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[AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea

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Jenseher:
Sie diskutierten nun schon einige Zeit über die Echseneier. Leise flüsterten sie sich Worte zu, durch die zerklüftete, dunkle Höhle. Sie standen in der Sackgasse und um das Nest. Hinter ihnen die reglosen Leiber der toten Feuerechsen. Die Luft bewegte sich, wie in einem leichten Hauch – mal kühler, mal wärmer. Bargh hatte sich an eine Felswand gelehnt, während Neire weiter Worte in die Höhle zischelte. „Dann nehmen wir die Eier mit. Eingewickelt in Decken werden sie für einige Zeit die nötige Wärme haben.“ Zussa hatte zwar die Erklärungen zu den Kreaturen, die Diener von Jiarlirae werden konnten, verstanden, doch sie behielt ihren missmutigen Blick bei. Sie hatte vorgeschlagen die Eier hier und jetzt zu öffnen, um zu sehen was sich darin befand und um deren Inhalt zu essen. „Zussa, Bargh. Helft mir. Reicht mir sie vorsichtig an.“ Neire beendete die Diskussion über den Verbleib der Eier. Er warf den Vorhang aus schwarzer Seide in die Luft, der dort begann zu schweben. Dann bewegte er sich geschickt in den extradimensionalen Raum, der sich dahinter verbarg. Die Kammer war in Dunkelheit gehüllt und erfüllt von einem Chaos aufeinandergestapelter Gegenstände. Lange, den Raum durchspannende Waffen zogen sich über Goldhaufen und Fässer hinweg. Der Geruch von starkem Käse und geräuchertem Fleisch lag in der Luft. In den hinteren Teilen waren Ortnors Werkbank, Bücher und die alchemistischen Apparaturen zu erkennen. Neire nahm die Eier, die ihm Zussa und Bargh reichten, vorsichtig entgegen. Das erste Ei rutschte ihm fast aus der Hand, hatte er doch dessen Gewicht unterschätzt. Vorsichtig wickelte er die Eier in den kostbaren, dicken Seidenstoff, den sie in einem der oberen Gemächer gefunden hatten. Dann verließ er den geheimen Raum und faltete behutsam den Seidenvorhang zusammen. „Lasst uns aufbrechen. Die Eier der Feuerechsen sind in Sicherheit.“ Sie bewegten sich an den gewaltigen Körpern der Echsen vorbei, die von grausamen Wunden gezeichnet waren. Kleine Seen von dunklem Blut hatten sich auf dem zerklüfteten Boden der Höhle gebildet. Als sie den Tunnel erreichten, in den Bargh die eleganten Spuren hatte führen sehen, wendete sich Triel flüsternd an sie. „Wartet hier. Ich werde dem Gang folgen und ihn ausspionieren.“ Bargh, Zussa und Neire beobachteten, wie Triel in der Dunkelheit verschwand. Unruhig warten sie am Eingang. Nach längerer Zeit sahen sie plötzlich die Dunkelelfin mit dem kleinen, aber athletischen Körper auftauchen. Ihre Augen funkelten rötlich in der Dunkelheit. Triel legte den Finger ihrer vernarbten Hand auf ihren Mund. Ihre weißen Haare standen im Kontrast zu ihrer aschgrauen Haut. „Folgt mir, doch macht keine Geräusche. Ich habe flüsternde Stimmen gehört. Sie klangen dunkel und dumpf, wie die, derer Riesen.“ Die drei Anhänger Jiarliraes nickten und folgten Triel durch die hohen natürlichen Steintunnel.

Neire bewegte sich jetzt behutsam und leise durch den Tunnel. Vor ihm schimmerte Fackellicht; von dort, wo der natürliche Gewölbegang sich in eine Höhle eröffnete. Die Tunnel waren zwar schmaler als in den oberen Geschossen, doch immer noch vier bis fünf Schritt hoch und breit. Neires Herz schlug schneller. Er hörte die dumpfen Stimmen der fremden Sprache. Immer wieder versuchte er einzelnen Worten zu lauschen, deren Weisung er mittlerweile erahnen konnte. Sein Körper wollte zurück, er sehnte sich nach dem inneren Auge in Nebelheim. Doch sein Geist trieb ihn weiter voran. Beharrlich redete er sich ein, dass sein Schattenmantel ihn schützen würde, vor feindlichen Blicken. Neire kam an die Ecke und konnte in eine erhellte Höhle blicken. Hier und dort waren Felllager zu sehen. Kisten und Fässer waren zu Sitzgelegenheiten zusammengestellt worden, um das Gewölbe etwas wohnlicher zu machen. Die Größe der Lager und der Sitzgelegenheiten deutete auf Riesen hin. Neire wurde nicht getäuscht von seinen Eindrücken. Bereits in der Ecke war ein kolossaler Schatten zu sehen, der von einem fettleibigen Riesen ausging. Die Kreatur war über fünf Schritt groß und von gedrungenem Körper. Er trug eine Hellebarde, die er in den dunklen Tunnel gerichtet hatte. Ein zerzauster roter Bart sowie Bernsteinaugen schimmerten unter einem kupfernen Rundhelm. Neire trat noch einige Schritte heran und senkte unter dem Tarnmantel den Kopf. Er spürte den Druck auf den Augen, als sich die Umgebung um ihn herum in karmesinrotes Zwielicht hüllte. Dann schaute er auf, strich sich die Kapuze zurück und sprach seine ersten Worte in der Riesensprache. Rötlich schimmerten seine Augen im Licht der Fackeln. „Ihr… Freund.“ Die Gebete Jiarliraes waren bei ihm. Ein zufriedenes, breites Lächeln formte sich im Gesicht des Riesen, der seine Hellebarde sinken ließ. Neire winkte die Gestalt in den Tunnel. Langsam hörte er die dumpfen Schritte näherkommen. Als der kolossale Krieger fast bei ihm war, flüsterte Neire erneut. „Geht… dort.“ Er zeigte mit seiner verbrannten linken Hand in den Tunnel, aus dem sie gekommen waren und der Riese wandelte weiter in die Dunkelheit. Neire wendete sich wieder dem Gemach zu. Er sah am Ende der Höhle drei weitere Feuerriesen wachen. Sie hatten anscheinend den Vorstoß ihres Kameraden genau beobachtet. Eine der Kreaturen blickte fragend in die Dunkelheit. „Habt ihr das gesehen? Wollen wir ihm folgen?“ Neire konnte die Worte der Riesen immer besser verstehen. Er erinnerte sich zurück an die Hallen im ewigen Eis. Die Gletscherriesen hatten eine andere Sprache gesprochen, doch einige Worte klangen ähnlich. Mit jedem entschlüsselten Wort erinnerte er sich an Weitere. Einer der beiden, mit Kriegspicken bewaffneten, Feuerriesen blickte hinter eine Ecke. Von dort hörte Neire die Antwort. „Ihr dort, ihr zwei, folgt ihm. Verliert keine Zeit.“ Augenblicklich begannen sich zwei der drei Wachen auf ihn zuzubewegen. Der vordere trug ein gewaltiges Langschwert. Neire wartete bereits auf sie und bemühte die Kräfte des Jensehers. Diesmal spürte er einen kleinen Schmerz durch seine Augen gehen. Auch jetzt wirkte seine Bezauberung. Der vordere Riese blieb plötzlich stehen und blickte lächelnd in die Dunkelheit. „Was ist, was seht ihr?“, flüsterte der hintere Krieger dumpf und dröhnend. „Nein, nichts. Ich dachte da wäre etwas.“ Von hinten hörte Neire die Stimme des Pickenträgers durch das Gewölbe hallen. „Eh, ihr da. Wieso bleibt ihr stehen?“ „Er dachte, er hätte etwas gesehen, doch da war nichts.“ Beide begannen sich wieder vorwärts zu bewegen. Die hintere Wache flüsterte zweifelnde Worte. „Und warum läuft er in diese Richtung?“ „Vielleicht ist er einfach zu dumm.“ „Schweigt und redet keinen Unsinn.“ Die beiden Ungeheuer kamen an Neire vorbei und er beschwor ein drittes Mal die Kraft. Der Schmerz war jetzt stechend und Tränen liefen von seinen Augen. Wieder kam sein schmutziges, kindliches Gesicht zum Vorschein – rötlich funkelnde Augen. „Ihr dort. Wollt ihr mein Freund sein?“ Neire benutze die Zunge der Riesen. Auch die dritte Wache entspannte sich, nickte und fing an zu lächeln. „Geht… folgt ihm. Verliert keine Zeit“, sprach Neire, als er die zuvor gesprochenen Worte imitierte. Neire schlich sich weiter vor in die Höhle, die er in rötlichen Tönen wahrnahm. Dort benutzte er abermals die Mächte des Jensehers. Der stechende Schmerz brachte seinen Körper zum Zittern und für einen Moment hielt er den Atem an. Doch die Kreatur vor ihm biss die Zähne zusammen und schüttelte sich. „Was… was war das?“, sprach der Riese in das Fackellicht der Höhle, als wolle er sich selbst eine Frage stellen. „Habt ihr etwas gesehen?“, fragte die Stimme hinter der Ecke. „Nein, ich dachte da war etwas. Irgendetwas war komisch.“ „Dann haltet euren Posten, Tölpel!“ Die andere Stimme klang erbost, älter und dumpfer. Neire hatte genug gesehen. Die Höhle war für ihn in rötliches Licht getaucht. Am ganzen Körper zitternd ging er zu Bargh, Triel und Zussa zurück.

Neire schwankte und schlotterte am ganzen Körper. Seine Augen pochten vor Schmerz. Das Licht der Fackeln tanzte im karmesinroten Zwielicht seiner Wahrnehmung. Er war zuvor unerkannt zurückgekehrt zu Zussa, Bargh und Triel. Dort hatte er ihnen berichtet von dem Riesen, der seinen Mächten getrotzt hatte. Bargh hatte den Riesen als Feind Jiarliraes bezeichnet und seine Tötung befohlen. So waren sie alle in die Höhle zurückgekehrt und hatten angegriffen. Die Riesen hatten sie mit den Worten „Da sind sie, tötet sie!“ empfangen. Worte, die nur Neire verstehen konnte. Der Kampf danach war kurz und tödlich gewesen. Während Bargh, Zussa und Triel gegen drei der Riesen gekämpft hatten, hatte Neire zwei weitere Male die Kräfte des Jensehers beschworen. Er hatte den Anführer, eine ältere, muskulöse Gestalt mit einer zerbrochenen Nase und vernarbtem Schädel sowie einen weiteren Feuerriesen bezaubert. Drei tote Leiber lagen auf dem Boden und waren von tiefen Wunden gezeichnet. Jetzt versuchte sich Neire zu erheben. Er kämpfte gegen den Schwindel und die pochenden Schmerzen. Die Riesen schimmerten rötlich für ihn. „Der Kampf ist vorbei. Diese hier dienen jetzt Jiarlirae.“ Neire erhob zitternd seine Hand, als er seinen Mantel zurückwarf und auf die beiden Riesen zeigte. Dann sprach er die zischelnden Worte in der Sprache des alten großen Geschlechts. Beide Feuerriesen blickten Neire mit fragenden Blicken an, als Neire begann gebrochen ihre Sprache zu sprechen.

