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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea
Jenseher:
Zussa ließ sich hinab in die Tiefe. Der jaulende Wind der Eisspalte rief unschöne Erinnerungen in ihr hervor – brachte ihre Hände zum Zittern. Sie fühlte sich unsicher in diesem Pfeifen. Doch es waren nicht die schneidenden Böen, die ihr Probleme bereiteten. Es war etwas in ihr geblieben. Etwas hatte sie für immer befallen, seit sie das fremde Reich hinter der Pforte des Jensehers wieder verlassen hatte. Zussa rammte ihre Steigeisen in das Gletschereis. Sie biss die Zähne zusammen und seilte sich ab. Sie dachte zurück an die Schmähung des heiligen Kriegers Bargh, als sie in der Kälte gezittert hatte. Sie hatte sich durchgesetzt, sich durchgebissen. Seitdem sie der schwarzen Kunst abgeschworen und sich der Göttin von Flamme und Düsternis zugewandt hatte, spürte sie die Kälte nicht mehr, wie einst an jenem Ort. Der schroffe, dunkle Boden der Spalte lag jetzt vielleicht noch 25 Schritte unter ihr. Sie sah dort Bargh und die Dunkelheit, die ihn umgab. Über ihr funkelte das Eis in allen Grün- und Blautönen. Was würde sie dort unten wohl erwarten. Sie verwarf den Gedanken an die ungewisse Zukunft und ließ sich weiter hinab. Neire hatte den Einfall gehabt, in das Gemach der Riesen zurückzukehren, die dort am Feuer verweilt hatten. So waren sie aufgebrochen und hatten die leeren Höhlen ein weiteres Mal durchstreift. Nur Tod hatten sie gesehen. Den Tod, den sie selbst in diese frostigen Hallen gebracht hatten. Dann waren sie aus dem wärmeren Gemach auf den kleinen Stieg aus Eis getreten, der zu beiden Seiten in Sackgassen endete. Sie hatten in die Tiefe geblickt. Etwa 50 Schritte unter ihnen hatten sie die merkwürde Formation aus Eis bemerkt, die ihnen schon von der anderen Seite aufgefallen war. Doch aus ihrer Position hatten sie ein kleines Loch bemerkt, dass aussah, als ob es in einen Tunnel führen würde. Sie hatten sich entschieden in die Tiefe hinabzusteigen. Neire hatte zwei Seile zusammengeknüpft und Bargh war als erster hinabgestiegen. Zussa folgte gerade und Neire wartete noch oben. Als Zussa das Ende des Seiles durch ihre Füße gleiten spürte, überkam sie für einen Moment eine Angst. Doch Bargh ergriff sie sanft und ließ sie zu Boden. Sie begann sich umzublicken. Der Wind war hier unten fast vollständig verstummt, doch die Luft war nun viel kälter. Wenn sie zuvor in das Reich des ewigen Eises herabgestiegen waren, dann musste dies hier das Herz des Winters sein. Der Boden der Spalte war bedeckt von schaurigen Eisformen. Und zu ihrer Linken ragte dieses Konstrukt auf. Aus der Ferne drang das Heulen des Windes und jagte Zussa Schauer über den Rücken. Doch sie fühlte sich hier besser. Besser im Herzen des Winters gefangen, als dem Heulen des Windes ausgesetzt zu sein. Sie warteten auf Neire. Zussa betrachtete fasziniert die Formation aus Eis, die etwas Turmförmiges hatte. Sie sah, dass Bargh derweil nach Spuren suchte. Dann ließ sich Neire hinab und sie alle rückten näher zusammen. „Ich habe Spuren entdeckt. Eine große Schleifspur und viele kleine Löcher zu beiden Seiten. Es erinnert mich an die aasfressenden Kreaturen, die wir auf der anderen Seite des kleineren Portals Jensehers bekämpft haben. Das Portal, was uns hierhin gebracht hat. Doch sie sehen anders aus. Sie liegen weiter auseinander und an einigen Stellen… nun an einigen Stellen sah der Schnee fast wie geschmolzen aus.“ Zussa starrte Bargh an. Der große Krieger hatte kurz innegehalten, bevor er den Satz beendete. Jetzt erhob Neire das Wort. „Wie alt sind die Spuren, Bargh?“ „Nicht alt, vielleicht ein bis zwei Tage. Sie führen auf den Eingang hinzu, den wir von oben sehen konnten.“ Nach Barghs Antwort, fühlte Zussa das Adrenalin. Sie waren nicht alleine hier. Doch ihr Blick ging zu Bargh und der Antipaladin gab ihr Zuversicht. Was immer hier unten lauern sollte, würde sich Glimringshert stellen müssen. Und Zussa wusste, was Bargh mit der Klinge anstellen konnte. Sie wartete auf Barghs Kommando und gemeinsam schlichen sie in Richtung des Tunnels. Die Steigeisen knirschten, als sie über den gefrorenen Schnee, den Firn und das Gletschereis schritten. Sie folgten den Spuren, die sie durch die zerklüftete Landschaft führten. Dann standen sie vor dem Tunnel. Sie starrte in die Düsternis und konnte ihren Blick nicht abwenden, von dem dunklen Loch. Nur das Gesicht von Neire brachte sie von ihren Gedanken ab. Sie sah, wie der Jüngling ihnen zunickte und dann voranschlich. Nur kurz hatte sie die gold-blonden Locken und den Schimmer der Diamantkrone auf Neires Stirn gesehen. Dann folgten auch Zussa und Bargh. Der Tunnel war für Riesen viel zu klein und selbst Bargh musste sich ducken. Sie gelangten in das Innere. In eine Halle aus immerwährendem Eis. Es herrschte hier völlige Dunkelheit und so konnte Zussa die Kreatur erkennen, die sich hier versteckte. Von einem kleineren Berg von Knochen und Gebeinen hörte sie knackende und klickende Geräusche. Dort hatte sich ein Wesen zusammengerollt, das den schlangenartigen Leib eines Tausendfüßlers hatte. Das Monster war riesengroß und von einem bläulich schimmernden, gepanzerten Körper. Zussa erinnerte es an ein riesenhaftes Insekt; an chitinerne Platten. Aus dem Rückenpanzer wucherten seltsame warzenähnliche Strukturen. Der Bauch hingegen war von einer dünneren Haut bedeckt, die nicht ganz die Dicke der seitlichen Platten erreicht hatte. Zussa sah Bargh der Kreatur entgegenstürzen. Es folgte ein Winden, wie das einer Schlange. Hervor kam ein monströser Kopf mit insektenähnlichen Antennen. Dann stellte die Kreatur kleine, gebeugte Knochen auf, die eine Haut – fast wie Fledermausflügel – aufspannten. Ein überlegenes Zischen und ein bizarres Bellen gingen von dem Wesen aus, als Bargh sich ihm entgegenstellte. Doch Zussa reagierte diesmal schneller. Sie hob ihren Stecken und beschwor fünf Kugeln aus brennender Dunkelheit. Sie schlugen in die Kreatur ein. Zussa konnte ihren Augen nicht trauen. Die Geschosse verschmolzen wirkungslos mit dem Körper. Wie eine Brandung, die sich an einem langen Sandstand bricht und sich verliert. Doch dann frohlockte Zussa. Sie sah Bargh, der das Wesen erreicht hatte. Todesmutig erhob der Drachentöter Glimringshert. Er brachte Feuer und Dunkelheit. Seine Angriffe waren grausam und hinterhältig. Zussa schrie freudig auf, als die Kreatur des ewigen Eises unter den Angriffen Barghs zusammenbrach. Der dunkle Krieger hatte mit mehreren Hieben den Kopf zerspalten. Sie dachte an ihre Göttin Jiarlirae. Sie brachten ihre Flamme, ihre Düsternis. Sie würden sie überkommen. Sie sollten brennen oder von ihren Schatten verschlungen werden.
Neire schritt im heulenden Wind hinter Bargh. Die kostbaren Stiefel, die er trug, gaben ihm guten Halt auf dem Eis. Sie hielten auch die Kälte der frostigen Böen ab, die jetzt von hinten auf sie einwirkte. Er bemerkte, dass Bargh mit der Kälte nicht so gut zurechtkam. Seit ihrem Aufstieg zitterte der dunkle Krieger Jiarliraes. Bargh hatte sich in seinen Fellmantel gewickelt, auf dem bereits eine Schicht von Eiskristallen lag. Zussa schritt leichtfüßig vor Bargh. Sie nutzte den Windschatten, den ihr Bargh gab. Gerade drehte sich Zussa um und rief zu Bargh. „Kommt Bargh. Folgt mir oder wollt ihr ewig hier verweilen? Ihr werdet hier vielleicht noch erfrieren.“ Der schalkhafte Ausdruck auf Zussas Gesicht blieb Neire nicht verborgen. Als sich Zussa wieder umdrehte folgte ihr Bargh, doch er stieß Zussa sein Schild in den Rücken. Sanft war der Stoß, doch stark genug um das Mädchen mit dem staksigen Schritt aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zussa stolperte, konnte sich aber wieder fangen. Sie funkelte Bargh feindselig an, mit ihren grünlichen Augen. Ihre roten Locken flatterten im Wind. „In Fürstenbad sollen einige Adelige aus ihren Sänften gefallen sein. Aus reiner Bequemlichkeit“, rief Bargh und fing an zu lachen, bevor er den Satz beendete. Doch bevor Zussa etwas antworten konnte, trat Neire hervor. „Das erinnert mich an einen alten Spruch aus Nebelheim, wollt ihr ihn hören?“ „Nein, ich will gar nichts mehr hören“, schrie Zussa in den Wind, aber Bargh nickte bejahend. „Es gibt diese alte Redensart, die besagt, dass giftige Zähne, die nicht tötend beißen, auf eine heimliche Liebe hindeuten.“ Als Zussas bockiger Blick einem fragenden Stirnrunzeln wich, fügte Neire hinzu. „Eine heimliche Liebe, ihr beiden Turteltäubchen.“ Jetzt verstand Zussa, aber auch Bargh den Sinn des Satzes. Zussa rollte ihre Augen, doch die Röte in ihrem Gesicht war unschwer zu übersehen. Sie drehte sich schnaubend um und Neire sah sie im Tunnel verschwinden. Wortlos folgte er dem Mädchen in die kalten, haushohen Gänge in Fels und Eis.
