Autor Thema: [AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea  (Gelesen 24934 mal)

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Offline Jenseher

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Sitzung 49 - In die Dunkelheit
« Antwort #50 am: 14.01.2023 | 10:00 »
Das geisterhafte Licht des Linnerzährn schien durch die Fichten auf uns herab und warf seine langen und unheilvollen Schatten über die stinkenden Leiber der Riesen. Ich konnte auf meiner Haut die Macht spüren, die von dem Schimmer ausging. Überall prickelte es und es war nicht der Kampf und auch nicht die Nähe meines geheimnisvollen Verbündeten. Kein einziger Tierlaut war zu hören, nur das Rauschen des Flusses, der durch die Schneeschmelze immer mehr anschwoll. Zudem das ständige Grollen der Flammen, die fortlaufend aus den Gipfeln der Irrlingsspitze schossen und förmlich von dem Kometen aufgesogen wurden.

Wir folgten dem Weg weiter bergauf, während der Fluss neben uns langsam zu einem reißenden Strom angeschwollen war. Je weiter wir ihm folgten, desto tiefer wurden die Fluten. Selbst einige Bäume konnten dem Wasser nicht mehr standhalten und wurden, mitsamt ihren Wurzeln, einfach mitgerissen. Wahrscheinlich wäre es Selbstmord, wenn wir versuchen würden hinüber zu schwimmen. Wir mussten aber auf die andere Seite, wenn wir weiter in die Richtung der Irrlingsspitze gehen wollten.

Während wir nach einigen Stunden der Wanderung am Fluss eine Pause eingelegt hatten, schlich von hinten eine schwarz gekleidete Gestalt auf uns zu. Halbohr bekam es direkt mit der Angst zu tun und versteckte sich hinter einem Baum. Doch es war nur die Gestalt Atahrs. Offenbar hatte er es vorgezogen, uns alleine mit den Riesen fertig werden zu lassen. Hier, in dem Licht des Linnerzährns, sah seine schwarze Haut aus wie dunkler Stein. Für mich wirkte es, als wolle Atahr einen Spaziergang machen. Seine federnden Schritte und sein Wanderstock ließen ihn schon fast fröhlich wirken. Doch wenn man genau hinschaute, sah man auch in seinem Gesicht die Anspannung, die Wut und ich denke auch das Kribbeln, das wir alle spürten.
Nachdem das Gefühl des Kampfes abgeklungen war, wurde es wieder ersetzt durch das eintönige Wandern. Immer weiter ging bergauf. Doch es fühlte sich an, als ob wir der Irrlingsspitze keinen Schritt näherkommen würden. Die Nacht wurde immer tiefer, obwohl ich das gar nicht so genau sagen konnte, da das Licht der Linnerzährns alles in sein gelbes feuriges Licht tauchte. Bargh und Halbohr fingen schon an sich eine Lagerstätte zu suchen. Dabei hatte ich ihnen schon so oft gesagt, dass wir uns beeilen müssten. Vor allem wollte ich das Laufen endlich hinter mir haben; auch wenn meine Füße langsam zu schmerzen begannen. Aber anscheinend meinten sie es ernst und suchten sich einen Unterschlupf unter einem großen Felsen und einigen Wurzeln. Und alleine weitergehen wollte ich auch nicht.

Zum Glück hatte Bargh noch etwas von seinem Weinvorrat. Der Wein tat gut, wesentlich besser als das Bier in dem Gasthaus. Der Wein wärmte meinen Bauch und meinen Kopf. Trotz des in Flammen gehüllten Berggipfels war es immer noch bitterkalt. Bargh erzählte Atahr von einer alten Geschichte, die er erlebt hatte. Offenbar hatte er schon früher mit dem elfischen Volk mit der dunklen Haut zu tun. Aber seine Geschichte hörte sich so an, als wenn es keine schöne Begegnung gewesen wäre. Er nannte sie Dunkelelfen und anscheinend beten sie Spinnen an, wie widerlich! Auch Bargh war dies wohl zuwider, denn er begann ein Gebet zu seiner Göttin anzustimmen. Als er sein Schwert zog, aus dessen Klinge immer noch die Schatten zu bluten schienen, war es, als ob selbst das unwirkliche Licht des Linnerzährns etwas dunkler würde. Es war, als ob alles um ihn herum in leichte Schatten getaucht würde. Ich ertappte mich dabei wie ich ihn fasziniert anstarrte. Diesen Krieger mit all seinen Muskeln und seinen Narben. So stimmte ich ein in sein Gebet, obwohl ich die Worte nicht kannte und damals auch noch nicht verstand. Aber was mich wirklich wunderte war, dass mein Verbündeter, den ich sonst nur spürte, wenn ich ihn um Hilfe anflehte, irgendwie viel näher war als sonst.

Mit grübelnden Gedanken legte ich mich in meine Ecke dieses Loches und schlief direkt ein. Doch wieder störten unruhige Träume meinen Schlaf. Ich träumte, dass ich irgendwo im Dreck lag und tausende kleine Kreaturen über meinen Körper liefen. Ich war starr vor Angst und konnte mich nicht mehr bewegen. Die kleinen Kreaturen krabbeln über meine Arme und über meine Brust. Als ich spürte, wie die ersten über meine Augen liefen, schreckte ich hoch. Doch schien es diesmal kein Traum gewesen zu sein. Eine Schar von Ratten stürmte über unser Lager hinweg. Vielleicht wurden sie von dem reißenden Fluss, der in der Nacht noch weiter angeschwollen war, aufgeschreckt und retteten sich vor den Fluten. Wir lagen wohl im Weg. Ich ekelte mich vor den kleinen stinkenden Leibern und ihrem hohen und schrillen Quietschen. Wie ein unaufhaltsamer felliger Strom schwemmten sie über uns und verschwanden im ansteigenden Bergwald. Die Sonne war schon aufgegangen, also war es sinnlos sich nochmal hinzulegen. Eine weitere Nacht, die viel zu früh zu Ende gegangen war. Das kalte und karge Frühstück machte die Sache nicht besser. Also blieb uns nichts anderes übrig als weiter zu ziehen.

Der Fluss schien in der Nacht etwas von seinem Wasser in das Tal hinab getragen zu haben. Jedenfalls stand die Fireldra nicht mehr so hoch wie noch am Abend vorher. Vermutlich hatten wir den Höchststand verschlafen. Die Leute in Wiesenbrück werden sich wundern, wenn ihre Deiche brechen. Wenn die Wassermassen und die mitgerissenen Bäume diese bersten lassen. Für uns war es gut, denn immerhin konnten wir jetzt leichter über den Fluss auf die andere Seite wechseln. Der Fluss hatte sich eine felsige Schlucht gegraben und hier und dort lagen einige, vor langer Zeit umgestürzte, Bäume über den Felsen. Atahr war offenbar ziemlich geschickt. Er nutzte einen Baum um auf die andere Seite zu klettern und band ein Seil dort fest. Über das Seil sollten wir wohl leichter auf die andere Seite gelangen. Halbohr dagegen fehlte einiges an Geschick. Er rutsche auf einer nassen Stelle auf dem Moos aus und hing kopfüber an einem Ast. Obwohl er nur einige Schritt über den schäumenden Fluten baumelte, musste ich kichern. Der bullige elfische Söldner machte nämlich einen unvorteilhaften Eindruck, als er um sein Leben kämpfte. Auch Atahr tuschelte etwas zu Bargh und ich hörte ihr Lachen. Doch die rauschenden Fluten der engen Felsenschlucht schluckten jedes Wort. Schließlich schaffte es Halbohr aber auch auf die andere Seite und wir konnten endlich unsere Wanderung fortsetzen.

Unser Weg wurde langsam immer steiler. Je höher wir kamen, desto kälter wurde es. Der Schnee, der weiter unten schon geschmolzen war, lag hier noch dicht über dem Wege. Selbst das Feuer des Kometen schaffte es nicht diesen zu schmelzen. Langsam aber sicher kamen wir den Felsen der Irrlingsspitze immer näher; wir stapften mittlerweile durch tiefen Schnee. Die Bäume lichteten sich zudem. Als die Sonne am höchsten stand und ihr Licht sich mit dem Licht Linnerzährns mischte, konnten wir sehen, dass unser Weg an einer Felswand endete. Dort eröffnete sich ein großes Portal mit Flügeln, Bolzen und Scharnieren wie aus dunklem Glas. Das immerwährende tiefe Grollen der Flammen war hier lauter und inzwischen konnten wir die Feuer riechen. Welche Urgewalten mochten wohl oben an der Spitze herrschen?

Vorsichtig näherten wir uns dem gähnenden Loch in die Dunkelheit. Halbohr, sich wohl seiner Fertigkeiten der Schurkenzunft besinnend, zog sich seine Schneeschuhe an und schlich leise einige Schritte voraus. Er sah tief im Schnee eingegraben eine Hand irgendeines armen Teufels hervorstehen, der wohl im letzten Todeskrampf versucht hatte sich frei zu graben. Er legte die Hand frei und fand unter der Schneedecke die Leiber von zwei, vielleicht drei Menschen deren Fleisch schon längst zu Eis erstarrt war. Atahr und Halbohr schlichen jetzt beide weiter zur Öffnung des Portals. Links und rechts davon türmten sich Geröll und Steine, doch der Weg direkt vor der Öffnung war frei. Die Schneefläche lag glatt davor. Das Grollen des Feuers schien jetzt nicht mehr nur von oben zu kommen, sondern auch aus dem Innern, irgendwo tief in der Schwärze, die sich hinter dem Portal eröffnete. Oder war das nur ein Echo? Atahr fasste seinen Mut zusammen und ging einige Schritte in den Tunnel hinein. Halbohr wartete auf Bargh und mich, bis wir bei ihm waren. Als ich zum ersten Mal in den dunklen Tunnel hineinblickte, bekam ich es wieder mit der Angst zu tun. Ich ließ mir natürlich nichts anmerken. Ich wollte nicht das kleine Kind sein, um das sich alle kümmern müssen und dem niemand etwas zutraut. Also nahm ich meinen Mut zusammen und schritt hinter Halbohr und Bargh ebenfalls hinein. Wenn sich uns jemand in den Weg stellt wird er schon die Klinge von Bargh zu schmecken bekommen.

Ich konnte Atahr schon gar nicht mehr sehen, denn das Licht drang nur wenige Schritte vom Eingang herein. Bei diesem Gang hatten sich die Erbauer wohl richtig Mühe gegeben. Der Stein sah so aus, als ob er in feinster Arbeit aus dem Fels gehauen wurde. Ich sah Halbohr noch in dem schwachen Licht, wie er über den Boden kroch und die feinen Steinritzen mit seinen Fingern abtastete. Wieder musste ich leicht in mich hinein kichern. Verstand ich doch noch nicht, was Halbohr wieder vorhatte. Doch da hörte ich von weiter vorne, vermutlich war es Atahr, einen unterdrückten, kurzen Schmerzenslaut. Und nur einen Moment später erhob sich Halbohr und hielt seine Hände hoch. Ich selbst konnte zwar nichts sehen, in dem schwachen Licht, doch er flüsterte uns zu: Dass hier überall auf den Boden unsichtbare Stachel liegen würden. Vermutlich war Atahr genau in einen dieser Stachel hineingetreten.

Vorsichtig gingen wir weiter ins Ungewisse. Ich ließ mich von Bargh durch die Dunkelheit führen, während Halbohr den Boden für uns freiräumte. Nach einigen Schritten, ich kann mich gar nicht mehr erinnern wie viele, stockten wir. Unser Weg wurde vor uns versperrt. Von einer Mauer aus dunklen Steinen, die bis zur halben Höhe des Ganges gebaut wurde. Auf der Mauer, die bestimmt drei Schritt hoch war, ragten eiserne Speerspitzen nach oben, um die nochmal ein stacheliger Draht gewickelt war. Wenn wir weiterwollen, müssten wir hier hinüber.

Alles roch nach einer Falle, doch Atahr schien wieder seinen Mut beweisen zu wollen. Er kletterte als erster die Mauerstücke nach oben und zwischen den Speeren vorbei. Dahinter sah er, dass sich der Gang in eine breite und große Halle eröffnete und in der Mitte der Halle eine weitere dieser befestigten Mauern stand. Doch Atahr konnte nur für einen Sekundenbruchteil einen Blick erhaschen. Plötzlich tauchten hasserfüllte Augen aus dem Nichts der Dunkelheit auf. Vier gewaltige Kreaturen waren plötzlich vor Atahr. Auf der anderen Seite der Mauer. Die Gestalten waren so riesig, dass sie selbst diese große Mauer spielerisch überragten. Mit eingefallenen Gesichtern und spärlichen grauen Haaren bedeckt, blickten sie auf Atahr und uns hinab und erhoben lange Lanzen. Atahr war starr vor Schreck als die grau-blauen Augenpaare der Kreaturen auf ihn starrten. In einer hässlichen Sprache, die ich nicht verstand, schrien sie irgendetwas. Sie rammten ihre Lanzen auf Atahr und durchbohrten ihn. Immer noch von Dunkelheit umgeben konnte ich zwar nichts sehen, aber ich hörte die Schreie Atahrs. Ich konnte mir vorstellen, wie die gespaltenen Klingen der Lanzen durch sein Fleisch drangen.

Bargh schrie mich an, ich solle meinen Verbündeten anflehen und diese Kreaturen verbrennen. Doch wie? Ich stolperte im Dunkeln und musste mich an ihm festhalten um nicht gegen die Wände zu laufen. Er schrie mich weiter an und ich schrie zurück. Ich war wütend und wusste nicht warum. Es waren nicht die Kreaturen; es war nicht, weil Bargh mich anschrie. Es lag einfach an diesem Ort und ich war wütend auf alles und jeden. Doch dann schrie Bargh, ich solle eine Fackel aus seinem Rucksack entzünden. Diesmal wusste ich, dass ich wütend auf mich selbst war. Dass jemand wie Bargh mich an so etwas erinnern musste.

Ich nahm also die Fackel und entzündete sie. Meine Augen waren für einen Moment geblendet, doch dann sah ich sie auch, diese riesenhaften, ekelerregenden Kreaturen, uns alle überragend. Atahr lag inzwischen regungslos vor der Mauer. Zwar konnte ich jetzt sehen, aber hell wurde es in dem Tunnel immer noch nicht. Die Wände selbst schienen das Licht in sich zu schlucken, so dass von der Flamme der Fackel nur ein schwacher Schimmer übrigblieb.

Mein Zorn brannte in mir und so sollten auch die Kreaturen verbrennen. Ich rief zu meinem Verbündeten und er schenkte mir flammende Speere die ich auf die Kreaturen schleuderte. Bargh feuerte mit seiner Armbrust tödliche Bolzen. Seine Geschosse und meine Feuer fuhren in die Verteidiger hinein, zerfetzten ihre Kehlen und verbrannten ihr Fleisch. Als sie tot umfielen, passierte jedoch etwas Merkwürdiges. Die toten Kreaturen schienen zu schrumpfen. Was übrig blieb, war nur ein Bruchteil von dem, was eben noch uns töten wollte. Sie erinnerten mich eher an die Geschichten des stämmigen Volkes der Unterberge.

Die letzte der Kreaturen fiel in sich zusammen, als ein weiter Bolzen von Bargh sich durch ihr Auge bohrte. Halbohr schloss zu Atahr auf, der zwar tiefe Wunden trug, aber noch am Leben war. Wir kletterten über den Wall und es gab jetzt keinen Weg zurück. Es konnte keinen Weg zurückgeben. Halbohr ging wieder voraus und näherte sich dem zweiten Wall. Uns war allen klar, dass dies eine Falle war und tatsächlich, als Halbohr gerade auf den zweiten Wall hochklettern wollte, erschienen ein weiteres Mal, wie aus dem Nichts, mehr dieser riesenhaften Kreaturen. Diesmal waren wir jedoch vorbereitet. Zwar hieben sie ihre Lanzen tief in den Körper Halbohrs, der sich nicht rechtzeitig weg ducken konnte, doch Bargh und ich gewährten ihnen keine Gnade.

Ihre stinkenden Leiber schrumpften zusammen, wir ihre Kameraden zuvor. Dort lagen sie nun in ihrem Blut. Ihre bleiche Haut, durchsetzt von blauen Venen, ihre ausdruckslosen Augen und ihre grauen und weißen Haare. Ihr Aussehen machte auf mich den Eindruck, als hätten sie das unterirdische Reich nie verlassen. Ihre fauligen Zähne und der modrige Gestank nach Erde und Stein, ließen mich an die Wurzeln alter kranker Bäume denken. Doch keine Zeit für weitere Gedanken. Der Weg unter die Irrlingspitze, in die Innereien des Berges, schien frei zu sein. Dann aber hörte Halbohr mit seinem guten Ohr leises Flüstern und Atmen. Gezischelte Töne der Sprache dieser Kreaturen. Wer konnte schon wissen, wie viele dort noch auf uns lauerten und welches Schicksal uns hier erwartete.

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Sitzung 50 - In die Tiefe
« Antwort #51 am: 21.01.2023 | 19:03 »
Gebannt starrten wir auf die flackernden Lichter, die meine Fackel über die Barrikaden warf. Das Spiel der Schatten, was die Speere und das Drahtgeflecht erzeugten, war gespenstisch anzusehen. Ich konnte dabei zuschauen, wie die dunklen Mauern dieser Halle das Licht in sich aufzusaugen schienen. Der Anblick ließ mich erschaudern. Trotz der Kälte trat mir der Schweiß auf die Stirn. Die vielen Male, bei denen ich die Hilfe meines Verbündeten erbeten hatte, kamen mit einem Preis. Meine Kräfte waren am Ende.

Um uns herum lagen die zusammengeschrumpften Leiber der getöteten Angreifer und verströmten einen Geruch des Moders verfaulter Höhlen. Die Leiber, die noch vor wenigen Momenten riesengroß erschienen und uns mit ihren Speeren aufspießen wollten, waren jetzt klein. Sie reichten selbst Halbohr nur noch bis zur Brust. Bargh und Halbohr begannen die blass-häutigen Kreaturen zu durchsuchen. Sie fanden ein kleines Amulett, das einen daumennagelgroßen Kristall in der Mitte hielt, der aussah wie eine Kriegspicke. Anscheinend kannte Bargh dieses Symbol und erzählte uns, dass es das Symbol von Laduguer war. Offenbar eine Gottheit dieser Kreaturen. Laduguer, so berichtete Bargh, stand für die absolute Gehorsamkeit eines Kriegers, als auch für den Hass gegen alle anderen Rassen. Nun, für uns wohl umso besser. Sollen sie sich doch in ihrem blinden Gehorsam allesamt in das Schwert von Bargh stoßen, dann könnten wir endlich weiterkommen. Ich dachte wieder kurz an die Worte von Halbohr, dass er Stimmen und Atmen gehört hatte. Wie lange wollten die beiden denn noch die stinkenden Kadaver durchsuchen? Wir müssen weiter, verstehen sie das denn nicht?

Doch auch ich erkannte, dass Halbohr noch schwer verwundet war von dem Stoß der Stangenwaffe und vermutlich einen weiteren Kampf nicht lange überleben würde. Auch Bargh bemerkte dies und bot an die Wunden mit Hilfe seiner Herrin schließen zu lassen. Im Gesicht Halbohrs arbeitete es, da er wohl nicht sonderlich darauf erpicht war, irgendwann einmal den Preis entrichten zu müssen, den diese Hilfe mit sich bringt. Ich hatte noch immer nicht verstanden, warum Halbohr sich darum so zierte. Wenn es ihm hilft und es ihm Vorteile bringt, warum sollte er nicht die Hilfe der Schwertherrscherin annehmen? Ich hatte sowohl bei Bargh und Neire gesehen, welche Macht sie einem offenbar gewährt. Aber Halbohr dachte pragmatisch: Wenn er die Hilfe nicht annähme, würde er sterben. Also willigte er ein und sprach zusammen mit Bargh ein Gebet auf Jiarlirae und pries ihre Dunkelheit und ihre Flammen. Halbohr musste seine Hand auf die Klinge Barghs legen und die Schatten, die aus dem Stahl bluteten, sahen so aus als würden sie direkt in das Fleisch Halbohrs eindringen. Ich glaubte kurz ein Zischen zu hören und Halbohr zuckte dabei auf. Doch seine Wunden begannen sich tatsächlich zu schließen. Als ein Blutstropfen von ihm auf den Boden fiel, sah es so aus, als würde dieser zu einer kleinen Schattenwolke verdampfen, als er den kalten Stein berührte. „Alles hat seinen Preis, auch eine elfische Seele“ waren Barghs Worte.

