Freund gesehen und war seinen Befehlen gefolgt. Sie hatten dann die schlafenden Riesen erschlagen, bevor sie ihren Weg durch den Tunnel fortgesetzt hatten. An einer weiteren Gabelung waren sie rechts geschritten und hatten schon bald die Stimmen und den Hauch von Wärme durch den Tunnel gespürt. Neire zog den elfischen Tarnmantel enger und lugte in die Höhle hinein. Dorthin wo der Feuerschein herkam. In dieser felsigen Halle schimmerten die Wände dunkel und nass. Es war kein Eis zu sehen. In der Mitte war eine hölzerne Tafel zu sehen, auf der sich Essenschalen und Krüge befanden. In einer Ecke war ein Kohlebecken zu sehen, in dem ein Feuer brannte. Neben dem Kohlebecken konnte Neire drei große Lager entdecken, die aus aufgehäuften Fellen bestanden. Neben einer gewaltigen Kreatur an der Tafel, befanden sich zwei weitere Riesen auf den Lagern und dösten. Neire betrachtete die Riesen genau. Sie sahen anders aus als die Bewohner des Gletschers. Ihre Gesichter waren kantig, ihre Haut dunkel wie Asche. Gekleidet waren sie mit Brustharnischen, die einen Überwurf in Form einer Stola hatten. Rötliche Farben mischten sich mit dunklen Tönen. Neire konnte bei diesen Riesen, die mit etwa sechs Schritten Größe nicht ganz so groß wie die zuvor erschlagenen Wächter des Gletschers waren, eine gewisse Ähnlichkeit mit den beiden Schmieden der Esse in der Halle des Nomrus erkennen. Für einen kurzen Augenblick kam eine Unruhe in die Bewegungen der am Tisch sitzenden Gestalt. Der Riese ließ den Fleischbrocken, den er mit einem schwertgroßen Dolch aufgespießt hatte sinken, dreht sich um und sprach etwas zu seinen ruhenden Gefährten. Adrenalin schoss durch Neires Körper. Er hatte nicht die Gedanken, um sich zu fragen, ob er ein Geräusch gemacht hatte. Er schritt langsam zurück in den Tunnel und hoffte, dass die Kreaturen ihm nicht folgen würden. Je weiter er sich in die Dunkelheit zurückzog, je sicher war er sich, dass ihm niemand folgte. Er musste Zussa und Bargh warnen.

Zussa sah die Höhle vor sich und die wärmere Luft strömte ihr entgegen. Doch obwohl die Luft etwas angenehmer war, war es sehr kalt hier. Neire war zu ihnen zurückgekehrt und hatte ihnen von der riesigen unterirdischen Halle berichtet. Sie konnte die Decke kaum erkennen, die, in fast einem Dutzend Schritt verborgen, in der Dunkelheit lag. Zussa wartete auf Neires Angriff. So hatten sie es abgesprochen. Sie hielt sich hinter Bargh und dachte voll von Furcht an die Situation zurück, in der sie in Nomrus Halle angegriffen worden war. Es wäre bestimmt ihr sicherer Tod gewesen, hätte Bargh sie nicht beschützt. Jetzt hörte sie den Donnerschlag. Sie sah den Strahl von Blitzen, der augenblicklich die Höhle durchfuhr. Bargh stürmte nach vorne. Er hatte Glimringshert und sein Schild aus Ne’ilurum gezogen. Die Wunden des Kriegers hatten sich wie auf wundersame Weise geschlossen, je weiter sie in die Höhlen vorgedrungen waren. Zussa musste handeln. Ihre Furcht löste sich in diesem Augenblick in einen Überschwang des Handelns. Es war die Schwelle der Furcht, die sie in jedem Kampf überwinden musste. Doch seit ihrer Flucht aus dem Dorf, hatte sie nichts anderes als Gewalt kennengelernt. Sie liebte das Gefühl, wenn sie die Schwelle überwand. Angst, Anspannung und ein Zaudern gegenüber Handlungen, lösten sich dann in Chaos auf. Das musste die Essenz der Göttin sein, dachte sie sich. Sie zog ihren Stecken und beschwor die Geschosse. Alle ihre Angriffe richteten sich auf den wachehaltenden Riesen. Durch die Magie und die Angriffe von Bargh wurde der Riese übel zugerichtet und stürzte zu Boden. Die beiden lagernden Riesen griffen jedoch sehr schnell nach ihren Waffen und stürzten sich in den Kampf. Ein Hass und eine gewisse Ungläubigkeit waren in ihren Augen zu sehen. Ihre langen roten Haare wallten glitzernd im Feuerschein und sie hatten schwarze, breite Schwerter. Sie schlugen nach Bargh, doch vergeblich. Diesmal hatte der dunkle Krieger die Gunst der Göttin auf seiner Seite. Zussa konzentrierte sich. Gemeinsam mit Neire beschwor sie todbringende Magie. Mit einem Lächeln bemerkte sie, dass Bargh mittlerweile seine Angriffe perfektioniert hatte. Er benutzte die Klinge Glimringshert, um die Unterleiber der Reisen - Seite zu Seite - aufzuschneiden. Sie genoss den Anblick ihrer Überlegenheit, wenn die Gedärme sich zu Boden ergossen und die Kreaturen verzweifelt schrien. Doch der Gestank von verbrannten Fäkalien ekelte sie an. Sie fragte sich, wie Neire und Bargh mit diesem Geruch klarkamen. Sie schritt zu den drei Leichen und hielt sich die Nase zu. Sie bemerkte, dass Bargh und Neire sie angrinsten und auch sie musste Lachen. So standen sie um die Schale von brennenden Kohlen und Holz und wunderten sich, warum sie Jiarlirae an diesen Ort geführt hatte. Diese Kreaturen waren keine Anhänger ihrer Göttin, doch es musste einen anderen Grund geben.

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Sitzung 74 - Der Hinterhalt
« Antwort #79 am: 20.08.2023 | 10:40 »
Ihre kurze Rast war bereits eine Zeitlang her. Nachdem Neire doch Bedenken geäußert hatte, hinsichtlich der Loyalität, der von ihm bezauberten Riesen, waren sie vor ihrer Rast in die Wachthöhle geschritten. Sie hatten die Riesen hinterrücks angegriffen und ermordet. Einen nach dem anderen. Dann waren sie in die Höhle mit der Feuerschale zurückgekehrt und hatten ihre Rast begonnen. Neire hatte sich der schwarzen Kunst hingegeben und Bargh hatte meditiert. Zussa war die Aufgabe der Wache zugefallen und sie hatte sich, abseits des Gestanks der toten Leiber, im kalten Tunnel auf einem Fell niedergelassen. Nach ihrer Rast waren sie aufgebrochen und dem unerforschten Tunnel gefolgt, der sie aus dem Felsen der Kristallnebelberge wieder in das Eis geführt hatte. Nachdem sie wieder in den Außenbereich der Spalte gelangt waren, hatte Bargh Spuren im Eis entdeckt. Verschiedengroße Stiefelabdrücke hatte er gefunden. Einige waren kleiner gewesen und hatten den Riesen der Halle des Nomrus geähnelt. Doch sie hatten in ihre Richtung geführt. Sie waren durch den heulenden Wind der Spalte geschritten und hatten zwei Tunnel untersucht. Der erste Tunnel hatte in die Höhle der Hügelriesen geführt, die jetzt verlassen war. Im zweiten Tunnel hatten sie Stimmen gehört. Neire war vorgeschlichen und hatte die Lage erkundet. Jetzt war er zurück und wendete seine Stimme an Zussa und Bargh. „Es sind Riesen in der Höhle. Doch sie sind von grauer Haut und völlig haarlos. Ähnlich wie die, die wir in der hölzernen Feste getötet hatten. Lasst mich vorschleichen und den ersten Angriff machen. Wartet hier am Eingang des Tunnels.“ Bargh und Zussa nickten und machten sich kampfbereit. Neire schlich sich in der Düsternis davon und war schon bald nicht mehr zu sehen. Nach kurzer Zeit hörten Bargh und Zussa die Explosion. Sie sahen, dass der Tunnel in Magma-ähnliches Licht gehüllt wurde. Dann hörten sie das Brüllen. Dumpfe schwere Schritte kamen näher. Aus ihrer Deckung konnten sie die ersten beiden Kreaturen sehen. Sie waren, wie Neire sie beschrieben hatten. Von steingrauer Haut und völlig haarlos. Ihre Körper waren muskulös, doch drahtig. Brandwunden bedeckten ihre Körper. Sie trugen Felsbrocken der Größe kleinerer Pferde. Wie aus dem Nichts zuckte bläulich der Blitz nach vorn, den Neire mit dem Stecken beschwor. Das Schreien der Kreaturen wurde lauter und brach sich im Wind. Sie wankten, teils schwer verwundet, doch der Hass trieb sie an. Neire nutzte seinen Tarnmantel und huschte in die Dunkelheit des zweiten Tunnels. Nur einen Augenblick später brach der geworfenen Steinbrocken auf das Eis. Große Teile des Stiegs aus Eis brachen in die Tiefe der Gletscherspalte. Zwei weitere Steinbrocken folgten. Dann stürmten die Kreaturen heran. Bargh stellte sich ihnen und er führte Glrimringshert mit bedrohlicher Geschwindigkeit. Mit jedem Schlag fällte er einen der Riesen. Die Wutschreie verstummten, als schließlich die letzte der fünf Gestalten auf das Eis brach. Sie begannen die Kreaturen zu durchsuchen. Zussa jedoch hielt sich die Ohren zu und schritt in die Höhle der getöteten Riesen. Das Kreischen des Windes schien ihr zuzusetzen.

Neire spürte das Blut in seinen Ohren klopfen. Er nahm davon keine Kenntnis. Er zog den Tarnmantel enger und schlich durch den Tunnel. Dorthin, wo er die Stimmen vernommen hatte. Sie waren, nachdem sie die Höhle der Steinriesen abgesucht hatten, weiter den unerforschten Gängen gefolgt. In einem Bereich hatten sie eine Warnrune in einer Wand entdeckt. Dahinter war eine Höhle zu sehen gewesen, die mit der braunen Flechte bedeckt war. Neire hatte von ihren Erfahrungen berichtet und Zussa hatte sich nach einigem Nachfragen zufriedengegeben. Sie hatten den Bereich gemieden und waren gegangen. Schließlich waren sie ein zweites Mal auf einen Stieg aus Eis gelangt, der sie entlang der Spalte geführt hatte. In einem Eistunnel, hatten sie die tiefen Geräusche einer fremden Sprache gehört. Als Neire nun hinter der Ecke des Ganges hervorlugte, sah er eine Halle im Eis und Felsen. Der Schein eines Kochfeuers war zu sehen und mehrere der Gletscherriesen saßen an einem Tisch. Im Vergleich zu den wachenden Riesen, hatten diese Krieger einige Annehmlichkeiten. Neire konnte neben dem Kessel mit einer eingekochten Fleischsuppe, Krüge und Humpen erkennen sowie eine Wasserquelle am Rande der Höhle. Neben drei Riesen, die sich am Tisch unterhielten, schliefen andere in ihren Felllagern. Er zählte in diesem Raum zehn Kreaturen. Auf seinem Rückweg konnte Neire in zwei Seitenhöhlen jeweils vier weitere schlafende Riesen zählen. Seine Anspannung war groß, als er mit zitternder Stimme Bargh und Zussa von seinen Erfahrungen berichtete. „Es sind ihrer Anzahl viele. Doch sie schlafen größtenteils. Das Moment ist auf unserer Seite. Jiarlirae wird uns den Sieg schenken; ich habe es bereits gesehen. Doch wir müssen um ihren Beistand flehen. Die höchsten Gebete sollen uns mit Flamme und Düsternis leiten.“ Zussa und Bargh nickten und begannen ihre Choräle anzustimmen. Bargh sang die Gebete, während Zussa obskure Reime und Verse rezitierte. Dann drangen sie ein in den Tunnel. Ein weiteres Mal beschwor Neire die Kugel aus Flammen. Die Eishöhle wurde in eine Explosion aus Magmafeuer gehüllt, das fünf Riesen verbrannte. Neire schrie zu Bargh und Zussa. „Die Öffnung im Felsen. Dort!“ Sie begannen sich hinter Bargh zu positionieren. Der Krieger Jiarliraes hatte Schwert und Schild gezogen. Neire wusste, dass der Tunnel hinter ihnen in eine Vorratskammer führte. Sie hatten keinen Moment zu spät gehandelt. Schon stürzten die ersten Riesen heran. Ihre Augen funkelten hasserfüllt, wie kaltes Gletschereis. Ihre langen blonden Haare waren teils verbrannt. Sie waren nicht fettleibig, wie die Riesen in der Halle des Nomrus. Sie waren größer, muskulöser und sie steigerten sich in einen Berserker-artigen Wutrausch. Sie trugen Kettenhemden, Fellkleidung und doppelbärtige Äxte, in der Größe von Bargh. Neire beschwor ein weiteres Mal die Flammen. Die zweite Explosion war heftiger als die vorherige und erreichte mehrere der Riesen. Bei einigen platzte die Haut auf, Haare standen in Flammen. Doch ihr Wutgebrüll wurde noch lauter und sie warfen sich in das Kampfgetümmel. Als der Blitzstrahl aus Zussas Stecken sie durchfuhr stürzten zwei Gestalten zu Boden. Jetzt erreichten sie Bargh und die Schlacht begann. Im Tunnel behinderten sich die Riesen. Jeder versuchte andere zur Seite zu drängen und die verhassten Widersacher zu töten. Wieder war Bargh schneller und tötete zwei verletzte Kreaturen mit gezielten Hieben. Die Riesen hörten den Gesang der Göttin. Sie sahen die Dunkelheit um den Krieger Jiarliraes. Es trieb sie an in ihrer Wut. Das Schlagen und das Stechen war grauenvoll. Fast so grausam, wie die Magie, die Neire und Zussa entfesselten. Bargh wurde von drei Axthieben getroffen und blutete aus tiefen Wunden. Je länger der Kampf dauerte, umso mehr wendete sich das Blatt in ihre Richtung. Schließlich machten sie auch die letzte der Kreaturen nieder. Bargh ließ einen Freudenschrei von sich, als er die aufgetürmten Leiber von Fleisch im Tunnel sah. Das Bild war grotesk, doch Bargh kannte kein Mitleid. Die Frostriesen waren sicherlich edle Krieger gewesen. Nur wir tragen Flamme und Düsternis. Nur Flamme und Düsternis, wer oder was ist mehr als das? Wer ist mehr als SIE, die da mehr ist als die Summe aller Teile? Dachte sich Bargh und setzte sich auf einen Kopf einer Gestalt. Er blickte hinab und es war ihm, als ob die Kreatur ihn in ihrem Tode weiter hasserfüllt anstarrte. Er musste lachen, als er dem toten Riesen die Botschaft Jiarliraes ins Ohr flüsterte.

Die Kreatur stürmte mit großen Schritten heran. Sie war von der Größe eines ausgewachsenen Ogers und ihr Körper war von einem schnee-weißlich glänzenden Fell bedeckt. Der Schädel der Kreatur erinnerte entfernt an den eines Menschen. Doch die Konturen glichen auch den von Affen. Die Nase war platt und die Stirn fliehend. Dicke wulstige Lippen offenbarten stumpfe große Hauer, als das Monster mit einem tiefen Grunzen seinen Kampfschrei ausstieß. Die Gestalt trug ein Langschwert, das aus einem weißen Stahl war. Eine Schicht von Raureif hatte sich über das Schwert gelegt und hier und dort hatten Eiskristalle Runenmuster gebildet. Neire sah, wie die Kreatur auf Zussa zulief, doch Bargh begann ihr den Weg abzuschneiden. Der dunkle Krieger Jiarliraes stellte die Gestalt und erhob sein Schwert. Neire erinnerte sich zurück an die kurze Rast in der Höhle der Riesen. Sie hatten über den Sinn der Gruppe der Riesen nachgedacht und waren zuerst von einer Jagdgemeinschaft ausgegangen. Als Bargh dann die Vielzahl weiterer Waffen entdeckt hatte, die von den Riesen in einer Höhle aufgebahrt war, waren sie eher von einem Trupp Krieger ausgegangen. Ihre Rast war aber nur von kurzer Dauer gewesen. Vier fellige große Kreaturen, die der heranstürmenden sehr ähnlich sahen, waren in den Höhlenkomplex eingedrungen und hatten grunzend die toten Riesen begutachtet. Bargh, Zussa und Neire hatten sie angegriffen. Bargh hatte die Kreaturen mit präzisen Hieben getötet. Sie beschlossen nicht länger in der Höhle zu verweilen und den Kreaturen nachzugehen. So waren sie den Spuren gefolgt und in eine höher liegende Höhle gelangt. Hier hatten sie zwei weitere dieser Kreaturen im Kampf gestellt. Doch ihr alarmierendes Grunzbrüllen hatte die Kreatur mit dem Schwert hervorgebracht. Neire und Zussa stießen ihre Klingen in die Leiber. Sie brachten die erste Kreatur zu Fall. Hinter sich sahen sie das Feuer von Barghs Klinge. Er zerteilte den Schwertträger mit zwei kraftvollen Hieben. Dann wandte er sich der letzten Gestalt zu. Glimringshert biss gnadenlos in das kalte Fleisch ihres Widersachers und der letzte Höhlenbewohner sank blutig auf das glitzernde Eis. Sie atmeten ächzend auf und blickten sich um. Nur das Kreischen des Windes war zu hören, der sich an der Spalte brach. Sie begannen die Höhle abzusuchen. Sie wussten, dass die Tunnel sie um die Spalte herumgeführt hatten und sie an die Eisstufen des Eingangs zurückgekehrt waren. Sie wussten, dass sie umkehren mussten. Die Tunnel führten tiefer in das Felsgestein und wer konnte schon wissen, was sich dort verbergen würde.

Offline Jenseher

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Sitzung 75 - Die Höhlen unter dem Gletscher
« Antwort #80 am: 28.08.2023 | 22:30 »
Zussa ließ sich hinab in die Tiefe. Der jaulende Wind der Eisspalte rief unschöne Erinnerungen in ihr hervor – brachte ihre Hände zum Zittern. Sie fühlte sich unsicher in diesem Pfeifen. Doch es waren nicht die schneidenden Böen, die ihr Probleme bereiteten. Es war etwas in ihr geblieben. Etwas hatte sie für immer befallen, seit sie das fremde Reich hinter der Pforte des Jensehers wieder verlassen hatte. Zussa rammte ihre Steigeisen in das Gletschereis. Sie biss die Zähne zusammen und seilte sich ab. Sie dachte zurück an die Schmähung des heiligen Kriegers Bargh, als sie in der Kälte gezittert hatte. Sie hatte sich durchgesetzt, sich durchgebissen. Seitdem sie der schwarzen Kunst abgeschworen und sich der Göttin von Flamme und Düsternis zugewandt hatte, spürte sie die Kälte nicht mehr, wie einst an jenem Ort. Der schroffe, dunkle Boden der Spalte lag jetzt vielleicht noch 25 Schritte unter ihr. Sie sah dort Bargh und die Dunkelheit, die ihn umgab. Über ihr funkelte das Eis in allen Grün- und Blautönen. Was würde sie dort unten wohl erwarten. Sie verwarf den Gedanken an die ungewisse Zukunft und ließ sich weiter hinab. Neire hatte den Einfall gehabt, in das Gemach der Riesen zurückzukehren, die dort am Feuer verweilt hatten. So waren sie aufgebrochen und hatten die leeren Höhlen ein weiteres Mal durchstreift. Nur Tod hatten sie gesehen. Den Tod, den sie selbst in diese frostigen Hallen gebracht hatten. Dann waren sie aus dem wärmeren Gemach auf den kleinen Stieg aus Eis getreten, der zu beiden Seiten in Sackgassen endete. Sie hatten in die Tiefe geblickt. Etwa 50 Schritte unter ihnen hatten sie die merkwürde Formation aus Eis bemerkt, die ihnen schon von der anderen Seite aufgefallen war. Doch aus ihrer Position hatten sie ein kleines Loch bemerkt, dass aussah, als ob es in einen Tunnel führen würde. Sie hatten sich entschieden in die Tiefe hinabzusteigen. Neire hatte zwei Seile zusammengeknüpft und Bargh war als erster hinabgestiegen. Zussa folgte gerade und Neire wartete noch oben. Als Zussa das Ende des Seiles durch ihre Füße gleiten spürte, überkam sie für einen Moment eine Angst. Doch Bargh ergriff sie sanft und ließ sie zu Boden. Sie begann sich umzublicken. Der Wind war hier unten fast vollständig verstummt, doch die Luft war nun viel kälter. Wenn sie zuvor in das Reich des ewigen Eises herabgestiegen waren, dann musste dies hier das Herz des Winters sein. Der Boden der Spalte war bedeckt von schaurigen Eisformen. Und zu ihrer Linken ragte dieses Konstrukt auf. Aus der Ferne drang das Heulen des Windes und jagte Zussa Schauer über den Rücken. Doch sie fühlte sich hier besser. Besser im Herzen des Winters gefangen, als dem Heulen des Windes ausgesetzt zu sein. Sie warteten auf Neire. Zussa betrachtete fasziniert die Formation aus Eis, die etwas Turmförmiges hatte. Sie sah, dass Bargh derweil nach Spuren suchte. Dann ließ sich Neire hinab und sie alle rückten näher zusammen. „Ich habe Spuren entdeckt. Eine große Schleifspur und viele kleine Löcher zu beiden Seiten. Es erinnert mich an die aasfressenden Kreaturen, die wir auf der anderen Seite des kleineren Portals Jensehers bekämpft haben. Das Portal, was uns hierhin gebracht hat. Doch sie sehen anders aus. Sie liegen weiter auseinander und an einigen Stellen… nun an einigen Stellen sah der Schnee fast wie geschmolzen aus.“ Zussa starrte Bargh an. Der große Krieger hatte kurz innegehalten, bevor er den Satz beendete. Jetzt erhob Neire das Wort. „Wie alt sind die Spuren, Bargh?“ „Nicht alt, vielleicht ein bis zwei Tage. Sie führen auf den Eingang hinzu, den wir von oben sehen konnten.“ Nach Barghs Antwort, fühlte Zussa das Adrenalin. Sie waren nicht alleine hier. Doch ihr Blick ging zu Bargh und der Antipaladin gab ihr Zuversicht. Was immer hier unten lauern sollte, würde sich Glimringshert stellen müssen. Und Zussa wusste, was Bargh mit der Klinge anstellen konnte. Sie wartete auf Barghs Kommando und gemeinsam schlichen sie in Richtung des Tunnels. Die Steigeisen knirschten, als sie über den gefrorenen Schnee, den Firn und das Gletschereis schritten. Sie folgten den Spuren, die sie durch die zerklüftete Landschaft führten. Dann standen sie vor dem Tunnel. Sie starrte in die Düsternis und konnte ihren Blick nicht abwenden, von dem dunklen Loch. Nur das Gesicht von Neire brachte sie von ihren Gedanken ab. Sie sah, wie der Jüngling ihnen zunickte und dann voranschlich. Nur kurz hatte sie die gold-blonden Locken und den Schimmer der Diamantkrone auf Neires Stirn gesehen. Dann folgten auch Zussa und Bargh. Der Tunnel war für Riesen viel zu klein und selbst Bargh musste sich ducken. Sie gelangten in das Innere. In eine Halle aus immerwährendem Eis. Es herrschte hier völlige Dunkelheit und so konnte Zussa die Kreatur erkennen, die sich hier versteckte. Von einem kleineren Berg von Knochen und Gebeinen hörte sie knackende und klickende Geräusche. Dort hatte sich ein Wesen zusammengerollt, das den schlangenartigen Leib eines Tausendfüßlers hatte. Das Monster war riesengroß und von einem bläulich schimmernden, gepanzerten Körper. Zussa erinnerte es an ein riesenhaftes Insekt; an chitinerne Platten. Aus dem Rückenpanzer wucherten seltsame warzenähnliche Strukturen. Der Bauch hingegen war von einer dünneren Haut bedeckt, die nicht ganz die Dicke der seitlichen Platten erreicht hatte. Zussa sah Bargh der Kreatur entgegenstürzen. Es folgte ein Winden, wie das einer Schlange. Hervor kam ein monströser Kopf mit insektenähnlichen Antennen. Dann stellte die Kreatur kleine, gebeugte Knochen auf, die eine Haut – fast wie Fledermausflügel – aufspannten. Ein überlegenes Zischen und ein bizarres Bellen gingen von dem Wesen aus, als Bargh sich ihm entgegenstellte. Doch Zussa reagierte diesmal schneller. Sie hob ihren Stecken und beschwor fünf Kugeln aus brennender Dunkelheit. Sie schlugen in die Kreatur ein. Zussa konnte ihren Augen nicht trauen. Die Geschosse verschmolzen wirkungslos mit dem Körper. Wie eine Brandung, die sich an einem langen Sandstand bricht und sich verliert. Doch dann frohlockte Zussa. Sie sah Bargh, der das Wesen erreicht hatte. Todesmutig erhob der Drachentöter Glimringshert. Er brachte Feuer und Dunkelheit. Seine Angriffe waren grausam und hinterhältig. Zussa schrie freudig auf, als die Kreatur des ewigen Eises unter den Angriffen Barghs zusammenbrach. Der dunkle Krieger hatte mit mehreren Hieben den Kopf zerspalten. Sie dachte an ihre Göttin Jiarlirae. Sie brachten ihre Flamme, ihre Düsternis. Sie würden sie überkommen. Sie sollten brennen oder von ihren Schatten verschlungen werden.

Neire schritt im heulenden Wind hinter Bargh. Die kostbaren Stiefel, die er trug, gaben ihm guten Halt auf dem Eis. Sie hielten auch die Kälte der frostigen Böen ab, die jetzt von hinten auf sie einwirkte. Er bemerkte, dass Bargh mit der Kälte nicht so gut zurechtkam. Seit ihrem Aufstieg zitterte der dunkle Krieger Jiarliraes. Bargh hatte sich in seinen Fellmantel gewickelt, auf dem bereits eine Schicht von Eiskristallen lag. Zussa schritt leichtfüßig vor Bargh. Sie nutzte den Windschatten, den ihr Bargh gab. Gerade drehte sich Zussa um und rief zu Bargh. „Kommt Bargh. Folgt mir oder wollt ihr ewig hier verweilen? Ihr werdet hier vielleicht noch erfrieren.“ Der schalkhafte Ausdruck auf Zussas Gesicht blieb Neire nicht verborgen. Als sich Zussa wieder umdrehte folgte ihr Bargh, doch er stieß Zussa sein Schild in den Rücken. Sanft war der Stoß, doch stark genug um das Mädchen mit dem staksigen Schritt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zussa stolperte, konnte sich aber wieder fangen. Sie funkelte Bargh feindselig an, mit ihren grünlichen Augen. Ihre roten Locken flatterten im Wind. „In Fürstenbad sollen einige Adelige aus ihren Sänften gefallen sein. Aus reiner Bequemlichkeit“, rief Bargh und fing an zu lachen, bevor er den Satz beendete. Doch bevor Zussa etwas antworten konnte, trat Neire hervor. „Das erinnert mich an einen alten Spruch aus Nebelheim, wollt ihr ihn hören?“ „Nein, ich will gar nichts mehr hören“, schrie Zussa in den Wind, aber Bargh nickte bejahend. „Es gibt diese alte Redensart, die besagt, dass giftige Zähne, die nicht tötend beißen, auf eine heimliche Liebe hindeuten.“ Als Zussas bockiger Blick einem fragenden Stirnrunzeln wich, fügte Neire hinzu. „Eine heimliche Liebe, ihr beiden Turteltäubchen.“ Jetzt verstand Zussa, aber auch Bargh den Sinn des Satzes. Zussa rollte ihre Augen, doch die Röte in ihrem Gesicht war unschwer zu übersehen. Sie drehte sich schnaubend um und Neire sah sie im Tunnel verschwinden. Wortlos folgte er dem Mädchen in die kalten, haushohen Gänge in Fels und Eis.

Sie rasteten bereits eine Zeit vor dem Tunnel, der weiter in die Tiefe hinabführte. Sie hatten sich in der Wache abgewechselt und sie waren eine Zeitlang ungestört gewesen. Jetzt wurden sie von Bargh geweckt, der ihnen warnende Worte zuraunte. „Neire, Zussa, wacht auf. Ich höre Schritte im Gang. Sie kommen von unten.“ Neire schüttelte die Müdigkeit augenblicklich ab und begann sich aufzurichten. Er streifte sich den Tarnmantel über und flüsterte zu Zussa und Bargh. „Wartet hier. Ich werde in den Tunnel schleichen. Wartet auf mein Signal.“ Er sah, dass beide nickten. So zog sich Neire die Kapuze über den Kopf und verschwand in die Schatten. Weit musste er nicht in den Tunnel hineingehen. Schon bald bemerkte er die ersten Kreaturen, die ihm dort entgegenkamen. Sie waren von der Größe Barghs. Teils von gelblicher Haut, trugen sie lange Macheten-ähnliche Messer. Ihre Schädel erinnerten an die von Menschen, doch ihre Gesichtszüge waren primitiv. Je näher sie kamen, desto stärker wurde der Geruch von vergorenem Schweiß. Neire lauerte in den Schatten und wartete auf seine Gelegenheit. Als die erste Gestalt fast zu ihm aufgeschlossen war, begann er zu murmeln. Der Führer der Gruppe blieb augenblicklich stehen und begann zu lauschen. Doch er konnten ihn nicht sehen. So beendete Neire seinen Spruch und beschwor die Schockwelle aus invertiertem Licht. Es gab ein lautes Knallen als der schwarze Blitz durch die Kreaturen fuhr. Zwei von ihnen starben augenblicklich. Die restlichen drei Oger wollten gerade ihre Macheten erheben, da war auch schon Bargh bei ihnen. Sein Schwert schnellte hervor und mit jedem seiner Angriffe zerteilte er eine der Kreaturen. Jetzt kehrte Stille ein, im Gang. Nachdem sie die Kreaturen begutachtet hatten, begann Bargh sie in den seitlichen Tunnel zu ziehen, wo sie hergekommen waren. Sie beseitigten, so gut es ging, die Spuren des Kampfes. Dann begannen sie ihre Rast fortzusetzen.

„Seht was wir erreicht haben. Nur gemeinsam sind wir stark. Nur gemeinsam können wir sie besiegen. Was auch immer sich uns entgegenstellt.“ Neire betrachtete lächelnd seine Mitstreiter Zussa und Bargh. Er bemerkte, dass er sie mit seinen Worten mitriss. Neire hatte sich während ihrer Rast nicht zurückhalten können und den Ring angelegt, den er in der Höhle des Frostwurms gefunden hatte. Von diesem Ring schien eine unglaubliche Macht auszugehen. Neire hatte herausgefunden, wie sie einzusetzen war. Dreimal hatte er den Ring gedreht an seiner Hand und dreimal hatte er sich gewünscht schöner zu sein. Er spürte, dass die Macht gewirkt hatte. Seine Stimme klang wunderbar angenehm, trotz zischelndem Singsang. Seine Haut glitzerte weißlich und makellos. Er fragte sich, wie er wohl wirken würde auf Zussa und Bargh und er bekam seine Antwort. „Neire, die Rast scheint euch wohl gut bekommen zu haben“, sagte Zussa, die ihn staunend betrachtete. Neire nickte und führte seine Rede fort. Er sprach von ihrer Göttin, von Jiarlirae. Er beschwor ihren Sieg und die Feste, die sie feiern würden. Besonders Bargh schien der Gedanke an ein kommendes Fest zu begeistern. So bemutigten sie sich gegenseitig, bevor sie abermals aufbrachen. Ihr Weg führte sie hinab, in eine riesenhafte unterirdische Felshalle. Auch hier war die Luft kalt, doch sie sahen kein Eis mehr. Mehrere Tunnel führten hinfort, von denen einer mit einer Barriere aus drei großen Findlingen verschlossen war. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass ihnen keine unmittelbare Gefahr drohte begann Bargh nach Spuren zu suchen. Ihm fielen direkt die frischen Spuren der Oger auf, die allesamt auf einen von Fresken verzierten Bereich im Fels zuführten. Dort waren grobe Bilder von Riesen zu sehen, die in verschiedenen kriegerischen Szenen dargestellt wurden. „Schaut, Neire, Zussa. Die Spuren führen direkt auf diese Wand zu.“ Sie alle starrten jetzt wie gebannt auf die Freske eines Kriegers, der eine Axt über seinen Kopf gehoben hatte. „Dort, seht ihr es nicht?“ Sagte Zussa, als sie flüsternd auf die Axt zeigte. „Es sieht so aus, als könne man die Axt bewegen. Im Stein.“ Jetzt näherte sich Bargh der Stelle. Bevor er nach der Axt griff, schaute er Neire und Zussa an. „Seid ihr bereit?“ Er erhielt ein grimmiges Nicken als Antwort. Langsam begann Bargh die Axt zu bewegen. Er drückte den Stein nach vorn und mit einem Knirschen begann sich der gewaltige Felsblock zu bewegen. Bargh setzte seine gesamte Kraft ein, als er drückte. Ein fast drei Schritte breiter Bereich, mehr als sieben Schritt hoch, glitt zurück. Bargh drückte beharrlich weiter, bis sich zur linken und rechten Seite eine kleine Öffung offenbarte. Er hatte dumpfe Stimmen hinter dem Steinblock gehört. Es eröffnete sich ein von Fackellicht erhelltes Gemach dahinter, von dem er nur einen Teil überblickten konnte. Er nickte Neire zu, der sich seinen Tarnmantel über sein Gesicht zog. Dann wich Bargh aus dem kleinen Tunnel zurück und Neire huschte in den Raum hinein. Die Stimme sprach jetzt ein zweites Mal. Dumpf und grollend und in einem befehlsartigen Ton. Neire war inzwischen durch die gewaltigen Beine der Kreatur geschlüpft. Er hatte auf den Moment gewartet, als sich der Steinblock weiter in den Raum zu bewegen begann. Diesmal musste es eine Kreatur sein, die den Block von der anderen Seite bewegte. Als er sich umblickte, sah der die beiden Riesen. Der eine zog an dem Block und der andere blickte in den Tunnel hinein. Der Blick des Riesen war aber nicht nach unten gewandt. Es schien vielmehr so, als würde er einen seiner Kameraden erwarten. Neire nutzte den Moment. Zitternd beschwor er das Feuer der Göttin. Die Luft um die beiden Riesen explodierte und sie begannen zu schreien. So stark war die Explosion, dass die Flammen am Oberkörper des ziehenden Riesen nicht ausgingen. Zu diesem Chaos von Feuer, dem Geruch von verbrannter Haut und Haaren und dem Brüllen von Schmerz, gesellte sich die Aura der Dunkelheit. Der unheilige Krieger Bargh stürmte heran und er brachte Glrimringshert mit sich. Mit zwei kräftigen Hieben tötete er die erste Gestalt. Dann wendete er sich zu dem knienden Riesen, der versuchte das Feuer auszuschlagen. Tief trieb Bargh seine schwarze Klinge in den Hals. Blut spritzte auf und mit einem Gurgeln brach auch der zweite Riese zu Boden. Neire blickte sich ängstlich um. Vor ihnen verzweigten sich die Tunnel. Er konnte keine Bewegungen sehen. Waren sie bemerkt worden?

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Sitzung 76 - Von Jarl Anwärtern und Gefangenen
« Antwort #81 am: 2.09.2023 | 12:26 »
Barghs Atem beruhigte sich nur langsam. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht und blickte auf seine toten Widersacher hinab. Beide Riesen waren noble, nordische Krieger gewesen. Sie hatten sie wahrlich übel zugerichtet. Von einer Gestalt züngelten Flammen von Haaren und Fell, währenddessen der Riese, der zuerst von ihm getötet wurde, zwei tiefe Schnitte in Bein und Brust aufwies. Mit den ersterbenden Flammen, wurde auch das Pulsieren des Blutes weniger, das aus den gefällten Leibern strömte. Bargh wollte sich gerade zu den Kreaturen hinabbeugen, um sie zu durchsuchen, da sah er das bleiche, von gold-blonden Locken eingerahmte Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen. Neire blickte zuerst ihn, dann Zussa eindringlich an. „Bargh, Zussa, ich höre Schritte. Folgt mir, doch seid auf der Hut.“ Bargh nickte und hob beschwörend Glimringshert vor ihn. Um ihn begann die Klinge die Düsternis anzureichern, die ihren blutenden Schatten entsprang. Der bläuliche Schimmer von Neires Diamantenkrone war bereits verschwunden, da hörte Bargh die stampfenden Schritte durch die Tunnel hallen. Das Licht wurde hier weniger und die Höhle, welche die Größe und Höhe einer kleinen Kathedrale hatte, verzweigte sich in einige hohe Nebengänge. Aus einer dieser Öffnungen drang flackernder Schein, der durch die nahenden Leiber gebrochen wurde. Bargh wendete sich diesem Eingang zu. Er blickte in das Licht. Der rötliche Schimmer ging von den Hinterleibern riesenhafter, schwarzer Käfer aus, die, in Käfigen gefesselt, über eiserne Ketten von der Decke hingen. Auf ihn zu und über Felllager hinweg, stürmten grobschlächtige Kreaturen mit primitiven Schädeln. Der Gestank von geronnenem Schweiß drang ihm entgegen. Die Augen der übergewichtigen, aber dennoch muskulösen Gestalten wirkten hinterhältig und boshaft. Bargh hob sein Schild und setzte gerade Glimringshert zum Schlag an, da sah er den schwarzen Blitz. Invertiertes Licht brannte in seinen Augen. Ein Knallen betäubte seine Ohren. Vier der Kreaturen wurden von der schwarzen Magie Neires dahingerafft, teils grausam verstümmelt. Zwei jedoch überlebten und sanken zuckend und zitternd zusammen. Muskelkrämpfe brachten Knochen zum Brechen und Blut lief aus den Ohren eines Ogers. Die Augen der anderen Gestalt zerplatzten und grässlich heulende Schreie waren zu hören. Das Grauen übermannte die verbleibenden Oger. Sie ließen ihre langen, krummen Macheten sinken. Sie grölten unverständliche Worte und liefen an ihm vorbei. Panik war in ihren schwarzen Augen. Bargh ließ seine Klinge tanzen. Er kannte keine Gnade. Mit jedem Hieb fällte er einen weiteren, der fleischigen Leiber. Blut spitzte auf sein Gesicht und er musste lachen. Doch er konnte seinen Sieg nicht lange genießen. Diesmal war es Zussa, die aus der Dunkelheit des Tunnels warnte. „Bargh, Neire, passt auf. Sie bereiten einen Zauber der Kälte vor.“ Er drehte sich augenblicklich um und sah, dass auf der anderen Seite zwei Gestalten erschienen waren. Zudem hörte er aus einem seitlichen Tunnel, ein Schaben von Stein. Dort waren zwei große Felsbrocken aufeinandergelegt worden, die den Gang blockierten. Bargh stürmte auf die Gestalt zu, welche die Zauberformeln rezitierte. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit zu den Ogern, war aber schlanker. Ihre Haut hatte eine menschenähnliche Farbe. Listige Augen funkelten Bargh aus einem hässlichen Schädel an. Prominent waren die zwei Schwellungen, die bei jeder der Gestalten zu sehen waren. Sie waren wie knöcherne, unter der Haut liegende, Hörner über den Schläfen der Kreaturen. Bargh erreichte den Widersacher und stieß Glimringshert in ihren Körper. Die Klinge gebar eine Flut von Feuer. Bargh zog das dunkle Schwert aus dem Hals und trieb es in den Körper der zweiten Kreatur. Die Waffe drang in den Hals und das Wesen sank zu Boden. Auch eine dritte Kreatur dieser seltsamen Ogerart brachte er zu Fall, bevor sie reagieren konnte. Dann gab es ein dumpfes Knirschen von Stein auf Stein. Der große Felsbrocken brach hinab und dahinter konnte er einen kolossalen Schädel hervorblicken sehen. Der Riese dort offenbarte schneeweiße Haut und Haare sowie helle, blaue Augen. Er musste noch größer sein als die Riesen des Gletschers. Bargh bemerkte, dass sein Gesicht nicht von Hass verzerrt war. Er schien zu beobachten. Eine gewisse Intelligenz war an seinen Augenbewegungen zu erkennen. Und jetzt hörte Bargh die stampfenden Schritte aus einem anderen Tunnel auf ihn zukommen. Der Riese hinter dem Stein schien jedoch zu betrachten, zu warten. Bargh drehte sich um. Durch die Dunkelheit kamen zwei Riesen auf ihn zu. Sie trugen Äxte und waren in Kettenpanzer gehüllt. Beide hatten lange blonde Bärte und Zöpfe. Sie schrien hasserfüllte Worte in ihrer fremden Sprache und stürmten heran. Bargh stellte sich ihnen im Tunnel. Doch er vernahm weitere Schritte aus der Dunkelheit. Als die beiden Axtträger ihn erreichten, bemerkte er zwei Riesen, die Felsbrocken trugen. Bargh duckte sich, hielt sein Schild und zuckte nach vorne. Er spürte die Kälte nicht, welche die Kreaturen umgab. Plötzlich hüllte eine Woge von Flammen die Beine der beiden Kreaturen in Feuer. Neire hatte aus dem Hinterhalt seinen Spruch gewirkt. Dann spie Glimringshert Feuer und mit mehreren schnellen Schnitten fügte er der ersten Kreatur tödliche Wunden zu. Instinktiv dachte Bargh an seine Vergangenheit. An die Lehren aus seiner Ausbildungszeit in Fürstenbad. Er drängte zurück und rief: „Neire, Zussa, hinter die Biegung Sie werden die Felsen werfen. Sucht euch Deckung.“ Er lenkte den Schlag der riesigen Axt der Kreatur ins Leere und bewegte sich in die Eingangshalle mit dem verschiebbaren Felsblock. Dort stellte er sich dem ersten Krieger. Der Riese lachte siegessicher, als er ihm entgegentrat. Er glaubte ihn vor dem Kampf fliehen zu sehen. Die Kreatur überragte Bargh um mehr als das Doppelte. Doch auch diesmal war Bargh schneller. Tief rammte er Glimmringshert in den Bauch der Kreatur. Das Feuer verbrannte die Gestalt von innen und so stürzte der imposante Leib zu Boden. Jetzt drängte Bargh wieder nach vorne und hinter die Ecke. Auch Zussa und Neire standen ihm zur Seite. Gemeinsam griffen sie die letzten Riesen an, die gerade ihre Steine fallengelassen hatten und ihre Äxte zogen. Sie waren schneller und ihre Waffen tödlich präzise. Bargh keuchte mittlerweile, als er sein Schwert aus dem Brustkorb der letzten Gestalt zog. Dann hörte er plötzlich die grollende Stimme, deren Klang bestimmend, aber nicht feindselig war. Der Riese, der hinter den Felsbrocken hervorgekommen war, hatte sich aufgerichtet und betrachtete wachsam. Jetzt hatte er seinen Morgenstern gezogen, dessen Kopf die Größe eines kleineren Wagenrads erreichte. Sein Gesichtsausdruck hatte sich von einem amüsierten Lächeln in einen grimmigeren Ausdruck geändert. „Habt Dank, ihr habt mir einen Gefallen getan und ihr seid fähig. Ihr habt mir sogar geholfen. Doch jetzt ist es an der Zeit ein paar Insekten zu zertreten.“ Die Stimme brach über sie herein wie das Grollen eins Gewitters. Hier und da war ein Stocken zu hören, als würde der Riese nach den richtigen Worten suchen. Neire zitterte, als er diesen Ton hörte. Dennoch raffte er seinen Mantel zurück, trat hinter Bargh hervor und lächelte die Kreatur an. „Oh, ihr sprecht die Sprache der Menschen. Ihr seid nicht dumm. Doch was ist euer Ziel? Wieso wollt ihr sie tot sehen?“ „Ich bin nicht dumm, nein. Ich, alleine gegen alle diese hier? Nein. Doch jetzt ist es anders. Weniger von denen. Ihr habt sie getötet, hahaha… Ich werde ihn töten und ich werde Jarl sein. Ich, nicht ihr.“ Der Riese griff jetzt nach seinem Morgenstern. Wut blitzte in seinen Augen auf. Hinter sich hörte Bargh das Lachen Neires, in dem er Furcht mitschwingen hörte. „Zussa, er redet wie ein Kind. Wie ein bockiges Kind? Was machen wir mit bockigen Kindern, Zussa?“ Zussa drehte sich Neire zu. Auch ihr war die Angst anzusehen. Sie kicherte verrückt und schrie: „Ein bockiges Kind muss versohlt werden.“ „Dann tötet ihn Zussa.“ Auch Neire setzte jetzt in das verrückte Lachen ein, das auch Bargh ansteckte. Er wusste, er trug Glimringshert und er war der heilige Krieger Jiarliraes. Er musste reagieren, bevor die Kreatur seinen Gefährten etwas antun konnte. Bargh zuckte nach vorne und griff an. In all seiner militärischen Präzision und Schnelligkeit. Der Riese hatte mit diesem Manöver nicht gerechnet und so fand Bargh seine rechte Seite ungedeckt vor. Dreimal senkte sich Glimringshert und zweimal spie das Schwert dunkelrote Flammen. Die rechte Seite des Jarl Anwärters brach schließlich auf und das Monster begann zu wanken. Auch Zussa und Neire stachen jetzt zu; immer und immer wieder. Auch als das majestätische Geschöpf bereits zu Boden gefallen war. Mit einem Röcheln unverständlicher Worte hauchte der Riese sein Leben aus. Bargh setzte sich auf seinen Kopf und atmete auf. Nur Zussa und Neire widmeten sich weiter seinem Leib. Ihre Angriffe hatten längst ihre Tödlichkeit verloren. Es sah so aus, als wollten die beiden ein Kind versohlen. Ein riesiges bockiges Kind.