Neire: „Kampf vorbei… ihr Freund! Kein Vergießen von Blut.“
Anführer: „Ihr habt Recht mein Freund. Ein weiteres Blutvergießen ist nicht notwendig.“
Neire: „Wie viele, Riesen… hier?“
Anführer: „Wir sind die einzigen Wächter hier.“
Neire: „Riesen… bewachen was?“
Anführer: „Wir dienen König Isenbuk, doch wir sollen in seinem Auftrag diese Tunnel bewachen. Er hat uns in den Dienst dieser kleinen Wichte gestellt. Sie zahlen uns gut. Gold und Juwelen.“
Neire bemerkte, dass der Anführer auf Triel zeigte.
Neire: „Dann nicht wissen ihr… wie lange… Riesen hier?“
Beide Riesen schauten Neire fragend an.
Anführer: „Was wissen wir nicht? Wir sind seit einigen Tagen hier unten.“
Neire: „König Isenbuk tot, ermordet.“
Zuerst war Unglauben, dann Verzweiflung und Grauen in den Gesichtern zu sehen.
Anführer: „König Isenbuk tot? Wer war es? Wer ist der verfluchte Mörder?“
Neire: „Umbari, stämmiges Volk aus Unternacht.“
Anführer: „Dieser kleine, feige Bastard? Dieser widerliche fremde Unterabkömmling! Er kann nicht unseren König umgebracht haben. König Isenbuk war stark. Umbari ist viel zu klein und viel zu schwach. Er ist ein Nichts, nur Schleim an unseren Stiefeln!“
Neire: „Umbari zahlen für Mord. Zahlen anderen.“
Der Anführer spukte verächtlich aus bevor er antwortete.
Anführer: „Ich wusste es. Man kann ihnen nicht trauen. Allen, die die ewige Dunkelheit von dort unten ausgespien hat. Es sind feige Rassen, Abschaum und Gewürm. Sie kriechen vor uns und wir werden sie zermalmen. Wie werden sie zertreten wie stinkende Maden.“
Neire lächelte und stellte sich vor, wie seine neuen Diener seiner Göttin huldigen würden.
Neire: „Wir dienen… unserer Göttin: Jiarlirae.“
Anführer: „Ihr dient einem anderen Gott? Nicht Ghaunadaur?“
Neire versuchte die Geste des Anführers nachzuahmen, als er auf den Boden spuckte.
Neire: „Wir dienen Jiarlirae… nur Jiarlirae! Sie ist stark, Ghaunadaur ist viel zu klein und viel zu schwach. Altar von Ghaunadaur… jetzt kaputt.“
Neire ahmte die Geste einer Explosion nach.
Anführer: „Der Altar ist zerstört? Welch Schande. Meine Kameraden haben lange daran gearbeitet. Und dieser verfluchte Umbari… Wenn man den alten Geschichten Glauben schenken darf, konnte der Altar Wunder bewirken, Wünsche erfüllen. Man würde nur ein Fleischopfer erbringen müssen.“
Neire: „Der Altar ist zerstört, Ghaunadaur ist zerstört. Wir haben Umbari zerstört. Sagt Freund… wo führt Tunnel hin?“
Bei Neires Worten über das Schicksal Umbaris fingen beide Feuerriesen an zu lachen.
Anführer: „Dieser Tunnel, mein Freund, führt in ein verzweigtes Netz von Gängen. Dort hausen die dunklen Wichte, die wir beschützen. Ein weiterer Tunnel führt in eine große Höhle. Dort hält der König sich ein kleines Spielzeug.“
Der Anführer offenbarte seine fauligen Zähne, als er bei der Erwähnung des Spielzeugs grinste.
Neire: „Eclavdra… war sie hier?“
Das Lächeln verschwand, als der Riese den Kopf in Richtung der Tunnel drehte.
Anführer: „Ja, Eclavdra kam hier durch und warnte uns vor Eindringlingen. Sie verschwand in den Höhlen der Wichte. Dann hörten wir Kampfgeräusche. Das ist jetzt einige Stunden her.“
Neire drehte sich zu seinen Gefährten und übersetzte die Erkenntnisse seines Gesprächs. Dann wollte er wissen, welche weiteren Fragen er dem Anführer stellen sollte.
Neire: „Sie dort… Triel will wissen, welche ihr mit dunklen Wichten meint?“
Anführer: „Haha, wir meinen sie, Triel. Sie dienen Ghaunadaur. Man kann ihnen nicht trauen und sollte sie zerquetschen oder zertreten. Aber sie bezahlen gut und unserer König Isenbuk will es so. Also dienen und wachen wir hier und zerquetschen oder zertreten sie nicht, diesen Abschaum!“
Neire (in der normalen Sprache zu Triel): „Mit Wichten meint er euer Volk Triel.“
Bei Neires Worten vollführte Triel eine abfällige Geste in Richtung des Anführers.
Neire: „Sagt mein Freund… wie viele Wichte… hier unten?“
Der Anführer begann seine Finger zu zählen, war dann aber unschlüssig.
Anführer: „Ich weiß nicht wie viele. Es sind viele Wichte. Zu viele.“
Neire: „Was ist das für ein Spielzeug von König Isenbuk. In großer Höhle.“
Der Anführer und sein Kamerad begannen wieder zu grinsen.
Anführer: „Es ist Braugmal der Große. Er bewacht die Höhle.“
Neire: „Was ist Braugmal?“
Anführer: „Braugmal ist ein Wesen des Feuers, er ist ein großes Wesen, ein Ungeheuer.“
Neire: „Was für ein Ungeheuer. So wie zwei Wesen… in Höhle dort?“
Für einen Augenblick war Unverständnis in den Augen des Anführers zu erkennen. Dann schüttelte er höhnisch lachend den Kopf.
Anführer: „Ihr meint die Feuerechsen in diesen Höhlen? Die Wichte sagten uns, dass sie dort ein Nest mit drei Eiern gesehen hätten. Doch wir lassen sie nicht gehen in diese Höhlen. Nein, Braugmal ist nicht wie diese Echsen. Er ist größer, viel größer.“
Neire: „Dank euch, Freund… wir gehen nach oben. Wir gehen mit euren Kameraden. Wir gehen zu Königin Hulda.“

Sie durchsuchten noch die Gemächer, bevor sie aufbrachen. Dann eskortierten sie die Riesen in die obere Ebene. Neire gab ihnen die Anweisung sie zuführen. Als sie eine große Höhle durchquerten legten die Riesen den Finger auf den Mund und deuteten in die Mitte des Gewölbes. Sie wiederholten den Namen von Braugmal. Dann erreichten sie eine große Steintüre, die sie in einen Tunnel nach oben führte. Sie übergaben die fünf Feuerriesen der Königin, die sich Huldas Kommando unterstellten. Dann erst stiegen sie wieder hinab in die Tiefe und begannen die Höhlen der Dunkelelfen zu erkunden.

Jenseher:
Sie hatten vorsichtig Höhle um Höhle abgesucht. In einer Sackgasse hatten sie eine weitere Kaverne entdeckt, die innere Wände in Form einer erkalteten Magmablase hatte. Auf dem geröllbedeckten Boden waren die Leichen von dunkelelfischen Kriegern zu sehen gewesen. Zudem hatten sie den toten Körper einer Frau bemerkt, die in silbern glitzernde dunkelelfische Gewänder gehüllt war. Eine Untersuchung der Leichen hatte ergeben, dass die Dunkelelfen durch grausame Wunden oder faule Magie getötet worden waren. Das Gesicht eines Kriegers war ihnen als besonders entstellt aufgefallen. Säure oder Feuer hatten es fast bis zur Unkenntlichkeit zerfressen. Bei einem anderen Dunkelelfen war der Schädel aufgespalten worden. Sie hatten die Leichname und die Höhle durchsucht und wertvolle magische Waffen und Rüstungen dunkelelfischer Machart gefunden. Wie in einer Art Hast schienen die Wertgegenstände der Leichen nicht geplündert worden zu sein. Neben Silber-, Gold- und Platinmünzen, hatten sie in der Höhle ein schwarzes Zauberbuch entdeckt, das mit dem Namen der Besitzerin gekennzeichnet gewesen war: Viconia. Weder Neire noch Triel war dieser Name begannt vorgekommen. Jedoch hatten sie beim Leichnam der Frau ein Symbol eines dunkelelfischen Hauses gefunden, das Neire als das Haus von Despana entschlüsselte. Von diesem Haus hatte Neire bereits in alten Schriften gelesen. Dass es mächtig gewesen war und als eines der ersten Häuser die Spinnengöttin Lolth angebetet hatte. Sie hatten daraufhin die Gegenstände mitgenommen und waren weiter den Spuren gefolgt, die sie durch eine Vielzahl von verlassenen Höhlen und Sackgassen geführt hatten. Schließlich war die Luft immer wärmer geworden und sie hatten ein tieffrequentes Grollen vernommen. Am Ende des großen natürlichen Ganges sahen sie jetzt einen rötlichen Schimmer. Für einen Augenblick verlangsamte der dunkle Krieger Bargh seine schweren Schritte. Er spürte die Hand seines jungen Begleiters an seiner Seite. Als er sich umdrehte und hinabblickte, bemerkte er das verdreckte Gesicht Neires. Leise bewegte der Jüngling den Mund als er zischelnd flüsterte „Lasst mich vorschleichen und sehen, was es mit dem Feuerschein auf sich hat. Falls dort ein Hinterhalt droht, werde ich den notwendigen Beistand unserer Göttin haben.“ Bargh nickte und legte Neire seinen Panzerhandschuh auf die Schultern. „Seid vorsichtig und vergesst nicht: Jiarlirae ist auf unserer Seite, wer kann uns schon aufhalten?“ Neire und Bargh hörten beide die Stimme von Triel. „Ich hoffe nicht, dass Elcavdra noch hier ist. Falls sie sich in diesen Höhlen befindet, hat sie uns sicherlich einen Hinterhalt gestellt. Unterschätzt sie nicht, Bargh.“ Als Neire bereits in der Dunkelheit verschwunden war, drehte sich Bargh zu Triel um. Es war das erste Mal seit er sie getroffen hatte, dass er diese Regung sah. Es war, als würde Triel Angst haben.

Vor ihm lag das rötliche Glühen, das sich in den dunklen Felsen des Tunnels reflektierte. Neire streifte sich vorsichtig den kristallenen Ring über, den sie in der Truhe bei Braunig, Kettra und Grimta gefunden hatten. Er hatte vielleicht zwei Dutzend Schritte zwischen seine Mitstreiter und seine jetzige Position gebracht. Zuvor hatte er einen kleinen Seitengang erforscht, der ihn in eine Höhle geführt hatte. Dort hatte er verlassene Lager der Dunkelelfen gefunden. Danach war er wieder in Richtung des rötlichen Schimmerns geschlichen und hatte ausspioniert, was er dort sehen konnte. Er war zu seinen Kameraden zurückgekehrt und hatte ihnen Anweisungen gegeben. Er wusste nun, dass er nicht lange zögern durfte. Bargh und Zussa hatten bereits begonnen ihre Gebete an Jiarlirae zu wirken. Triel hatte sich kampfbereit gemacht. Sie würden ihm bald folgen und er musste handeln. Neire schlich vorsichtig weiter; seine Hand spielte an dem neuen Ring. Er spürte die Mächte, die in dem Kristall schlummerten. Er wusste, wie er die schwarze Kunst der Dunkelelfen hervorrufen konnte. In alten Schriften von Nebelheim hatte er über die Beschwörungsringe der verhassten Rasse gelesen. Neire sah die Öffnung vor ihm liegen. Die Luft flimmerte in der Hitze. Es roch nach flüssigem Gestein. Neire drehte den Ring und konzentrierte sich. Er begann leichter zu werden. Dann verloren seine Stiefel den Bodenkontakt. Der Jüngling begann sich in die Luft zu heben. Er bemühte seinen Geist. Er spürte ein warmes Gefühl vom Ring ausgehen. Langsam schwebte er nach vorne und gewann an Höhe. Schon bald wurde er schneller und überblickte die glühende Grotte. Ein Fluss aus brodelndem Magma durchquerte die Mitte der Höhle. Der Strom war zwischen den Felsen versunken, als hätte sich das Magma dort tief in den Stein gefressen. Eine metallene Hängebrücke reichte über die Fluten hinweg. Das diesseitige Ende war in einem steinernen Podest befestigt. Auf dem gegenüberliegenden Ufer war das Konstrukt in Felsbrocken verhakt. Neire betrachtete die Kreaturen genau, die dort lauerten. Er schwebte in einigen Schritten Höhe über sie hinweg. Fünf dunkelelfische Krieger sah er auf seiner Seite. Gegenüber drei weitere und eine Frau, in enganliegende silberne Gewänder gekleidet. Sie zog Neires Aufmerksamkeit auf sich. Die Dunkelelfin hatte ein schönes, schlankes Gesicht, feiner elfischer Züge. Lange silberne Haare fielen wellenförmig hinab, bis über ihre weiblichen Hüften. Üppige Brüste wurden von einem Lederkorsett betont, welches in einem schwarzen Gürtel mit kleinen, runenverzierten Taschen endete. Geschmückt wurde ihr Haupt prinzessinnengleich von einem silbernen Diadem, auf dem das Wappen von Eilserv zu sehen war. Sie trug eine Peitsche, aus deren schwarzen Griff sich drei lange Tentakel wanden. Neire verlor sich für einen Augenblick in ihrer Schönheit, dann bemerkte er ihre purpurnen Augen, die voller Hass in Richtung des Tunnels starrten. Er steuerte seinen Schwebeflug über den Magmastrom und ließ sich, getarnt durch den elfischen Mantel, unweit der schönen Elfin zu Boden sinken. Niemand hatte seine Anwesenheit bemerkt. Er betrachtete weiter die Höhle und verharrte mit pochendem Herzen. Nicht lange musste er warten, da hörte er die Rufe der Dunkelelfen vom anderen Ufer. Dort war die Anführerin der Krieger zu sehen, die ein Kettenhemd und ein Schild aus milchig-weißem Stahl trug sowie ein golden glühendes Schwert hob. „Dort, sie kommen. Greift an!“, waren ihre Worte. Neire flüsterte Gebete an seine Göttin und begann zu handeln. Er stand nahe des Magmastromes, doch die Hitze, die einen einfachen Menschen bereits verbrannt hätte, machte ihm nichts aus. Er beschwor die Flamme aus schattenartigem Feuer in seiner linken, verbrannten Hand. Er streckte die Hand unter seinem Tarnmantel hervor, als das Feuer seiner Göttin zu tanzen begann. Die Dunkelelfin hatte gerade begonnen zu zaubern, da bemerkte sie die Flamme. Ungläubig schaute sie in seine Richtung. Neire spürte die Macht der brennenden Düsternis durch seinen Körper fließen. Obwohl die hübsche Frau feindselig in seine Richtung starrte, war alle Aufregung in ein freudiges Gefühl übergegangen. Wie damals im Wolfsfelsen, starrte er in die Flamme seiner linken Hand und ließ sich von ihren chaotischen Bewegungen treiben. Sein scharfer Verstand war das Ventil eines elementaren Meeres aus Chaos, eines älteren, urtümlichen Bösen. Es war ein Urmeer, aus dem er schöpfte, ein unendlich dimensionales Gebilde, das nur durch den ewigen Kampf der Dualität von Flamme und Düsternis aufrechterhalten wurde – ein Gebilde, dem der Gleichgewichtszustand fremd war. Er murmelte die Formeln der schwarzen Kunst, die nicht die seiner Göttin, sondern die seines Geistes waren. Doch er spürte ihre Macht. Dann streckte er beide Hände hervor und zeichnete die finale Rune. Ein Strahl von gleißendem Feuer ergoss sich aus seiner Hand, wurde breiter und höher, je weiter er hinfortbrach. Die hübsche Elfin und die drei Krieger, die sich mittlerweile zu ihrem Schutz um sie versammelt hatten, wurden einhüllt und waren für einen Moment nicht zu sehen. Neire konnte ein Brüllen und ein Kreischen aus dem infernalischen Feuer hören - Todesschreie. Als die Flammen herunterbrannten war der Anblick grauenvoll. Die drei Krieger waren zu rauchenden Überresten verbrannt. Ihre Körper waren von Hitze aufgeplatzt und Muskeln sowie Sehnen hatten sich versteift. Die Dunkelelfin stand dort und schaute ihn hasserfüllt an. Ihr Haar und ihre Haut standen in Flammen. Dann traf sie der Blitzstrahl, den Zussa vom anderen Ufer geschleudert hatte. Sie krümmte sich, sprang zu Seite und schwankte. Neire wollte schon triumphieren, da sah er, dass sie sich wieder aufrichtete. Blut lief von ihrem Gesicht, als sie ihre Peitsche hob. Auf der anderen Seite des Magmastroms bemerkte Neire die Gestalt von Bargh, der mit ausgebreiteten Flügeln auf das Podest sprang. Dort begann das Gemetzel, als sich Triel und Bargh ihren Gegnern entgegenwarfen. Neire wusste, dass er allein gegen die dunkelelfische Hexe kämpfen musste. Er musste seinen Zauber wirken, bevor sie ihn erreichen konnte. Hastig murmelte er das eine Wort und hielt die tanzende Flamme in die Höhe. Fünf faustgroße Kugeln aus Schatten und Magma lösten sich. Sie schlugen in die Kehle der Gestalt. Von seiner Gegnerin war jetzt nur noch in Gurgeln zu hören. Blut strömte aus dem geöffneten Hals, der von der Seite bis zum Kehlkopf zerfetzt war. Die Frau brach zu Boden und hauchte ihr Leben aus.