Sie rasteten bereits eine Zeit vor dem Tunnel, der weiter in die Tiefe hinabführte. Sie hatten sich in der Wache abgewechselt und sie waren eine Zeitlang ungestört gewesen. Jetzt wurden sie von Bargh geweckt, der ihnen warnende Worte zuraunte. „Neire, Zussa, wacht auf. Ich höre Schritte im Gang. Sie kommen von unten.“ Neire schüttelte die Müdigkeit augenblicklich ab und begann sich aufzurichten. Er streifte sich den Tarnmantel über und flüsterte zu Zussa und Bargh. „Wartet hier. Ich werde in den Tunnel schleichen. Wartet auf mein Signal.“ Er sah, dass beide nickten. So zog sich Neire die Kapuze über den Kopf und verschwand in die Schatten. Weit musste er nicht in den Tunnel hineingehen. Schon bald bemerkte er die ersten Kreaturen, die ihm dort entgegenkamen. Sie waren von der Größe Barghs. Teils von gelblicher Haut, trugen sie lange Macheten-ähnliche Messer. Ihre Schädel erinnerten an die von Menschen, doch ihre Gesichtszüge waren primitiv. Je näher sie kamen, desto stärker wurde der Geruch von vergorenem Schweiß. Neire lauerte in den Schatten und wartete auf seine Gelegenheit. Als die erste Gestalt fast zu ihm aufgeschlossen war, begann er zu murmeln. Der Führer der Gruppe blieb augenblicklich stehen und begann zu lauschen. Doch er konnten ihn nicht sehen. So beendete Neire seinen Spruch und beschwor die Schockwelle aus invertiertem Licht. Es gab ein lautes Knallen als der schwarze Blitz durch die Kreaturen fuhr. Zwei von ihnen starben augenblicklich. Die restlichen drei Oger wollten gerade ihre Macheten erheben, da war auch schon Bargh bei ihnen. Sein Schwert schnellte hervor und mit jedem seiner Angriffe zerteilte er eine der Kreaturen. Jetzt kehrte Stille ein, im Gang. Nachdem sie die Kreaturen begutachtet hatten, begann Bargh sie in den seitlichen Tunnel zu ziehen, wo sie hergekommen waren. Sie beseitigten, so gut es ging, die Spuren des Kampfes. Dann begannen sie ihre Rast fortzusetzen.
„Seht was wir erreicht haben. Nur gemeinsam sind wir stark. Nur gemeinsam können wir sie besiegen. Was auch immer sich uns entgegenstellt.“ Neire betrachtete lächelnd seine Mitstreiter Zussa und Bargh. Er bemerkte, dass er sie mit seinen Worten mitriss. Neire hatte sich während ihrer Rast nicht zurückhalten können und den Ring angelegt, den er in der Höhle des Frostwurms gefunden hatte. Von diesem Ring schien eine unglaubliche Macht auszugehen. Neire hatte herausgefunden, wie sie einzusetzen war. Dreimal hatte er den Ring gedreht an seiner Hand und dreimal hatte er sich gewünscht schöner zu sein. Er spürte, dass die Macht gewirkt hatte. Seine Stimme klang wunderbar angenehm, trotz zischelndem Singsang. Seine Haut glitzerte weißlich und makellos. Er fragte sich, wie er wohl wirken würde auf Zussa und Bargh und er bekam seine Antwort. „Neire, die Rast scheint euch wohl gut bekommen zu haben“, sagte Zussa, die ihn staunend betrachtete. Neire nickte und führte seine Rede fort. Er sprach von ihrer Göttin, von Jiarlirae. Er beschwor ihren Sieg und die Feste, die sie feiern würden. Besonders Bargh schien der Gedanke an ein kommendes Fest zu begeistern. So bemutigten sie sich gegenseitig, bevor sie abermals aufbrachen. Ihr Weg führte sie hinab, in eine riesenhafte unterirdische Felshalle. Auch hier war die Luft kalt, doch sie sahen kein Eis mehr. Mehrere Tunnel führten hinfort, von denen einer mit einer Barriere aus drei großen Findlingen verschlossen war. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass ihnen keine unmittelbare Gefahr drohte begann Bargh nach Spuren zu suchen. Ihm fielen direkt die frischen Spuren der Oger auf, die allesamt auf einen von Fresken verzierten Bereich im Fels zuführten. Dort waren grobe Bilder von Riesen zu sehen, die in verschiedenen kriegerischen Szenen dargestellt wurden. „Schaut, Neire, Zussa. Die Spuren führen direkt auf diese Wand zu.“ Sie alle starrten jetzt wie gebannt auf die Freske eines Kriegers, der eine Axt über seinen Kopf gehoben hatte. „Dort, seht ihr es nicht?“ Sagte Zussa, als sie flüsternd auf die Axt zeigte. „Es sieht so aus, als könne man die Axt bewegen. Im Stein.“ Jetzt näherte sich Bargh der Stelle. Bevor er nach der Axt griff, schaute er Neire und Zussa an. „Seid ihr bereit?“ Er erhielt ein grimmiges Nicken als Antwort. Langsam begann Bargh die Axt zu bewegen. Er drückte den Stein nach vorn und mit einem Knirschen begann sich der gewaltige Felsblock zu bewegen. Bargh setzte seine gesamte Kraft ein, als er drückte. Ein fast drei Schritte breiter Bereich, mehr als sieben Schritt hoch, glitt zurück. Bargh drückte beharrlich weiter, bis sich zur linken und rechten Seite eine kleine Öffung offenbarte. Er hatte dumpfe Stimmen hinter dem Steinblock gehört. Es eröffnete sich ein von Fackellicht erhelltes Gemach dahinter, von dem er nur einen Teil überblickten konnte. Er nickte Neire zu, der sich seinen Tarnmantel über sein Gesicht zog. Dann wich Bargh aus dem kleinen Tunnel zurück und Neire huschte in den Raum hinein. Die Stimme sprach jetzt ein zweites Mal. Dumpf und grollend und in einem befehlsartigen Ton. Neire war inzwischen durch die gewaltigen Beine der Kreatur geschlüpft. Er hatte auf den Moment gewartet, als sich der Steinblock weiter in den Raum zu bewegen begann. Diesmal musste es eine Kreatur sein, die den Block von der anderen Seite bewegte. Als er sich umblickte, sah der die beiden Riesen. Der eine zog an dem Block und der andere blickte in den Tunnel hinein. Der Blick des Riesen war aber nicht nach unten gewandt. Es schien vielmehr so, als würde er einen seiner Kameraden erwarten. Neire nutzte den Moment. Zitternd beschwor er das Feuer der Göttin. Die Luft um die beiden Riesen explodierte und sie begannen zu schreien. So stark war die Explosion, dass die Flammen am Oberkörper des ziehenden Riesen nicht ausgingen. Zu diesem Chaos von Feuer, dem Geruch von verbrannter Haut und Haaren und dem Brüllen von Schmerz, gesellte sich die Aura der Dunkelheit. Der unheilige Krieger Bargh stürmte heran und er brachte Glrimringshert mit sich. Mit zwei kräftigen Hieben tötete er die erste Gestalt. Dann wendete er sich zu dem knienden Riesen, der versuchte das Feuer auszuschlagen. Tief trieb Bargh seine schwarze Klinge in den Hals. Blut spritzte auf und mit einem Gurgeln brach auch der zweite Riese zu Boden. Neire blickte sich ängstlich um. Vor ihnen verzweigten sich die Tunnel. Er konnte keine Bewegungen sehen. Waren sie bemerkt worden?
Jenseher:
Barghs Atem beruhigte sich nur langsam. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht und blickte auf seine toten Widersacher hinab. Beide Riesen waren noble, nordische Krieger gewesen. Sie hatten sie wahrlich übel zugerichtet. Von einer Gestalt züngelten Flammen von Haaren und Fell, währenddessen der Riese, der zuerst von ihm getötet wurde, zwei tiefe Schnitte in Bein und Brust aufwies. Mit den ersterbenden Flammen, wurde auch das Pulsieren des Blutes weniger, das aus den gefällten Leibern strömte. Bargh wollte sich gerade zu den Kreaturen hinabbeugen, um sie zu durchsuchen, da sah er das bleiche, von gold-blonden Locken eingerahmte Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen. Neire blickte zuerst ihn, dann Zussa eindringlich an. „Bargh, Zussa, ich höre Schritte. Folgt mir, doch seid auf der Hut.“ Bargh nickte und hob beschwörend Glimringshert vor ihn. Um ihn begann die Klinge die Düsternis anzureichern, die ihren blutenden Schatten entsprang. Der bläuliche Schimmer von Neires Diamantenkrone war bereits verschwunden, da hörte Bargh die stampfenden Schritte durch die Tunnel hallen. Das Licht wurde hier weniger und die Höhle, welche die Größe und Höhe einer kleinen Kathedrale hatte, verzweigte sich in einige hohe Nebengänge. Aus einer dieser Öffnungen drang flackernder Schein, der durch die nahenden Leiber gebrochen wurde. Bargh wendete sich diesem Eingang zu. Er blickte in das Licht. Der rötliche Schimmer ging von den Hinterleibern riesenhafter, schwarzer Käfer aus, die, in Käfigen gefesselt, über eiserne Ketten von der Decke hingen. Auf ihn zu und über Felllager hinweg, stürmten grobschlächtige Kreaturen mit primitiven Schädeln. Der Gestank von geronnenem Schweiß drang ihm entgegen. Die Augen der übergewichtigen, aber dennoch muskulösen Gestalten wirkten hinterhältig und boshaft. Bargh hob sein Schild und setzte gerade Glimringshert zum Schlag an, da sah er den schwarzen Blitz. Invertiertes Licht brannte in seinen Augen. Ein Knallen betäubte seine Ohren. Vier der Kreaturen wurden von der schwarzen Magie Neires dahingerafft, teils grausam verstümmelt. Zwei jedoch überlebten und sanken zuckend und zitternd zusammen. Muskelkrämpfe brachten Knochen zum Brechen und Blut lief aus den Ohren eines Ogers. Die Augen der anderen Gestalt zerplatzten und grässlich heulende Schreie waren zu hören. Das Grauen übermannte die verbleibenden Oger. Sie ließen ihre langen, krummen Macheten sinken. Sie grölten unverständliche Worte und liefen an ihm vorbei. Panik war in ihren schwarzen Augen. Bargh ließ seine Klinge tanzen. Er kannte keine Gnade. Mit jedem Hieb fällte er einen weiteren, der fleischigen Leiber. Blut spitzte auf sein Gesicht und er musste lachen. Doch er konnte seinen Sieg nicht lange genießen. Diesmal war es Zussa, die aus der Dunkelheit des Tunnels warnte. „Bargh, Neire, passt auf. Sie bereiten einen Zauber der Kälte vor.