„Glaubt ihr das etwa, ihr Narren? Nein, zwischen diesen Beinen sind nur starke Kinder hervorgekommen. Nicht solche wie diese Diener des Jarls, die hier hausen.“ Die Worte der gigantischen Frau brachen donnernd über sie herein. Der Druck der Geräusche brachte ihre Trommelfelle zum Klingen. So laut, dass es schmerzhaft war. Neire zog seinen Tarnmantel zurück und verbeugte sich tief. Kurz dachte er an den Riesen mit den milchig-weißen Haaren. Sie hatten nach dem Kampf verschnauft. Dann hatten sie die Leichen und Höhlen durchsucht, in denen sich die Kreaturen aufgehalten hatten. Gold und andere wertvolle Schätzte waren dabei in ihren Besitz übergegangen. Danach hatten sie den Tunnel entdeckt, der mit übergroßen Steinquadern versperrt war. Bargh hatte einen der Felsblöcke nach hinten gedrückt und sie waren über die Barriere geklettert. Sie waren vorgedrungen in eine Höhlenkammer, die auf sie wie ein nobles Gefängnis gewirkt hatte. Im Fackelschein hatte eine Tafel aufgeragt, die bedeckt gewesen war mit allerlei Köstlichkeiten. Das Essen hatte sich aber in einem bereits schlechteren Zustand befunden. Als ob es für eine lange Zeit nicht angerührt worden war. In einer Ecke sitzend und gehüllt in einige Felle, hatten sie die große Riesin gesehen. Der Körper der Gestalt war mit eisernen Fesseln versehen gewesen, die in der Felswand befestigt waren. Als sich Neire aufrichtete blickte er in das Gesicht der Frau. Sie hatte ein hübsches, menschenähnliches Gesicht und einen grünlichen Schimmer auf ihrer weißen Haut. Ihre lockigen Haare fielen in langen Strähnen vom Kopf. Sie waren von einem dunkleren Blond und glitzerten im Fackellicht in einem magischen Türkis. Neire setzte sein charmantestes Lächeln auf und warf seine gold-blonden Locken zurück. „Wer seid ihr und was macht ihr hier? Wenn ihr nicht zu denen gehört…“ Neire sprang erschreckt zurück, als die Gestalt ihren Arm erhob und die Ketten rasselten. Da war wieder dieses Grollen, das ihn im Satz unterbrach. „Es traut sich in meine Höhle und es spricht, das Insekt.“ Als die donnernde Stimme verstummte, bewegte sich Neire wieder hinter Bargh hervor. „Nun, ihr spracht vom Jarl. Wer ist dieser Jarl? Es muss schließlich etwas bedeuten Jarl zu sein, haben wir doch einen eurer Art getroffen. Von Haut und Haar wie Milch. Er wollte auch Jarl sein, doch Zussa tötete ihn.“ Neire deutete auf Zussa. Bargh grummelte zwar etwas bei dieser Übertreibung, legte aber keine Widerworte ein. Zussa hingegen baute sich auf und ließ ihren Säbel durch die Luft fahren.“ Ein dröhnendes Kichern war die Antwort der Kreatur, die auf Zussa zeigte. „Diese rote Fliege, hahaha… wie sagt ihr in eurer Sprache… sie kann doch noch nicht einmal einer Fliege beileibe rücken. Hahaha.“ Zussa jedoch trat mutig hervor, steckte ihre Brust heraus und schrie. „Versohlt haben wir ihn. Ja, versohlt wie ein bockiges Kind.“ „Ja, Mädchen, wie ein bockiges Kind habt ihr ihn versohlt. Ihr könnt ja mal versuchen mit mir zu spielen, mich zu versohlen, kleine rote Fliege.“ Jetzt war es Zussa, die bockig auf den Boden trat. „Nun, für euch mag es wie ein Zahnstocher aussehen, große Riesin, doch auch ein Zahnstocher kann tödlich sein, wird er nur richtig eingesetzt. Aber wir bevorzugen es nicht mit euch zu spielen.“ Neire musste grinsen bei Zussas Antwort und stimmte ein. „Nein Zussa, wir sollten nicht mit ihr spielen. Sie sieht so… sieht so… klobig aus.“ „Ja, richtig klobig“, antwortete Zussa. Dann sprach die Riesenfrau. „Genug des Ganzen. Ich glaube euch nicht, aber habe den Riesen gesehen. Sie nennen sich die Herrscher der Wolken, leben in ihren hohen Schlössen. Sie halten sich für etwas Besonderes, doch ich frage euch, was treibt die Wolken davon? Natürlich… kein flaues Lüften. Ein ausgewachsener Sturm.“ Neire nickte und begann zusprechen, als wieder Ruhe eingekehrt war. „Ich bin mir nicht sicher, ob es euch gefällt hier. Mit all eurem Essen und diesen schönen Ketten. Wieso habt ihr sie nicht längst gesprengt, wenn ihr so stark seid?“ Die Riesin lächelte und sprach jetzt leiser. Ihre Stimme wurde von einer Windböe zu einer Brise. „Kommt her und versucht mich zu befreien. Ich werde Jarl Gramnir niederstrecken. Gemeinsam können wir es schaffen.“ Neire glaubte jetzt die Oberhand zu gewinnen. Er trat mutig einen weiteren Schritt nach vorn und verbeugte sich nochmals. „Wir dienen der Göttin von Flamme und Düsternis, Jiarlirae. Leistet einen Treueeid auf sie. Verpfändet eure Seele. Tut es aus freien Stücken und wir werden euch befreien.“ Die Riesin lachte auf und ihre Worte wurden zu einem Grollen. „Ha, Jiarlirae. Befreit mich und wir kämpfen gegen Gramnir. Dann werden wir sehen, ob ich mich euer Göttin zuwenden werde.“ Neire fühlte die Enttäuschung. Es war, als ob er fortgestoßen werden würde. Wie damals, als er das erste Mal Lyriell begegnet war. Die Gedanken erfüllten ihn mit großer Trauer. Instinktiv reichte er nach der Macht der Augen des Jensehers. Die Welt verschwamm zu rötlichen Farbtönen. „Wir sind als Freunde gekommen und als Freunde könnten wir den Weg hinaus gehen. Schließt euch Jiarlirae an, tut es!“ Wie Engelszungen klangen Neires gelispelte Worte. Er sah, dass die Frau ihm lauschte. Doch ihr Lächeln verwandelte sich in ein abfälliges Grinsen, als sie seiner Verhexung widerstand. „Richtige Freunde brechen diese Ketten. Befreit mich und wir kämpfen gegen Gramnir. Dann sehen wir weiter.“ Neire stampfte mit dem Fuß auf. Tränen flossen über Wangen und Kinn. Er fühlte einen tiefen Schmerz. Er sah Lyriell vor sich. Mit ihren kupferfarbenen Locken. Er erinnerte sich an die blasse, weiche Haut ihres wohlgeformten Gesichtes. Die vertikalen Pupillen ihrer grünen Augen. Als er aufblickte, kannte er nur Schmerz, Hass und Wut. Er schrie und seine Stimme überschlug sich. „Tötet sie Zussa. Tötet sie Bargh. Flamme und Düsternis weben ihr Ende. Das Chaos soll sie überkommen.“ Dann stürmte auch Neire auf das Wesen hinzu. Die Welt um ihn war noch immer rot. Die Szene hatte etwas Gespenstiges. Wie kleine Ameisen, die in überbordender Verrücktheit in ihren Tod rennen würden. Die Riesin richtete sich auf und ballte die Fäuste. Sie sprach herausfordernde Worte. Dann kam die Dunkelheit des unheiligen Ritters über sie. Und mit ihm kamen die Flammen. Neires Traum war rot vor Blut, wie seine Welt rot war. Und Schmerz, Hass und Wut begannen sich in Wohlgefallen aufzulösen.

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Sitzung 77 - Die Hallen Des Jarls
« Antwort #82 am: 9.09.2023 | 14:54 »
Um sie war das flackernde Licht von Fackeln. Zussa sah die dunklen eisernen Kettenglieder, die die Riesin gefesselt hatten. Sie keuchte, als sie Neire folgte. Sie lachte immer wieder auf. Rötlich-nass schimmerte ihr Säbel. Alles kam ihr wie in einem Traum vor. Das Blut lief in Strömen von dem Leib, der immer noch warm war. Es roch hier nach verbrannter Haut. Sie sah die tiefen Schnitte von Barghs Klinge und musste noch lauter lachen. Was oder wer sollte sie aufhalten? Zussa sah Neire, der sich weiter auf den Kopf der Gestalt zubewegt hatte. Der Kopf der Riesin lag dort reglos und ohne Wunden. Ihr hübsches, nobles Gesicht wirkte fast friedlich. Blass glänzte die Haut und auch das dunkelblonde Haar hatte einen türkisenen Schimmer. Zussas Lachen verwandelte sich in ein Schnauben, als sie zu sich murmelte. „Wie hat sie mich genannt? Kleine rote Fliege? Ha! Kann eine Fliege stechen? Kann sie Feuer und Dunkelheit bringen?“ Sie war jetzt über den gesamten Körper gegangen. Über die tiefen Schnitte, die Barghs Klinge Glimringshert dem Wesen zugefügt hatte. Am Kopf traf sie auf Neire, der seinen Tarnmantel zurückgezogen hatte und das enorme Gesicht betrachtete. Zussa blickte in die großen blauen Augen der Riesin und sagte. „Hat sie nicht schöne Augen Neire? Ich will eines davon.“ Sie begann ihren blutverschmierten Säbel in Richtung des Auges zu führen, da hörte sie Neires zischelnde Stimme. „Wartet Zussa, ich helfe euch.“ Gemeinsam fingen sie an zu schneiden. Neire half ihr, den Säbel zu führen. Doch der Versuch misslang. Das Auge platzte auf und Blut und Flüssigkeit strömte hervor. Zussa schrie auf. „Neire, ihr habt es vermasselt.“ Doch Neires Antwort besänftigte sie. Es war so ein lieblicher Gesang in seiner Stimme. „Es kann passieren Zussa. Wir haben ein solches Wesen noch nie gesehen. Ihre Augen wollten Jiarlirae nicht sehen, unsere Göttin konnte sie nicht begreifen. Seht, das andere Auge. Eine zweite Chance habt ihr.“ Zussa machte sich wieder ans Werk und diesmal gab ihr Neire nur Hinweise. Der Säbel vollzog sein grausames Werk und sie konnte das Auge aus der Höhle lösen. Verwundert nahm sie es in beiden Händen auf. Es war so schwer und so groß. Es war so schön. Doch Zussa wurde klar, dass das Auge nicht das Richtige war. „Ach, Neire, es ist doch viel zu groß“, sagte sie und warf das blutende Etwas achtlos zur Seite. Sie spielte Langeweile vor, doch innerlich spürte sie die Verzweiflung auf der Suche nach ihrer Maske. Neire legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter und lächelte sie an. Er hatte sich verändert nach ihrem Kampf gegen die Eisschlange. „Schaut, wie schöne Haare sie hat. Sie glitzern grünlich, wie eine Art Perlmutt. Vielleicht wären diese Haare etwas für eure Maske, Zussa.“ Zussa nickte freudig und ihre Miene begann sich aufzuhellen. Sie strich sich mit ihren blutverschmierten Händen durch die Haare. „Ja das ist es Neire. Ihre Haare.“ Sie suche sich eine Stelle mit helleren Strähnen und begann dort zu schneiden. Zuerst tief in die Kopfhaut. Der Säbel war scharf, doch es war eine kraftzehrende Arbeit. Neire half ihr dabei. Dann hielt sie ein Stück blutige Kopfhaut in ihren Händen. Die Haare reichten fast bis zu ihren Füßen und fielen in blonden Locken hinab. „Schaut Neire!“ Zussa frohlockte glückselig. „Dies soll ein weiterer Teil meiner Maske werden.“

Sie hatten danach die Höhle verlassen und waren weiter in die Hallen des Jarls vorgedrungen. Zussa war sichtlich gut gelaunt gewesen. Sie hatte Neire immer wieder Fragen nach seiner nebelheimer Vergangenheit gestellt, die Neire in kurzen Sätzen beantwortet hatte. Nachdem sie eine Höhle mit Fässern und Kisten untersucht hatten, die Nahrungsmittel und Wasser enthielten, waren sie in ihrem weiteren Weg augenblicklich verstummt. Vor ihnen lag eine riesige unterirdische Halle, die durch Fackelschein und Feuerkäfer erhellt wurde. Wie auch zuvor, hingen metallene Käfige an Ketten hinab, in denen die schwarzen Insekten mit den rötlich glühenden Hinterleibern gefangen waren. Auf der linken und rechten Seite der Höhle konnten die Anhänger Jiarliraes zwei Emporen sehen, die aus der Felswand aufragten. Steinerne Treppen führten dort hinauf. Hölzerne Bänke und Tische waren an den Seiten der Höhle zusammengestellt, die auf vergangene, große Feste hindeuteten. Im hinteren Teil der Höhle erblickten sie einen großen Thron, von dem ein Blitzen und Funkeln von Edelsteinen ausging. Der Thron ragte aus dem Bereich einer ausgehöhlten Felserhöhung auf und auch dort war eine Tafel zu erkennen. Im Schatten von Barghs Klinge traten sie vorsichtig näher. Dann sahen sie die beiden Kreaturen, die sich auf der linken und der rechten Brüstung positioniert hatten. Beide Riesen des Gletschers starrten in ihre Richtung – als ob sie sie bereits bemerkt hätten. Doch sie reagierten nicht. So bewegte sich Bargh leise vorwärts, bis er zu einem Felsvorsprung kam. Er nickte Neire und Zussa grimmig zu und stürmte dann los, auf die rechte Brüstung hinzu. Augenblicklich brüllten die Riesen Warnrufe. Beide begannen zwei Felsbrocken hochzuheben, welche die Größe von kleineren Pferden hatten. Bargh hatte jedoch die erste Kreatur schon erreicht. Er duckte sich unter dem Wurf hinweg und stieß mit Glimringshert zu. Das Grollen der Kreatur verwandelte sich jetzt in einen Todesschrei. Der tonnenschwere Leib brach kraftlos in sich zusammen. Keinen Moment zu spät drehte sich Bargh um. Abermals duckte er sich und entging dem zweiten Felsbrocken nur knapp. Dann überschlugen sich die Dinge. Neire beschwor drei glühende Kugeln, die im Körper des zweiten Riesen explodierten. Sie hörten bereits nahende Schritte von zwei weiteren Kreaturen, die hinter dem Thron hervorbrachen. Außerdem stürmten einige Oger auf sie zu, die aus einem Höhlengang flackernden Lichtes drangen. Unter den Gesängen Zussas jedoch, spürten sie die unheilige Kraft, die innere Verbundenheit, die sie furchtlos kämpfen ließ. Neire tötete den verletzten Riesen auf der Empore mit einem dunklen Zauber. Dann stürzten sie Bargh sowie Zussa in das Kampfgetümmel und Neire lauerte in den Schatten. Der Kampf war blutig und erbarmungslos, wussten die Kreaturen doch, dass sie ihnen keine Gnade erweisen würden.

Neire hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen und ging auf die Gruppe von Riesinnen und ihre Zöglinge hinzu. Er umrundete den Leichnam der gewaltigen Kreatur; den Gletscherkrieger, der die Frauen und Kinder beschützt hatte. Der Riese war von Bargh niedergestreckt worden und hauchte gerade sein Leben aus. Die Zöglinge kauerten sich in Furcht zusammen. Auch den sechs Riesinnen war eine Mischung aus Furcht und Ungläubigkeit anzusehen, doch sie ballten ihre Hände zu Fäusten. Neire hob den Kopf und lächelte die Kreaturen an. Sein gold-blondes Haar schimmerte und der silberne Stirnreif mit dem großen Diamanten verlieh ihm ein nobles Aussehen. Er verdrehte seine Augen und reichte nach der Macht des Jensehers. Die flackernden Fackeln des Tunnels begannen einen rötlichen Glanz anzunehmen. Dann verschwand die kalte Höhle in einem Schleier aus Purpurfarben. Neire spürte die Macht der Gebete, die Zussa entfesselt hatte. Er blickte die Kreaturen an; er versuchte sie zu umgarnen. Auf dass sie sich an ihn bänden. Reihum ging sein Blick und die Furcht wurde zu Freundschaft. Die Kinder, von denen einige bereits größer als Bargh waren, fingen wieder an zu spielen. Zwei Riesinnen misstrauten seinem Blick. Weiter starrten sie in Barghs Richtung. Musterten ihn hasserfüllt. Dann sprach Neire zu den Riesinnen. Er betrachtete ihre weißbläulich schimmernde Haut. Er bewunderte ihre langen und vollen blonden Haare. „Wir sind gekommen als Freunde. Wir sind gekommen, um euch zu helfen. Doch der Feind ist unter euch. Es sind diese beiden dort. Zögert nicht und tötet sie. Ihr habt den Segen von Jiarlirae.“ Drei der Riesinnen verstanden seine Worte nicht, doch eine drehte sich um, ballte ihre Fäuste und verteilte eine gewaltige Ohrfeige. Im ersten Moment geschockt, wussten die beiden Riesinnen nicht, wie sie antworten sollten. Dann flammte der Hass in ihren Augen auf. Sie konzentrierten sich auf ihre Angreiferin und schlugen auf sie ein. Sie ließen nicht von ihr ab. Auch nicht, als Düsternis und Flamme zu ihnen kam. Der dunkle Ritter hatte ein leichtes Spiel. Bargh ließ die heilige Klinge Glimringshert ihr blutiges Werk vollbringen. Schon brach die erste Riesin tot zusammen. Neire stachelte währenddessen die seine an. Jetzt schlug sie mit der Faust zu. Sie traf den Kehlkopf ihrer Widersacherin und diese ging mit einem röchelnden Fluch auf den Lippen darnieder. Seine Riesin drehte sich wieder zu Neire um. Blut lief von ihrer Nase und es waren Prellungen in ihrem Gesicht zu sehen. Neire lächelte ihr abermals zu: „Ihr habt gutgetan und Schlimmeres verhindert. Verweilt hier und wartet auf unsere Rückkehr. Es soll euch nichts passieren.“

Hinter einem von drei Felsbrocken hatte sie ein Schnauben und ein Kratzen auf Stein gehört. Sie hatten sich entschlossen in diesen Bereich einzudringen und Bargh schob die obersten beiden Steinbrocken nach hinten. Nachdem das Poltern verklungen war, zog der dunkle Krieger sich hinauf und half Zussa nach. Dann hörten sie alle die schweren Schritte näherkommen. Bargh drehte sich um und zog Waffe und Schild. Er blickte hinein in eine Höhle, die von Knochen und Fellresten bedeckt war. Der Gestank von Verwesung und von Fäkalien kam ihm entgegen. Auch Zussa rückte vor und hielt ihren Säbel voran. Neire begann gerade die Steine hinaufzuklettern, da tauchten die ersten beiden Geschöpfe auf. Das Knurren verwandelte sich in ein Brüllen. Weißliches Fell schimmerte in der Dunkelheit und fletschende Zähne waren zu sehen. Beide Bären hatten enorme Ausmaße. Über ihren Schädeln war ein metallenes Geschirr zu sehen, in dem Edelsteine funkelten. Sie begannen sich vor der Öffnung aufzurichten und Bargh anzugreifen. Bargh wiederum stieß sein Schwert nach vorne. Er rammte die Klinge dem ersten Polarbären in die Schnauze, die er durchschnitt. Der zweite Streich drang tief in den Schädel und der schwere Leichnam begann in sich zusammenzusinken. Zussa und Neire griffen nun den verletzten Bären an und stachen in nieder. Doch zwei Kreaturen drängten nach, und nahmen den Platz ihrer einstigen Gefährten an. Sie konzentrierten ihre Angriffe auf Bargh, der wiederum sein Schild erhob. Einen Biss konnte er abwehren, doch zweimal brachen die schweren Tatzen über seine Rüstung. Doch Bargh gab nicht nach. Er rückte nach vorne und der Rubin in seinem rechten Auge schimmerte rötlich. Gemeinsam kämpften sie die beiden Kreaturen nieder. Bargh schnappte nach Luft und ließ sich auf ein Knie hinabsinken. Er hustete Blut und hielt sich die Seite. Dort wo die Tatze in sein Fleisch eingedrungen war. Vorsichtig lösten Neire und Zussa seinen Panzer und begannen die Blutung zu stoppen. Sie wuschen die Wunde mit Wasser aus und zerrieben dort Heilkräuter. Dann begann Bargh ein Gebet zu murmeln. Er legte seine Hand auf seine Brust und sprach die heiligen Worte an den Henker der letzten Einöde. Rötlich glühte sein Panzerhandschuh aus schwarzem Stahl auf und die Wunden begannen sich zu schließen. Sie stiegen hinab und begutachteten ihre Beute. Bargh verlangte, dass sie die Bären häuteten. So zog der Krieger einen Dolch und begann zu schneiden.

Neire betrachtete Bargh, der einen tiefes Stöhnen von sich gab und beide Felsen nach vorn drückte. Nach der Häutung der Polarbären hatten sie auf der anderen Seite der Höhle einen weiteren Ausgang entdeckt, der von zwei aufeinander aufgetürmten Felsen versperrt wurde. Es gab ein Knirschen von Stein und dann ein Poltern, als die Blöcke, die jeweils eine Größe eines Hauses hatten, nach hinten umkippten. Neire ließ seinen Blick in das Licht gleiten, das dort hervorkam. Doch innerlich war er bei Jiarlirae. Er lauschte den Gebeten, die Bargh und Zussa angestimmt hatten. Sie waren dort. Wie das Rauschen der Brandung, das er in Dreistadt kennengelernt hatte. Hinter dem Eingang, den die Steine nun freigegeben hatten, konnte eine Höhle erblicken. Dort waren Schlaflager, Felle und zwei große Tische zu sehen. Augenblicklich zuckte er zusammen, als er die massiven Gestalten bemerkte. Sie waren so groß, dass das Licht der Fackeln nicht ganz zu ihnen hinaufdrang. Grimmige Krieger, in Kettenhemden gekleidet und von hellem Haar und blau-grünlich glitzernder, blasser Haut. Die Riesen brüllen und erhoben ihre doppelköpfigen Äxte. Ein schwerer Steinbrocken sauste an Neire vorbei und auf Bargh zu, doch der Krieger Jiarliraes lenkte die Flugbahn mit seinem Schild zur Seite. Neire musste schneller handeln. Zitternd begann er den Schwefel mit dem Fledermausdung zu zerreiben. Dann entfesselte er seine schwarze Kunst. Für einen Moment schloss er die Augen. Dann sah er das Glühen der Explosion, das die Riesen einhüllte. Die Druckwelle war heftiger als sonst, das Feuer strahlender und schöner. Zwei Riesen schrien in Todesqualen und verbrannten jämmerlich. Verkohlte Leichen sackten zu Boden. Der Rest setzte sich in Bewegung. Doch da war Bargh. Er stürmte an Neire vorbei und nahm den Kampf an. Auch Zussa folgte todesmutig. Sie alle wurden angestachelt durch die Gebete. Und ihre Göttin half ihnen. Jeder Streich war ein Treffer. Jede Wunde tief und grausam. Sie schlachteten die Kreaturen dahin. Sie töteten sie; sie, die nicht kannten die Flamme, noch die Düsternis. Doch Neire kannte kein Mitleid. Er war mit seinem Bruder und mit seiner Schwester. Sie hatten ihre Göttin, sie hatten Jiarlirae.

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Sitzung 78 - Jarl Gramnir
« Antwort #83 am: 16.09.2023 | 12:45 »
Um Bargh, Neire und Zussa war das Knistern von Flammen zu hören. Kleinere und größere Feuer ließen dunkle Rauchschwaden aufsteigen, die sich in den Höhen der Wohnhöhle verloren. In der Halle war der Gestank des Todes. Übergroße Leiber zeigten teils grausame Brandwunden und tiefe Schnitte. Durch die Hitze hatten sich Muskeln gespannt, so dass die Extremitäten einiger Gletscherriesen in grotesker Weise angewinkelt waren. An anderen Stellen waren Gedärme hervorgequollen, die einen üblen Geruch von frischen Innereien und Blut verbreiteten. Bargh keuchte schwer und Neire zitterte. Doch sie ließen sich keine Ruhe. Nur Zussa schien von einer arroganten Überheblichkeit, als sie mit staksigen Schritten zwischen den Leibern her stolzierte. Sie blickten sich um. Über ihnen taumelten die Käfige der Feuerkäfer. Die Körper derer Rieseninsekten, die im Feuer Neires schwarzer Kunst gebraten worden waren, hatten ihren roten Schimmer verloren. Die chitinernen Platten waren aufgeplatzt. Die Käfer in den Winkeln der Halle waren nicht betroffen worden und von dort drang rötliches Licht. „Bargh Zussa! Ich höre Stimmen. Aus dieser Richtung. Seid auf der Hut.“ Augenblicklich erhob sich Bargh und streckte Glimringshert hervor. Die Düsternis, die vom dunklen Krieger Jiarliraes ausging, gab ihnen Geborgenheit; die Gebete Zuversicht. So bewegten sie sich vorsichtig der dunklen Öffnung zu, aus der Neire meinte die Geräusche gehört zu haben. Sie flüsterten sich gegenseitig Mut zu. Hinter der Öffnung lag ein dunkles Gemach, in dessen rechtem Teil sie eine riesige Tafel und eine Anhäufung von Trophäen sehen konnten. Zur Linken war Lichtschein aus einem Durchgang zu erkennen, der zwei felsige Stufen hinaufführte. Dort waren auch die Geräusche zu vernehmen. Bargh lenkte seine Schritte in diese Richtung. Er bewegte sich in den Eingang, doch er verharrte in den Schatten. Sie konnten jetzt in die Höhle hineinblicken, die sich hinter dem Durchgang auftat. Durch Felle und Möbel machte das riesenhafte Gemach einen nobleren Eindruck. Doch alles war so groß. Im Lichte von Fackeln und dem rötlichen Glühen der Feuerkäfer, sahen sie das letzte Aufgebot der Riesen. Drei Frostriesen mit grimmigem Ausdruck waren dem Eingang zugewandt. Sie trugen Kettenhemden, konische Helme mit Nasenschutz und lange Fellmäntel. Alle waren mit Schilden ausgerüstet, während zwei Speere und einer ein Schwert trug. Hinter dieser grimmigen Wache war Jarl Gramnir und eine Frau zu sehen. Der Jarl hatte einen gewaltigen Bauch, doch er war muskulös. Er war von haarlosem Schädel und offenbarte ein gealtertes Gesicht mit einer langen Narbe, von Wange bis zur Lippe. Ein weißlicher Bart hing bis auf den Bauch hinab. Mit beiden Händen trug er ein Schwert, das selbst für einen Riesen groß war. Gramnir war in einen Kettenpanzer gekleidet und von kostbaren Fellen bedeckt. Zwei Schädel von Polarbären verzierten seine Schultern. Die Frau an seiner Seite war nur unwesentlich kleiner. Sie besaß ein rundliches Gesicht, das von blonden Locken eingerahmt war. Auch ihr war das Alter anzusehen. Sie trug einen, von Fellen verzierten, Lederharnisch und einen breiten Gürtel. Als Neire den Raum sah, begann er augenblicklich seine dunkle Kunst zu wirken. Er beschwor die Mächte des Feuers. Die Riesen jedoch hörten sein Gemurmel. Jarl Gramnir brüllte auf und wies mit dem Schwert in Richtung des Eingangs. Langsam bewegten sich die drei Schildträger nach vorn, nicht wissend was dort in der Dunkelheit lauerte. Sie bewegten sich zu langsam. Die Explosion aus rötlichem Magmafeuer hüllte die Kreaturen ein. Sie schrien und brüllten. Sie sahen den dunklen Krieger Jiarliraes in den Flammen, sahen seinen rot schimmernden Kristall. Jetzt wandelte sich ihr zögerliches Vorrücken in nackte Wut. Bargh wiederum visierte den rechten Riesen an und schnellte nach vorn. Den ersten Schlag konnte das kolossale Wesen noch mit seinem Schild abwehren. Dann fuhr Grimlingshert in den Unterleib. Das Kettenhemd wurde durchtrennt und Gedärme quollen hinab. Der Riese versuchte noch die Eingeweide wieder in seinen Leib zu stopfen; dann brach er zitternd zu Boden. Sie hörten dumpfe Schritte und sahen, dass Gramnir sich nun selbst in den Kampf stürzte. Er baute sich vor Bargh auf und lachte. Er hob sein Schwert und stachelte seine Untergebenen an. Währenddessen begann die Riesin zu murmeln. Sie zeigte auf Bargh und entfesselte ihre Frostmagie. Doch das dunkle Schwert Glrimringshert begann Schatten zu bluten und der Zauber verfloss in diesen. Jetzt griff Gramnir an. Es gab ein Kreischen von Metall auf Metall, als Bargh den ersten Schlag mit dem Schild blockte. Nur knapp verfehlte ihn der zweite Streich. Auch die zwei verbliebenen Riesen griffen nun an. Sie stießen ihre Waffen nach Bargh. Verbrannt durch das Feuer und beeinträchtigt durch die Gebete von Bargh und Zussa gingen auch ihre Angriffe ins Leere. Bargh wiederum reagierte und rammte nun sein Schwert in den Leib des Jarls. Zussa und Neire beschworen Kugeln aus rötlichem Feuer. Das Grauen war in den Augen der beiden Schildträger zu sehen, als Jarl Gramnir blutüberströmt zu Boden ging. Bargh hatte mit einem gezielten Schlag die Kehle des Jarls zerschnitten, als dieser sich von seinem Angriff hatte aufrichten wollen. Die Muskelmassen des fettleibigen Körpers begannen wie wild zu zucken, als sich Gramnir seine Kehle hielt. Dann fiel er nach hinten über. Jetzt griffen sie die beiden verbleibenden Kreaturen an. Bargh zeigte ihnen keine Gnade. Auch Zussa hatte ihren Säbel gezogen und lachte verrückt auf, als sie sich an Barghs Seite auf die übergroßen Gegner stürzte. Nachdem sie die beiden Schildträger getötet hatten, schritten sie der Riesin entgegen. Die Frau hatte ein weiteres Mal ihre Eismagie gewirkt und sich zu vier Ebenbildern vervielfältigt. Sie zog gerade todesmutig ihren Streitkolben. „Wollt ihr leben? Dann legt eure Waffen nieder und leistet einen Schwur auf Jiarlirae“, sprach Bargh. Für einen Moment blickte die Riesin auf Bargh hinab. Sie legte den Kopf schief. Dann stieß sie einen unverständlichen Fluch aus und kam näher. Bargh griff an. Klirrend brach ein Spiegelbild nach dem anderen in sich zusammen. Bargh blockte einen Angriff der Kreatur. Dann stach er mit Glimringshert tief in ihre Brust. Die Flammen verbrannten die Lungen und Rauch stieg aus ihrem Mund auf. Für Neire und Zussa hatte es den Anschein einer feurigen Umarmung. Dann schlug der Leichnam auf den Boden und mit ihr hauchte der letzte Widersacher seinen Atem aus.

Sie hatten danach die Gemächer durchsucht und nach weiteren Riesen Ausschau gehalten. Doch die kalten Höhlen waren verlassen. Dann hatten sie sich an die Plünderung begeben. Sie hatten die Leichen durchsucht und ihnen Gold und Geschmeide sowie ihre Bernsteinarmreifen abgenommen. Danach waren der Trophäenraum und die Schatztruhen von Gramnir untersucht worden. Nachdem sie alles in Ortnors seltsamen Labor verstaut hatten, hatten sie sich den Tunnel angeschaut, den sie hinter den Vorhängen in Gramnirs Gemach gefunden hatten und der in die Tiefe führte. Der Tunnel hatte nach einem geheimen Fluchtweg ausgesehen. Im Stein einer kleinen Aussparung hatte Neire eine versteckte Kiste mit weiteren kostbaren Gegenständen gefunden. Zudem hatte er Zussa und Bargh auf die Metallstäbe aufmerksam gemacht, die in der Decke zu sehen waren. Sie waren herausziehbar gewesen und Neire hatte ein Portal entdeckt. Ein Portal, von dem er sich fast sicher gewesen war, dass es an einen anderen Ort auf dieser Welt führte. Sie hatten sich entschieden im Gemach von Gramnir zu rasten. Das große Bett des einstigen Jarls hatten sie mit weiteren Fellen belegt. Jetzt, nach mehr als einem halben Tag der Ruhe, richtete sich Zussa nervös auf, schritt staksend umher und betrachtete ihre Gefährten. „Neire, Bargh, wir haben die Frauen und Kinder vergessen. Ihr wisst schon. Die, die in der Höhle bleiben sollten. Ob sie noch dort sind? Wir müssten nachschauen.“ Neire begann sein Buch mit dem dunklen, ledernen Einband im Rucksack zu verstauen und richtete sich gähnend auf. „Und dann Zussa? Was wollt ihr mit ihnen machen? Wir haben noch nicht alle Höhlen erforscht. Wir wissen nicht was sich dort verbirgt. Wir sollten sie vielleicht dort lassen. Oder was meint ihr Zussa?“ Zussa dachte kurz nach. Dann warf sie ihre rotblonden Locken zurück. „Oder wir nehmen sie mit… lassen sie vorgehen. Ihr könnt sie befehligen Neire, ja?“ Neire nickte und dachte nach. Er mochte die Entschlossenheit in Zussas Stimme. Er spürte ihre Verbundenheit zu Jiarlirae. Wie konnte sie falsch liegen. „Nun Zussa. Wenn es eure Entscheidung ist, dann nehmen wir sie mit. Lasst uns zur Höhle mit der Geheimtür zurückkehren.“

Neire hatte den Pulk durch die Tunnel geführt. Vorbei an verbrannten und geschändeten Leichen. Vorbei an Tod und Zerstörung. Die Kinder hatten bei ihrer Ankunft ängstlich geblickt. Ein Quengeln und fragende Blicke waren zu sehen gewesen. Dann war Neire hervorgetreten und hatte sie begrüßt. Die Riesinnen hatten ihn angelächelt und die Bälger begannen freudig mit ihm zu spielen. Neire hatte die Kreaturen betrachtet. Selbst den Kleinsten, die bereits etwas größer als er selbst gewesen waren, schien die Kälte nichts auszumachen. Die Jüngsten waren von niedlichem Aussehen gewesen. Mit blonden Haaren und höheren Stimmen. Schließlich hatte er den Aufbruch befohlen. Die Riesin, die ihn hatte verstehen können, hatte Befehle gegeben und so waren sie in die große Eingangshalle mit den Fresken zurückgekehrt. Hier entschieden sie sich für den Ausgang, der von Felsen versperrt war. Bargh zog einen Brocken nach dem anderen heraus. Dahinter konnten sie einen sieben Schritt hohen Gang erkennen, der nach links um eine Ecke führte. Kalte Luft drang ihnen entgegen. Neire schickte den Pulk vor. Die Riesinnen nahmen ihre Kinder bei der Hand. Sie führten sie in die Dunkelheit. Je weiter sie kamen, desto mehr mussten sie tasten. Sie orientierten sich an den Felswänden entlang. Nur langsam folgte Bargh und hinter ihm Neire. Kurz vor der Ecke hörten sie monströse Geräusche hinter der Biegung, die zwischen einem kreischenden Zischen und einem tiefen Brüllen wechselten. Auch spürten sie den eiskalten Windhauch, der ihnen entgegenkam. Neire wagte den vorsichtigen Blick. Hinter der Biegung sah er eine riesige Höhle, die etwa eine Höhe von 15 Schritten erreichte. Frauen und Kinder hatten sich weiter hineinbewegt und stolperten durch die Dunkelheit. Dann hörte Neire das Rasseln von metallenen Ketten. Zwei gewaltige Kreaturen, von weißlich schimmernder schuppiger Haut, richteten ihre Flügel auf. Sie blickten in arroganter Weise auf den Pulk der Frauen und Kinder hinab. Ihre hörnerbesetzten Schädel waren beeindruckend; ihre blauen Augen funkelten boshaft. Sie stießen kalten, weißlichen Dampf aus ihren Mäulern. Krallenbesetzte Füße waren zu sehen. Entfächerte Schwingen, breit wie Häuser. Beide wurden von schweren eisernen Ketten gehalten, die an Ringen um ihre langen Hälse befestigt waren. Neire sah, dass auch Bargh und Zussa die Höhle betrachtet hatten und jetzt zurückwichen. „Ruft Jiarlirae an. Erbittet ihre Hilfe“, sprach Bargh und begann selbst ein Gebet anzustimmen. Neire sah Zussa nicken. Doch diesmal waren die Worte Zussas anders. Es war eine Hymne an den Kampf, an das Urchaos, die Zussa anstimmte. Es fegte alle Zweifel, alle Ängste in Neire hinfort. Auch Bargh schien Ähnliches zu spüren, denn er hob bereits Schwert und Schild und stürmte voran. Als Neire um die Biegung schritt, erkannte er, dass der ihnen nähere Drache bereits nach einem Riesenkind gegiert hatte. Geifer lief von dem dampfenden Maul, das sich jetzt in ihre Richtung wendete. Die hasserfüllten Augen musterten Bargh. Für einen Moment schien alles so langsam. Dann stieß Bargh mit der Kreatur zusammen. Er schlug zu mit Glimringshert. Er brachte die Flamme des Chaos in diese eisige Höhle. Das Brüllen des Wesens stieg an in seiner Frequenz und wurde zu einem Kreischen. Dann rammte Bargh sein Schwert ein zweites und ein drittes Mal in den Körper. Tief in das Herz der Kreatur. Sie alle sahen das noble Geschöpf zusammenbrechen. Jetzt beschwor Neire die Bälle aus Magma. Sie schlugen in den Körper des zweiten Drachens, der etwas weiter weg, auf einer natürlichen Erhebung aus Stein kauerte. Zwei der Geschosse explodierten in dunklen Magmaflammen, rissen tiefe Wunden. Dann stürzte Zussa hervor. Sie hatte einen seltsamen Trank zu sich genommen und ihr Hals hatte angefangen rötlich zu glühen. Sie entfesselte einen Schrei, der selbst den Todesschrei des Drachens überstieg. Rötliche Magmaflammen zuckten aus Zussas Mund und hüllten den noch lebenden Drachen in Flammen. Die Kreatur versuchte dem Feuer standzuhalten, doch sie verbrannte grausam. Sehnen begannen zu knacken, Knochen zu brechen, als sich Muskeln im Todeskampf mit dem Feuer verkrampften. Dann sackte auch der zweite Winterdrache darnieder. Neire drehte sich zu Zussa und zu Bargh. Er wollte frohlocken, er wollte Jiarlirae preisen, doch er spürte auch die Wut – den Drang weiterzumachen. Die Lust am Töten. Neire gab dem Gefühl nicht nach – er hatte andere Dinge mit den verbliebenen Riesen vor. Doch dann war da Bargh. Der Rubin in seinem rechten Auge glühte rötlich, als würde dort ein Feuer brennen. Bargh schritt zur ersten Riesin. Sie sah ihn nicht in der Dunkelheit, sah nicht ihren kommenden Tod. Bargh wütete und fällte den Leib. Einen nach dem anderen. „Bargh haltet ein. Ihr seid nicht bei Sinnen“, rief Neire, doch seine Stimme drang nicht zu dem dunklen Krieger durch. Nach den Riesinnen begann Bargh die Kinder zu töten. Ein dunkles Lachen ging durch die Höhle, gefolgt von hohen Schreien. Glimringshert flackerte auf, als es die Leben raubte. Bargh schnitt und tötete. Es war ein Blutbad. Als Bargh dem letzten verbleibenden Kind den Kopf abgehackt hatte, war Neire zu Zussa getreten. Zussa lächelte ihn an. „Schaut Neire, was für eine Freude er hat.“ Auch Neire hatte seine Stimmung geändert. Er dachte an Bargh und an Jiarlirae. „Vielleicht ist es ein Zeichen Zussa. Vielleicht ist es ein Zeichen Jiarliraes und ihre Stimme, die durch den dunklen Krieger spricht. Wir müssen weitersuchen. Streben nach Flamme und Düsternis und uns mühen Ihrer Geheimnisse.“

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Sitzung 79 - Zum Tempel des Jensehers
« Antwort #84 am: 23.09.2023 | 11:24 »
Wärmere Luft stieg aus dem abgeschiedenen Tal. Schneebedeckte, schroffe Berge umringten den tiefen Einschnitt in die Landschaft. In der Sohle der Senke glitzerte ein grünlicher See. Za`kvid hielt einen Moment inne und lauschte. Im Wind, der niedrig wachsendes Moos und Gestrüpp bewegte, konnte er keine Geräusche hören. Doch er hatte eine Bewegung gesehen. Irgendwo in der Tiefe vor ihm und in der Nähe der senkrechten Felswand, die sich zur Linken erhob. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber hinter den Gipfeln verschwunden. Die schroffen Spitzen warfen bereits lange Schatten und die Wolkenkanten glühten in lebhaften Rottönen. Za`kvid hatte sich heute entschlossen früher aufzubrechen. Normalerweise wanderte er in der Oberwelt bei Nacht, doch hinter den Bergen hatte der ferne Feuerball seine blendende Wirkung verloren. Za`kvid dachte einen Moment nach. Waren das die Riesen, vor denen er in Aschwind gewarnt wurde? Sollte er sich verstecken? Es war vor zwei Tagen gewesen, da er an der seltsamen Stadt vorbeikam. Eine Sphäre von Dunkelheit hatte er gesehen, die sich über Aschwind gelegt hatte. Er hatte seine Künste des Nebels verwendet, um seine Gestalt zu verändern. Um nicht unter den Menschen aufzufallen. Er hatte sich mit ihnen unterhalten und sie hatten ihm freies Geleit in diesen Landen gegeben. Ihr Anführer Laschtorn hatte ihn aber kaum beachtet und so war Za`kvid von einem Algorthas aufgeklärt worden. Der ältere Mann hatte ihn mitleidig angeschaut, als er ihm davon erzählt hatte, dass die Angriffe weniger geworden wären. Keiner, selbst nicht Laschtorn, hatte gewusst wieso. Dann hatten sie ihn entlassen, mit der Bitte zu kundschaften. Doch der alte, dickliche Mann mit dem grauen, lichten Haar hatte ihm mit einem betrübten Lächeln nachgeschaut, so als würde er bereits um sein Schicksal trauern. Za`kvid verwarf die Gedanken und richtete seine Aufmerksamkeit auf die seltsamen Stufen, die unter ihm im Felsgestein zu sehen waren. Er bewegte sich langsam und vorsichtig hinab. Das Gelände wurde zunehmend steiler und die Stufen, die in Serpentinen in die Tiefe führten, waren höher als seine Körperlänge. Mühevoll musste er sich von einer Stufe auf die nächste hinablassen. Dann sah er sie plötzlich – im Zwielicht tief unter ihm. Ein großer, hünenhafter Krieger und eine kleinere Gestalt. Doch in den Schatten, die sie umgaben, konnte er keine Details ausmachen. Auch konnte er eine dritte Bewegung sehen. Wie als ob die Luft in einem bestimmten Bereich schimmern würde. Za`kvids Herz begann etwas schneller zu pochen. Sie hatten ihn wahrscheinlich schon bemerkt und er musste handeln. Er begann die Zauberverse anzustimmen. Dann stieß er sich ab und sprang in die Tiefe. Wie von sanften Federn getragen sank er hinab. Hinzu auf das dunkle Zwielicht.