Zussa war in eine Rage geraten. Sie fühlte sich unbesiegbar. Die verhasste Dunkelelfin Triel war dicht vor ihr und kämpfte mit verbissener Genauigkeit. Zussa hatte gesehen, dass Triel von zwei Schwerthieben verletzt worden war. Sie hatten den zweiten Krieger niedergestreckt und stürmten auf das Podest aus dunklem Magmagestein. Als Zussa dort Bargh sah, wusste sie, dass der Sieg der ihre war. Eine Aura von Düsternis war um den unheiligen Krieger Jiarliraes. Bargh hatte seine schwarzen, rabenhaften Schwingen ausgebreitet und sein Schwert Glimringshert blutete dunkle Schatten. Der Rubin seines rechten Auges brannte unbarmherzig in der von ihm induzierten Dunkelheit. Zussa stürmte näher. Doch Triel und sie selbst kamen zu spät. Aus zwei Wunden blutend rammte Bargh seine Waffe auf die Anführerin nieder, die noch ihren Schild erhob. Doch Bargh schmetterte den Schild herunter. Sein Schwert drang tief zwischen Hals und Schulter. Röchelnd brach die Anführerin nieder. Zussa sah keine weiteren Gegner und blickte sich schwer atmend um. Auch an ihrem Säbel klebte das Blut der dunkelelfischen Krieger. In der linken Hand trug sie den Stecken, mit dem sie zuvor den Blitzstrahl beschworen hatte. Dann hörte sie die jugendliche Stimme durch das brodelnde Magma. Sie drehte sich ruckhaft um. Dort sah sie Neire über den blubbernden Fluten des Stromes schweben. Die Hitze konnte ihm nichts ausmachen. Sein Gesicht war von Asche verdreckt und seine Augen glühten wie Kohlen. Er hatte seinen Tarnumhang zurückgelegt und aus seiner linken, geöffneten Hand brannte die Chaosflamme Jiarliraes. „Ihr hättet das Spiel spielen sollen Triel. Eine Abmachung ist eine Abmachung. Ihr seid nicht mehr als ein Kind eurer hinterlistigen Rasse und wir mögen sie nicht – eure Art unsere Spiele zu spielen.“ Als Neires Zischeln lauter wurde, wandelte sich Zussas Hass in eine Mordlust. Freudig betrachtete sie Neire und erhob den Säbel. Neire zeichnete eine Rune in die Luft. In seinen Augen war jetzt ein brennendes Feuer. Drei kopfgroße Bälle aus purpurnem Feuer lösten sich aus der Chaosflamme und stürzten auf Triel zu. Die Dunkelelfin konnte gerade noch ihren Arm erheben. Dann hörte Zussa den grausigen Schrei, der die Explosion übertönte. Magmaflammen brannten von Triels linkem Arm. Fleisch und Muskelgewebe hatte sich dort aufgelöst und schwarz-verbrannter Knochen kam zum Vorschein. „Sie hatte es euch versprochen Zussa, doch sie wollte nicht mit euch spielen. Wir können nicht behaupten, ihr hättet sie nicht gewarnt.“ Die Worte Neires klangen wie die Musik von knisternden Flammen in Zussas Ohren. Sie näherte sich Triel und hob ihren Säbel. „Ja Triel, hört, was Neire sagt…“ Sie begann Triel nachzuäffen. „Wir sollten sie nicht unterschätzen. Eclavdra wird uns einen Hinterhalt stellen. Pah… Ihr hättet den Zweikampf nehmen sollen. Jetzt werdet ihr ein schönes, hässliches Opfer werden.“ Zussa begann auf den linken Arm zu hacken. In ihren Grauen war Triel wie erstarrt. Sie starrte Zussa an. Sie bettelte nicht um Gnade. Da war Hass in den roten Augen der Dunkelelfin. Doch das war Zussa egal. Sie schlug zu wie ein Metzger. Wieder und wieder. Doch der Arm wollte sich nicht lösen. Triels Kopf war bereits auf den Boden gesunken und Blut lief aus ihrem Mund. Schwer keuchend ließ Zussa schließlich ab. Schweiß strömte von ihrem Gesicht. Sie nahm den Leichnam von Triel und schleifte ihn hinab an den Rand des Magmastromes. Neire schwebte zu ihr hinüber und half ihr den schlaffen Körper aufzurichten. Ihre Blicke trafen sich kurz und Zussa musste lachen, als Neire zu ihr sprach. „Habe ich es euch nicht versprochen? Dass ihr sie opfern könnt.“ Der Jüngling lächelte sie jetzt an. Sie spürte diese tiefe Verbundenheit zu Neire; sie respektierte ihn als ihren Prophet Jiarliraes. Sie würde vielleicht sterben für ihn. Sie nickte und wurde ernst. Dann begann sie Triels Kiefer zu bewegen. Sie imitierte das Sprechen von Triel, ihre ruhige, kontrollierte Art. „Zussa, ich bin hier um mich Jiarlirae zu opfern. Ich diene der ewigen Flamme und der unteren Düsternis.“ Neire nickte ihr zu und versuchte Triel ebenfalls nachzuahmen. „Ich diene nur der Herrin, nur Jiarlirae.“ Zussa rief jetzt lauter. „Nährt eure Flammen mit einer weiteren Dienerin. Sie übergibt sich euren Schatten.“ Dann warf Zussa den Leib hinab. Das Geräusch war leise als der Körper in das Magma glitt. Triels Fleisch fing an zu brennen und sie wurde von der brennenden Magma hinfortgerissen. Obwohl ein Teil von Zussas Anspannung jetzt abfiel, zitterte sie noch am ganzen Körper. Sie wollte jubeln, doch dann sah sie Neire. Wie hypnotisiert starrte der schwebende Jüngling in rotglühenden Fluten.

Neire schaute hinab in den Glanz des sich wälzenden Stromes. Da waren die Runen. Sie tauchten auf, wurden weitergetragen und verschwanden. Er hatte sie bereits mehrfach gesehen. Er konnte seinen Blick nicht abwenden. Es war die Rune Firhu, die für die Gabe des Feuers und der Schatten stand. Und da war Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und von Opferung. Neire schloss für einen Moment die Augen und sah Bargh und Zussa vor sich. Sie waren beide in einem leeren Raum, sich nicht erkennend. Ein goldener Schimmer war dort zu sehen. Sie wirkten verloren und einsam, nicht wissend von dem Glück ihrer Gemeinsamkeit, ihrer Freundschaft. Da wusste Neire, dass es Bargh und Zussa sein würden, die verlassen auf einsamen Wegen wandeln würden. Ihre Hingabe, ihr Opfer wurde verlangt. Sie mussten die Gabe von Feuer und Schatten an diesen Ort bringen. Neire erwachte wie aus einer Trance und sprach feierlich zu Bargh und zu Zussa: „Ich habe die Zukunft gesehen, Bargh, Zussa. Zusammen müsst ihr hinfort gehen und gemeinsam werdet ihr wandern. Es ist Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und Opferung. Doch alleine werdet ihr euer Opfer erbringen müssen und die Gabe von Feuer und Schatten an jenen Ort tragen.“ Bargh nickte Neire zu, der rote Rubin schimmerte in seinem vernarbten, grimmigen Gesicht. Zussa mochte die Botschaft nicht. Ihr jubelndes Gesicht versteinerte sich. Dann fiel sie Neire um den Hals und fing an zu weinen.