“ Er drehte sich augenblicklich um und sah, dass auf der anderen Seite zwei Gestalten erschienen waren. Zudem hörte er aus einem seitlichen Tunnel, ein Schaben von Stein. Dort waren zwei große Felsbrocken aufeinandergelegt worden, die den Gang blockierten. Bargh stürmte auf die Gestalt zu, welche die Zauberformeln rezitierte. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit zu den Ogern, war aber schlanker. Ihre Haut hatte eine menschenähnliche Farbe. Listige Augen funkelten Bargh aus einem hässlichen Schädel an. Prominent waren die zwei Schwellungen, die bei jeder der Gestalten zu sehen waren. Sie waren wie knöcherne, unter der Haut liegende, Hörner über den Schläfen der Kreaturen. Bargh erreichte den Widersacher und stieß Glimringshert in ihren Körper. Die Klinge gebar eine Flut von Feuer. Bargh zog das dunkle Schwert aus dem Hals und trieb es in den Körper der zweiten Kreatur. Die Waffe drang in den Hals und das Wesen sank zu Boden. Auch eine dritte Kreatur dieser seltsamen Ogerart brachte er zu Fall, bevor sie reagieren konnte. Dann gab es ein dumpfes Knirschen von Stein auf Stein. Der große Felsbrocken brach hinab und dahinter konnte er einen kolossalen Schädel hervorblicken sehen. Der Riese dort offenbarte schneeweiße Haut und Haare sowie helle, blaue Augen. Er musste noch größer sein als die Riesen des Gletschers. Bargh bemerkte, dass sein Gesicht nicht von Hass verzerrt war. Er schien zu beobachten. Eine gewisse Intelligenz war an seinen Augenbewegungen zu erkennen. Und jetzt hörte Bargh die stampfenden Schritte aus einem anderen Tunnel auf ihn zukommen. Der Riese hinter dem Stein schien jedoch zu betrachten, zu warten. Bargh drehte sich um. Durch die Dunkelheit kamen zwei Riesen auf ihn zu. Sie trugen Äxte und waren in Kettenpanzer gehüllt. Beide hatten lange blonde Bärte und Zöpfe. Sie schrien hasserfüllte Worte in ihrer fremden Sprache und stürmten heran. Bargh stellte sich ihnen im Tunnel. Doch er vernahm weitere Schritte aus der Dunkelheit. Als die beiden Axtträger ihn erreichten, bemerkte er zwei Riesen, die Felsbrocken trugen. Bargh duckte sich, hielt sein Schild und zuckte nach vorne. Er spürte die Kälte nicht, welche die Kreaturen umgab. Plötzlich hüllte eine Woge von Flammen die Beine der beiden Kreaturen in Feuer. Neire hatte aus dem Hinterhalt seinen Spruch gewirkt. Dann spie Glimringshert Feuer und mit mehreren schnellen Schnitten fügte er der ersten Kreatur tödliche Wunden zu. Instinktiv dachte Bargh an seine Vergangenheit. An die Lehren aus seiner Ausbildungszeit in Fürstenbad. Er drängte zurück und rief: „Neire, Zussa, hinter die Biegung Sie werden die Felsen werfen. Sucht euch Deckung.“ Er lenkte den Schlag der riesigen Axt der Kreatur ins Leere und bewegte sich in die Eingangshalle mit dem verschiebbaren Felsblock. Dort stellte er sich dem ersten Krieger. Der Riese lachte siegessicher, als er ihm entgegentrat. Er glaubte ihn vor dem Kampf fliehen zu sehen. Die Kreatur überragte Bargh um mehr als das Doppelte. Doch auch diesmal war Bargh schneller. Tief rammte er Glimmringshert in den Bauch der Kreatur. Das Feuer verbrannte die Gestalt von innen und so stürzte der imposante Leib zu Boden. Jetzt drängte Bargh wieder nach vorne und hinter die Ecke. Auch Zussa und Neire standen ihm zur Seite. Gemeinsam griffen sie die letzten Riesen an, die gerade ihre Steine fallengelassen hatten und ihre Äxte zogen. Sie waren schneller und ihre Waffen tödlich präzise. Bargh keuchte mittlerweile, als er sein Schwert aus dem Brustkorb der letzten Gestalt zog. Dann hörte er plötzlich die grollende Stimme, deren Klang bestimmend, aber nicht feindselig war. Der Riese, der hinter den Felsbrocken hervorgekommen war, hatte sich aufgerichtet und betrachtete wachsam. Jetzt hatte er seinen Morgenstern gezogen, dessen Kopf die Größe eines kleineren Wagenrads erreichte. Sein Gesichtsausdruck hatte sich von einem amüsierten Lächeln in einen grimmigeren Ausdruck geändert. „Habt Dank, ihr habt mir einen Gefallen getan und ihr seid fähig. Ihr habt mir sogar geholfen. Doch jetzt ist es an der Zeit ein paar Insekten zu zertreten.“ Die Stimme brach über sie herein wie das Grollen eins Gewitters. Hier und da war ein Stocken zu hören, als würde der Riese nach den richtigen Worten suchen. Neire zitterte, als er diesen Ton hörte. Dennoch raffte er seinen Mantel zurück, trat hinter Bargh hervor und lächelte die Kreatur an. „Oh, ihr sprecht die Sprache der Menschen. Ihr seid nicht dumm. Doch was ist euer Ziel? Wieso wollt ihr sie tot sehen?“ „Ich bin nicht dumm, nein. Ich, alleine gegen alle diese hier? Nein. Doch jetzt ist es anders. Weniger von denen. Ihr habt sie getötet, hahaha… Ich werde ihn töten und ich werde Jarl sein. Ich, nicht ihr.“ Der Riese griff jetzt nach seinem Morgenstern. Wut blitzte in seinen Augen auf. Hinter sich hörte Bargh das Lachen Neires, in dem er Furcht mitschwingen hörte. „Zussa, er redet wie ein Kind. Wie ein bockiges Kind? Was machen wir mit bockigen Kindern, Zussa?“ Zussa drehte sich Neire zu. Auch ihr war die Angst anzusehen. Sie kicherte verrückt und schrie: „Ein bockiges Kind muss versohlt werden.“ „Dann tötet ihn Zussa.“ Auch Neire setzte jetzt in das verrückte Lachen ein, das auch Bargh ansteckte. Er wusste, er trug Glimringshert und er war der heilige Krieger Jiarliraes. Er musste reagieren, bevor die Kreatur seinen Gefährten etwas antun konnte. Bargh zuckte nach vorne und griff an. In all seiner militärischen Präzision und Schnelligkeit. Der Riese hatte mit diesem Manöver nicht gerechnet und so fand Bargh seine rechte Seite ungedeckt vor. Dreimal senkte sich Glimringshert und zweimal spie das Schwert dunkelrote Flammen. Die rechte Seite des Jarl Anwärters brach schließlich auf und das Monster begann zu wanken. Auch Zussa und Neire stachen jetzt zu; immer und immer wieder. Auch als das majestätische Geschöpf bereits zu Boden gefallen war. Mit einem Röcheln unverständlicher Worte hauchte der Riese sein Leben aus. Bargh setzte sich auf seinen Kopf und atmete auf. Nur Zussa und Neire widmeten sich weiter seinem Leib. Ihre Angriffe hatten längst ihre Tödlichkeit verloren. Es sah so aus, als wollten die beiden ein Kind versohlen. Ein riesiges bockiges Kind.
„Glaubt ihr das etwa, ihr Narren? Nein, zwischen diesen Beinen sind nur starke Kinder hervorgekommen. Nicht solche wie diese Diener des Jarls, die hier hausen.“ Die Worte der gigantischen Frau brachen donnernd über sie herein. Der Druck der Geräusche brachte ihre Trommelfelle zum Klingen. So laut, dass es schmerzhaft war. Neire zog seinen Tarnmantel zurück und verbeugte sich tief. Kurz dachte er an den Riesen mit den milchig-weißen Haaren. Sie hatten nach dem Kampf verschnauft. Dann hatten sie die Leichen und Höhlen durchsucht, in denen sich die Kreaturen aufgehalten hatten. Gold und andere wertvolle Schätzte waren dabei in ihren Besitz übergegangen. Danach hatten sie den Tunnel entdeckt, der mit übergroßen Steinquadern versperrt war. Bargh hatte einen der Felsblöcke nach hinten gedrückt und sie waren über die Barriere geklettert. Sie waren vorgedrungen in eine Höhlenkammer, die auf sie wie ein nobles Gefängnis gewirkt hatte. Im Fackelschein hatte eine Tafel aufgeragt, die bedeckt gewesen war mit allerlei Köstlichkeiten. Das Essen hatte sich aber in einem bereits schlechteren Zustand befunden. Als ob es für eine lange Zeit nicht angerührt worden war. In einer Ecke sitzend und gehüllt in einige Felle, hatten sie die große Riesin gesehen. Der Körper der Gestalt war mit eisernen Fesseln versehen gewesen, die in der Felswand befestigt waren. Als sich Neire aufrichtete blickte er in das Gesicht der Frau. Sie hatte ein hübsches, menschenähnliches Gesicht und einen grünlichen Schimmer auf ihrer weißen Haut. Ihre lockigen Haare fielen in langen Strähnen vom Kopf. Sie waren von einem dunkleren Blond und glitzerten im Fackellicht in einem magischen Türkis. Neire setzte sein charmantestes Lächeln auf und warf seine gold-blonden Locken zurück. „Wer seid ihr und was macht ihr hier? Wenn ihr nicht zu denen gehört…“ Neire sprang erschreckt zurück, als die Gestalt ihren Arm erhob und die Ketten rasselten. Da war wieder dieses Grollen, das ihn im Satz unterbrach. „Es traut sich in meine Höhle und es spricht, das Insekt.“ Als die donnernde Stimme verstummte, bewegte sich Neire wieder hinter Bargh hervor. „Nun, ihr spracht vom Jarl. Wer ist dieser Jarl? Es muss schließlich etwas bedeuten Jarl zu sein, haben wir doch einen eurer Art getroffen. Von Haut und Haar wie Milch. Er wollte auch Jarl sein, doch Zussa tötete ihn.“ Neire deutete auf Zussa. Bargh grummelte zwar etwas bei dieser Übertreibung, legte aber keine Widerworte ein. Zussa hingegen baute sich auf und ließ ihren Säbel durch die Luft fahren.“ Ein dröhnendes Kichern war die Antwort der Kreatur, die auf Zussa zeigte. „Diese rote Fliege, hahaha… wie sagt ihr in eurer Sprache… sie kann doch noch nicht einmal einer Fliege beileibe rücken. Hahaha.“ Zussa jedoch trat mutig hervor, steckte ihre Brust heraus und schrie. „Versohlt haben wir ihn. Ja, versohlt wie ein bockiges Kind.“ „Ja, Mädchen, wie ein bockiges Kind habt ihr ihn versohlt. Ihr könnt ja mal versuchen mit mir zu spielen, mich zu versohlen, kleine rote Fliege.“ Jetzt war es Zussa, die bockig auf den Boden trat. „Nun, für euch mag es wie ein Zahnstocher aussehen, große Riesin, doch auch ein Zahnstocher kann tödlich sein, wird er nur richtig eingesetzt. Aber wir bevorzugen es nicht mit euch zu spielen.