„Dort seht! Neire, Bargh.“ Zussa hatte ihren Arm ausgestreckt und zeigte auf die Gestalt, die langsam zu ihnen hinabschwebte. Bargh erhob für einen Augenblick sein Schwert, doch sie alle sahen, dass er ihnen nicht feindselig gesonnen war. Der Fremde hatte die Größe eines Kindes. Genauere Details wurden von einem braunen Mantel verborgen. Als die Gestalt vor Bargh auf den Boden sank, lachte Zussa auf und sprach: „Ihr müsst uns zeigen, wie ihr das macht. Wir könnten ein Spiel zusammen spielen.“ Der Mantelträger begann sich nun aufzurichten und zog seine Kapuze zurück. Zum Vorschein kam ein kleines Wesen, kaum größer als einen Schritt und von aschfarbener Haut. Dunklere Tätowierungen zogen sich über seinen kahlen Kopf. Er war außerdem mit einer Kriegspicke bewaffnet, die er im Gürtel trug. Er musterte die drei Streiter mit zusammengekniffenen Augen. Als ob ihm die verbleibende Helligkeit Probleme bereiten würde. „Zussa… das ist kein Kind. Schaut doch mal genauer hin. Er ist viel älter. Und… wie ihr mir Ortnor beschrieben habt, könnte er von seinem Volk sein.“ Neire war jetzt hinter Bargh hervorgetreten und hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen. Er lächelte dem Wesen freundlich zu, während Zussa kicherte. „Ortnor, ja. Jetzt sehe ich es. Es ist ein zweiter Ortnor, wie lustig. Hoffentlich ist er nicht ganz so schlecht gelaunt.“ Als Neire keine auffällige Reaktion sehen konnte, sprach er den Fremden in der Zunge der Unterreiche an. „Wie ist euer Name Fremder? Kennt ihr einen Svirfneblin namens Ortnor Wallenwirk? Er stammt von eurem Volk ab.“ Jetzt fiel die Anspannung etwas ab vom Gesicht des Fremden und er begann zu sprechen. „Nein, einen Ortnor kenne ich nicht, doch das Reich der ewigen Nacht dort unten ist groß und ich kenne nicht alle Städte meines Volkes. Mein Name ist Za`kvid, doch ihr könnt mich Zack nennen.“ Neire nickt ihm, immer noch lächelnd, zu und sprach seinen Namen in einem zischelnden, schlangenhaften Singsang nach. „Zack… es wäre unhöflich, wenn wir uns nicht vorstellen würden. Das hier ist Bargh, der Drachentöter. Das ist Zussa, die Hand der Flamme. Mein Name ist Neire. Neire von Nebelheim. Wir dienen Jiarlirae, der Göttin von Flamme und Düsternis.“ Neire sah, wie ihn der Fremde für einen Moment anstarrte. Sie hörten das Rauschen des Windes und spürten die wärmere Luft aus dem Tal aufsteigen. Bevor das Schweigen belastend wurde, erhob Neire erneut seine Stimme. „Und ihr Zack? Was macht ihr hier, allein in diesen Landen, in dieser großen Oberwelt. Das Reisen ist gefährlich in den Kristallnebelbergen.“ Zacks Augen folgten Neires ausladender Geste über die Bergkulisse, doch dann blickte er missmutig zu Boden. „Ja, die Oberwelt. Höhlen sind mir lieber… aber ich war in Aschwind und habe die dunkle Kugel gesehen. Sie haben mir von den Angriffen erzählt und mich als Kundschafter angeheuert.“ Jetzt war es Zussa die wieder auflachte. „Dann kommt ihr zu spät, Zack.“ Bargh stimmte ein, bevor Zussa fortfahren konnte. „Jarl Gramnir und seine Anhänger sind tot. Als letztes starben die Frauen und Kinder. Jeder Riese des Gletschers. Jiarlirae ist groß. Sie schenkte uns den Sieg.“ Zack runzelte die Stirn, als er Bargh sprechen hörte. Doch dann zuckte er mit den Schultern. Wieder erhob Neire seine Stimme. „Nun, wenn ihr jetzt nach Aschwind zurückreisen wollt, könnt ihr auch mit uns kommen. Unser Weg führt in diese Richtung. Und vielleicht könnt ihr Zussa und mir einige von euren Ortnor-Listen zeigen?“ Bevor Zack antworten konnte, trat Zussa näher und beugte sich kichernd über Zack hinab. „Ja Zack, zeigt uns eure Ortnor-Listen. Wir können daraus ein Spiel machen.“

~

Zack blickte sich um und dachte zurück an die vergangenen beiden Tage. Sie waren zusammen gereist und hatten sich näher kennengelernt. Die drei Menschen waren freundlich zu ihm gewesen. Neire und Zussa hatten ihn zwar mit ihren kindlichen Fragen gequält, doch die Abwechselung hatte ihm gutgetan. Die Sitten der Menschen waren Zack unbekannt. Seine neuen Gefährten waren aber anders, als er sich Menschen vorgestellt hatte. Sie beteten zu ihrer seltsamen Göttin, von der er noch nichts gehört hatte. Der Jüngling mit den gold-blonden Locken, der sich Neire nannte, hatte am Ende einer jeden Nacht ein Ritual durchgeführt, in dem er sich mit nacktem Oberkörper inmitten dreier Fackeln niederkniete und zischelnde Gebete sang. Zack hatte sich mittlerweile an die Geschichten der Überlegenheit der Göttin Jiarlirae gewöhnt. Er schenkte den religiösen Theorien aber nicht viel Beachtung. So waren sie an Aschwind vorbeigewandert. Ihr Ziel hatte in den nördlichen Kristallnebelbergen gelegen. Dorthin hatte sie Neire geführt. In der Nähe des Flüchtlingslagers, an dem Zack bereits vorbeigekommen war, hatte der Jüngling sie direkt auf ein Bergmassiv hinzugeleitet, dessen schneebedeckte Gipfel im Mondlicht zu sehen gewesen waren. Dort waren sie einem unterirdischen Flusslauf gefolgt, der sie in tieferliegende Höhlen gebracht hatte. Zack hatte alte Überbleibsel einer vielleicht längst untergegangenen elfischen Kultur gesehen. In einem viereckigen Raum aus Stein, der tief im Berg gelegen war, hatte Neire innegehalten. Neire und Zussa hatten sich dort niedergekniet und nach etwas gesucht. Sie beide hatten seltsame Runen in die Luft gezeichnet. Dann hatte Zack die Energie gespürt, die von der Stelle ausging. Seine Haare hatten sich aufgestellt und er hatte eine Gänsehaut bekommen. Neire war durch die Stelle getreten und hatte ihm zu gemurmelt: „Folgt uns Zack, wenn ihr euch traut. Unser Freund Halbohr wird auf uns warten.“ Dann waren auch Zussa und Bargh im Nichts verschwunden. Für einen weiteren Augenblick zögerte Zack. Von diesem Halbohr hatte er bereits gehört. Doch er konnte sich nicht mehr erinnern, wann es das erste Mal war. Es war so, als ob ihm die Gedanken an die großen Taten des elfischen Söldners erst jetzt bewusst wurden. Er fühlte sich sicher hier unter der Erde. Was sollte ihm schon passieren. Er machte einen Schritt durch das unsichtbare Portal. Was dann kam war kurz und gleichsam lang. Er hörte einen Gesang aus der Ferne. Dann spürte er Kribbeln auf der Haut. Es war, als ob er leichter werden würde. Das Licht um ihn herum wurde dunkler. Bis alles aus tiefer Schwärze bestand. Dann war da etwas Warmes. Er fühlte sich schummrig. Zack machte die Augen wieder auf und betrachtete die Höhle. In der Dunkelheit glitzerte etwas in den Wänden. Es war wie diese glasartige Substanz, aus der die Rüstung des Kriegers Bargh geschmiedet war. Doch da war auch die Düsternis, die sich über die Wände ausbreitete. Wie ein Geflecht von Venen zog sie sich durch den Stein. Zack drehte sich um und bemerkte die schwarze Sphäre, die dort zwischen kristallenen Säulen aus dunklem Glas stand. Vor ihm hörte er jedoch Stimmen und so wendete er sich wieder dem Geschehen zu. „Halbohr, ich habe euch fast vermisst. Wir haben euch etwas mitgebracht. Ihr werdet staunen.“ Zack sah gerade noch, dass Neire auf einige Tische zugelaufen war und einer Gestalt in die Arme sprang. Bei der Person, die dort zuvor über eine Pergamentkarte gebrütet hatte, konnte es sich nur um Halbohr handeln. Neires Mitstreiter war in einen verschlissenen Filzmantel gekleidet. Zack bemerkte blutunterlaufene grüne Augen, die forsch und wach ihre Umgebung betrachteten. Halbohr besaß zudem fettige, silberne Haare, die ihm bis auf die Schultern hinabreichten. Dort wo sich einst sein rechtes Ohr befand, war nur noch eine Fleischverwachsung von grausam verbrannter Haut zu sehen. Er trug einen Dolch, aus einem glitzernd-verdrehtem Horn, aus dessen Griff beständig Blut herabrann. „Es ist viel passiert, Neire. Ich war nicht untätig“, sagte Halbohr, der Neires Umarmung abschütteln wollte. Erst als der Jüngling lächelnd von ihm abließ, fuhr Halbohr fort. „Was habt ihr mir mitgebracht?“ Neire und Zussa stimmten jetzt gleichzeitig in ein verrücktes Lachen ein und selbst Bargh gab ein Grunzen von sich. Zack fragte sich, wo er hier war und ob die drei ihren Verstand verloren hätten. Dann griff der Jüngling mit den gold-blonden Locken in seinen Rucksack und antwortete listig: „Wir waren auch nicht untätig Halbohr. Und auch wenn der Vertrag nicht mehr existiert, müsst ihr euch jetzt wohl bis in alle Ewigkeit an diesen Vertrag halten.“

~

Der Wald knackte und krachte. Es waren nicht die Geräusche von morschem Holz. Es waren junge, gesunde Äste. Holz, das splitterte. Bargh, Zussa, Zack und Neire schlichen vorsichtig weiter. Sie waren wie zuvor im Schutze der Dunkelheit gereist. Einige Tage hatten sie sich in den Tiefen der Irrlingsspitze erholt, bevor sie wieder aufgebrochen waren. Zurück wollten sie. Zurück in die Höhlen des Jarl. Zussa hatte den Einfall gehabt. Sie wollte sich die schwarzen Metallstäbe anschauen, die sie hinter der Kammer des Jarl gefunden und als Portal identifiziert hatten. Sie waren bereits die zweite Nacht unterwegs und mussten sich irgendwo im Jotenwall befinden. Dann hatten sie alle die Geräusche gehört. Jetzt bewegten sie sich vorsichtig näher. Das Gehölz war dicht und so konnten ihre Augen die Dunkelheit durchdringen. Je näher sie kamen, desto lauter wurde ein Schnauben und ein Keuchen. Schließlich sahen sie die Schatten von drei monströsen Kreaturen, die auf sie zukamen. Die dümmlich wirkenden Gestalten waren fünf Schritte groß und gekleidet in Felle und Lederlappen. Muskulöse Arme hingen fast bis zum Boden hinab. In den niederträchtigen Gesichtern funkelten kleine schwarze Augen, wie in sehnlicher Erwartung. Immer wieder rauften sie sich ihr krauses, fettiges Haar zurück, das plump über Fettmassen an ihren Nacken fiel. Bargh positionierte sich hinter einem Baum und hatte Glimringshert und sein Schild erhoben. Der vorderste Riese verlangsamte seine Schritte, setzte den großen Sack ab und schnüffelte durch seine platte Nase. Bargh brach in diesem Moment hervor, hob seine schwarze, schattenblutende Klinge und stürmte heran. Die anderen beiden Geschöpfe ließen augenblicklich ihre Säcke fallen und griffen nach ihren Waffen. Zwei trugen dicke Äste. Die dritte eine rostige Klinge. Auch Neire, Zussa und Zack handelten schnell. Zussa stürmte Bargh nach, in einem verrückten Todesmut. Dann stießen der dunkle Krieger und die monströsen Geschöpfe zusammen. Das Gemetzel war kurz und grauenvoll. Feuer und magmaartige Kugeln erhellten den Wald; zeigten nur für Augenblicke die im Tode entstellten Fratzen der niederträchtigen Wesen. Dann senkte sich wieder die Dunkelheit über den Jotenwall. Die dumpfen Schritte und das Knacken von jungem Holz waren verstummt.

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Sitzung 80 - In den Höllenkessel
« Antwort #85 am: 30.09.2023 | 23:12 »
Ihre Reise hatte sie in den Tunnel des Jarl Gramnir zurückgeführt. Sie hatten das abgelegene Tal in den Abendstunden erreicht und den geheimen Eingang wiedergefunden. Je höher sie gestiegen waren, desto schlimmer war die Kälte geworden, die ihnen entgegengekrochen kam. In der kleinen Steinkammer vor dem Gemach des Jarls hatten sie schließlich die beiden Säulen hinabgezogen, die dort in der Decke versteckt gewesen waren. Nachdem beide Säulen eingerastet waren, hatte der Zwischenraum der Stäbe angefangen zu flimmern. Im schwarzen Gestein war plötzlich ein Glühen von rötlichen Adern zu sehen gewesen. Aus dem Schimmer des Portals war ihnen warme Luft entgegengeströmt, die nach Schwefel und verbrannten Gasen roch. Dann hatten sie sich ein letztes Mal angeschaut. Bargh, Zussa, Neire und Zack. Mit aufmunternden Worten waren sie durch das Portal geschritten. Doch Zack war ihnen nicht gefolgt. Der Tiefengnom wollte wohl andere Wege gehen. Auf der anderen Seite schlug ihnen eine Hitze entgegen. Die Luft war erfüllt mit Asche, die in ihren Augen brannte. Es herrschte ein beißender Gestank von fauligem Gas und von Schwefel. Dunkelheit war mittlerweile eingekehrt, doch der Himmel war von Schwaden verborgen. Die Landschaft um sie herum war wellenhaft und von tiefen Rissen durchzogen. Hier und dort sahen sie ein rötliches Glühen, wie von unterirdischen Lavaflüssen. Der Boden vibrierte ständig. Ein dumpfes Grollen, wie auch ein Zischen, war zu hören. „Dort schaut… ein Eingang zwischen zwei schwarzen Säulen.“ Neire wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die die brennende Asche in seinen Augen verursachte. Die Asche vermischte sich mit den Tränen zu schmutzigen Schmieren. Mit seiner verbrannten Hand zeigte er auf den Hügel aus schwarzem Gestein, der sich vor ihnen auftat. Bargh wollte sich aufrichten, aber er wurde von einem Husten heimgesucht. Nur langsam gewann der Krieger Fassung und begann die Stehlen in den Fels zurück zu drücken, der hinter ihnen aufragte. Sie sahen, dass das Portal sich geschlossen hatte. Die Stehlen waren im Stein verschwunden. „Wir werden uns diese Öffnung anschauen. Folgt mir. Jiarlirae ist mit uns. Ich spüre sie an diesem Ort“, sprach Bargh und zog Schwert und Schild. Im Schutz der Schatten Glimringsherts näherten sie sich dem Portal. Als sie an die Öffnung kamen, offenbarte sich ihnen ein Blick in das Innere des Hügels. Der Tunnel, der dort hinein führte, war etwa vier Schritt breit und acht Schritt hoch. Es schien, als wäre er mit einem härteren, dunkleren Gestein ausgebaut worden. An den Wänden waren Gasfackeln zu sehen, die in einer rötlichen Flamme mit leichtem Grünton brannten. Sie sahen keine Bewegung und schlichen in den Berg hinein. Die Luft war hier noch wärmer. In einiger Entfernung bemerkten sie eine Öffnung und hörten dahinter das Knarzen von Holz. Augenblicklich setzte sich Bargh in Bewegung und stürzte den Gang hinab. Als er an der Öffnung ankam, trat ihm eine Kreatur entgegen. Der Riese hatte eine aschgraue Haut und war knappe fünf Schritt groß. Definierte Muskeln spannten sich, als er die riesige doppelschneidige Klinge hob. Aus dem rundlichen Gesicht blickten Bargh zwei schwarze Kugelaugen abfällig an. Gekleidet war die Gestalt in einen Schienenpanzer aus dicken Metallbändern. Ihr dunkles Haar und ihre Rüstung waren von einer Schicht Ruß besetzt. Noch bevor die Kreatur reagieren konnte, ließ Bargh seine Klinge hervorschnellen. Wieder und wieder schlug er auf das Wesen ein, das nach dem dritten Hieb zusammenbrach. Gemeinsam zogen sie den schweren Leib in die Kammer, aus der der Riese aufgetaucht war. Zussa verweilte an der Tür und horchte. Sie waren sich nicht sicher, ob sie bereits entdeckt worden waren.

~

„Lasst uns Jiarlirae um Hilfe bitten. Lasst uns unsere heiligen Gebete anstimmen. Seid ihr bereit Mädchen?“ „Natürlich bin ich bereit. Worauf wartet ihr noch Bargh. Was trödelt ihr noch hier noch herum?“ Neire musste sich ein Lächeln verkneifen, als er Zussas Antwort auf Barghs Frage hörte. Zussa erinnerte ihn an die Furchtlosigkeit der Kupfernen Krieger in Nebelheim. Oder war ihre bockige Art mit Gefahren umzugehen schon eine verrückte Laune? Nein, es musste ihr Vertrauen in die Göttin Jiarlirae sein. Es musste das sein, was sie im Tempel des Jenseher und im Portal dort hinter gesehen hatte. „Wir sollten jedenfalls nicht zu lange warten. Irgendwann werden sie einen durch den Tunnel schicken. Wir haben keine andere Wahl.“ Neire versuchte sein Zittern zu unterdrücken. Er wollte nicht zeigen, dass er Angst hatte. Nachdem sie sich sicher gewesen waren, dass sie noch nicht bemerkt worden waren, hatten sie den Raum mit dem toten Riesen wieder verlassen. Sie waren dem Gang bis an eine Abbiegung gefolgt. Dahinter hatten sie eine breite, aber unglaublich viel längere Halle gesehen. Die hohe Decke war von schwarzen Obsidiansäulen gestützt worden, die teils die Formen von Kriegern hatten. Rote Wandbehänge mit Stickereien von Kämpfern hatten einige Bereiche der Wände geschmückt. Auch hier hatten die Gasfackeln einen Teil der Halle erhellt, während die Säulen lange Schatten gezogen hatten. In der Mitte der Halle hatten sie zwei Riesen mit jeweils zwei Köpfen gesehen. Die beiden waren in einer Unterhaltung vertieft gewesen – in einer bellenden Sprache, von der Neire einige Wörter verstehen konnte. Am gegenüberliegenden Ende der Halle hatten sie Stufen gesehen, die auf eine Empore hinaufführten. Dieser Bereich war aus einem rötlichen Marmor gewesen und es hatte dort ein Thron aufgeragt. Auf dem Thron hatten sie eine hässliche Gestalt gesehen. Fettmassen hingen von einem muskulösen Körper hinab. Ein rundes breites Gesicht, grauer Hautfarbe hatte verfaulte Zahnstümpfe und eine einst gebrochene – jetzt schiefe – Nase offenbart. Die Gestalt war von fünf Riesen aschender Haut umringt gewesen, die teils in Kettenhemden, teils in Schienenpanzer gekleidet waren. Ein Riese war größer und muskulöser gewesen und hatte einen Kriegshammer getragen. Bargh nickte Neire und Zussa zu und begann seinen Choral anzustimmen. Neire betete die Worte mit. Auch Zussa stimmte nun ein und wirkte ihren Zauber. Neire spürte die Kraft von Flamme und Düsternis, die Bargh und Zussa riefen. Doch es tilgte nicht seine Angst. Er spürte, dass dieser Ort anders war. Er spürte, dass sie nicht scheitern durften. Dann schritt Bargh voran und Neire folgte ihm. Ein gutes Stück weit drang er in die Halle vor, dann hörte sie die Rufe der zweiköpfigen Reisen. Neire konnte wieder Brocken aus der Sprache der Orks erkennen. Etwas wie „Alarm“ und „Angriff“. Die doppelköpfigen Riesen drehten sich zu Bargh. Ihre niederträchtigen Augen brannten vor stupider Boshaftigkeit. Neire versuchte sich zu konzentrieren. Er zitterte vor Furcht. Vom Thron her hörte er ein Lachen und sah, dass der fettleibige Anführer auf Bargh zeigte. Die fünf Riesen um ihn herum zogen ihre Waffen und schritten auf Bargh zu. Der Anti-Paladin drang jetzt in den Nahkampf mit dem ersten doppelköpfigen Riesen. Angestachelt durch die Gebete schwang Bargh übermütig Glimringshert. Die Klinge stach tief in den Leib und der erste Riese hauchte sein Leben aus. Bargh wendete sich der zweiten Kreatur zu. Dann war die Luft von einem schneidenden hellen Ton erfüllt. Neire hatte seine Zauberformeln gefunden. Die Lanze, die er beschwor, war wie ein unsichtbares Feld von Macht. Es durchbrach die beiden Schädel und Zähne des zweiten Riesen und die Kreatur gab ein kreischendes Heulen von sich. Ihre vier Augen zerplatzten und die grausame Magie löschte ihr Leben aus. Neire sah, wie Bargh sich den Riesen zuwendete, die vom Thron kamen. „Zurück Bargh, zurück“, schrie Neire und bewegte sich in Richtung Zussa. Bargh folgte ihm. Das Lachen, das vom Thron kam, hatte aufgehört und so erwarteten sie den Kampf. Die Riesen rückten in einer Formation auf sie zu. Vorsichtig und bedacht. Neire und Zussa nutzten die Gelegenheit. Neire beschwor einen Kugelblitz aus bläulich-gleißendem Licht. Er schlug in den ersten Riesen und sprang dann auf den nächsten weiter. So ging es fort, bis der Blitz die Gestalt am Thron traf. Fast gleichzeitig erhob Zussa ihren Stecken und rief einen Blitzstrahl hervor. Die Riesen zuckten auf und brüllten vor Schmerz, doch sie stellten sich Bargh entgegen. Noch bevor sie ihn erreichen konnten, beschwor Neire ein weiteres Feld der Macht. Zwei Riesen erreichten den Kampf nicht mehr. Zu tief waren ihre Wunden, die Neires und Zussas Magie gerissen hatten. Mit fast spielerischen Schnitten tötete Bargh die drei verletzten Kreaturen. Jetzt sah Neire, dass die fettleibige Gestalt ihren Verstand verloren hatte. Mit Schaum vor dem Mund kam sie auf Bargh zu gerannt. Bargh hob sein Schild und sein Schwert und begann zu lachen. „Kommt her, Bastard!“ Der heilige Krieger Jiarliraes verhöhnte den Thronsitzer in seinem Mordrausch. Doch auch der letzte Riese, im wallenden silbernen Seidenumhang, war schwer verwundet. Noch einmal zuckten die Blitze aus Zussas Stecken durch seinen Körper und er begann zu stolpern. Doch er biss die Zähne zusammen, erreichte Bargh und erhob sein Schwert. Neire kamen die Bewegungen jedoch langsam und schwach vor. Bargh machte einen Ausfallschritt und durchschnitt den Bauch der Gestalt. Die hässliche Kreatur brach mit einem dumpfen, fleischigen Geräusch zu Boden und bewegte sich nicht mehr. Jetzt blickte sich Neire hastig um. Er zitterte am ganzen Körper. Er sah keine weiteren Gegner, doch er hörte die Stimmen und Schreie durch die Tunnel hallen. Sie würden kommen, sie hatten sie bemerkt, da war er sich sicher. Sie würden ihnen keine Gnade zeigen. Doch sollten sie fliehen? Welches Schicksal hielt Jiarlirae bereit?

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Sitzung 81 - Die schwelenden Hallen
« Antwort #86 am: 7.10.2023 | 11:23 »
Sie waren tief in die fremden Hallen des riesigen Schlackeberges eingedrungen. Die Luft war warm und die beißende Asche raubte ihnen die Atemluft. Doch ihre Gebete, die sie als heilige Gesänge auf die alte Chaosgöttin angestimmt hatten, gaben Zussa, Bargh und Neire Kraft. Trotzdem wichen sie langsam zurück in den Tunnel, aus dem sie hergekommen waren. Neben dem ständigen Vibrieren des Untergrundes, konnten sie die rhythmischen Schritte hören, die sich mit dumpfen Rufen mischten. Sie ließen die letzte der großen, obsidianenen Säulen hinter sich. Das Gewölbe hatte enorme Ausmaße, so dass das rötliche Licht der Gasfackeln die Höhen über den Pfeilern nicht ausleuchten konnte. In der Ferne konnten sie noch die leblosen Körper der erschlagenen Riesen erkennen. Am Eingang des Tunnels kniete sich Bargh nieder und zog seinen Rucksack von den Schultern. Neire und Zussa kümmerten sich zuerst um die Wunden des Kriegers, dann um ihre eigenen Verletzungen. Als Bargh den Rucksack wieder schulterte, sahen sie die beiden Wachen der Riesen in den Saal vordringen. Es war ein älterer Krieger mit einem Speer, der von einem jüngeren Schwertträger begleitet wurde. Der Jüngere, bestimmt einen Kopf kleiner als der ältere Riese, begann mit seinem Schwert auf die toten Leiber zu zeigen und Entsetzen, vielleicht auch Furcht, war in seinen zusammengekniffenen, schwarzen Augen zu sehen. Der Ältere, der eine Rüstung aus Metallbändern trug, murmelte grimmige Befehle. Er versuchte zu flüstern, doch die Worte drangen dumpf und mahlend aus seinem Brustkorb. Der jüngere Riese, der keinen Helm trug und von dessen Kopf rötliches Haar hinabfiel, blickte sich nochmals hastig um. Die Dunkelheit um Bargh verschleierte aber ihre Umrisse und so setzten sich die beiden Wachen langsam in Bewegung. Angestachelt durch die Gebete und das jüngste Gemetzel drehte Bargh seinen von Asche und Schweiß bedeckten haarlosen Schädel zu Zussa und flüsterte: „Jetzt! Wir müssen zuschlagen. Sie haben uns nicht bemerkt.“ In Zussas grünen Augen war ein Funkeln von Wahnsinn zu erkennen und sie lächelte. „Lasst sie uns töten. Jiarlirae ist bei uns.“ Bargh stürmte bereits vor und begann die Kreaturen anzugreifen. Mit mehreren gezielten Schlägen machte er den alten Wächter nieder. Die Augen des jungen Riesens weiteten sich vor Furcht, als er den letzten Befehl des seines sterbenden Altvorderen entgegennahm und die Flucht ergriff. Bargh rammte ihm seine Klinge in den Rücken, doch der schwer verwundete junge Riese schleppte sich tapfer weiter. Dann wurde er rücklings von Zussas und Neires grausamer Magie getroffen. Jaulend und wimmernd hauchte er sein Leben aus. Bargh lachte tief auf und wollte sich gerade umdrehen, da stürmten zwei weitere Wachen aus dem zweiten Tunnel hervor. Beide hatten Speere, die sie zweihändig führten. Auch diese Wachen machten einen unerfahreneren Eindruck. Obwohl sie bereits muskulöse Körper besaßen, waren sie, mit einer Größe von vier Schritt, nicht ganz so imposant wie ihre ausgewachsenen Artgenossen. Sie hatten Bargh noch nicht bemerkt und starrten erstaunt auf die Leichen der Halle. In diesem Moment hörten sie alle die Stimme und konnten erkennen, dass auf der gegenüberliegenden Seite der Halle einer der Vorhänge zurückgezogen worden war. Dahinter war eine Gestalt erschienen, die die Größe der männlichen Exemplare hatte. Grau-dunkle Haut hing in Falten hinab und wurde größtenteils von Wildlederfällen überdeckt. Der Kopf der Riesin starrte Zussa hasserfüllt und dümmlich aus dunklen Schweinsaugen an. Verfilzte rötliche Haare standen vom hässlichen Schädel ab, auf dem Geschwüre zu sehen waren. Die Brüste der Gestalt baumelten offen und obszön zwischen den Fellen. Die Brustwarzen waren jedoch auf Bauchhöhe zu sehen. Die Riesin bellte Kommandos in Richtung der beiden Wachen, bevor sie sich hinter den Vorhang zurückzog. In den Augen der beiden jungen Krieger war jetzt eine Furcht zu sehen, als sie sich umblickten. Dann begannen sie sich in den Tunnel zu laufen. „Zussa, Neire, folgt mir. Sie ergreifen die Flucht, um vielleicht Verstärkung zu holen.“ Die Worte von Bargh drangen durch die Halle. Der Krieger setzte sich augenblicklich in Bewegung und blickte sich nicht um. Bargh wusste, dass er sich auf seine beiden Mitstreiter verlassen konnte. So stürzte er hinein in den langen Säulengang. Beide Krieger hatten sich noch nicht umgedreht. Bargh fiel ihnen in den Rücken und stieß mit seinem Schwert zu. Doch er hatte seine Geschwindigkeit unterschätzt. Sein Schwertstreich ging ins Leere und er stolperte – drohte gar auf seine Klinge zu fallen. Der Aufschlag war hart und sein Schwert wurde unter seinem Schild begraben. Er blickte auf und sah, dass eine der beiden Wachen sich jetzt umgedreht hatte. Der Riese blickte auf ihn hinab, doch er wollte nicht recht triumphieren. Zu verunsichert war er durch die aufgeschlitzten Leichen und die Worte der Frau. Bargh nutzte den Moment, richtete sich auf seinem Schild auf und schwang sein Schwert. Der erste Streich drang tief in das Bein. Der zweite Streich schlitzte den Bauch der Kreatur auf. Gedärme quollen hervor, als der Riese seinen Speer fallen ließ und versuchte wabernde rote Masse in den Körper zurückzudrücken. Doch er wurde schwächer, sein Blick glasig; dann brach er zusammen. Bargh lachte laut und zeigte auf den fliehenden Riesen. „Tötet ihn, zögert nicht. Er will vielleicht Hilfe holen.“ Nur einen Moment später drangen rötlich-glühende Kugeln in die Kreatur. Neire und Zussa ließen ihre Magie wirken. Die Gestalt schleppte sich tapfer weiter. Schritt für Schritt. Sie wurde von einer weiteren Welle arkaner Zaubermacht niedergemacht.

~

„Dort! Die Spuren sind frisch und führen hinter diese Türe.“ Bargh, Neire und Zussa waren der hässlichen Riesin hinter den Vorhang gefolgt, den Bargh mit einem Schwerthieb waagerecht durchtrennt hatte. Dort hinter hatten sie einen hohen Gang entdeckt, der sie an mehreren Türen vorbeigeführt hatte. Bargh war fündig gewesen, als er nach Spuren gesucht hatte. So standen sie vor der einflügeligen Tür, hinter der sie gedämpfte Stimmen, ein Knurren und ein Hecheln hören konnten. Bargh nickte seinen Mitstreitern zu, dann riss er die Tür auf. Vor ihnen eröffnete sich ein weiterer hoher Gang, der, von rötlichen Gasfackeln erhellt, in einen größeren Raum führte. Am Ende des schwarzen Tunnels sahen sie mehrere schwarze Riesenhunde, deren Augen rötlich glühten. Aus ihren Nasen und Mäulern quoll dunkler Rauch. Hinter den Hunden waren vier große Riesen zu sehen, die Speere und Äxte trugen. Bargh schritt langsam in den Tunnel hinein. Die Hunde warteten nicht auf ihr Kommando, sondern stürmten bereits auf ihn zu. Doch die Luft vor ihm wurde plötzlich von einem hochfrequenten Fiepen durchzogen. Er sah, dass Neire neben ihn getreten war. In einem waagerechten Strahl, der von Neire ausging, flimmerte die Luft. Die Welle erreichte augenblicklich die Feuerhunde. Es waren die Geräusche von kackenden Knochen und zerfetzter Haut zu hören. Augen platzten auf und fünf der sechs Monstrositäten sackten tot zu Boden. Der letzte Hund schleppte sich auf gebrochenen Pfoten weiter voran. Als er Bargh erreichte, tötete er die Kreatur mit einem Hieb. Jetzt stürmten die Riesen näher. Wut war in ihren Augen zu erkennen, doch auch eine Vorsicht, wie auch ein ungläubiger Hass. Bevor die Krieger reagieren konnten, zog Zussa ihren Stecken und ihre Gegner wurden in gleißendes, elektrisches Feuer gehüllt. Als der Blitz erstarb, schleuderte einer der Riesen seinen Speer nach Zussa, doch das gefährliche Geschoss schlug in eine Wand. Die Riesen erhöhten ihre Geschwindigkeit und stürmten auf Bargh zu. Noch einmal zuckte die Luft vor Bargh auf. Diesmal waren es elektrische Flammen aus einem invertierten, gänzlich schwarzen, Licht. Zwei der Riesen starben im Antlitz der Entfesselung blendender Macht. Den letzten beiden Wachen stellte sich Bargh im Nahkampf. Seine Klinge Glimringshert gebar Feuer und bevor sie ihn angreifen konnten, streckte er sie nieder. Bargh drehte sich lächelnd zu Neire und Bargh. Der Geruch von verschmortem Eisen und Fleisch zog durch den Tunnel. Doch wo war die hässliche Riesin? Sie musste sich hier verstecken. Bargh bewegte sich vorsichtig voran. Er kontrollierte sein Keuchen. Der Raum, der sich dort auftat war mit vielen noblen Fellen eingerichtet. Auf einer Anhöhe aus Stein war eine Reihe verschiedenster Schädel aufgebaut. Bargh sah keine Bewegungen oder sonstige Lebenszeichen. Seine wachsamen Augen konnten jedoch eine versteckte Türe entdecken. Sie befand sich im linken Teil der Wand. Er bewegte seine Schritte zu diesem Bereich und drehte sich zu Neire und Zussa um, nachdem er den Boden betrachtet hatte. „Schaut! Die Spuren dieses wandelnden Abschaumes. Sie verschwinden an dieser Wand. Es zeichnet sich eine Türe ab.“ Bargh betrachtete seine Mitstreiter. Zussa warf ihr rotes Haar zurück und lächelte boshaft-verrückt. Neire hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen und strich sich die gold-blonden Locken aus dem von Asche verschmiertem Gesicht. „Worauf wartet ihr noch Bargh. Sie soll uns nicht entkommen.“

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Sitzung 82 - Königin Hulda Isenbuk
« Antwort #87 am: 14.10.2023 | 11:19 »
Alles war so schnell gegangen. Sie hatten nicht lange verweilt, in dem fürstlichen Gemach. Die hohe Halle, ausgelegt von noblen Fellen, war vom Geruch des Todes erfüllt gewesen. Als Bargh die geheime Türe geöffnet hatte, hatte Neire Zussa die Worte zugeflüstert: Wo die hässliche Riesin wäre; dass diese mit ihr hätte spielen wollen; ob denn Zussa auch mir ihr spielen wolle? Daraufhin hatten sie ein fernes Geräusch aus dem Tunnel gehört, der sich hinter der geheimen Türe auftat. Sie alle waren hastig gefolgt. Zussa hatte auf Neires Aussage hin verrückt gekichert und fratzenhaft ihre Augen verdreht. So waren sie schließlich um eine Ecke gestürzt, hinter der sie das Licht des Thronraumes durch eine weitere, halb geöffnete, Geheimtüre sahen. Die dumpfen, stapfenden Schritte der hässlichen Riesin waren jetzt deutlich zu hören. Ihr Keuchen hallte wider, als sie über den karmesinroten Marmorboden des Thronbereiches stolperte. Bargh stürmte ihr mit schweren, metallenen Schritten seiner Panzerrüstung hinterher. Die fast fünf Schritt große Gestalt blickte sich jetzt um. In ihren schweinsartigen Augen ihres, sich rattenhaft zuspitzenden Gesichtes war eine Art Furcht zu sehen. Große hässliche Warzen bedeckten die aschgraue Haut ihrer linken Gesichtshälfte und verfilzte rötliche Haare standen vom Schädel ab. Ihr disproportioniert-großer Schädel wendete sich jetzt wieder in Richtung Halle. Als wollte sie dort etwas ergründen. Nur einen Augenblick später hatte Bargh die Riesin eingeholt. Er hieb mit Glimringshert auf ihre Wade und die Klinge brachte einen Schweif von Feuer und aufgehacktem, verkohltem Fleisch. Ein Wimmern ging von der Riesin aus, die ihre Schritte verlangsamte und sich humpelnd umdrehte. Sie war in verschiedenste Felle gehüllt und trug einen silbernen Streitkolben, mit ovaler, dornenbesetzter Spitze. Trotz der Angst in ihren Augen war dort auch Hass zu sehen. Bevor Bargh seine Klinge ein weiteres Mal heben konnte zischelte Neire. „Wartet Bargh. Wartet auf meinen Befehl. Vielleicht will sie ja doch mit Zussa spielen.“ Bargh duckte sich hinter sein Schild und um ihn herum waberte die Dunkelheit. Sie alle sahen, wie die Riesin zitternd den silbernen Streitkolben aus ihrem Gürtel zog und zum Schlag ausholte. Tränen der Verzweiflung - oder war es Hass – rollten lautlos über ihre Wangen hinab.

Neire schälte sich hervor aus den Schatten. Er griff mit den Händen nach dem Mantel. Wie als ob sich ein Portal öffnen würde, wich die Düsternis. Hervor streckte er seinen gold-blonden Lockenschopf, der von der silbernen, schlanken Krone mit dem walnussgroßen, bläulich-schimmerndem Diamanten geschmückt wurde. Er kümmerte sich nicht um sein ascheverschmiertes Gesicht. Er lächelte die Gestalt an, als er sich verbeugte. Er blickte hinweg über ihre Hässlichkeit. Über die Warzen und Geschwüre. Über den disproportionierten Schädel und die verschrumpelten Brüste, deren Brustwarzen dort unanständig auf Bauchhöhe hinabbaumelten. Als Neire sich wieder aufrichtete, war die Welt um ihn herum in einen blutroten Glanz gehüllt. Er spürte den Klang seiner zischelnden Worte, als er im alten Reimschema der Yeer’Yuen’Ti zu ihr sprach. Er benutze die Zunge der gemeinen Menschen und hoffte, dass sie ihn verstand. „Haltet ein oh edle Riesin. Ihr müsset doch von edlem Blute sein. Es ist offensichtlich. Ihr müsset nicht sterben.“ Die verletzte Gestalt entspannte sich zunehmend, als sie fasziniert in Neires Augen blickte. Sie wählte ihre Worte so, als würde sie hier und dort suchen. Als würde ihr die Sprache nicht vollkommen bekannt sein. „Ja, ich Königin. Ich Königin Hulda.“ Neire verbeugte sich ein weiteres Mal. Dann zeigte er mit seinem von dunklen Brandwunden vernarbten Arm auf die fettleibige Leiche des Riesen, den sie auf dem Thron hatten sitzen sehen. „Ihr müsst wissen, wir sind eure Freunde und wollen euch nicht wehtun. Ihr seid verraten worden von diesem dort.“ Königin Hulda folgte der Richtung von Neires Fingerzeig. Dann wandelte sich ihr Gesicht in ein niederträchtiges Grinsen, das ihre fauligen Zähne offenbarte. „Haha, er nicht mich verraten. Er viel zu dumm, viel zu fett. Er dort, fett und dumm, mein König.“ Neire sprach jetzt mit Engelszungen, als er sich leichtfüßig auf Königin Hulda zubewegte. „Und wie ist der Name eures einst wundervoll fetten und dummen Gemahls?“ Hulda hatte ihren Streitkolben in den Gürtel gesteckt und beugte sich zu Neire hinab. Es gab ein seltsames Bild vor dem Thron, vor den dunklen obsidianenen Säulen, als die hässliche Riesin von imposanten Ausmaßen zu dem zierlichen, schönen Jüngling sprach. „Sein Name… Dunrok Isenbuk. Er fett… ja, er dumm… ja, aber er stark. Er guter und großer Krieger, ja!“ Königin Hulda lachte hinterlistig, blickte aber hin und wieder ängstlich in Richtung Bargh. Neire dachte nach. An das Portal, durch das sie gekommen waren. An die älteren Spuren im Gletscher des Jarls, die sie in der Nähe des Portals gefunden hatte. „Königin Hulda. Ihr müsst sicherlich weise sein. Sagt, hattet ihr Besucher in euren Hallen? Hattet ihr Besucher in letzter Zeit?“ Hulda nickte vehement, bevor sie antwortete. „Ja, Besucher waren hier. Besucher sind hier.“ „Und wer hat euch besucht in eurem Palast, oh Königin Hulda?“ Königin Hulda hatte ihr niederträchtiges Grinsen abgelegt, doch ihre Gedanken schienen zu wandern und sie kniff die Augen zusammen. „Kleine Riesen Besucher hier. Kleine Riesen, dumm und fett. Denken, sie wären stark, aber nein. Sie nicht stark. Sie nur viele. Sie kamen aus den kleinen Bergen.“ Königin Hulda sprach jetzt schneller, als wolle sie ihrem neuen Freund ihre Sichtweise auf die jüngeren Entwicklungen darlegen. „Da waren auch große Riesen. Kalte Riesen. Sie aus hohen Bergen, aus kalten Bergen. Sie groß und stark, aber dumm.“ Neire nickte anerkennend und fragte. „Diese Riesen. Sind sie noch hier oder haben sie euch wieder verlassen?“ „Nein und ja. Dumme, fette, kleine Riesen weg. Kalte Riesen noch hier, sind Besucher.“ Neire untermalte seine nächste Frage mit pantomimischen Gesten eines Gelages. „Und eure Gäste. Feiern sie Feste mit euch?“ Königin Hulda schien zu überlegen, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, feiern keine Feste. Oh nein! Sie hier, empfangen Befehle. Bauen Armee, dann angreifen. Sie erhalten Bezahlung. Wir erhalten Bezahlung. Gute Bezahlung. Die aus dem Dunkeln. Sie auch hier. Auch Gäste. Sie zahlen gut. Sie sehr klein, aber sehr schlau. Sie so klein wie ihr.“ Sie schaute dabei Zussa und ihn an. Nur als ihr Blick Bargh streifte, verzog sie wieder ihr Gesicht. Neire ahnte bereits, was mit den Wesen aus der Dunkelheit gemeint war. „Sind es Dunkelelfen? So werden sie genannt. Sie kommen aus der großen Tiefe. Der ewigen Nacht dort unten. Sagt euch der Name Eil’serv etwas?“ Falten bildeten sich im hässlichen Gesicht von Hulda, als sie ihren Kopf schüttelte. „Wem dienen sie? Dienen sie der Spinnengöttin?“, fragte Neire, während er Bargh und Zussa immer wieder Blicke zuwarf. „Nein, Spinnengöttin, dienen nein. Sie dienen anderem Gott. Gott kein Name.“ Neire erinnerte sich zurück an das, was er über das Haus Eil’serv gehört hatte. Erneut fragte er Hulda. „Sagt, Königin Hulda, dienen sie dem elementaren Gott?“ Jetzt verengten sich Huldas Augen und sie nickte vehement. Doch sie schaute sich misstrauisch um, als sie flüsterte. „Ja, Elementegott, sie dienen.“

Sie hatten sich weiter mit Hulda unterhalten und sie nach ihren Gemächern gefragt. Hulda hatte bereitwillig geantwortet und sich bereiterklärt sie dort hinzuführen. Sie hatte ihnen auch von ihren Mägden erzählt, die dort wachen würden. Ihr Weg hatte sie durch die noch ungeöffnete Tür, hinter dem von Bargh durchschnittenen Vorhang geführt. Nachdem Hulda das hohe Portal geöffnet hatte, sahen sie jetzt einen weiteren, von Gasfackeln erhellten, Gang. Allerlei Kisten und Säcke standen hier herum. Vier weibliche Riesen hatten sich im Gang aufgebaut und erwarteten sie mit gezogenen Schwertern. Die Mägde waren muskulöser als Hulda, trugen lederne Harnische wie Kleider und blickten misstrauisch sowie fragend in Huldas Richtung. Zwei der Kriegerinnen besaßen langes, wallendes, rot-blondes Haar, während die beiden anderen kurze schwarze Haare hatten. Gerade als Hulda ihre Hand beschwichtigend erhob, zischelte Neire die Worte. „Hulda, sie respektieren euch nicht mehr. Befehlt ihnen sich niederzuknien und ihre Waffen zu senken.“ Hulda nickte und bellte fremde, barsche Worte. Eine der Riesinnen zögerte zwar, aber dann knieten sie alle nieder und steckten ihre Waffen in ihre Scheiden. Neire zeigte auf die zögernde Kriegermagd und sprach: „Diese, sie hat euch verraten. Geht, Königin und tötet sie. Ihr müsst es tun.“ Wieder spürte Neire die Macht der Augen des Jensehers, als sich Hulda in Bewegung setzte. Sie zog ihren Streitkolben, doch ihre Untergebenen blickten zu Boden. Als Hulda vor der knieenden Riesin ankam, holte sie aus und hieb auf den Kopf. Es gab ein Knacken von Knochen und Blut spritzte auf, als der Streitkolben auf den Schädel prallte. Hulda schlug noch ein weiteres Mal zu, bevor ihre Mägde reagieren konnten. Doch war es ihre verbliebene Kraft – ein letzter Funken eigenen Willens - mit der sie den Schlag in Leere lenkte? Hulda stolperte und mit der Wucht ihrer übermenschlichen Stärke rammte sie sich Streitkolben in ihr noch nicht verletztes Bein. Die Wunde war grausam und reichte bis auf das Schienbein. Hulda begann zu schwanken und brach im Tunnel zusammen. Jetzt stürmten Bargh und Zussa nach vor und vollbrachten ihr blutiges Werk. Keine der Mägde sollte leben.