Ich betrachtete nachdenklich das Amulett der Kreaturen. Als ich damals von Zuhause geflohen bin, hätte ich nie gedacht, was für merkwürdige Geschöpfe ich kennenlernen sollte. Leise in Gedanken flüsterte ich den Namen: Laduguer…

Als ob meine Worte selbst das Unheil heraufbeschwören würden, hörte ich keuchende Geräusche von der zweiten Palisade. Riesige Rüstungen bewegten sich auf uns zu und ein ganzer Trupp der Kreaturen rückte in militärischer Manier näher. Einige schwangen ihre gigantischen Lanzenwaffen, andere abscheuliche Kriegspicken. In zwei Reihen versuchten sie Halbohr und Bargh in die Zange zu nehmen. Ich reckte den Kopf empor und blickte in die fahl-blassen Gesichter, die von bläulichen Venen durchzogen wurden. Panik überkam mich. Während Bargh und Halbohr sich den Gegnern stellten, versuchte ich aus dieser Halle zu fliehen. Ich sah die kalten, mordlustigen Augen mir folgen. Dann widmeten sich die Kreaturen wieder Bargh und Halbohr. Doch entweder durch die Kälte oder durch meine Erschöpfung konnten meine Finger keinen Halt an der Mauer finden. So blieb mir nur noch übrig mich in einer dunklen Ecke zu verstecken und auf das Beste zu hoffen.

Halbohr und Bargh kämpften tapfer. Die Klinge von Bargh spie nicht nur Schatten sondern auch Feuer in die geschlagenen Wunden. Den Kreaturen schien alleine der Anblick auf das Schwert Schmerzen zu bereiten. Und auch Halbohr schaffte es mit seinen Dolchen eine Schneise in die Pickenträger zu schlagen. Kreatur um Kreatur fiel zu Boden und auch diese schrumpften auf eine mitleidige Größe zusammen, als sie ihren letzten Hauch taten.

Schwer keuchend und aus tiefen Wunden blutend gelang es den beiden schließlich, auch die letzte dieser Abscheulichkeiten niederzustrecken. Halbohr wurde dabei besonders mitgenommen. Auch wenn es mir eigentlich egal war, glaubte ich nicht, dass er lange überleben würde. Doch sah ich auch in seinem Gesicht die Raserei auftauchen, die ich sonst eher bei Bargh bemerkt hatte.

Wir schleppten uns weiter durch die Hallen, wobei schleppen für mich zutraf. Jeder Schritt schien eine Meile lang zu sein und schmerzte bis in meinen Kopf hinein. Nach mehreren Gängen verließen wir schließlich diese gemauerten Hallen und gelangten in eine große, natürlich gewachsene Höhle. Das Licht meiner Fackel konnte nicht einmal die Decke erhellen. Einzig das Tropfen von Wasser aus der Entfernung ließ uns einen Eindruck erhaschen, wie weit diese Höhlen sich durch die Dunkelheit zogen. Vielleicht war dies eine Art Mine, denn ich erkannte Adern von verschiedenen Metallen und Kristallen im Stein. Unsere Füße bewegten sich auf nassem, moosigem Untergrund vorsichtig in die Höhle hinein. Einige Schritte voraus fanden wir eine steinerne Türe, die inmitten der Felswand eingelassen war. Vorsichtig und mit zitternden Händen untersuchte Halbohr die Türe und öffnete sie. Dahinter fand er einen kleinen gemauerten Raum, aus dem eine weitere Türe herauszuführen schien. Doch Halbohr traute dem Schein wohl nicht und das war auch gut so. Ein perfider Mechanismus war in die hintere Türe eingebaut, hinter der nur blanker Stein war. Offenbar wollten die Erbauer, dass man die zweite Türe öffnete. Dann hätte sich wohl der ganze Raum mit großen Steinblöcken verschlossen und wäre mit irgendetwas geflutet worden - auf dass man hier jämmerlich ertrank. Halbohr deaktivierte den Mechanismus und es schien so, als wenn wir hier etwas Ruhe finden konnten.

Ich ließ mich direkt an eine Wand dieses Raumes sinken. In meinem Kopf drehte sich alles und selbst die Augen taten mir weh. Halbohr und Bargh wollten noch einen großen Felsblock untersuchen. Sollten sie doch. Ich konnte und wollte keinen Schritt mehr machen. Es dauerte auch nicht lange und die beiden kamen wieder zurück. Offenbar hatten unter dem Felsblock noch die knöchernen Überreste einer Hand herausgeschaut. Sie hatten den Felsen zur Seite gerollt und fanden darunter das zerschmetterte Skelett einer humanoiden Gestalt eines Kriegers. Dieser hatte wohl erkannt, dass sein Tod nahte und seine letzten Gedanken auf Pergament geschrieben, welches unter den Knochen lag:

„Der JENSEHER hat den Quell seines Sehnens unter der Irrlingsspitze gefunden. Wenn sich einst das Tor in die Anderswelt öffnet, mag Niroth unreine Mächte beherrschen. Mächte, weit jenseits von schwarzer Kunst. Mächte, die den sterblichen Geist in die ewige Nacht treiben. Das Tor ist die Quelle seiner Macht; es reicht in ein fernes Reich hinter den Sternen – unverständlich für unseren Geist und wider jeden gesunden Verstand. Es gibt nur einen Weg: Niroth muss sterben und das Anderstor muss wieder seinem ursprünglichen Fokus zugeführt werden. Die Schlüssel sind die drei Kristallstücke, die wir einst aus den entlegensten Winkeln der Welt zusammenführten. Doch wir haben uns in IHM geirrt. Gnade unserer Seelen…"

Sie fanden auch einen Ring, auf dem der Name Adanrik in alten Runen eingraviert war. Ich erinnerte mich an die Geschichte, die Halbohr in den Ritzereien des alten Nußbaums in der Taverne gelesen hatte. Offenbar hatte sich die Gruppe, die 23 Jahren vor uns hier eindrang, zerstritten. Vielleicht hatte Niroth etwas gefunden was es wert war, sich seiner Kameraden zu entledigen.

Als die beiden wiederkamen und die Türe hinter sich verschlossen, war ich schon in einem halben Dämmerschlaf verfallen und auch Halbohr und Bargh konnte man ansehen, dass sie sich nach einer Rast sehnten. Ich hoffte diesmal endlich eine erholsame Ruhe zu finden, was mir wohl auch im ersten Moment beschert wurde. Doch als ich aufwachte und einige Stücke von den widerlichen eingetrockneten Pilzen aß, die Halbohr mir gab, fing plötzlich meine Hand an zu zittern. Mein Magen drehte sich und mit einem brennenden Würgen gab ich die paar Bissen wieder von mir. Auch Bargh verhielt sich komisch, sein Kopf zuckte immer zur Seite, doch schien er es nicht zu bemerken. Es war fast schon rührend, wie er sich um mich sorgte. Er glaubte, es würde mir helfen, wenn ich mit ihm zusammen zu seiner Herrin bete. Vielleicht mochte er dabei Recht haben, für den Moment dachte ich mir einfach nur, dass mich die Worte auf andere Gedanken bringen und meinen Magen etwas beruhigen können. So rammte er sein Schwert der Schatten und des Feuers in den Boden und zusammen sprachen wir seine heiligen Worte, die ich immer besser mit ihm sprechen konnte.

Halbohr hätte ruhig mit uns beten können, vielleicht hätte das auch seinen rastlosen Geist etwas beruhigt. Stattdessen brach er auf und erkundete die dunklen Höhlen, obwohl er immer noch viele offene Wunden an seinen Körper trug. Aber gut, soll er doch, wenn er hinterrücks überfallen wird, wissen wir wenigstens was auf uns wartet.

Halbohr verschwand in dem Netz von Tunneln, während Bargh und ich am Eingang unseres Unterschlupfes warteten. Es dauerte fast eine Ewigkeit, die ich damit verbrachte dem Atmen von Bargh zu lauschen und mir die Beine in den Bauch zu stehen. Dann tauchte Halbohr wieder aus der Dunkelheit auf. In seinem gegerbten Gesicht warf meine Fackel tiefe Schatten. Er erzählte uns kurz, dass sich vor uns ein weites Höhlensystem ausbreitete. In einer Kammer hatte er drei riesige Skelett-Kreaturen gesehen, in deren hohlem Brustkorb eine gleißende Flamme brannte. Er war klug genug sich von diesen fern zu halten. Auch fand er Verstecke der Vertreter des stämmigen Volkes, von wo aus sie uns erwartet hatten und uns überfallen konnten.

Und schon verschwand er wieder in der Dunkelheit und ließ uns erneut zurück. Diesmal wollten wir jedoch nicht mehr tatenlos herumstehen. Bargh zog mich an meinem Arm und zusammen folgten wir in die Richtung, in die Halbohr gegangen war. Was sich für Halbohr als glücklicher Zufall herausstellte. In der Ferne hörten wir plötzlich Kampfeslärm. Bargh stürmte voraus und fand Halbohr, wie er vor einer skeletthaften Gestalt zurückwich. Der Angreifer war gekleidet in alte, verstaubte Roben. Ein rötliches Glühen brannte in den leeren Augenhöhlen und die knöchernen Finger streckten sich nach Halbohr aus. Bargh trat der Gestalt entgegen und rammte sein Schwert in die Knochen. Mit nur zwei Hieben zerbarsten die alten Gebeine und fielen in den Staub der Höhle.

Doch auch jetzt wollte Halbohr nicht auf uns warten, sondern schlich erneut in die Dunkelheit hinein. Wieder dauerte es lange und wieder mussten wir wartend zurückbleiben. Bis dann, nach einer halben Ewigkeit, Bargh meinte etwas zu hören. Irgendwelche Geräusche, aber weiter weg, weshalb er nicht sicher war, was er dort hörte. Ich selbst konnte zwar nichts vernehmen, doch bei dem Gedanken was Halbohr in der Dunkelheit aufgeschreckt haben könnte, wurde es mir wieder mulmig im Magen. Bargh zog mich mit und schritt in die Richtung der Geräusche. Wir passierten einen kleinen Seitenarm. Kamen die Geräusche hierher? Ich war mir nicht sicher, aber Bargh erkundete den Tunnel. Die Luft hier schien plötzlich viel kälter zu werden und ich bekam eine Gänsehaut. Vor uns lag eine geöffnete Türe, aus der geisterhafte Nebel von kalter Luft herausströmten. War Halbohr schon hier und hatte die Türe geöffnet oder hatte etwas anderes sie geöffnet? Wir sahen dahinter einen kleinen Raum, in welchem an Wand und Decke Fresken eingearbeitet wurden. Diese Fresken zeigten ein Inferno von Knochengestalten, die offenbar in ihrem eigenen Fegefeuer verbrannten. In dem Raum standen vier Sarkophage, die jedoch allesamt zerschmettert waren. In gesamten Raum waberten dicke Schatten über den Boden.

Bargh wollte gerade auf diese Türe zu gehen, als wir hinter uns Halbohrs Befehl „Halt!“ hörten. Der Söldner trug einige neue Wunden. Offenbar hatte er wieder Bekanntschaft mit einigen Kreaturen gemacht. Doch sein Ruf kam im richtigen Moment. Gerade als Bargh seinen Fuß wieder zurückzog, öffnete sich der Boden unter ihm und offenbarte ein gähnendes Loch. Dort erwarteten ihn aufblitzende Spitzen von Stacheln oder Speeren. Doch es war bereits zu spät. Die Düsternis des Bodens verdichtete sich und heraus wuchsen vier Gestalten. Wabernde Schatten umwoben die Kreaturen wie Umhänge, doch glaubte ich dahinter Gestalten mit einer Ähnlichkeit zu Atahr zu erkennen. Auch diese merkwürdig schwarze Haut, aber völlig verfault und mit glühenden Augen in dem Schädel. Sie glitten über das Loch im Boden und griffen uns mit ihrem verfaulten Klauen an. Die Kälte, die von ihnen ausging, war fürchterlich, doch ließen Bargh und Halbohr sich davon nicht beeindrucken. Sie stürmten nach vorne und hackten durch ihre verfaulte Haut. Als die erste der Kreaturen zu Boden fiel, lösten sich die Schatten um sie herum auf. Was übrig blieb war ein stinkender Haufen von Knochen. Eine weite fiel und ich fand neuen Mut. Ich flehte meinen Verbündeten an und er schenkte mir flammende Pfeile die ich auf die Wesen schleuderte. Eine weitere und schließlich die letzte Kreatur verwandelte sich in Knochen. Langsam verschwand auch die Kälte.

Ab jetzt gingen wir zusammen, auch wenn es Halbohr vielleicht nicht gefallen würde. Aber wir konnten es uns nicht leisten. Wer weiß schon, was uns in den weiteren dunklen Tunneln noch alles erwarten würde.

Offline Jenseher

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Sitzung 51 - Die Minenstadt
« Antwort #52 am: 28.01.2023 | 13:15 »
Immer noch fühlte ich die Kälte dieses Mausoleums, wie sie mir die Haare zu Berge stehen ließ. Vielleicht waren es aber auch die Bilder an den Wänden der kleinen Kammer. Die Bilder des Infernos, das dort durchaus sehr detailliert dargestellt wurde. Halbohr suchte gerade seine Dolche aus den Knochenhaufen zusammen. Als er sich bückte verzog sich sein Gesicht zu einer schmerzhaften Fratze. Einige der alten Wunden, aber euch neue, von denen wir immer noch nicht wussten woher sie stammten, platzen wieder auf.

Ich blickte auf das kleiner werdende Licht meiner Fackel. Jetzt weiter durch die dunklen Höhlen zu streifen, wäre vermutlich unser Tod. Zumindest der von Halbohr. Also beschlossen wir uns, noch für eine Nacht (war es überhaupt Nacht?) in den kleinen Raum zurückzuziehen, den wir schon einmal für unsere Rast genutzt hatten. Dort angekommen, betete Bargh zu seiner Herrin und bot Halbohr an, in sein Gebet einzustimmen. Es war schon interessant anzusehen. Erst sah es so aus, als ob Halbohr den Glauben von Bargh einfach nur ablehnen würde. Aber entweder sah er es ein, dass es Vorteile mit sich bringen würde oder er begann seine Meinung zu ändern. Tatsächlich betete er mit Bargh und zuckte kurz zusammen, als der Krieger mit dem verbrannten Gesicht ihm seine Hand über das verstümmelte Ohr legte. „Freien Geistes bin ich bereit in Feuer und Schatten zu schreiten und einen Teil von mir zu geben. Jiarlirae, oh Schwertherrscherin. Ich huldige ihren Namen“. Erst die tiefe Stimme von Bargh. Dann die kratzige Stimme Halbohrs. So priesen sie ihren Namen und an der Stelle, an der Bargh das Ohr Halbohrs anfasste, fing es leicht an zu zischen. Kleine Rauchschwaden stiegen dort auf. Doch Halbohr verspürte anscheinend keine Schmerzen. Im Gegenteil: Einige seiner Wunden begannen sich zu schließen, als ob sie mit einem heißen Eisen kauterisiert würden.

Während der Rast suchten mich wieder unheilvolle Träume heim. Diesmal waren es keine Ratten oder anderes Getier. Diesmal träumte ich, dass ich in der Höhle lag. Begraben von Splittern eines dunklen Glases. Überall auf meinem Körper kroch grüner Schleim meine Haut empor. Ich spürte das leichte Kribbeln und in meinem Unterbewusstsein wurde mir klar, dass dieser Schleim mich langsam aber sicher verdaute. Was noch schlimmer war: Ich fühlte weder Schmerz noch Angst, sondern eine Art von Glücksgefühl mit jeder Zelle, die sich auflöste und Teil des Schleimes wurde.

Der Schrei von Bargh ließ mich aus dem Traum hochschrecken. Er selbst schlief noch und es sah so aus als, ob er im Traum ertrinken würde. Als er aufwachte, war er völlig verwirrt und stammelte davon, dass er in einem See von Schlamm versunken wäre. Ich wusste nicht, was mich mehr beunruhigte: Bei lebendigem Leibe von irgendeinem Schleim verdaut zu werden oder dass es mir nichts auszumachen schien. Ich hoffte nur, dass wir möglichst schnell wieder aus den Höhlen herauskommen und ich die Antworten finde, die ich schon so lange suchte. Ich wusste noch nicht, wie sehr ich mich irren sollte.

Wir verließen ein weiteres Mal unser Versteck in der kleinen Kammer. Dies bedeutete ein weiterer Tag weniger Zeit für uns, bis der Schein des Linnerzährns wieder verblassen würde. Halbohr schlich sich auf seinen Elfenfüßen aus unserem Versteck. Bargh und ich waren wieder dazu verdammt, in der Dunkelheit auf Zeichen von ihm zu warten. So stapften wir weiter durch Höhlen und Tunnel, bis Halbohr irgendwann wieder zu uns zurückkehrte. Er sagte, er habe eine Höhle gefunden, die zur Hälfte völlig mit Schlamm bedeckt wäre. Offenbar verbirgt sich in unseren Träumen ein Funken Wahrheit. Und so musste ich direkt an den Traum Barghs denken. Aber die Neugierde von Bargh war anscheinend viel größer als das mulmige Gefühl, was der Traum ihm gab. Obwohl ich eher glaubte, dass er einfach zu stolz war auch nur das leichteste Anzeichen von Angst zu zeigen. Halbohr und Bargh vergaßen auch jetzt wieder, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten. Sie begannen die Höhle zu untersuchen.

Tatsächlich war der hintere Teil der großen Kaverne ein einziger See mit Schlamm. Gebannt starrten wir auf die Oberfläche. Doch nichts rührte sich, nicht mal die geringste Bewegung. Halbohr nahm einen Trank, von dem er der Meinung war, dass er ihm das Atmen unnötig machen würde. Ich hielt es immer noch für unsinnig und unnötig, aber wenn er meint sich in den Schlamm stürzen zu müssen, soll er doch. Er band sich ein Seil um seinen Körper und mit einem widerlichen Platschen ließ er sich in den stinkenden braunen Schlamm herab. Es dauerte eine Zeit, bis er sich wieder aus dem Schlamm-See erhob - ein Klumpen aus Dreck und Matsch. Nur in entferntester Weise war Halbohr zu erkennen. Allerdings kam er nicht mit leeren Händen. Offenbar war irgendwo auf dem Grund des Schlamms ein Paar Armschienen aus einem merkwürdigen Glas verborgen gewesen. Dieses dunkle, rauchige Glas kam mir bekannt vor. Leicht durchsichtig, aber hart, war es schwer wie Stahl.

Halbohr machte sich notdürftig etwas sauber, wobei er jetzt fürchterlich nach modrigem Matsch und Nässe stank. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie wir alle mittlerweile rochen. Hatten wir doch bereits seit einigen Tagen kein richtiges Bad mehr genommen. Halbohr verschwand wieder in die Dunkelheit, doch diesmal dauerte es nicht so lange bis er wiederkehrte. Offenbar hatte er einen Gang gefunden, der an einer Steintüre endete. Von dort hatte er Gestalten hören können. Durch eine Art Guckloch hatte Halbohr diese als unheimliche Vertreter des stämmigen Volkes identifiziert. Wir schmiedeten einen Plan, so dass wir uns vorsichtig an diese Türe anschleichen wollten und versuchen würden sie zu überraschen. Soweit so gut. Tatsächlich kamen wir unbehelligt in die Nähe der Türe. Trotz eines Leuchtkristalls, der den Gang in ein schwaches kühles Licht hüllte. Halbohr machte sich daran das Schloss dieser Türe zu öffnen. Ich hielt meinen Atem an und versuchte mich zu konzentrieren als langsam die Türe aufgezogen wurde.

Doch dann überschlugen sich die Ereignisse: Nur einen Wimpernschlag später standen wie aus dem Nichts vier weitere dieser hässlichen Kreaturen in der Türe und zielten mit großen Armbrüsten auf uns. Halbohr konnte gerade noch von der Türe aufschauen, als das Surren der Bolzen durch den Tunnel hallte. Einige davon trafen Halbohr und Bargh, doch ich glaubte, dass Bargh nur darauf gewartet hatte. Das heimliche und vorsichtige Vorgehen ward wider seine Natur. Mit einem Brüllen stürmte er nach vorne. Seine Klinge aus Schatten und Feuer hoch erhoben. Der merkwürdige Stahl traf auf das fahle, von bläulichen Venen durchzogene Fleisch der Gestalten und die Schatten entzündeten sich. Schreiend fielen die ersten unserer Gegner, während ich selbst mit der Hilfe meines Verbündeten dafür sorgte, dass sich ihre Kehlen zusammenschnürten. Röchelnd standen sie dort, als Halbohr seinen Dolch mit den nordischen Runen in ihre Kehle rammte.