“ Neire musste grinsen bei Zussas Antwort und stimmte ein. „Nein Zussa, wir sollten nicht mit ihr spielen. Sie sieht so… sieht so… klobig aus.“ „Ja, richtig klobig“, antwortete Zussa. Dann sprach die Riesenfrau. „Genug des Ganzen. Ich glaube euch nicht, aber habe den Riesen gesehen. Sie nennen sich die Herrscher der Wolken, leben in ihren hohen Schlössen. Sie halten sich für etwas Besonderes, doch ich frage euch, was treibt die Wolken davon? Natürlich… kein flaues Lüften. Ein ausgewachsener Sturm.“ Neire nickte und begann zusprechen, als wieder Ruhe eingekehrt war. „Ich bin mir nicht sicher, ob es euch gefällt hier. Mit all eurem Essen und diesen schönen Ketten. Wieso habt ihr sie nicht längst gesprengt, wenn ihr so stark seid?“ Die Riesin lächelte und sprach jetzt leiser. Ihre Stimme wurde von einer Windböe zu einer Brise. „Kommt her und versucht mich zu befreien. Ich werde Jarl Gramnir niederstrecken. Gemeinsam können wir es schaffen.“ Neire glaubte jetzt die Oberhand zu gewinnen. Er trat mutig einen weiteren Schritt nach vorn und verbeugte sich nochmals. „Wir dienen der Göttin von Flamme und Düsternis, Jiarlirae. Leistet einen Treueeid auf sie. Verpfändet eure Seele. Tut es aus freien Stücken und wir werden euch befreien.“ Die Riesin lachte auf und ihre Worte wurden zu einem Grollen. „Ha, Jiarlirae. Befreit mich und wir kämpfen gegen Gramnir. Dann werden wir sehen, ob ich mich euer Göttin zuwenden werde.“ Neire fühlte die Enttäuschung. Es war, als ob er fortgestoßen werden würde. Wie damals, als er das erste Mal Lyriell begegnet war. Die Gedanken erfüllten ihn mit großer Trauer. Instinktiv reichte er nach der Macht der Augen des Jensehers. Die Welt verschwamm zu rötlichen Farbtönen. „Wir sind als Freunde gekommen und als Freunde könnten wir den Weg hinaus gehen. Schließt euch Jiarlirae an, tut es!“ Wie Engelszungen klangen Neires gelispelte Worte. Er sah, dass die Frau ihm lauschte. Doch ihr Lächeln verwandelte sich in ein abfälliges Grinsen, als sie seiner Verhexung widerstand. „Richtige Freunde brechen diese Ketten. Befreit mich und wir kämpfen gegen Gramnir. Dann sehen wir weiter.“ Neire stampfte mit dem Fuß auf. Tränen flossen über Wangen und Kinn. Er fühlte einen tiefen Schmerz. Er sah Lyriell vor sich. Mit ihren kupferfarbenen Locken. Er erinnerte sich an die blasse, weiche Haut ihres wohlgeformten Gesichtes. Die vertikalen Pupillen ihrer grünen Augen. Als er aufblickte, kannte er nur Schmerz, Hass und Wut. Er schrie und seine Stimme überschlug sich. „Tötet sie Zussa. Tötet sie Bargh. Flamme und Düsternis weben ihr Ende. Das Chaos soll sie überkommen.“ Dann stürmte auch Neire auf das Wesen hinzu. Die Welt um ihn war noch immer rot. Die Szene hatte etwas Gespenstiges. Wie kleine Ameisen, die in überbordender Verrücktheit in ihren Tod rennen würden. Die Riesin richtete sich auf und ballte die Fäuste. Sie sprach herausfordernde Worte. Dann kam die Dunkelheit des unheiligen Ritters über sie. Und mit ihm kamen die Flammen. Neires Traum war rot vor Blut, wie seine Welt rot war. Und Schmerz, Hass und Wut begannen sich in Wohlgefallen aufzulösen.
Jenseher:
Um sie war das flackernde Licht von Fackeln. Zussa sah die dunklen eisernen Kettenglieder, die die Riesin gefesselt hatten. Sie keuchte, als sie Neire folgte. Sie lachte immer wieder auf. Rötlich-nass schimmerte ihr Säbel. Alles kam ihr wie in einem Traum vor. Das Blut lief in Strömen von dem Leib, der immer noch warm war. Es roch hier nach verbrannter Haut. Sie sah die tiefen Schnitte von Barghs Klinge und musste noch lauter lachen. Was oder wer sollte sie aufhalten? Zussa sah Neire, der sich weiter auf den Kopf der Gestalt zubewegt hatte. Der Kopf der Riesin lag dort reglos und ohne Wunden. Ihr hübsches, nobles Gesicht wirkte fast friedlich. Blass glänzte die Haut und auch das dunkelblonde Haar hatte einen türkisenen Schimmer. Zussas Lachen verwandelte sich in ein Schnauben, als sie zu sich murmelte. „Wie hat sie mich genannt? Kleine rote Fliege? Ha! Kann eine Fliege stechen? Kann sie Feuer und Dunkelheit bringen?“ Sie war jetzt über den gesamten Körper gegangen. Über die tiefen Schnitte, die Barghs Klinge Glimringshert dem Wesen zugefügt hatte. Am Kopf traf sie auf Neire, der seinen Tarnmantel zurückgezogen hatte und das enorme Gesicht betrachtete. Zussa blickte in die großen blauen Augen der Riesin und sagte. „Hat sie nicht schöne Augen Neire? Ich will eines davon.“ Sie begann ihren blutverschmierten Säbel in Richtung des Auges zu führen, da hörte sie Neires zischelnde Stimme. „Wartet Zussa, ich helfe euch.“ Gemeinsam fingen sie an zu schneiden. Neire half ihr, den Säbel zu führen. Doch der Versuch misslang. Das Auge platzte auf und Blut und Flüssigkeit strömte hervor. Zussa schrie auf. „Neire, ihr habt es vermasselt.“ Doch Neires Antwort besänftigte sie. Es war so ein lieblicher Gesang in seiner Stimme. „Es kann passieren Zussa. Wir haben ein solches Wesen noch nie gesehen. Ihre Augen wollten Jiarlirae nicht sehen, unsere Göttin konnte sie nicht begreifen. Seht, das andere Auge. Eine zweite Chance habt ihr.“ Zussa machte sich wieder ans Werk und diesmal gab ihr Neire nur Hinweise. Der Säbel vollzog sein grausames Werk und sie konnte das Auge aus der Höhle lösen. Verwundert nahm sie es in beiden Händen auf. Es war so schwer und so groß. Es war so schön. Doch Zussa wurde klar, dass das Auge nicht das Richtige war. „Ach, Neire, es ist doch viel zu groß“, sagte sie und warf das blutende Etwas achtlos zur Seite. Sie spielte Langeweile vor, doch innerlich spürte sie die Verzweiflung auf der Suche nach ihrer Maske. Neire legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter und lächelte sie an. Er hatte sich verändert nach ihrem Kampf gegen die Eisschlange. „Schaut, wie schöne Haare sie hat. Sie glitzern grünlich, wie eine Art Perlmutt. Vielleicht wären diese Haare etwas für eure Maske, Zussa.“ Zussa nickte freudig und ihre Miene begann sich aufzuhellen. Sie strich sich mit ihren blutverschmierten Händen durch die Haare. „Ja das ist es Neire. Ihre Haare.“ Sie suche sich eine Stelle mit helleren Strähnen und begann dort zu schneiden. Zuerst tief in die Kopfhaut. Der Säbel war scharf, doch es war eine kraftzehrende Arbeit. Neire half ihr dabei. Dann hielt sie ein Stück blutige Kopfhaut in ihren Händen. Die Haare reichten fast bis zu ihren Füßen und fielen in blonden Locken hinab. „Schaut Neire!“ Zussa frohlockte glückselig. „Dies soll ein weiterer Teil meiner Maske werden.“
Sie hatten danach die Höhle verlassen und waren weiter in die Hallen des Jarls vorgedrungen. Zussa war sichtlich gut gelaunt gewesen. Sie hatte Neire immer wieder Fragen nach seiner nebelheimer Vergangenheit gestellt, die Neire in kurzen Sätzen beantwortet hatte. Nachdem sie eine Höhle mit Fässern und Kisten untersucht hatten, die Nahrungsmittel und Wasser enthielten, waren sie in ihrem weiteren Weg augenblicklich verstummt. Vor ihnen lag eine riesige unterirdische Halle, die durch Fackelschein und Feuerkäfer erhellt wurde. Wie auch zuvor, hingen metallene Käfige an Ketten hinab, in denen die schwarzen Insekten mit den rötlich glühenden Hinterleibern gefangen waren. Auf der linken und rechten Seite der Höhle konnten die Anhänger Jiarliraes zwei Emporen sehen, die aus der Felswand aufragten. Steinerne Treppen führten dort hinauf. Hölzerne Bänke und Tische waren an den Seiten der Höhle zusammengestellt, die auf vergangene, große Feste hindeuteten. Im hinteren Teil der Höhle erblickten sie einen großen Thron, von dem ein Blitzen und Funkeln von Edelsteinen ausging. Der Thron ragte aus dem Bereich einer ausgehöhlten Felserhöhung auf und auch dort war eine Tafel zu erkennen. Im Schatten von Barghs Klinge traten sie vorsichtig näher. Dann sahen sie die beiden Kreaturen, die sich auf der linken und der rechten Brüstung positioniert hatten. Beide Riesen des Gletschers starrten in ihre Richtung – als ob sie sie bereits bemerkt hätten. Doch sie reagierten nicht. So bewegte sich Bargh leise vorwärts, bis er zu einem Felsvorsprung kam. Er nickte Neire und Zussa grimmig zu und stürmte dann los, auf die rechte Brüstung hinzu. Augenblicklich brüllten die Riesen Warnrufe. Beide begannen zwei Felsbrocken hochzuheben, welche die Größe von kleineren Pferden hatten. Bargh hatte jedoch die erste Kreatur schon erreicht. Er duckte sich unter dem Wurf hinweg und stieß mit Glimringshert zu. Das Grollen der Kreatur verwandelte sich jetzt in einen Todesschrei. Der tonnenschwere Leib brach kraftlos in sich zusammen. Keinen Moment zu spät drehte sich Bargh um. Abermals duckte er sich und entging dem zweiten Felsbrocken nur knapp. Dann überschlugen sich die Dinge. Neire beschwor drei glühende Kugeln, die im Körper des zweiten Riesen explodierten. Sie hörten bereits nahende Schritte von zwei weiteren Kreaturen, die hinter dem Thron hervorbrachen. Außerdem stürmten einige Oger auf sie zu, die aus einem Höhlengang flackernden Lichtes drangen. Unter den Gesängen Zussas jedoch, spürten sie die unheilige Kraft, die innere Verbundenheit, die sie furchtlos kämpfen ließ. Neire tötete den verletzten Riesen auf der Empore mit einem dunklen Zauber. Dann stürzten sie Bargh sowie Zussa in das Kampfgetümmel und Neire lauerte in den Schatten. Der Kampf war blutig und erbarmungslos, wussten die Kreaturen doch, dass sie ihnen keine Gnade erweisen würden.