Sie hatten nach dem kurzen und blutigen Kampf gegen die Mägde die Wunden der Königin verbunden. Dann hatten sie sie auf ein Bett gezogen, obwohl Zussa maulend widerspenstige Worte von sich gegeben hatte. Nachdem sie die Gemächer der Mägde und der Königin nach Schätzen durchsucht hatten, hatten sie die Königin nach dem Gemach ihres Gemahls und seinen Schätzen gefragt. Die Königin war jedoch kaum aus ihrem Koma erwacht, hatte unverständliche Worte gemurmelt und mit ihrem Arm in die Richtung der mit Fellen ausgelegten Halle gezeigt. Auf dem Weg dorthin hatte Zussa dann leise grollende Stimmen und Schritte gehört, die aus dem Bereich der Thronhalle kamen. Sofort flüsterte Zussa: „Neire, Bargh, ich höre Stimmen aus der großen Halle. Seid vorsichtig.“ Zussa sah, dass Bargh augenblicklich reagierte. Er drehte sich um, hob sein Schild und sein dunkles Schwert und schritt in die Richtung des Geräuschs. Sie folgte Bargh. Auch Neire schloss sich ihnen an. Als sie das Loch im Vorhang erreichte, sah Zussa, dass aus dem gegenüberliegenden Tunnel fünf Riesen in die Halle vordrangen. Im Licht der Gasfackeln war die aschgraue Haut der Kreaturen zu erkennen, die etwa fünf Schritt aufragten und in metallene Bänderpanzerrüstungen gekleidet waren. Doch Zussa bemerkte, dass hier etwas anders war. Die vorderen drei Riesen bewegten sich in einer Art Formation. Zu jeder Seite flankierte ein Krieger den Trupp mit einem Schild. Hinter den drei Vorderen, gingen zwei größere und ältere Riesen, die mit langen Speeren und grausamen Schwertern bewaffnet waren. Die beiden Älteren trugen zudem eine kupferne Symbolik aus metallenen Bändern am Gürtel, die vielleicht ihren Rang kennzeichnete. Zussa konnte erkennen, dass der Dreiertrupp auf den Leichnam ihres toten Königs Dunrok Isenbuk zugegangen war. Sie hörte ein Gemurmel und konnte Gesichter erkennen, in denen sich ein erschrockenes, aber kontrolliertes Grauen abspielte. Zussa wollte gerade reagieren, da hörte sie Neire zischeln, dass sie auf sein Zeichen warten sollen. Sie konnte Neire nicht sehen, doch sie spürte ihn an ihr vorbei und in die Halle schleichen. Nur kurz musste sie warten, dann hörte sie ein Kreischen in der Luft, das sich durch die Halle ausbreitete und sich deutlich von dem ständigen Vibrieren im Stein abzeichnete. Der Dreiertrupp wurde von der Welle von Macht erfasst, die Neire dort beschworen hatte. Jetzt trat Bargh in das Loch des Vorhangs und brüllte Verwünschungen. Der Dreiertrupp und einer der Lanzenträger setzten sich augenblicklich in Bewegung. Der fünfte schaute sich suchend um. Auch Zussa sah die Feinde, die sich auf Bargh zubewegten. Vier gegen einen, dachte sie sich. Ich muss die Kraft der Göttin beschwören. Ich muss Jiarlirae anflehen. Zussa fing an zu beten. Sie begann die Kräfte von Flamme und Düsternis zu bündeln. Sie spürte die Geheimnisse des Abgrundes, zum Greifen nahe. Dann waren die Riesen vor Bargh und griffen an. Alles um Zussa herum versank in einem Gewühl von Chaos und Blut. Vor sich sah sie Bargh immer wieder zuschlagen und sein Schild erheben, um Angriffe abzuwehren. Zwischen den Angriffen und in das Gemetzel hinein, zuckten die magmahaften Flammen von Neires grausamer Magie. Und Zussa wusste, dass sie Bargh beistehen musste. So hob sie grimmig ihren Stecken mit dem glühenden Kristall. Sie beschwor Blitze und glühende Geschosse. Denn der dunkle Krieger vor ihr wurde von schmetternden Hieben verwundet. Hiebe, die einen normalen Menschen getötet hätten. Doch Zussa frohlockte als Bargh sich immer wieder erhob, wenn er getroffen wurde. Er war kein normaler Mensch. Er war Bargh, der unheilige Ritter ihrer Herrin, er war über die Ebenen gereist und er hatte Dämonenfürsten gedient, er trug die Klinge Glimringshert, er brachte Feuer und Düsternis, er war der Drachentöter.

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Sitzung 83 - Die Dunkelelfin
« Antwort #88 am: 21.10.2023 | 10:10 »
Sie drangen tiefer vor in die schwelende Hitze des rumorenden Schlackebergs. Die Wände flimmerten und Schweiß lief ihnen in ihre Augen. Bargh hatte die Tür in den geheimen Tunnel hinter Zussa und Neire verschlossen, nachdem er ihre Spuren verwischt hatte. Sie wussten, dass sie hier ein besonderes Geheimnis entdeckt hatten, waren sie doch von einem versteckten in einen geheimen Bereich gelangt. Der Tunnel vor ihnen war in vollständige Dunkelheit gehüllt. Sie sahen in einiger Entfernung übergroße Stufen in die Tiefe hinabführen. Bargh war wieder vorgegangen und kniete sich nieder, um auch diesen Ort nach Spuren abzusuchen. Neire und Zussa horchten. Dann erhob sich der zweieinhalb Schritt große unheilige Krieger und murmelte leise Worte: „Spuren führen hier hinein und heraus. Große Stiefelabdrücke, wie von diesem König Dunrok. Doch ich habe auch andere Spuren gefunden. Sie deuten auf ein vierfüßiges Wesen mit Krallen hin.“ Bargh bewegte sich jetzt leise und vorsichtiger vorwärts. Auch Zussa und Neire war eine gewisse Anspannung anzusehen. Dann strich sich Zussa ihr schweißdurchtränktes, rot-gelocktes Haar zurück, um abermals ihr Ohr freizumachen. „Bargh, Neire, hört ihr das?“ Flüsterte sie. „Es ist ein Kratzen auf Stein, aus weiter Ferne.“ Sie schritten vorsichtig den Tunnel entlang und die Stufen hinab. Jetzt hörten alle die Geräusche. Vor ihnen eröffnete sich eine hohe natürliche Höhle. Von hier und dort hörten sie ein Zischen, wie von Gas, doch das Kratzen und Knirschen von Zähnen war laut zu hören. Hinter einer Ecke und in einem kleineren Seitentunnel sahen sie das monströse Wesen, das dort mit dicken eisernen Ketten an die Wände gefesselt war. Die Kreatur bewegte sich auf vier muskulösen, angewinkelten Beinen und hatte einen Körper von fast neun Schritt Länge. Es besaß Tatzen-artige Füße, messerscharfe Krallen und ein braun-rotes Fell. Metallbänder schnürten den Torso ein und bereiteten der Kreatur sichtlich Schmerzen. Aus dem Rumpf erhoben sich eine Vielzahl von Hälsen, acht an der Zahl, die in Drachenköpfen endeten. Als ob die Köpfe sich selbst verspeisen wollten, schnappen sie nach ihresgleichen. Nachdem Bargh die Kreatur sah, zögerte er keinen Moment. Er hob Glimringshert und stürmte auf das Wesen zu. Einige Köpfe drehten sich zu ihm herum und begannen zu fauchen. Bargh erblickte ein glühendes Inneres aus dem Rauch aufstieg. Dann hob er sein dunkles Schwert und bedrängte die Kreatur. Die Schatten blutende Klinge fuhr durch die Luft und brachte das Feuer seiner Herrin. Ein Regen von Blut benetzte sein Gesicht, als er vier Hälse abtrennte. Dort, wo sein Schwert gewirkt hatte, wuchs augenblicklich Narbengewebe nach und begann die Blutung zu stoppen. Bargh holte ein zweites und ein drittes Mal aus. Mit jedem Hieb trennte er zwei weitere Hälse vom Rumpf. Das Brüllen der Kreatur fand ein jähes Ende, als die zwei letzten Köpfe auf den Boden fielen. Wellen von Zuckungen gingen noch über den Leib, als wollte dieser davonlaufen. Doch die Bewegungen waren unkoordiniert und erstarben. Dann sackte der gewaltige Leib in sich zusammen. Bargh keuchte auf und kniete sich nieder. Er hörte die Stimme von Neire hinter ihm. „Jiarlirae ist groß und wird euch mit Geheimnissen beschenken. Eure Taten sind groß, Bargh. Seht ihr nicht das Glitzern aus der Höhle? Die Truhen? Es sind die Schätze von Dunrok Isenbuk.“

Bargh ächzte. Er zog sich den letzten der langen Dolche aus seiner Seite. Er spürte die Wirkung des Pergaments, das ihm Neire geben hatte. Die dunklen Ränder an den Dolchen deuteten auf ein getrocknetes Gift hin, doch die alten Worte, die er auf dem Schriftstück gelesen hatte, bewahrten ihn vor Schlimmerem. Bargh richtete sich langsam auf. Es war die letzte Truhe, die er geöffnet hatte. Dort waren beim Öffnen die Dolche hervorgeschossen. Zuvor hatte er seinen beiden Begleitern gesagt, sie sollten Abstand von ihm nehmen. Dann hatte er sich den Kisten gewidmet. Er hatte sich hinter die Truhen postiert und sie rücklings geöffnet. Ein alter Lehrmeister hatte ihm einst diese Herangehensweise verraten. Bargh verwarf die Gedanken an den Lehrmeister. Mochte er doch in der Hölle verrotten. „Es ist die letzte Truhe. Sie ist geöffnet. Kommt her und schaut sie euch an. Es droht keine Gefahr mehr.“ Bargh rief in das dunkle Gewölbe hinein und schon kam Neire herbeigelaufen. Zussa spielte weiter gelangweilt und drehte mit staksigen Schritten Kreise. Sie sprach dabei Worte, die er gegen das dumpfe Rumoren und das Zischen hören konnte. „Ja, Bargh der Drachentöter. Jaja. Hat sich geopfert und alle Truhen geöffnet. Sehr fein. Und jetzt sind wir alle sicher, sooo sicher.“ Bargh knirschte mit den Zähnen. So sehr er das hübsche Bauernmädchen mit den Sommersprossen und den grünen Augen auch mochte, so wenig mochte er ihre jugendlichen Gefühlsanwandlungen. Wieder dachte Bargh zurück. Wie sie das geköpfte Wesen gehäutet hatten. Wie Neire ihm dabei geholfen hatte. Zussa war bereits dort ziellos durch die Höhle geschritten und hatte gebetet. Daher hatte er sich nicht um sie gekümmert. Doch jetzt begann sie wieder Luftlöcher zu starren. „Zussa, Mädchen! Kommt verdammt nochmal her. Hattet ihr nie einen Lehrmeister?“ Er sah, dass Zussa aufhorchte und gespielt widerwillig zu ihnen kam. „Ja, jetzt wo ihr fragt Bargh. Ich hatte einen Lehrmeister. Sein Name war Hilbart. Er konnte mir nicht viel beibringen, nur Lesen und Schreiben… Doch er schlug mich immer mit seinem Stock, dieser Bastard.“ Bargh musste grinsen, als er für einen Augenblick seine Gedanken schweifen ließ. Er sah Hilbart vor sich. Wie er knallend und klatschend den Stock auf Zussas nackten Hintern schnellen ließ. Er musste auflachen, doch da waren wieder die Schmerzen an seiner Seite. Als ob Zussa seine Gedanken ahnte, verzog sie das Gesicht. „Aber wieso wollt ihr das wissen, Bargh?“ „Ein Lehrmeister hat euch anscheinend noch nie Zucht und Ordnung beigebracht. Was sind schon ein paar Stockschläge, eh? Nichts im Vergleich zu dem, was ich durchgemacht habe.“ Bargh sah, dass auch Neire jetzt in sein Lachen einfiel. Der Jüngling richtete sich von der Truhe auf und warf die gold-blonden Locken zurück. „Es muss euch wahrlich gereizt haben, Bargh. So wie ihr mit ihm geredet habt in der Adlerfeste – ja gereeedet…“ Neire verzog beim letzten Teil des Satzes spöttisch das Gesicht und machte die Bewegung des tödlichen Schwertstoßes mit seinem eleganten Degen nach. „Aber Bargh, davon habt ihr mir noch nichts erzählt, davon weiß ich ja noch nichts. Wer war euer Lehrmeister? Was hat er mit euch gemacht? Was habt ihr mit ihm gemacht?“ Jetzt zog Neire Zussa näher und zeigte ihr die Truhe. Das Lächeln in dem von Asche besudelten Gesicht des Jünglings war tief und innig. Es ließ selbst Zussa erröten. „Das ist eine Geschichte für einen anderen Tag, meine liebe Zussa. Schaut was wir hier gefunden haben. Was für Kostbarkeiten dies sind. Jiarlirae hat uns nicht umsonst hierhin geführt.“ Bargh bemerkte, dass Zussa erst jetzt das Glitzern von Juwelen, von Gold und von Silber wahrnahm. So lachten und so scherzten sie, als Zussa ihnen weitere Geschichten erzählte. Geschichten von ihrem alten Lehrmeister. Gemeinsam brachten sie die Schätze in Ortnors altes extradimensionales Versteck. Bargh jedoch dachte an den Tempel des Jensehers. An die Aufgabe die vor ihnen lag. Und er dachte an Halbohr. Er zweifelte an den Worten des Söldners. Doch Neire hatte bis jetzt in allem Recht gehabt und er hatte sich vielleicht getäuscht in dem grimmigen, einohrigen Elfen.

Sie hatten danach den geheimen Bereich des Königs Isenbuks verlassen und waren in sein Gemach zurückgekehrt. Gerade als Bargh die Tür zugezogen hatte, war Neires Stimme zu vernehmen gewesen. „Bargh, Zussa! Geräusche… Schritte, die sich entfernen.“ Wie aus dem Nichts ragte plötzlich der von Brandwunden gänzlich entstellte linke Arm Neires hervor. Der Jüngling zeigte auf den Ausgang des von Gasfackeln erhellten Gemachs. Bargh war dann vorangestürmt, mit gezogenem Schwert. Neire und Zussa waren ihm gefolgt. Sie alle hörten, dass die fliehenden Schritte schneller wurden. Als sie um eine Ecke bogen, sahen sie die Umrisse einer Gestalt, die sich durch das Loch im großen roten Vorhang bewegte. Bargh beschleunigte seine Schritte nochmals. Als er sich unter dem Vorhang hinweg duckte, konnte er erkennen, dass die Gestalt langsamer wurde. Zwischen den Leichnamen der großen Halle kam sie zum Stehen. Sie drehte sich zu ihm und erhob ihre Hände. Im Vergleich zur Größe des Gewölbes, den obsidianernen Säulen und den sich türmenden Leibern der toten Riesen kam sie Bargh klein und zerbrechlich vor. Von der Größe eines heranwachsenden Kindes, war die Frau, gehüllt in dunkle, enge Leder- und Stoffkleidung. Hier und da ließen Aussparen vernarbtes Gewebe erkennen. Ihr hübsches Gesicht war rundlich und von aschgrauer Haut. Rötliche Augen musterten Bargh wachsam, aber nicht ängstlich. Sie trug einen Gürtel mit einem Wappensymbol und ein vernarbtes Zeichen im Fleische ihrer Schulter. In der rechten Hand hielt sie ein Langschwert, von dem Bargh einen rötlichen Schimmer um eine Linie von Ne’ilurum sehen konnte. Sie steckte ihr Schwert in die Scheide, die sie am Gürtel trug und hob ihre Hände. Als Bargh seine Schritte verlangsamte, begann sie zu sprechen. „Haltet ein Krieger. Ich bin euch nicht feindlich gesonnen.“ Bargh war von der Grobschlächtigkeit ihrer Stimme überrascht, die nicht zu ihrem Aussehen passte. Sie war mittlerweile in Reichweite seines Schwertes und er baute sich über ihr auf. „Was macht ihr hier in dieser Halle. Wer seid ihr? Sprecht oder sterbt durch mein Schwert!“ Neire und Zussa waren jetzt zu ihm aufgeschlossen, aber die Fremde betrachtete Bargh mit einem Lächeln. „Ihr seid ein prachtvolles Exemplar eines Männchens.“ Als Bargh bedrohlich sein Schwert erhob, führte sie hastig aus. „Mein Name ist Triel da'Aleval, aus dem Haus Aleval. Ich bin als Kundschafterin gekommen. Aber ich sehe, ihr habt es mir viel leichter gemacht, wenn ihr diese Riesen getötet habt.“ Jetzt trat Neire hervor und musterte Triel mit einem Lächeln. Über seinen Augen war ein rötlicher Schimmer, als er die Kräfte des Jensehers beschwor. „Ich sehe, ihr seid allein hier, Triel Aleval. Doch ihr könnt uns vertrauen. Wir könnten eure Freunde sein, ihr müsst uns nur vertrauen.“ Eindringlich schaute er die fremde Frau an. Triel erwiderte seinen Blick, wie in einer Trance, doch dann schüttelte sie ihren Kopf. „Was immer ihr versucht, ihr solltet es lassen.“ Neire zischelte bei Triels Antwort boshaft und stampfte mit einem Fuß auf den Boden. „Ihr stellt uns keine Forderungen. Wieso sollten wir euch nicht töten? Hier und jetzt. Ihr gehört der verabscheuungswürdigen Rasse der Dunkelelfen an. Ihr betet zu schwachen Göttern.“ Auch Bargh begann sich bei Neires Worten wieder bedrohlich aufzubauen. „Sagt es nur Neire, gebt nur den Befehl und ich werde sie hier und jetzt ausweiden.“ Zussa begann in diesem Augenblick zu lachen und erntete einen tiefbösen Blick von Triel. „Wartet, ihr müsst das nicht tun. Unsere Wege führen uns vielleicht in die gleiche Richtung. Zumindest eine Zeitlang. Wäre es nicht unsinnig, sich nicht gegen diese Kreaturen zusammenzuschließen?“ „Wem dient ihr. Wer ist eure Herrin? Welchen Göttern huldigt ihr. Ist es die Spinnengöttin?“ Neire zischelte die letzten Worte mit starkem Nebelheimer Singsang. Es dauerte einen Augenblick bis Triel antwortete. Ihre Bewegungen und Sprache wurden mechanisch. Sie legte den Kopf schief und brachte einen monoton gesprochenen Satz hervor. „Ich diene nur meiner Herrin, der Matriarchin von Aleval. Ich diene nur Matriarchin Xune da'Aleval.“ Neire war erbost über diese Antwort und starrte Triel hasserfüllt an. Das Schweigen, das in dem riesenhaften Gewölbe herrschte, wurde durch die Stimme von Zussa durchbrochen. Das Mädchen, das um einiges größer als die Dunkelelfin war, bewegte sich auf Triel zu und zeigte auf ihr Gesicht. Zussa versuchte dort die Haut von Triel zu berühren. Als wolle sie fühlen, ob diese echt wäre. „Schaut, sie hat diese seltsame schwarze Haut. Als ob sie sich mit Farbe angemalt hätte. Wie dieser Atahr damals. Wie habt ihr das gemacht Triel? Was ist das für eine List?“ Sie hörten ein Zischen, als Triel den Arm von Zussa zurückstieß und antwortete. „Lasst das Mädchen. Was tut ihr überhaupt hier? Wie viele Winter habt ihr schon erlebt?“ Zussa trat zurück bei der Frage und zog einen Schmollmund. Sie murmelte leise Verwünschungen. „Sie will nur mit euch spielen Triel. Und ihr solltet sie lassen. Denn oftmals täuscht der äußere Eindruck. Nur eines ist sicher… es ist immer die eigene Schuld, nicht Jiarlirae zu dienen.“ Wieder war da diese mechanische Antwort, die Triel emotionslos abspulte. „Ich diene meiner Matriarchin. Sonst niemandem.“ „Dann dient ihr eben, verdammte Hexe. Ihr werdet es schon sehen. Ich werde sie aufschlitzen und in ihrem Blut baden. Wen ich meine? Wer es sein wird? Wer weiß das schon?“ Zussa blickte boshaft in Richtung Triel und fauchte die Worte in sichtlicher Erregung. Jetzt mischte sich Bargh wieder ein und seine Stimme schwoll, tief und laut: „Schluss mit dem Ganzen. Schluss mit den Drohungen. Entweder wir knüpfen sie jetzt auf oder wir lassen es. Gehen wir nach links oder gehen wir nach rechts… der Spaß endet hier und jetzt: Entscheidet!“

Barghs Worte hatten Wirkung gezeigt. Zussa und Neire hatten ihre kindischen Drohungen und Schmähungen eingestellt, doch Zussa hatte kein Wort mehr gesagt. Als Triel sie abermals nach den getöteten Riesen gefragt hatte und eine Anspielung auf ihre Taten in der Halle des Nomrus und den Eishöhlen des Gramnir gemacht hatte, hatte Neire das weitere Gespräch unterbunden. Barsch hatte er auf die Geheimnisse von Jiarlirae verwiesen und erwähnt, dass er der einzige Prophet der Schwertherrscherin auf dieser Welt wäre. Zudem hatte Neire wieder versucht Triel zu beleidigen. Er hatte die dunkelelfischen Götter verspottet und vom ewigen Ruhm Nebelsheims erzählt, dass vor Äonen den Krieg gegen das Dunkelelfenreich gewonnen hatte. Nur auf den Blick von Bargh hin hatte Neire seine Rede beendet. Von Neire war dann aber der Vorschlag gekommen, die verletzte Königin Hulda aufzusuchen. Neire hatte darauf bestanden, dass Triel der Königin Fragen stellen solle. So waren sie in den Gang vor dem Gemach Huldas zurückgekehrt und hatten gesehen, dass die Königin noch immer auf einer der Pritschen ihrer Mägde ruhte. Neire hatte Hulda sanft geweckt und ihr freundliche Worte zugemurmelt. „Königin Hulda, schaut, wen wir euch mitgebracht haben. Habt ihr dieses Gesicht schon einmal gesehen, in diesen Hallen?“ „Nein, nicht gesehen. Doch sie… klein und dunkel, wie andere Gäste.“ Neire schaute Triel an und zwinkerte ihr zu. „Hätte die Königin etwas anderes gesagt… hättet ihr gelogen, wäret ihr jetzt schon tot.“ „Wieso sollte ich euch anlügen. Wieso sollte ich überhaupt lügen?“ antwortete Triel amüsiert. „Nun, Dunkelelfen lügen, das ist bekannt… So soll es also sein. Stellt eure Fragen an Königin Hulda. Doch adressiert sie mit dem größten Respekt.“ Triel verzog bei Neires Ankündigung das Gesicht, doch dann begann sie zu fragen. „Königin Hulda, eure Majestät, wie viele meiner Art sind eure Gäste und wo halten sie sich auf?“ Triels Grimasse hatte sich jetzt in ein Grinsen verändert, als sie, betont überzogen, die Königin adressierte. „Sie, wie ihr. Aus Dunkel, aus Immernacht. Sie unten, tiefer. Sie drei.“ „Sagt euch der Name Eilserv etwas, eure Majestät. Kennt ihr sie, die dem Gott des elementaren Bösen dienen?“ Huldas Gesicht hatte sich beim Namen Eilserv in Runzeln von alter Haut verwandelt. Doch als Triel das Wappen von Eilserv in die Luft zeichnete und vom Elementargott sprach, nickte Hulda. Wieder blickte sich die Königin der Riesen um und wählte ihre schwachen Worte betont leiser. „Ja, sie… haben dieses Zeichen. Sie dienen bösem Elementegott. Sie drei, sie in der Tiefe.“ „Königin Hulda. War bei den Dreien eine Dunkelelfin, die sich Eclavdra nannte?“ Erst schwieg Huldra, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, keine Eclavdra. Nein.“ „So sagt mir meine Königin. Wofür die Krieger. Wofür zieht ihr in den Krieg? Was ist der Grund?“ Hulda fing bei dieser Frage an zu lachen. Ein Lachen, das schnell zu einem Röcheln erstarb, als sie schmerzhaft anfing zu husten und die Wunden an ihren Beinen betrachtete. „Krieger sammeln. Dunrok Isenbruk großer Anführer. Krieger Menschen schlachten. Menschen schwach. Krieger Dörfer schlachten. Drei aus Immernacht bezahlen… uns bezahlen. Bezahlen sie uns gut… bezahlen sie viel Gold.“ Jetzt war die Unruhe in Triels Augen zu sehen. „Aber wieso? Wieso bezahlen sie euch für diesen Krieg. Was ist der Grund?“ War es der fehlende Respekt gegenüber der Herrscherin oder die Frage, auf die Königin Hulda keine Antwort wusste? Das Lächeln auf dem Gesicht der Riesin erstarb, als sie ihren Kopf auf das Lager zurücksinken ließ und in einen tiefen Schlaf überging. Für einen Augenblick betrachteten sie die verletzte, hässliche Königin der Riesen, dann verließen sie das Gemach.

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Sitzung 84 - Der Gefangene
« Antwort #89 am: 30.10.2023 | 11:10 »
Triel hatte die Tunnel erkundet, die unerforscht vor ihnen lagen. Die Dunkelelfin war lautlos in der Dunkelheit verschwunden. Sie war jedoch immer wieder zu ihnen zurückgekehrt und hatte von den Räumen berichtet, die sie erspäht hatte. Nachdem sie die kolossale Halle mit den Obsidiansäulen verlassen hatten, waren sie in eine Küche gelangt, die hastig verlassen worden war. Sie hatten dort ein Lager von Bier- und Weinfässern geplündert. Dann hatte Bargh Spuren von fünf Paar riesenhaften Stiefeln entdeckt, die in die von Gasfackeln erhellten Tunnel führten. Sie hatten sich daraufhin entschieden den Spuren zu folgen, um die Geflüchteten abzufangen, bevor sie um Hilfe erbitten konnten. Doch ihr Weg hatte sie tiefer und tiefer in den Schlackeberg geführt und schließlich waren sie an einen hohen Tunnel gelangt, der über Treppenstufen in das Untere führte. Hier hatten sie sich entschieden die Verfolgung aufzugeben und sich weiter den unerforschten Gemächern zu widmen. Bargh hatte, unter Berufung seines alten militärischen Wissens, darauf hingewiesen, dass sie sich den Rücken freihalten sollten. So waren sie durch Gemächer gelangt, die alle verlassen waren. Teils hatten diese Wohnhöhlen wohl zu Wachen gehört, teils zu Frauen und Kindern der Riesen. Alle waren entweder geflüchtet oder hatten sich ihnen im Kampf gestellt. Vor einer noch geschlossenen, sieben Schritt hohen Steintüre, hatte sie Triel dann zur Stille ermahnt. Sie hatte Geräusche gehört und sie flüsterte jetzt: „Dort hinter der Türe. Ein Hecheln und ein Schnappen. Ein Bellen und Knurren. Geräusche, wie von großen Hunden.“ Bargh blickte wortlos und grimmig in die Runde, während der dunkle Krieger Neire und Zussa zunickte. Dann begann er langsam das Portal aufzudrücken. Nur einen Augenblick war das Knirschen der Türe prominent, dann hörten sie alle die Geräusche dahinter. Es drang ihnen ein übler Geruch entgegen – von nassem Hundefell, dreckigem Stroh und von Fäkalien. Sie sahen einen sich verzweigenden hohen Gang. In der Dunkelheit waren riesenhafte spielende Hunde zu sehen, die sich ansprangen und mit ihren Zähnen fletschten. Rote Paare von Augen glühten in der Düsternis und Dampf drang aus ihren Mäulern. Die Kreaturen hatten das Geräusch vernommen und fingen wild an zu bellen. Ihr Spiel änderte sich augenblicklich in wilde Angriffslust, als sie über verwestes Fleisch und die Reste von Körperteilen hinwegsprangen. Bargh machte einen Schritt in den Raum und hob sein Schwert, die Meute erwartend. Dann erfror neben ihm die Luft und ein Kegel von Eis breitete sich aus. Neire, in der Dunkelheit nicht zu erkennen, hatte einen Spruch einer Schriftrolle aus dem Schatz von Dunrok Isenbuk rezitiert. Das Jaulen des Teils der Meute, die sich für den linken Gang entschieden hatte, schwoll für einen Moment, doch dann brachen die Tiere zu Boden; wurden dahingerafft von der immensen Kälte. Als der zweite Teil des Rudels im rechten Tunnel auftauchte, wurde in der Dunkelheit ein weiteres Portal aufgestoßen und in dem Licht des dahinterliegenden Gemachs tauchte eine fast fünf Schritt große Gestalt auf. Gekleidet in einen Waffenrock, war ihr nackter Oberkörper zu sehen, unter dessen Fettmassen sich Muskelberge zogen. Verfilztes, langes rotes Haar fiel abstehend von einem grobschlächtigen Gesicht aschgrauer Haut. Die Gestalt trug eine Peitsche in der rechten Hand, durch deren Leder rostige Nägel getrieben waren. Sie blickte ungläubig auf die bellende Meute, unfähig die Dunkelheit um den unheiligen Krieger zu durchdringen. Dann führte sie ihre linke Hand an den Mund und blies in eine kleine Pfeife. Ein hoher Ton schallte durch das Gemach und die zotteligen schwarzen Bestien verlangsamten ihre Schritte. Doch nur für einen Augenblick, denn sie hatten ihre Beute gewittert und hörten nicht auf ihren Herren. Bargh schien die Situation zu erahnen. Er machte einen weiteren Schritt nach vorne und er lachte den Riesen aus. Die kleinen schwarzen Augen des Monstrums wandelten sich in pure Wut. Jetzt ließ die Kreatur ihre Peitsche klatschen und stürmte heran. Ein weiteres Mal erfüllte grausame Magie die Luft, als Zussa mit dem Stecken Blitze hervorrief. Vier der sechs Hunde starben in dem gleißend weißen Feuer, das auch ihren Herrn einhüllte. Die letzten beiden Hunde wurden mit gezielten Hieben von Bargh niedergemacht, der dann mit dem Riesen zusammenstieß. Doch auch diesmal war der unheilige Krieger schneller. Unbarmherzig schlug er zu mit Glimringshert. Er brachte die Worte seiner Schwertherrscherin: Flamme und Düsternis. Das schwarze Schwert zerschnitt Fleisch wie Bein und die degenerierte Kreatur hauchte ihr Leben aus.

Neire starrte in den langen Tunnel, aus dem sie die Stimmen gehört hatten. Nachdem sie die Gemächer des Hüters der Höllenhunde geplündert hatten, waren sie durch weitere Kammern gekommen. Sie hatten eine gewaltige Waffensammlung entdeckt, in der sich auch zwei Ballisten befunden hatten. Dann hatte sie Triel auf ein leises, tiefes Murmeln hingewiesen, das sie aus noch einem unerforschten Tunnel gehört hatten. Sie waren daraufhin an eine scharte Ecke im Tunnel geschlichen, doch Triel hatte geflüstert, dass das Murmeln plötzlich aufgehört hatte. Neire war im Schutz seines Mantels vorangegangen. Am Ende des von Gasfackeln erhellten Ganges sah er drei kolossale Kreaturen vor einem Gewölbe lauern. Es waren zwei jüngere und ein älterer. Einer der jüngeren Riesen stand in erster Reihe und hatte einen schwarzen Felsklotz geschultert, der ein kleineres Haus in Trümmer hätte legen können. Der ältere Riese hatte graues Haar, das unter seinem Rundhelm hervorstand. Zudem trug er ein kupfernes Wappensymbol an seinem Gürtel. Neire zitterte, als er begann die arkanen Formeln zu murmeln. Er hatte den Spruch noch nie vorher gewirkt und war sich seiner Fähigkeiten nicht sicher. Er mahnte sich zur Hast, denn er bemerkte mit einem Schaudern, dass der jüngere Riese mit dem Langschwert in seine Richtung zeigte. Doch es war zu spät. Die letzten Worte gingen über seine Lippen und die Nussschalen knackten, als sie zu Staub zerfielen. Für einen Augenblick zeigte der Gegner noch in seine Richtung. Dann erhob der ältere plötzlich seine Axt und rammte sie dem jüngeren in die Rippen. Ein Aufkeuchen von Schmerzen war zu hören. Die Klinge drang tief in sein Fleisch. Schrecken zeigte sich in den Augen des Jüngeren. Dann drehte er sich um und kehrte Neire seinen Rücken zu. Auch der andere jüngere Riese drehte sich um und starrte. Ein Kampf auf Leben und Tod entwickelte sich zwischen dem Axt- und dem Schwertträger. Der unbeteiligte Riese ließ den Steinbrocken fallen und zog sein Schwert. Beide Riesen fügten sich grauenvolle Wunden zu. Dann rammte der ältere seine Axt in den Hals des jüngeren. Blut spritzte auf und der jüngere brach, gurgelnd fluchend, in sich zusammen. Der verbliebene jüngere nahm nun den Kampf auf, der nur kurz währte. Er war unverwundet und schneller als der Alte. Er rammte sein Schwert durch die Brust seines einstigen Kameraden, vielleicht Vorgesetzten. Doch als der Alte zusammenbrach schrie nicht er. Von dem jüngeren war ein Heulen zu hören. Ein Heulen, das sich in ein hasserfülltes Brüllen wandelte. Der jüngere fuhr jetzt herum und starrte hasserfüllt, aber ängstlich in den Tunnel. Neire zog sich in die Schatten zurück und verschwand hinter der Ecke zu seinen Kameraden. Aus der Dunkelheit schälte sich plötzlich sein lächelndes Gesicht. Unschuldig eingerahmt von gold-blonden Locken. Mit blauen, glitzernden Augen schaute er seine Mitstreiter erfreut an. „Ihr habt ein kleines Schauspiel verpasst, meine Freunde. Sie dachten sie lebten hier, mit Feuer und Dunkelheit. Doch heute sind wir hier und wir lassen sie tanzen mit Flamme und Düsternis.“ Neire hatte seine Worte kaum beendet, da hörten sie die stapfenden Schritte, die sich ihnen durch den Gang näherten. Sie vernahmen einen Schrei, der sich mehrfach überschlug. Es war die Angst vor dem Ungewissen sowie ein Grauen in der Stimme zu hören. Doch da war mehr; da der Hass der vielen Formen, der die Kreatur zum Handeln zwang. Es war das Chaos von Flamme und Düsternis, die Essenz seiner Göttin.

Der Kampf war kurz und grauenvoll brutal gewesen. Der letzte Riese war in ihren Hinterhalt gestürmt und sie alle hatten ihn angegriffen. Viele Schnitte hatten seinen Körper überzogen. Dann war der gewaltige Krieger zusammengebrochen. Blut hatte sich wie eine Pfütze ausgebreitet im Tunnel. Sie hatten die Leichname und das Gemach durchsucht, das keine weiteren Ausgänge hatte. Weitere Reichtümer hatten sie in Ortnors Labor verstaut. Dann waren sie in einen noch unerforschten Bereich vorgedrungen. Sie waren in eine riesige Halle gelangt, die mit Prunkvorhängen eines Krieges geschmückt war. Hinter einem Seitenvorhang war eine weitere Türe zu sehen gewesen. Dort hatte sie Triel ermahnt leise zu sein. Sie hatte deutlich schabende Geräusche hinter diesem Portal gehört. Nachdem sie die Türe leise geöffnet hatten, waren Neire und Triel in das Gemach dahinter vorgedrungen. Es war ein Raum mit dunklen Möbeln und Tischen gewesen, doch die Einrichtung hatte Menschengröße gehabt. Lebensmittel lagen auf dem Tisch, neben Notizzetteln, die die Runen der Nachtzwergensprache trugen. Zwei kleine eisenverstärkte Holztüren waren mit Riegeln von außen gesichert. Sie erinnerten an kleine Gefängniszellen. Als Triel und Neire sich auf die linke der Türen zubewegten, verstummte augenblicklich das Geräusch. Es war eine Stimme zu hören, die alt und gebrechlich klang. In der gemeinen Zunge der ersten Menschen hauchte sie: „He dort, ist da wer? Helft mir. Lasst mich hier raus, wollt ihr denn bitte?“ Neire hatte ein kleines Guckloch in der Türe erkannt, aus deren Innerem sanftes Licht strömte. Er schlich sich vorsichtig heran und schaute in das Innere. Die Kreatur, die dort in einem eingerichteten Gemach stand, wirkte gelangweilt. Der alte Mann war dürr und knochig. Er war kaum mehr als einen Schritt groß. Ein kahler Schädel thronte über einem markanten Gesicht. Sein langer weißer Bart war in Zöpfen geflochten und ragte ihm bis auf Gürtelhöhe hinab. Gekleidet war er in dunkle Gewänder aus Leinen und Leder. „Ich… ich weiß, dass ihr hier seid. Kommt schon, erbarmt euch und helft mir.“ Neire starrte noch immer auf die Kreatur, deren Gesichtsausdruck nicht zu ihrer Stimme passte. Dann antwortete er. „Ich kann euch helfen, doch wer seid ihr und was macht ihr hier?“ Die Gestalt fing an zu grinsen und schaute zur Türe. Doch der Nachtzwerg konnte ihn anscheinend nicht sehen. „Mein Name ist Umbari und ich bin hier gefangen. Er hält mich hier gefangen – König Isenbuk. Ich bin sein Sklave.“ Neire zog seinen Kopf zurück in die Schatten und lugte aus seinem Mantel hervor. Grinsend nickte er Triel zu, sich zu verstecken. Er spielt ein Spiel mit uns. Nun wir wollen ein Spiel mit ihm spielen. Neire bewegte den schweren Riegel als er sprach. „Wartet Umbari. Ich werde die Türe öffnen.“ Neires Blick entging allerdings nicht der versteckte Mechanismus, der ein Öffnen der Türe auch von innen erlaubte. „Ihr seid also Umbari. Es freut mich euch kennenzulernen.“ Als die Tür aufschwang und das Licht in den dunklen Saal drang, wirkte Umbari gänzlich anders. Jetzt war er in sich zusammengesunken und seine Hände zitterten. Neire fuhr fort. „Der König Isenbuk schickt mich. Er möchte euch sprechen. Ihr sollt mir folgen.“ Umbari hob unterwürfig den Kopf und blickte ihn verzweifelt an. „Will er mich töten? Nein, das soll nicht mein Schicksal sein. Ihr müsst mich befreien. Ihr seid der Neue? Wer seid ihr? Hat er euch auch versklavt? Dann lasst uns lieber fliehen. Fort von hier. Hinfort von diesem schrecklichen Ort.“ Neire versuchte ein aufkommendes Grinsen zu unterdrücken, als er das Spiel von Umbari sah. Er erhob seine Stimme zur Antwort. „Wohin sollten wir denn fliehen? Und wie schnell müssten wir laufen? Nein wir haben doch alles hier und der König beschützt uns. Ich bin der neue Sklave und man nennt mich Triel.“ Als Triel in den Schatten hinter Umbari ihr Gesicht zu einer raubtierhaften Fratze verzerrte, musste Neire fast lachen. Dann sah er, dass Umbari sich plötzlich aufrichtete. Er wirkte nicht mehr gebrechlich und antwortete mit charismatischer Stimme: „Eine Probe mein Junge. Eine Probe. Doch ich sehe, ihr seid auf unserer Seite. König Isenbuk ist stark und er wird siegen. Er will mich sprechen? Habt Dank für euer Kommen, habt Dank. Dann lasset uns keine Zeit mehr verlieren.“ Neire lächelte bei Umbaris Worten. Der Nachtzwerg, der im Lichte der Tür stand, verschwamm in diesem Moment in chaotischen Farben von Purpurrot. Neire trat einen Schritt auf ihn zu, als er versuchte Umbari zu umgarnen. Er hob seine Hand. „Ja Umbari. Lasst uns keine Zeit mehr verlieren. König Isenbuk erwartet euch. Doch vielleicht… vielleicht könnten wir Freunde sein.“