Jenseher:
Zussa zitterte am ganzen Körper. Das Gefühl der Unbesiegbarkeit, das sie nach dem Kampf und dem Sieg gegen Eclavdra und ihre Anhänger empfunden hatte, war einem anderen Bewusstsein gewichen. Es war das kolossale Portal, das sie an ihre eigene kleine Größe erinnerte. Es waren die Spuren von gewaltigen Klauen im Stein der Türflügel, die ihre Gedanken um die eigene Verletzbarkeit kreisen ließen. Sie hatten das Portal hinter der illusionären Vision der natürlicher Höhlenwand entdeckt. Es war Neires feinen Ohren zu verdanken gewesen, dass sie überhaupt das Trugbild entschlüsselt hatten. Neire hatte das zweite Mal ein tiefes Atmen gehört. Nur jetzt war er sich sicher gewesen, dass das Atmen nicht durch die Fehlleitung ihrer Sinne entstanden war. Zussas ließ ihre Gedanken für einen Moment zurückschweifen. Sie dachte an ihren glorreichen Sieg über Eclavdra. Sie dachte daran, wie sie Triel ermordet und dann ihrer Göttin geopfert hatte. Es war wie damals bei ihrer Flucht aus dem Tempel der Ehre gewesen. Ein Rauschzustand, den sie in der dampfenden Höhle erreicht hatte - nur ohne Wein und Grausud. Sie erinnerte sich gerne an das Bild des Stromes von flüssigem, flimmerndem Stein zurück. Es gab ihr Zuversicht. Sie hatten danach die Leichen der Dunkelelfen und eine temporäre Behausung durchsucht. Neben kostbaren Waffen und Rüstungen, hatte Neire eine wertvolle Karte der Unterreiche und zwei schwarze Bücher gefunden. Bei einem der Bücher hatte es sich um das Zauberbuch Eclavdras gehandelt. Das andere Buch hatte Neire als Buch des Propheten Jiarliraes bezeichnet und in Ortnors altem Labor, hinter dem schwarzen Vorhang, verschwinden lassen. Danach waren sie aufgebrochen und hatten die restlichen Gänge erforscht, die diese Ebene offenbarte. Neire war vorgeschlichen und sie selbst war bei Bargh geblieben. Der junge Priester hatte sie dann in eine große unterirdische Halle geführt. Der schwarze Stein zeigte die längst vergangenen Spuren erkalteten Magmas. Neire hatte sie gewarnt, dass er aus der Höhle ein tiefes Atmen gehört hatte. Sie waren vorsichtig vorangegangen. Sie hatten sich versteckt hinter alten Säulen aus dunklen Felsmassen. Dann hatte auch Zussa das Atmen gehört. Vor ihr, inmitten eines Berges aus Gold-, Silber- und Kupferstücken sowie funkelnden Juwelen, lag ein uralter Drache. Seine Schuppen schimmerten in kupfernem Rot, wie natürlich erhellt durch das glitzernde Gold. Zussa hatte alsbald die zischelnde Stimme von Neire gehört. „Schaut genau hin, Zussa. Durchdringt das Trugbild, Bargh.“ Sie hatte für einen Moment ihre Augen geschlossenen, dann wieder geöffnet und nach Ungereimtheiten gesucht. Und tatsächlich war ihr aufgefallen, dass das Gold sich unter der Atembewegung des Drachen nicht verschob. Dann hatte sich das Trugbild aufgelöst, wie farbiger Nebel. Verblieben war ein riesenhafter Stier, der dort schlief. Das Wesen hatte einen massigen, muskulösen Körper. Zwei spitze Hörner thronten auf seinem schwarzen Haupt und es ging ein Schwefelgeruch von der Kreatur aus. Sie waren auf den Stier zugestürmt, der sich ihnen mit rot brennenden Augen zugewendet hatte. Silberner Nebel war aus dem Maul des Bullen gekommen. Doch Bargh hatte ihn mit mehreren feurigen Hieben Glimmringsherts zu Boden gesteckt. Dann hatte Neire, das Kind der Flamme, darauf hingewiesen, dass er weiterhin ein Atmen hörte. Und so standen sie nun hinter der illusionären Wand, vor dem Portal. Sie hatten ihre Gebete an Jiarlirae gewandt und um Beistand gefleht. Zussa spürte die Macht von Flamme und Düsternis, die ihr ein wenig Mut und Trost spendete. Vor ihr begann Bargh das Portal aufzudrücken. Langsam eröffnete sich ihr Blick in eine weitere große Höhle. Auch hier lag ein Berg von Schätzen. Doch sie erkannte sofort, dass die Anhäufung von Münzen, Truhen und funkelnden Edelsteinen keine Wahnvorstellung war. Eine gewaltige Kreatur hatte sich bereits aufgerichtet und starrte mit rötlich funkelnden Augen auf sie hinab. Der Körper des Wesens war von kupfern schimmernden Schuppen bedeckt. Silberne Metallstacheln bilden einen Kamm, der über das gesamte Rückrat lief. Der fast Heuwagen-große Kopf der Kreatur war von einer Krone rötlicher, spitzer Knochenauswüchse bedeckt. Rauch quoll aus den Nüstern des Drachens. Vor ihr trat der Drachentöter Jiarliraes dem Ungeheuer entgegen. Er trug die Klinge Glimringshert, die auch ihr Mut gab. So folgte Zussa Bargh und verlor Neire aus den Augen. Dann hörte sie die tiefe Stimme des Wesens. Der Drache bewegte sein Maul nicht. Es war ihr, als hörte sie die Worte direkt aus den tiefsten Eingeweiden der Kreatur sprechen. „Da seid ihr und ihr bringt mir Schätze. Zeigt sie mir. Zeigt mir eure Schätze.“ Die Worte donnerten hinab und brachten ihre Knie zum Zittern. Danach herrschte einen Moment Stille, bevor Bargh mit fester Stimme antwortete. „König Isenbuk schickt uns mit Schätzen. Ihr habt nicht umsonst gewartet, mächtiger Braugmal.“ Der Drache machte ein Zischen, als er seinen Kopf ruckhaft ein Stück hinab bewegte. „Was wisst ihr schon Sterbliche. Ich habe nicht gewartet und Isenbuk ist nichts. Zeigt mir meine Schätze und wisset, ihr stehlet meine Zeit.“ Vor ihr sah Zussa Bargh seinen Kopf vor der Kreatur beugen, dann sprach er wieder. „Ich habe dieses Schwert großer Braugmal. Es ist heilig und älter als diese Welt. Sein Name ist Glimringshert, das brennende Herz der Düsternis. Das Schwert und sein Träger dienen Jiarlirae, der größten unter allen Göttern. Sagt mir, großer Braugmal. Dient ihr ihr? Dient ihr Jiarlirae?“ Jetzt zuckte der Kopf hinab und starrte Bargh aus nächster Nähe mit großen Augen an. „Haltet mich nicht für dumm. Ich diene niemandem. Nicht Isenbuk und nicht irgendwelchen Göttern. Ich bin Braugmal, der Große, der seine Schätze haben will. Gebt sie mir oder werdet verschlungen.“ Zussa wollte hinfortlaufen. Sie versteckte sich hinter Bargh. Dann hörte sie wieder die Stimme des Antipaladins. „Glimringshert trägt die Geheimnisse aus dem Jenseits der Sterne. Dient ihr nicht der höchsten Göttin, so wird es den Tod für euch bringen.“ Barghs Worte schwollen zu einem Schreien, als er ausholte. Doch die Kreatur war schneller. Ihr Kopf zuckte zurück und bevor Bargh angreifen konnte, beschwor sie ihren todbringenden Atem. Eine Walze von Feuer brach über sie hinein. Bargh duckte sich hinter das Schild; sie sah nur Umrisse von ihm. Sie selbst sprang zurück und klammerte sich hinter einen der geöffneten Portalflügel. Die Explosion brachte ihre Ohren zum fiepen. Sie vernahm den Geruch von verbranntem Fleisch - ihres Fleisches. Dann sah sie Bargh vorwärtsstürmen. Durch die Flammen hinweg und auf Braugmal zu. Sein Schwert drang tief in Braugmals Körper. Dreimal schlug Bargh auf die Brust des Wesens und dreimal versank sein Schwert. Als sich vier Geschosse von Magmaschatten in die Wunden senkten und Braugmals Fleisch zerfetzen, blickte der Drache in Ungläubigkeit an sich hinab. Jetzt wagte sich Zussa aus ihrer Deckung. Sie riss den Wurzelstecken mit dem Kristall hoch und beschwor den Strahl aus tanzenden bläulichen Flammen. Der Blitzstrahl durchschlug die offene Wunde in Braugmals Brust und sein Herz explodierte. Eine Blutfontaine regnete über sie hinab. Vor ihr brach der Körper der alten, ehrwürdigen Kreatur zusammen. Letzte Zuckungen fuhren durch den Leib, als sein fast unsterblicher Geist sich an sein Fleisch klammerte. Zussa lief nach vorne und frohlockte. Sie achtete nicht auf ihre Brandwunden. „Bargh, ein weiterer… ein weiterer Drache. Ihr habt ihn getötet. Wir haben ihn getötet.“ In einem irren Lachen tanzte Zussa im Regen von Blut. „Er wollte Jiarlirae nicht dienen. Dann sprach Glimringshert mit ihm und zeigte ihm wahre Macht.“ Bargh Antwort klang grimmig und er wollte noch nicht recht mit ihr tanzen und singen. Also nahm Zussa ihn an der Hand und zerrte ihn zum Leichnam. „Kommt Bargh kommt. Wir wollen feiern und tanzen. Kommt Neire. Ich will heute meine Maske vollenden und es sollen die roten Schuppen von Braugmal sein. Ich werde ihn als meine zweite Gesichtshaut tragen.“ Jetzt war auch Neire herangetreten, den sie vor Angst noch etwas zittern sah. Doch schon bald tanzten sie auf dem Leichnam Braugmals. Zussas Traum wurde rot, als sie im Blut badeten. Sie sah Neire wie verrückt einen Zahn nach dem anderen ausreißen. Immer wieder lobte der Jüngling die alten Zauber, die er mit Hilfe eines Zahnes wirken würde. Bargh half ihr den Drachen zu häuten. Schuppe um Schuppe schnitten sie ab. Längst reichte es für Zussas Maske. Doch Bargh war nicht zu aufzuhalten. So ging er, der Tanz auf dem toten Leib. Das Fleisch Braugmals war noch warm, als ob tief in seinem Inneren ein Feuer schwelte. Sie tanzten und tranken Wein. Sie wühlten sich durch goldene Schätze. Sie warfen sich alte schimmernde Pokale, Edelsteine und Figuren zu. Zussa probierte das Blut der Kreatur, doch sie begann augenblicklich zu würgen. Ihre Kleidungen waren nass vom roten Lebenssaft und ihre Gesichter besudelt. Zussa trank und feierte. Dann legte sie sich in das Loch von geöffnetem Fleisch, das sie dort geschlagen hatten. Sie glaubte den Geist von Braugmal zu spüren, als sie einschlief. Er rief nach ihr. Er war gekommen um Glimringshert zu huldigen. Es war das brennende Herz der Düsternis, das der alte Drache neidete.

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„Es freut mich, dass ihr meine Sprache sprecht, Neire.“ Die hässliche Königin der Feuerriesen beugte sich zu Neire hinab und lächelte ihn an. Um sie herum war das Flackern der Gasfackeln. Die Halle beherbergte die zusammengepferchten Feuerriesen und ihren Nachwuchs. Heranwachsende waren wie Säuglinge zu sehen. Die Luft war angereichert von Körpergeruch und von Ausdünstungen. Drei Riesinnen sorgten sich um die Zubereitung einer Suppe. Drei weitere kümmerten sich um die Säuglinge. Nachdem sie den Hort von Braugmal geplündert hatten, hatten sie in einem der unterirdischen Seen gebadet und waren danach zu den Feuerriesen zurückgekehrt. Das Wasser der Seen war warm gewesen und hatte nach Schwefel gerochen. Jetzt war Neires jugendliches Gesicht frei von Blut, Asche und Schmutz. Seine Haare schimmerten gold-blond im Fackellicht. Hulda beugte sich zu ihm hinab, als sie sprachen. Die kleinen Augen ihres rattenförmigen Gesichtes blickten verschlagen und intelligent. „Ich habe eure Sprache gelernt. Lange habe ich euren Worten gelauscht. Eure Sprache ist eine schöne Sprache, Königin.“ Hulda lächelte ihn an und zeigte ihre faulen Zähne. Ihre verfilzten rotblonden Haare hingen fast bis auf ihn hinab und die Warzen ihrer aschgrauen Haut warfen Schatten in ihrem Gesicht. „Ja, unsere Sprache ist schön und direkt. So viel leichter als die Sprache der Menschen. Da gibt es so viele unsinnige Wörter.“ Neire nickte und seine Miene wurde ernst. „Königin Hulda, wir haben einige Dinge zu besprechen. Sagt mir, als engste Freundin, was ist euer tiefstes Begehr? Wonach strebet ihr mit all eurem Herzen?“ „Eine schwierige Frage, Neire. Doch einem solch guten Freund will und kann ich nichts verheimlichen. Ich möchte meinem Volk dienen, als Königin. Ich will es führen, doch ich brauche einen König. Er muss stark sein. Stark und schön. Wie Isenbuk. Stark war er, Isenbuk und einst auch schön, bevor er fett wurde. Mein König sollte auch nicht zu schlau sein. Er muss nicht verstehen, wie ich mein Volk führe. Er muss nicht viele Fragen stellen. Er muss kämpfen und Ruhm erringen. So wird mein Volk stark. So werden wir unsere Feinde zertreten und zerquetschen. Sie sollen alle vor uns zittern in Furcht.“ Neire nickte, als er den Worten der Königin lauschte. Dann wählte er die Worte seiner Antwort sorgfältig. „Wir müssen diesen Ort verlassen, meine Königin. Nach dem Tod von König Isenbuk ist dieser Ort verflucht. Wir werden reisen, einen langen und beschwerlichen Weg. Doch ich kann euch eine glorreiche Zukunft versprechen. Wir werden nach einem neuen König suchen.“ Neire zeigte auf den Feldwebel mit der zerstörten Nase, dessen Name Fuldir war. „Was ist ihm, Fuldir? Könnte er nicht euer neuer König sein?“ Königin Hulda schaute zuerst hinüber zu Fuldir, dann kopfschüttelnd wieder zu Neire. „Nein… oh nein. Er ist zu schwach und er ist hässlich. Viel zu hässlich.“ Neire nickte und musste sich ein Lächeln verkneifen. Dann blickte er wieder hinauf zur hageren Gestalt, deren mageren Brüste obszön auf Bauchhöhe baumelten. „Wir werden einen König für euch finden Hulda. Doch ihr müsst mir eines versprechen. Ihr müsst Jiarlirae, der Göttin von Feuer und Düsternis dienen. Mit all eurem Herzen.“ Königin Huldas Miene verzog sich fragend. „Ji…ar…li…rae. Ist die Göttin stark? Nicht so schwach wie Ghaunadaur?“ „Jiarlirae ist stark, Königin Hulda. Sie ist die mächtigste unter allen und sie ist mehr als das.“ „Dann werde ich ihr dienen. Ihr seid der Prophet der Göttin und ihr seid der wertvollste Freund, den ich jemals hatte, Neire.“