Neire hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen und ging auf die Gruppe von Riesinnen und ihre Zöglinge hinzu. Er umrundete den Leichnam der gewaltigen Kreatur; den Gletscherkrieger, der die Frauen und Kinder beschützt hatte. Der Riese war von Bargh niedergestreckt worden und hauchte gerade sein Leben aus. Die Zöglinge kauerten sich in Furcht zusammen. Auch den sechs Riesinnen war eine Mischung aus Furcht und Ungläubigkeit anzusehen, doch sie ballten ihre Hände zu Fäusten. Neire hob den Kopf und lächelte die Kreaturen an. Sein gold-blondes Haar schimmerte und der silberne Stirnreif mit dem großen Diamanten verlieh ihm ein nobles Aussehen. Er verdrehte seine Augen und reichte nach der Macht des Jensehers. Die flackernden Fackeln des Tunnels begannen einen rötlichen Glanz anzunehmen. Dann verschwand die kalte Höhle in einem Schleier aus Purpurfarben. Neire spürte die Macht der Gebete, die Zussa entfesselt hatte. Er blickte die Kreaturen an; er versuchte sie zu umgarnen. Auf dass sie sich an ihn bänden. Reihum ging sein Blick und die Furcht wurde zu Freundschaft. Die Kinder, von denen einige bereits größer als Bargh waren, fingen wieder an zu spielen. Zwei Riesinnen misstrauten seinem Blick. Weiter starrten sie in Barghs Richtung. Musterten ihn hasserfüllt. Dann sprach Neire zu den Riesinnen. Er betrachtete ihre weißbläulich schimmernde Haut. Er bewunderte ihre langen und vollen blonden Haare. „Wir sind gekommen als Freunde. Wir sind gekommen, um euch zu helfen. Doch der Feind ist unter euch. Es sind diese beiden dort. Zögert nicht und tötet sie. Ihr habt den Segen von Jiarlirae.“ Drei der Riesinnen verstanden seine Worte nicht, doch eine drehte sich um, ballte ihre Fäuste und verteilte eine gewaltige Ohrfeige. Im ersten Moment geschockt, wussten die beiden Riesinnen nicht, wie sie antworten sollten. Dann flammte der Hass in ihren Augen auf. Sie konzentrierten sich auf ihre Angreiferin und schlugen auf sie ein. Sie ließen nicht von ihr ab. Auch nicht, als Düsternis und Flamme zu ihnen kam. Der dunkle Ritter hatte ein leichtes Spiel. Bargh ließ die heilige Klinge Glimringshert ihr blutiges Werk vollbringen. Schon brach die erste Riesin tot zusammen. Neire stachelte währenddessen die seine an. Jetzt schlug sie mit der Faust zu. Sie traf den Kehlkopf ihrer Widersacherin und diese ging mit einem röchelnden Fluch auf den Lippen darnieder. Seine Riesin drehte sich wieder zu Neire um. Blut lief von ihrer Nase und es waren Prellungen in ihrem Gesicht zu sehen. Neire lächelte ihr abermals zu: „Ihr habt gutgetan und Schlimmeres verhindert. Verweilt hier und wartet auf unsere Rückkehr. Es soll euch nichts passieren.“
Hinter einem von drei Felsbrocken hatte sie ein Schnauben und ein Kratzen auf Stein gehört. Sie hatten sich entschlossen in diesen Bereich einzudringen und Bargh schob die obersten beiden Steinbrocken nach hinten. Nachdem das Poltern verklungen war, zog der dunkle Krieger sich hinauf und half Zussa nach. Dann hörten sie alle die schweren Schritte näherkommen. Bargh drehte sich um und zog Waffe und Schild. Er blickte hinein in eine Höhle, die von Knochen und Fellresten bedeckt war. Der Gestank von Verwesung und von Fäkalien kam ihm entgegen. Auch Zussa rückte vor und hielt ihren Säbel voran. Neire begann gerade die Steine hinaufzuklettern, da tauchten die ersten beiden Geschöpfe auf. Das Knurren verwandelte sich in ein Brüllen. Weißliches Fell schimmerte in der Dunkelheit und fletschende Zähne waren zu sehen. Beide Bären hatten enorme Ausmaße. Über ihren Schädeln war ein metallenes Geschirr zu sehen, in dem Edelsteine funkelten. Sie begannen sich vor der Öffnung aufzurichten und Bargh anzugreifen. Bargh wiederum stieß sein Schwert nach vorne. Er rammte die Klinge dem ersten Polarbären in die Schnauze, die er durchschnitt. Der zweite Streich drang tief in den Schädel und der schwere Leichnam begann in sich zusammenzusinken. Zussa und Neire griffen nun den verletzten Bären an und stachen in nieder. Doch zwei Kreaturen drängten nach, und nahmen den Platz ihrer einstigen Gefährten an. Sie konzentrierten ihre Angriffe auf Bargh, der wiederum sein Schild erhob. Einen Biss konnte er abwehren, doch zweimal brachen die schweren Tatzen über seine Rüstung. Doch Bargh gab nicht nach. Er rückte nach vorne und der Rubin in seinem rechten Auge schimmerte rötlich. Gemeinsam kämpften sie die beiden Kreaturen nieder. Bargh schnappte nach Luft und ließ sich auf ein Knie hinabsinken. Er hustete Blut und hielt sich die Seite. Dort wo die Tatze in sein Fleisch eingedrungen war. Vorsichtig lösten Neire und Zussa seinen Panzer und begannen die Blutung zu stoppen. Sie wuschen die Wunde mit Wasser aus und zerrieben dort Heilkräuter. Dann begann Bargh ein Gebet zu murmeln. Er legte seine Hand auf seine Brust und sprach die heiligen Worte an den Henker der letzten Einöde. Rötlich glühte sein Panzerhandschuh aus schwarzem Stahl auf und die Wunden begannen sich zu schließen. Sie stiegen hinab und begutachteten ihre Beute. Bargh verlangte, dass sie die Bären häuteten. So zog der Krieger einen Dolch und begann zu schneiden.
Neire betrachtete Bargh, der einen tiefes Stöhnen von sich gab und beide Felsen nach vorn drückte. Nach der Häutung der Polarbären hatten sie auf der anderen Seite der Höhle einen weiteren Ausgang entdeckt, der von zwei aufeinander aufgetürmten Felsen versperrt wurde. Es gab ein Knirschen von Stein und dann ein Poltern, als die Blöcke, die jeweils eine Größe eines Hauses hatten, nach hinten umkippten. Neire ließ seinen Blick in das Licht gleiten, das dort hervorkam. Doch innerlich war er bei Jiarlirae. Er lauschte den Gebeten, die Bargh und Zussa angestimmt hatten. Sie waren dort. Wie das Rauschen der Brandung, das er in Dreistadt kennengelernt hatte. Hinter dem Eingang, den die Steine nun freigegeben hatten, konnte eine Höhle erblicken. Dort waren Schlaflager, Felle und zwei große Tische zu sehen. Augenblicklich zuckte er zusammen, als er die massiven Gestalten bemerkte. Sie waren so groß, dass das Licht der Fackeln nicht ganz zu ihnen hinaufdrang. Grimmige Krieger, in Kettenhemden gekleidet und von hellem Haar und blau-grünlich glitzernder, blasser Haut. Die Riesen brüllen und erhoben ihre doppelköpfigen Äxte. Ein schwerer Steinbrocken sauste an Neire vorbei und auf Bargh zu, doch der Krieger Jiarliraes lenkte die Flugbahn mit seinem Schild zur Seite. Neire musste schneller handeln. Zitternd begann er den Schwefel mit dem Fledermausdung zu zerreiben. Dann entfesselte er seine schwarze Kunst. Für einen Moment schloss er die Augen. Dann sah er das Glühen der Explosion, das die Riesen einhüllte. Die Druckwelle war heftiger als sonst, das Feuer strahlender und schöner. Zwei Riesen schrien in Todesqualen und verbrannten jämmerlich. Verkohlte Leichen sackten zu Boden. Der Rest setzte sich in Bewegung. Doch da war Bargh. Er stürmte an Neire vorbei und nahm den Kampf an. Auch Zussa folgte todesmutig. Sie alle wurden angestachelt durch die Gebete. Und ihre Göttin half ihnen. Jeder Streich war ein Treffer. Jede Wunde tief und grausam. Sie schlachteten die Kreaturen dahin. Sie töteten sie; sie, die nicht kannten die Flamme, noch die Düsternis. Doch Neire kannte kein Mitleid. Er war mit seinem Bruder und mit seiner Schwester. Sie hatten ihre Göttin, sie hatten Jiarlirae.