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Sitzung 85 - Wiedersehen mit Königin Hulda
« Antwort #90 am: 3.11.2023 | 22:26 »
Kalt starrten die Augen des Tiefenzwerges in die Leere. Die dürre Gestalt war in graue, Lederflicken-verstärkte Leinengewänder gehüllt – eine Unterkleidung, wie man sie unter einer Rüstung trägt. Umbaris Augen nahmen wieder Blickkontakt zu Neire auf. Er lächelte und sein Ausdruck wandelte sich, wie von Neugier und forschem Interesse getrieben. Der Augenblick, in dem Neire die Welt in rötliches Licht getaucht sah, ging vorüber. Er spürte, dass ihm sein Gegenüber freundlich gesonnen war. Doch konnte er sich sicher sein? Neire drehte sich um und blickte durch das Gemach. Die Hitze, die auch hier von den Schlackewänden ausging, trieb ihnen allen den Schweiß in die Augen. Das ständige Vibrieren des Gesteins wurde begleitet von einem dumpfen Dröhnen. Zussa sprach zuerst, als sie zu Umbari und Neire trat. Das Licht drang ausschließlich aus der Kammer hervor, die Umbari so kürzlich verlassen hatte. Der Schimmer verlor sich in der Höhe des Gewölbes, was im Kontrast zu den Möbeln in Menschengröße stand. „Neire, habt ihr einen neuen Freund gefunden?“ Zussa zeigte mit ihrem Säbel auf Umbari, als sie verrückt grinste. „Habe ich das, Umbari? Habe ich einen Freund gefunden“, fragte Neire und legte seinen Kopf schief. Sie alle, Neire, Zussa und Bargh, mussten einen grauenvollen Eindruck hinterlassen. Ihre Haare, Haut und Kleidung waren von dunkler Asche besetzt. Sie waren durchnässt von Schweiß und besudelt von getrocknetem Blut. Umbari nickte Neire zu und lächelte. „So ist es. Ihr könnt mich als euren Freund zählen. Es kommt mir so vor, als kennte ich euch bereits längere Zeit.“ Neire nickte Umbari zu, doch Zussa fiel ihm ins Wort, bevor er antworten konnte. „Ich liebe Freunde, auch wenn es die von Neire sind. Freunde erzählen die schönsten Geschichten… Erzählt uns Umbari, erzählt uns alles, was ihr über diesen Ort wisst.“ Umbari schaute verunsichert Neire an, doch der junge Priester nickte. Dann begann Umbari zu sprechen. Er erzählte vom großen Krieg, den König Isenbuk bestritt. Die Vereinigung der verschiedenen Rassen der Riesen unter seiner Führung. Er erzählte ihnen vom Krieg gegen die Menschen und von den unermesslichen Reichtümern, die die Dunkelelfen ihnen bezahlten. Umbari war stolz auf seine Errungenschaften. Auf seine Baukunst der Hallen der Feuerriesen und auf die Kriegsführung, in der er Isenbuk beriet. Mit einem Nicken bestätigte er die militärischen Erfolge, die ohne ihn niemals möglich gewesen wären, weil er König Isenbuk für dumm und träge hielt. Doch Umbari schätze den König als großen Führer. Zussa und Neire stellten ihm viele weitere Fragen. Als es um das Haus Eilserv ging, dass anscheinend hinter allem steckte, trat selbst Triel aus den Schatten hervor und betrachtete Umbari und Neire erstaunt. Die Dunkelelfin hörte aufmerksam zu, als ihnen Umbari berichtete, dass es einen Tempel unter den Hallen von König Isenbuk gab. So rätselten sie über die Sphäre der Dunkelheit über Aschwind, für die auch Umbari keine Erklärung hatte. War es eine Ablenkung? Ein Lockruf für die Rasse der Dunkelelfen sich in einen Krieg zu begeben? Sie rätselten über den unteren Tempel und den Gott der dort angebetet wurde. Bis Zussa die Worte murmelte: „Es ist nicht der Gott des elementaren Bösen. Es ist der Gott der Schleime und Schlicke und er vereint bestimmte elementare Aspekte. Er dient dem tiefen Unteren, in dem er lauert. Sein Name ist Ghaunadaur.“

Zussa blickte erbost in Richtung Neire. Wollte er jetzt auch Umbari mit ihnen ziehen lassen? Sie fühlte eine starke Abneigung gegenüber dem alten Nachzwerg. Umbari hatte sich unter den Feuerriesen vom Sklaven zu einem persönlichen Gelehrten König Isenbuks hochgedient. Wir hätten ihn umbringen sollen, nachdem er uns seine Schätze übergeben hatte. Dachte sich Zussa und warf Triel einen bösen Blick zu. Was konnte er uns danach noch sagen. Zussa hatte fast Recht behalten mit ihren Annahmen, doch auf ihrem Rückweg in ihr geheimes Versteck hatte Neire Umbari die Leichen der großen Halle gezeigt. Der Tiefenzwerg war fassungslos zu seinem alten König gegangen und hatte gemurmelt: „Nein, das kann nicht sein. König Isenbuk… tot. Nur ein mächtiger Krieger, nein, eine ganze Armee, kann das gemacht haben.“ Neire hatte Umbari nach der Nachfolge von König Isenbuk befragt und der Tiefenzwerg hatte Königin Hulda genannt. In diesem Augenblick lächelte Neire Zussa an und sagte „Umbari, wollt nicht ihr König sein? Sehet, der Thron ist leer. Er ist wie gemacht für euch.“ Umbari schüttelte heftig den Kopf und antwortete: „Nein, mein Freund, ich spreche zwar ihre Sprache, aber sie würden mich nicht akzeptieren. Als Sklave, der ich einmal war. Ich bin zu klein, zu alt und zu schwach. Aber gebt mir bitte meine Waffe, meine Rüstung und meine Handschuhe. Bitte, mein Freund. Ich fürchte, wir müssen uns wappnen, gegen das, was dieses Unheil hier angerichtet hat.“ Zussa sah Neire nicken und der junge Priester zog Umbaris Kriegshammer hervor. Dann blickte Neire in ihre Richtung, doch Zussa wollte Umbaris Handschuhe nicht mehr ausziehen. Sie gaben ihr Kraft und sie fühlte sich unbesiegbar. Sie schüttelte den Kopf und hörte Neire antworten. „Nein Umbari, eure Handschuhe haben wir an Zussa verliehen.“ Zu ihrer Verwunderung sprach der Tiefenzwerg versöhnlich: „Ich verstehe mein Freund. Ohne meine Handschuhe kann ich meine Rüstung nicht mehr tragen. Das Alter hat mich schwach gemacht.“ Zussa verkniff sich das Lachen und schluckte ihre Beleidigung gegenüber Umbari hinunter. Sie hörte Neire weiter ausführen. „Ihr wollt wirklich nicht der König der Feuerriesen sein? Nicht einmal auf dem Thron sitzen? Nach allem, was ihr für sie getan habt?“ Umbari dachte nicht lange nach und nickte. „Wieso eigentlich nicht. Sie haben mir alles zu verdanken. Ihre Hallen und die Planung des Krieges. Wieso sollte ich nicht König sein, König für einen Augenblick.“ Zussa lachte laut auf und frohlockte. Sie ahnte das Spiel, das Neire vorhatte. Der Tiefenzwerg begann sich ungeschickt an dem großen Thron hinaufzuziehen. Das Schauspiel hatte bereits etwas grotesk Lächerliches. Zussa prustete und gackerte. Sie konnte sich nicht mehr halten und fühlte, wie sich ihre Bauchmuskeln verkrampften. Sie nahm die Umgebung, die Fleischberge von grausam verstümmelten, toten und verrottenden Leibern, kaum noch wahr. Sie stürmte Umbari hinterher und kletterte behände auf den Thron. Dort setzte sie sich auf eine Armlehne. Neire reichte Umbari den Kriegshammer, den der Tiefenzwerg nur feierlich neben sich aufstellte. Umbari blickte in die Ferne. In die Schatten der großen Säulen, die im Lichte der Gasfackeln flackerten. Zussa sah, dass Bargh auf die andere Seite des Thrones getreten war. Sie hörte die Stimme von Neire. „Sehet den neuen König, der den alten schwachen Göttern entsagt hat. Laduguer und Ghaunadaur kriechen im Staub vor seiner Herrschaft.“ Für einen Moment flackerten die Flammen der Fackeln stärker und die Schatten begannen sich zu bewegen. Zussa hörte Umbari flüstern. „Vorsicht mein Freund Neire. Man sollte die Götter nicht reizen, auch wenn ihnen unser Schicksal egal ist.“ Neire schien die Worte nicht zu hören und so lauschte Zussa dem Kind der Flamme, das seine dichterischen Verse vor dem Throne vortrug. „Nach alter Sitte wird ein König nicht geboren, sondern gemacht. Treu ergeben sind ihm seine Diener. Kupferne Krieger, Platinerne Priester und die Kinder der Flamme. Alle reihen sich ein in sein Opfer. Es ist die Werdung der Menschenschlange des reinen Blutes. Die Werdung und die Vereinigung mit der schwarzen Natter ist seine Bestimmung. Es ist die Essenz des inneren Auges, Jahrtausende alte Tradition von Nebelheim. Denn die schwarze Natter ist das Abbild unserer hohen Dame des abgrundtiefen Chaos.“ Neire pausierte für einen Moment und Zussa spürte die Traurigkeit in seinen Worten. Dann fuhr der Jüngling in seinem zischelnden Singsang fort. „Doch betrachtet, oh Yeer’Yuen’Ti, betrachtet. Die Menschenschlange ist des Blutes falsch, gar nicht mal Schlange sie ist.“ Neire wandte seinen Blick zu Bargh. „Oh, Meisterschnitter wartet nicht. Wisset ihr doch um die Werdung.“ Neire blickte jetzt sie an. „Oh, Kupferne Krieger schreitet voran. Mutig und allein sollet ihr euch ihnen in den Eishöhlen stellen.“ Für einen Augenblick dachte Zussa nach. Neires fordernder Blick verlangte etwas von ihr. Dann sah sie, dass Bargh die schattenblutende Klinge Glimringshert erhob. Sie ließ einen heulenden Schrei von sich. Jetzt wusste sie, was zu tun war. Sie mussten die Menschenschlange vorbereiten. Sie würden sehen, ob das Blute rein war, die Werdung zur Schlange erfolgreich. Neben ihr loderten die Flammen von Glimringshert auf und Funken stoben vom Stein der Armlehne. Bargh hatte seine Klinge herniedergerammt. Dorthin, wo Umbari seinen linken Arm auf die Lehne gelassen hatte. Der Tiefenzwerg ließ einen hellen Schrei von sich, als er seinen verstümmelten Arm hob. Blut spritzte aus dem Stumpen, der in der Hälfte des Unterarmes endete. Gierig zog Zussa ihren Säbel und begann auf Umbaris rechtes Bein zu hacken. Doch die Knochen waren zu dick. Sie spürte die Kraft der Handschuhe, aber es war nicht genug. „Neire, mein Freund, helft mir. Sie sind verrückt geworden. Helft mir Neire.“ Tränen rollten über die Wangen des Nachtzwerges, sein weißer langer Bart war bereits von feinen Bluttropfen bedeckt. Umbari klammerte sich an sein Schicksal, an seinen einzigen verbliebenen Freund. Er flehte Neire an. Genug Zeit für Zussa nach seinem Bein zu hacken. Noch ein, zwei Hiebe und sie hatte den Unterschenkel am Knie gelöst. Sie sah den Unterschenkel samt Stiefel in die Tiefe fallen. Umbaris Schreie erstarben langsam. Dann kam die dunkle Klinge von Bargh und fuhr durch den Schädel des Riesendieners. Barghs Schlag zermalmte den Oberkiefer und trennte Umbaris obere Schädelhälfte vom unteren Teil. Zussa ließ ihren Säbel fallen und griff nach Umbaris Schädelhälfte. Sie war schnell genug und bevor der Schädel zu Boden rollen konnte, drehte sie ihn um. Im Inneren schwappte rötliche Gehirnmasse. Zussa griff hinein und warf Gehirnstückchen in alle Richtungen. Als ob sie Anhänger segnen würde. Von unten hörte sie Neires Stimme. „Oh betrachtet, die Menschenschlange des falschen Blutes. Sie war keine Schlange, nicht würdig der Werdung.“ Zussa setzte sich jetzt neben Umbari und hielt den Schädel in die Höhe. Neben ihr sprühte Blut aus dem Stumpf, der Hälfte des einstigen Kopfes. Die Worte hatten Zussa angestachelt. Die Welt um sie herum versank in Blut. Sie wollte alles und jeden töten. Triel würde die nächste sein. Sie malte sich bereits aus, wie sie es tun würde, als sie schrie. „Schauet… jetzt bin ich die Königin. Umbari war falsch. Kriechet im Staub ihr Riesen. Kriechet zu euren schwachen Göttern.“

Bargh erinnerte sich zurück. Nachdem Zussa sich wieder beruhigt hatte, war das Mädchen hinabgeklettert und hatte Neire den Schädel von Umbari übergeben. Zussas Kopf und Oberkörper waren von einer frischen Schicht Blut überzogen, die ihr ein entfremdendes Aussehen verliehen hatten. Neire hatte beschlossen Runen aus Blut und Gehirn auf den Thron zu malen, die vor dem Verräter Umbari warnten. Im Wortlaut hatte es sich etwa wie - Dem Verräter an der Rasse der Feuerriesen, der für seinen Frevel bezahlen musste – gelesen. Dann hatten sie die Halle verlassen, hatten die noch immer verletzte Königin Hulda eingesammelt und waren in der verborgenen Schatzhalle des einstigen Königs verschwunden. Bargh hatte zuvor versucht, ihre Spuren vor den beiden Geheimtüren zu verwischen. Als sie Königin Hulda vom Tode Umbaris berichtet hatten, war ihre Verstimmung deutlich zu sehen gewesen. Die Königin hatte Umbari als ihren eigenen Sklaven, als wertvoll und klug bezeichnet. Nur als Neire Königin Hulda erzählt hatte, dass Umbari sie alle verraten hatte, hatte Hulda zustimmend genickt. Bargh hatte sich seinen Teil gedacht, bei der Reaktion Huldas. Wahrscheinlich hatten sie den Drahtzieher hinter dem militärischen Bestreben der verschiedenen Rassen der Riesen entdeckt. Zudem war Umbari wohl wirklich für die Konstruktion der Hallen von König Isenbuk verantwortlich gewesen. Nun, er hatte nicht dem richtigen Gott gedient, dachte sich Bargh. Er hielt den Tod Umbaris für eine natürliche und unabwendbare Folge dieser Gegebenheit. Wären sie nicht gekommen, um Umbari ein Ende zu bereiten, dann wäre es irgendwann ein anderer mächtiger Anhänger Jiarliraes gewesen. Bargh hatte während seiner Wache einige Zeit über diesen Gedanken gebrütet. Dann hatte er sich zur Ruhe begeben. Als er aufwachte, fühlte er sich ausgeruht und stark. Das Juwel aus dem schwarzen Handschuh, das er seit der Eroberung der Adlerfeste trug, beschleunigte die Heilung von Wunden auf wundersame Art und Weise. Er tastete, doch da war kein Schmerz. Die teils tiefen Schnitte hatten sich bereits geschlossen. Als Bargh gerade seine alten Verbände entfernt hatte, stand plötzlich Triel neben ihm und flüsterte leiste Worte. „Bargh, weckt die anderen. Ich habe tiefe Stimmen von oben gehört. Stimmen aus dem Thronraum.“ Bargh reagierte sofort. Er durfte nicht zögern. Er hatte bei Neires und Zussas Spiel mitgemacht, hatte sich treiben lassen. Ja, es hatte ihm Spaß bereitet, Umbari zu verstümmeln. Doch es war unvorsichtig und dumm gewesen. Der Nachtzwerg hatte aus voller Kehle seinen falschen Freund um Hilfe angefleht. Wer mochte das gehört haben? Bargh dachte an seine militärische Ausbildung zurück. Er hätte es nicht zu diesem Schauspiel kommen lassen sollen. Sie waren ja schließlich im Krieg hier. „Neire, Zussa, wacht auf. Stimmen von oben. Aus dem Thronraum.“ Zussa wurde langsam wach, doch Neire sprang bereits auf und hüllte sich in seinen Mantel. „Triel hat die Stimmen gehört“, fuhr Bargh fort und zeigte in Richtung der Dunkelelfin. Neire nickte und flüsterte ihm, sichtlich erregt, zu. „Wartet hier mit Zussa und macht euch bereit. Ich werde mit Triel nachschauen.“ Dann verschwand der junge Priester mit der Dunkelelfin in den Schatten der aufsteigenden Treppe. Lange musste Bargh nicht warten. Schon bald hörte er Neires flüsternde Stimme, wie aus dem Nichts neben sich. „Es sind fünf Riesen im Thronraum. Sie untersuchen den Leichnam von Umbari. Furcht und Grauen war in ihren Augen.“ Bargh spürte bereits die Anspannung und Kampfeslust, doch Neire wendete sich an Königin Hulda, die seit einiger Zeit erwacht war. „Kommt Königin Hulda. Folgt mir.“ Bargh, bemerkte, dass die Wunden von Hulda noch nicht verheilt waren. Der Königin ging es zwar etwas besser, doch sie zitterte noch. In der Dunkelheit konnte Hulda nichts sehen. „Bargh, wartet an der Ecke des oberen Tunnels mit Zussa. Hulda wird sie zu uns führen.“ Bargh nickte Neire zu, als der Jüngling mit der Königin über die Treppe verschwand. Langsam bewegte er sich hinauf, durchquerte den Gang und postierte sich an der geheimen Tür. Zussa folgte ihm, doch verlor keine Worte. Sie verharrten dort und eine Zeitlang lauschten sie dem beständigen dumpfen Vibrieren im Stein. Dann hörten sie hastige Stimmen und Gemurmel. Dann näherten sich Schritte. Plötzlich kam die riesenhafte Gestalt von Hulda um die Ecke. Bargh machte sich bereit. Als der erste Riese auftauchte griffen Bargh und Zussa ihn an. Die hintere Gestalt des zweiten Riesen wurde von Triel attackiert. Überrascht in der Dunkelheit, fielen die beiden Riesen schnell ihren Waffen zum Opfer. Aus der Ferne hörten sie ein hohes Summen, wie von Neires Magie. Bargh stürzte mit Zussa um die Ecke, wo sie drei weitere Riesen in den Tunnel eindringen sahen. Ein Kampf auf Leben und Tod entbrannte. Übermütig und von gackerndem Lachen stürmte Zussa an ihm vorbei. Sie brachten die erste Kreatur zu Fall, doch die zweite rammte ihr Schwert in Zussas Seite. Das kleine Mädchen wurde gegen die Wand gerammt als Knochen knackten. Zussa Lachen wandelte sich in ein Weinen, als sie sich humpelnd und nach Luft schnappend zurückzog. Die Wut trieb Bargh an und die Dunkelheit des Schwertes gab ihm Zuversicht. Neire wirkte seine Magie von der anderen Seite. Sie hatten die letzten beiden Riesen in die Zange genommen. Es gab keinen Ausweg für sie. Es wartete nur der Tod.

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Sitzung 86 - Der Hinterhalt
« Antwort #91 am: 14.11.2023 | 22:11 »
Neire legte vorsichtig den Arm um Zussas Schulter. Nachdem sie nach dem Kampf die Leichen in den Thronraum gezogen hatten und die Spuren – so gut es ging – beseitigt hatten, waren sie wieder hinabgekehrt in die geheime Schatzkammer König Isenbuks. In der Dunkelheit des Gemachs hatte sich Zussa leise fluchend und schluchzend in eine Ecke begeben und sich um ihre Wunden gekümmert. Das war Neire aufgefallen und so hatte er sich zu dem Mädchen gesetzt. Neben dem Geruch von frischem Blut, ging mittlerweile ein starker Schweißgeruch von Zussa aus. Neire biss die Zähne zusammen und tat, als würde er den Geruch nicht wahrnehmen. Er flüsterte ihr zischelnd zu: „Ihr habt tapfer gekämpft Zussa. Betet zu Jiarlirae, beschwört ein Wunder hervor. Auf dass sich Blut zu Blut, Fleisch zu Fleisch und Bein zu Bein verbinden soll.“ Neire erinnerte sich an ein altes Lied von Zaubersprüchen, das ähnliche Worte enthielt. Zussa nickte und ihr wehleidiges Flüstern endete für einen Augenblick. „Hier unten hört uns keiner. Ob ihr weint oder nicht, es macht keinen Unterschied.“ Jetzt stieß Zussa seinen Arm weg und blickte vorwurfsvoll auf. „Neire! Ich weine nicht. Sehe ich etwa aus wie ein kleines Mädchen?“ Neire verdrängte den schalkhaften Ausspruch, den er auf den Lippen hatte. Trotz ihres Alters – Zussa war vielleicht einen Winter älter als er – waren sie beide ja noch halbe Kinder. Neire zog das schwarze Zauberbuch hervor, das in seltsames Leder, fast wie eine Art Haut, gebunden war. Er erinnerte sich an den Ursprung des Buchs. Er erinnerte sich, dass Zussa und Bargh es von diesem falschen Raxivort aus jener Höllenwelt geborgen hatten. Ja, Zussa hatte einiges gesehen auf ihrer Reise mit Bargh, Halbohr und ihm. Neire schlug das Buch auf und bemerkte Zussas Aufmerksamkeit. „Ihr habt gekämpft in der Dunkelheit und das Schwert hat euch mehr aus Zufall getroffen“, sagte Neire während er wieder einen Arm um Zussas Schultern legte. Sie schien sich wieder beruhigt zu haben und atmete schwer. „Ja, Neire, sie hatten Glück und ich hatte Pech. Doch ich hasse sie. Ich hasse sie alle.“ Neire nickte langsam, bevor er sprach. „Heute ist ein großer Tag, Zussa. Ich spüre die Kräfte von Jiarlirae. Sie spricht wieder zu mir.“ Jetzt wirkte Zussa aufgeweckt und freundlich. „Sie spricht zu euch, Neire? Was hat euch gesagt.“ „Nun, sie sagte, wir sollen die Königin mitnehmen. Wir sollen sie hinabnehmen in die Tiefe.“ Neire spürte, dass Zussa mit dieser Antwort nicht zufrieden war. „Hulda mitnehmen, diese stinkende, hässliche Hexe? Wenn sie das gesagt hat…“ „Sie muss einen Grund gehabt haben und wir werden es sehen.“ Antwortete Neire. Zussa knirschte jetzt mit den Zähnen. „Und ich hatte mich so darauf gefreut die Königin zu töten.“ Sie wirkte jetzt fast etwas traurig. Neire hingegen deutete in Richtung Triel und ließ Zussa seinem Blick folgen. Die Dunkelelfin kniete an der Treppe und blickte hinauf in die Dunkelheit. Neire machte eine Geste, als wolle er eine Kehle durchschneiden. Dann nickte er Zussa zu. „Was haltet ihr davon Zussa?“ Das dürre Mädchen gab schenkte ihm ein tiefes, inniges Lächeln. Ihre weißen Zähne und ihre grünen Augen blitzten auf in ihrem blutverschmierten Gesicht. „Ich warte sehnlich darauf Neire. Ich kann es nicht abwarten.“

Eine lange Zeit war verstrichen. Sie hatten gerastet und gegessen. Nur Neire hatte ununterbrochen in seinen Büchern gelesen und gebetet. Die Königin hatte sich zu Neire gesetzt und ihn verwundert angestarrt. Das war dann über Stunden so gegangen. Doch schließlich waren sie aufgebrochen und hatten den geheimen Bereich verlassen. Auf dem Weg zur Treppe in die Tiefe waren sie in der Küche und an einem weiteren, noch unerforschten Gemach vorbeigekommen. In der Küche hatte sich Hulda über die Vorräte gestürzt. Ihre kleinen, dunklen Rattenaugen hatten gefunkelt, als die fünf Schritt große Riesin ihren hässlichen Schädel in eines der Wasserfässer getaucht und gierig getrunken hatte. Prustend und rülpsend hatte sie danach ihre verfilzen Haare zurückgeworfen. Der noch unerforschte Raum war – bis auf hastig verlassene Lager und wertlose Wohneinrichtung - leer gewesen. So waren sie die großen Stufen in die Tiefe hinabgestiegen. Neire hatte sich immer wieder flüsternd mit Königin Hulda unterhalten und ihr Anweisungen gegeben. Je tiefer sie nun kamen, desto heißer schien die Luft zu werden. Plötzlich tauchte vor ihnen Triel aus den Schatten auf. „Ich höre Stimmen. Sie sind dort, am Ende des Tunnels. Hinter einer Ecke.“ Triel zeigte in Richtung des Tunnels, an dem die Treppe endete. „Ich werde mit Hulda vorgehen. Wartet ihr hier auf mein Zeichen.“ Bargh nickte und sah wie Neire mit Hulda in die Dunkelheit verschwand. Alsbald war für ihn der Jüngling nicht mehr zu sehen. Nur der große Leib der hässlichen Königin wandelte dort. Bargh schaute sich um. Er war mit Zussa alleine. Um sie herum war das Licht des von Gasfackeln erhellten Gangs. Ein Dröhnen, wie ein tief frequentes Vibrieren, war von überall zu hören. Zussa war sichtlich nervös und blickte sich hastig um. Bargh wollte ihr gerade etwas zuflüstern, da hörte er Huldas bellende Stimme irgendwo aus dem Tunnel. Er konnte die Königin weder sehen noch verstehen, doch ihr Ton hörte sich bestimmend an. Es folgten Antworten, die durch die Dunkelheit zu hören waren. Gemurmelt und unterwürfig. Dann wieder das Bellen der Königin. Dann folgten Schritte und das Klingen von Metall. Murren und Stöhnen waren zu vernehmen. Als Bargh das Krachen einer elektrischen Entladung und den Donnerschlag durch den Felsen dringen hörte, rief er Zussa zu. „Jetzt, Zussa. Folgt mir und kämpft. Für Jiarlirae.“ Bargh setzte sich augenblicklich in Bewegung und nahm sein Schild. Die Dunkelheit war mit ihm. Er stürmte durch den Tunnel und vernahm eine weitere Entladung und den Schlag des Donners. Dann war er im Kampf. Eine grauenvolle Szenerie offenbarte sich vor ihm. Hulda war zurückgewichen. Ein Haufen Riesen stand dort, versammelt in einer kleinen Gruppe im Gewölbegang. Sie alle hatten ihre Waffen – auf Huldas Befehl – auf einen Haufen geworfen. Jetzt herrschte Chaos. Ein Gedränge, ein Fassen sowie ein aggressives Schnappen. Einige der noblen Krieger trugen bereits grauenvolle Narben. Von elektrisch verbranntem Fleisch und zerrissenen Sehnen. Die Übermacht, die sich dort versammelt hatte, war gewaltig. Bargh zählte vier zweiköpfige Unholde. Ähnlich derer, die sie bereits in Isenbuks Thronkammer bekämpft hatten. Doch da waren noch acht weitere Riesen. Diese Riesen waren von aschgrauer Haut und trugen teils rötliches, teils rot-blondes Haar. Ein Krieger offenbarte seinen muskulösen Oberkörper. Ein besonders hässliches Exemplar griff nach seiner gewaltigen Axt, in der ein roter Edelstein glühte. Bargh warf sich in den Kampf. Bevor er sein Schwert erheben konnte, entluden sich ein drittes Mal elektrische Blitze. Das Licht der Magie war tief schwarz, von Schatten und Antimaterie. Es ließ Bargh fast erblinden. Als er Glimringshert erhob vernahm er die Schreie. Mehrere Riesen waren bereits unter dem invertierten Feuer verbrannt. Das Grauen war allgegenwärtig. Der Axtträger neben ihm war zu Boden gesunken. Der Aufprall auf den Stein war so heftig gewesen, dass seine Zähne gesplittert waren. Weiter hinten brüllte ein jüngerer Riese in Schmerzen. Die elektrische Energie hatte seine Knöchel und Sehnen brechen lassen. Jetzt humpelte er auf Knien dahin. Bargh kämpfte verbissen und tapfer. Es ging um Leben und Tod. Die Gesänge der Gebete trieben ihn an. Ein meterlanges Schwert rammte in seine Seite, nahm ihm die Luft zum Atmen. Doch er riss den Schild wieder hoch und fällte den nächsten Gegner. Glrimringshert sang das hohe Lied seiner Göttin. Wo die Klinge sich entzündete, hinterließ sie zerhacktes, kauterisiertes Fleisch. Er drängte voran. Er stieg über die Leichen hinweg und er tötete. Er tötete, bis der letzte Riese fiel.

Bargh lachte auf. Für einen Augenblick ließ sich Neire ablenken, doch dann wendete der Jüngling wieder seinen Blick auf Hulda. Er musste sich eingestehen: Er hatte den Jungen ein weiteres Mal unterschätzt. Der erste Hinterhalt, den Neire mit Hulda den Riesen gestellt hatte, war in einem vollständigen und überwältigenden Sieg für sie geendet. Er wollte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte Königin Hulda die Riesen nicht überredet ihre Waffen niederzulegen. Doch sie waren dumm und pflichtbewusst, diese Kreaturen. Sie hatten ihrer Königin gehorcht – ohne Wenn und Aber. Neire hatte ihm später erzählt, dass sie auf beiden Seiten des sich verzweigenden Tunnels gewartet hätten. In Kampfformationen und bewaffnet mit Steinbrocken. Nach ihrem Sieg war jedoch keine Zeit gewesen. Triel hatte Stimmen aus dem linken Tunnel gehört. So waren sie in Richtung der Stimmen geschritten. Die Königin hatte Neire vorangeführt. In einer fernen Wohnhöhle hatten sie das Stimmengemurmel und die Schreie von Kindern und Säuglingen gehört. Dort hatten sich ihnen ein letztes Aufgebot entgegengestellt. Zwei Riesen waren kleiner und von grobschlächtigen Gesichtern. Sie hatten Ähnlichkeiten zu den Riesen der Halle des Nomrus. Die verbleibenden fünf Verteidiger waren gerüstet und bewaffnet. Sie waren vom Volk König Isenbuks. Neire hatte Hulda weitere Worte zugeflüstert und die Königin hatte ihre Taktik wiederholt. Doch ohne Erfolg. So hatte Neire Worte der Magie beschworen und die Riesen verzaubert. Was folgte war ein Schauspiel, dass Bargh für sein Leben nicht vergessen würde. Die Riesen hatten sich angefallen und zerfleischt. Teils waren sie aber auch in eine unwirkliche Lethargie verfallen. Nur ihr Anführer hatte auf sie eingeschrien und sie zum Gehorsam ermahnt. Doch sie hatten nicht gehört und sich attackiert. Einer nach dem anderen. Der Anführer hatte schließlich begonnen selbst seine Untergebenen anzugreifen. Dann hatte ihn Bargh hinterrücks niedergemacht. Den letzten Riesen, der bereits geistlos in das Gemach gegangen war und dort mit seinem Speer einen Säugling aufgespießt hatte, hatte Bargh zuletzt getötet. Jetzt stand er neben Neire und Königin Hulda und atmete schwer. Neire flüsterte zischelnd Worte zu Hulda. Bargh blickte in die verängstigte Menge der Frauen und Kinder – eine Vielzahl von Augen im flackernden Zwielicht. Sie hatten ihre Köpfe gesenkt. Einige begannen sich niederzuknien, als ihre Königin zu ihnen sprach. Es waren Worte in der Riesensprache Huldas: „Ich bin gekommen euch zu befreien. Von den Verrätern. Die Verräter waren überall, aber jetzt sind sie tot. Sie haben dort oben alle erschlagen – die Krieger, Umbari und den König. Es ist eine Krankheit, Ratten und Ungeziefer, die zu uns gekommen sind. Doch wir haben diese Krankheit ausgemerzt. Jetzt fließt wieder unsere heilige Essenz durch diese Hallen. Der König ist tot, der Krieg vorbei. Doch ich bin gekommen, um über euch zu herrschen, um über euch zu richten. Flamme und Düsternis wandeln mit mir durch diese Hallen des Feuers. Ich bin Königin Hulda und ihr werdet mir folgen.“

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Sitzung 87 - Der Zellentrakt
« Antwort #92 am: 20.11.2023 | 13:11 »
Ständiges Dröhnen und Vibrieren des vulkanischen Untergrundes verdichteten die stickige Atmosphäre, die in der unterirdischen Säulenhalle durch die Vielzahl von kolossalen Körpern verursacht wurde. Nach dem grauenvollen Bild der noblen Riesen, die sich gegenseitig niedergemetzelt hatten, war eine Angst-geschwängerte Stille eingekehrt. Die letzten Worte Königin Huldas waren verhallt. Misstrauische Paare großer Augen glotzten in das flackernde Licht der Gasfackeln. Die Schatten, die die schwarzen Pfeiler warfen, tanzten unruhig. Dann trat die erste Gestalt heran und legte ihr matronenhaftes Verhalten ab. Die Riesin, mit der schwarzen Lederschürze beugte unterwürfig das Knie und zollte der Königin ihre Ehrerkennung. Weitere Frauen der Riesen folgten. Auch die jugendliche Brut der Riesen, die bereits eine Größe von über drei Schritten erreicht hatten und bewaffnet waren. Zudem die kindlichen Riesen, die bereits größer als Neire waren und sich wankend und ungeschickt bewegten. Sie alle beugten ihre Köpfe vor der Königin, in treuer Ehrerbietung. Nur einige der Frauen blickten immer wieder auf den noch blutenden Leichnam des Säuglings, der Größe eines erwachsenen Menschen. Ein Grauen war in ihren Augen zu sehen. Neire nutzte die sich entfaltende Szenerie und bewegte sich neben Königin Hulda. Er zitterte am ganzen Körper. Die Hervorrufung dunkler Magie hatte an seinen Kräften gezehrt. Der Jüngling blickte sich um. Obwohl er Kinder und Jugendliche unter den Riesen sah, kam er sich klein und schwach vor. Doch er wusste Königin Hulda auf seiner Seite. Neire raffte seinen Tarnmantel zurück und blickte zu Hulda hinauf. Ihr langes rötlich-orangenes, verfilztes Haar hing dort von ihrem Kopfe hinab. Ihr knöcherner Schädel offenbarte ihre Hässlichkeit, in dem spitz zusammenlaufenden Gesicht rattenartiger Augen. Hinabhängende Brüste quollen auf Bauchhöhe unter ihrem Lederwams hervor und sie humpelte aufgrund ihrer Beinwunden. Dennoch strahlte die Königin eine Art Erhabenheit aus, die auch ihr Gestank nach Schweiß und Alter nicht nehmen konnte. „Was habt ihr ihnen gesagt Königin Hulda?“ Neire zischelte die Worte und Hulda beugte ihren deformierten Kopf zu ihm hinab. „Freund, habe ihnen erzählt. Verrat. Doch sie wissen nichts, wissen nicht was passiert. Wer verraten hat. Verrat von vielen, Verrat von kleinem Mann unter den Bergen. Sie nicht verstehen, aber sie mir glauben. Sie fürchten ihren König, jetzt sie fürchten ihre Königin.“ Neire lächelte der Königin zu, bevor er seine Stimme erhob. „Ihr seid schlau Königin Hulda und sie sind dumm. Natürlich verstehen sie nichts vom Verrat. Sie verstehen nicht, wie ihr versteht.“ Die Königin grinste und offenbarte ihre fauligen Hauer. „Ja, Königin immer schlau. König war dumm und Königin sagen König was zu tun.“ Neire nickte, jedoch verschwand das Lächeln jetzt aus seinem verdreckten Gesicht. „Fragt sie ob es alle sind. Gibt es weitere Krieger, weitere Verräter? Gibt es andere Frauen und Kinder?“ Die Königin nickte und sprach Worte ihrer tiefen, fremden Sprache. Eine der Frauen antwortete ehrfürchtig. Dann sprach Hulda wieder zu ihm. „Einige Krieger gibt es. Weiter unten. Doch Frauen und Kinder alle hier. Königin Hulda selbst hat Frauen und Kinder weggeschickt. Vor langer Zeit. An sicheren Ort. Weggeschickt vor dem Krieg.“ Neire verstand und nickte. Er zischelte Hulda weitere Worte zu. Jetzt war seine Stimme freundlich, aber bestimmend. „Königin Hulda, kümmert euch um sie. Ihr müsst hierbleiben und ihr dürft diesen Ort nicht verlassen. Nicht so lange weitere Verräter sich hier aufhalten.“ Königin Hulda nickte und bewegte sich zu ihren Untertanen. In ihrer Erhabenheit zeigte sie mütterliche Gefühle, half einigen der Frauen auf und inspizierte freundlich einige der Kinder. Neire drehte sich um zu seinen Gefährten. Sie mussten weiter. Sie würden Hulda hier zurücklassen mit ihren Untergebenen.

Zussa sah Triel vor sich an der Türe horchen. Sie fragte sich, ob die Dunkelelfin sie nur warten lassen wollte oder wirklich so unfähig war. In ihren Gedanken malte sich Zussa bereits aus, wie Triel gegen Eclavdra kämpfen würde. Nachdem sie die unterirdische Halle der Frauen und Kinder nach Schätzen abgesucht hatten, waren sie durch weitere leere Gemächer geschritten. Einige der riesenhaften Räume hatten zu den Wachen gehört, die sie zuvor umgebracht hatten. Nachdem sie alle Habseligkeiten eingesammelt hatten, hatten sie den Wohnbereich verlassen und waren zu einer doppelflügeligen Türe gelangt. Dort hatte Zussa Triel auf Eclavdra angesprochen und versucht sie aufzustacheln. Zuerst war Triel auf ihre Provokation eines Zweikampfes eingegangen, doch dann hatte die Dunkelelfin aus ihrer überlegenen Erfahrung geantwortet. Das hatte die Wut in Zussa noch mehr entfacht. Schließlich hatte sich Bargh eingeschaltet und Triel zur Stille ermahnt. Insgeheim hatte Zussa aber weiter gekocht vor Hass. Ihre Gedanken hatten sich um die Ermordung von Triel gedreht. Nachdem sie hinter den Türen ein dunkles Mausoleum mitsamt Särgen geplündert hatten, waren sie weiter den Gängen gefolgt. Schließlich waren sie zu einem Zellentrakt gelangt, den sie dann untersucht hatten. Die Zellen waren größtenteils leer gewesen oder beherbergten längst verstorbene und zu Skeletten verweste Kreaturen. Nachdem sie eine verlassene Folterkammer entdeckt und durchsucht hatten, war Triel vor einer weiteren Zelle aufgeschreckt. Sie hatte gehorcht und dort Geräusche gehört. Eine Untersuchung der Zelle hatte eine große, muskulöse Kreatur offenbart, deren Körper von grünlichem Moos bewachsen war. Aus dem Maul eines knöchernen Gesichtes, mit schiefer, krummer Nase, war weißer Geifer geronnen und schwarze Augen hatten bewegungslos in die Leere geblickt. Sie hatten sich entschieden die Kreatur, die Zussa als Troll erkannt hatte, in der Zelle zu lassen. Aus einer weiteren Zelle war ihnen der penetrante Gestank von Verwesung und Fäkalien entgegengekommen. Dort hatten sie einen muskulösen, aber fettleibigen Riesen gesehen, dessen Arme von Ketten gehalten wurden. Zussa war fast übel geworden, als sie ihren Blick vom dümmlichen Schädel der Kreatur über seinen Körper hatte gleiten lassen. Neben fauligen Wunden hatte sie das enorme Geschlechtsteil bemerkt, das rottend zwischen seinen Beinen hinabhing. Sie hatten die Türe wieder verschlossen und standen jetzt vor einer weiteren Zelle. Plötzlich drehte sich Triel um und hielt ihren Finger auf ihre Lippen. Sie musste etwas gehört haben. Triel begann leise den Riegel zurückzuschieben und die Türe zu öffnen. Dahinter offenbarte sich ein spärlicher Raum mit einer Tafel und einer Sitzbank. Das Licht von Gasfackeln drang ihnen entgegen. Auf der Tafel waren Humpen zu sehen, von denen einige kleiner waren. Auch standen im Raum einige Fässer. Vorsichtig bewegte sich Bargh voran und sie begannen mit der Durchsuchung. Sie wurden schnell fündig, als Neire auf ein geheimes Fach im Stein der Wand stieß. Die weitere Durchsuchung offenbarte auch die Quelle des Geräuschs, das Triel gehört hatte. Neire öffnete eine Geheimtüre, hinter der ein kleiner Tunnel in die Dunkelheit führte. Augenblicklich erstarrte Zussa, als sie in dem entfernten Licht einer natürlichen Höhle drei Gestalten sah, die durch den Tunnel in ihre Richtung blickten. Sie waren allesamt menschengroß, männlich sowie hager und dürr. Gekleidet in Lumpen, hatten zwei Dolche und einer ein Kurzschwert gezogen. Die Haut ihrer Gesichter war eingefallen und hier und dort von alten Pockennarben gezeichnet. Jetzt hörte sie die Stimme aus der Höhle, in der Angst mitschwang. „Keine Gefahr, keine Gefahr“, waren die Worte, die einen merkwürdigen, Zussa nicht bekannten Akzent trugen. Sie sah plötzlich Neire neben sich auftauchen, als der Jüngling die Kapuze seines Tarnumhangs zurückzog. „Keine Gefahr“, antwortete er. „Keine Gefahr, wir nur Sklaven.“ Die Gestalt mit dem Kurzschwert hatte wieder ihre Stimme erhoben, doch es war, als müsse sie nach den richtigen Worten suchen. Neire sprach wieder zu den Gestalten und machte einen Schritt in den Tunnel hinein. „Wir sind auch nur Sklaven. Wie Umbari. Auch von uns geht keine Gefahr aus.“ Zussa musste sich ein Grinsen verkneifen, als sie an Umbari und seinen Thron zurückdachte. „Ja, wir Sklaven, wie Umbari.“ Einen Augenblick herrschte Stille, dann drehte sich Neire lächelnd zu ihr um. In seinen Augen war ein rötliches Glühen zu sehen. Die drei Gestalten steckten ihre Waffen weg und entspannten sich sichtlich. Zussa folgte Neire in das Licht der natürlichen Höhle. Sie sah dort einige schwarze Truhen und die Öffnung eines kleinen Ganges, der in die dunkle Tiefe führte. „Wer seid ihr und wem dient ihr wirklich?“ Neire blickte immer wieder zu ihr hinüber während er sprach. Hinter sich hörte Zussa die Schritte von Bargh näherkommen. „Wir dienen König Isenbuk, wir dienen nicht gerne, aber wir dienen.“ „Und woher kommt ihr?“ „Aus dem Unteren, dort. Ewige Nacht… aus großen Höhlen.“ Der Anführer mit den braunen kurzen, fettigen Haaren zeigte auf den Tunnel. Zussa bemerkte, dass seine Fingernägel zu Krallen gewachsen waren. „Was ist eure Aufgabe hier?“ Neire fuhr mit der Befragung fort. „Bewachen Zellen, kümmern uns… um Zellen. Doch jetzt alle Riesen weg. Bewachen auch den Weg. In untere Höhlen.“ Wieder zeigte er auf den Tunnel. „Sagt, mein Freund, was sind eure Namen?“ „Ja, ihr Freund, guter Freund. Ich Braunig.“ Das Lächeln offenbarte faulige spitze Zähne. Dann zeigte Braunig auf seine Kameraden. „Das Kettra und das Grimta.“ Beide nickten, als ihre Namen genannt wurde und antworteten. „Wir Freunde, gute Freunde.“ „Ja, ihr alle seid meine Freunde, Braunig, Kettra und Grimta. Doch die Fragerei langweilt mich. Wollen wir nicht ein Spiel spielen? Ein Spiel mit meiner Freundin hier, die auch eure gute Freundin ist?“ Wieder blickte sie Neire lächelnd an. Was er nur nun wieder vorhatte, dachte sich Zussa. „Das Spiel geht so… meine Freundin Zussa stellt euch eine Frage, die ihr wahrheitsgemäß beantworten müsst. Ihr müsst nur die Wahrheit sagen und Fragen Folge leisten.“ Zussa spürte, dass sie wütend wurde. „Was ist das für ein langweiliges Spiel Neire. Könnt ihr euch nicht etwas Besseres einfallen lassen? Also gut… dann sagt… Könnt ihr euch gegenseitig aufessen?“ Für einen Moment gefiel Zussa das Spiel und sie erwartete, dass die Gestalten sich nun gegenseitig auffressen würden. Die Antwort machte sie aber noch wütender. „Ja, Freund, auffressen. Doch wir Freunde, wir Sklaven. Essen von Isenbuk. Nicht auffressen, andere.“ „Da seht ihr es Neire. Ein langweiliges Spiel. Nicht einmal auffressen können sie sich gegenseitig… pah!“ Zussa stampfte mit einem Bein auf den Felsen, um ihre Wut zum Ausdruck zu bringen. Hinter sich hörte sie Bargh lachen, was ihre Wut nicht minderte. „Nun, dann werde ich das Spiel fortsetzen Zussa. Mein Freund… könnt ihr mir zeigen was passiert, wenn ihr alle einen Tropfen des Rauschmittels nehmt, das sich in dem Gefäß befindet. Braunig, Kettra und Grimta… könnt ihr drei mir das zeigen?“ Zussa sah Angst in den Gesichtern der Fremden. Dann antwortete Braunig. „Freund… es Gift sein, es zerstören Geist. Von Dunkelelfen gemacht. Doch wir können. Nur ein Tropfen, dann kein Gift. Dann wie Rausch.“ Neire nickte und die Gestalten folgten ihm in den Raum. Dort nahmen sie behutsam alle einen Tropfen aus dem Gefäß und verrieben ihn auf ihrem Zahnfleisch unter ihrer Oberlippe. Alsbald wurden die Blicke von Braunig, Kettra und Grimta glasig, Geifer rann aus ihren Mündern und sie waren nicht mehr ansprechbar. Es schwante Zussa, dass sie das Spiel verloren hatte. Hätte sie doch ihre Frage anders gestellt. „Seht ihr Zussa?“ sprach Neire triumphierend. „Ihr müsset sie nur fragen und Dinge werden geschehen. Also, was wollen wir nun mit ihnen machen, mein Kind.“ Wieder waren da die Wut und der Hass. Sie wollte die Gestalten aufschlitzen. Dann erinnerte sie sich zurück an die natürliche Höhle mit dem Amboss und dem Magmastrom, der dort in einem Riss im Gestein zu sehen gewesen war. Zussa lachte laut auf, als sie Neire antwortete. „Ich bin kein Kind mehr Neire. Ich bin älter als ihr es seid. Merkt euch das, ein für alle Mal! Schön, was sollten wir also tun, natürlich…bei Jiarlirae, wir opfern sie! Wir übergeben sie dem Feuerstrom unserer Göttin.“