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Sie brauchten fast zwei Tage für die Vorbereitungen. Königin Hulda stellte sich als große und intelligente Führerin ihres Volkes heraus. Sie gab Anweisungen, die ihre Untergebenen in organisierter Weise ausführten. Selbst die Kleinsten unter den Riesen schufteten und rackerten, ohne zu murren. Sie plünderten die alte Behausung von König Isenbuk. Sie bewaffneten die Riesen, auch die Frauen und die Kinder. Sie nahmen die kostbarsten Rüstungen, Waffen und Schilde an sich und trugen, was sie mitnehmen konnten. Dann machten sie sich auf den Weg durch das feurige Gebirge, das man den Höllenkessel nannte. Ein Tross von fünf Schritt großen Kreaturen, die riesige Säcke schleppten. Vier Tage wanderten sie. Vier Tage durchquerten sie eine Landschaft, die von Felsen, Gipfeln und Feuern war. Eine heiße Landschaft, nach der jetzt der Winter griff. Dann erreichten sie im dichten Schneegestöber die einsamen Höhlen. Dort hatte Königin Hulda weitere Frauen und Kinder vor dem Krieg versteckt. Drei Krieger der Feuerriesen wachten über sie. Königin Hulda gab ihnen Anweisungen. Dann packten auch sie ihre Sachen und reihten sich dem Tross ein. Doch ihr Weg führte sie wieder zurück in König Isenbuks unterirdisches Schloss. Nach vier weiteren Tagen durchquerten sie die verlassenen Hallen und stiegen hinab. Sie schritten durch die Höhle des Magmaflusses und da lag er. Der Tunnel, der sie durch das Unterreich führen sollte. Neire fürchtete nicht den Weg, noch die Gefahren. Er war im Unterreich aufgewachsen, hatte die Karte der Dunkelelfen erbeutet und er genoss die Dunkelheit. Er hatte Zussa und Bargh auf seiner Seite. Mit ihm waren mehr als ein Dutzend Feuerkäfer, drei Eier der Feuerechsen und die Feuerriesen: Acht Krieger, sechs Jugendliche, 17 Frauen, 13 Kinder, sechs Säuglinge und eine Königin. Sie alle waren vom Volke Königin Huldas. Stolze Riesen des ewigen Feuers. Doch Neire wusste, dass das nicht genug war, um den Gefahren dieser Welt zu trotzen. Er aber hatte Jiarlirae, seine Göttin und mit ihnen war Flamme und Düsternis.

Jenseher:
Höhlen, Höhlen, nichts als Höhlen und Dunkelheit, spukte es in Halbohrs Geist. Der Berg selbst schien auf seinen Verstand zu drücken. Doch er musste seine Planungen und Vorbereitungen durchführen. Hier, nahe dem Herz aus Ne’ilurum, das mit dem dunklen Auge die Pforte zur Ebene des Wahnsinns behütete. Er war seit einiger Zeit nicht mehr allein. Die Herrin des Feuers und der Schatten hatte ihm ihre Dienerschaft geschickt. Von den Tiefen des Abgrundes über die Höhlen des heulenden Wahnsinns waren sie dem Ruf ihrer Herrin gefolgt und hatten den beschwerlichen und gefährlichen Weg durch die Ebenen gemeistert. Dort war Daera Düsterung. Die wunderschöne Dienerin Jiarliraes war in schwarze Seidengewänder gekleidet, die sich in starkem Kontrast von ihrer weißen Haut abzeichnete. Auf den freizügig gezeigten Stellen ihres Bauches und ihrer Arme waren okkulte Runen tätowiert. Sie hielt sich zwar etwas zurück, doch wenn sie in ihrem Singsang sprach, schien es, als ob die Zeit nur für ihre Stimme stehen bleiben würde. Dann war dort Mordin von Noresfyring. Ein großer Mann dem man seine adelige Abstammung ansehen konnte. Auch er hatte eine schneeweiße Haut, übersät mit Tätowierungen, die seine Lobpreisung Jiarliraes ausdrückten. Ein weißlicher Rauch und Hitze stiegen von ihm auf. Der dritte im Bunde war Lyrismar Schwefelschimmer. Dieser war noch größer als Mordin, doch fast seine gesamte Haut war bis zur Kohlenschwärze verbrannt. Nur wenige unverbrannte Stellen seines Körpers zeigten die einstige Blässe. Sein roter Umhang war gezeichnet von Runen des Chaos und gesäumt mit etwas, das wie silbernes, krauses Haar aussah. Stolz trug er an der Seite seine beiden Kurzschwerter, eines mit einem roten glühenden Rubin am Knauf und das andere mit knöchernem Griff. Der vierte der Dienerschaft war der schrecklichste. Sein riesenhafter Körper war umhüllt mit einer gleißenden Säule aus rötlichem Magmafeuer. Nur schwach konnte man die athletischen Konturen eines menschlichen Körpers ausmachen und wenn, dann schien es als ob aus seinem Gesicht eine grinsende Fratze eines Totenschädels blickte. Die Anhänger Jiarliraes stellten ihn als Elmenshyr vor; Seelenfeuer, in der gemeinen Zunge. Die anderen warnten Halbohr, er solle sich von ihm fernhalten. Sein Feuer brenne so heiß, dass es den Geist selbst verzehre und die Werdung zu einem willenlosen Feuersklaven einleite. So brütete Halbohr über Karten, Plänen und Zeichnungen im alten Tempel des Jensehers. Seine grünlichen Augen waren untermalt von schweren Ringen der Müdigkeit. Doch war auch sein gesamtes Gesicht gezeichnet von dem Pfad, den er eingeschlagen hatte. Bisher hatte seine linke Gesichtshälfte nur die Narben offenbart, die durch den Neid seiner alten Kameraden aus einem früheren Leben gezeugt wurden. Doch inzwischen war dort nur noch eine wilde Wucherung von Haut zu erkennen. Wie als wenn eine stetige Hitze sein Gesicht zu versengen schien. Der Brand wuchs langsam, aber beharrlich. Die Spitze seines Mundwinkels war schon etwas schief und auch sein milchiges, fast weißes Haar wuchs an der linken Seite nur noch sehr langsam. Er versuchte die Zeit gut zu nutzen, denn viel war passiert und weitere Dinge musste passieren. Die Zerstörung des Tempels des Gottes Laduguer blieb nicht ohne Folgen. Ohne Führung brach ein Völkerkampf in der Stadt Unterirrling aus und brachte einen neuen Anführer hervor, Runin‘ore‘Waere. Halbohr nutzte die Schwäche der Stadt aus, um die Macht des Tempels des Jensehers auszubauen. Und Runin‘ore‘Waere war nicht dumm. Vielleicht wusste er nicht genau welche Macht Halbohr um sich sammelte, doch zumindest ahnte er es. Er wollte Zeit gewinnen, die Wunden des Konfliktes der Stadt heilen lassen. Um sich mit Halbohr gut zu stellen, versprach er ihm zwei seiner Gefangenen, die dabei helfen sollten den Tempel wieder aufzubauen. So fanden Heergren Nuregrum und Granrig Hellengrub ihren Weg in das Herz des Berges. Heergren war ein stolzer Minenarbeiter, der einst vor seiner Familie davonlief, um ein berühmter Schmied zu werden. Granrig hingegen war Soldat und einst für eine kriegerische Karriere im Orden von Laduguer in Urrungfaust vorgesehen gewesen war. Er wäre es vermutlich immer noch, hätte es nicht einen Zwischenfall gegeben, der ihn seine Ehre gekostet hatte. Er hasste Runin und alles was mit Laduguer in Verbindung stand und behauptete, dass der einstige Zwischenfall fingiert gewesen wäre. Zusammen halfen die beiden Nachtzwerge die Überreste des fremdartigen Gewächses und den Unrat zu beseitigen, die sich angesammelt hatten. Aus den Teppichen der Düsterheitpilze ließe sich Gewinn schlagen, sagten sie, wenn man nur den Abbau kontrollieren würde. Auf diese Art könne Halbohr die Arbeiten am Tempel und den Ausbau für einen Tunnel nach draußen bezahlen. Schließlich sollten Feuer und Schatten sich nicht von Gestein aufhalten lassen, wenn sie sich über Euborea ergössen. Nach zehn Tagen kamen seine Gefährten Neire, Bargh und Zussa das erste Mal zurück, nachdem sie die Hallen des Nomrus überfallen hatten. Halbohr machte sich daraufhin auf den Weg die drei einohrigen Riesen und deren Diener abzuholen. Die erste Musterung einer Streitmacht, vor der die Reiche Euboreas noch erzittern würden und entweder ihr Haupt vor Jiarlirae beugen oder qualvoll untergehen würden. Die Reise dauerte einige Tage, doch bald schon kehrten er mit ihnen in die Irrlingsspitze ein. Die drei jungen Hügelriesen Kulde, Gulgra und Gruschuk, zusammen mit einer Vielzahl von orkischen Kriegern sowie einigen Frauen und Kindern, sollten eine gute Verstärkung und Schutz für den Tempel bilden können. Ihre persönlichen Befindlichkeiten scherten Halbohr wenig, auch die anrüchigen Anbahnungen zwischen Gulgra und Gruschuk interessierten ihn nicht. Sollten sie sich doch vermehren. Es würde weitere Truppen für Jiarlirae bedeuten. Wichtig war ihm nur, dass sie wieder zu Kräften kamen, hatten doch die Orks - als sie mit den Hügelriesen alleine in der Festung des Nomrus waren - ihre Rache für die Sklaverei an ihnen ausgelassen. Heergren und Granrig waren gute Diener. Sie hatten begonnen in einer Felsspalte die Anfänge eines Tunnels zu bauen. Sie stellten mit den Orks unter Halbohrs Anleitung Wachen und Patrouillen zusammen. Auch der Handel mit den Pilzen begann. Ein guter Außenposten sollte es werden. Mehr noch, der erste Schritt, um der Herrin von Feuer und Düsternis einen Teppich auszubreiten, der ihrer erneuten Ankunft in diese Welt würdig war. Und alle würden es erfahren: Er sollte nun Halbohr sein, der General. Jeder sollte seinen Namen kennen, ihn heimlich flüstern und ihn seinen Kindern erzählen, um sie zu erschrecken. Sein einstiger Wunsch aus der Ebene des kreischenden Wahnsinns würde in Erfüllung gehen.