Bisher lief es gut für uns, keiner dieser niederen Kreaturen konnte uns das Wasser reichen. Doch dann machten sich die anderen in dem Raum angriffsbereit und wie schon so oft nutzten sie ihre Kraft, um sich auf enorme Ausmaße zu vergrößern. Mit ihren gigantischen Stangenwaffen stürmten sie auf uns zu. Ich wich Schritt für Schritt zurück und sah aus dem Augenwinkel eine kleine Gestalt hinter mir. Erst dachte ich diese feigen Kreaturen wollten uns umzingeln. Aber dann fiel mir auf, dass die Gestalt anders aussah. Er war klein, hatte aber nicht diese von bläulichen Venen durchzogene blasse Haut. Nicht nur sein Gesicht war rundlicher, sondern auch ein Bauch war zu erkennen. Die Gestalt murmelte irgendetwas. Ich wollte die anderen warnen, als plötzlich vor uns der gesamte Raum in einer gewaltigen Feuersbrunst unterging. Wir spürten die Hitze auf dem Gang und wir hörten die Schreie der Kreaturen, als sie bei lebendigem Leibe verbrannten. Einige versuchten an Bargh und Halbohr vorbeizukommen, doch die beiden stießen sie wieder zurück in die Flammen, wo sie das Schicksal ihrer Kameraden teilen konnten. Bei dem Anblick stimmte Bargh ein verrücktes Lachen an und stellte sich den brennenden Kreaturen entgegen. Vermutlich um sicherzugehen, dass keiner hier lebend herauskam. Seine massige Gestalt warf vor den Feuern einen langen Schatten in den Gang und die lodernden Flammen schienen ihn nicht zu berühren. Es war, als bog das Feuer um ihn herum, während mir selbst, obwohl ich noch weiter weg stand, die Haut von der Hitze brannte.

Doch so schnell die Flammen gekommen waren, so schnell ebbten sie wieder ab. Übrig blieben die rauchenden, stinkenden Kadaver dieser Höhlenbewohner. Auch die Gestalt, die ich wegen des Feuers aus den Augen verlor, erschien wieder vor mir. Tatsächlich konnte dies kein Angehöriger der gleichen Rasse sein. Er war dicklich und älter und machte auf mich einen eher verwirrten Eindruck. Seine schon ergrauten Haare standen wirr von seinem Kopf ab und die dicke Nase ragte inmitten eines faltigen Gesichtes hervor. Er fing an etwas zu brabbeln. In einem merkwürdigen Kauderwelsch. Dabei zuckten sein Mund und sein Kiefer mit jeder Silbe, als wenn er ihn nicht unter Kontrolle hätte. Nachdem wir ihn alle fragend anstarrten, dämmerte es ihm offenbar, dass wir ihn nicht verstehen konnten. Er fing an in der gemeinen Zunge zu sprechen. Auch das war schwer für uns zu verstehen, da seine Worte und seine Aussprache eine eigenartige Färbung hatten.

Der Fremde stellte sich als Ortnor Wallenwirk vor. Nun, das waren auch erstmal die einzigen sinnvollen Worte, die aus seinem Mund kamen. Danach hatte er nichts Besseres zu tun, als mich zu beschimpfen - diese kleine hässliche Missgeburt. Nannte mich Mädchen, dumm und dilettantisch. Ich hatte nicht wenig Lust diesem kleinen Wicht zu zeigen, wie dilettantisch ich bin, wenn ich ihn kochen ließe. Oder noch besser, soll er mal richtige Bekanntschaft mit Bargh machen. Bargh schien meine Gedanken zu erraten. Er trat vor den Wicht in all seiner Größe und Stärke und nahm ihn wie ein Spielzeug in seinen großen und starken Händen. Die Schatten, die sein Schwert blutete, lechzen wohl wieder nach einem Opfer und begannen bedrohlich die Gestalt von Ortnor einzuhüllen. Auf einmal wurde er ganz freundlich und wir waren keine Dilettanten, Nichtskönner, Idioten oder Dummköpfe mehr. Ich halte für mich fest: Ortnor ist ein Wicht und ein Feigling zugleich. Ich hoffte, dass Bargh in zerquetschen würde, doch leider beruhigte sich der heilige Krieger Jiarliraes wieder und ließ ihn herab.

Ortnor erzählte uns, dass wir wohl gerade vor einem Außenposten dieser Kreaturen standen, die er als Duergar bezeichnete. Er selbst stamme von einem Volk, das er die Svirfneblin nannte. Offenbar hatten die beiden Völker schon seit langer Zeit eine Blutfehde, denn er ließ während seiner Erzählungen keine Gelegenheit aus, die Duergar als Abschaum zu beschimpfen. Er erklärte uns, dass sich hinter diesem Vorposten eine noch recht junge Minenstadt erstrecke, die tief in den Berg der Irrlingsspitze hineinführe – von ihm Unterirrling genannt. Dort bauten die Duergar ein Erz ab, dass er als Ne‘ilurum bezeichnete. Es war jenes merkwürdige Glas, aus dem auch die beiden Armschienen gefertigt wurden, die sich inzwischen an meine Unterarme schmiegten. Und, so fuhr er fort, stehe diese Minenstadt auch nur in den Diensten eines wohl noch größeren Reiches, dass er Urrungfaust nannte. Er hatte auch den Namen Waergo gehört, ein Krieger aus der Gruppe der Abenteurer, die sich vor 23 Jahren vor uns aufgemacht hatten, die Geheimnisse des Berges zu enträtseln. Jedoch war wohl dieser Waergo von seinem eigentlichen Plan abgekommen und hatte sich stattdessen zum Anführer der Minenstadt hochgearbeitet. Das besondere hierbei war, dass er nicht zum Volk der Duergar, sondern zum stämmigen Volk der Schneeberge gehörte. Diesem Volk begegneten die Duergar wohl seit jeher mit Hass und Verachtung. Von den Geschichten über den Linnerzährn und das Portal wusste er auch nichts Genaueres. Nur die Legenden über das graue Volk waren ihm bekannt, das sich in längst vergessener Vergangenheit ein Domizil im Irrling baute. Und die Legende des Eingangsportals nach Unterirrling, das sich nur öffnen sollte, wenn der Linnerzährn sein Feuer auf den Berg spie.

Er bot uns an uns zu begleiten, doch als er seinen Plan erklärte, kochte ich vor Wut. Er meinte, ich solle mich als minderbemittelte Sklavin ausgeben und dass er mich zum Verkauf anbieten würde! Was dachte dieser kleine Wicht sich nur! Ich würde mich von ihm bestimmt nicht rumschubsen lassen oder gar anfassen lassen. Was diese Kreaturen auch immer mit Sklavinnen machen würden. Ich dachte mir schon, dass Halbohr diese Idee vermutlich wunderbar finden würde, doch Bargh würde bestimmt auf meiner Seite sein. Mit Halbohr hatte ich tatsächlich Recht. Natürlich fand er es toll. Vielleicht sehnte er sich insgeheim danach, selbst der Sklavenherr zu sein. Doch ich täuschte mich in Bargh. Er ließ sich von Halbohr und diesem Ortnor überreden. Auf mich wollte ja keiner hören. Vermutlich hätte Bargh mit mir zusammen auch alleine all diese Kreaturen abschlachten können. Na gut, wenn sie es so haben wollten, sollten sie alleine klarkommen. Ich würde ihnen nicht mehr helfen, sondern die Sklavin spielen. Ortnor holte ein Tuch aus seinem Rucksack und schleuderte es in die Luft, wo es wie durch Zauberhand hingen blieb. Er schlüpfte dahinter, wie durch einen Vorhang. Man hörte hinter dem Vorhang ein Poltern und rumpeln, und nach einiger Zeit kam Ortnor wieder zum Vorschein, mit einigen alten Lumpen. Wer weiß woher er die hatte. Sie zogen mir die nach Öl stinkenden Lappen über und nahmen die Sachen, die ich bei mir trug. Lächerlich! Ich sollte eine Prinzessin aus der Oberwelt spielen und Ortnor würde mich auf einem Sklavenmarkt verkaufen wollen. Bargh und Halbohr sollten zwei Söldner darstellen, die Ortnor beschützten.

Ortnor führte uns durch den Vorposten hindurch in das Gangsystem. Schon bald stießen wir auf die ersten Ausläufer der Minenstadt. Vorbei an Schienen für Lorenwagen, sahen wir die ersten Arbeiter der Duergar. Sie schlugen mit ihren Meißeln das dunkle, glasartige Erz aus dem Felsen, das sich hier wie in Adern durch den Stein zog. Die Arbeiter selbst schienen sich nicht wirklich für uns zu interessieren, doch trafen wir schon wenig später auf Soldaten, die die Arbeiterschaft bewachten. Diese waren schon wesentlich interessierter. Jedoch trat Ortnor zu ihnen und sprach mit ihnen in der merkwürdigen Sprache, die anscheinend hier unter den Bergen gesprochen wurde. Was auch immer er ihnen sagte, es reichte offenbar. Die Soldaten ließen uns unbehelligt weiterziehen. Er führte uns näher in Richtung der Minenstadt und wir traten an einer Höhle vorbei, wo drei riesige achtbeinige Kreaturen an den Felsen gekettet waren. Vor ihnen lagen die Überreste von anderen kleinen Kreaturen, die diese schwarzhaarigen Spinnen genüsslich mit ihren Kieferzangen verschlangen.

Die Luft schien wärmer zu werden, als wir weiter durch die gehauenen Gänge schritten. In verrauchten Felsenkammern sahen wir die ersten Hochöfen, Hier verarbeiteten die Duergar ihr kostbares Erz. Es konnte kein Feuer sein, womit sie die Öfen betrieben, sondern irgendetwas anderes. Von den Essen ging ein gleißendes Licht aus, dass mir nach der langen Zeit in der Dunkelheit in den Augen brannte. Sie machten aus dem Erz Ne‘ilurum Stangen, die sie in großen Körben weiter lieferten. Dort war auch ein Apparat, den Ortnor als Aufzug bezeichnete. Damit konnte man offenbar nach oben oder nach unten fahren. Halbohr und Ortnor diskutierten, wie sie weitergehen sollten. Anscheinend wusste Ortnor auch nicht, welcher Weg zum Sklavenmarkt führte. Jemanden nach dem Weg fragen, wäre eine denkbar schlechte Idee gewesen. Sie entschieden sich einfach darauf zu warten, bis jemand den Aufzug in Gang brachte. Was auch bald geschah. Nachdem weitere Körbe dort eingeladen wurden, begann einer der Duergar wieder zu wachsen. Diese Fähigkeit scheint ihnen zu eigen zu sein, wie anderen das Laufen. Sie setzen es nicht nur für den Kampf ein. Der Duergar wuchs auf beachtliche Größe an und griff ein Seil über der Kabine des Aufzugs. Ein Seil, das wir nicht erreichen konnten. Dann setzte sich der Apparat rumpelnd in Bewegung. Keiner von uns konnte sagen wohin er uns führen würde und ob wir jemals wieder das Tageslicht erblicken würden.

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Sitzung 52 - Waergo von Naarbein
« Antwort #53 am: 6.02.2023 | 21:00 »
Wir lauschten dem Rumpeln und Knarzen der Apparatur, die sich in die Tiefe bewegte. Ab und an gab es ein kleines Krachen, als die hölzerne Plattform ins Wanken kam. Die riesenhaften Gestalten der Duergar rissen wechselseitig an dem Seil, so dass der Aufzug an den steinernen Schacht schlug. Ich selbst war noch gekleidet in die dreckigen und stinkenden Lumpen, die mir der kleine Wicht Ortnor übergestülpt hatte. Ich war mir sicher: Er, aber auch Halbohr hatten ihre Freude, wenn sie mich so erniedrigen konnten. Natürlich wusste ich, was sie damit bezweckten. Ich bin nicht dumm und verstand den Plan sehr wohl. Aber hätte nicht auch jemand anderes den Sklaven spielen können? Halbohr zum Beispiel? Einmal war ich mir sicher, dass ich dem runden Gesicht von Ortnor ein hässliches Grinsen entnehmen konnte. Ich blinzelte ihm böse zurück, gerade lang genug um ihm klar zu machen, dass er keine Spiele mit mir treiben konnte. Nur einen Vorteil sah ich in den stinkenden Lumpen. Mein eigener Geruch überdeckte jetzt den Schweißgestank der Tiefenzwerge.

Mit einem lauten Poltern und einem letzten Ruck kam der Aufzug zum Stehen. Wir hörten Geräusche von Hämmern und Schmiedearbeiten aus dieser Ebene. Durch die sich öffnenden Türen sahen wir hinter den dunklen Tunneln das Schimmern weiteren Hochöfen. Ortnor ging wieder voran, Bargh und Halbohr nahmen mich in ihre Mitte. Der Tunnel führte uns vorbei an mehreren kleinen Essen und Lagerstätten, wo sie ihr kostbares Ne‘ilurum in Stangen lagerten. Die meiste Zeit starrte ich meine Stiefel an, wie sie über den verrußten Boden stapften. Ortnor konnte ich nicht anblicken, sonst wäre ich vermutlich vor Wut geplatzt. Wir kamen schließlich zu einer weiteren Steintüre und hörten alle dahinter ein Gewirr von hunderten verschiedenen Stimmen sowie das Klimpern von vielen Münzen, die anscheinend den Besitzer wechselten. Ortnor hatte wohl etwas mit seiner Angst zu kämpfen. Er fing wieder damit an, uns als unfähig zu beleidigen. Ich sah deutlich das Aufblitzen von Wut in Halbohrs normalerweise eher gelangweilt dreinblickenden Augen. Wer weiß, welche Bilder er sich in seiner Vorstellung gerade auftaten - für Ortnor waren sie bestimmt nicht schön. Ich grinste heimlich in mich hinein, als Bargh aber auch schon mit seinen kräftigen Armen die steinerne Türe öffnete.

Als die Türe aufschwang wurden wir überwältigt vom Geruch und Geräusch einer wahren Masse von Duergar, Menschen und anderen Kreaturen. Grünliches, künstliches Licht, getragen von großen Steinsäulen, warf die Szenerie in einen fremden Anblick. Vor uns eröffnete sich eine riesige Halle, übersäht mit Zelten, Regalen und kleinen Emporen. Überall waren die seltsamsten Kreaturen, die die Tiefen der Eingeweide der Erde ausspucken konnten. Eine Geruchswolke von Kräutern, Tieren und Getränken waberte auf uns zu. Die Häute der Zelte und der Stände sahen aus wie schwarze Spinnfäden die zu dunklen, fast durchsichtigen Planen zusammengewebt wurden.

Ortnor schritt wieder voran, Bargh und Halbohr nahmen mich in die Mitte. So wir traten in die Halle ein. Es war fast so, als würden wir eine andere Welt betreten. Der größte Teil der Gestalten schien dem Volk der Duergar anzugehören. Ich fühlte ihre Blicke auf mir. Wie sie mich und auch die anderen mit ihrem überheblichen Hass anstarrten. Es gab hier auch einige wenige Menschen und auch einige Verwandte von Atahr. Elfen mit ihrer fast schwarzen Haut, violetten Augen und weißen Haaren. Als wir an einer Kreatur vorbeikamen, ist mir vor Furcht aber fast das Herz stehen geblieben. Diese Kreatur war anders als alles, was ich bisher gesehen hatte: Das humanoide Geschöpf hatte keinen Mund, sondern nur abscheuliche Tentakel, die dort emporzuckten, wo man normalerweise einen Mund vermutete. Rote, hasserfüllte Augen starrten mich an. Sie starrten nicht nur in meine Augen, sondern sie schienen direkt in meinen Verstand hineinzustarren. Und die Gestalt schien nicht nur zu starren, sondern es war mir, als wenn sie einfach nur zum Vergnügen mit meinem Verstand spielen würde. Zum Glück wurde dieses Wesen von einem anderen Besucher dieses Marktes abgelenkt und sein Blick ließ von mir ab. Zügig schritten wir weiter.

Wir bewegten uns zwischen den Ständen hindurch. Alles was das Herz begehrt und auch nicht begehrt wurde hier feilgeboten. Es gab verschiedenste Stände mit Kräutern, Nahrungsmitteln, Waffen und Rüstungen. Auch einfache Gegenstände wie Schüsseln und Töpfe, Teppiche oder nur kleine Pilze, die kunstvoll beschnitten wurden. An einem Stand gab es merkwürdige kleine Gerätschaften, von denen ich mir nicht vorstellen konnte, was man damit anfangen könnte. Als Bargh diese sah meinte ich in seinen Augen diese Lüsternheit zu sehen, die ich von ihm eigentlich nur kannte, wenn er betrunken war. Viele der Gegenstände, auch einfache Würfel oder andere Spielgeräte, waren aus dem Erz gefertigt, das sie hier unter dem Irrling abbauten. Und wir sahen auch Stände, an denen sie tatsächlich arme Wichte als Sklaven anboten. Einschließlich verschiedener Gerätschaften, um diese im Zaum zu halten. Über uns konnten wir erkennen, dass diese Halle eingerahmt war von einer Empore. Dort gab es keine Stände mehr, aber stattdessen sahen wir, dass dort weitere dieser gewaltigen achtbeinigen Biester entlang schritten. Auf Sätteln trugen die Spinnen Duergar, die mit wachsamen Augen den Markt beobachteten.

Ortnor erblickte auf dem Markt weitere Gestalten seiner Art. Diese, Svirfneblin nannte er sie, glaube ich, wirkten in diesem Getümmel etwas fehl am Platz, fehlte ihnen doch dieser immerwährende Hass auf alles andere. Die drei boten uns einen Unterschlupf in ihrem Zelt an, während Bargh und Halbohr sich weiter auf dem Markt umsahen. Also ließen sie mich allein zurück, in den Händen dieser kleinen Wichte. Na schön, wenn sie meinen. Allerdings wusste ich schon, dass ich für nichts garantieren könnte, wenn Ortnor wieder mit seinen Tiraden über meine Fähigkeiten anfängt. Zumindest von Bargh hätte ich besseres erwartet, aber auch er wurde vom Rausch des Handels gepackt.

Eine gefühlte Ewigkeit verging die ich damit verbringen musste, diesen kleinen dicklichen Kreaturen zuzuhören, wie sie in ihrer merkwürdigen Sprache schwatzten. Ich verstand zwar kein Wort, war mir aber sicher, dass sie sich insgeheim über mich lustig machten, wie ich dort in ihrem Zelt saß, in meinen stinkenden Lumpen. Natürlich würden sie es sich nicht trauen, offen über mich zu lachen. Aber jedes Mal, als sie zu mir blickten und sich wieder umdrehten, war ich mir fast sicher ein Lachen zu hören und ein Grinsen zu sehen. Plötzlich vernahm ich von außerhalb des Zeltes das laute Schlagen einer Türe. Ich hörte eine tiefe und dröhnende Stimme, wie sie schimpfte und offenbar Duergar-Wachen anbrüllte. Merkwürdigerweise aber in der gemeinen Zunge. Die Stimme lallte dabei und ich stellte mir vor, wie ein völlig betrunkener Duergar dort polterte und tobte. Halbohr, der zusammen mit Bargh zurückkehrte, erzählte später, dass ich gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Allerdings war es kein Duergar, sondern ein Vertreter des stämmigen Volkes der Oberwelt. Doch erzählte Halbohr, dass seine Haut aussah, als wenn er kurz vor dem Tode wäre. Über und über war sein Gesicht mit eiterndem Schorf bedeckt. Die roten Haare wuchsen nur noch an einigen Stellen und unter seiner linken Schädelhälfte sah es so aus, als ob dort Maden oder anderes Getier krochen. Aber trotz seines Aussehens oder seiner Herkunft hatten die anderen Duergar Angst vor ihm und gehorchten jedem Wort. Dies musste dann wohl Waergo von Naarbein sein, einer der Abenteurer, die vor 23 Jahren wie wir aufbrachen um die Geheimnisse der Irrlingsspitze zu erkunden. Waergo hatte sich dann aber zum Anführer der Minenstadt von Unterirrling gemausert. Wenn auch der Rest der Geschichten stimmte, vor allem der Brief, den wir bei der zerschmetterten Leiche in der Höhle gefunden haben, dann hat Waergo einen der Schlüssel, um das Portal zu öffnen? Oder zu justieren? Mir wurde wieder klar, wie wenig wir eigentlich wussten, was es mit diesem Portal auf sich hat. Aber sei es wie es ist, unser Weg kreuzt den von Waergo. Ich war mir sicher, dass er uns nicht einfach so passieren ließe.