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Sitzung 88 - Im Tempel des Ghaunadaur
« Antwort #93 am: 26.11.2023 | 23:40 »
Neire versuchte die Gestalten nicht mehr anzublicken. Braunig, Kettra und Grimta waren nicht mehr ansprechbar und ihre Geister verweilten in einer anderen Welt. Ihr Bewusstsein ersuchte auf anderen Ebenen der Existenz um Erlösung. Neire konnte ihre Anwesenheit nicht mehr ertragen. Die dürren menschlichen Kreaturen waren in Lumpen gekleidet. Dunkle, fettige, borstenartige Haare bedeckten ihre eingefallenen Gesichter. Glasige Augen starrten ins Nirgendwo. Ein Zucken ihrer Mundwinkel erinnerte an Wesenszüge niederer Nager. So soll Zussa mit dem Spiel weiter fortfahren. Sie hat es sich verdient. Sie hat tapfer an unserer Seite gekämpft und den Ruhm von Jiarlirae gemehrt. Soll sie doch weitermachen. Neires Gedanken drehten sich um ihr weiteres Vorgehen. Sie waren mit den berauschten Kreaturen aufgebrochen. Bargh hatte Kettra und Grimta vor sich her gedrückt, während er sich um Braunig gekümmert hatte. Jetzt sah Neire das rötliche Glühen der natürlichen Höhle. Hinter dem Amboss und einem steinernen Tisch war die Felskante zu sehen. Dort ging es in die Tiefe - dort war das brodelnde Magma. Für einen Augenblick dachte Neire an Nebelheim; dann verdrängte er die Gedanken. Er drückte Braunig weiter nach vorne. Die Gestalt stolperte mit torkelnden Schritten durch die riesige Höhle. Die Luft war brennend. Da war der Geruch von Schwefel und flüssigem Stein. Je näher sie an die Kante kamen, desto wärmer wurde es. Die Zuckungen in den Gesichtern seiner drei neuen Freunde nahmen zu. Ihre Haut verfärbte sich rot, als ob sie einen Tag im sengenden Licht der Sommersonne verbracht hätten. Doch die Kreaturen schienen nichts mehr zu spüren. Als sie an dem Abgrund angekommen waren, nickte er Zussa zu. „Jetzt ist es an euch, Priesterin von Jiarlirae. Ihr müsst die Worte sprechen. Ihr müsst sie unserer Herrin übergeben.“ Zussa nickte und lachte. Dann war es so, als ob sie ihre Jugendlichkeit ablegen wollte. Ihr Lachen erstarb und sie starrte mit ernster Miene in Flammen und Düsternis. Neire spürte, dass Zussa nach Worten suchte. „Seht ihr es? Neire, Bargh! Dort… die Flammen, die Schatten.“ Zussa starrte in das blubbernde Magma. Sie wendete sich Braunig, Kettra und Grimta zu und begann liebevoll über ihre Gesichter zu streicheln. Neire folgte gebannt ihren Bewegungen in freudiger Erwartung ihrer Gebete. „Ihr… ihr werdet leider den Wert eurer Hingabe nicht verstehen. Doch ihr sollt das Feuer unserer Herrin nähren. Mit euren Körpern, eurem Fleisch und euren Seelen sollt ihr Jiarlirae dienen.“ Neire und Bargh sprachen die Worte von Zussa nach. Ein zufriedenes Lächeln stellte sich auf ihrem Gesicht ein. „Ja, es ist dort. Ich sehe es. Schatten, die sich mit den Flammen vermengen. Ihr werdet in die Schatten hinabströmen, als dass sie diese Welt verbrennen werden.“ Zussa nahm Kettra und führte ihn zum Abgrund. Seine großen Augen starrten in die Tiefe. Zuckungen seiner Mundwinkel ließen seinen Rauschzustand erahnen. Zussa gab ihm einen kleinen Stoß und er stürzte hinab. Mit einem Flatschen tauchte der schwache Körper in die Lava. Doch ein Schreien war anfangs nicht zu hören. Kettras Körper begann sich zu winden, in den weißlich glühenden Fluten. Sein Gesicht begann sich zu wandeln und die Züge einer monströsen Ratte anzunehmen. In seinem Todesschrei wurde er von den Flammen heimgesucht. Jetzt frohlockte auch Neire. Seit seiner Flucht aus Nebelheim hatte der Jüngling nicht mehr solche Flammenopfer gesehen. Er wendete sich Zussa zu und stimmte in ihr Gebet ein. Dort wo der Körper in den Fluten verschwunden war, hatte sich eine Fläche weißlich schimmernder Lava gebildet. „Seid ihr bereit, ihr Kleinen? Seid ihr bereit als Nahrung zu dienen? Gewillt der Flammen williges Fleisch zu sein?“ Zussas Stimme überschlug sich, als sie zu Grimta trat. Neire stimmte in ihren Jubel ein und versuchte die Schreie von Kettra nachzuahmen. Als die Gestalt keine Reaktion zeigte trat Neire heran und erhob den Arm von Kettra. „Ja ich bin bereit. Ja ich möchte der höchsten Göttin als Nahrung dienen.“ Neire versuchte den Akzent der Kreatur nachahmen, als er für sie sprach. Jetzt trat Zussa hinter Kettra und stieß ihm ihr Knie in die Kniekehle. Kettra kam aus dem Gleichgewicht und begann zu schwanken. Doch der Rausch war stärker als jede Vernunft. Die Kreatur versuchte sich nicht zu fangen. Er stürzte hinab in die feurigen Fluten. Sie stimmten ein in die Gesänge von Zussa. Mit dem Tod von Braunig war das Ritual an seinem Höhepunkt angelangt. Neire frohlockte, als er seine Begleiter anschaute. Er dachte an Nebelheim. Zussa musste wahrlich die Gunst der Göttin erwirkt haben. Was sollte sie jetzt noch aufhalten?

Das Ritual hatte Zussa Kraft gegeben. Sie hatte ihre Göttin gespürt, als sie die Seelen der Kreaturen den Flammen übergeben hatte. Jeder Schmerzensschrei hatte ihr Freude bereitet. Allerdings waren die Flammen viel zu heiß gewesen und das Leiden von Braunig, Kettra und Grimta viel zu kurz. Nein, sie hatte keinen Moment gezweifelt. Auch als der Riese sie im Kampf verletzt hatte. Ihre Göttin war mit ihr und vielleicht waren die Schmerzen, die sie im Kampf erlitten hatte, Teil einer Werdung. Zussa erinnerte sich an Neires Worte zurück, die er während ihrer letzten Rast gesprochen hatte. Sie biss die Zähne zusammen und verdrängte die Gedanken an den Tod. Ich muss nur an SIE glauben, dann wird mir nichts passieren. Ich muss nur alle anderen verbrennen oder aufschlitzen, bevor sie es tun. Dann wird mir nichts passieren. Jiarlirae, oh Jiarlirae, so hilf mir. Gib mir Macht, damit ich meine Feinde vernichten kann. Zussa wiederholte die Gedanken wie Gebete. Sie musste jetzt stark sein. Was würde sie erwarten? Nach ihrem Opferritual hatten sie weitere Zellen durchsucht. Sie hatten zwar keine Gefangenen gefunden, doch in einer Zelle hatte Bargh frische Spuren entdeckt, die dort hinausführten. Eine Untersuchung der dem Eingang gegenüberliegenden Wand hatte eine illusionäre Türe offenbart. Nach der Entdeckung waren sie sofort in ein Schweigen verfallen und hatten das Portal mit gezogenen Waffen durchquert. Auf der anderen Seite waren sie in ein nobles Gemach gelangt, das mit schwarzen Seidenvorhängen ausgestattet war. Im Lichte immerbrennender Kerzen hatten sie goldene Stickereien betrachtet, welche die Seidenvorhänge bedeckten. Szenen von gruppenartigen Liebesakten waren dort detailliert dargestellt, die Zussa in dieser Form noch nicht gesehen hatte. Geekelt und doch fasziniert betrachtete sie die Orgien von schlanken, hübschen Elfen. Doch riss sie Neire aus ihren Gedanken. Der junge Priester war plötzlich neben dem gegenüberliegenden Vorhang zu sehen gewesen. Neire hatte auf den Vorhang gezeigt und die Geste eines Schnittes über seinen Hals gemacht. Triel war daraufhin zum Vorhang geschritten und hatte diesen zurückgezogen. Im Lichte eines weiteren Raumes hatte Zussa hinter dem Vorhang eine Gestalt gesehen. Gehüllt in ein Kettenhemd, trug der Dunkelelf eine Peitsche, aus der sich drei Tentakel wanden. Langes weißes Haar und äscherne Haut kennzeichneten seinen Kopf. Sein hübsches Gesicht war verzerrt von Hass. Zussa kannte die Tentakelpeitsche als Waffe des schwachen Gottes. Die Peitsche selber war lebendig, vielleicht eine niedere Essenz von Ghaunadaur. Sie mussten den Dunkelelfen töten. Als Zussa sich nach vorn bewegte, wurde die Luft von einer Explosion zerrissen. Hals und Brustkorb des Dunkelelfen wurden durch rötliche Schattengeschosse zerfetzt. Er starb sofort. Dann sah sie Bargh in Richtung des Raumes laufen. Er verschwand hinter dem Vorhang. Zu hören war nur ein gurgelnder Aufschrei. Zussa stürmte in die Sichtsperre und sah, dass Bargh über einer weiteren Leiche thronte. Sie dachte zurück an das Ritual. Ihre Göttin würde mit ihnen sein. Jiarlirae hatte sie geschickt in diese Verliese, da war sich Zussa jetzt sicher.

Sie hatten nach dem Kampf die Gemächer der Dunkelelfen durchsucht. Die Gewölbe hatten sich dabei als luxuriös eingerichtete Gemächer der Priester herausgestellt. Bargh hatte zudem bestätigt, dass einer der Priester - vielleicht die Dunkelelfin Eclavdra - die Räume vor kurzem verlassen hatte. Das hatte sie bei ihrer Durchsuchung besonders vorsichtig sein lassen. Neben einigen Schätzen hatten sie ein schweres Buch in einem schwarzen Ledereinband gefunden. Eine kurze Untersuchung hatte gezeigt, dass es sich bei dem Wälzer um geheime Anweisungen eines Opferrituals Ghaunadaurs gehandelt hatte. Es war dort zu lesen gewesen, dass nach Befolgung bestimmter Darreichungen sowie dem Spiel von Instrumenten, eine höher entwickelte Kreatur auf einem bestimmten Altar geopfert werden musste. Dann hatte das Buch die Erfüllung aller Wünsche für den Günstling Ghaunadaurs versprochen. Nachdem sie das Buch mitsamt der Tentakelpeitschen im Magmafeuer vernichtet hatten, hatten sie die weiteren Zellen durchsucht. Sie hatten keine weiteren Gefangenen gefunden. Als sie dann nach der letzten Gefängniskammer durch den Tunnel zurückkehren wollten, hatte Bargh Neire auf einen bestimmten Bereich der Wand aufmerksam gemacht, der eine Beschaffenheit ähnlich der illusionären Tür in der Zelle hatte. Triel hatte die Wand nach Fallen untersucht und war dann durch den Stein verschwunden. Nach kurzer Zeit war die Dunkelelfin plötzlich wieder aufgetaucht - mit einem besorgten Gesicht. „Neire, hört her. Hinter der Wand droht keine direkte Gefahr, doch es ein seltsamer Ort. Eine riesige Halle, die dort liegt. Farben in allen Variationen betören die Sinne.“ Gerade, als Neire etwas antworten wollte, erhob Bargh seine Stimme und schritt durch die Wand. „Ich werde mir das anschauen, ich spüre etwas, wie ein fernes Rufen. Folgt mir!“ Auch Neire spürte ein Verlangen, tief in ihm. Doch er merkte, wie sein Herz raste vor Angst. Kurz blickte er in Richtung Zussa und Triel und nickte ihnen zu. Dann verschwand er durch den intransparenten, luftigen Stein. Auf der anderen Seite angekommen, änderte sich seine Stimmung. Neire sah Bargh vor sich und dahinter einen Saal immenser Größe, der selbst die Architekturen der Riesen verspottete. Die unterirdische Halle war etwa hundert Schritte lang und von einem verborgenen, düsteren Licht erhellt, das von überall und nirgends kam. Wie ein wandelnder, wirbelnder Nebel veränderte das Licht seine Farben und erzeugte so ein Meer von Farbtönen des Regenbogens. Augenblicklich fühlte Neire, dass sich sein Verlangen in Hass umwandelte. Das Trugbild Ghaunadaurs war ein Frevel an Flamme und Düsternis. Seine Herrin stand unendlich weit über dieser niederen Gottheit. Auch Bargh schien diesen Hass zu spüren, denn sein Begleiter setzte sich bereits in Bewegung. Wie in einem Wutrausch folgte Neire Bargh. Er hatte keine Augen für die glänzenden Säulen der Halle, keinen Blick für das kostbare Obsidiangestein. Fast wie in einer Trance nahm er die Vorhänge eines Säulenbereichs wahr. Nur unterbewusst bemerkte er die Szenen, die verschiedene menschenartige Kreaturen darstellten, die sich, wie in einer Art Prozession, zu Schleimen und Tentakeln bewegten. Neire hatte keine Muße zu grübeln, ob die Kreaturen sich Schleimen und Tentakeln opferten oder ob sie sich selbst zu diesen wandelten. Neire blickte hasserfüllt auf das, was Bargh und ihn antrieb. Am Ende der Halle sah er ein Podest aus drei Steinringen. Jeder Ring hatte eine andere Farbe – von schwarzem bis grauem Marmor, durchzogen von violetten Venen. Die gegenüberliegende Wand war aus purpurnem Stein. In den Steinringen waren verschiedene Gegenstände zu sehen. Neire erkannte kostbare Kerzenhalter, ein silbernes Glockenspiel langer Röhren, Kessel glühender Kohlen und eine große Trommel. Die Wut in ihm entfachte jedoch der Altar, der sich dort in den Steinringen befand. Wie aus porösem, rostbefleckten Gestein, waren dort Szenen der Opferung zu sehen. Fleischopferungen intelligenter Wesen zur Nährung des niederen Schleim- und Tentakelgottes. Der Altar stellte eine Blasphemie gegen Flamme und Düsternis dar. Neire kämpfte gegen die Schmerzen an, die der Anblick des Opfersteines bei ihm verursachte. Es war, als wollte das riesige purpurne Auge, dass dort in den Stein der Kopfwand eingelassen war, ihn schwächen. Dann sah er, dass Bargh bereits am Altar angekommen war. Der unheilige Krieger, in düsterhafte Schatten gehüllt, hob Glimringshert und stieß die Schattenklinge in den Opferstein. Neire hörte die donnernden Worte des unheiligen Kriegers, bevor die Flammen des Schwertes den Stein berührten. „Jiarlirae thront über allem. Wer, zur Hölle, ist mehr als sie?“ Neire spürte, dass er wie von selbst begann die Worte der schwarzen Kunst zu wirken. Er entfesselte einen mächtigen Zauberspruch. Dann hörte er das Knirschen und Knacken von Stein. Barghs Klinge war nur ein stückweit in den Altar gedrungen. Der gefallene Paladin hob erneut das heilige Schattenschwert. Neire konzentrierte sich auf seine Kunst, doch er bemerkte, dass der Altar begann durchsichtig zu werden. Tentakel bildeten sich auf der Oberfläche. Es war, als ob etwas im Stein zum Leben erweckt worden war. War durch die mittlerweile schwarze Färbung des Felses der violette Schimmer eines Auges zu sehen? Drei weitere Male fuhr das Geräusch von knirschendem Stahl durch Mark und Bein, als Bargh sein Schwert zum Angriff führte. Mit dem dritten Schlag wirkte Neire seine Magie. Ein kleiner rötlicher Strahl verließ seine Hand und brachte die tödliche Macht von Flamme und Düsternis. Der Strahl drang tief in die Risse, die Bargh geschlagen hatte. Dann explodierte der Fels und mit ihm das purpurne innere Glühen. Neire duckte sich unter den hinabprasselnden Steinbrocken. Als er sich wieder aufrichtete, rann schwarzes, schweres Blut aus dem Trümmerhaufen. Augenblicklich kehrte Dunkelheit in der Tempelhalle ein. Die Essenz des schwachen Gottes hatte diese Welt verlassen. Neire schritt in Richtung seines Gefährten, der nun über dem blutenden Haufen toten Gesteins stand. Der dunkle, zweieinhalb Schritt große Krieger streckte sein Schwert in die Höhe, von dem eine orangene, schattenhafte Flamme brannte. Der Rubin, der Barghs rechtes Auge ausfüllte, schimmerte, als ob er selbst, erhellt von einem inneren Feuer, lodern würde. Neire verbeugte seinen Kopf vor Bargh. Langsam spürte er die Schmerzen der Steinsplitter, die sich in die Haut seines Halses gebohrt hatten. „Bargh, mein Bruder. Wahrlich, ihr tragt die Fackel des Hasses voran in Feindesland. Dort wo die Flamme unserer Göttin brennt, werden sich ihre Schatten für immer verbreiten.“ Bargh nickte ihm zu. „Die Kraft unserer Göttin ist auf unserer Seite, die drei Seelen Zussas Opferung haben uns stark gemacht. Wir marschieren in Jiarliraes Krieg. Wir marschieren auf der Schattenseite der ewigen Dunkelheit.“ Jetzt schritt Neire durch die Blutrinnsale auf den Steinhaufen. Hinter sich hörte er Zussas Stimme. „Ihr habt Recht Bargh. Jiarlirae ist auf unserer Seite.“ Der dunkle Krieger hielt Glimringshert in die Höhe und blickte in die Ferne. „Ich widme diese Tat dem Henker der letzten Einöde. Sehr ihr es? Seht ihr es Henker!“ Für einen Augenblick war es Neire, als würde er wieder die Klinge der Axt sehen; wie er sie einst in dem Sternenlicht über den abgetrennten Schädeln sah. Dann knieten sie sich nieder, errichteten den Kreis der drei Fackeln und beteten. Sie beteten in Richtung Nebelheim. Sie beteten in den blutenden Trümmern des Altars eines schwachen Gottes.

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Sitzung 89 - Die Höhlen unter dem Tempel
« Antwort #94 am: 1.12.2023 | 23:05 »
Sie genossen die Dunkelheit und die Erleichterung, als sie triumphierend auf den blutenden Steintrümmern des Altars standen. Das Farbenspiel Ghaunadaurs war zusammengebrochen. In ihnen war das Gefühl des Unwohlseins einer Freude gewichen. Neire und Triel unterhielten sich noch eine Zeit über die vernichtete Essenz des Gottes Ghaunadaur. Die Dunkelelfin verabscheute ihre Artgenossen, die den schwachen Gott der Schlicke und Schleime angebeteten. Auch Neire blickte herab auf die Schlammverehrer, doch er hob hervor, dass Schlamm aus den Elementen Wasser und Erde bestand. In der Vereinigung dieser beiden, oftmals harmlosen Elemente entstand der Matsch, der neue Gefahren barg. Für Neire war damit das Geheimnis des Gottes bereits gelüftet. Nur Zussa nahm nicht am Gespräch teil, sondern wiederholte hasserfüllte Verwünschungen gegen Ghaunadaur, als sie Stücke des porösen Gesteins des Altares zertrat. Sie verließen den Tempel und wendeten sich den verbleibenden, noch unerkundeten Gängen dieser Ebene zu. Hinter einer doppelflügeligen Türe führte ein großer Tunnel hinab, den sie nicht weiter beachteten. Sie fanden zwei weitere unterirdische Hallen, die mit Wohneinrichtung für Riesen versehen, jedoch bereits verlassen waren. Als Bargh beide Gemächer nach Spuren absuchte, fand er frische, etwa einen Tag alte, Abdrücke von Stiefeln. Die Stiefelabdrücke waren allerdings größer als die der Feuerriesen und so vermuteten sie Gemächer von verbündeten Riesen. Vielleicht hatten die Riesen die Festung König Isenbuks verlassen, nachdem sie von ihrem Angriff gehört hatten. Vielleicht war es passiert als sie in der geheimen Schatzkammer des Königs geruht hatten. Nachdem sie die Gemächer abgesucht hatten, nahmen sie den noch letzten unerforschten Gang und bemerkten, dass dieser schon bald an einer doppelflügeligen Eisentüre endete. Das Portal war mit drei mächtigen Riegeln gesichert, die nur von ihrer Seite entfernt werden konnten. Triel horchte an der Tür und berichtete ihnen von schmatzenden und fauchenden Geräuschen. Bargh ließ sie daraufhin zurücktreten und entfernte die drei Riegel. Er flüsterte dabei die Worte: „Drei Riegel und eine mächtige Türe. Es scheint mir, als wollten sie etwas dahinter einsperren.“ Nachdem der unheilige Krieger die Scharniere an die Wand des Tunnels gelehnt hatte, begann er langsam einen der Türflügel zu öffnen. Ihnen allen strömte ein fauliger Gestank von Stroh, Fleisch und Müll sowie von Fäkalien entgegen. Der Blick offenbarte sich ihnen auf Höhlen, die in Dunkelheit gehüllt waren. In dem Restlicht der Gasfackeln, das aus ihrem Gang in die Dunkelheit drang, konnten sie Kreaturen erkennen, die sich um einen Müllberg versammelt hatten. Um sie herum glänzte weißlicher Schimmel, Knochen und Fleischreste. Die Kreaturen waren abgemagert und von gekrümmter Haltung. Ihre Gesichter waren knöchern und von Unförmigkeiten, wie gekrümmten Nasen, gezeichnet. Ihre Körper waren teils von Moos und von Schimmel bewachsen. Sie fauchten sich gegenseitig an – ihre schwarzen Augen funkelten in der Dunkelheit. Sie drehten sich langsam in das Licht, ließen voneinander ab und begannen zu Schnüffeln. Dann setzten sie sich in Bewegung und stürmten, getrieben von einem fortgeschrittenen Wahnsinn und dem Hunger nach Fleisch, auf sie zu. Kurz bevor der erste Troll Bargh erreichte, durchschnitt ein Kegel von Feuer die Luft. Neire hatte seinen Spruch gewirkt und neun der Gestalten verbrannten in den hellen Magmaflammen. Zurück blieben verkohlte Leiber über die sich die nächsten Trolle hinwegbewegen. Als weitere Kreaturen Bargh erreichten, ließ der Krieger sein Schwert niedersausen. Zussas Blitze zuckten durch Höhle und brachten weitere Trolle zu Fall. Mit vereinten Kräften töteten sie auch die letzte der anstürmenden Bestien. Sie wussten, dass sich die Wunden derjenigen Trolle, die nicht von Feuer getötet wurden, wieder verschließen würden. Also entzündete Neire eine Fackel und begann die Leiber zu verbrennen. Mit einem Zucken starb auch der letzte der Trolle. Eine genauere Untersuchung zeigte Folterspuren bei allen Trollen. Anscheinend waren sie von den Riesen oder den Dunkelelfen malträtiert, ihr Geist in die Verrücktheit getrieben worden. Sie durchsuchten noch die sich anschließenden Höhlen, in denen sie jedoch keine Wertgegenstände fanden. Dann machten sie sich auf, um den Geheimgang im Gemach von Braunig, Kettra und Grimmta zu benutzen. Ihr Weg würde sie in die Tiefen unter dem Tempel führen.

Vor sich sah Zussa lautlos die falsche Tür aufgleiten. Sie waren zuvor dem engen Steintunnel gefolgt, der sie weiter in die Tiefe geführt hatte. Irgendwann hatten sie das Ende des Ganges erreicht, in dem sie die Türe gesehen hatten, die den natürlichen Stein imitierte und in ihre Richtung auf eisernen Rollen gelagert war. Hinter dem sich bewegenden Steinklotz konnte Zussa eine natürliche Höhle erkennen, aus der fluoreszierendes Licht hervordrang. Es war zwar immer noch warm, aber kühler als in den oberen Ebenen. In der Höhle bemerkte Zussa Pflanzen mit breiten, grünlich fluoreszierenden Blättern. Ein tiefes Summen von Flügeln war zu hören. Hier und dort setzten sich schwarze Käfer, deren Hinterteil in orangenem Licht funkelte, auf Blätter und fraßen an ihnen. Andere der Feuerkäfer saßen auf den schimmernden Pflanzen und strichen sich mit ihren Beinen über ihre Antennen. Die Käfer hatten eine Größe von etwa einem Schritt und ihre Beißwerkzeuge sahen gefährlich aus. „Es sind Feuerkäfer. Insekten, die ein kaltes, orangenes Glühen hervorbringen. Meidet sie, denn sie können angriffslustig werden“, zischelte Neire neben ihr. Vorsichtig schritten sie durch die Höhle und mieden die riesenhaften Tiere, die oftmals schwankende, unvorhersehbare Flugmanöver vollführten. Dann stieß eines der Wesen mit Bargh zusammen. Zussa hörte, wie die Flügel auf das Metall von Barghs Ne’ilurum Rüstung schlugen. Der unheilige Krieger hob Schild und Schwert, als der Feuerkäfer versuchte sich in Barghs Rüstung zu verbeißen. Neben ihr schüttelte Neire den Kopf, während Zussa seine Augen rötlich glühen sah. Augenblicklich beruhigte sich der Feuerkäfer und setzte sich auf ein Blatt nieder. Neire bewegte sich langsam auf ihn zu. „Habt ihr einen neuen Freund gefunden? Ein Spielzeug für euch, Neire?“ Zussa trat verwundert neben Neire, um das Wesen zu betrachten. Die Kreatur schien ihnen nicht mehr feindselig gesonnen zu sein. Neires Hand streichelte langsam über den Körper und der Feuerkäfer ließ dies geschehen. „Schaut und fühlt. Ihr Glühen ist das von Feuer, doch ihr Glühen ist kalt.“ Auch Zussa begann das Insekt zu streicheln. „Oh… es fühlt sich so kalt an. Und so seltsam.“ Zussa lächelte Neire an. „Ich will eines davon haben, Neire. Gebt mir eins, sagt ihm, es soll mein Freund werden.“ Bargh antwortete an Neires Stelle. „Wir können noch nicht von hier hinfort und sein Licht würde uns verraten. Später könnt ihr eines haben.“ Zussa spürte, dass sie wütend wurde. „Ich will aber jetzt eins haben… sofort!“ Neire legte ihr eine Hand auf ihre Schulter und winkte ein zweites Insekt heran. Mit einem dunklen Summen begann der Käfer vor ihr zu schweben. „Legt einmal eure Hand auf diesen Käfer Zussa. Ich glaube er mag euch.“ Neires von Asche, Schweiß und Blut gezeichnetes Gesicht lächelte sie an, doch sie ahnte, dass er es ernst meinte. Sie legte ihre Hand auf das Insekt und spürte die Vibrationen des Schwebefluges. „Oh… das fühlt sich so kitzelig an.“ Zussa kicherte und konnte ein erfreutes Aufjauchzen nicht verbergen. Sie schaute der Kreatur tief in die schwarzen Fassettenaugen. „Ihr sollt es haben, wenn wir zurückkommen. Wir werden sie mitnehmen in den Tempel des Jensehers.“ Zussa spürte wie die Wut nachließ, als sie wieder nach dem Wesen tastete. Ja, sie würde ihr eigenes haben. Sie überlegte sich bereits, welche Spiele sie mit dem Feuerkäfer spielen würde und welchen Namen es haben sollte.

„Leise, ich habe Geräusche gehört.“ Die Dunkelelfin blickte sie alle an, mahnte sie zum Schweigen. Sie hatten die Höhle der Feuerkäfer verlassen. Dahinter hatten sie eine größere natürliche Höhle durchschritten, die in vollkommene Dunkelheit gehüllt war. In der Höhle hatten sie abzweigende Gänge gefunden, in denen Bargh die Spuren der schlanken Dunkelelfenstiefel wiederentdeckt hatte. Doch sie hatten sich dazu entschieden die Höhle weiter zu erkundschaften um einen möglichen Hinterhalt abzuwenden. Sie waren gerade an eine Stelle gelangt, an der ihr Blick durch eine natürliche Felsformation versperrt wurde. Vorsichtig und leise umrundeten sie die Felsen. Dahinter offenbarte sich ihnen eine Sackgasse. Die natürliche Grotte endete an einer Felswand. Die steinerne Decke war etwa 20 Schritt über ihnen. Am Ende der Höhle sahen sie zwei Kreaturen lauern. Beide waren riesenhaft und echsenartig, von zehn Schritten Körperlänge. Sie hatten rötliche Schuppen und einen langen Schwanz. Schimmernde Augen betrachteten mit ruckartigen Kopfbewegungen die Dunkelheit. Beide bewegten sich zischelnd und fauchend um ein Nest aus Knochen, in welchem sie drei große Eier aufragen sehen konnten. Plötzlich drehten die Kreaturen ihre monströsen Köpfe. Rötliche Augen blickten in ihre Richtung. Von dem linken Wesen war das Zischen zuerst zu vernehmen. Es versetzte sich mit machtvollen Stößen seines Körpers in Bewegung und brachte kleinere Felsen zum Poltern. Ein wachsendes Glühen machte sich in seinem Maul bemerkbar. Das Zischeln wurde zudem dumpfer und schwoll zu einem Krächzen einer Echse an. Neire wirkte bereits seine Magie. Vier kopfgroße Geschosse aus schattenhaftem Magmafeuer rief er hervor und warf sie in Richtung der stürmenden Echse. Die Explosion donnerte durch die Höhle als die Magie in das Wesen einschlug. Zwei Geschosse explodierten auf dem Panzer, während die beiden anderen im Maul der Kreatur explodierten. Der gesamte Unterkiefer der Kreatur wurde zerfetzt. Blutüberströmt begann die Echse zu torkeln und zu Boden zu sacken. Die Reaktion der zweiten Echse war umso heftiger. Sie schrie um ihren Gefährten und stürzte todesmutig auf sie zu. Zussa beschwor Blitze mit ihrem Stecken und der Körper des Wesens platzte dampfend auf. Doch das Monster kam bedrohlich näher. Dann stellte sich Bargh der Kreatur entgegen und erhob Glimringshert. Die Flammen der schwarzen Klinge konnten die Echse nicht verbrennen, doch die Präzision und die Kraft seiner Streiche brachten sie zu Fall. Schwer atmend und verwundert über die Heftigkeit der Angriffe untersuchten sie die Körper. Dann näherten sie sich vorsichtig dem Nest und betrachteten die drei großen rötlichen Eier.

Offline Jenseher

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Sitzung 90 - Das letzte Aufgebot
« Antwort #95 am: 8.12.2023 | 22:00 »
Sie diskutierten nun schon einige Zeit über die Echseneier. Leise flüsterten sie sich Worte zu, durch die zerklüftete, dunkle Höhle. Sie standen in der Sackgasse und um das Nest. Hinter ihnen die reglosen Leiber der toten Feuerechsen. Die Luft bewegte sich, wie in einem leichten Hauch – mal kühler, mal wärmer. Bargh hatte sich an eine Felswand gelehnt, während Neire weiter Worte in die Höhle zischelte. „Dann nehmen wir die Eier mit. Eingewickelt in Decken werden sie für einige Zeit die nötige Wärme haben.“ Zussa hatte zwar die Erklärungen zu den Kreaturen, die Diener von Jiarlirae werden konnten, verstanden, doch sie behielt ihren missmutigen Blick bei. Sie hatte vorgeschlagen die Eier hier und jetzt zu öffnen, um zu sehen was sich darin befand und um deren Inhalt zu essen. „Zussa, Bargh. Helft mir. Reicht mir sie vorsichtig an.“ Neire beendete die Diskussion über den Verbleib der Eier. Er warf den Vorhang aus schwarzer Seide in die Luft, der dort begann zu schweben. Dann bewegte er sich geschickt in den extradimensionalen Raum, der sich dahinter verbarg. Die Kammer war in Dunkelheit gehüllt und erfüllt von einem Chaos aufeinandergestapelter Gegenstände. Lange, den Raum durchspannende Waffen zogen sich über Goldhaufen und Fässer hinweg. Der Geruch von starkem Käse und geräuchertem Fleisch lag in der Luft. In den hinteren Teilen waren Ortnors Werkbank, Bücher und die alchemistischen Apparaturen zu erkennen. Neire nahm die Eier, die ihm Zussa und Bargh reichten, vorsichtig entgegen. Das erste Ei rutschte ihm fast aus der Hand, hatte er doch dessen Gewicht unterschätzt. Vorsichtig wickelte er die Eier in den kostbaren, dicken Seidenstoff, den sie in einem der oberen Gemächer gefunden hatten. Dann verließ er den geheimen Raum und faltete behutsam den Seidenvorhang zusammen. „Lasst uns aufbrechen. Die Eier der Feuerechsen sind in Sicherheit.“ Sie bewegten sich an den gewaltigen Körpern der Echsen vorbei, die von grausamen Wunden gezeichnet waren. Kleine Seen von dunklem Blut hatten sich auf dem zerklüfteten Boden der Höhle gebildet. Als sie den Tunnel erreichten, in den Bargh die eleganten Spuren hatte führen sehen, wendete sich Triel flüsternd an sie. „Wartet hier. Ich werde dem Gang folgen und ihn ausspionieren.“ Bargh, Zussa und Neire beobachteten, wie Triel in der Dunkelheit verschwand. Unruhig warten sie am Eingang. Nach längerer Zeit sahen sie plötzlich die Dunkelelfin mit dem kleinen, aber athletischen Körper auftauchen. Ihre Augen funkelten rötlich in der Dunkelheit. Triel legte den Finger ihrer vernarbten Hand auf ihren Mund. Ihre weißen Haare standen im Kontrast zu ihrer aschgrauen Haut. „Folgt mir, doch macht keine Geräusche. Ich habe flüsternde Stimmen gehört. Sie klangen dunkel und dumpf, wie die, derer Riesen.“ Die drei Anhänger Jiarliraes nickten und folgten Triel durch die hohen natürlichen Steintunnel.

Neire bewegte sich jetzt behutsam und leise durch den Tunnel. Vor ihm schimmerte Fackellicht; von dort, wo der natürliche Gewölbegang sich in eine Höhle eröffnete. Die Tunnel waren zwar schmaler als in den oberen Geschossen, doch immer noch vier bis fünf Schritt hoch und breit. Neires Herz schlug schneller. Er hörte die dumpfen Stimmen der fremden Sprache. Immer wieder versuchte er einzelnen Worten zu lauschen, deren Weisung er mittlerweile erahnen konnte. Sein Körper wollte zurück, er sehnte sich nach dem inneren Auge in Nebelheim. Doch sein Geist trieb ihn weiter voran. Beharrlich redete er sich ein, dass sein Schattenmantel ihn schützen würde, vor feindlichen Blicken. Neire kam an die Ecke und konnte in eine erhellte Höhle blicken. Hier und dort waren Felllager zu sehen. Kisten und Fässer waren zu Sitzgelegenheiten zusammengestellt worden, um das Gewölbe etwas wohnlicher zu machen. Die Größe der Lager und der Sitzgelegenheiten deutete auf Riesen hin. Neire wurde nicht getäuscht von seinen Eindrücken. Bereits in der Ecke war ein kolossaler Schatten zu sehen, der von einem fettleibigen Riesen ausging. Die Kreatur war über fünf Schritt groß und von gedrungenem Körper. Er trug eine Hellebarde, die er in den dunklen Tunnel gerichtet hatte. Ein zerzauster roter Bart sowie Bernsteinaugen schimmerten unter einem kupfernen Rundhelm. Neire trat noch einige Schritte heran und senkte unter dem Tarnmantel den Kopf. Er spürte den Druck auf den Augen, als sich die Umgebung um ihn herum in karmesinrotes Zwielicht hüllte. Dann schaute er auf, strich sich die Kapuze zurück und sprach seine ersten Worte in der Riesensprache. Rötlich schimmerten seine Augen im Licht der Fackeln. „Ihr… Freund.“ Die Gebete Jiarliraes waren bei ihm. Ein zufriedenes, breites Lächeln formte sich im Gesicht des Riesen, der seine Hellebarde sinken ließ. Neire winkte die Gestalt in den Tunnel. Langsam hörte er die dumpfen Schritte näherkommen. Als der kolossale Krieger fast bei ihm war, flüsterte Neire erneut. „Geht… dort.“ Er zeigte mit seiner verbrannten linken Hand in den Tunnel, aus dem sie gekommen waren und der Riese wandelte weiter in die Dunkelheit. Neire wendete sich wieder dem Gemach zu. Er sah am Ende der Höhle drei weitere Feuerriesen wachen. Sie hatten anscheinend den Vorstoß ihres Kameraden genau beobachtet. Eine der Kreaturen blickte fragend in die Dunkelheit. „Habt ihr das gesehen? Wollen wir ihm folgen?“ Neire konnte die Worte der Riesen immer besser verstehen. Er erinnerte sich zurück an die Hallen im ewigen Eis. Die Gletscherriesen hatten eine andere Sprache gesprochen, doch einige Worte klangen ähnlich. Mit jedem entschlüsselten Wort erinnerte er sich an Weitere. Einer der beiden, mit Kriegspicken bewaffneten, Feuerriesen blickte hinter eine Ecke. Von dort hörte Neire die Antwort. „Ihr dort, ihr zwei, folgt ihm. Verliert keine Zeit.“ Augenblicklich begannen sich zwei der drei Wachen auf ihn zuzubewegen. Der vordere trug ein gewaltiges Langschwert. Neire wartete bereits auf sie und bemühte die Kräfte des Jensehers. Diesmal spürte er einen kleinen Schmerz durch seine Augen gehen. Auch jetzt wirkte seine Bezauberung. Der vordere Riese blieb plötzlich stehen und blickte lächelnd in die Dunkelheit. „Was ist, was seht ihr?“, flüsterte der hintere Krieger dumpf und dröhnend. „Nein, nichts. Ich dachte da wäre etwas.“ Von hinten hörte Neire die Stimme des Pickenträgers durch das Gewölbe hallen. „Eh, ihr da. Wieso bleibt ihr stehen?“ „Er dachte, er hätte etwas gesehen, doch da war nichts.“ Beide begannen sich wieder vorwärts zu bewegen. Die hintere Wache flüsterte zweifelnde Worte. „Und warum läuft er in diese Richtung?“ „Vielleicht ist er einfach zu dumm.“ „Schweigt und redet keinen Unsinn.“ Die beiden Ungeheuer kamen an Neire vorbei und er beschwor ein drittes Mal die Kraft. Der Schmerz war jetzt stechend und Tränen liefen von seinen Augen. Wieder kam sein schmutziges, kindliches Gesicht zum Vorschein – rötlich funkelnde Augen. „Ihr dort. Wollt ihr mein Freund sein?“ Neire benutze die Zunge der Riesen. Auch die dritte Wache entspannte sich, nickte und fing an zu lächeln. „Geht… folgt ihm. Verliert keine Zeit“, sprach Neire, als er die zuvor gesprochenen Worte imitierte. Neire schlich sich weiter vor in die Höhle, die er in rötlichen Tönen wahrnahm. Dort benutzte er abermals die Mächte des Jensehers. Der stechende Schmerz brachte seinen Körper zum Zittern und für einen Moment hielt er den Atem an. Doch die Kreatur vor ihm biss die Zähne zusammen und schüttelte sich. „Was… was war das?“, sprach der Riese in das Fackellicht der Höhle, als wolle er sich selbst eine Frage stellen. „Habt ihr etwas gesehen?“, fragte die Stimme hinter der Ecke. „Nein, ich dachte da war etwas. Irgendetwas war komisch.“ „Dann haltet euren Posten, Tölpel!“ Die andere Stimme klang erbost, älter und dumpfer. Neire hatte genug gesehen. Die Höhle war für ihn in rötliches Licht getaucht. Am ganzen Körper zitternd ging er zu Bargh, Triel und Zussa zurück.

Neire schwankte und schlotterte am ganzen Körper. Seine Augen pochten vor Schmerz. Das Licht der Fackeln tanzte im karmesinroten Zwielicht seiner Wahrnehmung. Er war zuvor unerkannt zurückgekehrt zu Zussa, Bargh und Triel. Dort hatte er ihnen berichtet von dem Riesen, der seinen Mächten getrotzt hatte. Bargh hatte den Riesen als Feind Jiarliraes bezeichnet und seine Tötung befohlen. So waren sie alle in die Höhle zurückgekehrt und hatten angegriffen. Die Riesen hatten sie mit den Worten „Da sind sie, tötet sie!“ empfangen. Worte, die nur Neire verstehen konnte. Der Kampf danach war kurz und tödlich gewesen. Während Bargh, Zussa und Triel gegen drei der Riesen gekämpft hatten, hatte Neire zwei weitere Male die Kräfte des Jensehers beschworen. Er hatte den Anführer, eine ältere, muskulöse Gestalt mit einer zerbrochenen Nase und vernarbtem Schädel sowie einen weiteren Feuerriesen bezaubert. Drei tote Leiber lagen auf dem Boden und waren von tiefen Wunden gezeichnet. Jetzt versuchte sich Neire zu erheben. Er kämpfte gegen den Schwindel und die pochenden Schmerzen. Die Riesen schimmerten rötlich für ihn. „Der Kampf ist vorbei. Diese hier dienen jetzt Jiarlirae.“ Neire erhob zitternd seine Hand, als er seinen Mantel zurückwarf und auf die beiden Riesen zeigte. Dann sprach er die zischelnden Worte in der Sprache des alten großen Geschlechts. Beide Feuerriesen blickten Neire mit fragenden Blicken an, als Neire begann gebrochen ihre Sprache zu sprechen.