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Ich fühle mich immer noch unwohl. Zwar war es nicht das erste Mal, dass mich Mächte über andere Welten zu einem anderen Ort bringen, aber ich traue diesen Mächten immer noch nicht. Wer weiß schon, was sie mit einem machen, irgendwo zwischen den Welten. Aber hier waren wir nun: Bargh, der alte, junge Streiter Jiarliraes mit seiner neuen schimmernden Rüstung, grimmig und stolz. Neire, ihr Prophet, mit seinen strahlenden blonden Locken und einem Lächeln, das schon manche in ihren Bann gezogen hatte. Und ich, Zussa, als Kind von ihren Feuern geküsst und ihre Dienerin, schon bevor ich es selbst wusste. Wir hatten eine lange Reise hinter uns, seit wir die Hallen König Isenbuks verließen. Doch wir hatten neue Diener Jiarliraes für den Tempel des Jensehers mitgebracht. Als Neire in die Halle mit dem dunklen Portal schritt, lief er lachend und strahlend auf Halbohr zu. Ich dachte schon er wollte ihn umarmen. Ich verstehe immer noch nicht, was er an Halbohr findet. Trotz seiner Beteuerungen: Halbohr war nie ein treuer Anhänger. Früher oder später würde man ihn entsorgen müssen, wie ein Spielzeug, das kaputtgegangen ist. Doch plötzlich erstarb das Lächeln in Neires Gesicht, als sein Blick auf die vier Diener Jiarliraes fiel. Auch ich starrte sie an, vor allem Elmenshyr. Neire verbeugte sich vor ihnen mit einer höfischen Geste. Mordin stellte seine Dienerschaft vor, doch Lyrismar hielt offenbar nichts von Höflichkeit und Respekt. Er fuhr uns an und bezeichnete uns als Kinder. Doch auch Bargh ließ dies nicht auf sich sitzen. Der ohnehin schon große Krieger schien noch etwas mehr zu wachsen und gebieterisch hallte seine Stimme durch die Halle: „Das ist Neire von Nebelheim, er ist ihr Prophet!“ Daera mischte sich ein und versuchte wohl die etwas aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Als ich ihre engelsgleiche Stimme hörte, klang sie wohltuend in meinem Kopf, fast wie ein Lied, dem man einfach nur lauschen möchte. Die Worte, die sie sprach, gerieten fast in den Hintergrund. Sie sagte, dass er sich zurückhalten und keine Spiele spielen sollte. Als Lyrismar brüllend mit seiner verkohlten Hand auf Daera zeigte, war es, als wenn ich aus einem kleinen Schlummer plötzlich aufgeschreckt wäre: „Ihr! Hütet eure Zunge, ihr seid hier nicht …!“ Das letzte Wort konnte ich nicht richtig verstehen, schien aber nichts Freundliches gewesen zu sein. Doch endlich beruhigten sich alle wieder und Halbohr konnte, so wie es seine Art ist, Langeweile verbreiten: Er betete stolz seine Liste von Planungen und Vorhaben herunter. Anscheinend hatte er mit Hilfe seiner beiden Lakaien die Leichen der Kreaturen, die schon lange hier in den Höhlen verrotteten, zerlegt, um damit diese merkwürdigen Pilze zu nähren und sie dann zu verkaufen. Als er auch noch von dem Wasserröhren erzählte, die er zum Wässern der Pilze aufbauen wollte, musste ich mich abwenden, bevor mir die Augen zufielen. Funkenträger war viel interessanter. Der Feuerkäfer, bestimmt der größte derer, die wir bei den Feuerriesen gefunden hatten, konnte inzwischen große und kleine Kreise fliegen. Ich hatte ihn während unserer Reise durch die Unterreiche trainiert. Ich habe gesehen, dass Neire und Bargh etwas mitleidig gelächelt haben, als ich ihnen Funkenträger einige Kunststücke vorführen ließ, aber das war mir egal. Er konnte schon die kleineren Käfer jagen. Bald, wenn ich ihn richtig füttere, wird er noch größer werden. Auch Neire wird sich bestimmt freuen, wenn ich es schaffe, Funkenträger beizubringen die Kleineren zu fangen und sie mit seinen Zangen in Stücke zu reißen. Ich lief Funkenträger durch die Höhlen hinterher. Er musste unbedingt noch schneller werden, sonst würden ihm einige der anderen nachher noch entwischen. So kam ich in die Höhle, die den großen Spalt in die Tiefe beinhaltete. Ich erinnerte mich an den Kampf mit der Spinnenkreatur, den wir einst hier gefochten hatten. Auch erinnerte ich mit Abscheu an Meeredite, die sich aus dieser Spalte gezogen hatte. Oder hatte sie es damals uns nur vorgespielt? Ich verwarf die Gedanken, denn ich hörte plötzlich aufgeregte Stimmen aus einer weiteren Höhle schallen. Einer von Halbohrs Nachtzwergen-Lakaien stürmte heran und war völlig außer Atem. Er stammelte, dass etwas in Unterirrling passiert sei. „Meister Halbohr“ nannte er den Elfen dabei. Pah, wenn er wüsste, welch feige und schwache Teufelswesen ihm bei seiner Meister-Werdung behilflich waren. Zusammen suchten wir Halbohr auf, dem der Nachtzwerg gehorsam berichtete. Runin’ore’Waere war wohl umgebracht worden und die Ältesten der Minenstadt Unterirrling versammelten sich gerade, um einen neuen Nachfolger zu bestimmen. Etwas blitzte ihn Halbohrs Augen auf. War es eine Möglichkeit, die er sah? Sicher, wir sollten Unterirrling an unserer Seite haben. Denn wenn einmal die Scharen unserer Herrin durch das dunkle Portal strömen, sollten sie sich nicht an den Nachtzwergen aufhalten, sondern sich laben an den Ländern des Lichtes. Wir brachen zügig auf, auch Lyrismar begleitete uns. Bargh versprach sich, dass es vielleicht Mord und Totschlag geben würde. Auch bei mir stellte sich ein schönes Gefühl von Aufregung ein. Keiner behelligte uns, als wir wieder in die Hallen Unterirrlings eintraten. Offenbar war Halbohr schon bekannt. Als wir schließlich in dem Tempel eintrafen, musste ich etwas grinsen, denn ich sah die Reste des zerstörten Steines. Ich konnte die Schreie der Seelen in mir hören, wie sie nach ihrer Freiheit schrien. Nein, ihr habt euch eure Freiheit noch nicht verdient und noch keine Vorstellung, welche Opfer ihr dafür noch bringen müsst. Ein Kreis von Duergar stand dort und wir hörten zwei alleinstehenden Nachtzwergen zu, die ihre Reden schwangen. Als wir eintraten ging ein Raunen durch die Runde. Gesichter drehten sich in unsere Richtung und einige erkannten Halbohr. Einer der Redner, ein jüngerer Duergar dem aber schon die Haare anfingen auszufallen, hielt inne als er Halbohr sah: „Was ist das?! Ein Elf, hier in den heiligen Hallen Laduguers? Was ist mit unseren alten Riten, dem Willen unserer Vorväter? Wie können wir es so einer Kreatur erlauben sich in unserer Mitte zu bewegen?“ Der andere, wesentlich größer und muskulöser, mit einer gewaltigen Schlachtenaxt an seiner Seite, widersprach: „Firin, in Unterirrling herrschen andere Sitten. Das ist Halbohr, aus dem Tempel des Jensehers. Ihr wisst, dass wir schon lange mit ihm Handel treiben. Außerdem… erinnert euch an das, was passiert ist, als damals der Tempel und seine Priester vernichtet wurden.“ Der andere, Firin’ore’Waere, offenbar der Sohn des ermordeten Runin, murmelte zwar etwas, doch sein Gesicht zeigte, dass er sich sehr wohl erinnerte. Halbohr trat vor. „Ihr kennt mich! Ihr wisst was damals passierte, was immer noch passieren kann. Ihr wisst aber auch, was Gutes passieren kann. Sorge ich nicht dafür, dass die Düsterheitpilze zu euch kommen? Sorge ich nicht dafür, dass ihr in den Höhlen Schutz erfahrt? Ihr verdient gutes Geld mit dem Verkauf von Nahrung, dem Handel mit dem Tempel des Jensehers. Doch erinnert euch an Waergo und daran, wer diesen schwachen Bewohner aus dem Oberreich aus eurer Stadt vertrieben hat!“ Ich war kurz davor aufzulachen. Halbohr hatte Waergo getötet? Halbohr hatte den Tempel zerstört? Halbohr läge schon längst in seinem Blut, wenn es nicht Bargh und mich geben würde. Aber ich ließ ihn reden, sollte er doch seine Ränke schmieden. Der Rivale von Firin, Germin Dunkeldorn wandte sich an die versammelte Runde. Er versprach ihnen Unabhängigkeit von Urrungfaust, von weniger Steuern und von irgendwelchen weiteren langweiligen Sachen. Bargh trat hervor und unterbreitete seinen Vorschlag: Sie sollten sich, so wie es in Fürstenbad Sitte war, ihr Recht um die Führerschaft in einen Zweikampf verdienen. Germin hob seine Axt, offenbar gefiel ihm der Vorschlag. Als er seine Herausforderung ausrief, erntete er die laute Zustimmung der anderen Duergar. Offenbar gab es auch bei den Nachtzwergen die alte Sitte eines ehrenvollen Zweikampfes auf Leben und Tod. Germin war sich seiner Sache sicher, Firin dagegen nicht. Offensichtlich der behütete Schössling des alten Herrschers, schritt er zu seiner Frau und gab ihr Anweisungen, falls es nicht zu seinen Gunsten ausfallen würde. Seine nachtzwergische Ehre gewährte ihm keinen anderen Ausweg. Die beiden traten sich gegenüber. Bargh hatte Germin, während Firin mit seiner Frau redete, eine mächtige Kriegsaxt gegeben, die er jetzt seinem Kontrahenten entgegenstreckte. Firin wiederum hob seine Kriegspicke und der Kampf begann. Mehrmals rammte die Axt Germins auf Firin, doch dieser war geschickter als man es denken würde und duckte sich unter mehreren Schlägen hinweg. Seine Picke rammte auf Germin. Die Waffe traf jedoch nur den Schild Germins. Ein weiterer Schlag Germins, doch diesmal war Firin nicht schnell genug. Die feine Schneide der Axt fand ihr Ziel und drang tief in den Hals ein. Blut strömte heraus und Firin sackte auf die Knie. Es sah aus, als ob er schon mit seinem Leben abgeschlossen hätte. Ein letzter Blick galt seiner Frau und den beiden Kindern, dann brachte die Axt Germins ihn auf die Reise in das ewige Feuer nach dem Leben. Germin hob seine blutige Axt über seinen Kopf und badete in den Heilsrufen der Anwesenden. Er versprach den Ältesten der Stadt, dass sie nicht mehr unter der Knechtschaft Urrungfausts stehen sollten und dass sowohl Runin als auch Firin’ore’Waere ein ehrenvolles Begräbnis bekommen würden. Zudem nahm er Runin’Ore’Waeres Familie unter seinen Schutz. Ebenso versprach Germin, dass der Mord an Runin aufgeklärt werde, wer es auch immer gewesen sein mochte. Nach einiger Zeit kehrte Ruhe ein und Germin führte uns zu dem Ort wo Runin den Tod fand. Es war die gleiche Kammer, wo wir Waergo gefunden hatten. Es war sein schwarz angemaltes Gemach mit dem weißen Bärenfell auf dem Boden. Von dem Körper Waergos war nichts mehr zu sehen, dafür hing in einem Sessel der leblose Körper eines älteren Duergars, auf dessen grauem Wams deutlich getrocknetes Blut zu sehen war. Germin sagte, der Raum sei bereits durchsucht worden, doch er bat Meister Halbohr um seine Unterstützung. Zum Glück für Meister Halbohr war ich und auch Lyrismar anwesend. Lyrismar war zwar mürrisch, doch er hatte offensichtlich Fähigkeiten die denen Halbohrs nicht nachstanden. Zusammen fanden sie an der Leiche Runins eine schmale Wunde, die durch seine ganze Brust drang. Eine schwärzliche Substanz war noch an den Rändern zu erkennen, Gift der Duergar, wie Lyrismar feststellte. Auch fanden wir an der Wand eine Stelle, wo eine eiserne Klappe einer in die Wand vermauerten Kiste verborgen war. Davor waren viele Spuren zu finden, jedoch ein besonderes Paar. Die Abdrückte waren größer als die von Nachtzwergen und es sah so aus wie eine Person, die versucht hatte besonders vorsichtig zu gehen. Das Schließfach in der Wand wurde wohl erst vor einigen Wochen dort eingesetzt. In der Klappe steckte die abgebrochene Spitze eines Schlüssels. Sie war jedoch nicht mit irgendwelchen Fallen gesichert, wenn man Halbohr Glauben schenken durfte. Lyrismar und Halbohr zogen den Schlüssel vorsichtig heraus. Dieser enthielt merkwürdige Einkerbungen, wie eine Art Signatur von demjenigen, der ihn angefertigt hatte. Nichts, was uns wirklich weiterhelfen würde. Auch der Inhalt der Kiste selber half nicht. Dort waren mehrere Säckchen mit Münzen und ein Brief, der sehr deutlich vermittelte, dass Runin sofort nach Urrungfaust aufbrechen sollte, unterzeichnet von einem Grauwegur Nebelritter. Nebelritter, das klang für mich, als ob irgendjemand sich mit den Rängen dieses lächerlichen Kultes um Laduguer schmücken würde, vermutlich um sich noch wichtiger zu machen. Ich verstand noch nicht warum wir diesen Kreaturen überhaupt dabei helfen sollten. Wen interessierte es, wer hier wen umgebracht hatte und warum. Sie werden ohnehin bald schon alle entweder dem Feuer und dem Schatten dienen oder durch die Hand Vocorax'ut'Lavia, dem Henker der letzten Einöde, zugrunde gehen. Germin tauchte wieder auf, an seiner Seite einen verschlafen aussehenden Duergar, Yrker Brallt. Es war die Wache, die es zuließ, dass der Führer von Unterirrling getötet werden konnte. Man konnte ihm die Schwäche ansehen als er stammelte, dass er nichts gesehen hatte und irgendetwas von Kopfschmerzen, wie nach dem gierigen Trinken von eiskaltem Wasser. Er log, das war offensichtlich und Bargh rief es ihm ins Gesicht, woraufhin er sich noch mehr wand. Kopfschmerzen sollten eine Wache doch nicht von ihrer Pflicht abhalten. Warum haben sie ihn nicht schon längst mit dem Tode bestraft? Halbohr untersuchte seinen Körper auf irgendwelche Spuren von Gift. Der Narr glaubte ihm anscheinend. Doch wie ich es erwartet hatte, fand er nichts. So blieben wir zurück mit mehr Fragen als Antworten, doch keiner von uns verlor unser eigentliches Ziel aus den Augen. Euborea würde vor uns erzittern. Entweder beugt es sich vor uns oder es wird verbrennen.