Halbohr sagte, er habe gesehen wie Waergo torkelnd auf die Empore stieg und dann hinter einer Türe verschwand; vielleicht sein Gemach. Ortnor hatte daraufhin eine Idee: Offenbar besaß er die Fähigkeit, sich durch Zeit und Raum zu bewegen und von einer Stelle direkt zu einer anderen Stelle zu gelangen. Allerdings müsse er sein Ziel einmal gesehen haben. Halbohr wurde auserkoren, dies zu ermöglichen. Er solle sich an den riesenhaften Spinnenreitern und den anderen Wachen vorbei schleichen und entlang der Empore bis zu der Türe gelangen. Diese solle er einmal kurz öffnen. Ortnor würde an der Wendeltreppe, die zu der Empore führte, warten. Dort habe er eine gute Übersicht, auch auf die Empore. Sobald Halbohr die Türe öffnete, würde er seine Fähigkeiten einsetzen und sich selbst, Bargh und mich dorthin bringen. Ich sah es in Halbohr Gesicht arbeiteten. Grübelnd kratzte er sich an den vernarbten Überresten seines Ohres und ich konnte sein Zögern tatsächlich verstehen. Alleine vorbei an den Wachen und wer weiß was sonst noch. Dass Ortnor erwähnte, eher nebenbei, dass es Geschichten gab, in deren einige Wachen sogar unsichtbar waren, machte die Sache nicht einfacher. Allerdings wurde es Halbohr schnell klar, dass wir keine andere Möglichkeit hatten. Also stimmte er zu und machte sich bereit.

Er mischte sich unter die Besucher des Marktes und verschwand aus unseren Blicken. Ab und zu sahen wir ihn zwischen den Schatten der Säulen auftauchen, wie er auf die Empore kletterte. Ich versuchte seinen Bewegungen zu folgen. Wirklich schaffte er es, sich geschickt von Nische zu Nische und von Schatten zu Schatten zu drücken. Einmal sah ihn ganz kurz auftauchen, wie er mit einem eingefrorenen Blick in die Leere starrte. Ich folgte seinen Augen, konnte aber nicht wirklich etwas erkennen, was ihn erschreckt hatte. Vielleicht war da ein kleines Flimmern in der Luft, mehr aber nicht. Hatte er einen unsichtbaren Spinnenreiter gehört? Ein weiteres Mal tauchte er auf. Direkt neben der Türe, die zu dem Gemach von Waergo führte. Ortnor hielt sich bereit und auch Bargh und ich selbst hielten die Luft an. Wie in Zeitlupe sahen wir, wie sich die Türe langsam öffnete. Wir hörten, wie Ortnor neben uns arkane Formeln murmelte. Es war genau abgepasst: Wir konnten gerade noch von dem Markt einen kurzen Blick auf den Raum werfen, als wir von der Magie Ortnors durch die Dimensionen geschleudert wurden. Es fühlte sich merkwürdig an, als ob irgendetwas einen packen würde, durch einen dichten Nebel schleudern und unsanft auf den Boden werfen würde. Ich brauchte einen Moment um wieder klar denken zu können, doch dann sah ich mich tatsächlich in dem Raum stehen und Bargh und Ortnor neben mir.

Das Zimmer, in dem wir auftauchten, war von einer Art Vorhang getrennt der aus dunklen Schuppen irgendeines Tieres der Unterreiche gemacht wurde. Doch war es nicht Waergo, der uns in dem Raum erwartete, sondern einer seiner Untergebenen. Der Duergar saß an einem Tisch und studierte irgendwelche Papiere. Wir sahen schon, wie Halbohr sich in den Rücken der Gestalt schlich, als diese mit unserem Erscheinen aufsprang. Plötzlich ging alles sehr schnell. Der Duergar konnte zwar noch nach Waergo rufen, doch das Schwert von Bargh hieb auf die Gestalt ein. Sein Blut spritze auf, als der Hieb tief in seinen Leib drang. In einem letzten Akt des Todes schaffte er es, seinen Speer, der neben ihm lag, Bargh ebenfalls tief in die Brust zu rammen. Bargh schrie vor Schmerzen, doch entfachte der Schmerz auch seine Wut. Mit einem Gebrüll holte er aus und richtete seinen Widersacher mit seinem Schwert. Die Schatten der Klinge begannen sich zu entzünden und hüllten den schwarzen Stahl in einen Schein von Feuer. Der Hieb traf den Duergar am Hals und fuhr ohne zu stoppen durch ihn hindurch. Das Klatschen, als der abgetrennte Kopf auf den Boden aufschlug, hatte fast schon etwas Belustigendes. Bargh keuchte schwer von dem Stich des Speeres, doch Halbohr verlor keine Zeit und schob den Vorhang etwas zur Seite. Dahinter offenbarte sich ein weiterer Raum, mit einem Tisch, auf dem wir etwas ähnliches wie eine Karte sahen, mitsamt mehreren platzierten Figuren. Auch hier war alles aus Ne‘ilurum gefertigt. An einigen Stellen waren zudem mit weißer Farbe Augen und Tentakel auf den Tisch gemalt. Doch konnten wir uns von der zur Schau gestellten Dekadenz nicht ablenken lassen. Wir hörten das Poltern hinter einer weiteren Türe. Diese war zwar auch aus Stein, jedoch war sie mit schwarzer Farbe angemalt, so dass sie sich deutlich von dem restlichen Gemach unterschied. Die Türe flog auf und heraus kam die Gestalt Waergos. Jetzt sah auch ich das, was bisher nur Halbohr erzählte. Früher mag es wohl mal ein stattlicher Vertreter seiner Rasse gewesen sein. Jetzt konnte man es nur noch erahnen. Sein rotes Haar wuchs nur noch an einigen wenigen Stellen. Der Rest sah aus, als wenn er bei lebendigem Leibe verwesen würde. Schorf und Eiter bedeckte die kahlen Stellen und unter der Haut pulsierte es so, als ob wirklich irgendetwas unter der Haut leben würde. Das waren wohl die sogenannten „Hauttiere“, die von Waergos Gesicht speisten und vor denen uns Ortnors neue Freunde gewarnt hatten.

Mit grimmigem Gesicht erhob Waergo seine Axt und sein Schild. Das Ne’ilurum, aus dem beides geschmiedet war, glitzerte beängstigend in dem schwachen Kerzenlicht des Raumes. Auch seine Rüstung bestand aus den Platten dieses seltsamen Unterreicherz. Er stellte sich Bargh, doch haftete sein Blick auf Ortnor und seine Augen lechzten nach dem Blut des Svirfneblin. Bargh versuchte den Moment auszunutzen und erhob sein geweihtes Schwert. Die Schatten begannen sich wieder zu entzünden und feuriger Odem tropfte wie Magma hinab. Barghs Muskeln spannten sich, als er die Klinge auf Waergo hieb, doch dieser brachte seinen Schild hervor. Waergos Lachen ging in dem Geräusch von Stahl unter, als das Schwert an dem Erz abprallte. Aber Bargh stand ihm nicht alleine gegenüber. Halbohr schaffte es sich hinter Waergo zu bewegen und stach zielsicher seine Dolche zwischen die Lücken seiner Rüstung, während ich selbst meine feurigen Pfeile auf ihn schleuderte. Waergo wendete sein Gesicht zu Halbohr und spie ihm ins Gesicht. Ich dachte erst, er wolle ihn nur verhöhnen, doch dann sah ich, dass sich in seiner Spucke eine weiße dicke Made befand, die jetzt versuchte durch die Glieder des Kettenhemdes von Halbohr zu gelangen. Dieser streifte sie, zum Glück für ihn, schnell genug ab und zertrat sie auf dem Boden.

Es entbrannte ein erbitterter Kampf. Waergo erwies sich als mächtiger Krieger. Geschickt wehrte die Hiebe von Bargh und auch die glitzernden Kugeln, die Ortnor auf ihn schleuderte, ab. Letztere zerplatzen mit einem Knall auf seinem Schild und liefen wie schwarzer Schleim herunter. Wieder und wieder hieb Waergo mit seiner Axt nach Bargh und viel zu oft schnitt die schwarze Klinge aus Ne‘ilurum in das Fleisch des Kriegers hinein. Ein besonders kräftiger Streich traf ihn in den Arm. Bargh schwankte und für einen Moment sah es so aus, als könnte er nicht einmal sein Schwert halten. Doch der schwarze Griff des Schwertes schmiegte sich wie von selbst um seine Hand. Aber auch Waergo wurde unseren Hieben und meinem Feuer verletzt. Es war Halbohr der ihm den hinterhältigen Todesstoß versetzte. Sein Dolch fand seinen Weg zwischen den Panzerplatten seiner Rüstung direkt in sein Herz. Er röchelte und fiel mit dumpfem Aufschlag auf den Boden - in die Lache seines eigenen Blutes.

Zeit zum Verschnaufen blieb uns jedoch keine. Schon kurz nachdem das letzte Zucken von Waergos totem Körper aufhörte, hörten wir von außen schon die Rufe der Wachen. Wir erstarrten alle, sahen wir uns doch schon mit der gesamten Minenstadt konfrontiert. Aber obwohl Ortnor ein widerlicher kleiner Wicht war, handelte er blitzschnell. Er schaffte es seine Stimme so zu verstellen, dass sie wirklich der von einem der Duergar ähnelte. Irgendetwas rief er in ihrer Sprache. Was es war konnte keiner von uns verstehen, aber offenbar gaben sich die Wachen damit zufrieden und kamen nicht in den Raum hinein. Dennoch durften wir keine Zeit verlieren. Schnell schafften wir die beiden toten Körper zusammen und versuchten zumindest die gröbsten Spuren des Kampfes zu beseitigen. Halbohr und Bargh zogen die beiden in das Gemach von Waergo hinein. Dieses Gemach schien das Zimmer eines Wahnsinnigen zu sein: Wände, die Decke, der Schrank, der hier stand und Stuhl und Bett waren mit schwarzer Farbe bemalt. Nur ein Tierfell auf dem Boden war aus reinstem Weiß, so dass es einen fast blendete. Eine weitere Türe führte aus dem Raum heraus. Doch wäre es Selbstmord gewesen, jetzt einfach ins Ungewisse zu stürmen. Bargh blutete aus einer Vielzahl von Wunden und konnte sich kaum auf den Beinen halten.

Mehr durch Zufall bemerkten wir lockere Bretter auf der Rückseite des Schrankes. Dahinter eröffnete sich eine geheime Kammer. Diese war zwar recht klein, aber nicht leer: Einige Säckchen lagen auf dem Boden und da war eine kleine abgeschlossene Schatulle, die kunstvoll mit Marmor verziert war. Halbohr vergaß wohl für den Moment die Gefahr, in der wir schwebten und widmete sich den Gegenständen. Dem Schloss der Schatulle schaffte er es zwar nicht habhaft zu werden, jedoch fand er in den Säckchen neben einer gewaltigen Menge von Münzen und Edelsteinen und einen kleinen Stab, der in Gänze aus einem roten Saphir bestand. Augenblicklich begannen Ortnors Augen zu blitzen: Dies war wohl eine der drei Kristallkomponenten, die auch in dem Brief von Adanrik erwähnt waren. Zumindest waren die Strapazen also nicht umsonst. Wir verschanzten uns zusammen mit den Leichen in der kleinen Kammer, verwischten unsere Spuren und brachten die Bretter wieder an. Mein Herz blieb fast stehen als, wir nach einiger Zeit wieder Stimmen hörten. Wachen der Duergar, die sich mit der Erklärung von Ortnor wohl nicht mehr zufriedengaben und nachschauten, was geschehen war. Doch fanden sie nichts oder ließen sich nichts anmerken. Wir hielten alle den Atem an und lauschten den Schritten und leisen Stimmen, bis sie nicht mehr zu hören waren. Ich kann nicht von mir sagen, dass ich besonders erleichtert war. Wusste ich doch nicht, was sie vielleicht gefunden haben und welche Schlüsse sie daraus zögen. Unsere Nerven waren alle bis zum Zerreißen gespannt. Ortnor begann sogar mit sich selbst zu sprechen. Besser gesagt, mit sich selbst zu streiten. Ob er die Karte in dem Tisch des Vorraums verstehen würde und dass er leise sein sollte. Wenn sein Verstand verliert, sollten wir uns von ihm trennen. Bevor er uns mit seinem Wahnsinn mitreißt. Aber später, erst mussten wir hier herauskommen. Ob es besser oder noch schlimmer werden würde, würde sich schon bald zeigen.

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Sitzung 53 - Der Tag meines Erwachens
« Antwort #54 am: 13.02.2023 | 19:11 »
Eingepfercht lagen wir in der kleinen versteckten Kammer, hinter dem Gemach von Waergo. Ab und zu hörten wir noch ein paar Laute der Soldaten, die die Kammer durchsuchten, doch auch diese Geräusche versiegten igendwann. Zumindest fürs Erste schienen sie sich beruhigt zu haben und nicht weiter nach Waergo zu suchen. Bargh versorgte seine Wunden. Als er seine blutenden Verbände abnahm, sah ich im schwachen Licht, welches durch die Bretter des Schrankes drang, dass sich bereits einige Schnitte geschlossen hatten. Es war fast als ob man zusehen konnte, wie neues Fleisch und Haut über die tiefen Einstiche wuchs.

Nachdem er seine verbleibenden Wunden gereinigt hatte, legte Bargh die Platten der Rüstung aus Ne’ilurum an, die er dem toten Anführer abgenommen hatte. Auch nahm er Waergos Schild, der aus Erz dieses Minenreiches geschmiedet war. Ortnor ging unruhig in der Kammer hin und her, immer noch mit sich selbst diskutierend. Es war, als ob er mit sich selbst streiten würde. So lamentierte er über unsere nächsten Schritte und drang sich selbst zum Weitergehen. Für mich ist er ein kleiner Wicht, aber was das angeht, hatte er Recht. Wenn wir hier noch länger säßen, alle zusammen auf kleinstem Raum und ich mir seine kleine Gestalt mit den wirren Haaren und dem ständigen Zucken noch weiter anschauen müsste…Der Gedanke ihm zu zeigen was ich tatsächlich kann, erschien mir von Minute zu Minute schöner.

Zum Glück für ihn war Bargh bald fertig und wir traten wieder durch die Rückseite des Schrankes in das vollständig schwarz angemalte Gemach von Waergo hinein. Wir wendeten uns der Türe zu, die vermutlich einen Nebeneingang in das Gemach darstellte. Dann passierte etwas Merkwürdiges: Ich hörte plötzlich ein Flüstern von Stimmen. Im ersten Moment dachte ich es wäre wieder Ortnor, der mit sich selbst redete oder Bargh, der etwas zu mir sagte. Doch es war nicht nur eine Stimme, sondern eine Vielzahl. Leise flüsterten sie in meinen Kopf. Manche redeten Vorwärts, manche klangen so, als ob sie Rückwärts sprechen würden. Auf eine Stimme konnte ich mich konzentrieren und die anderen Stimmen schienen dies zu merken und folgten der einen Stimme wie ein Echo: „Tötet das Fremde, tötet das Niedere, vernichtet die Starren und die Unverrückbaren!“ Das Flüstern hatte nichts Beängstigendes an sich. Im Gegenteil: Ich spürte ein Gefühl des Glücks, wie in einem Rausch. Konnte es sein, dass zum allerersten Mal mein Verbündeter, jene geheimnisvolle Macht, die zwar immer in meiner Nähe aber nie richtig fassbar, direkt zu mir sprach?

Halbohr war es, der mich wieder in das hier und jetzt zurückriss. Er machte sich gerade an der Türe zu schaffen und öffnete sie vorsichtig. Wir konnten alle eine gedämpfte Stimme hören. Sie hielt eine Art Predigt, wobei es sich für mich fast schon nach Hoffnungslosigkeit klang. Ich lauschte eine Weile der Stimme: "Wir müssen jetzt Stark sein; wir sind seiner Heiligkeit verpflichtet. Ehrenhaft wie unsere Vorfahren werden wir einst in sein Reich schreiten. Dort herrscht er grimmig von seinem Thron aus purem Eisen. Sein Name soll geheiligt sein. Wir nennen ihn Laduguer, unser höchster Gott; Gott des Krieges und der Waffen. Er spricht durch mich und da von Waergo keine Spur zu finden ist, übernehme ich die Kontrolle über die Stadt." Offenbar werden die Lücken in der Herrscher-Reihenfolge sehr schnell geschlossen. Wir schlichen uns leise die Treppe hinab, die sich hinter der Türe anschloss und ich hörte wieder das Flüstern in meinem Kopf. Wieder waren es mehrere Stimmen, wobei mir jetzt klar wurde, dass es eigentlich nur eine Stimme war die aber vielmals sprach. Wieder die Worte wie anfangs, doch jetzt mischten sich andere Worte mit hinein: "Folget der Flamme und der Düsternis, folget ihrem jüngsten Kind". Konnte die Stimme Bargh damit meinen? Zu dieser Zeit nahm ich es jedenfalls an, also folgte ich den Spuren des großen Kriegers, besser gesagt den Geräuschen seiner Stiefel. Denn als die Türe sich hinter uns schloss tauchten wir wieder in eine tiefe Dunkelheit ein und ich traute mich nicht, Bargh nach einer Fackel zu fragen.

Wir passierten einen kleinen Vorraum und kamen an eine weitere Türe. Die Stimme des Predigers war deutlich dorthinter zu hören und das Flüstern in meinem Kopf schien stärker zu werden. Es machte mir immernoch keine Angst, sondern füllte mich mit Mut. Stumm sah ich in Barghs Augen und konnte sehen, dass auch er etwas spürte. Vielleicht sogar ähnliche Stimmen. In seinem rechten Rubinauge loderte ein grimmiges Feuer. Wissend blickten wir uns an. Ein Wissen, das den anderen verborgen blieb. Halbohr erkannte, dass Bargh kurz davor war in den Raum dahinter zu stürmen. Ihm war klar, dass uns nichts davon abhalten konnte, also machte er sich bereit uns zu folgen.

Bargh stieß die Türe auf und schwang seine Klinge von Schatten und Feuer. Vor uns eröffnete sich eine unterirdische Kapelle, wo jene des stämmigen Volkes der Unterreiche ihrer Gottheit huldigten. Eine langgezogene steinerne Halle, an deren Kopfende sich ein Altar aus einem schwarzen Block befand. Vielleicht aus Obsidian, vielleicht aber auch aus Ne'ilurum. Vor dem Altar brannte in einer Grube ein Feuer, dessen Flammen merkwürdig dunkel züngelten. Überall standen massive Säulen, in denen das Konterfei eines alten stämmigen Gesichtes eingearbeitet wurde, das grimmig dreinblickte. So stellten sich die Duergar wohl ihr Idealbild vor. Hinter dem Altar stand der Prediger, diesmal aus Fleisch und Blut. Mit schütternen, fettigen Haar blickte er in die Kapelle. Dort waren vier weitere Duergar, die seinen Worten lauschten. Ein Priester mit seinen Schülern, vermutete ich. Der Priester trug ein Kettenhemd aus Ne'ilurum, eine schwarze Robe mit dem Symbol des zerbrochenen Armbrustbolzen und neben sich gelehnt, einen großen Kriegshammer, aus Ne'ilurum. Noch hinter den Schülern erblickte ich vier weitere Gestalten - allesamt Spinnenreiter. Sie hatten ihre abscheulichen Tiere vor den großen Portalen positioniert, die vermutlich wieder zum unterirdischen Markt führten, wenn mich meine Orientierung nicht täuschte. Ich blickte in Richtung des Priesters und spürte fast schon schmerzhaft die Falschheit und die Schwäche, die er vertrat. Ich war mir sicher, dass auch Bargh dies spürte. Mit einem Brüllen stürmte er voran auf den Priester hinzu. Seine Klinge lechzte danach diese Falschheit zu bezwingen und die Schatten gierten danach sich zu entzünden. Mit zwei schweren Hieben die eine Spur von Feuern hinter sich herzogen rammte er das Schwert Glimringshert in den Leib des Priesters. Die Gottheit des Fremden vermochte ihn nicht zu schützen. Sah man doch zuletzt die pure Furcht, die sich in seinen Augen widerspiegelte. Mit einem dumpfen Geräusch sank sein Leichnam zu Boden.