Jenseher:
Um Bargh, Neire und Zussa war das Knistern von Flammen zu hören. Kleinere und größere Feuer ließen dunkle Rauchschwaden aufsteigen, die sich in den Höhen der Wohnhöhle verloren. In der Halle war der Gestank des Todes. Übergroße Leiber zeigten teils grausame Brandwunden und tiefe Schnitte. Durch die Hitze hatten sich Muskeln gespannt, so dass die Extremitäten einiger Gletscherriesen in grotesker Weise angewinkelt waren. An anderen Stellen waren Gedärme hervorgequollen, die einen üblen Geruch von frischen Innereien und Blut verbreiteten. Bargh keuchte schwer und Neire zitterte. Doch sie ließen sich keine Ruhe. Nur Zussa schien von einer arroganten Überheblichkeit, als sie mit staksigen Schritten zwischen den Leibern her stolzierte. Sie blickten sich um. Über ihnen taumelten die Käfige der Feuerkäfer. Die Körper derer Rieseninsekten, die im Feuer Neires schwarzer Kunst gebraten worden waren, hatten ihren roten Schimmer verloren. Die chitinernen Platten waren aufgeplatzt. Die Käfer in den Winkeln der Halle waren nicht betroffen worden und von dort drang rötliches Licht. „Bargh Zussa! Ich höre Stimmen. Aus dieser Richtung. Seid auf der Hut.“ Augenblicklich erhob sich Bargh und streckte Glimringshert hervor. Die Düsternis, die vom dunklen Krieger Jiarliraes ausging, gab ihnen Geborgenheit; die Gebete Zuversicht. So bewegten sie sich vorsichtig der dunklen Öffnung zu, aus der Neire meinte die Geräusche gehört zu haben. Sie flüsterten sich gegenseitig Mut zu. Hinter der Öffnung lag ein dunkles Gemach, in dessen rechtem Teil sie eine riesige Tafel und eine Anhäufung von Trophäen sehen konnten. Zur Linken war Lichtschein aus einem Durchgang zu erkennen, der zwei felsige Stufen hinaufführte. Dort waren auch die Geräusche zu vernehmen. Bargh lenkte seine Schritte in diese Richtung. Er bewegte sich in den Eingang, doch er verharrte in den Schatten. Sie konnten jetzt in die Höhle hineinblicken, die sich hinter dem Durchgang auftat. Durch Felle und Möbel machte das riesenhafte Gemach einen nobleren Eindruck. Doch alles war so groß. Im Lichte von Fackeln und dem rötlichen Glühen der Feuerkäfer, sahen sie das letzte Aufgebot der Riesen. Drei Frostriesen mit grimmigem Ausdruck waren dem Eingang zugewandt. Sie trugen Kettenhemden, konische Helme mit Nasenschutz und lange Fellmäntel. Alle waren mit Schilden ausgerüstet, während zwei Speere und einer ein Schwert trug. Hinter dieser grimmigen Wache war Jarl Gramnir und eine Frau zu sehen. Der Jarl hatte einen gewaltigen Bauch, doch er war muskulös. Er war von haarlosem Schädel und offenbarte ein gealtertes Gesicht mit einer langen Narbe, von Wange bis zur Lippe. Ein weißlicher Bart hing bis auf den Bauch hinab. Mit beiden Händen trug er ein Schwert, das selbst für einen Riesen groß war. Gramnir war in einen Kettenpanzer gekleidet und von kostbaren Fellen bedeckt. Zwei Schädel von Polarbären verzierten seine Schultern. Die Frau an seiner Seite war nur unwesentlich kleiner. Sie besaß ein rundliches Gesicht, das von blonden Locken eingerahmt war. Auch ihr war das Alter anzusehen. Sie trug einen, von Fellen verzierten, Lederharnisch und einen breiten Gürtel. Als Neire den Raum sah, begann er augenblicklich seine dunkle Kunst zu wirken. Er beschwor die Mächte des Feuers. Die Riesen jedoch hörten sein Gemurmel. Jarl Gramnir brüllte auf und wies mit dem Schwert in Richtung des Eingangs. Langsam bewegten sich die drei Schildträger nach vorn, nicht wissend was dort in der Dunkelheit lauerte. Sie bewegten sich zu langsam. Die Explosion aus rötlichem Magmafeuer hüllte die Kreaturen ein. Sie schrien und brüllten. Sie sahen den dunklen Krieger Jiarliraes in den Flammen, sahen seinen rot schimmernden Kristall. Jetzt wandelte sich ihr zögerliches Vorrücken in nackte Wut. Bargh wiederum visierte den rechten Riesen an und schnellte nach vorn. Den ersten Schlag konnte das kolossale Wesen noch mit seinem Schild abwehren. Dann fuhr Grimlingshert in den Unterleib. Das Kettenhemd wurde durchtrennt und Gedärme quollen hinab. Der Riese versuchte noch die Eingeweide wieder in seinen Leib zu stopfen; dann brach er zitternd zu Boden. Sie hörten dumpfe Schritte und sahen, dass Gramnir sich nun selbst in den Kampf stürzte. Er baute sich vor Bargh auf und lachte. Er hob sein Schwert und stachelte seine Untergebenen an. Währenddessen begann die Riesin zu murmeln. Sie zeigte auf Bargh und entfesselte ihre Frostmagie. Doch das dunkle Schwert Glrimringshert begann Schatten zu bluten und der Zauber verfloss in diesen. Jetzt griff Gramnir an. Es gab ein Kreischen von Metall auf Metall, als Bargh den ersten Schlag mit dem Schild blockte. Nur knapp verfehlte ihn der zweite Streich. Auch die zwei verbliebenen Riesen griffen nun an. Sie stießen ihre Waffen nach Bargh. Verbrannt durch das Feuer und beeinträchtigt durch die Gebete von Bargh und Zussa gingen auch ihre Angriffe ins Leere. Bargh wiederum reagierte und rammte nun sein Schwert in den Leib des Jarls. Zussa und Neire beschworen Kugeln aus rötlichem Feuer. Das Grauen war in den Augen der beiden Schildträger zu sehen, als Jarl Gramnir blutüberströmt zu Boden ging. Bargh hatte mit einem gezielten Schlag die Kehle des Jarls zerschnitten, als dieser sich von seinem Angriff hatte aufrichten wollen. Die Muskelmassen des fettleibigen Körpers begannen wie wild zu zucken, als sich Gramnir seine Kehle hielt. Dann fiel er nach hinten über. Jetzt griffen sie die beiden verbleibenden Kreaturen an. Bargh zeigte ihnen keine Gnade. Auch Zussa hatte ihren Säbel gezogen und lachte verrückt auf, als sie sich an Barghs Seite auf die übergroßen Gegner stürzte. Nachdem sie die beiden Schildträger getötet hatten, schritten sie der Riesin entgegen. Die Frau hatte ein weiteres Mal ihre Eismagie gewirkt und sich zu vier Ebenbildern vervielfältigt. Sie zog gerade todesmutig ihren Streitkolben. „Wollt ihr leben? Dann legt eure Waffen nieder und leistet einen Schwur auf Jiarlirae“, sprach Bargh. Für einen Moment blickte die Riesin auf Bargh hinab. Sie legte den Kopf schief. Dann stieß sie einen unverständlichen Fluch aus und kam näher. Bargh griff an. Klirrend brach ein Spiegelbild nach dem anderen in sich zusammen. Bargh blockte einen Angriff der Kreatur. Dann stach er mit Glimringshert tief in ihre Brust. Die Flammen verbrannten die Lungen und Rauch stieg aus ihrem Mund auf. Für Neire und Zussa hatte es den Anschein einer feurigen Umarmung. Dann schlug der Leichnam auf den Boden und mit ihr hauchte der letzte Widersacher seinen Atem aus.
Sie hatten danach die Gemächer durchsucht und nach weiteren Riesen Ausschau gehalten. Doch die kalten Höhlen waren verlassen. Dann hatten sie sich an die Plünderung begeben. Sie hatten die Leichen durchsucht und ihnen Gold und Geschmeide sowie ihre Bernsteinarmreifen abgenommen. Danach waren der Trophäenraum und die Schatztruhen von Gramnir untersucht worden. Nachdem sie alles in Ortnors seltsamen Labor verstaut hatten, hatten sie sich den Tunnel angeschaut, den sie hinter den Vorhängen in Gramnirs Gemach gefunden hatten und der in die Tiefe führte. Der Tunnel hatte nach einem geheimen Fluchtweg ausgesehen. Im Stein einer kleinen Aussparung hatte Neire eine versteckte Kiste mit weiteren kostbaren Gegenständen gefunden. Zudem hatte er Zussa und Bargh auf die Metallstäbe aufmerksam gemacht, die in der Decke zu sehen waren. Sie waren herausziehbar gewesen und Neire hatte ein Portal entdeckt. Ein Portal, von dem er sich fast sicher gewesen war, dass es an einen anderen Ort auf dieser Welt führte. Sie hatten sich entschieden im Gemach von Gramnir zu rasten. Das große Bett des einstigen Jarls hatten sie mit weiteren Fellen belegt. Jetzt, nach mehr als einem halben Tag der Ruhe, richtete sich Zussa nervös auf, schritt staksend umher und betrachtete ihre Gefährten. „Neire, Bargh, wir haben die Frauen und Kinder vergessen. Ihr wisst schon. Die, die in der Höhle bleiben sollten. Ob sie noch dort sind? Wir müssten nachschauen.“ Neire begann sein Buch mit dem dunklen, ledernen Einband im Rucksack zu verstauen und richtete sich gähnend auf. „Und dann Zussa? Was wollt ihr mit ihnen machen? Wir haben noch nicht alle Höhlen erforscht. Wir wissen nicht was sich dort verbirgt. Wir sollten sie vielleicht dort lassen. Oder was meint ihr Zussa?“ Zussa dachte kurz nach. Dann warf sie ihre rotblonden Locken zurück. „Oder wir nehmen sie mit… lassen sie vorgehen. Ihr könnt sie befehligen Neire, ja?“ Neire nickte und dachte nach. Er mochte die Entschlossenheit in Zussas Stimme. Er spürte ihre Verbundenheit zu Jiarlirae. Wie konnte sie falsch liegen. „Nun Zussa. Wenn es eure Entscheidung ist, dann nehmen wir sie mit. Lasst uns zur Höhle mit der Geheimtür zurückkehren.“