Jenseher:
Ich konnte es deutlich riechen. Das getrocknete Blut Runin’ore’Waere begann langsam zu stinken und vermischte sich mit dem öligen Geruch der Farbe dieser schwarzen Kammer. Zudem war da noch der Schweiß, der so alt roch, als ob der Stein selbst den Gestank von Generationen dieser Wichte in sich aufgenommen hätte. Ich kam mir vor, als hätten wir mit den Riesen die Plätze getauscht. Wir, das waren die fast zwei Schritt große verbrannte Gestalt von Lyrismar, der noch größere und gewaltigere Krieger Bargh, Halbohr mit seiner geschwollenen linken Gesichtshälfte - wo er den Kuss Jiarliraes empfangen durfte - und ich selbst. Immer wieder stieß sich Bargh an Türrahmen, an Stürzen oder an Schränken. Die Tiefenzwerge hatten ihre Tunnel und Hallen zwar in ausladender Geräumigkeit gebaut, für den übermenschlich-großen Antipaladin war es aber nicht genug.

Halbohr untersuchte gerade die nackte Gestalt der Wache. Ich verstand zwar nicht, was er sich dabei versprach, aber ich musste mich schütteln als ich den blassen und dicken Körper mit den blauen Venen sah, die sich wie ein Wurzelgeflechte unter der bleichen Haut entlangzogen. Germin Dunkeldorn, dank unserer Hilfe der neue Herrscher von Unterirrling, war wenigstens etwas größer und auch muskulöser. Aber, der Göttin sei Dank, war er zumindest bekleidet. Er interessierte sich für den Inhalt der von Halbohr geöffneten Klappe. Den Beutel mit den Münzen steckte er mit einer gewissen Genugtuung ein, aber auch der Brief weckte ein Interesse, vor allem der Name Grauwegur Nebelritter. Dieser war offenbar ein Ritter der persönlichen Garde des Königs von Urrungfaust und es gab insgesamt fünf von ihnen: Grauwegur Nebelritter, Grauwegur Grauzahnritter, Grauwegur Axtritter, Grauwegur Ascheritter und Grauwegur Felsritter. Germin erzählte eine kleine Geschichte, in der die Ritter von Urrungfaust als Helden verehrt wurden, nachdem sie in einem der Kriege mehrere Sippschaften der Dunkelelfen getötet hatten. Ich verstand nicht ganz und fragte Germin, was daran so besonders sei. Schließlich hatte ich auch die Sippe von Eclavdra ausgerottet - mit Neire und Bargh zusammen. Und Triel hatte bestimmt auch zu einer Sippe gehört. Aber wer weiß, wenn man mit seinem Kopf so nahe am Boden ist, muss man sich vielleicht auch mit kleineren Sachen zufriedengeben.

Lyrismar wollte wissen was der Brief zu bedeuten habe und Germin erklärte, dass Unterirrling Urrungfaust zu Abgaben verpflichtet sei. Runin war also dem König von Urrungfaust Tribut und Rechenschaft schuldig. Doch laut Germin zahlte Runin auch Steuern an den Tempel des Laduguer, da er damit wohl diesem armseligen Gotte huldigen wollte. Wir fragten Germin, welche Absichten er hätte. Er schien begriffen zu haben, wie schwach Laduguer war; der zerstörte Altar hätte eigentlich allen Nachzwergen in Unterirrling diese Erkenntnis bringen sollen. Aber Germin war auch feige. Er sagte, dass er die Priester nicht brauchen würde. Erst dann fiel ihm auf, dass der nackte Yrker Brallt uns noch zuhörte. Wie als ob er bei einem bösen Wort erwischt worden wäre, fuhr er die Wache an, dass sie bloß schnell vergessen solle, was er gerade gesagt habe. Die Priester von Laduguer waren vielleicht doch zahlreicher und einflussreicher als Germin es gerne hätte. Es klang, als ob Priester und König um die Macht in Urrungfaust stritten, wenn auch nicht öffentlich. Die Priester sahen sich wohl als Träger der Fackel der Ehre. Das Feuer dieser Fackel konnte jedoch nicht mehr sein als ein leichtes Glimmen, das kurz vor dem Erlöschen stand. Deswegen mussten sie ihre gelobten Tugenden wohl doch außer Acht lassen und feige Assassine beschäftigen. Zumindest berichtete uns Germin über die Priester von Glammringsfaust, dem Tempel des Laduguer in Urrungfaust.

Ich verstand noch nicht, warum Germin diese unfähige Wache nicht bestrafte. Als ich ihn fragte, ignorierte der kleine Wicht mich einfach. Ich weiß noch, wie ich bebte. Ich wollte diese Kreatur brennen sehen. Doch dann spürte ich die Hand von Lyrismar auf meiner Schulter. Ich zuckte kurz zusammen bei der Berührung des Anhängers Jiarliraes. Seine schwarz-verbrannte Haut fühlte sich merkwürdig an auf meiner Schulter. Wer weiß schon, welche Prüfungen er schon erfolgreich hinter sich gebracht hatte und welche Geheimnisse er in den Flammen erkennen konnte. Ich wollte ihm nicht widersprechen. Ich konnte es auch gar nicht, denn er sagte, dass ich vorsichtiger sein müsse. Er versprach mir auch die Geschichte zu erzählen, die hinter diesem Strang von silbern-krausen Haaren steckte, die seinen Umhang zierten. Sie fühlten sich so seltsam weich an in meinen Fingern; die Geschichte dahinter muss bestimmt interessant sein. Wenn ich ihm zuhöre… vielleicht schaffe ich es dann auch die Zeichen zu erkennen und zu deuten. Vielleicht kann ich dann auch IHRE Stimme besser hören, so wie Neire. Lyrismar warnte mich auch vor Daera. Man könne ihr nicht trauen und sie würde schon seit Jahrtausenden Männern und Frauen den Geist aussaugen. Ich glaubte ihm, war es mir doch schon aufgefallen, dass ihre Stimme einem den Verstand zu vernebeln vermag.

Unser weiterer Weg war jetzt klar. Wir würden einem der Händlerzüge nach Urrungfaust folgen. So verließen wir Unterirrling und betraten wieder die Höhlen, die weit unter die Irrlingspitze liefen. Anfangs folgten wir noch den Spuren der Mörder, die aus der Kammer von Runin und bis in die Tunnel der Handelsroute nach Urrungfaust führten. Schon bald fanden wir aber auch die deutlichen Spuren der Karren, die die Waren von und nach Urrungfaust transportierten. Wieder einmal durchquerten wir Tunnel und Höhlen in der Dunkelheit und wieder einmal war es, als ob die gigantischen Massen der Berge selbst auf meinen Kopf drückten. Schon als wir aus den Hallen der Feuerriesen hier entlangkamen, hatte ich dieses Gefühl. Ich frage mich, wie diese Nachtzwerge hier ihr Dasein fristen konnten. Vielleicht durfte man einfach nicht größer sein, dass man den Berg über sich nicht bemerkte. Ich lenkte mich ab indem ich mir vorstellte, wie diese Höhlen und Tunnel geflutet würden. Ich stellte mir flüssiges und brennendes Gestein vor, wie ich es bei den Feuerriesen gesehen hatte. Das half etwas und es fing sogar an ein bisschen an Spaß zu machen. Bargh ging neben mir, doch als ich ihm beschrieb wie schön es sein könnte, merkte ich, dass er eben doch ein Krieger ist. Er sagte, dass er sich eine Armee vorstellen würde, die Euborea verwüsten würde. Das war etwas langweilig. Auch die Standarte aus der Haut von Halbohr konnte er sich nicht richtig vorstellen. Dabei wäre es ein prächtiges Bild, wie Bargh, der Krieger des Feuers und der Schatten, der Drachentöter, die Haut Halbohrs als Banner hoch über seinem Kopf trägt und damit die Armee befehligt. So sollte der grimmige Elf doch seinen Ruhm haben. Halbohr bekam zum Glück nichts davon mit, da er sich lieber damit beschäftigte, die Spuren der Karawanen zu untersuchen.

Als wir eine Rast einlegten, beobachtete ich Lyrismar. Seine Art unserer Herrin zu huldigen war gleichzeitig schrecklich und wunderschön. Er rieb einen Stab aus schwarzem Metall mit einer Art Öl ein und setzte diesen dann in Flammen. Grünliches Feuer züngelte über dem Stahl und die Luft darum flimmerte leicht vor Hitze. Unter fremden Gebeten drückte er sich dann den brennenden Stab auf seine Brust – auf eine bleiche Hautstelle, die noch nicht zu schwarzer Kohle verbrannt war. Es zischte, als das heiße Metall sich in das Fleisch hinein brannte. Doch er hatte keine Schmerzen. Im Gegenteil, er schien es zu genießen, als sich der Stab durch seine Haut fraß. Glücklich lächelnd lehnte er sich zurück. Ich wollte ihn nicht stören, also fragte ich leise Bargh, ob er wissen würde was es damit auf sich hätte. Doch auch für Bargh war dies neu. Es war ein Ritual, doch war es für Lyrismar auch wie ein Rausch, der vielleicht von diesem Öl herrührte. Es war faszinierend. Ich fragte mich wie es sich anfühlen würde, ob es beim ersten Mal weh tut und man danach die Freuden genießen konnte. Oder sogar schon direkt beim ersten Mal? Vielleicht erklärt Lyrismar mir es ja.

Wir durchschritten die seltsamsten Höhlenlandschaften. Wir sahen glitzernde Tropfsteinzapfen, kleine Flüsse und schimmernde Riesenpilzwälder. Glühende Augen betrachteten uns aus der Dunkelheit. Nach einer weiteren Zeit, es müssen wohl einige Tage gewesen sein, holten wir einen der Händlerzüge ein. Sie passierten gerade eine größere Tropfsteinhöhle, wo bleiche Flechten ein schwaches Licht von sich gaben. Ein Wagen wurde von Kriegern geschützt, von denen einer auf einer dieser haarigen Riesentaranteln ritt. Die Krieger und auch ein weiterer Nachtzwerg, der einen Karren mit einigen Stangen aus Ne’Ilurum schob, trugen das Wappen der Stadtwache von Urrungfaust: Eine goldene Krone über einem ebenfalls goldenen Kreuz aus Hämmern. Als sie Halbohr sahen, ging wieder das Getuschel los. Selbst in Urrungfaust kannte man diesen Namen also schon. Hoffentlich steigt es Halbohr nicht zu Kopfe und er vergisst nicht wo sein Platz ist. Halbohr gab vor in Urrungfaust weitere Handelsmöglichkeiten zu suchen. Ob sie ihm glaubten konnte ich nicht sagen, auf jeden Fall waren sie vorsichtiger als jene in Unterirrling. Jedoch waren sie auch nicht besonders feindselig. Ich könnte mir vorstellen, dass Bargh und bestimmt auch Lyrismar einem Kampf nicht abgeneigt wären, nach den langen Tagen des Wartens und des Marschierens. Doch beide waren auch keine Dummköpfe. Hätten wir die Nachtzwerge hier erschlagen, wäre unser Weg nach Urrungfaust bestimmt nicht einfacher. Der Anführer der Karawane empfahl uns den Klingenmarkt, doch sie schienen auch kein großes Interesse an weiteren Unterhaltungen zu haben. So ließen wir sie hinter uns und folgten weiter den deutlichen Spuren, die uns immer tiefer unter die Erde führten.