Dennoch waren wir hier noch nicht fertig. Es gab schließlich noch weiter Anhänger, von denen wir diese Welt reinigen mussten. Ich beschwor Flammen aus meinen Fingern und fühlte, als ich die Worte sprach, meinen Verbündeten, wie nah er mir war. Weitere Kreaturen badeten in den Feuern und schrien vor Schmerzen. Auch Halbohr und Ortnor waren nicht untätig und kümmerten sich um die Spinnenreiter. Der kleine Wicht vermochte es, einen Strahl aus Blitzen zu beschwören, der durch etliche Spinnen fuhr und diese rauchend zu Boden sinken ließ. Mit einer wundervollen Genugtuung, sah ich den letzten der Akolythen an seinem Blut ersticken, als Halbohr seinen Dolch durch seine Kehle trieb. Da war sie wieder, die Stimme, das Flüstern. Vermutlich war sie die ganze Zeit da gewesen, doch konnte ich sie erst jetzt wieder hören: „Findet den See aus Blut und befreit was unrein, was nicht sein, was jetzt mein!“ Ich folgte dem Klang des Flüsterns. War ich anfangs noch etwas vorsichtig, so gab ich mich dieses Mal dem Singsang hin. Ich stellte mir die Stimme vor, wie sie zu mir sprach. Ich konnte fast fühlen wie aus dem Flüstern eine Hand wuchs, die mich führte in Richtung Bargh. Willig und gehorsam ließ ich mich führen und ging zu Bargh, der gerade noch mit einem der Spinnenreiter stritt. Dieser schaffte es gerade noch sein Horn zu heben und einen lauten Ton daraus zu blasen, bevor auch er niedergestreckt wurde. Aber die Spinnen, die Priester und die anderen Duergar waren mir egal, es gab für mich nur das das Flüstern der Stimme. Sanft nahm ich Bargh an die Schulter und gab die Worte wieder, die mir zugeraunt wurden: „Öffnet den Geist und folgt meinem jüngsten Kind, der da ward geschaffen als Euboreas Prophet, der da ward geschaffen als kindlicher Prophet der Flammen!“ In Barghs Augen schimmerte Erkenntnis auf, erkannte er doch in den Worten nicht sich selbst, sondern Neire. Der Kampf ums herum tobte weiter; es kamen gerade weitere der Duergar in die Kapelle hineingestürmt, angelockt von dem Ton des Horns. Halbohr und Ortnor traten ihnen entgegen, doch Bargh und mir war dies einerlei. Es war, als ob wir eine Art Verbindung hatten, die die anderen wohl niemals verstehen würden.

Beide blickten wir den dunklen Altar an und ohne wirklich miteinander zu redden, wusste jeder was zu tun war. Bargh erhob seine Klinge und als ob der Stahl es selbst schon nicht mehr erwarten könnte, fing das schwarze Herz in dem Kristall am Knauf von Glimringshert wild an zu pochen. Es war, als wenn es vor Erregung schneller schlagen würde. Die Schatten aus den Adern in der Klinge pulsierten stärker und entzündeten sich, sobald sie aus der Klinge hervortraten. Mit einem gewaltigen Schlag hieb Bargh das Schwert auf den Altar. Die Ohren klingelten mir, als sich erst ein gewaltiger Riss in dem Obsidian ausbreitete und dann der ganze Altar mit einem Krachen auseinander barst. Aus dem Riss stieß eine Wand von Flammen hervor, die den ganzen Raum ausfüllte. Bargh hob schützend sein Schwert vor sich. Die Wand von Flammen teilte sich vor uns und konnte uns nicht mehr berühren. Die anderen hatten weniger Glück. Ich hörte das Schreien, sowohl der Verstärkung, als auch von Ortnor und Halbohr. Aber auch das war mir einerlei. Wenn sie nicht stark genug waren den Flammen zu widerstehen, war es ihr Problem. Der Riss des Altars zog sich weiter bis zu der Wand dahinter und es begannen einzelne Steine aus dem Riss heraus zu fallen. Wir sahen sich eine Öffnung auftun. Anscheinend gab es hier noch eine weitere versteckte Kammer. Ich blickte durch die immer größer werdende Öffnung und mein Herz raste. Die ganze Kammer war aus schwarzem Obsidian gefertigt und mit einem blutroten Marmor verziert. Am hinteren Ende war, halb in der Wand, halb hervorstehend, ein gewaltiges steinernes Herz angebracht; ebenfalls aus Marmor und mit glänzenden Streifen. Es wirkte so, als ob es pulsierende Adern wären. Weitere Steine fielen von der Öffnung, die jetzt endlich groß genug war damit wir durchgehen konnten. Fast wie in Trance bewegte ich mich weiter, zog Bargh mit mir. Auch jetzt kam mir dieser Ort und diese Zeit wie in einem Traum vor, alles war verschwommen aber auf eine unerklärliche Art und Weise auch unglaublich klar.

Wir näherten uns dem Herzen und sahen wie das, was ich als glänzende Streifen erkannte, wirklich Adern darstellte. Auch das Pulsieren war keine Spielerei von Licht und Schatten. In diesen Adern schlug eine unheimliche, aber falsche Macht. Ich konnte mir vorstellen, wie die Priester des schwachen Gottes Laduguer ihre Anhänger auf dem Altar opferten und ihr Blut und ihre Seelen hier speicherten. Die Schreie und Rufe sowohl unserer beiden Gefährten, als auch ihrer Gegner, gerieten immer mehr in den Hintergrund. Feierlich gab ich die Worte der flüsternden Stimme wieder, war es doch für mich klar, was zu tun war: “Findet den See aus Blut und befreit was unrein, was nicht sein, was jetzt mein!” Bargh vernahm meine Worte und auch er verstand sie: Er holte aus und stieß sein Schwert mit einem kräftigen Ruck in das pulsierende, steinerne Herz. Als die Klinge mit einem Knacken den Stein durchbohrte, ergoß sich gleich einer Explosion eines Sprühregens ein Schwall von Blut über uns. In dem Blut spürten wir die Kraft und die Macht der Seelen, die an das einstige Opfer gebunden war. Das warme Blut rann mir über den ganzen Körper und gab mir ein Gefühl der Geborgenheit und der Kraft, wie ein erfrischendes Bad, nur hunderte Mal stärker. Gleichzeitig fühlte ich aber auch die Heimsuchung der gefangenen Seelen. Das Flüstern sprach: “Öffnet die Tore des Geistes, lasst hinein was unrein, was nicht sein, was jetzt mein!” Ich fürchtete mich, vor allem vor den tausenden von Gedanken, die die Seelen kundtaten - gleich Todesschreien. Doch ich vertraute dem Flüstern, das trotz der vielen Seelen klar war; viel stärker als das, was in dem Blut gefangen war. Also tat ich, wie mir das Flüstern hieß.

Eine größere Kraft hatte ich bisher noch nie in mir gespürt. Es war wie ein gewaltiger Rausch. Ich folgte im Geiste dem Flüstern und es leitete mich, wie ich die Kraft der Seelen in mich aufnehmen konnte. Jede einzelne nahm ich und verschlang sie. Jede einzelne schrie noch einmal auf, doch ihre Schreie verhallten im Nebel zwischen Sein und Nichtsein. Und mit jeder Seele die ich verschlang verschlang ich auch ihre Energien und nahm sie in mich auf. Wie ein elektrisierendes Kribbeln füllte sich mein Körper, Seele für Seele. Und mit einem Mal war mir alles völlig klar: Mein geheimnisvoller Verbündeter, diese unheimliche und mir unbekannte Macht, die stets über mich wachte und meine Schritte lenkte, war Jiarlirae, die Schwertherrscherin selbst. Jetzt, wo ich die Seelen gekostet hatte offenbarte sie sich mir und ich verstand: Ich war noch nicht bereit für dieses Wissen, doch sie trat an mich heran als Flamme in der Düsternis. Dieser Gedanke gebahr in mir ein Glücksgefühl, was ich nicht vermag in Worte zu fassen. Ich tanzte im Blut des aufgeschlitzten Herzes. Ich kostete die Essenz, ich badete im Saft und kannibalisierte Seelen, die jetzt die meinen und damit IHRE waren.

Langsam fiel mir auf, dass die Kampfgeräusche abgeebbt waren. Wie aus einem tiefen Traum kam ich wieder in die wirkliche Welt zurück. Ich blickte mich erstaunt um, was passiert war. Die Duergar starrten stumm und voller Furcht in die Kammer hinein, wo Bargh und ich standen, völlig von dem Blut ihres Heiligtums bedeckt. Aber so sollte es sein, sie sollten erkennen, wie schwach und unbedeutend sie eigentlich waren. Lächelnd trat ich ihnen entgegen. Halbohr und Ortnor, die drauf und dran waren beste Freunde zu werden, waren sich ihrer Sache wohl nicht so sicher. Inzwischen waren weitere der Duergar in die Kapelle eingetreten. In einer militärischen Formation marschierten sie herein, was besonders auf Halbohr einen gehörigen Eindruck machte. Jetzt verhandelten sie mit den blasshäutigen Wichten. Es ging um freies Geleit. Ich ließ sie reden und lächelte mit meinem blutverschmierten Gesicht jeden einzelnen an. Nach kurzer Zeit schienen sie sich geeinigt zu haben. Was mir eigentlich direkt klar war, denn man konnte die Furcht in den Augen der Duergar deutlich zwischen dem Hass auf uns sehen. Sie nahmen uns in ihre Mitte und zusammen in diesem großen Pulk schritten wir durch die Hallen dieser Minenstadt. Ich fragte mich, mit einem Grinsen im Gesicht, welche Reden und welche Lieder sie uns widmen würden. Wir kamen sogar an ihrer Zuchtstätte vorbei, wo sie diese widerwärtigen Spinnenkreaturen aufzogen. Ein älterer Vertreter der Duergar hatte sichtlich sein Leben einzig dieser Aufgabe gewidmet. In einer Geräuschkulisse von dem Knistern vieler Spinnenbeine starrte er uns finster an, während kleinere Spinnen auf seinem Körper und auf seiner Axt krabbelten.

Aber auch ihn ließen wir zurück und traten durch einen dieser Wachräume, die wir schon einmal passierten, als wir in ihre Minenstadt eindrangen. Mit diesem letzten Vorposten verließen wir ihr Reich und gelangten wieder in die Höhlen der Irrlingsspitze. Wie zuvor waren da diese merkwürdigen Wände, die das Licht zu schlucken schienen. Halbohr schlich sich voran und erkundete die Höhlen vor uns. Es dauerte eine Zeit, dann kam er zurück und berichtete von einem Schmatzen, was er in einer Höhle vor uns hörte. Wir folgten ihm, bis wir die Höhle sahen, die er meinte. Es waren jedoch eher mehrere Höhlen, die ineinander gewachsen waren. Mir gab er noch den leuchtenden Kristall den wir gefunden hatten, bevor wir in die Minenstadt kamen. Doch als das Licht in die Höhlen eindrang, erblickte ich nichts Angenehmes: An der Wand der Höhle hausten Kreaturen, wobei man diese nicht mal mit Sicherheit als Kreaturen bezeichnen konnte. Es waren eher Berge aus Fleisch, aus denen an verschiedenen Stellen Münder, Köpfe, Arme und Beine herauswuchsen. Mit plumpen Bewegungen kamen sie auf uns zu. Ihnen folgte ein Gestank, von Eiter und Fäulnis. Sie versuchten ihre Mäuler um Bargh zu schließen, doch seine Rüstung aus Ne’ilurum konnten sie nicht durchdringen. Barghs Schwert und die Dolche von Halbohr konnten sie schnell erledigen. Der Gestank den sie verbreiteten, als ihr schwarzes Blut auf den Steinboden tropfte, brachte mir fast einen Würgereiz hervor. Doch kaum als die letzte der Kreaturen sich nicht mehr regte, vernahmen wir von weiter hinter der Höhle weitere Geräusche. Diesmal jedoch wie eine Vielzahl von Kreaturen. Und schon sahen wir sie: kleine Humanoide, muskulöser, drahtiger Statur. Mit wirren rötlichen Augen starrten sie wie gebannt in das Licht, dass ich bei mir trug. Wie wild erhoben sie ihre knöchernen Knüppel, Krallen, Messer oder was sie sonst an Waffen gefunden hatten. Wie eine Woge pelziger Meereswellen aus Krallen und Zähnen strömten sie auf uns zu. Ich konnte kaum zählen wieviele, aber es waren bestimmt über 50 dieser kleinen Wesen. Blindlings, kreischend und ohne Sinn oder irgendeinen Verstand, strömen sie auf mein Licht zu, vorbei an Bargh und an Halbohr.

Es war ein wahres Gemetzel. Immer mehr kamen aus der Dunkelheit und immer mehr fielen unseren Klingen und meinen Feuern zum Opfer. Ihre Leichen türmten sich in der Höhle, doch sie kannten keine Furcht oder waren vielleicht dem Wahnsinn verfallen. Auch dachte ich an wilde Tiere, die auf ein schmerzendes Licht zuströmten. Wir keuchten alle inzwischen. Halbohr hatte einige Wunden davongetragen. Dort, wo die Kreaturen ihre Krallen in sein Fleisch schlugen. Doch schließlich machten wir auch den letzten Gegner nieder und unser Weg ward frei. Wir mussten weiter, ich spürte es. Zwar konnte ich das Flüstern nicht mehr hören, doch fühlte ich, dass es der Wille meines Verbündeten, der Wille von Jiarlirae war, der uns weiter in die Tiefen der Irrlingsspitze rief.

Offline Jenseher

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Sitzung 54 - Die blauen Teufel
« Antwort #55 am: 19.02.2023 | 16:26 »
Der Gestank der Leichen erfüllte die Höhle, in den Tiefen unter der Irrlingsspitze. Die Körper von dutzenden kleinen Kreaturen lagen teilweise übereinander in ihrem Blut. Sie waren muskulös und drahtig, hatten spitze, raubtierhafte Zähne, von Hass verzerrte Gesichter und zotteliges schwarzes Haar und Fell. Doch der eigentliche Gestank ging nicht von ihnen aus, sondern von den Fleischhaufen, die sich eben noch wabernd auf uns zu bewegten und versuchten uns mit ihren verschiedenen Mäulern zu fassen. Bargh und Halbohr triefte der Schweiß von der Stirn. Der große statthafte Krieger, in seiner Rüstung aus dem dunklen Ne’ilurum Erz, atmete schwer. Bargh hatte seine Klinge der Schatten und Feuer erhoben, auf deren Schneide die Reste von Fleisch und Fell der Kreaturen klebten. Der rote Kristall, der sich in seiner leeren, rechten Augenhöhle befand, starrte in die Dunkelheit und erwartete weitere der seltsamen Wesen. Auch Halbohr richtete sein gutes Ohr in die dunklen Felsgänge und horchte, doch es geschah nichts. Offenbar hatten wir sie alle erledigt. Es hätte gut laufen können, aber der kleine Wicht Ortnor musste sich wieder hervortun und mich kritisieren. Irgendwann wird es so weit sein und ich werde seinen verrückten Schädel über meinem Feuer rösten.

Das musste noch warten, denn Halbohr schlich sich allein in die Dunkelheit. Schon nach kurzer Zeit kam er wieder zurück. Er erzählte uns, dass er in einer Höhle vor uns weitere Geräusche gehört hatte. Atmen und Schnarchen von kleinen Kreaturen, noch viele mehr dieser Biester. Ortnor meinte wieder uns kommandieren zu müssen. Dass wir diesen Teil der Höhle noch durchsuchen müssten. Ich sah es im Gesicht Halbohrs arbeiten und konnte mir vorstellen, wie er mit dem Gedanken spielte den Schädel des Gnoms zu zerschmettern. Normalerweise war mir die Meinung Halbohrs ziemlich egal, aber dieses Mal konnte ich mit ihm mitfühlen. Als Halbohr sich nicht rührte, versuchte er es bei Bargh. Auch dieser war kurz davor sein Schwert in Ortnor zu rammen. Doch auch er hielt sich zurück, vielleicht versprach er sich etwas davon. Also untersuchten sie auch den restlichen Teil der Höhle. Das Einzige, was sie fanden, waren leere Hauthüllen von anderen Kreaturen. Anzusehen wie Insektenkokons und überzogen von einem kristallisierten Schleim. Offenbar nisten sie sich in die Körper anderer ein, wachsen dort, bis sie irgendwann aus diesen schlüpfen. Bargh murmelte etwas von “blauen Teufeln” und dass er sie schon einmal gesehen hätte. Bei näherer Betrachtung hatten die Hauthüllen tatsächlich eine seltsame, fassähnliche Form des Oberkörpers. Ihre Haut war durch die Reste von Venengeflechten bläulich gefärbt. Vielleicht meinte Bargh die Ereignisse in Berghof, jener Region nördlich der Adlerfeste. Ortnor meldete sich zu Wort. Offenbar war es ein krankhaftes Verhalten, alles verbessern zu müssen. Seiner Meinung nach, hätte die Graue Rasse, wie er sie nannte, diese Kreaturen in diese Welt gebracht. Völliger Blödsinn, dachte ich mir und glaubte eher Bargh, dass diese Kreaturen vor einiger Zeit schon von Berghof hier in diese Höhle gesiedelt hätten.

Zusammen schlichen wir uns vorsichtig in eine noch größere Höhle. Wir mussten mit unseren Schritten hier besonders vorsichtig sein. Je näher wir kamen, desto mehr Reste von Knochen lagen auf dem Boden. Wenn wir unvorsichtig schritten, würde sich vermutlich die ganze Horde auf uns stürzen. Was es nicht einfacher machte, war die Tatsache, dass die Felsen hier nässlich schimmerten. Als ob ein Film von Schleim diese bedeckte. Hinter einem Tropfstein sahen wir die ersten. Wie fellige Knäuel kauerten sie sich zusammen und schliefen. Etwas weiter in die Höhle hinein, der nächste Knäuel und noch einer. Wir konnten nicht alle sehen, aber es waren bestimmt hunderte dieser Kreaturen. Ortnor konnte von mir denken was er wollte, aber mir war sehr wohl bewusst, was mein Licht bei den Kreaturen bewirkte. Aber das konnte ich auch für mich nutzen. Also verbarg ich meinen leuchtenden Kristall in Tücher und nahm den Trank von Bargh zu mir, der mich dazu in die Lage versetzte, im Dunkeln zu sehen. Es war zuerst ein merkwürdiges Gefühl. Plötzlich sah ich die dunklen Höhlen in einem unwirklichen Lichterspiel glitzern. Wie Strömungen glitten die sonst unsichtbaren Strahlungen über den Stein und machten ihn sichtbar für mich. Halbohr bereitete sich ebenfalls vor. Beinahe lautlos schlich er sich zum ersten Knäuel der schlafenden Kreaturen. Ein jeder der muskulösen Brustkörbe hob und senkte sich gemächlich. Langsam beugt sich Halbohr über sie, sein Dolch gezückt. Mit einem schnellen Hieb durchschnitt er die erste Kehle. Es gab nur ein leises Röcheln, das Halbohr schnell erstickte, in dem die Schnauze der Kreatur zu drückte. Es folgte die nächste und die nächste, bis das gesamte Knäuel nur noch aus den blutenden Leichnamen bestand. Nachdem er mit diesem Haufen fertig war schlich er sich zum nächsten. Auch hier erlag eine Kreatur nach der anderen seinem Dolch, während wir nur zusehen durften. Doch dann bewegte sich eine der Kreaturen im Schlaf und sein Dolch glitt an dieser vorbei. Mit einem lauten Klingen schabte der Stahl in den nassen Stein. Das Geräusch hallte zigfach von den Höhlenwänden zurück.