Neire: „Kampf vorbei… ihr Freund! Kein Vergießen von Blut.“
Anführer: „Ihr habt Recht mein Freund. Ein weiteres Blutvergießen ist nicht notwendig.“
Neire: „Wie viele, Riesen… hier?“
Anführer: „Wir sind die einzigen Wächter hier.“
Neire: „Riesen… bewachen was?“
Anführer: „Wir dienen König Isenbuk, doch wir sollen in seinem Auftrag diese Tunnel bewachen. Er hat uns in den Dienst dieser kleinen Wichte gestellt. Sie zahlen uns gut. Gold und Juwelen.“
Neire bemerkte, dass der Anführer auf Triel zeigte.
Neire: „Dann nicht wissen ihr… wie lange… Riesen hier?“
Beide Riesen schauten Neire fragend an.
Anführer: „Was wissen wir nicht? Wir sind seit einigen Tagen hier unten.“
Neire: „König Isenbuk tot, ermordet.“
Zuerst war Unglauben, dann Verzweiflung und Grauen in den Gesichtern zu sehen.
Anführer: „König Isenbuk tot? Wer war es? Wer ist der verfluchte Mörder?“
Neire: „Umbari, stämmiges Volk aus Unternacht.“
Anführer: „Dieser kleine, feige Bastard? Dieser widerliche fremde Unterabkömmling! Er kann nicht unseren König umgebracht haben. König Isenbuk war stark. Umbari ist viel zu klein und viel zu schwach. Er ist ein Nichts, nur Schleim an unseren Stiefeln!“
Neire: „Umbari zahlen für Mord. Zahlen anderen.“
Der Anführer spukte verächtlich aus bevor er antwortete.
Anführer: „Ich wusste es. Man kann ihnen nicht trauen. Allen, die die ewige Dunkelheit von dort unten ausgespien hat. Es sind feige Rassen, Abschaum und Gewürm. Sie kriechen vor uns und wir werden sie zermalmen. Wie werden sie zertreten wie stinkende Maden.“
Neire lächelte und stellte sich vor, wie seine neuen Diener seiner Göttin huldigen würden.
Neire: „Wir dienen… unserer Göttin: Jiarlirae.“
Anführer: „Ihr dient einem anderen Gott? Nicht Ghaunadaur?“
Neire versuchte die Geste des Anführers nachzuahmen, als er auf den Boden spuckte.
Neire: „Wir dienen Jiarlirae… nur Jiarlirae! Sie ist stark, Ghaunadaur ist viel zu klein und viel zu schwach. Altar von Ghaunadaur… jetzt kaputt.“
Neire ahmte die Geste einer Explosion nach.
Anführer: „Der Altar ist zerstört? Welch Schande. Meine Kameraden haben lange daran gearbeitet. Und dieser verfluchte Umbari… Wenn man den alten Geschichten Glauben schenken darf, konnte der Altar Wunder bewirken, Wünsche erfüllen. Man würde nur ein Fleischopfer erbringen müssen.“
Neire: „Der Altar ist zerstört, Ghaunadaur ist zerstört. Wir haben Umbari zerstört. Sagt Freund… wo führt Tunnel hin?“
Bei Neires Worten über das Schicksal Umbaris fingen beide Feuerriesen an zu lachen.
Anführer: „Dieser Tunnel, mein Freund, führt in ein verzweigtes Netz von Gängen. Dort hausen die dunklen Wichte, die wir beschützen. Ein weiterer Tunnel führt in eine große Höhle. Dort hält der König sich ein kleines Spielzeug.“
Der Anführer offenbarte seine fauligen Zähne, als er bei der Erwähnung des Spielzeugs grinste.
Neire: „Eclavdra… war sie hier?“
Das Lächeln verschwand, als der Riese den Kopf in Richtung der Tunnel drehte.
Anführer: „Ja, Eclavdra kam hier durch und warnte uns vor Eindringlingen. Sie verschwand in den Höhlen der Wichte. Dann hörten wir Kampfgeräusche. Das ist jetzt einige Stunden her.“
Neire drehte sich zu seinen Gefährten und übersetzte die Erkenntnisse seines Gesprächs. Dann wollte er wissen, welche weiteren Fragen er dem Anführer stellen sollte.
Neire: „Sie dort… Triel will wissen, welche ihr mit dunklen Wichten meint?“
Anführer: „Haha, wir meinen sie, Triel. Sie dienen Ghaunadaur. Man kann ihnen nicht trauen und sollte sie zerquetschen oder zertreten. Aber sie bezahlen gut und unserer König Isenbuk will es so. Also dienen und wachen wir hier und zerquetschen oder zertreten sie nicht, diesen Abschaum!“
Neire (in der normalen Sprache zu Triel): „Mit Wichten meint er euer Volk Triel.“
Bei Neires Worten vollführte Triel eine abfällige Geste in Richtung des Anführers.
Neire: „Sagt mein Freund… wie viele Wichte… hier unten?“
Der Anführer begann seine Finger zu zählen, war dann aber unschlüssig.
Anführer: „Ich weiß nicht wie viele. Es sind viele Wichte. Zu viele.“
Neire: „Was ist das für ein Spielzeug von König Isenbuk. In großer Höhle.“
Der Anführer und sein Kamerad begannen wieder zu grinsen.
Anführer: „Es ist Braugmal der Große. Er bewacht die Höhle.“
Neire: „Was ist Braugmal?“
Anführer: „Braugmal ist ein Wesen des Feuers, er ist ein großes Wesen, ein Ungeheuer.“
Neire: „Was für ein Ungeheuer. So wie zwei Wesen… in Höhle dort?“
Für einen Augenblick war Unverständnis in den Augen des Anführers zu erkennen. Dann schüttelte er höhnisch lachend den Kopf.
Anführer: „Ihr meint die Feuerechsen in diesen Höhlen? Die Wichte sagten uns, dass sie dort ein Nest mit drei Eiern gesehen hätten. Doch wir lassen sie nicht gehen in diese Höhlen. Nein, Braugmal ist nicht wie diese Echsen. Er ist größer, viel größer.“
Neire: „Dank euch, Freund… wir gehen nach oben. Wir gehen mit euren Kameraden. Wir gehen zu Königin Hulda.“

Sie durchsuchten noch die Gemächer, bevor sie aufbrachen. Dann eskortierten sie die Riesen in die obere Ebene. Neire gab ihnen die Anweisung sie zuführen. Als sie eine große Höhle durchquerten legten die Riesen den Finger auf den Mund und deuteten in die Mitte des Gewölbes. Sie wiederholten den Namen von Braugmal. Dann erreichten sie eine große Steintüre, die sie in einen Tunnel nach oben führte. Sie übergaben die fünf Feuerriesen der Königin, die sich Huldas Kommando unterstellten. Dann erst stiegen sie wieder hinab in die Tiefe und begannen die Höhlen der Dunkelelfen zu erkunden.

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Sitzung 91 - Eclavdra vom Hause Eilserv
« Antwort #96 am: 17.12.2023 | 18:37 »
Sie hatten vorsichtig Höhle um Höhle abgesucht. In einer Sackgasse hatten sie eine weitere Kaverne entdeckt, die innere Wände in Form einer erkalteten Magmablase hatte. Auf dem geröllbedeckten Boden waren die Leichen von dunkelelfischen Kriegern zu sehen gewesen. Zudem hatten sie den toten Körper einer Frau bemerkt, die in silbern glitzernde dunkelelfische Gewänder gehüllt war. Eine Untersuchung der Leichen hatte ergeben, dass die Dunkelelfen durch grausame Wunden oder faule Magie getötet worden waren. Das Gesicht eines Kriegers war ihnen als besonders entstellt aufgefallen. Säure oder Feuer hatten es fast bis zur Unkenntlichkeit zerfressen. Bei einem anderen Dunkelelfen war der Schädel aufgespalten worden. Sie hatten die Leichname und die Höhle durchsucht und wertvolle magische Waffen und Rüstungen dunkelelfischer Machart gefunden. Wie in einer Art Hast schienen die Wertgegenstände der Leichen nicht geplündert worden zu sein. Neben Silber-, Gold- und Platinmünzen, hatten sie in der Höhle ein schwarzes Zauberbuch entdeckt, das mit dem Namen der Besitzerin gekennzeichnet gewesen war: Viconia. Weder Neire noch Triel war dieser Name begannt vorgekommen. Jedoch hatten sie beim Leichnam der Frau ein Symbol eines dunkelelfischen Hauses gefunden, das Neire als das Haus von Despana entschlüsselte. Von diesem Haus hatte Neire bereits in alten Schriften gelesen. Dass es mächtig gewesen war und als eines der ersten Häuser die Spinnengöttin Lolth angebetet hatte. Sie hatten daraufhin die Gegenstände mitgenommen und waren weiter den Spuren gefolgt, die sie durch eine Vielzahl von verlassenen Höhlen und Sackgassen geführt hatten. Schließlich war die Luft immer wärmer geworden und sie hatten ein tieffrequentes Grollen vernommen. Am Ende des großen natürlichen Ganges sahen sie jetzt einen rötlichen Schimmer. Für einen Augenblick verlangsamte der dunkle Krieger Bargh seine schweren Schritte. Er spürte die Hand seines jungen Begleiters an seiner Seite. Als er sich umdrehte und hinabblickte, bemerkte er das verdreckte Gesicht Neires. Leise bewegte der Jüngling den Mund als er zischelnd flüsterte „Lasst mich vorschleichen und sehen, was es mit dem Feuerschein auf sich hat. Falls dort ein Hinterhalt droht, werde ich den notwendigen Beistand unserer Göttin haben.“ Bargh nickte und legte Neire seinen Panzerhandschuh auf die Schultern. „Seid vorsichtig und vergesst nicht: Jiarlirae ist auf unserer Seite, wer kann uns schon aufhalten?“ Neire und Bargh hörten beide die Stimme von Triel. „Ich hoffe nicht, dass Elcavdra noch hier ist. Falls sie sich in diesen Höhlen befindet, hat sie uns sicherlich einen Hinterhalt gestellt. Unterschätzt sie nicht, Bargh.“ Als Neire bereits in der Dunkelheit verschwunden war, drehte sich Bargh zu Triel um. Es war das erste Mal seit er sie getroffen hatte, dass er diese Regung sah. Es war, als würde Triel Angst haben.

Vor ihm lag das rötliche Glühen, das sich in den dunklen Felsen des Tunnels reflektierte. Neire streifte sich vorsichtig den kristallenen Ring über, den sie in der Truhe bei Braunig, Kettra und Grimta gefunden hatten. Er hatte vielleicht zwei Dutzend Schritte zwischen seine Mitstreiter und seine jetzige Position gebracht. Zuvor hatte er einen kleinen Seitengang erforscht, der ihn in eine Höhle geführt hatte. Dort hatte er verlassene Lager der Dunkelelfen gefunden. Danach war er wieder in Richtung des rötlichen Schimmerns geschlichen und hatte ausspioniert, was er dort sehen konnte. Er war zu seinen Kameraden zurückgekehrt und hatte ihnen Anweisungen gegeben. Er wusste nun, dass er nicht lange zögern durfte. Bargh und Zussa hatten bereits begonnen ihre Gebete an Jiarlirae zu wirken. Triel hatte sich kampfbereit gemacht. Sie würden ihm bald folgen und er musste handeln. Neire schlich vorsichtig weiter; seine Hand spielte an dem neuen Ring. Er spürte die Mächte, die in dem Kristall schlummerten. Er wusste, wie er die schwarze Kunst der Dunkelelfen hervorrufen konnte. In alten Schriften von Nebelheim hatte er über die Beschwörungsringe der verhassten Rasse gelesen. Neire sah die Öffnung vor ihm liegen. Die Luft flimmerte in der Hitze. Es roch nach flüssigem Gestein. Neire drehte den Ring und konzentrierte sich. Er begann leichter zu werden. Dann verloren seine Stiefel den Bodenkontakt. Der Jüngling begann sich in die Luft zu heben. Er bemühte seinen Geist. Er spürte ein warmes Gefühl vom Ring ausgehen. Langsam schwebte er nach vorne und gewann an Höhe. Schon bald wurde er schneller und überblickte die glühende Grotte. Ein Fluss aus brodelndem Magma durchquerte die Mitte der Höhle. Der Strom war zwischen den Felsen versunken, als hätte sich das Magma dort tief in den Stein gefressen. Eine metallene Hängebrücke reichte über die Fluten hinweg. Das diesseitige Ende war in einem steinernen Podest befestigt. Auf dem gegenüberliegenden Ufer war das Konstrukt in Felsbrocken verhakt. Neire betrachtete die Kreaturen genau, die dort lauerten. Er schwebte in einigen Schritten Höhe über sie hinweg. Fünf dunkelelfische Krieger sah er auf seiner Seite. Gegenüber drei weitere und eine Frau, in enganliegende silberne Gewänder gekleidet. Sie zog Neires Aufmerksamkeit auf sich. Die Dunkelelfin hatte ein schönes, schlankes Gesicht, feiner elfischer Züge. Lange silberne Haare fielen wellenförmig hinab, bis über ihre weiblichen Hüften. Üppige Brüste wurden von einem Lederkorsett betont, welches in einem schwarzen Gürtel mit kleinen, runenverzierten Taschen endete. Geschmückt wurde ihr Haupt prinzessinnengleich von einem silbernen Diadem, auf dem das Wappen von Eilserv zu sehen war. Sie trug eine Peitsche, aus deren schwarzen Griff sich drei lange Tentakel wanden. Neire verlor sich für einen Augenblick in ihrer Schönheit, dann bemerkte er ihre purpurnen Augen, die voller Hass in Richtung des Tunnels starrten. Er steuerte seinen Schwebeflug über den Magmastrom und ließ sich, getarnt durch den elfischen Mantel, unweit der schönen Elfin zu Boden sinken. Niemand hatte seine Anwesenheit bemerkt. Er betrachtete weiter die Höhle und verharrte mit pochendem Herzen. Nicht lange musste er warten, da hörte er die Rufe der Dunkelelfen vom anderen Ufer. Dort war die Anführerin der Krieger zu sehen, die ein Kettenhemd und ein Schild aus milchig-weißem Stahl trug sowie ein golden glühendes Schwert hob. „Dort, sie kommen. Greift an!“, waren ihre Worte. Neire flüsterte Gebete an seine Göttin und begann zu handeln. Er stand nahe des Magmastromes, doch die Hitze, die einen einfachen Menschen bereits verbrannt hätte, machte ihm nichts aus. Er beschwor die Flamme aus schattenartigem Feuer in seiner linken, verbrannten Hand. Er streckte die Hand unter seinem Tarnmantel hervor, als das Feuer seiner Göttin zu tanzen begann. Die Dunkelelfin hatte gerade begonnen zu zaubern, da bemerkte sie die Flamme. Ungläubig schaute sie in seine Richtung. Neire spürte die Macht der brennenden Düsternis durch seinen Körper fließen. Obwohl die hübsche Frau feindselig in seine Richtung starrte, war alle Aufregung in ein freudiges Gefühl übergegangen. Wie damals im Wolfsfelsen, starrte er in die Flamme seiner linken Hand und ließ sich von ihren chaotischen Bewegungen treiben. Sein scharfer Verstand war das Ventil eines elementaren Meeres aus Chaos, eines älteren, urtümlichen Bösen. Es war ein Urmeer, aus dem er schöpfte, ein unendlich dimensionales Gebilde, das nur durch den ewigen Kampf der Dualität von Flamme und Düsternis aufrechterhalten wurde – ein Gebilde, dem der Gleichgewichtszustand fremd war. Er murmelte die Formeln der schwarzen Kunst, die nicht die seiner Göttin, sondern die seines Geistes waren. Doch er spürte ihre Macht. Dann streckte er beide Hände hervor und zeichnete die finale Rune. Ein Strahl von gleißendem Feuer ergoss sich aus seiner Hand, wurde breiter und höher, je weiter er hinfortbrach. Die hübsche Elfin und die drei Krieger, die sich mittlerweile zu ihrem Schutz um sie versammelt hatten, wurden einhüllt und waren für einen Moment nicht zu sehen. Neire konnte ein Brüllen und ein Kreischen aus dem infernalischen Feuer hören - Todesschreie. Als die Flammen herunterbrannten war der Anblick grauenvoll. Die drei Krieger waren zu rauchenden Überresten verbrannt. Ihre Körper waren von Hitze aufgeplatzt und Muskeln sowie Sehnen hatten sich versteift. Die Dunkelelfin stand dort und schaute ihn hasserfüllt an. Ihr Haar und ihre Haut standen in Flammen. Dann traf sie der Blitzstrahl, den Zussa vom anderen Ufer geschleudert hatte. Sie krümmte sich, sprang zu Seite und schwankte. Neire wollte schon triumphieren, da sah er, dass sie sich wieder aufrichtete. Blut lief von ihrem Gesicht, als sie ihre Peitsche hob. Auf der anderen Seite des Magmastroms bemerkte Neire die Gestalt von Bargh, der mit ausgebreiteten Flügeln auf das Podest sprang. Dort begann das Gemetzel, als sich Triel und Bargh ihren Gegnern entgegenwarfen. Neire wusste, dass er allein gegen die dunkelelfische Hexe kämpfen musste. Er musste seinen Zauber wirken, bevor sie ihn erreichen konnte. Hastig murmelte er das eine Wort und hielt die tanzende Flamme in die Höhe. Fünf faustgroße Kugeln aus Schatten und Magma lösten sich. Sie schlugen in die Kehle der Gestalt. Von seiner Gegnerin war jetzt nur noch in Gurgeln zu hören. Blut strömte aus dem geöffneten Hals, der von der Seite bis zum Kehlkopf zerfetzt war. Die Frau brach zu Boden und hauchte ihr Leben aus.

Zussa war in eine Rage geraten. Sie fühlte sich unbesiegbar. Die verhasste Dunkelelfin Triel war dicht vor ihr und kämpfte mit verbissener Genauigkeit. Zussa hatte gesehen, dass Triel von zwei Schwerthieben verletzt worden war. Sie hatten den zweiten Krieger niedergestreckt und stürmten auf das Podest aus dunklem Magmagestein. Als Zussa dort Bargh sah, wusste sie, dass der Sieg der ihre war. Eine Aura von Düsternis war um den unheiligen Krieger Jiarliraes. Bargh hatte seine schwarzen, rabenhaften Schwingen ausgebreitet und sein Schwert Glimringshert blutete dunkle Schatten. Der Rubin seines rechten Auges brannte unbarmherzig in der von ihm induzierten Dunkelheit. Zussa stürmte näher. Doch Triel und sie selbst kamen zu spät. Aus zwei Wunden blutend rammte Bargh seine Waffe auf die Anführerin nieder, die noch ihren Schild erhob. Doch Bargh schmetterte den Schild herunter. Sein Schwert drang tief zwischen Hals und Schulter. Röchelnd brach die Anführerin nieder. Zussa sah keine weiteren Gegner und blickte sich schwer atmend um. Auch an ihrem Säbel klebte das Blut der dunkelelfischen Krieger. In der linken Hand trug sie den Stecken, mit dem sie zuvor den Blitzstrahl beschworen hatte. Dann hörte sie die jugendliche Stimme durch das brodelnde Magma. Sie drehte sich ruckhaft um. Dort sah sie Neire über den blubbernden Fluten des Stromes schweben. Die Hitze konnte ihm nichts ausmachen. Sein Gesicht war von Asche verdreckt und seine Augen glühten wie Kohlen. Er hatte seinen Tarnumhang zurückgelegt und aus seiner linken, geöffneten Hand brannte die Chaosflamme Jiarliraes. „Ihr hättet das Spiel spielen sollen Triel. Eine Abmachung ist eine Abmachung. Ihr seid nicht mehr als ein Kind eurer hinterlistigen Rasse und wir mögen sie nicht – eure Art unsere Spiele zu spielen.“ Als Neires Zischeln lauter wurde, wandelte sich Zussas Hass in eine Mordlust. Freudig betrachtete sie Neire und erhob den Säbel. Neire zeichnete eine Rune in die Luft. In seinen Augen war jetzt ein brennendes Feuer. Drei kopfgroße Bälle aus purpurnem Feuer lösten sich aus der Chaosflamme und stürzten auf Triel zu. Die Dunkelelfin konnte gerade noch ihren Arm erheben. Dann hörte Zussa den grausigen Schrei, der die Explosion übertönte. Magmaflammen brannten von Triels linkem Arm. Fleisch und Muskelgewebe hatte sich dort aufgelöst und schwarz-verbrannter Knochen kam zum Vorschein. „Sie hatte es euch versprochen Zussa, doch sie wollte nicht mit euch spielen. Wir können nicht behaupten, ihr hättet sie nicht gewarnt.“ Die Worte Neires klangen wie die Musik von knisternden Flammen in Zussas Ohren. Sie näherte sich Triel und hob ihren Säbel. „Ja Triel, hört, was Neire sagt…“ Sie begann Triel nachzuäffen. „Wir sollten sie nicht unterschätzen. Eclavdra wird uns einen Hinterhalt stellen. Pah… Ihr hättet den Zweikampf nehmen sollen. Jetzt werdet ihr ein schönes, hässliches Opfer werden.“ Zussa begann auf den linken Arm zu hacken. In ihren Grauen war Triel wie erstarrt. Sie starrte Zussa an. Sie bettelte nicht um Gnade. Da war Hass in den roten Augen der Dunkelelfin. Doch das war Zussa egal. Sie schlug zu wie ein Metzger. Wieder und wieder. Doch der Arm wollte sich nicht lösen. Triels Kopf war bereits auf den Boden gesunken und Blut lief aus ihrem Mund. Schwer keuchend ließ Zussa schließlich ab. Schweiß strömte von ihrem Gesicht. Sie nahm den Leichnam von Triel und schleifte ihn hinab an den Rand des Magmastromes. Neire schwebte zu ihr hinüber und half ihr den schlaffen Körper aufzurichten. Ihre Blicke trafen sich kurz und Zussa musste lachen, als Neire zu ihr sprach. „Habe ich es euch nicht versprochen? Dass ihr sie opfern könnt.“ Der Jüngling lächelte sie jetzt an. Sie spürte diese tiefe Verbundenheit zu Neire; sie respektierte ihn als ihren Prophet Jiarliraes. Sie würde vielleicht sterben für ihn. Sie nickte und wurde ernst. Dann begann sie Triels Kiefer zu bewegen. Sie imitierte das Sprechen von Triel, ihre ruhige, kontrollierte Art. „Zussa, ich bin hier um mich Jiarlirae zu opfern. Ich diene der ewigen Flamme und der unteren Düsternis.“ Neire nickte ihr zu und versuchte Triel ebenfalls nachzuahmen. „Ich diene nur der Herrin, nur Jiarlirae.“ Zussa rief jetzt lauter. „Nährt eure Flammen mit einer weiteren Dienerin. Sie übergibt sich euren Schatten.“ Dann warf Zussa den Leib hinab. Das Geräusch war leise als der Körper in das Magma glitt. Triels Fleisch fing an zu brennen und sie wurde von der brennenden Magma hinfortgerissen. Obwohl ein Teil von Zussas Anspannung jetzt abfiel, zitterte sie noch am ganzen Körper. Sie wollte jubeln, doch dann sah sie Neire. Wie hypnotisiert starrte der schwebende Jüngling in rotglühenden Fluten.

Neire schaute hinab in den Glanz des sich wälzenden Stromes. Da waren die Runen. Sie tauchten auf, wurden weitergetragen und verschwanden. Er hatte sie bereits mehrfach gesehen. Er konnte seinen Blick nicht abwenden. Es war die Rune Firhu, die für die Gabe des Feuers und der Schatten stand. Und da war Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und von Opferung. Neire schloss für einen Moment die Augen und sah Bargh und Zussa vor sich. Sie waren beide in einem leeren Raum, sich nicht erkennend. Ein goldener Schimmer war dort zu sehen. Sie wirkten verloren und einsam, nicht wissend von dem Glück ihrer Gemeinsamkeit, ihrer Freundschaft. Da wusste Neire, dass es Bargh und Zussa sein würden, die verlassen auf einsamen Wegen wandeln würden. Ihre Hingabe, ihr Opfer wurde verlangt. Sie mussten die Gabe von Feuer und Schatten an diesen Ort bringen. Neire erwachte wie aus einer Trance und sprach feierlich zu Bargh und zu Zussa: „Ich habe die Zukunft gesehen, Bargh, Zussa. Zusammen müsst ihr hinfort gehen und gemeinsam werdet ihr wandern. Es ist Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und Opferung. Doch alleine werdet ihr euer Opfer erbringen müssen und die Gabe von Feuer und Schatten an jenen Ort tragen.“ Bargh nickte Neire zu, der rote Rubin schimmerte in seinem vernarbten, grimmigen Gesicht. Zussa mochte die Botschaft nicht. Ihr jubelndes Gesicht versteinerte sich. Dann fiel sie Neire um den Hals und fing an zu weinen.

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Sitzung 92 - Schätze für Braugmal, den Großen
« Antwort #97 am: 25.12.2023 | 10:52 »
Zussa zitterte am ganzen Körper. Das Gefühl der Unbesiegbarkeit, das sie nach dem Kampf und dem Sieg gegen Eclavdra und ihre Anhänger empfunden hatte, war einem anderen Bewusstsein gewichen. Es war das kolossale Portal, das sie an ihre eigene kleine Größe erinnerte. Es waren die Spuren von gewaltigen Klauen im Stein der Türflügel, die ihre Gedanken um die eigene Verletzbarkeit kreisen ließen. Sie hatten das Portal hinter der illusionären Vision der natürlicher Höhlenwand entdeckt. Es war Neires feinen Ohren zu verdanken gewesen, dass sie überhaupt das Trugbild entschlüsselt hatten. Neire hatte das zweite Mal ein tiefes Atmen gehört. Nur jetzt war er sich sicher gewesen, dass das Atmen nicht durch die Fehlleitung ihrer Sinne entstanden war. Zussas ließ ihre Gedanken für einen Moment zurückschweifen. Sie dachte an ihren glorreichen Sieg über Eclavdra. Sie dachte daran, wie sie Triel ermordet und dann ihrer Göttin geopfert hatte. Es war wie damals bei ihrer Flucht aus dem Tempel der Ehre gewesen. Ein Rauschzustand, den sie in der dampfenden Höhle erreicht hatte - nur ohne Wein und Grausud. Sie erinnerte sich gerne an das Bild des Stromes von flüssigem, flimmerndem Stein zurück. Es gab ihr Zuversicht. Sie hatten danach die Leichen der Dunkelelfen und eine temporäre Behausung durchsucht. Neben kostbaren Waffen und Rüstungen, hatte Neire eine wertvolle Karte der Unterreiche und zwei schwarze Bücher gefunden. Bei einem der Bücher hatte es sich um das Zauberbuch Eclavdras gehandelt. Das andere Buch hatte Neire als Buch des Propheten Jiarliraes bezeichnet und in Ortnors altem Labor, hinter dem schwarzen Vorhang, verschwinden lassen. Danach waren sie aufgebrochen und hatten die restlichen Gänge erforscht, die diese Ebene offenbarte. Neire war vorgeschlichen und sie selbst war bei Bargh geblieben. Der junge Priester hatte sie dann in eine große unterirdische Halle geführt. Der schwarze Stein zeigte die längst vergangenen Spuren erkalteten Magmas. Neire hatte sie gewarnt, dass er aus der Höhle ein tiefes Atmen gehört hatte. Sie waren vorsichtig vorangegangen. Sie hatten sich versteckt hinter alten Säulen aus dunklen Felsmassen. Dann hatte auch Zussa das Atmen gehört. Vor ihr, inmitten eines Berges aus Gold-, Silber- und Kupferstücken sowie funkelnden Juwelen, lag ein uralter Drache. Seine Schuppen schimmerten in kupfernem Rot, wie natürlich erhellt durch das glitzernde Gold. Zussa hatte alsbald die zischelnde Stimme von Neire gehört. „Schaut genau hin, Zussa. Durchdringt das Trugbild, Bargh.“ Sie hatte für einen Moment ihre Augen geschlossenen, dann wieder geöffnet und nach Ungereimtheiten gesucht. Und tatsächlich war ihr aufgefallen, dass das Gold sich unter der Atembewegung des Drachen nicht verschob. Dann hatte sich das Trugbild aufgelöst, wie farbiger Nebel. Verblieben war ein riesenhafter Stier, der dort schlief. Das Wesen hatte einen massigen, muskulösen Körper. Zwei spitze Hörner thronten auf seinem schwarzen Haupt und es ging ein Schwefelgeruch von der Kreatur aus. Sie waren auf den Stier zugestürmt, der sich ihnen mit rot brennenden Augen zugewendet hatte. Silberner Nebel war aus dem Maul des Bullen gekommen. Doch Bargh hatte ihn mit mehreren feurigen Hieben Glimmringsherts zu Boden gesteckt. Dann hatte Neire, das Kind der Flamme, darauf hingewiesen, dass er weiterhin ein Atmen hörte. Und so standen sie nun hinter der illusionären Wand, vor dem Portal. Sie hatten ihre Gebete an Jiarlirae gewandt und um Beistand gefleht. Zussa spürte die Macht von Flamme und Düsternis, die ihr ein wenig Mut und Trost spendete. Vor ihr begann Bargh das Portal aufzudrücken. Langsam eröffnete sich ihr Blick in eine weitere große Höhle. Auch hier lag ein Berg von Schätzen. Doch sie erkannte sofort, dass die Anhäufung von Münzen, Truhen und funkelnden Edelsteinen keine Wahnvorstellung war. Eine gewaltige Kreatur hatte sich bereits aufgerichtet und starrte mit rötlich funkelnden Augen auf sie hinab. Der Körper des Wesens war von kupfern schimmernden Schuppen bedeckt. Silberne Metallstacheln bilden einen Kamm, der über das gesamte Rückrat lief. Der fast Heuwagen-große Kopf der Kreatur war von einer Krone rötlicher, spitzer Knochenauswüchse bedeckt. Rauch quoll aus den Nüstern des Drachens. Vor ihr trat der Drachentöter Jiarliraes dem Ungeheuer entgegen. Er trug die Klinge Glimringshert, die auch ihr Mut gab. So folgte Zussa Bargh und verlor Neire aus den Augen. Dann hörte sie die tiefe Stimme des Wesens. Der Drache bewegte sein Maul nicht. Es war ihr, als hörte sie die Worte direkt aus den tiefsten Eingeweiden der Kreatur sprechen. „Da seid ihr und ihr bringt mir Schätze. Zeigt sie mir. Zeigt mir eure Schätze.“ Die Worte donnerten hinab und brachten ihre Knie zum Zittern. Danach herrschte einen Moment Stille, bevor Bargh mit fester Stimme antwortete. „König Isenbuk schickt uns mit Schätzen. Ihr habt nicht umsonst gewartet, mächtiger Braugmal.“ Der Drache machte ein Zischen, als er seinen Kopf ruckhaft ein Stück hinab bewegte. „Was wisst ihr schon Sterbliche. Ich habe nicht gewartet und Isenbuk ist nichts. Zeigt mir meine Schätze und wisset, ihr stehlet meine Zeit.“ Vor ihr sah Zussa Bargh seinen Kopf vor der Kreatur beugen, dann sprach er wieder. „Ich habe dieses Schwert großer Braugmal. Es ist heilig und älter als diese Welt. Sein Name ist Glimringshert, das brennende Herz der Düsternis. Das Schwert und sein Träger dienen Jiarlirae, der größten unter allen Göttern. Sagt mir, großer Braugmal. Dient ihr ihr? Dient ihr Jiarlirae?“ Jetzt zuckte der Kopf hinab und starrte Bargh aus nächster Nähe mit großen Augen an. „Haltet mich nicht für dumm. Ich diene niemandem. Nicht Isenbuk und nicht irgendwelchen Göttern. Ich bin Braugmal, der Große, der seine Schätze haben will. Gebt sie mir oder werdet verschlungen.“ Zussa wollte hinfortlaufen. Sie versteckte sich hinter Bargh. Dann hörte sie wieder die Stimme des Antipaladins. „Glimringshert trägt die Geheimnisse aus dem Jenseits der Sterne. Dient ihr nicht der höchsten Göttin, so wird es den Tod für euch bringen.“ Barghs Worte schwollen zu einem Schreien, als er ausholte. Doch die Kreatur war schneller. Ihr Kopf zuckte zurück und bevor Bargh angreifen konnte, beschwor sie ihren todbringenden Atem. Eine Walze von Feuer brach über sie hinein. Bargh duckte sich hinter das Schild; sie sah nur Umrisse von ihm. Sie selbst sprang zurück und klammerte sich hinter einen der geöffneten Portalflügel. Die Explosion brachte ihre Ohren zum fiepen. Sie vernahm den Geruch von verbranntem Fleisch - ihres Fleisches. Dann sah sie Bargh vorwärtsstürmen. Durch die Flammen hinweg und auf Braugmal zu. Sein Schwert drang tief in Braugmals Körper. Dreimal schlug Bargh auf die Brust des Wesens und dreimal versank sein Schwert. Als sich vier Geschosse von Magmaschatten in die Wunden senkten und Braugmals Fleisch zerfetzen, blickte der Drache in Ungläubigkeit an sich hinab. Jetzt wagte sich Zussa aus ihrer Deckung. Sie riss den Wurzelstecken mit dem Kristall hoch und beschwor den Strahl aus tanzenden bläulichen Flammen. Der Blitzstrahl durchschlug die offene Wunde in Braugmals Brust und sein Herz explodierte. Eine Blutfontaine regnete über sie hinab. Vor ihr brach der Körper der alten, ehrwürdigen Kreatur zusammen. Letzte Zuckungen fuhren durch den Leib, als sein fast unsterblicher Geist sich an sein Fleisch klammerte. Zussa lief nach vorne und frohlockte. Sie achtete nicht auf ihre Brandwunden. „Bargh, ein weiterer… ein weiterer Drache. Ihr habt ihn getötet. Wir haben ihn getötet.“ In einem irren Lachen tanzte Zussa im Regen von Blut. „Er wollte Jiarlirae nicht dienen. Dann sprach Glimringshert mit ihm und zeigte ihm wahre Macht.“ Bargh Antwort klang grimmig und er wollte noch nicht recht mit ihr tanzen und singen. Also nahm Zussa ihn an der Hand und zerrte ihn zum Leichnam. „Kommt Bargh kommt. Wir wollen feiern und tanzen. Kommt Neire. Ich will heute meine Maske vollenden und es sollen die roten Schuppen von Braugmal sein. Ich werde ihn als meine zweite Gesichtshaut tragen.“ Jetzt war auch Neire herangetreten, den sie vor Angst noch etwas zittern sah. Doch schon bald tanzten sie auf dem Leichnam Braugmals. Zussas Traum wurde rot, als sie im Blut badeten. Sie sah Neire wie verrückt einen Zahn nach dem anderen ausreißen. Immer wieder lobte der Jüngling die alten Zauber, die er mit Hilfe eines Zahnes wirken würde. Bargh half ihr den Drachen zu häuten. Schuppe um Schuppe schnitten sie ab. Längst reichte es für Zussas Maske. Doch Bargh war nicht zu aufzuhalten. So ging er, der Tanz auf dem toten Leib. Das Fleisch Braugmals war noch warm, als ob tief in seinem Inneren ein Feuer schwelte. Sie tanzten und tranken Wein. Sie wühlten sich durch goldene Schätze. Sie warfen sich alte schimmernde Pokale, Edelsteine und Figuren zu. Zussa probierte das Blut der Kreatur, doch sie begann augenblicklich zu würgen. Ihre Kleidungen waren nass vom roten Lebenssaft und ihre Gesichter besudelt. Zussa trank und feierte. Dann legte sie sich in das Loch von geöffnetem Fleisch, das sie dort geschlagen hatten. Sie glaubte den Geist von Braugmal zu spüren, als sie einschlief. Er rief nach ihr. Er war gekommen um Glimringshert zu huldigen. Es war das brennende Herz der Düsternis, das der alte Drache neidete.

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„Es freut mich, dass ihr meine Sprache sprecht, Neire.“ Die hässliche Königin der Feuerriesen beugte sich zu Neire hinab und lächelte ihn an. Um sie herum war das Flackern der Gasfackeln. Die Halle beherbergte die zusammengepferchten Feuerriesen und ihren Nachwuchs. Heranwachsende waren wie Säuglinge zu sehen. Die Luft war angereichert von Körpergeruch und von Ausdünstungen. Drei Riesinnen sorgten sich um die Zubereitung einer Suppe. Drei weitere kümmerten sich um die Säuglinge. Nachdem sie den Hort von Braugmal geplündert hatten, hatten sie in einem der unterirdischen Seen gebadet und waren danach zu den Feuerriesen zurückgekehrt. Das Wasser der Seen war warm gewesen und hatte nach Schwefel gerochen. Jetzt war Neires jugendliches Gesicht frei von Blut, Asche und Schmutz. Seine Haare schimmerten gold-blond im Fackellicht. Hulda beugte sich zu ihm hinab, als sie sprachen. Die kleinen Augen ihres rattenförmigen Gesichtes blickten verschlagen und intelligent. „Ich habe eure Sprache gelernt. Lange habe ich euren Worten gelauscht. Eure Sprache ist eine schöne Sprache, Königin.“ Hulda lächelte ihn an und zeigte ihre faulen Zähne. Ihre verfilzten rotblonden Haare hingen fast bis auf ihn hinab und die Warzen ihrer aschgrauen Haut warfen Schatten in ihrem Gesicht. „Ja, unsere Sprache ist schön und direkt. So viel leichter als die Sprache der Menschen. Da gibt es so viele unsinnige Wörter.“ Neire nickte und seine Miene wurde ernst. „Königin Hulda, wir haben einige Dinge zu besprechen. Sagt mir, als engste Freundin, was ist euer tiefstes Begehr? Wonach strebet ihr mit all eurem Herzen?“ „Eine schwierige Frage, Neire. Doch einem solch guten Freund will und kann ich nichts verheimlichen. Ich möchte meinem Volk dienen, als Königin. Ich will es führen, doch ich brauche einen König. Er muss stark sein. Stark und schön. Wie Isenbuk. Stark war er, Isenbuk und einst auch schön, bevor er fett wurde. Mein König sollte auch nicht zu schlau sein. Er muss nicht verstehen, wie ich mein Volk führe. Er muss nicht viele Fragen stellen. Er muss kämpfen und Ruhm erringen. So wird mein Volk stark. So werden wir unsere Feinde zertreten und zerquetschen. Sie sollen alle vor uns zittern in Furcht.“ Neire nickte, als er den Worten der Königin lauschte. Dann wählte er die Worte seiner Antwort sorgfältig. „Wir müssen diesen Ort verlassen, meine Königin. Nach dem Tod von König Isenbuk ist dieser Ort verflucht. Wir werden reisen, einen langen und beschwerlichen Weg. Doch ich kann euch eine glorreiche Zukunft versprechen. Wir werden nach einem neuen König suchen.“ Neire zeigte auf den Feldwebel mit der zerstörten Nase, dessen Name Fuldir war. „Was ist ihm, Fuldir? Könnte er nicht euer neuer König sein?“ Königin Hulda schaute zuerst hinüber zu Fuldir, dann kopfschüttelnd wieder zu Neire. „Nein… oh nein. Er ist zu schwach und er ist hässlich. Viel zu hässlich.“ Neire nickte und musste sich ein Lächeln verkneifen. Dann blickte er wieder hinauf zur hageren Gestalt, deren mageren Brüste obszön auf Bauchhöhe baumelten. „Wir werden einen König für euch finden Hulda. Doch ihr müsst mir eines versprechen. Ihr müsst Jiarlirae, der Göttin von Feuer und Düsternis dienen. Mit all eurem Herzen.“ Königin Huldas Miene verzog sich fragend. „Ji…ar…li…rae. Ist die Göttin stark? Nicht so schwach wie Ghaunadaur?“ „Jiarlirae ist stark, Königin Hulda. Sie ist die mächtigste unter allen und sie ist mehr als das.“ „Dann werde ich ihr dienen. Ihr seid der Prophet der Göttin und ihr seid der wertvollste Freund, den ich jemals hatte, Neire.“

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Sie brauchten fast zwei Tage für die Vorbereitungen. Königin Hulda stellte sich als große und intelligente Führerin ihres Volkes heraus. Sie gab Anweisungen, die ihre Untergebenen in organisierter Weise ausführten. Selbst die Kleinsten unter den Riesen schufteten und rackerten, ohne zu murren. Sie plünderten die alte Behausung von König Isenbuk. Sie bewaffneten die Riesen, auch die Frauen und die Kinder. Sie nahmen die kostbarsten Rüstungen, Waffen und Schilde an sich und trugen, was sie mitnehmen konnten. Dann machten sie sich auf den Weg durch das feurige Gebirge, das man den Höllenkessel nannte. Ein Tross von fünf Schritt großen Kreaturen, die riesige Säcke schleppten. Vier Tage wanderten sie. Vier Tage durchquerten sie eine Landschaft, die von Felsen, Gipfeln und Feuern war. Eine heiße Landschaft, nach der jetzt der Winter griff. Dann erreichten sie im dichten Schneegestöber die einsamen Höhlen. Dort hatte Königin Hulda weitere Frauen und Kinder vor dem Krieg versteckt. Drei Krieger der Feuerriesen wachten über sie. Königin Hulda gab ihnen Anweisungen. Dann packten auch sie ihre Sachen und reihten sich dem Tross ein. Doch ihr Weg führte sie wieder zurück in König Isenbuks unterirdisches Schloss. Nach vier weiteren Tagen durchquerten sie die verlassenen Hallen und stiegen hinab. Sie schritten durch die Höhle des Magmaflusses und da lag er. Der Tunnel, der sie durch das Unterreich führen sollte. Neire fürchtete nicht den Weg, noch die Gefahren. Er war im Unterreich aufgewachsen, hatte die Karte der Dunkelelfen erbeutet und er genoss die Dunkelheit. Er hatte Zussa und Bargh auf seiner Seite. Mit ihm waren mehr als ein Dutzend Feuerkäfer, drei Eier der Feuerechsen und die Feuerriesen: Acht Krieger, sechs Jugendliche, 17 Frauen, 13 Kinder, sechs Säuglinge und eine Königin. Sie alle waren vom Volke Königin Huldas. Stolze Riesen des ewigen Feuers. Doch Neire wusste, dass das nicht genug war, um den Gefahren dieser Welt zu trotzen. Er aber hatte Jiarlirae, seine Göttin und mit ihnen war Flamme und Düsternis.