Nach einem weiteren Reisetag änderten sich die Höhlen etwas. Mehrere Tunnel stießen aus den verschiedensten Richtungen zusammen und vereinigten sich zu einer richtigen Straße. Wir rochen auch etwas Anderes. War es vorher der Geruch von nassem Stein, so mischte sich jetzt der Gestank von Unrat, Fäkalien und auch Verwesung darunter. Diese Höhlen wurden anscheinend von Händlern und Sklaven stärker genutzt, die hier ihre Hinterlassenschaften verteilt hatten. Aus den verschiedenen Tunneln sahen wir Händler mit ihren Waren kommen. Ein schwer beladener Lastenkarren wurde von humanoiden Sklavenkreaturen gezogen, die mit den Peitschenhieben des Händlers weitergetrieben wurden. Der Geruch würde noch übler, er biss mich richtig in der Nase. Vor uns konnten wir einen Lichtschimmer erkennen. Ich hatte erwartet hinter der nächsten Öffnung eine weitere kleinere Höhle zu sehen, vielleicht mit einem Lager. Doch als der Tunnel sich öffnete, war ich atemlos. Atemlos wegen dem, was ich dort sah, aber auch atemlos wegen des Gestanks, der mir die Luft aus den Lungen trieb.

Vor uns lag eine wahrhaftig gigantische Höhle. Aus dem dunklen Wasser eines ruhigen Sees erhob sich inmitten der Höhle ein kleiner Berg an dessen Hängen unzählige Gebäude standen. Die Spitze des Berges zierte eine riesige Festung. Überall aus den Gebäuden und auch aus dem Stein selbst quollen schwere fettige Schwaden hervor und legten einen Schleier aus giftiger Luft über die Stadt und über den See. Über den Dächern der Gebäude brannten orange-rote Dunkelfeuer und gewaltige Purpurne über der Festung in der Mitte. Der Dunst trug das Licht weiter und verteilte es, auf dass schließlich die gesamte Höhle gespenstisch leuchtete. Ich konnte ein Husten nicht unterdrücken, doch sah ich auch, dass die Duergar, von denen immer mehr in diese Höhle traten, blutigen Schleim aus ihren Lungen husteten. Etliche trugen widerliche Geschwüre. Sie alle strömten zu einer breiten Brücke, die von unserem Ufer über den See in die Stadt hineinführte. Die Kanten der Brücke waren gespickt mit den grimmigen Bildnissen der Duergar, vielleicht alte Könige oder bekannte Krieger. Dort, wo die Brücke in die Stadt traf, führte sie unter einem großen Torbogen hindurch, schwer bewacht mit Türmen und Kriegern, die das Wappen der Stadt trugen. Der widerliche Rauch hüllte uns ein, als wir uns im Strom der Händler über die Brücke bewegten. Das Beißen in meinem Hals und meiner Lunge wurde schlimmer. Es war, als ob die schwarzen Fluten des Sees ihren ätzenden Hauch ausspien. Hier und dort konnte ich Blasen auf dem dunklen Wasser sehen, mit denen giftiger Rauch aufstieg. Lyrismar schien wie berauscht zu sein, von der Stadt und ihren Lichtern. Vielleicht wirkte sein brennendes Öl noch in seinem Körper. Er starrte die Lichter und die Duergar an. Als wir kurz vor dem Bogen waren trat aus den Türmen ein kleiner Trupp Soldaten heraus. Der Anführer der Gruppe, der eine große silberne Kette mit einem eingefassten Rubin trug, starrte Halbohr an, als ob er sich nur mühsam zurück halten könne ihm nicht direkt hier und jetzt den Schädel einzuschlagen. „Meister Halbohr! Ihr seid weit weg von eurem Zuhause. Ihr seht aus, als ob ihr wieder zurückkehren wolltet, in euren Tempel des Jensehers. Dort gehört ihr hin“. Der Soldat neben ihm, der ihn mit Geisteswerker Horund ansprach, wurde mit einem harschen Zischen zum Schweigen gebracht. Auch hier erzählte Halbohr seine Mär, dass er handeln wolle und auch hier glaubte man ihm. Wobei der Geisteswerker Horund ihm noch die drohenden Worte zum Abschied sagte: „Gehet und wisset, die grauen Augen Laduguers sind überall. Die Steine betrachten euch.“ Ich konnte sehen wie es in Bargh arbeitete. Es fehlte nicht viel und der Krieger würde die Schattenklinge Jiarliraes ziehen und Laduguer selbst die Augen ausstechen. Doch auch hier konnte er sich zurückhalten.

So tauchten wir ein in den nebelhaften Gestank Urrungfausts. Der Qualm der Essen, Werkstätten und Öfen biss in unsere Augen und Lungen. Überall begegneten uns hustende Duergar. Selbst die Kinder, die mit ihren Holzschwertern alte Schlachten nachspielten, spuckten Blut zwischen ihren Rufen. Ihre Spiele sahen für mich sehr interessant aus - nicht so einfältig, wie die der Sprösslinge der Riesen. Der Ort wirkte trist und trostlos. Überall der schwere Qualm. Alle Häuser waren grau in grau. Bollwerke aus gerader Steinarchitektur. Keine Bäume, keine Statuen, keine Brunnen, einfach nur Haus an Haus und dazwischen die Werkstätten. Etliche der Werkstätten produzierten ölige und ätzende Abwässer, die ihren Weg durch die Gossen in den großen See fanden. Lyrismar trennte sich von uns und wollte nach einer Bleibe schauen, während Halbohr und Bargh einen kleineren Markt ansteuerten. Wir blieben also auf der breiten Straße, die sich in Serpentinen in Richtung der Zitadelle hinaufschlängelte. Zielstrebig fand Bargh einen Stand, an dem ein dicker Nachtzwerg mit einer knolligen roten Nase irgendein Gebräu namens Dunkelbraan anpries. Halbohr bestellte sich direkt einen Humpen, doch der Tölpel hatte nicht mal an Bargh und mich gedacht. Bargh musste ihn erst noch daran erinnern und auch dann meinte Halbohr es wäre lustig, wenn er mich als Kind darstellte und mir nur einen halben Humpen geben würde. Halbohr redete zwar in der hässlichen Sprache dieser Kreaturen, doch wie so oft zeigte es sich, dass Halbohr einfach nur dumm war. Er dachte, ich könnte nichts davon verstehen. Ich konnte mir aber sehr wohl die ersten Brocken der Sprache bereits im Tempel des Jensehers aneignen und diese über die Zeit verfeinern. Halbohr würde es schon früh genug erfahren, dass er mich nicht unterschätzen sollte. Jetzt lachte auch der Bierhändler, rief mich einen kleinen Jungen. Ich stellte mir vor wie ich ihn lebend über den Feuern einer dieser Essen röstete, wie ich es mit den Kindern der Hügelriesen gemacht hatte. Die Schreie von ihm klangen wunderbar in meinem Kopf, doch plötzlich wurde ich aus meiner Träumerei gerissen. Ein Fischhändler, einige Schritte von uns entfernt, rief wie von Sinnen: „Haltet den Dieb!“. Ein kleineres und dürres Etwas lief mit einem stinkenden halben Fisch in der Hand davon. Ein hässlicher Kopf ragte aus einem ausgemergelten Körper empor, am Hals und an den Händen die Wunden von zu engen Ketten. Wenn ich mich richtig erinnere, wurden diese Kreaturen in alten Sagen als Goblins bezeichnet – auch wenn dieses Exemplar noch sehr jung war. Das Etwas war flink und schaffte es fast davon zu kommen, doch einer dieser Duergar stellte ihr ein Bein und das Etwas fiel der Länge nach zu Boden. Eine Duergar Frau platzierte ihren massigen Fuß auf den Körper. Das Etwas versuchte sich zwar zu winden, kam aber nicht davon. Die Gesetze hier waren offenbar sehr einfach: Stiehlt ein Sklave etwas, dann ist es das Recht der Bestohlenen den Sklaven zu töten. Das gefiel mir, keine Reden, keine Ausflüchte. Der Fischhändler zögerte noch, doch die Menge an Schaulustigen feuerte ihn an. Schließlich fällte er sein Urteil und nahm die ihm von einem Krieger bereitgestellte Axt. Mehre Hiebe brauchte der Fischhändler; er schwang die Kriegsaxt, als würde er Holz spalten. Das Etwas, dem Todesschrei nach vielleicht ein Goblin-Mädchen, zuckte noch einmal auf und blieb dann aber auf dem schmutzigen Boden liegen. Ich nahm noch einen Schluck des Dunkelbraan, das ziemlich kräftig war und warm die Kehle herabrann. Ich muss sagen, zu einem Teil bewunderte ich die Sitten dieser schmutzigen, missratenen Rasse. Die Menge verteilte sich wieder, offenbar nur eine kurze Ablenkung in dem sonst so tristen Alltag. Ich musste schmunzeln, als zwei Wachen den Fischhändler in seine Schranken wiesen. Die Worte „Ihr hattet euer Urteil und euren Spass, also beseitigt diesen Müll“, verstand ich sogar, als die beiden auf den toten Leib des Goblin-Mädchens zeigten.

Halbohr nutzte die Gelegenheit und schnippte ein Goldstück auf den Tresen des Bierstandes. Bier für jeden rief er und die Menge ließ sich das nicht zweimal sagen. Vorher waren die Blicke uns nicht wirklich freundlich gesonnen, doch der Gedanke an freiem Bier half offenbar. Während der Wirt seine Humpen an dem Fass füllte versuchte Halbohr ihm einige Informationen zu entlocken. Die Stadt Urrungfaust ragt aus dem See Arbolbaar auf und wird auch die „Stadt der Ehre und der harten Arbeit“ genannt. Nicht die Stadt der Spiele oder des Spaßes. Ich hoffte, dass wir diesen stinkenden Ort schnell wieder verlassen können. Die Festung, die imposant auf der Spitze des Berges thront, ist die Feste Blutsteinzitadelle. Sie ist der Sitz des Königs von Urrungfaust, Glanryk von Werunstein. Hinter der Festung erstreckt sich der Klingenmarkt wo man angeblich alles bekommen könne was man wolle; alles bis auf Duergarsklaven. Versuchte man diese zu handeln, würde man einen Kopf kürzer gemacht. Der Tempel von Laduguer, Glammringsfaust, ragt auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt aus den Fluten des Arbolbaar auf. Dieser Tempel habe seine eigenen Regeln - so sei es schon immer gewesen und so würde es auch immer sein - so die Worte des Bierhändlers. Ob diese Worte auch noch gesagt würden, wenn die Fluten Jiarliraes über Urrungfaust hinwegfegen?

Das ganze Gerede fing an mich zu ermüden, also nahm ich noch einige tiefe Schlücke des Dunkelbraan. Das wohlige warme Gefühl breitete sich nicht nur im Magen aus, sondern begann auch in meinen Kopf zu steigen. Die Lichter wirkten faszinierend, wie sie sich über den Dächern bewegten. Bewegten sie sich überhaupt? Als wir ankamen standen sie noch still. Ich hielt mich am Rande des Standes fest, um zu überprüfen ob sie tatsächlich angefangen hatten sich zu bewegen. Doch auch der Stand bewegte sich plötzlich von mir weg und mein Griff ging ins Leere. Ich glaubte Halbohr lachen zu hören, dennoch waren die Lichter für mich interessanter. Sie fingen an sich zu drehen, oder drehte ich mich? Vielleicht war das Dunkelbraan doch stärker als ich dachte.

Lyrismar fand schon bald wieder seinen Weg zu uns. Er hatte in einem Stadtteil namens Zehnminenstadt eines der wenigen Gasthäuser mit dem Namen Orunbrunn gefunden. In diesem Stadtteil gab es viele Schächte von Minen, die tief unter den Berg und unter die Stadt führten. Hier standen kaum Häuser, nur dunkle Stollen aus denen ätzender Dampf strömte. Giftig schimmernde, vielfarbige Rinnsale flossen aus den Minen und vereinigten sich zu einem richtigen Bach aus Säure und Unrat. Der Bach floss direkt unter dem Gasthaus entlang, wo zwei Gebäude durch eine Art Wohnbrücke miteinander verbunden waren. Kleine Tische und Stühle waren an den schwarzen, schlammigen Ufern aufgebaut. Der Nebel der Minen sickerte hier hinab und alles war von diesem dunklen öligen Schlamm überzogen. Selbst die Lichter der Dunkelfeuer drangen nur gedämpft durch den ätzenden Qualm. Vor dem Gasthaus saßen schon die Minenarbeiter mit rußgeschwärzten Gesichtern und tranken ihr Bier, während sie Eiter, Schleim und Blut in ihre Geschwüre husteten. Zwischen den Arbeitern huschten einige weibliche Gestalten, die mich direkt an das Volk von Ortnor erinnerten, jedoch machten sie eher einen bedrückten Eindruck.

Es sah so aus, als ob wir noch einige Tage oder Nächte in diesem Gestank ausharren müssten. Hoffentlich lohnt es sich. Ich muss dem Gespür von Neire und Bargh vertrauen, dass wir nicht nur irgendeinen totem Duergar hinterherrennen, sondern dass es auch für mich ein weiterer Schritt auf dem Pfad des Verstehens ist.

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