Die Kreaturen wurden mit einem Mal wach und fauchten uns an. Das war unser Zeichen. Was folgte war ein gnadenloses Gemetzel. Wir kämpften um unser Leben, in diesen seltsamen Schleimhöhlen. Von überall, aus den tiefsten Winkeln der Höhle tauchten weitere Kreaturen auf. Anfangs versuchte ich noch diese zu zählen, doch als ich bei fünfzig angekommen war gab ich es auf, strömten doch immer mehr auf uns zu. Bargh schwang sein Schwert, Halbohr hieb wie wild mit seinen beiden Dolchen auf diese ein, Ortnor schleuderte Steine auf die Kreaturen und ich verbrannte sie mit Haut und Haaren. Doch sobald wir Lücken in den Strom gerissen hatten, wurden diese sofort wieder mit weiteren aufgefüllt. Sie versuchten uns zu umzingeln und zu Boden zu reißen. Ich nahm den leuchtenden Kristall aus meinen Taschen. Das Licht blendete mich für einen Moment als ich ihn hervorbrachte und in eine andere Ecke der Höhle schleuderte. Einige der Kreaturen reagierten, so wie ich es mir gedacht hatte. Wie Insekten liefen sie dem Licht entgegen, als ob es eine Beute wäre und versuchten ihn zu zerstören. Bargh und Halbohr nutzen die Gelegenheit und konnten weitere der wahnsinnigen Geschöpfe zu Boden strecken. Doch wie in einem Alptraum strömten weitere nach. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie sich an Bargh klammerten. Doch waren sie dem großen Krieger nicht gewachsen. Er schüttelte sie einfach wieder ab. Halbohr dagegen hatte nicht so viel Glück. Sie umringten ihn und rissen ihn auf den Boden. Wie ein wildes Rudel Wölfe hackten sie mit ihren Krallen und Mäulern auf seinen Leib und rissen ihm die Bauchdecke auf. Ich hörte ihn aufschreien vor Schmerzen, doch ich kümmerte mich nicht weiter um ihn. Ich kämpfte um mein eigenes Leben. Es erinnerte mich an die Felder aus meinem Dorf, wie Bargh und ich uns durch die Kreaturen schnitten und brannten. Damals, als ich noch einen anderen Namen trug. Als ich noch nichts wusste und bevor sie mich Hagazussa schimpften. Wir sahen, wie sich drei größere dieser Kreaturen unter die Masse mischten. Wie Felsen in einem Fluss, strömten die kleineren an ihnen vorbei. Sie schienen sie zu lenken. Auch Ortnor war inzwischen umzingelt und wurde zu Fall gebracht. Doch anstatt sich wie Halbohr seinem Schicksal zu stellen, nutzte der Feigling seine magischen Künste und löste sich einfach in Luft auf, so dass die Kreaturen, die auf ihm lagen, auf den Boden fielen und weiter ohne jegliche Intelligenz auf den Felsen hackten und bissen. Dort, wo eben noch der kleine Gnom lag. Ich blickte kurz zu Halbohr hinüber. Dieser blutete inzwischen bedenklich und ich glaubte auch, dass ich einige seiner Innereien durch die Höhlenluft riechen konnte. Auch bewegte er sich nicht mehr. Ich sah, dass eine der Gestalten, als sie Halbohr biss, irgendetwas wie eine Made oder einen Wurm auf Halbohr spie, der sich seinen Weg durch die offenen Wunden in seinen Körper bahnte.

Langsam aber sicher lichteten sich die Reihen der in einen Wahnsinn verfallenen, kreischenden Geschöpfe. Ich sah auch Ortnor wieder. Der Feigling hatte sich hinter einer Felsnadel versteckt. Hinterrücks beschwor er ein weiteres Mal seine Magie und schleuderte grell gleißende Blitze auf die Verbliebenen. Fast alle waren inzwischen niedergestreckt, die letzte der Kreaturen fiel der Klinge Barghs zum Opfer, als er den Oberkörper beinahe halbierte.

Schwer keuchend und mit von Blut tropfendem Schwert ging Bargh zu Halbohr hinüber. Der Elf lag ebenfalls in einer Pfütze von Blut, halb bedeckt von getöteten Kreaturen. Die kreischenden Geschöpfe hatten ganze Arbeit geleistet. Sein Oberkörper war von Rissen der Klauen übersäht und teilweise hingen seine Innereien heraus. Schnell brachte Bargh mit einem Verband die Blutungen zum Stillstand. Er packte Halbohr wie einen nassen Sack und schliff ihn hinter sich her. Wir mussten eine Stelle finden, wo wir seine Wunden genauer untersuchen konnten. Zum Glück erinnerte sich Ortnor, dass er eine kleine Nische in einer anderen Höhle gesehen hatte. Das musste wohl reichen. Unsanft trug Bargh Halbohr dorthin und wir alle bereiteten uns vor, etwas zu verschnaufen. Halbohr wachte zwar ab und an aus seinem Zustand auf, aber wenn er wach war, blickten seine Augen mehr in die Leere als anderswohin. Wenn er schlief wälzte er sich hin und her, so dass einige seiner Verbände immer wieder verrutschten. Nicht dass ich Mitleid mit ihm hätte. Wenn er einfach nur wie ich selbst verstehen würde, wer der Initiator unserer Reise ist, wäre es vermutlich anders ausgegangen. Aber ich konnte mir vorstellen, dass er keine sanften Träume haben würde, wie vermutlich keiner von uns in diesen Tiefen.

Unsere Rast wurde jäh unterbrochen, als drei riesige Gestalten in unser Versteck eindringen wollten. Diese Kreaturen waren abscheuliche Abnormitäten. Einer hatte einen dritten Arm, der schlaff an seiner Seite hing, einer anderen wuchs ein kleiner halb ausgebildeter Kopf aus der Schulter, der uns dümmlich anglotzte. Bargh und ich setzten ihnen zu, Ortnor war immer noch in seiner geheimen Kammer verschwunden und dabei, die Halterung für das Schild von Bargh zu vollenden. Als er den Krach hörte, steckte er seinen Kopf aus dem extra-dimensionalen Bereich, den er geschaffen hatte. Wütend blickte er zu Halbohr. Was ich verstehen konnte, aber es steht dem kleinen Wicht nicht zu so zu urteilen. Er trat heraus und beschwor mit einer krachenden Explosion eine Wand aus Flammen, in denen die Kreaturen zugrunde gingen. Überheblich blickte er uns an, als ob wir ihm Dank schulden würden. Als dieser nicht kam, versuchte er sich wieder wichtig zu tun und dass wir nicht lange hinter dieser Wand aus Flammen bleiben könnten, ohne zu ersticken. Aber mit Freuden konnte ich ihm dies nehmen, da ich wusste, dass wir bestimmt mehrere Stunden ohne Probleme hierbleiben konnten. Als ich es Bargh sagte, blickte er mich wütend an und ich lächelte nur sanft zurück.

Nach einigen Stunden kam Halbohr wieder zu Bewusstsein. Die tief geschlagenen Wunden in seinen Körper sahen bedrohlich aus. Bargh bot an, zusammen mit Halbohr für die Gunst der Schwertherrin zu beten. Ich rechnete schon damit, dass Halbohr wieder irgendwelche Ausflüchte oder sonstige Gründe fand, um es abzulehnen. Er fand sie auch, doch konnte jeder, wahrscheinlich sogar Ortnor, erkennen, dass Halbohr seinen eigenen Worten nicht glaubte und schon fast erleichtert dreinblickte, als er dann doch zustimmte. Zusammen beteten die beiden und die feurige Macht Jiarliraes begann sein Fleisch zu durchströmen. Alsbald begannen sich seine Wunden zu schließen. Ich sah deutlich in seinen Augen die Befriedigung, die er spürte, fast wie ein Süchtiger, der nach langer Zeit wieder seine Kräuter und Gewächse zu sich nehmen konnte. Ich kicherte leise in mich hinein bei den Vorstellungen wie es mit Halbohr weitergehen könnte. Auch als ich sein Ohr sah, musste ich fast laut auflachen, konnte mich nur noch im letzten Moment zurückhalten. Die Narbe, an der sein Ohr abgeschnitten wurde, sah schon lange nicht mehr aus wie eine Schnittwunde. Anfangs waren die Änderungen nur subtil, aber jetzt, nachdem er wieder die Macht Jiarliraes gekostet hatte sah sie aus als hätte jemand mit einem heißen Schürhaken sein spitzes Ohr einfach weggebrannt. Das witzige an der Sache war, dass er es offenbar immer noch nicht gemerkt hatte.

Nach einer weiteren Nacht (war es eine Nacht oder ein Tag, ich kann es gar nicht sagen) brachen wir wieder in gewohnter Manier auf, Halbohr schleichend voran, wir anderen in einigen Schritten Abstand. Bargh gab mir zum Glück eine Fackel, so dass ich nicht in der Dunkelheit umherirren musste, war doch der Kristall von den Kreischlingen zerstört worden. Wir folgten dabei den Spuren der Duergar, die Bargh und Halbohr im leicht feuchten Höhlenboden fanden. Sie führten uns zu einer neuen Höhle, die man schon fast als wunderschön bezeichnen konnte.

Die Höhle leuchtete in einem blassem, purpurnem Lichtschein, trotz dieser merkwürdigen Eigenschaft des Felsens, der das Licht zu verschlucken schien. Der Lichtschein wurde von der spiegelnden Oberfläche eines kleinen Teiches mit kristallklarem Wasser wiedergegeben. Das Spiel der Wellen auf dem Wasser setzte sich als Lichtspiel in der Höhlendecke fort. Das Licht kam von einem Teppich von Pilzen, die mir teilweise bis zu den Knien reichten. Ihre Fruchtkörper und die Lamellen strahlten das kalte, purpurne Licht aus. Ich betrachtete mir diese Pilze genauer. Irgendwo hatte ich davon schon einmal gehört. Dann fiel es mir plötzlich wieder ein: Sie wurden Düsterheit genannt. Man konnte sie verarbeiten, dass daraus ein starkes Rauschgift entstand, das den Geist betäubte. Aber viel interessanter war, dass es eine verheerende Wirkung auf Organismen hatte, die unter Mutationen litten und wohl auch auf die Kreischlinge, so sagte man zumindest. Halbohr wurde direkt hellhörig. Er fing an viele dieser Fruchtkörper zu sammeln und verschwand damit in dem magischen Versteck von Ortnor. Zusammen wollten sie die Pilze verarbeiten, zu einem Öl, was sie dann auf ihre Klingen streichen konnten. Hinter dem magischen Vorhang hörte man das Brodeln von Kesseln und das Klappern von Gerätschaften. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, aber zum Glück leistete Bargh mir Gesellschaft, denn die Langeweile begann wieder an meinem Geist zu nagen. Ich war nicht dumm. Mir war klar, dass es eigentlich tölpelhaft war so zu denken, schließlich konnte keiner die Gefahren, die hier unten lauerten, verneinen. Aber etwas trieb mich weiter an und sorgte dafür, dass ich rastlos und unstet wurde. Ich wollte weiter und immer weiter in die Tiefe, den Geheimnissen und deren Offenbarungen entgegen.

Offline Jenseher

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Sitzung 55 - Die blauen Teufel II
« Antwort #56 am: 25.02.2023 | 20:36 »
Das leise Rauschen der leichten Luftströmung schaffte ein schwaches und immerwährendes Flüstern in unseren Ohren. Ab und zu meinte ich, dass sich auch kaum hörbare Schreie unter dieses Flüstern mischten. Meine Nerven waren zu angespannt und ich dachte, dass ich anfange Gespenster zu hören. Jedes Tropfen von Wasser, was auf diesen kleinen Teich hier in der Höhle hinabfiel, ließ mich zusammenzucken. Es waren nicht diese Kreaturen, die wir zu hunderten abgeschlachtet hatten. Auch das fahle Licht der Pilze, die hier wucherten, beruhigte mich nicht wirklich. Es war meine eigene Anspannung und Aufregung. So war ich doch zum einen noch nie in dem Reich unterhalb der Reiche und hatte, zum anderen, auch vorher auch nie ein Ziel gehabt. Dieses Ziel hatte ich jetzt und es war in greifbarer Nähe.

Nachdenklich betrachtete ich meine Reisegefährten. Bargh würde bis zum Schluss an meiner Seite bleiben, waren unsere Ziele doch fast deckungsgleich. Bei Halbohr war ich mir nicht sicher. Zwar tat er immer so, als wenn er die Wahrheit nicht kennen würde - oder wollte - doch jedes Mal, alsbald Bargh die Macht der Herrin nutzte, um Halbohrs Wunden zu versorgen, sah ich in den leicht gelblichen Augen des Elfen die Erleichterung und auch das Verlangen, etwas von dieser Macht zu kosten. Wahrscheinlich würde er ohnehin den Weg nicht überleben. Ortnor, so glaubte ich damals, würde überleben. Der kleine Wicht mit seinen wirren Gesichtszuckungen und Verrenkungen und seiner überheblichen Art, kannte etliche Kniffe, die ihm jedes Mal dem Tod ein Schnippchen schlagen ließen. Aber wenn er uns weiter so herumkommandiert, würde wohl Bargh als erster seine Kniffe auf die Probe stellen.

Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Halbohr plötzlich anfing wie wild an seinem geschundenen Körper herumzutasten. Er riss sich sein Kettenhemd vom Leib und jetzt sah ich es auch: Unter der fahlen, gerade neu gewachsenen Haut der Wunde wölbte sich etwas, kaum zu erkennen. Diese Wölbung fing an zu Zucken und sich zu bewegen, von seinem Rumpf hoch in Richtung seines Kopfes. Ich sah Schmerz und Panik in seinem sonst so kontrollierten Blick und er versuchte die Stelle abzudrücken, wobei sein Versuch kläglich scheiterte. Vielleicht traf meine Vermutung, dass er bald sterben würde, schneller zu als ich dachte. Ich glaube, ich habe meinen Gedanken laut ausgesprochen, doch es hörte ohnehin keiner auf mich. Halbohr fing an vor Schrecken zu keuchen und bettelte Bargh an, es heraus zu schneiden. Die Schmerzen ließen seine Arme zittern und Tränen liefen aus seinen Augen hinab. Ich blickte auf Barghs große Klinge von Schatten und Feuer. Es wäre ein interessantes Bild gewesen und es wäre von Halbohr wohl nicht viel übriggeblieben, hätte er es herausgeschnitten. Das sich bewegende Etwas, vielleicht ein Wurm, war jetzt bei seinem Brustkorb angelangt und bahnte sich seinen Weg weiter Richtung Hals. Die anderen, auch Ortnor, standen ratlos um ihn herum. Das alles raubte uns nur Zeit. Soll er doch schneller sterben, dann könnten wir endlich weiter, dachte ich mir. Man sah deutlich die Verzweiflung im Gesicht Halbohrs als er begann wie verrückt seinen Rucksack auszuschütten. Hastig griff er nach einem Fläschchen, in das er Gift der Düsterheit-Pilze gefüllt hatte. Die pulsierende Auswölbung war jetzt bei seinem Hals angekommen und schien weiter in Richtung seines Kopfes zu wollen. Kurz hielt er inne, wusste er doch nicht, wie dieses Gift auf seinen Körper wirken würde. Doch als die Bewegungen unter seine Haut wieder stärker wurden, stürzte er den Inhalt seinen Rachen hinunter.

Schon kurz nachdem er es herunterschluckte, begannen seine Augen leicht glasig in die Leere zu gucken und die Wölbung an seinem Hals begann größer zu werden. Ein weißlicher Wurm, mehr Made als Wurm, bohrte sich durch seine Haut. Offenbar schien die Substanz tatsächlich ihre Wirkung zu entfalten und der Wurm, von einem tierischen Instinkt getrieben, versuchte zu entfliehen. Doch schon als die ersten Glieder aus dem Hals erschienen, begann die Haut des Wurms zu dampfen und sich aufzulösen. Wie weißer Schleim floss die Made an seinem Körper herab. Halbohr, noch immer in die Leere starrend, schien nicht wirklich etwas davon mitzubekommen. In seinem Traum hatte er andere Erlebnisse. Von dem Wurm war nicht mehr übrig, als etwas dampfender Matsch und Halbohr kehrte ins hier und jetzt zurück. Er sank kraftlos in sich zusammen. Eigentlich war es schade, wäre es doch für uns eine einmalige Gelegenheit gewesen, zu sehen, ob wirklich eine dieser kleinen Kreaturen aus Halbohr hervorgebrochen wäre. Jedenfalls hätte ich es gerne erfahren. Aber vielleicht ein anderes Mal.

Bargh war es auch nicht entgangen, dass Halbohr Träume oder vielleicht auch Visionen hatte. Als er Halbohr bat davon zu berichten, schilderte dieser ihm ein Bild von einer Sonne, irgendwo in der Schwärze des Alls. Doch die Sonne konnte nicht scheinen, da sie umschlungen war, von schwarzen Tentakeln. Halbohr versuchte in seiner Vision diese Tentakel loszureißen, was ihm nicht gelang. Doch dann sammelte er seine Kräfte und riss Tentakel für Tentakel los. Die Sonne wurde frei und es war keine normale Sonne. Er beschrieb eine schwarze Scheibe, die nur am Rand, wie eine Korona, ihr Licht und ihr Feuer ausstrahlten. Barghs Augen wurden größer und er sagte, er wisse jetzt, warum Neire ihn hierherschickte. Die Sonne konnte nur ein Symbol unserer Herrin Jiarlirae sein und sie war gefangen. Wir mussten sie befreien, ihre Macht befreien. Waren nicht auch auf dem Kartentisch von Waergo Tentakel zu sehen gewesen?

Halbohr fühlte sich bald wieder stärker, nachdem Bargh sich um seine Wunde gekümmert hatte. Ab und an blickten seine Augen glasig in die Leere. Ich wusste ja, dass diese Pilze für die mutierten Kreaturen hier tödlich waren. Bei normalen Menschen verursachten sie allerdings Halluzinationen. Halbohr sammelte seine Sachen wieder ein und machte sich auf den Weg, die weiteren Höhlen vor uns auszukundschaften. Es dauerte nicht lange, da hörten wir aus der Dunkelheit vor uns seine Rufe. Er war wohl auf irgendetwas gestoßen. Ich zündete meine Fackel wieder an und zusammen eilten wir den Rufen entgegen. Wir sahen gerade noch, wie sich eine widerliche Kreatur aus einem Haufen Schutt grub. Diese Kreatur war keine, wie wir sie bis jetzt gesehen hatten. Ihr Körper glich einer Kugel aus Fleisch, die von schwarzem Schleim bedeckt war. Statt Arme, wuchsen aus der Mitte der Kugel mehrere Stiele, die teilweise in Augen endeten. Andere Stiele hatten Münder, die mit messerscharfen Zähnen nach Halbohr schnappten. Und wieder andere dieser schnappenden Stiele hatten sich um die Griffe von Schwertern gewunden. Bargh zögerte nicht lange und stürmte auf das Wesen zu. Er hatte beide Klingen gezogen: Die Klinge der Schatten und Feuer und die Knochenklinge. Zusammen mit einer Lanze der Energie, die Ortnor beschwor, platzte der sphärische Körper der Kreatur auf. Doch gerade als wir dachten es würde wieder Ruhe einkehren, erschien eine zweite Kreatur. Eine wabernde Masse von Fleisch die aussah, als ob sie von der Höhlendecke auf die geplatzte Sphäre tropfen würde. Sie verbreitete einen fürchterlichen Gestank nach Fäulnis und Verwesung. Doch diesmal waren wir alle bereit und die Kreatur konnte uns nicht lange widerstehen. Die Fleischmassen, durch welche Macht sie auch immer zusammengehalten wurden, zerflossen wieder in einen stinkenden Brei.

In dem Haufen sahen wir einige glitzernde Gegenstände, wovon einer besonders unsere Aufmerksamkeit anzog. Es war ein kleiner Stecken, der durchweg aus einem grünen Smaragd geschliffen war, ähnlich dem Rubin-Stecken, den wir Waergo abgenommen hatten. Dies war offenbar der zweite Portal-Schlüssel, hier einfach so unter dem Dreck begraben. Halbohr nahm ihn schnell an sich und steckte ihn ein. Auch einen Stecken, den die Kugel-Kreatur in ihrem Tentakel hielt, fand ich sehr interessant. Offenbar beherbergte der kleine blaue Diamant an dessen Spitze magische Energien, die entladen werden konnten.