Offline Jenseher

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Sitzung 93 - Herrschermord
« Antwort #98 am: 30.12.2023 | 18:59 »
Höhlen, Höhlen, nichts als Höhlen und Dunkelheit, spukte es in Halbohrs Geist. Der Berg selbst schien auf seinen Verstand zu drücken. Doch er musste seine Planungen und Vorbereitungen durchführen. Hier, nahe dem Herz aus Ne’ilurum, das mit dem dunklen Auge die Pforte zur Ebene des Wahnsinns behütete. Er war seit einiger Zeit nicht mehr allein. Die Herrin des Feuers und der Schatten hatte ihm ihre Dienerschaft geschickt. Von den Tiefen des Abgrundes über die Höhlen des heulenden Wahnsinns waren sie dem Ruf ihrer Herrin gefolgt und hatten den beschwerlichen und gefährlichen Weg durch die Ebenen gemeistert. Dort war Daera Düsterung. Die wunderschöne Dienerin Jiarliraes war in schwarze Seidengewänder gekleidet, die sich in starkem Kontrast von ihrer weißen Haut abzeichnete. Auf den freizügig gezeigten Stellen ihres Bauches und ihrer Arme waren okkulte Runen tätowiert. Sie hielt sich zwar etwas zurück, doch wenn sie in ihrem Singsang sprach, schien es, als ob die Zeit nur für ihre Stimme stehen bleiben würde. Dann war dort Mordin von Noresfyring. Ein großer Mann dem man seine adelige Abstammung ansehen konnte. Auch er hatte eine schneeweiße Haut, übersät mit Tätowierungen, die seine Lobpreisung Jiarliraes ausdrückten. Ein weißlicher Rauch und Hitze stiegen von ihm auf. Der dritte im Bunde war Lyrismar Schwefelschimmer. Dieser war noch größer als Mordin, doch fast seine gesamte Haut war bis zur Kohlenschwärze verbrannt. Nur wenige unverbrannte Stellen seines Körpers zeigten die einstige Blässe. Sein roter Umhang war gezeichnet von Runen des Chaos und gesäumt mit etwas, das wie silbernes, krauses Haar aussah. Stolz trug er an der Seite seine beiden Kurzschwerter, eines mit einem roten glühenden Rubin am Knauf und das andere mit knöchernem Griff. Der vierte der Dienerschaft war der schrecklichste. Sein riesenhafter Körper war umhüllt mit einer gleißenden Säule aus rötlichem Magmafeuer. Nur schwach konnte man die athletischen Konturen eines menschlichen Körpers ausmachen und wenn, dann schien es als ob aus seinem Gesicht eine grinsende Fratze eines Totenschädels blickte. Die Anhänger Jiarliraes stellten ihn als Elmenshyr vor; Seelenfeuer, in der gemeinen Zunge. Die anderen warnten Halbohr, er solle sich von ihm fernhalten. Sein Feuer brenne so heiß, dass es den Geist selbst verzehre und die Werdung zu einem willenlosen Feuersklaven einleite. So brütete Halbohr über Karten, Plänen und Zeichnungen im alten Tempel des Jensehers. Seine grünlichen Augen waren untermalt von schweren Ringen der Müdigkeit. Doch war auch sein gesamtes Gesicht gezeichnet von dem Pfad, den er eingeschlagen hatte. Bisher hatte seine linke Gesichtshälfte nur die Narben offenbart, die durch den Neid seiner alten Kameraden aus einem früheren Leben gezeugt wurden. Doch inzwischen war dort nur noch eine wilde Wucherung von Haut zu erkennen. Wie als wenn eine stetige Hitze sein Gesicht zu versengen schien. Der Brand wuchs langsam, aber beharrlich. Die Spitze seines Mundwinkels war schon etwas schief und auch sein milchiges, fast weißes Haar wuchs an der linken Seite nur noch sehr langsam. Er versuchte die Zeit gut zu nutzen, denn viel war passiert und weitere Dinge musste passieren. Die Zerstörung des Tempels des Gottes Laduguer blieb nicht ohne Folgen. Ohne Führung brach ein Völkerkampf in der Stadt Unterirrling aus und brachte einen neuen Anführer hervor, Runin‘ore‘Waere. Halbohr nutzte die Schwäche der Stadt aus, um die Macht des Tempels des Jensehers auszubauen. Und Runin‘ore‘Waere war nicht dumm. Vielleicht wusste er nicht genau welche Macht Halbohr um sich sammelte, doch zumindest ahnte er es. Er wollte Zeit gewinnen, die Wunden des Konfliktes der Stadt heilen lassen. Um sich mit Halbohr gut zu stellen, versprach er ihm zwei seiner Gefangenen, die dabei helfen sollten den Tempel wieder aufzubauen. So fanden Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub ihren Weg in das Herz des Berges. Heergren war ein stolzer Minenarbeiter, der einst vor seiner Familie davonlief, um ein berühmter Schmied zu werden. Granrig hingegen war Soldat und einst für eine kriegerische Karriere im Orden von Laduguer in Urrungfaust vorgesehen gewesen war. Er wäre es vermutlich immer noch, hätte es nicht einen Zwischenfall gegeben, der ihn seine Ehre gekostet hatte. Er hasste Runin und alles was mit Laduguer in Verbindung stand und behauptete, dass der einstige Zwischenfall fingiert gewesen wäre. Zusammen halfen die beiden Nachtzwerge die Überreste des fremdartigen Gewächses und den Unrat zu beseitigen, die sich angesammelt hatten. Aus den Teppichen der Düsterheitpilze ließe sich Gewinn schlagen, sagten sie, wenn man nur den Abbau kontrollieren würde. Auf diese Art könne Halbohr die Arbeiten am Tempel und den Ausbau für einen Tunnel nach draußen bezahlen. Schließlich sollten Feuer und Schatten sich nicht von Gestein aufhalten lassen, wenn sie sich über Euborea ergössen. Nach zehn Tagen kamen seine Gefährten Neire, Bargh und Zussa das erste Mal zurück, nachdem sie die Hallen des Nomrus überfallen hatten. Halbohr machte sich daraufhin auf den Weg die drei einohrigen Riesen und deren Diener abzuholen. Die erste Musterung einer Streitmacht, vor der die Reiche Euboreas noch erzittern würden und entweder ihr Haupt vor Jiarlirae beugen oder qualvoll untergehen würden. Die Reise dauerte einige Tage, doch bald schon kehrten er mit ihnen in die Irrlingsspitze ein. Die drei jungen Hügelriesen Kulde, Gulgra und Gruschuk, zusammen mit einer Vielzahl von orkischen Kriegern sowie einigen Frauen und Kindern, sollten eine gute Verstärkung und Schutz für den Tempel bilden können. Ihre persönlichen Befindlichkeiten scherten Halbohr wenig, auch die anrüchigen Anbahnungen zwischen Gulgra und Gruschuk interessierten ihn nicht. Sollten sie sich doch vermehren. Es würde weitere Truppen für Jiarlirae bedeuten. Wichtig war ihm nur, dass sie wieder zu Kräften kamen, hatten doch die Orks - als sie mit den Hügelriesen alleine in der Festung des Nomrus waren - ihre Rache für die Sklaverei an ihnen ausgelassen. Heergren und Granrig waren gute Diener. Sie hatten begonnen in einer Felsspalte die Anfänge eines Tunnels zu bauen. Sie stellten mit den Orks unter Halbohrs Anleitung Wachen und Patrouillen zusammen. Auch der Handel mit den Pilzen begann. Ein guter Außenposten sollte es werden. Mehr noch, der erste Schritt, um der Herrin von Feuer und Düsternis einen Teppich auszubreiten, der ihrer erneuten Ankunft in diese Welt würdig war. Und alle würden es erfahren: Er sollte nun Halbohr sein, der General. Jeder sollte seinen Namen kennen, ihn heimlich flüstern und ihn seinen Kindern erzählen, um sie zu erschrecken. Sein einstiger Wunsch aus der Ebene des kreischenden Wahnsinns würde in Erfüllung gehen.

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Ich fühle mich immer noch unwohl. Zwar war es nicht das erste Mal, dass mich Mächte über andere Welten zu einem anderen Ort bringen, aber ich traue diesen Mächten immer noch nicht. Wer weiß schon, was sie mit einem machen, irgendwo zwischen den Welten. Aber hier waren wir nun: Bargh, der alte, junge Streiter Jiarliraes mit seiner neuen schimmernden Rüstung, grimmig und stolz. Neire, ihr Prophet, mit seinen strahlenden blonden Locken und einem Lächeln, das schon manche in ihren Bann gezogen hatte. Und ich, Zussa, als Kind von ihren Feuern geküsst und ihre Dienerin, schon bevor ich es selbst wusste. Wir hatten eine lange Reise hinter uns, seit wir die Hallen König Isenbuks verließen. Doch wir hatten neue Diener Jiarliraes für den Tempel des Jensehers mitgebracht. Als Neire in die Halle mit dem dunklen Portal schritt, lief er lachend und strahlend auf Halbohr zu. Ich dachte schon er wollte ihn umarmen. Ich verstehe immer noch nicht, was er an Halbohr findet. Trotz seiner Beteuerungen: Halbohr war nie ein treuer Anhänger. Früher oder später würde man ihn entsorgen müssen, wie ein Spielzeug, das kaputtgegangen ist. Doch plötzlich erstarb das Lächeln in Neires Gesicht, als sein Blick auf die vier Diener Jiarliraes fiel. Auch ich starrte sie an, vor allem Elmenshyr. Neire verbeugte sich vor ihnen mit einer höfischen Geste. Mordin stellte seine Dienerschaft vor, doch Lyrismar hielt offenbar nichts von Höflichkeit und Respekt. Er fuhr uns an und bezeichnete uns als Kinder. Doch auch Bargh ließ dies nicht auf sich sitzen. Der ohnehin schon große Krieger schien noch etwas mehr zu wachsen und gebieterisch hallte seine Stimme durch die Halle: „Das ist Neire von Nebelheim, er ist ihr Prophet!“ Daera mischte sich ein und versuchte wohl die etwas aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Als ich ihre engelsgleiche Stimme hörte, klang sie wohltuend in meinem Kopf, fast wie ein Lied, dem man einfach nur lauschen möchte. Die Worte, die sie sprach, gerieten fast in den Hintergrund. Sie sagte, dass er sich zurückhalten und keine Spiele spielen sollte. Als Lyrismar brüllend mit seiner verkohlten Hand auf Daera zeigte, war es, als wenn ich aus einem kleinen Schlummer plötzlich aufgeschreckt wäre: „Ihr! Hütet eure Zunge, ihr seid hier nicht …!“ Das letzte Wort konnte ich nicht richtig verstehen, schien aber nichts Freundliches gewesen zu sein. Doch endlich beruhigten sich alle wieder und Halbohr konnte, so wie es seine Art ist, Langeweile verbreiten: Er betete stolz seine Liste von Planungen und Vorhaben herunter. Anscheinend hatte er mit Hilfe seiner beiden Lakaien die Leichen der Kreaturen, die schon lange hier in den Höhlen verrotteten, zerlegt, um damit diese merkwürdigen Pilze zu nähren und sie dann zu verkaufen. Als er auch noch von dem Wasserröhren erzählte, die er zum Wässern der Pilze aufbauen wollte, musste ich mich abwenden, bevor mir die Augen zufielen. Funkenträger war viel interessanter. Der Feuerkäfer, bestimmt der größte derer, die wir bei den Feuerriesen gefunden hatten, konnte inzwischen große und kleine Kreise fliegen. Ich hatte ihn während unserer Reise durch die Unterreiche trainiert. Ich habe gesehen, dass Neire und Bargh etwas mitleidig gelächelt haben, als ich ihnen Funkenträger einige Kunststücke vorführen ließ, aber das war mir egal. Er konnte schon die kleineren Käfer jagen. Bald, wenn ich ihn richtig füttere, wird er noch größer werden. Auch Neire wird sich bestimmt freuen, wenn ich es schaffe, Funkenträger beizubringen die Kleineren zu fangen und sie mit seinen Zangen in Stücke zu reißen. Ich lief Funkenträger durch die Höhlen hinterher. Er musste unbedingt noch schneller werden, sonst würden ihm einige der anderen nachher noch entwischen. So kam ich in die Höhle, die den großen Spalt in die Tiefe beinhaltete. Ich erinnerte mich an den Kampf mit der Spinnenkreatur, den wir einst hier gefochten hatten. Auch erinnerte ich mit Abscheu an Meeredite, die sich aus dieser Spalte gezogen hatte. Oder hatte sie es damals uns nur vorgespielt? Ich verwarf die Gedanken, denn ich hörte plötzlich aufgeregte Stimmen aus einer weiteren Höhle schallen. Einer von Halbohrs Nachtzwergen-Lakaien stürmte heran und war völlig außer Atem. Er stammelte, dass etwas in Unterirrling passiert sei. „Meister Halbohr“ nannte er den Elfen dabei. Pah, wenn er wüsste, welch feige und schwache Teufelswesen ihm bei seiner Meister-Werdung behilflich waren. Zusammen suchten wir Halbohr auf, dem der Nachtzwerg gehorsam berichtete. Runin’ore’Waere war wohl umgebracht worden und die Ältesten der Minenstadt Unterirrling versammelten sich gerade, um einen neuen Nachfolger zu bestimmen. Etwas blitzte ihn Halbohrs Augen auf. War es eine Möglichkeit, die er sah? Sicher, wir sollten Unterirrling an unserer Seite haben. Denn wenn einmal die Scharen unserer Herrin durch das dunkle Portal strömen, sollten sie sich nicht an den Nachtzwergen aufhalten, sondern sich laben an den Ländern des Lichtes. Wir brachen zügig auf, auch Lyrismar begleitete uns. Bargh versprach sich, dass es vielleicht Mord und Totschlag geben würde. Auch bei mir stellte sich ein schönes Gefühl von Aufregung ein. Keiner behelligte uns, als wir wieder in die Hallen Unterirrlings eintraten. Offenbar war Halbohr schon bekannt. Als wir schließlich in dem Tempel eintrafen, musste ich etwas grinsen, denn ich sah die Reste des zerstörten Steines. Ich konnte die Schreie der Seelen in mir hören, wie sie nach ihrer Freiheit schrien. Nein, ihr habt euch eure Freiheit noch nicht verdient und noch keine Vorstellung, welche Opfer ihr dafür noch bringen müsst. Ein Kreis von Duergar stand dort und wir hörten zwei alleinstehenden Nachtzwergen zu, die ihre Reden schwangen. Als wir eintraten ging ein Raunen durch die Runde. Gesichter drehten sich in unsere Richtung und einige erkannten Halbohr. Einer der Redner, ein jüngerer Duergar dem aber schon die Haare anfingen auszufallen, hielt inne als er Halbohr sah: „Was ist das?! Ein Elf, hier in den heiligen Hallen Laduguers? Was ist mit unseren alten Riten, dem Willen unserer Vorväter? Wie können wir es so einer Kreatur erlauben sich in unserer Mitte zu bewegen?“ Der andere, wesentlich größer und muskulöser, mit einer gewaltigen Schlachtenaxt an seiner Seite, widersprach: „Firin, in Unterirrling herrschen andere Sitten. Das ist Halbohr, aus dem Tempel des Jensehers. Ihr wisst, dass wir schon lange mit ihm Handel treiben. Außerdem… erinnert euch an das, was passiert ist, als damals der Tempel und seine Priester vernichtet wurden.“ Der andere, Firin’ore’Waere, offenbar der Sohn des ermordeten Runin, murmelte zwar etwas, doch sein Gesicht zeigte, dass er sich sehr wohl erinnerte. Halbohr trat vor. „Ihr kennt mich! Ihr wisst was damals passierte, was immer noch passieren kann. Ihr wisst aber auch, was Gutes passieren kann. Sorge ich nicht dafür, dass die Düsterheitpilze zu euch kommen? Sorge ich nicht dafür, dass ihr in den Höhlen Schutz erfahrt? Ihr verdient gutes Geld mit dem Verkauf von Nahrung, dem Handel mit dem Tempel des Jensehers. Doch erinnert euch an Waergo und daran, wer diesen schwachen Bewohner aus dem Oberreich aus eurer Stadt vertrieben hat!“ Ich war kurz davor aufzulachen. Halbohr hatte Waergo getötet? Halbohr hatte den Tempel zerstört? Halbohr läge schon längst in seinem Blut, wenn es nicht Bargh und mich geben würde. Aber ich ließ ihn reden, sollte er doch seine Ränke schmieden. Der Rivale von Firin, Germin Dunkeldorn wandte sich an die versammelte Runde. Er versprach ihnen Unabhängigkeit von Urrungfaust, von weniger Steuern und von irgendwelchen weiteren langweiligen Sachen. Bargh trat hervor und unterbreitete seinen Vorschlag: Sie sollten sich, so wie es in Fürstenbad Sitte war, ihr Recht um die Führerschaft in einen Zweikampf verdienen. Germin hob seine Axt, offenbar gefiel ihm der Vorschlag. Als er seine Herausforderung ausrief, erntete er die laute Zustimmung der anderen Duergar. Offenbar gab es auch bei den Nachtzwergen die alte Sitte eines ehrenvollen Zweikampfes auf Leben und Tod. Germin war sich seiner Sache sicher, Firin dagegen nicht. Offensichtlich der behütete Schössling des alten Herrschers, schritt er zu seiner Frau und gab ihr Anweisungen, falls es nicht zu seinen Gunsten ausfallen würde. Seine nachtzwergische Ehre gewährte ihm keinen anderen Ausweg. Die beiden traten sich gegenüber. Bargh hatte Germin, während Firin mit seiner Frau redete, eine mächtige Kriegsaxt gegeben, die er jetzt seinem Kontrahenten entgegenstreckte. Firin wiederum hob seine Kriegspicke und der Kampf begann. Mehrmals rammte die Axt Germins auf Firin, doch dieser war geschickter als man es denken würde und duckte sich unter mehreren Schlägen hinweg. Seine Picke rammte auf Germin. Die Waffe traf jedoch nur den Schild Germins. Ein weiterer Schlag Germins, doch diesmal war Firin nicht schnell genug. Die feine Schneide der Axt fand ihr Ziel und drang tief in den Hals ein. Blut strömte heraus und Firin sackte auf die Knie. Es sah aus, als ob er schon mit seinem Leben abgeschlossen hätte. Ein letzter Blick galt seiner Frau und den beiden Kindern, dann brachte die Axt Germins ihn auf die Reise in das ewige Feuer nach dem Leben. Germin hob seine blutige Axt über seinen Kopf und badete in den Heilsrufen der Anwesenden. Er versprach den Ältesten der Stadt, dass sie nicht mehr unter der Knechtschaft Urrungfausts stehen sollten und dass sowohl Runin als auch Firin’ore’Waere ein ehrenvolles Begräbnis bekommen würden. Zudem nahm er Runin’Ore’Waeres Familie unter seinen Schutz. Ebenso versprach Germin, dass der Mord an Runin aufgeklärt werde, wer es auch immer gewesen sein mochte. Nach einiger Zeit kehrte Ruhe ein und Germin führte uns zu dem Ort wo Runin den Tod fand. Es war die gleiche Kammer, wo wir Waergo gefunden hatten. Es war sein schwarz angemaltes Gemach mit dem weißen Bärenfell auf dem Boden. Von dem Körper Waergos war nichts mehr zu sehen, dafür hing in einem Sessel der leblose Körper eines älteren Duergars, auf dessen grauem Wams deutlich getrocknetes Blut zu sehen war. Germin sagte, der Raum sei bereits durchsucht worden, doch er bat Meister Halbohr um seine Unterstützung. Zum Glück für Meister Halbohr war ich und auch Lyrismar anwesend. Lyrismar war zwar mürrisch, doch er hatte offensichtlich Fähigkeiten die denen Halbohrs nicht nachstanden. Zusammen fanden sie an der Leiche Runins eine schmale Wunde, die durch seine ganze Brust drang. Eine schwärzliche Substanz war noch an den Rändern zu erkennen, Gift der Duergar, wie Lyrismar feststellte. Auch fanden wir an der Wand eine Stelle, wo eine eiserne Klappe einer in die Wand vermauerten Kiste verborgen war. Davor waren viele Spuren zu finden, jedoch ein besonderes Paar. Die Abdrückte waren größer als die von Nachtzwergen und es sah so aus wie eine Person, die versucht hatte besonders vorsichtig zu gehen. Das Schließfach in der Wand wurde wohl erst vor einigen Wochen dort eingesetzt. In der Klappe steckte die abgebrochene Spitze eines Schlüssels. Sie war jedoch nicht mit irgendwelchen Fallen gesichert, wenn man Halbohr Glauben schenken durfte. Lyrismar und Halbohr zogen den Schlüssel vorsichtig heraus. Dieser enthielt merkwürdige Einkerbungen, wie eine Art Signatur von demjenigen, der ihn angefertigt hatte. Nichts, was uns wirklich weiterhelfen würde. Auch der Inhalt der Kiste selber half nicht. Dort waren mehrere Säckchen mit Münzen und ein Brief, der sehr deutlich vermittelte, dass Runin sofort nach Urrungfaust aufbrechen sollte, unterzeichnet von einem Grauwegur Nebelritter. Nebelritter, das klang für mich, als ob irgendjemand sich mit den Rängen dieses lächerlichen Kultes um Laduguer schmücken würde, vermutlich um sich noch wichtiger zu machen. Ich verstand noch nicht warum wir diesen Kreaturen überhaupt dabei helfen sollten. Wen interessierte es, wer hier wen umgebracht hatte und warum. Sie werden ohnehin bald schon alle entweder dem Feuer und dem Schatten dienen oder durch die Hand Vocorax'ut'Lavia, dem Henker der letzten Einöde, zugrunde gehen. Germin tauchte wieder auf, an seiner Seite einen verschlafen aussehenden Duergar, Yrker Brallt. Es war die Wache, die es zuließ, dass der Führer von Unterirrling getötet werden konnte. Man konnte ihm die Schwäche ansehen als er stammelte, dass er nichts gesehen hatte und irgendetwas von Kopfschmerzen, wie nach dem gierigen Trinken von eiskaltem Wasser. Er log, das war offensichtlich und Bargh rief es ihm ins Gesicht, woraufhin er sich noch mehr wand. Kopfschmerzen sollten eine Wache doch nicht von ihrer Pflicht abhalten. Warum haben sie ihn nicht schon längst mit dem Tode bestraft? Halbohr untersuchte seinen Körper auf irgendwelche Spuren von Gift. Der Narr glaubte ihm anscheinend. Doch wie ich es erwartet hatte, fand er nichts. So blieben wir zurück mit mehr Fragen als Antworten, doch keiner von uns verlor unser eigentliches Ziel aus den Augen. Euborea würde vor uns erzittern. Entweder beugt es sich vor uns oder es wird verbrennen.
« Letzte Änderung: 14.01.2024 | 09:39 von Jenseher »

Offline Jenseher

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Sitzung 94 - Urrungfaust
« Antwort #99 am: 6.01.2024 | 21:08 »
Ich konnte es deutlich riechen. Das getrocknete Blut Runin’ore’Waere begann langsam zu stinken und vermischte sich mit dem öligen Geruch der Farbe dieser schwarzen Kammer. Zudem war da noch der Schweiß, der so alt roch, als ob der Stein selbst den Gestank von Generationen dieser Wichte in sich aufgenommen hätte. Ich kam mir vor, als hätten wir mit den Riesen die Plätze getauscht. Wir, das waren die fast zwei Schritt große verbrannte Gestalt von Lyrismar, der noch größere und gewaltigere Krieger Bargh, Halbohr mit seiner geschwollenen linken Gesichtshälfte - wo er den Kuss Jiarliraes empfangen durfte - und ich selbst. Immer wieder stieß sich Bargh an Türrahmen, an Stürzen oder an Schränken. Die Tiefenzwerge hatten ihre Tunnel und Hallen zwar in ausladender Geräumigkeit gebaut, für den übermenschlich-großen Antipaladin war es aber nicht genug.

Halbohr untersuchte gerade die nackte Gestalt der Wache. Ich verstand zwar nicht, was er sich dabei versprach, aber ich musste mich schütteln als ich den blassen und dicken Körper mit den blauen Venen sah, die sich wie ein Wurzelgeflechte unter der bleichen Haut entlangzogen. Germin Dunkeldorn, dank unserer Hilfe der neue Herrscher von Unterirrling, war wenigstens etwas größer und auch muskulöser. Aber, der Göttin sei Dank, war er zumindest bekleidet. Er interessierte sich für den Inhalt der von Halbohr geöffneten Klappe. Den Beutel mit den Münzen steckte er mit einer gewissen Genugtuung ein, aber auch der Brief weckte ein Interesse, vor allem der Name Grauwegur Nebelritter. Dieser war offenbar ein Ritter der persönlichen Garde des Königs von Urrungfaust und es gab insgesamt fünf von ihnen: Grauwegur Nebelritter, Grauwegur Grauzahnritter, Grauwegur Axtritter, Grauwegur Ascheritter und Grauwegur Felsritter. Germin erzählte eine kleine Geschichte, in der die Ritter von Urrungfaust als Helden verehrt wurden, nachdem sie in einem der Kriege mehrere Sippschaften der Dunkelelfen getötet hatten. Ich verstand nicht ganz und fragte Germin, was daran so besonders sei. Schließlich hatte ich auch die Sippe von Eclavdra ausgerottet - mit Neire und Bargh zusammen. Und Triel hatte bestimmt auch zu einer Sippe gehört. Aber wer weiß, wenn man mit seinem Kopf so nahe am Boden ist, muss man sich vielleicht auch mit kleineren Sachen zufriedengeben.

Lyrismar wollte wissen was der Brief zu bedeuten habe und Germin erklärte, dass Unterirrling Urrungfaust zu Abgaben verpflichtet sei. Runin war also dem König von Urrungfaust Tribut und Rechenschaft schuldig. Doch laut Germin zahlte Runin auch Steuern an den Tempel des Laduguer, da er damit wohl diesem armseligen Gotte huldigen wollte. Wir fragten Germin, welche Absichten er hätte. Er schien begriffen zu haben, wie schwach Laduguer war; der zerstörte Altar hätte eigentlich allen Nachzwergen in Unterirrling diese Erkenntnis bringen sollen. Aber Germin war auch feige. Er sagte, dass er die Priester nicht brauchen würde. Erst dann fiel ihm auf, dass der nackte Yrker Brallt uns noch zuhörte. Wie als ob er bei einem bösen Wort erwischt worden wäre, fuhr er die Wache an, dass sie bloß schnell vergessen solle, was er gerade gesagt habe. Die Priester von Laduguer waren vielleicht doch zahlreicher und einflussreicher als Germin es gerne hätte. Es klang, als ob Priester und König um die Macht in Urrungfaust stritten, wenn auch nicht öffentlich. Die Priester sahen sich wohl als Träger der Fackel der Ehre. Das Feuer dieser Fackel konnte jedoch nicht mehr sein als ein leichtes Glimmen, das kurz vor dem Erlöschen stand. Deswegen mussten sie ihre gelobten Tugenden wohl doch außer Acht lassen und feige Assassine beschäftigen. Zumindest berichtete uns Germin über die Priester von Glammringsfaust, dem Tempel des Laduguer in Urrungfaust.

Ich verstand noch nicht, warum Germin diese unfähige Wache nicht bestrafte. Als ich ihn fragte, ignorierte der kleine Wicht mich einfach. Ich weiß noch, wie ich bebte. Ich wollte diese Kreatur brennen sehen. Doch dann spürte ich die Hand von Lyrismar auf meiner Schulter. Ich zuckte kurz zusammen bei der Berührung des Anhängers Jiarliraes. Seine schwarz-verbrannte Haut fühlte sich merkwürdig an auf meiner Schulter. Wer weiß schon, welche Prüfungen er schon erfolgreich hinter sich gebracht hatte und welche Geheimnisse er in den Flammen erkennen konnte. Ich wollte ihm nicht widersprechen. Ich konnte es auch gar nicht, denn er sagte, dass ich vorsichtiger sein müsse. Er versprach mir auch die Geschichte zu erzählen, die hinter diesem Strang von silbern-krausen Haaren steckte, die seinen Umhang zierten. Sie fühlten sich so seltsam weich an in meinen Fingern; die Geschichte dahinter muss bestimmt interessant sein. Wenn ich ihm zuhöre… vielleicht schaffe ich es dann auch die Zeichen zu erkennen und zu deuten. Vielleicht kann ich dann auch IHRE Stimme besser hören, so wie Neire. Lyrismar warnte mich auch vor Daera. Man könne ihr nicht trauen und sie würde schon seit Jahrtausenden Männern und Frauen den Geist aussaugen. Ich glaubte ihm, war es mir doch schon aufgefallen, dass ihre Stimme einem den Verstand zu vernebeln vermag.

Unser weiterer Weg war jetzt klar. Wir würden einem der Händlerzüge nach Urrungfaust folgen. So verließen wir Unterirrling und betraten wieder die Höhlen, die weit unter die Irrlingspitze liefen. Anfangs folgten wir noch den Spuren der Mörder, die aus der Kammer von Runin und bis in die Tunnel der Handelsroute nach Urrungfaust führten. Schon bald fanden wir aber auch die deutlichen Spuren der Karren, die die Waren von und nach Urrungfaust transportierten. Wieder einmal durchquerten wir Tunnel und Höhlen in der Dunkelheit und wieder einmal war es, als ob die gigantischen Massen der Berge selbst auf meinen Kopf drückten. Schon als wir aus den Hallen der Feuerriesen hier entlangkamen, hatte ich dieses Gefühl. Ich frage mich, wie diese Nachtzwerge hier ihr Dasein fristen konnten. Vielleicht durfte man einfach nicht größer sein, dass man den Berg über sich nicht bemerkte. Ich lenkte mich ab indem ich mir vorstellte, wie diese Höhlen und Tunnel geflutet würden. Ich stellte mir flüssiges und brennendes Gestein vor, wie ich es bei den Feuerriesen gesehen hatte. Das half etwas und es fing sogar an ein bisschen an Spaß zu machen. Bargh ging neben mir, doch als ich ihm beschrieb wie schön es sein könnte, merkte ich, dass er eben doch ein Krieger ist. Er sagte, dass er sich eine Armee vorstellen würde, die Euborea verwüsten würde. Das war etwas langweilig. Auch die Standarte aus der Haut von Halbohr konnte er sich nicht richtig vorstellen. Dabei wäre es ein prächtiges Bild, wie Bargh, der Krieger des Feuers und der Schatten, der Drachentöter, die Haut Halbohrs als Banner hoch über seinem Kopf trägt und damit die Armee befehligt. So sollte der grimmige Elf doch seinen Ruhm haben. Halbohr bekam zum Glück nichts davon mit, da er sich lieber damit beschäftigte, die Spuren der Karawanen zu untersuchen.

Als wir eine Rast einlegten, beobachtete ich Lyrismar. Seine Art unserer Herrin zu huldigen war gleichzeitig schrecklich und wunderschön. Er rieb einen Stab aus schwarzem Metall mit einer Art Öl ein und setzte diesen dann in Flammen. Grünliches Feuer züngelte über dem Stahl und die Luft darum flimmerte leicht vor Hitze. Unter fremden Gebeten drückte er sich dann den brennenden Stab auf seine Brust – auf eine bleiche Hautstelle, die noch nicht zu schwarzer Kohle verbrannt war. Es zischte, als das heiße Metall sich in das Fleisch hinein brannte. Doch er hatte keine Schmerzen. Im Gegenteil, er schien es zu genießen, als sich der Stab durch seine Haut fraß. Glücklich lächelnd lehnte er sich zurück. Ich wollte ihn nicht stören, also fragte ich leise Bargh, ob er wissen würde was es damit auf sich hätte. Doch auch für Bargh war dies neu. Es war ein Ritual, doch war es für Lyrismar auch wie ein Rausch, der vielleicht von diesem Öl herrührte. Es war faszinierend. Ich fragte mich wie es sich anfühlen würde, ob es beim ersten Mal weh tut und man danach die Freuden genießen konnte. Oder sogar schon direkt beim ersten Mal? Vielleicht erklärt Lyrismar mir es ja.

Wir durchschritten die seltsamsten Höhlenlandschaften. Wir sahen glitzernde Tropfsteinzapfen, kleine Flüsse und schimmernde Riesenpilzwälder. Glühende Augen betrachteten uns aus der Dunkelheit. Nach einer weiteren Zeit, es müssen wohl einige Tage gewesen sein, holten wir einen der Händlerzüge ein. Sie passierten gerade eine größere Tropfsteinhöhle, wo bleiche Flechten ein schwaches Licht von sich gaben. Ein Wagen wurde von Kriegern geschützt, von denen einer auf einer dieser haarigen Riesentaranteln ritt. Die Krieger und auch ein weiterer Nachtzwerg, der einen Karren mit einigen Stangen aus Ne’Ilurum schob, trugen das Wappen der Stadtwache von Urrungfaust: Eine goldene Krone über einem ebenfalls goldenen Kreuz aus Hämmern. Als sie Halbohr sahen, ging wieder das Getuschel los. Selbst in Urrungfaust kannte man diesen Namen also schon. Hoffentlich steigt es Halbohr nicht zu Kopfe und er vergisst nicht wo sein Platz ist. Halbohr gab vor in Urrungfaust weitere Handelsmöglichkeiten zu suchen. Ob sie ihm glaubten konnte ich nicht sagen, auf jeden Fall waren sie vorsichtiger als jene in Unterirrling. Jedoch waren sie auch nicht besonders feindselig. Ich könnte mir vorstellen, dass Bargh und bestimmt auch Lyrismar einem Kampf nicht abgeneigt wären, nach den langen Tagen des Wartens und des Marschierens. Doch beide waren auch keine Dummköpfe. Hätten wir die Nachtzwerge hier erschlagen, wäre unser Weg nach Urrungfaust bestimmt nicht einfacher. Der Anführer der Karawane empfahl uns den Klingenmarkt, doch sie schienen auch kein großes Interesse an weiteren Unterhaltungen zu haben. So ließen wir sie hinter uns und folgten weiter den deutlichen Spuren, die uns immer tiefer unter die Erde führten.

Nach einem weiteren Reisetag änderten sich die Höhlen etwas. Mehrere Tunnel stießen aus den verschiedensten Richtungen zusammen und vereinigten sich zu einer richtigen Straße. Wir rochen auch etwas Anderes. War es vorher der Geruch von nassem Stein, so mischte sich jetzt der Gestank von Unrat, Fäkalien und auch Verwesung darunter. Diese Höhlen wurden anscheinend von Händlern und Sklaven stärker genutzt, die hier ihre Hinterlassenschaften verteilt hatten. Aus den verschiedenen Tunneln sahen wir Händler mit ihren Waren kommen. Ein schwer beladener Lastenkarren wurde von humanoiden Sklavenkreaturen gezogen, die mit den Peitschenhieben des Händlers weitergetrieben wurden. Der Geruch würde noch übler, er biss mich richtig in der Nase. Vor uns konnten wir einen Lichtschimmer erkennen. Ich hatte erwartet hinter der nächsten Öffnung eine weitere kleinere Höhle zu sehen, vielleicht mit einem Lager. Doch als der Tunnel sich öffnete, war ich atemlos. Atemlos wegen dem, was ich dort sah, aber auch atemlos wegen des Gestanks, der mir die Luft aus den Lungen trieb.

Vor uns lag eine wahrhaftig gigantische Höhle. Aus dem dunklen Wasser eines ruhigen Sees erhob sich inmitten der Höhle ein kleiner Berg an dessen Hängen unzählige Gebäude standen. Die Spitze des Berges zierte eine riesige Festung. Überall aus den Gebäuden und auch aus dem Stein selbst quollen schwere fettige Schwaden hervor und legten einen Schleier aus giftiger Luft über die Stadt und über den See. Über den Dächern der Gebäude brannten orange-rote Dunkelfeuer und gewaltige Purpurne über der Festung in der Mitte. Der Dunst trug das Licht weiter und verteilte es, auf dass schließlich die gesamte Höhle gespenstisch leuchtete. Ich konnte ein Husten nicht unterdrücken, doch sah ich auch, dass die Duergar, von denen immer mehr in diese Höhle traten, blutigen Schleim aus ihren Lungen husteten. Etliche trugen widerliche Geschwüre. Sie alle strömten zu einer breiten Brücke, die von unserem Ufer über den See in die Stadt hineinführte. Die Kanten der Brücke waren gespickt mit den grimmigen Bildnissen der Duergar, vielleicht alte Könige oder bekannte Krieger. Dort, wo die Brücke in die Stadt traf, führte sie unter einem großen Torbogen hindurch, schwer bewacht mit Türmen und Kriegern, die das Wappen der Stadt trugen. Der widerliche Rauch hüllte uns ein, als wir uns im Strom der Händler über die Brücke bewegten. Das Beißen in meinem Hals und meiner Lunge wurde schlimmer. Es war, als ob die schwarzen Fluten des Sees ihren ätzenden Hauch ausspien. Hier und dort konnte ich Blasen auf dem dunklen Wasser sehen, mit denen giftiger Rauch aufstieg. Lyrismar schien wie berauscht zu sein, von der Stadt und ihren Lichtern. Vielleicht wirkte sein brennendes Öl noch in seinem Körper. Er starrte die Lichter und die Duergar an. Als wir kurz vor dem Bogen waren trat aus den Türmen ein kleiner Trupp Soldaten heraus. Der Anführer der Gruppe, der eine große silberne Kette mit einem eingefassten Rubin trug, starrte Halbohr an, als ob er sich nur mühsam zurück halten könne ihm nicht direkt hier und jetzt den Schädel einzuschlagen. „Meister Halbohr! Ihr seid weit weg von eurem Zuhause. Ihr seht aus, als ob ihr wieder zurückkehren wolltet, in euren Tempel des Jensehers. Dort gehört ihr hin“. Der Soldat neben ihm, der ihn mit Geisteswerker Horund ansprach, wurde mit einem harschen Zischen zum Schweigen gebracht. Auch hier erzählte Halbohr seine Mär, dass er handeln wolle und auch hier glaubte man ihm. Wobei der Geisteswerker Horund ihm noch die drohenden Worte zum Abschied sagte: „Gehet und wisset, die grauen Augen Laduguers sind überall. Die Steine betrachten euch.“ Ich konnte sehen wie es in Bargh arbeitete. Es fehlte nicht viel und der Krieger würde die Schattenklinge Jiarliraes ziehen und Laduguer selbst die Augen ausstechen. Doch auch hier konnte er sich zurückhalten.

So tauchten wir ein in den nebelhaften Gestank Urrungfausts. Der Qualm der Essen, Werkstätten und Öfen biss in unsere Augen und Lungen. Überall begegneten uns hustende Duergar. Selbst die Kinder, die mit ihren Holzschwertern alte Schlachten nachspielten, spuckten Blut zwischen ihren Rufen. Ihre Spiele sahen für mich sehr interessant aus - nicht so einfältig, wie die der Sprösslinge der Riesen. Der Ort wirkte trist und trostlos. Überall der schwere Qualm. Alle Häuser waren grau in grau. Bollwerke aus gerader Steinarchitektur. Keine Bäume, keine Statuen, keine Brunnen, einfach nur Haus an Haus und dazwischen die Werkstätten. Etliche der Werkstätten produzierten ölige und ätzende Abwässer, die ihren Weg durch die Gossen in den großen See fanden. Lyrismar trennte sich von uns und wollte nach einer Bleibe schauen, während Halbohr und Bargh einen kleineren Markt ansteuerten. Wir blieben also auf der breiten Straße, die sich in Serpentinen in Richtung der Zitadelle hinaufschlängelte. Zielstrebig fand Bargh einen Stand, an dem ein dicker Nachtzwerg mit einer knolligen roten Nase irgendein Gebräu namens Dunkelbraan anpries. Halbohr bestellte sich direkt einen Humpen, doch der Tölpel hatte nicht mal an Bargh und mich gedacht. Bargh musste ihn erst noch daran erinnern und auch dann meinte Halbohr es wäre lustig, wenn er mich als Kind darstellte und mir nur einen halben Humpen geben würde. Halbohr redete zwar in der hässlichen Sprache dieser Kreaturen, doch wie so oft zeigte es sich, dass Halbohr einfach nur dumm war. Er dachte, ich könnte nichts davon verstehen. Ich konnte mir aber sehr wohl die ersten Brocken der Sprache bereits im Tempel des Jensehers aneignen und diese über die Zeit verfeinern. Halbohr würde es schon früh genug erfahren, dass er mich nicht unterschätzen sollte. Jetzt lachte auch der Bierhändler, rief mich einen kleinen Jungen. Ich stellte mir vor wie ich ihn lebend über den Feuern einer dieser Essen röstete, wie ich es mit den Kindern der Hügelriesen gemacht hatte. Die Schreie von ihm klangen wunderbar in meinem Kopf, doch plötzlich wurde ich aus meiner Träumerei gerissen. Ein Fischhändler, einige Schritte von uns entfernt, rief wie von Sinnen: „Haltet den Dieb!“. Ein kleineres und dürres Etwas lief mit einem stinkenden halben Fisch in der Hand davon. Ein hässlicher Kopf ragte aus einem ausgemergelten Körper empor, am Hals und an den Händen die Wunden von zu engen Ketten. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden diese Kreaturen in alten Sagen als Goblins bezeichnet – auch wenn dieses Exemplar noch sehr jung war. Das Etwas war flink und schaffte es fast davon zu kommen, doch einer dieser Duergar stellte ihr ein Bein und das Etwas fiel der Länge nach zu Boden. Eine Duergar Frau platzierte ihren massigen Fuß auf den Körper. Das Etwas versuchte sich zwar zu winden, kam aber nicht davon. Die Gesetze hier waren offenbar sehr einfach: Stiehlt ein Sklave etwas, dann ist es das Recht der Bestohlenen den Sklaven zu töten. Das gefiel mir, keine Reden, keine Ausflüchte. Der Fischhändler zögerte noch, doch die Menge an Schaulustigen feuerte ihn an. Schließlich fällte er sein Urteil und nahm die ihm von einem Krieger bereitgestellte Axt. Mehre Hiebe brauchte der Fischhändler; er schwang die Kriegsaxt, als würde er Holz spalten. Das Etwas, dem Todesschrei nach vielleicht ein Goblin-Mädchen, zuckte noch einmal auf und blieb dann aber auf dem schmutzigen Boden liegen. Ich nahm noch einen Schluck des Dunkelbraan, das ziemlich kräftig war und warm die Kehle herabrann. Ich muss sagen, zu einem Teil bewunderte ich die Sitten dieser schmutzigen, missratenen Rasse. Die Menge verteilte sich wieder, offenbar nur eine kurze Ablenkung in dem sonst so tristen Alltag. Ich musste schmunzeln, als zwei Wachen den Fischhändler in seine Schranken wiesen. Die Worte „Ihr hattet euer Urteil und euren Spass, also beseitigt diesen Müll“, verstand ich sogar, als die beiden auf den toten Leib des Goblin-Mädchens zeigten.

Halbohr nutzte die Gelegenheit und schnippte ein Goldstück auf den Tresen des Bierstandes. Bier für jeden rief er und die Menge ließ sich das nicht zweimal sagen. Vorher waren die Blicke uns nicht wirklich freundlich gesonnen, doch der Gedanke an freiem Bier half offenbar. Während der Wirt seine Humpen an dem Fass füllte versuchte Halbohr ihm einige Informationen zu entlocken. Die Stadt Urrungfaust ragt aus dem See Arbolbaar auf und wird auch die „Stadt der Ehre und der harten Arbeit“ genannt. Nicht die Stadt der Spiele oder des Spaßes. Ich hoffte, dass wir diesen stinkenden Ort schnell wieder verlassen können. Die Festung, die imposant auf der Spitze des Berges thront, ist die Feste Blutsteinzitadelle. Sie ist der Sitz des Königs von Urrungfaust, Glanryk von Werunstein. Hinter der Festung erstreckt sich der Klingenmarkt wo man angeblich alles bekommen könne was man wolle; alles bis auf Duergarsklaven. Versuchte man diese zu handeln, würde man einen Kopf kürzer gemacht. Der Tempel von Laduguer, Glammringsfaust, ragt auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt aus den Fluten des Arbolbaar auf. Dieser Tempel habe seine eigenen Regeln - so sei es schon immer gewesen und so würde es auch immer sein - so die Worte des Bierhändlers. Ob diese Worte auch noch gesagt würden, wenn die Fluten Jiarliraes über Urrungfaust hinwegfegen?

Das ganze Gerede fing an mich zu ermüden, also nahm ich noch einige tiefe Schlücke des Dunkelbraan. Das wohlige warme Gefühl breitete sich nicht nur im Magen aus, sondern begann auch in meinen Kopf zu steigen. Die Lichter wirkten faszinierend, wie sie sich über den Dächern bewegten. Bewegten sie sich überhaupt? Als wir ankamen standen sie noch still. Ich hielt mich am Rande des Standes fest, um zu überprüfen ob sie tatsächlich angefangen hatten sich zu bewegen. Doch auch der Stand bewegte sich plötzlich von mir weg und mein Griff ging ins Leere. Ich glaubte Halbohr lachen zu hören, dennoch waren die Lichter für mich interessanter. Sie fingen an sich zu drehen, oder drehte ich mich? Vielleicht war das Dunkelbraan doch stärker als ich dachte.

Lyrismar fand schon bald wieder seinen Weg zu uns. Er hatte in einem Stadtteil namens Zehnminenstadt eines der wenigen Gasthäuser mit dem Namen Orunbrunn gefunden. In diesem Stadtteil gab es viele Schächte von Minen, die tief unter den Berg und unter die Stadt führten. Hier standen kaum Häuser, nur dunkle Stollen aus denen ätzender Dampf strömte. Giftig schimmernde, vielfarbige Rinnsale flossen aus den Minen und vereinigten sich zu einem richtigen Bach aus Säure und Unrat. Der Bach floss direkt unter dem Gasthaus entlang, wo zwei Gebäude durch eine Art Wohnbrücke miteinander verbunden waren. Kleine Tische und Stühle waren an den schwarzen, schlammigen Ufern aufgebaut. Der Nebel der Minen sickerte hier hinab und alles war von diesem dunklen öligen Schlamm überzogen. Selbst die Lichter der Dunkelfeuer drangen nur gedämpft durch den ätzenden Qualm. Vor dem Gasthaus saßen schon die Minenarbeiter mit rußgeschwärzten Gesichtern und tranken ihr Bier, während sie Eiter, Schleim und Blut in ihre Geschwüre husteten. Zwischen den Arbeitern huschten einige weibliche Gestalten, die mich direkt an das Volk von Ortnor erinnerten, jedoch machten sie eher einen bedrückten Eindruck.

Es sah so aus, als ob wir noch einige Tage oder Nächte in diesem Gestank ausharren müssten. Hoffentlich lohnt es sich. Ich muss dem Gespür von Neire und Bargh vertrauen, dass wir nicht nur irgendeinen totem Duergar hinterherrennen, sondern dass es auch für mich ein weiterer Schritt auf dem Pfad des Verstehens ist.