Neire hatte den Pulk durch die Tunnel geführt. Vorbei an verbrannten und geschändeten Leichen. Vorbei an Tod und Zerstörung. Die Kinder hatten bei ihrer Ankunft ängstlich geblickt. Ein Quengeln und fragende Blicke waren zu sehen gewesen. Dann war Neire hervorgetreten und hatte sie begrüßt. Die Riesinnen hatten ihn angelächelt und die Bälger begannen freudig mit ihm zu spielen. Neire hatte die Kreaturen betrachtet. Selbst den Kleinsten, die bereits etwas größer als er selbst gewesen waren, schien die Kälte nichts auszumachen. Die Jüngsten waren von niedlichem Aussehen gewesen. Mit blonden Haaren und höheren Stimmen. Schließlich hatte er den Aufbruch befohlen. Die Riesin, die ihn hatte verstehen können, hatte Befehle gegeben und so waren sie in die große Eingangshalle mit den Fresken zurückgekehrt. Hier entschieden sie sich für den Ausgang, der von Felsen versperrt war. Bargh zog einen Brocken nach dem anderen heraus. Dahinter konnten sie einen sieben Schritt hohen Gang erkennen, der nach links um eine Ecke führte. Kalte Luft drang ihnen entgegen. Neire schickte den Pulk vor. Die Riesinnen nahmen ihre Kinder bei der Hand. Sie führten sie in die Dunkelheit. Je weiter sie kamen, desto mehr mussten sie tasten. Sie orientierten sich an den Felswänden entlang. Nur langsam folgte Bargh und hinter ihm Neire. Kurz vor der Ecke hörten sie monströse Geräusche hinter der Biegung, die zwischen einem kreischenden Zischen und einem tiefen Brüllen wechselten. Auch spürten sie den eiskalten Windhauch, der ihnen entgegenkam. Neire wagte den vorsichtigen Blick. Hinter der Biegung sah er eine riesige Höhle, die etwa eine Höhe von 15 Schritten erreichte. Frauen und Kinder hatten sich weiter hineinbewegt und stolperten durch die Dunkelheit. Dann hörte Neire das Rasseln von metallenen Ketten. Zwei gewaltige Kreaturen, von weißlich schimmernder schuppiger Haut, richteten ihre Flügel auf. Sie blickten in arroganter Weise auf den Pulk der Frauen und Kinder hinab. Ihre hörnerbesetzten Schädel waren beeindruckend; ihre blauen Augen funkelten boshaft. Sie stießen kalten, weißlichen Dampf aus ihren Mäulern. Krallenbesetzte Füße waren zu sehen. Entfächerte Schwingen, breit wie Häuser. Beide wurden von schweren eisernen Ketten gehalten, die an Ringen um ihre langen Hälse befestigt waren. Neire sah, dass auch Bargh und Zussa die Höhle betrachtet hatten und jetzt zurückwichen. „Ruft Jiarlirae an. Erbittet ihre Hilfe“, sprach Bargh und begann selbst ein Gebet anzustimmen. Neire sah Zussa nicken. Doch diesmal waren die Worte Zussas anders. Es war eine Hymne an den Kampf, an das Urchaos, die Zussa anstimmte. Es fegte alle Zweifel, alle Ängste in Neire hinfort. Auch Bargh schien Ähnliches zu spüren, denn er hob bereits Schwert und Schild und stürmte voran. Als Neire um die Biegung schritt, erkannte er, dass der ihnen nähere Drache bereits nach einem Riesenkind gegiert hatte. Geifer lief von dem dampfenden Maul, das sich jetzt in ihre Richtung wendete. Die hasserfüllten Augen musterten Bargh. Für einen Moment schien alles so langsam. Dann stieß Bargh mit der Kreatur zusammen. Er schlug zu mit Glimringshert. Er brachte die Flamme des Chaos in diese eisige Höhle. Das Brüllen des Wesens stieg an in seiner Frequenz und wurde zu einem Kreischen. Dann rammte Bargh sein Schwert ein zweites und ein drittes Mal in den Körper. Tief in das Herz der Kreatur. Sie alle sahen das noble Geschöpf zusammenbrechen. Jetzt beschwor Neire die Bälle aus Magma. Sie schlugen in den Körper des zweiten Drachens, der etwas weiter weg, auf einer natürlichen Erhebung aus Stein kauerte. Zwei der Geschosse explodierten in dunklen Magmaflammen, rissen tiefe Wunden. Dann stürzte Zussa hervor. Sie hatte einen seltsamen Trank zu sich genommen und ihr Hals hatte angefangen rötlich zu glühen. Sie entfesselte einen Schrei, der selbst den Todesschrei des Drachens überstieg. Rötliche Magmaflammen zuckten aus Zussas Mund und hüllten den noch lebenden Drachen in Flammen. Die Kreatur versuchte dem Feuer standzuhalten, doch sie verbrannte grausam. Sehnen begannen zu knacken, Knochen zu brechen, als sich Muskeln im Todeskampf mit dem Feuer verkrampften. Dann sackte auch der zweite Winterdrache darnieder. Neire drehte sich zu Zussa und zu Bargh. Er wollte frohlocken, er wollte Jiarlirae preisen, doch er spürte auch die Wut – den Drang weiterzumachen. Die Lust am Töten. Neire gab dem Gefühl nicht nach – er hatte andere Dinge mit den verbliebenen Riesen vor. Doch dann war da Bargh. Der Rubin in seinem rechten Auge glühte rötlich, als würde dort ein Feuer brennen. Bargh schritt zur ersten Riesin. Sie sah ihn nicht in der Dunkelheit, sah nicht ihren kommenden Tod. Bargh wütete und fällte den Leib. Einen nach dem anderen. „Bargh haltet ein. Ihr seid nicht bei Sinnen“, rief Neire, doch seine Stimme drang nicht zu dem dunklen Krieger durch. Nach den Riesinnen begann Bargh die Kinder zu töten. Ein dunkles Lachen ging durch die Höhle, gefolgt von hohen Schreien. Glimringshert flackerte auf, als es die Leben raubte. Bargh schnitt und tötete. Es war ein Blutbad. Als Bargh dem letzten verbleibenden Kind den Kopf abgehackt hatte, war Neire zu Zussa getreten. Zussa lächelte ihn an. „Schaut Neire, was für eine Freude er hat.“ Auch Neire hatte seine Stimmung geändert. Er dachte an Bargh und an Jiarlirae. „Vielleicht ist es ein Zeichen Zussa. Vielleicht ist es ein Zeichen Jiarliraes und ihre Stimme, die durch den dunklen Krieger spricht. Wir müssen weitersuchen. Streben nach Flamme und Düsternis und uns mühen Ihrer Geheimnisse.“
Jenseher:
Wärmere Luft stieg aus dem abgeschiedenen Tal. Schneebedeckte, schroffe Berge umringten den tiefen Einschnitt in die Landschaft. In der Sohle der Senke glitzerte ein grünlicher See. Za`kvid hielt einen Moment inne und lauschte. Im Wind, der niedrig wachsendes Moos und Gestrüpp bewegte, konnte er keine Geräusche hören. Doch er hatte eine Bewegung gesehen. Irgendwo in der Tiefe vor ihm und in der Nähe der senkrechten Felswand, die sich zur Linken erhob. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber hinter den Gipfeln verschwunden. Die schroffen Spitzen warfen bereits lange Schatten und die Wolkenkanten glühten in lebhaften Rottönen. Za`kvid hatte sich heute entschlossen früher aufzubrechen. Normalerweise wanderte er in der Oberwelt bei Nacht, doch hinter den Bergen hatte der ferne Feuerball seine blendende Wirkung verloren. Za`kvid dachte einen Moment nach. Waren das die Riesen, vor denen er in Aschwind gewarnt wurde? Sollte er sich verstecken? Es war vor zwei Tagen gewesen, da er an der seltsamen Stadt vorbeikam. Eine Sphäre von Dunkelheit hatte er gesehen, die sich über Aschwind gelegt hatte. Er hatte seine Künste des Nebels verwendet, um seine Gestalt zu verändern. Um nicht unter den Menschen aufzufallen. Er hatte sich mit ihnen unterhalten und sie hatten ihm freies Geleit in diesen Landen gegeben. Ihr Anführer Laschtorn hatte ihn aber kaum beachtet und so war Za`kvid von einem Algorthas aufgeklärt worden. Der ältere Mann hatte ihn mitleidig angeschaut, als er ihm davon erzählt hatte, dass die Angriffe weniger geworden wären. Keiner, selbst nicht Laschtorn, hatte gewusst wieso. Dann hatten sie ihn entlassen, mit der Bitte zu kundschaften. Doch der alte, dickliche Mann mit dem grauen, lichten Haar hatte ihm mit einem betrübten Lächeln nachgeschaut, so als würde er bereits um sein Schicksal trauern. Za`kvid verwarf die Gedanken und richtete seine Aufmerksamkeit auf die seltsamen Stufen, die unter ihm im Felsgestein zu sehen waren. Er bewegte sich langsam und vorsichtig hinab. Das Gelände wurde zunehmend steiler und die Stufen, die in Serpentinen in die Tiefe führten, waren höher als seine Körperlänge. Mühevoll musste er sich von einer Stufe auf die nächste hinablassen. Dann sah er sie plötzlich – im Zwielicht tief unter ihm. Ein großer, hünenhafter Krieger und eine kleinere Gestalt. Doch in den Schatten, die sie umgaben, konnte er keine Details ausmachen. Auch konnte er eine dritte Bewegung sehen. Wie als ob die Luft in einem bestimmten Bereich schimmern würde. Za`kvids Herz begann etwas schneller zu pochen. Sie hatten ihn wahrscheinlich schon bemerkt und er musste handeln. Er begann die Zauberverse anzustimmen. Dann stieß er sich ab und sprang in die Tiefe. Wie von sanften Federn getragen sank er hinab. Hinzu auf das dunkle Zwielicht.