Weiter ging unser Weg, Halbohr wieder einige Schritte voraus. Diesmal jedoch nicht, bevor alle ihre Waffen mit dem Gift der Pilze bestrichen hatten. Wir durchschritten viele weitere Gänge die uns jedoch alle nur im Kreis herumführten. Irgendwann sah Halbohr dann eine kleinere Höhle. Dort hausten die Abnormitäten der Troll-Kreaturen, denen wir schon früher begegnet waren. Sie waren auf abscheuliche Weise verunstaltet. Einer der Kreaturen wuchs ein zweites Herz aus der Brust; eine andere hatte einen langen, schlaff nach unten hängenden Arm, der aus dem Rücken herauswuchs. Aber allen war die bestialische Intelligenz gleich, die in ihren Augen brannte. Sie schienen auf etwas zu warten und umringten eine primitive Trommel, die zwischen ihnen stand. Wir folgten den Spuren Halbohrs, als wir ebenfalls diese Kreaturen sahen - nicht jedoch Halbohr. Bargh stürmte mit beiden Klingen voran, auf denen die dunkle Substanz des Giftes wie Öl schimmerte. Seine Klinge traf den ersten der Trolle. Als das Gift das Blut des Trolls berührte blähte sich sein gesamter Körper wie eine Seifenblase auf. Der Kopf wurde immer größer bis er mit einem lauten Knall zerplatzte. Das schwarze stinkende Blut ergoss sich auf Bargh. Jetzt tauchte auch Halbohr auf. Offenbar wollte der Feigling erst abwarten und die Kreaturen auf Bargh hetzen. Er warf seine Dolche auf die anderen Kreaturen und auch bei diesen entfaltete das Gift eine ähnlich tödliche Wirkung. Doch einer der Trolle schaffte es noch mit seinem Klöppel auf die Trommel zu schlagen. Das dumpfe Geräusch ließ mir die Haare im Nacken zu Berge stehen, so wie es durch die Tunnel vielfach zurückgeworfen wurde. Was es bedeutete war mir sofort klar: Sie riefen nach Verstärkung. Zum Glück erkannten es auch die anderen und wir zogen uns in einen Tunnel zurück. Sollten doch die Trolle, die ohnehin gerade so in den Tunnel passten uns einer nach dem anderen serviert werden.

Und so geschah es auch, doch mit der Masse an Kreaturen hatte ich nicht gerechnet. Es schien, als ob hier ein richtiger Stamm hausen würde. Immer mehr strömten aus der Dunkelheit auf uns zu und immer mehr fielen unseren Klingen und den Feuern, die mir meine Herrin schenkte, zum Opfer. Bei jeder Kreatur, die zu Boden ging, wichen wir einen Schritt zurück. Die nachrückenden Trolle zeigten jedoch kein Bedauern für ihre gefallenen Stammesbrüder und trampelten einfach über die zerplatzten Leichname nach. Wieder war es eine schweißtreibende Arbeit; wieder schien der Strom nicht abzuebben. Zwischen den mutierten Abscheulichkeiten erkannten wir jedoch eine Kreatur, die etwas größer und sichtlich um einiges fetter schien. Offenbar die Mutter dieses Stammes. Jedenfalls deuteten die obszönen und fetten Brüste darauf hin. Auch sie wurde von den Mutationen nicht verschont und ein zweiter Schädel wucherte aus ihrem Hals hervor, der aber wie ein nasser Sack bei jedem Schritt herunterbaumelte. Sie versuchte ihre gewaltigen Pranken auf Halbohr herabsausen zu lassen, doch wie in einer Ironie rutschte sie auf den Überresten ihrer eigenen Kinder aus und fiel zu Boden. Bargh nutzte die Gelegenheit und hieb die Schattenklinge so fest in ihren Hals, dass beide Köpfe nur noch an einem Hautfetzen zusammenhingen.

So dauerte es nicht mehr lange, bis auch die letzte Kreatur das Schicksal der Sippe teilte. Doch Halbohr hörte immer noch Geräusche. Offenbar war noch nicht die ganze Sippe niedergemacht worden. Nach unserem weiteren Vorstoßen erblickten wir eine Höhle, die eingerichtet war wie ein Thronsaal. Jedenfalls das, was diese primitiven Kreaturen wohl als Thron verstanden. Zusammen mit Haufen von Kot und Unrat stand dort ein aus einfachen Balken errichteter Stuhl, der eine erhabene Position ausstrahlen sollte. Lächerlich, was in den einfältigen Geistern der Kreaturen vorgehen mochte. Doch zwischen den Haufen Dreck sahen wir die letzten Überbleibsel des Stammes, anscheinend etwas, was man als Kinder bezeichnen könnte, aber auch nicht viel mehr als Tiere. Bargh wendete sich bereits anderen Dingen zu, doch ich wollte, dass diese Krankheiten vollständig ausgemerzt werden. Wer weiß, wie schnell die kleinen Biester heranwachsen würden. Bargh tat mir den Gefallen und streckte auch den letzten der kindlichen Trolle nieder. Um sicher zu gehen, dass diese auch tatsächlich nicht wieder aufstehen nutzte er die Flammen seiner Klinge, um auch die Überreste zu vernichten. Schließlich hatten wir gesehen, dass die Geschichten wahr waren, die man sich über Trolle erzählte.

Weiter durch die Dunkelheit kamen wir in eine größere Höhle, deren Boden durchzogen war von einem breiten Spalt im Felsen. Gähnende Leere und absolute Schwärze, soweit das Licht meiner Fackel reichte. Einige Tunnel zweigten hier ab. Einer von diesen führte zu einem dichten Wald voller Pilze, doch waren es diesmal andere als die Düsterheit Pilze. Zwar leuchteten auch sie in einem unwirklichen Licht, doch verströmten sie einen merkwürdigen Geruch. Halbohr setzte zwar einige Schritte dort hinein, aber schon nach einigen Metern kehrte er wieder zurück. Diese Pilze waren ihm nicht geheuer. Aus einer anderen Höhle hörten wir alle leise Stimmen zu uns dringen. Keine bestialischen Geräusche wie das Grunzen der Trolle oder das Kreischen der kleineren Kreaturen. Es waren Stimmen, die sich unterhielten. Ich verstand die Sprache zwar nicht, aber es klang wie die Sprache der Duergar. Vielleicht war es ein weiterer Außenposten der Minenstadt? Halbohr wollte gerade in diese Richtung kundschaften, als wie aus dem Nichts der gewaltige behaarte Leib einer acht-beinigen Kreatur aus der Felsspalte auftauchte. Halbohr war so überrascht von dieser riesenhaften Spinne, dass die Dolche zitterten, die er mit beiden Händen gepackt hatte. Doch zum Glück für Halbohr reagierte Ortnor erstaunlich schnell. Er schleuderte eine seiner Kugeln auf die Riesenspinne und traf sie genau auf den Schädel, der über Halbohr aufplatzte, gerade als sie ihre scharfen Kieferzangen über seinen Kopf schließen wollte. Ortnor kannte diese Kreaturen, zumindest erzählte er uns von Märchen, die er gehört hatte. In diesen Märchen sollten diese Spinnen, Flüsterspinnen nannte er sie, ihre Opfer mit ihrem Gift lähmen und in tiefe Höhlen ziehen, wo sie dann genüsslich verspeist werden konnten.

Halbohr sammelte sich wieder und schlich sich in den Tunnel, in dem wir die Stimmen der Duergar hörten konnten. Doch stellte er sich offenbar etwas ungeschickt an, denn einer seiner Stiefel stieß gegen einen kleinen Kiesel, der laut klickend über die Felsen rollte. Aus der Entfernung sahen wir, wie er sich jetzt offen in den Gang stellte und beide Arme nach oben hielt. Für mich sah es so aus als ob er sich feige ergeben würde, doch die beiden Duergar die sich ihm näherten schienen selbst in keiner guten Lage zu sein. Einer der beiden hatte eine tiefe Wunde an der Seite und konnte sich nur noch humpelnd bewegen. Der andere trat Halbohr entgegen. Laut rief Halbohr, dass wir freies Geleit hätten. Beide Geschöpfe des Unterreichs verstanden natürlich kein Wort von dem, was er sagte, doch Ortnor trat vor und half aus. Er erklärte ihnen, dass wir passieren durften. Die beiden Duergar hatten hier im Tunnel ein provisorisches Lager aufgeschlagen und waren gerade dabei sich über einem kleinen Feuer fettiges Fleisch zu kochen. Die beiden sagten Ortnor, dass sie sich verlaufen hätten, als sie geschickt wurden, um Düsterheit-Pilze zu sammeln. Weiter vorwärts wollten sie nicht, sagten sie doch, dass dort der Horror lauerte. Jedenfalls war es das, was Ortnor uns übersetzte. Zurück wollten sie aber auch nicht, fürchteten sie doch die Kreaturen. Die Kreaturen, um die wir uns bereits gekümmert hatten. Eigentlich sollten die beiden uns auf den Knien danken. Vermutlich waren sie entweder zu stolz oder zu dumm, das zu erkennen.

Plötzlich hörten wir hinter uns ein Hüsteln und diesmal zuckten wir alle zusammen, als dort eine Gestalt auftauchte. Es war eine menschliche Frau, die in einer mit Pfauenfedern geschmückten Robe gekleidet war. Wobei diese völlig überzogen war mit verstaubten dicken Spinnfäden. Auch im schwarzen Haar und am Körper der schlanken Gestalt klebten die dicken Fäden. Leicht torkelnd, als ob sie am Ende ihrer Kräfte war, kam sie auf uns zu und ich roch ihr Parfüm von Blumen aber auch den Geruch von etwas anderem, beißend riechendem. Sie musterte uns und den toten Leib der Spinne der noch in der Höhle lag. Vor allem musterte sie Bargh und der Blick den sie ihm zuwarf gefiel mir gar nicht. Sie stellte sich als Meeredite vor, eine ehemalige Sklavin, die sich dann in Urrungfaust hochgearbeitet hatte und jetzt dem König von Urrungfaust diente: Granryk von Werunstein. Als der Name fiel murmelte Ortnor etwas, das wie Bastard klang, doch Meeredite schien über die Bemerkung einfach hinweg zu hören. Ihr Auftrag war es, in der Minenstadt von Unterirrling nach dem Rechten zu sehen, hatten doch Gerüchte Urrungfaust erreicht, Waergo hätte die Kontrolle über die Stadt verloren. Nun, das Problem hatten wir offenbar auch gelöst, wobei unsere Lösung ihr vermutlich nicht gefallen hätte. Ihr diese Erkenntnis zu offenbaren, würde ich mir für einen späteren Zeitpunkt aufbewahren. Auch Halbohr war nicht dumm genug ihr davon zu erzählen. Sie wunderte sich nämlich schon, dass Waergo uns einfach so durchgelassen hatte, war es doch seine Aufgabe die Minenstadt zu sichern, sobald das Erscheinen Linnerzährns die Portale öffnete, die in den Berg hineinführten. Und auch sie erzählte von irgendwelchen Schrecken, die jenseits der Tunnel vor uns warteten. Alleine hatte sie wohl zu viel Angst, deshalb bat sie uns, sich uns anzuschließen. Als Ortnor das hörte polterte er. Er wollte keinen im Rücken haben, den er nicht kannte und erst recht keinen Diener aus Urrungfaust. Doch ein paar eindringliche Worte Barghs, zusammen mit einem strengen Blick, brachten ihn schließlich zur Einsicht, denn Ortnor wusste sehr wohl, dass er nur ein kleiner Wicht ist. Und wir brauchten jemanden, der sich in den dunklen Tiefen auskannte. Wir brauchten jemanden, der sich besser auskannte als Ortnor.
« Letzte Änderung: 4.03.2023 | 21:12 von Jenseher »

Offline Jenseher

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Sitzung 56 - Das Portal
« Antwort #57 am: 4.03.2023 | 21:25 »
Mein Herz pochte. Vielleicht war es noch die Aufregung des Kampfes mit der gewaltigen Spinnenkreatur. Doch ich war mir fast sicher, dass es eher an Meeredite lag. Sie sah zwar wesentlich älter aus als Bargh, und als ich ohnehin, aber in ihrer mit Pfauenfedern verzierten Robe und ihrem schlanken Gesicht könnte sie es bestimmt schaffen einige einfältige Buben zu bezirzen. Bei Bargh versuchte sie es jedenfalls. Selbst sein vernarbtes Gesicht und der rote, mit seiner Haut verwachsene Edelstein in seiner leeren Augenhöhle schreckte sie nicht ab. Vielleicht war es ja auch genau das, was sie an ihm anziehend fand. Aber sie wusste nichts über ihn, geschweige denn, was ihm wichtig war. Für mich war eines klar: Ich konnte ihr nicht trauen. Auch wenn Ortnor sie anblickte, sah ich in seinen älteren Augen das Misstrauen. Nur für Halbohr schien sie völlig uninteressant zu sein. Ich vermutete es lag einfach daran, dass sich der Elf immer nur für eine Sache interessieren konnte und momentan war dies der weitere Weg. Was sonst noch an Geschehnissen vor sich ging, konnte oder wollte er nicht sehen.

Wir folgten den Höhlen vorbei an den beiden Duergar, die immer noch dabei waren, die Brühe aus Fleisch heiß zu machen. Der verletzte Duergar brabbelte irgendetwas in seiner Sprache zu Halbohr, was Ortnor übersetzte als Bitte um Heilung. Halbohr zuckte jedoch nur mit den Schultern und ging weiter. Wir folgten dem Tunnel in eine weitere Kaverne von deren Decke einzelne lange Tropfsteine über die Jahrhunderte wuchsen. Schon als ich in die Höhle eintrat spürte ich, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten. Ich war etwas verwundert, doch dann sah ich woher es kam: Der Ausgang der Höhle war versperrt mit einer Wand aus widerlich stinkendem grünem Schleim. Allerdings war es nicht nur einfach Schleim, sondern er schien sich in sich selbst zu bewegen, wie Wirbel von zähem Wasser. Als ich die Substanz etwas länger betrachtete, konnte ich deutlich die Konturen von einzelnen Gesichtern und Körpern erkennen. Einige dieser Gesichter waren jedoch bis auf den Schädel zerfressen. Diese Wand bewegte sich zwar nicht, doch sahen wir keinen anderen Ausgang. Wir hatten keine andere Wahl, als weiter vorwärts zu dringen. Keiner glaubte daran, dass diese Wand sich nicht doch heimlich auf uns zu bewegen könnte. Halbohr und Bargh zogen ihre Waffen und auch Meeredite zog einen Degen, der ebenfalls aus diesem merkwürdigen stahlharten Kristall des Ne‘ilurum gefertigt war. Halbohr schleuderte einen seiner Dolche auf die Wand. Das Gift was sich noch darauf befand, schien auch hier seine Wirkung nicht zu verfehlen. An der Stelle, in der der Dolch im Schleim verschwand, gab es ein Blubbern und ein Zischen und einzelne Schleimtropfen sprudelten wie Blut hervor. In dem Moment schälte sich aus dem grünlich fluoreszierenden Schleim der Teil eines Körpers heraus. Er sah aus wie ein Mensch, aber schien nur noch einen Oberkörper zu besitzen. Eine Frau mit langen schwarzen, teilweise zerfressenen Haaren und leicht spitzen Eckzähnen. Sie stöhnte auf vor Leid und blickte mit einem verbliebenen Auge uns an. Als ihr Blick auf Ortnor fiel, konnten wir die schwache und verzweifelte Stimme hören: „Ortnor, seid ihr es?“

Ich war sichtlich verwirrt, kannten die beiden sich wirklich und wenn ja, war er vielleicht schuld an ihrem Schicksal? Die einzige Antwort Ortnors war Angriff, doch das war kaum nötig, denn Halbohr und Bargh rammten bereits ihre Klingen in die Schleimwand und auf die immer wieder heraustretenden Schädel. Als Barghs Klinge Glimringshert den Schleim durchtrennte, sahen wir tatsächlich dahinter einen Durchgang, der tiefer in den Berg führte. Doch die Wand war nicht wehrlos. Wie ein Hagel schossen dutzende Klauen auf Bargh und versuchten mit ihrem Krallen durch seine Rüstung aus Ne‘ilurum zu dringen. Doch der starke Krieger duckte sich hinter sein Schild und ging zum Gegenangriff über. Aus einer anderen Stelle zuckten blitzende Entladungen auf und formten sich zu einem Strahl, der auf Halbohr schoss. Wie ein Peitschenschlag fuhren die Entladungen in sein Fleisch, versengten seine Haut und ließen seine Muskeln verkrampfen. Ich selbst löste mich schnell aus dem anfänglichen Grauen. Mutig schritt ich der Wand entgegen und bat Jiarlirae um ihre Gunst. Mit den sengenden Flammen, die ich aus meinen Fingern formte, verbrannte ich die obersten Schichten des Schleims. Barghs Schwert brachte jetzt auch reinigende Flammen hervor und zusammen schafften wir es, dass der Schleim sich erst verfestigte und dann wie poröser Stein in kleinen Brocken zusammenbrach. Es war auch nicht nur der Schleim der sich auflöste. Mit einem Mal fielen angefressene Körperteile und Schädel heraus und landeten auf dem Boden. Auch der Körper der Frau erschien wieder. Als ich sie betrachtete, verkrampfte ich vor Schrecken. Nur noch ein Teil des Oberkörpers war übrig, ab der Hüfte sah man die Reste von Beinstümpfen. Der Rest schien durch Säure aufgelöst, ebenso wie Stellen am Bauch und am Kopf. Sie war so gut wie tot und es war die größte Gnade, die ihr zuteilwerden konnte. Doch sie sprach noch, schwach aber friedlich. Sie sprach, als ob sie schon tot wäre, nur ihr Körper davon noch nicht wüsste: „Haltet ihn auf; er hat mich zu dem gemacht, was ich bin, zu diesem Schicksal verdammt. Niroth, er konnte mich nicht beschützen, sein Sklave ist er geworden. Ich flehe euch an, tötet ihn, tötet Maargaun von Urrunger. Keine andere Sprache wird er verstehen. Vergesst nicht. Ich tat alles, doch konnte nicht, seine Augen, seine Augen, fürchtet seine Augen. Vergesst mich nicht, vergesst nicht meinen Namen - Faere.“

Mit ihrem Namen schloss sie ihr verbliebenes Auge. Für einen Moment spürte ich so etwas wie Bedauern neben dem Grauen, doch dann klärte sich mein Verstand wieder; war es doch vermutlich ihre eigene Schwäche die sie in diese Situation brachte. Ich konnte meinen Kopf wieder richtig benutzen und ich musste stark sein. Wir hatten es bis hierhin geschafft mit der Kraft von Jiarlirae. Ich durfte keine Angst vor dem Grauen haben. So führten mich meine Gedanken zurück nach Wiesenbrück – zu den Namen im Baum. Diese Frau war das Überbleibsel aus der Gruppe der Abenteurer, die 23 Jahre vor uns aufgebrochen sind und ihre Namen in dem Baum im Gasthaus verewigt hatten. Adanrik hatte sein Ende unter dem Felsen gefunden, der ihn erschlagen hatte. Für das Schicksal von Waergo hatten wir selbst gesorgt. Auch Adanrik hatte von Niroth in seinem Brief gesprochen, doch schien sich dieser eher gegen ihn gewandt zu haben. Vielleicht hatte sich die Gruppe in zwei Lager aufgeteilt oder jeder von ihnen ist sich gegenseitig an die Gurgel gegangen. Da waren noch Kara und Niroth selbst übrig, doch der Name Maargaun sagte mir nichts, dieser stand nicht auf dem Baum. Vielleicht hatte der Jenseher, den Adanrik erwähnte etwas damit zu tun? Ich konnte nicht mehr richtig denken. Meine Gedanken drehten und kreisten sich. Der Gestank des Schleimes vernebelte meine Sinne. Meeredite schlenderte wieder auf Bargh zu und fing an zu säuseln. Dieses Miststück, soll sie ihn doch in Ruhe lassen. Vernebelt durch den Gestank krochen wunderschöne Bilder in mir hoch, wie ich ihren brennenden Leib sah und ihr Schreien hören konnte. Das Bild war zwar nur kurz, aber dennoch lieblich. Zum Glück für sie, schien auch Bargh unbeeindruckt und schritt durch den jetzt offenstehenden Ausgang. Halbohr hielt ihn aber kurz an und zusammen beugten sie sich über den Boden. Sie flüsterten miteinander, leider verstand ich davon nichts. Doch als wir weitergingen sah ich mir ebenfalls die Stelle an. Waren dort Abdrücke in dem Schleim, Abdrücke wie von Stiefeln, wie Meeredite sie trug? Ich war mir nicht sicher, aber vielleicht hatten Halbohr und Bargh diese Spuren entdeckt. Jetzt wurde mir jedoch klar: Meeredite lügt und man kann ihr nicht trauen, noch weniger als Ortnor.