„Dort seht! Neire, Bargh.“ Zussa hatte ihren Arm ausgestreckt und zeigte auf die Gestalt, die langsam zu ihnen hinabschwebte. Bargh erhob für einen Augenblick sein Schwert, doch sie alle sahen, dass er ihnen nicht feindselig gesonnen war. Der Fremde hatte die Größe eines Kindes. Genauere Details wurden von einem braunen Mantel verborgen. Als die Gestalt vor Bargh auf den Boden sank, lachte Zussa auf und sprach: „Ihr müsst uns zeigen, wie ihr das macht. Wir könnten ein Spiel zusammen spielen.“ Der Mantelträger begann sich nun aufzurichten und zog seine Kapuze zurück. Zum Vorschein kam ein kleines Wesen, kaum größer als einen Schritt und von aschfarbener Haut. Dunklere Tätowierungen zogen sich über seinen kahlen Kopf. Er war außerdem mit einer Kriegspicke bewaffnet, die er im Gürtel trug. Er musterte die drei Streiter mit zusammengekniffenen Augen. Als ob ihm die verbleibende Helligkeit Probleme bereiten würde. „Zussa… das ist kein Kind. Schaut doch mal genauer hin. Er ist viel älter. Und… wie ihr mir Ortnor beschrieben habt, könnte er von seinem Volk sein.“ Neire war jetzt hinter Bargh hervorgetreten und hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen. Er lächelte dem Wesen freundlich zu, während Zussa kicherte. „Ortnor, ja. Jetzt sehe ich es. Es ist ein zweiter Ortnor, wie lustig. Hoffentlich ist er nicht ganz so schlecht gelaunt.“ Als Neire keine auffällige Reaktion sehen konnte, sprach er den Fremden in der Zunge der Unterreiche an. „Wie ist euer Name Fremder? Kennt ihr einen Svirfneblin namens Ortnor Wallenwirk? Er stammt von eurem Volk ab.“ Jetzt fiel die Anspannung etwas ab vom Gesicht des Fremden und er begann zu sprechen. „Nein, einen Ortnor kenne ich nicht, doch das Reich der ewigen Nacht dort unten ist groß und ich kenne nicht alle Städte meines Volkes. Mein Name ist Za`kvid, doch ihr könnt mich Zack nennen.“ Neire nickt ihm, immer noch lächelnd, zu und sprach seinen Namen in einem zischelnden, schlangenhaften Singsang nach. „Zack… es wäre unhöflich, wenn wir uns nicht vorstellen würden. Das hier ist Bargh, der Drachentöter. Das ist Zussa, die Hand der Flamme. Mein Name ist Neire. Neire von Nebelheim. Wir dienen Jiarlirae, der Göttin von Flamme und Düsternis.“ Neire sah, wie ihn der Fremde für einen Moment anstarrte. Sie hörten das Rauschen des Windes und spürten die wärmere Luft aus dem Tal aufsteigen. Bevor das Schweigen belastend wurde, erhob Neire erneut seine Stimme. „Und ihr Zack? Was macht ihr hier, allein in diesen Landen, in dieser großen Oberwelt. Das Reisen ist gefährlich in den Kristallnebelbergen.“ Zacks Augen folgten Neires ausladender Geste über die Bergkulisse, doch dann blickte er missmutig zu Boden. „Ja, die Oberwelt. Höhlen sind mir lieber… aber ich war in Aschwind und habe die dunkle Kugel gesehen. Sie haben mir von den Angriffen erzählt und mich als Kundschafter angeheuert.“ Jetzt war es Zussa die wieder auflachte. „Dann kommt ihr zu spät, Zack.“ Bargh stimmte ein, bevor Zussa fortfahren konnte. „Jarl Gramnir und seine Anhänger sind tot. Als letztes starben die Frauen und Kinder. Jeder Riese des Gletschers. Jiarlirae ist groß. Sie schenkte uns den Sieg.“ Zack runzelte die Stirn, als er Bargh sprechen hörte. Doch dann zuckte er mit den Schultern. Wieder erhob Neire seine Stimme. „Nun, wenn ihr jetzt nach Aschwind zurückreisen wollt, könnt ihr auch mit uns kommen. Unser Weg führt in diese Richtung. Und vielleicht könnt ihr Zussa und mir einige von euren Ortnor-Listen zeigen?“ Bevor Zack antworten konnte, trat Zussa näher und beugte sich kichernd über Zack hinab. „Ja Zack, zeigt uns eure Ortnor-Listen. Wir können daraus ein Spiel machen.“
~
Zack blickte sich um und dachte zurück an die vergangenen beiden Tage. Sie waren zusammen gereist und hatten sich näher kennengelernt. Die drei Menschen waren freundlich zu ihm gewesen. Neire und Zussa hatten ihn zwar mit ihren kindlichen Fragen gequält, doch die Abwechselung hatte ihm gutgetan. Die Sitten der Menschen waren Zack unbekannt. Seine neuen Gefährten waren aber anders, als er sich Menschen vorgestellt hatte. Sie beteten zu ihrer seltsamen Göttin, von der er noch nichts gehört hatte. Der Jüngling mit den gold-blonden Locken, der sich Neire nannte, hatte am Ende einer jeden Nacht ein Ritual durchgeführt, in dem er sich mit nacktem Oberkörper inmitten dreier Fackeln niederkniete und zischelnde Gebete sang. Zack hatte sich mittlerweile an die Geschichten der Überlegenheit der Göttin Jiarlirae gewöhnt. Er schenkte den religiösen Theorien aber nicht viel Beachtung. So waren sie an Aschwind vorbeigewandert. Ihr Ziel hatte in den nördlichen Kristallnebelbergen gelegen. Dorthin hatte sie Neire geführt. In der Nähe des Flüchtlingslagers, an dem Zack bereits vorbeigekommen war, hatte der Jüngling sie direkt auf ein Bergmassiv hinzugeleitet, dessen schneebedeckte Gipfel im Mondlicht zu sehen gewesen waren. Dort waren sie einem unterirdischen Flusslauf gefolgt, der sie in tieferliegende Höhlen gebracht hatte. Zack hatte alte Überbleibsel einer vielleicht längst untergegangenen elfischen Kultur gesehen. In einem viereckigen Raum aus Stein, der tief im Berg gelegen war, hatte Neire innegehalten. Neire und Zussa hatten sich dort niedergekniet und nach etwas gesucht. Sie beide hatten seltsame Runen in die Luft gezeichnet. Dann hatte Zack die Energie gespürt, die von der Stelle ausging. Seine Haare hatten sich aufgestellt und er hatte eine Gänsehaut bekommen. Neire war durch die Stelle getreten und hatte ihm zu gemurmelt: „Folgt uns Zack, wenn ihr euch traut. Unser Freund Halbohr wird auf uns warten.“ Dann waren auch Zussa und Bargh im Nichts verschwunden. Für einen weiteren Augenblick zögerte Zack. Von diesem Halbohr hatte er bereits gehört. Doch er konnte sich nicht mehr erinnern, wann es das erste Mal war. Es war so, als ob ihm die Gedanken an die großen Taten des elfischen Söldners erst jetzt bewusst wurden. Er fühlte sich sicher hier unter der Erde. Was sollte ihm schon passieren. Er machte einen Schritt durch das unsichtbare Portal. Was dann kam war kurz und gleichsam lang. Er hörte einen Gesang aus der Ferne. Dann spürte er Kribbeln auf der Haut. Es war, als ob er leichter werden würde. Das Licht um ihn herum wurde dunkler. Bis alles aus tiefer Schwärze bestand. Dann war da etwas Warmes. Er fühlte sich schummrig. Zack machte die Augen wieder auf und betrachtete die Höhle. In der Dunkelheit glitzerte etwas in den Wänden. Es war wie diese glasartige Substanz, aus der die Rüstung des Kriegers Bargh geschmiedet war. Doch da war auch die Düsternis, die sich über die Wände ausbreitete. Wie ein Geflecht von Venen zog sie sich durch den Stein. Zack drehte sich um und bemerkte die schwarze Sphäre, die dort zwischen kristallenen Säulen aus dunklem Glas stand. Vor ihm hörte er jedoch Stimmen und so wendete er sich wieder dem Geschehen zu. „Halbohr, ich habe euch fast vermisst. Wir haben euch etwas mitgebracht. Ihr werdet staunen.“ Zack sah gerade noch, dass Neire auf einige Tische zugelaufen war und einer Gestalt in die Arme sprang. Bei der Person, die dort zuvor über eine Pergamentkarte gebrütet hatte, konnte es sich nur um Halbohr handeln. Neires Mitstreiter war in einen verschlissenen Filzmantel gekleidet. Zack bemerkte blutunterlaufene grüne Augen, die forsch und wach ihre Umgebung betrachteten. Halbohr besaß zudem fettige, silberne Haare, die ihm bis auf die Schultern hinabreichten. Dort wo sich einst sein rechtes Ohr befand, war nur noch eine Fleischverwachsung von grausam verbrannter Haut zu sehen. Er trug einen Dolch, aus einem glitzernd-verdrehtem Horn, aus dessen Griff beständig Blut herabrann. „Es ist viel passiert, Neire. Ich war nicht untätig“, sagte Halbohr, der Neires Umarmung abschütteln wollte. Erst als der Jüngling lächelnd von ihm abließ, fuhr Halbohr fort. „Was habt ihr mir mitgebracht?“ Neire und Zussa stimmten jetzt gleichzeitig in ein verrücktes Lachen ein und selbst Bargh gab ein Grunzen von sich. Zack fragte sich, wo er hier war und ob die drei ihren Verstand verloren hätten. Dann griff der Jüngling mit den gold-blonden Locken in seinen Rucksack und antwortete listig: „Wir waren auch nicht untätig Halbohr. Und auch wenn der Vertrag nicht mehr existiert, müsst ihr euch jetzt wohl bis in alle Ewigkeit an diesen Vertrag halten.“
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Der Wald knackte und krachte. Es waren nicht die Geräusche von morschem Holz. Es waren junge, gesunde Äste. Holz, das splitterte. Bargh, Zussa, Zack und Neire schlichen vorsichtig weiter. Sie waren wie zuvor im Schutze der Dunkelheit gereist. Einige Tage hatten sie sich in den Tiefen der Irrlingsspitze erholt, bevor sie wieder aufgebrochen waren. Zurück wollten sie. Zurück in die Höhlen des Jarl. Zussa hatte den Einfall gehabt. Sie wollte sich die schwarzen Metallstäbe anschauen, die sie hinter der Kammer des Jarl gefunden und als Portal identifiziert hatten. Sie waren bereits die zweite Nacht unterwegs und mussten sich irgendwo im Jotenwall befinden. Dann hatten sie alle die Geräusche gehört. Jetzt bewegten sie sich vorsichtig näher. Das Gehölz war dicht und so konnten ihre Augen die Dunkelheit durchdringen. Je näher sie kamen, desto lauter wurde ein Schnauben und ein Keuchen. Schließlich sahen sie die Schatten von drei monströsen Kreaturen, die auf sie zukamen. Die dümmlich wirkenden Gestalten waren fünf Schritte groß und gekleidet in Felle und Lederlappen. Muskulöse Arme hingen fast bis zum Boden hinab. In den niederträchtigen Gesichtern funkelten kleine schwarze Augen, wie in sehnlicher Erwartung. Immer wieder rauften sie sich ihr krauses, fettiges Haar zurück, das plump über Fettmassen an ihren Nacken fiel. Bargh positionierte sich hinter einem Baum und hatte Glimringshert und sein Schild erhoben. Der vorderste Riese verlangsamte seine Schritte, setzte den großen Sack ab und schnüffelte durch seine platte Nase. Bargh brach in diesem Moment hervor, hob seine schwarze, schattenblutende Klinge und stürmte heran. Die anderen beiden Geschöpfe ließen augenblicklich ihre Säcke fallen und griffen nach ihren Waffen. Zwei trugen dicke Äste. Die dritte eine rostige Klinge. Auch Neire, Zussa und Zack handelten schnell. Zussa stürmte Bargh nach, in einem verrückten Todesmut. Dann stießen der dunkle Krieger und die monströsen Geschöpfe zusammen. Das Gemetzel war kurz und grauenvoll. Feuer und magmaartige Kugeln erhellten den Wald; zeigten nur für Augenblicke die im Tode entstellten Fratzen der niederträchtigen Wesen. Dann senkte sich wieder die Dunkelheit über den Jotenwall. Die dumpfen Schritte und das Knacken von jungem Holz waren verstummt.
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