Hinter der Öffnung änderten sich die Tunnel. Es war kein natürlicher Höhlenfels mehr, sondern die Wände waren kunstvoll aus dem Stein geschliffen. Auf jeden Fall sahen sie sehr alt aus. An den Wänden war eine Art Pilz oder irgendein Gewächs zu sehen, dass den Stein und den Boden überwucherte. Dieses Gewächs sonderte Schleim ab, der inzwischen den ganzen Boden bedeckte. Ein saurer Geruch, wie nach Essig erfüllte die Luft. Wir folgten Halbohr, der wieder einige Schritte vorauskundschaftete. Plötzlich tauchte direkt hinter Bargh eine riesenhafte Monstrosität auf. Eine Kreatur, die zum unteren Teil den Körper eine Spinne oder einer Krabbe hatte. Der obere Teil bestand aus einem Haufen von Fleischsäcken mit durchsichtiger Haut. In den Fleischsäcken befanden sich eine Vielzahl an Gehirnen. Anstelle eines Mauls wuchsen der Kreatur Tentakel. Vor Schreck fuhr ich zusammen und erstarrte, doch Bargh konnte nichts erschüttern. Mit einer schnellen Reaktion hieb er Glimringshert auf die Kreatur, dessen Klinge sich noch im Schwung mit grellen Feuern entzündete. Das Schwert fuhr tief in den Leib hinein und durchschnitt die Hautsäcke. Dem gewaltigen Hieb konnte die Kreatur nichts entgegensetzen und ergoss einen Strom aus verrotteten Gehirnen. Ich dachte an meine Herrin und unseren Weg. So schritten wir weiter in die Dunkelheit.

Die Gänge schienen früher, vor langer, langer Zeit gar majestätisch gewesen zu sein. Wenn man sich den Schlamm wegdachte, konnte man noch Spuren davon erkennen. Die Gänge führten durch mehrere kuppelartige Dome, zwei davon riesig in ihren Ausmaßen. Aber alles war mit diesem Gewächs und dem Schleim bedeckt, der Leben in sich selbst zu tragen schien. An einigen Stellen im Boden sammelte sich der Schleim in kleinen Löchern, die Blasen bildeten und dann mit einem lauten Schmatzen aufplatzten. In einem der Dome stand wohl früher mal eine Statue, doch es war nur noch der Sockel zu erkennen. Dort wo man die Statue vermuten würde, befand sich nur ein Haufen Schlamm und Schleim. In einem anderen Dom stand die Statue noch, doch war sie vollständig überzogen mit dem Schleim. Man konnte noch die Konturen darunter erkennen und ab und zu ein bläuliches Aufglitzern. Für mich sah das Gebilde aus wie ein aufgetürmter Haufen Steine, der Ähnlichkeiten mit einer Gewitterwolke hatte. Aber Ortnor war plötzlich außer sich. Wie ein Kind freute er sich über dieses Ding und unterhielt uns mit einem Monolog über die Schönheit und Perfektion dieser Kunst, die wohl schon tausend Jahre alt sei. Dabei klangen seine Worte verrückt und er machte wieder komische Kaubewegungen mit seinem Mund. Ich betrachtete mir nochmal diese Statue und bemühte mich wirklich. Doch es blieb dabei, für mich war nicht mehr als ein Steinhaufen.

Halbohr schlich jetzt wieder einige Schritte voraus. Der Gang, in den er eintrat, hatte links und rechts kleine Nischen. Als er sich gerade über eine Nische beugte, sahen wir am Rande des Fackelscheins, wie plötzlich eine Kreatur hinter Halbohr auftauchte. Als ob sie auf einmal aus dem Nichts erschien. Diese Kreatur bestand aus einem dicken Tentakel, der sich an einem Ende in viele kleine aufteilte. Einige dieser Tentakel hatten Mäuler, andere Klauen. Am anderen Ende besaß der große Tentakel ein Maul, in dem messerscharfe Zähne blitzten. Die Kreatur packte Halbohr mit ihren Tentakeln und wollte ihn so in ihr Maul ziehen. Bargh reagierte zuerst und stürmte auf das Wesen zu, doch auch Halbohr war nicht wehrlos, obwohl bereits ein Bein und ein Arm fest von den Tentakeln gehalten wurde. Er stieß den mit Düsternis bestrichenen Dolch in die Kreatur. Als das Pilzgift in das Wesen eindrang, konnten wir sehen, wie sich die Zellen einzeln aufblähten und schließlich platzten, was eine große klaffende Wunde hinterließ. Bargh brachte der Kreatur schließlich den Todesstoß.

Währenddessen ging ich zu der Nische vor der Halbohr innegehalten hatte. Irgendetwas schien mich dorthin zu ziehen, aber ich spürte, dass es nichts Schlechtes war. In der Nische sah ich, halb unter einem Stein verborgen, etwas glitzern. Ich griff danach und spürte, dass in dem Gegenstand eine Macht lag. Eine Macht, die sich anfühlte als ob sie direkt von Jiarlirae stamme. Entschlossen zog ich den Gegenstand unter dem Stein hervor. Als ich meine Hand öffnete, befand sich darin eine kleine Onyx Statue, in der Form eines Drachen. Zwar war die Kraft darin erschöpft, doch hörte ich in meinem Kopf die Worte, die notwendig waren, um die Feuer der Statue zu einem neuen Leben erwachen zu lassen.

Der majestätische Gang führte uns weiter und wir sahen den Schleim weichen. Ich fragte mich, was für seltsame Kreaturen uns noch erwarten würden. Stattdessen wuchs vor uns ein Gras auf dem Boden. Aber kein grünes Gras wie zuhause, sondern silbriges Gras, mit Blättern scharf wie Messer. Ich erinnerte mich, dass ich schonmal Geschichten über so ein Gras gehört hatte, dass dies von einer anderen Welt stamme. Es war nicht einfach nur ein Gewächs, sondern es hatte ein gewisses Maß an Intelligenz. Normalerweise war es friedlich, doch wenn man es zerstören wollte, schnitten einem die Halme tief ins Fleisch. Vorsichtig setzten wir Fuß für Fuß und achteten darauf, möglichst wenig Schaden zu verursachen. Es funktionierte auch. Die Grashalme schmiegten sich zwar um unsere Beine, doch schnitten sie nicht. Vor uns sahen wir, wie mitten im Gang und zwischen den Halmen, eine große Wucherung auftauchen. Diese Schleimwucherung war fast menschengroß und hatte nach oben hin eine Auswölbung. Sie bewegte sich nicht, daher hielten wir erst einmal inne. Doch die Halme schoben uns mit sanftem Druck weiter. Halbohr war dies nicht geheuer und er wollte zurückgehen. Da zuckten die Halme nach vorne und schnitten tief in seine Unterschenkel hinein. Die Wucherung drehte sich. Es sah jetzt mehr wie ein Pilz aus, von dessen Oberfläche Schleim in Massen triefte. Ortnor schrie einen Schrei des Entsetzens, während der Druck der Grashalme immer stärker wurde und uns dem Pilz entgegentrieb. Bargh blieb davon unbeeindruckt und hieb mit seinem Schwert in die Wucherung hinein. Doch diesmal zeigte die Klinge nicht die Wirkung, auf die er hoffte. Zwar durchschnitt sie die Masse, aber fast ohne Widerstand trat sie dampfend aus der anderen Seite wieder hinaus. Halbohr zog einen seiner Dolche, wahrscheinlich der letzte, dessen Klinge noch mit der dunklen Flüssigkeit des Düsterheitpilzes benetzt war. Er warf den Dolch mit der Schneide voran in den Polypen und ein weiteres Mal wurde ich Zeuge jenes Schauspiels, als das Gift seine Wirkung zeigte. Der Pilz schien zu wachsen. An einigen Stellen platzte schon die Haut auf und stinkender Schleim spritzte auf Bargh. Schließlich konnte der Körper den Druck nicht mehr halten und mit einem Knall platzte das fremde Wesen auseinander. Widerlicher Schleim - oder war es Blut – besudelte uns. Mit einem Mal ließ der Druck des Grases nach und die Halme schmiegten sich wieder friedlich um unsere Beine.

Als die Wucherung aufplatzte, offenbarte sie auch die Überreste älterer Opfer. Ich stellte mir für einen Moment vor, wie ein dummer Wanderer in den Polypen getrieben würde und von diesem langsam und bei lebendigem Leibe gefressen würde. Aber für uns hatte es etwas Gutes, dass bereits Schwächlinge in diese Falle tappten. Einige glitzernde Edelsteine befanden sich dort. Die Reste eines Totenschädels trugen in den Augenhöhlen roten Kristall. Doch dann sah ich, dass es keine ganzen Kristalle waren, sondern geschliffene kleine Kristallscheiben. Als ich mir diese vor die Augen setzte, konnte ich wieder die Strömungen der verschiedenen, für das normale Auge unsichtbaren, Strahlungen sehen. Der Gang endete an einer schwarzen Türe aus Stein. Halbohr nutzte seine Dietriche und die Türe schwang auf. Wir wurden kurz geblendet, als in dem Gang dahinter ein pulsierendes Licht auftauchte, das langsam anschwoll und dunkler wurde. Das Licht kam von einer Schiene aus Metall, die sich über der Decke entlang zog. Im völligen Kontrast zu den zuvor überwucherten Gängen, war dieser Gang schon fast als sauber zu bezeichnen. Kein Schleim, keine merkwürdigen Gewächse; einfach nur blanker Stein. Und alt war er. Halbohr konnte zwar einige Reste von Spuren entdecken, doch sagte er, dass diese mehrere hundert Jahre alt wären. Seit dieser langen Zeit waren wir die ersten, die einen Schritt auf diesen Stein setzten.

Mehrere Räume zweigten von diesem Gang ab. In einem Raum, vielleicht früher mal ein Schlafgemach, jetzt jedoch verrottet und zerfallen, fand Halbohr einen kleinen leuchtenden Kristall. Wie gebannt starrte er dort einige Zeit hinein bis er ihn wieder weglegte. Ich dachte erst er hätte eine tiefgreifende Vision gehabt, doch es waren nur langweilige Bilder irgendeiner Familie, die es irgendwie geschafft hatte, sich als Bilder in dem Kristall zur Schau zu stellen. Halbohr berichtete von einer Frau und ein Mann, zusammen mit ihrem kleinen Blag. Sie posierten vor einer alten elfischen Stadt. Es waren farbig-strahlende, gläserne Minarette zu sehen gewesen, die den blauen Himmel durchbohrten. Zudem hatte er einen fliegenden Wal erspäht, der sich, wie aus einem glitzernden Metall, durch die Luft bewegte. Es war wohl eine Vision der mysteriösen Stadt Nysthandarith gewesen, die Halbohr in dieser Vision gesehen hatte. Zwar konnte Halbohr eine weitere schwarze Türe nicht öffnen, doch fanden wir noch einen Raum. Was auch immer dieses Gemach darstellen sollte, auf einem Tisch lag ein merkwürdiges Gebilde einer eisernen Kugel, um die sich feine Fäden aus Kristall spannten. Ein Summen ging von der Kugel aus und sie pulsierte im Gleichtakt mit dem Licht des Ganges. Keiner von uns hatte den blassesten Schimmer, was das sein sollte. Sogar Ortnor, normalerweise von sich tönend, wie fähig er wäre, konnte damit nichts anfangen. Bestimmt eine Ewigkeit verbrachte er aber mit der Untersuchung. Schließlich schaffte er die Kugel in sein Versteck, das er immer noch an seinem Gürtel trug. Meeredite blickte verblüfft, als Ortnor die seidene Decke in die Luft warf, die dort dann wie von Zauberhand hängen blieb und den Weg zu seiner geheimen Werkstatt offenbarte.

Wir traten wieder auf den Gang zurück und folgten ihm. Eine weitere schwarze Türe versperrte den Weg, doch hatte diese kein Schloss, sondern ein Rad mit dem man sie öffnen konnte. Was sich dort hinter befand verschlug mir die Sprache. Ein kreisrunder Raum, an dessen Rändern sich sechs kleine Plattformen befanden. Auf jeder Plattform war jeweils einer dieser merkwürdigen sphärischen Gegenstände befestigt, doch bei zweien war das Licht erloschen. Was sich in der Mitte befand, war wirklich erstaunlich. Genau zwischen den Kugeln schwebte senkrecht ein Runde Scheibe. Aber nicht wie ein Spiegel, sondern vielmehr, als ob sie aus flüssigem Silber bestehen würde. Langsam drehte sie sich in ihrer Mitte. Die Scheibe war so dünn, dass wir sie nicht mehr sehen konnten, wenn sie sich zu Seite drehte. Ortnor vergaß jegliche Vorsicht und trat einfach in den Raum, der Scheibe entgegen. Wie hypnotisiert starrte er die spiegelnde Fläche an. Ab und zu verschwand sie einen Augenblick, so als ob sie zittern würde. Dann war sie wieder da und drehte sich weiter. Ich spürte wieder dieses seltsame Gefühl. Als ob kalte Schauer über meinen Rücken laufen würden. Mit diesem Gefühl kamen auch wieder die Gedanken und die Wut. Die Wut auf alles war mich behinderte und sich mir in den Weg stellte. Ich wollte mir etwas nehmen - vielleicht einen Hammer - und ihre Köpfe einschlagen. Ich wollte sehen, was sich in ihren Köpfen befand. So stand ich dort in diesem pulsierenden Licht und war wohl einige Zeit nicht bei meinen Sinnen. Als Ortnor sprach, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ortnor meinte, dies sei ein altes Portal, was durch den Raum und vielleicht auch durch die Zeit führen könnte. Doch es wäre schon längst nicht mehr stabil und könnte denjenigen zerreißen, der es durchschritt. Ich hoffte Ortnor würde es trotzdem aus reiner Neugierde versuchen. Es sähe bestimmt herrlich aus, wenn der kleine Wicht noch weiter halbiert wird. Danach könnte ich immer noch seinen Kopf einschlagen. Aber leider tat er es nicht, sondern blickte auf Meeredite, die inzwischen auch eingetreten war. Auch er war sich sicher, dass sie log. In meinem Dorf sagte man früher: Ein Lügner erkennt einen anderen Lügner immer. Als er sie fragte, wer in Wirklichkeit die Macht in Urrungfaust innehatte, wurde Meeredite sichtlich nervös. Ortnor wurde wütend. Er stampfte mit dem Fuß auf dem Boden, zeigte mit seinen dicken Fingern auf sie. Sie würde nie im Leben aus Urrungfaust stammen. Auch Halbohr stimmte mit ein und näherte sich ihr bedrohlich. Schon merkwürdig, brüstete er sich doch sonst immer damit ruhig und überlegt zu handeln. Doch dieses Mal konnte auch er sich nicht im Zaun halten und nannte Meeredite eine Lügnerin. Diese versuchte sich zu winden und redete irgendetwas daher. Das war wohl zu viel für Halbohr. Er zückte seinen Dolch und stürmte auf Meeredite zu. Sein Gesicht war von Angst und Hass verzerrt. Ich starrte gespannt. Fast war es so, als ob es eine Prüfung wäre, welcher von beiden die Stärke beweisen konnte. Eine Prüfung, wer von beiden dem heiligen Weg unserer Herrin Jiarlirae würdig war. Doch vielleicht war es auch dieser Ort, der unsere Geister verzerrte und an unserem Verstand riss. Ich verwarf den letzten Gedanken schnell und wartete… ich wartete auf ein Zeichen meiner Herrin.

Offline Jenseher

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Sitzung 57 - Der Jenseher - Teil I
« Antwort #58 am: 14.03.2023 | 22:03 »
Ich war erstaunt, als ich die Wut und Raserei in Halbohrs sonst eher lethargischen Augen sah. Mit beiden Dolchen stürmte er auf Meeredite zu. Sein Gesicht sah aus, als wenn er wirklich Schmerzen hätte. Auch ich spürte ständig diesen Druck irgendwo im Nacken. So, wie wenn immer wieder jemand mir einen kalten Hauch in den Nacken bläst. Nur schwach aber beständig. Am Anfang trat es nur gelegentlich auf, aber inzwischen sorgte es dafür, dass man kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Als ob man tagelang nicht mehr geschlafen hätte. Vielleicht war es das Gleiche, was auch in Halbohr vorging und er verlor seine ach so geliebte Kontrolle über sich selbst. Hätte er mal seiner Wut schon früher freien Lauf gelassen und sie nicht eingesperrt. Jetzt wollte sie heraus.

Das von der Sphäre strahlend-pulsierende Licht in diesem Dom, flachte gerade ab und als es wieder heller wurde stand Halbohr plötzlich vor Meeredite. Sie hatte damit nicht gerechnet. Sie riss ihre blauen Augen erstaunt auf und wich zurück. Ortnor stachelte Halbohr zusätzlich an, rief "Lügnerin!". Sein rundlicher Kopf und sein Kiefer zuckten dabei noch wilder als sonst und sein schütteres Haar stand noch mehr ab. Doch Halbohr war blind und taub für uns und stieß seinen Dolch nach ihr. Meeredite hingegen war überraschend geschickt. Mit einer schnellen Bewegung schwang sie ihren Degen aus Ne'ilurum und parierte den Dolch. Ein zweiter Stoß folgte, den sie auch parierte. Ein dritter fand schließlich sein Ziel. Diesmal war sie nicht schnell genug und Halbohrs Dolch drang in ihren Körper ein. Barghs Gesicht erhellte sich auf einmal, der rote Stein in seiner Augenhöhle glühte leich auf. "Tötet sie Halbohr, tötet sie für Jiarlirae!". Meeredite, vorher selbstsicher und arrogant, war auf einmal nicht mehr so selbstsicher, als sie sein eigenes Blut sah. Hilfesuchend blickte sie zu Bargh. Sie versuchte wohl ihn zu bezirzen, wie sie es so oft versuchte hatte. Sicherlich: Jemand anderes könnte sie vielleicht als hübsch bezeichnen, mit ihren langen schwarzen Haaren, aber ich wusste, dass Bargh nicht darauf hineinfallen würde. Dennoch versuchte sie es: "Ich töte ihn für euch, für Jiarlirae. Ich habe Macht in Urrungfaust, habe Einfluss. Ich kann euch Dinge zeigen die ihr noch nicht kennt, Geheimnisse und auch andere Dinge." Mir wurde fast schlecht, als sie bei ihren letzten Worten Bargh zuzwinkerte. Bis dahin war mir das Ergebnis dieses Duells ziemlich egal, wobei ich schon hoffte das Halbohr es schaffte, das Lächeln aus Meeredites Gesicht zu schneiden. Jetzt musste sie sterben und wenn ich selbst dabei nachhelfen müsste.

Ortnor war auch außer sich. Er schrie Halbohr an. Warum er sie nicht schon längst getötet hätte. Dann nahm er einen seiner Steine der in dem pulsierenden Licht leicht schimmerte, wie ein kleiner Mondstein und schleuderte ihn auf Meeredite. Doch auch diesen Angriff parierte sie geschickt mit ihrem Degen und der Stein platzte an der Wand hinter ihr in einer gräulichen schmierigen Substanz auf. Jetzt ließ sie endlich ihre Fassade fallen. Kein Einschmeicheln mehr, keine Überzeugungen mehr. Ihr Gesicht verhärtete sich und sie begann arkane Formeln zu murmeln. Der Degen begann plötzlich wie von alleine aus ihrer Hand zu springen und sich mit tänzelnden Bewegungen durch die Luft zu bewegen. Das Licht der Halle flachte wieder ab. Als es fast wieder dunkel wurde, spürte ich, wie dieses Nagen im Hinterkopf zu einem Pressen und dann zu einem richtigen Schlag wurde. Mir tat der Schädel weh und ich dachte nur noch daran, alles was ich sehe zu verbrennen. Das würde den Schmerz nehmen. Ich versuchte mit aller Kraft meinen Verstand zu behalten und es gelang mir auch. Der Schlag verging, der Druck wurde weniger, war aber immer noch da. Es zehrte an meinem Geist, wie ich es schon erfahren hatte, seitdem wir das Portal in den Berg passiert hatten.

Ich blickte zu Bargh und er setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Offenbar hatte er genug von dem Schauspiel und erhob sein Schwert. Die Flammen zuckten auf, als sich die Klinge senkte und als die brennende Schneide in ihre Seite hieb verschwand ihr Grinsen und wurde durch blanke Angst abgelöst. Barghs Angriff gab mir den Anstoss. Auch ich hatte genug und schleuderte flammende Pfeile auf sie, die ihre ach so schöne Haut versengten. Meeredites Augen weiteten und Entsetzen war zu sehen. Sie murmelte ein kurzes Wort und löste sich in Luft auf. Halbohr schien dies überhaupt nicht zu realisieren. Immer wieder stach er in die Luft, dort wo sie gerade noch stand. Dann auf den Boden und das Kratzen des Dolches wurde durch die Kuppeln gespenstisch wiedergegeben. Es dauerte eine Weile bis seine keuchenden Hiebe langsamer wurden und er sich zu beruhigen schien. Aber Ortnor war immer noch ein nervliches Bündel. Zappelnd und nervös schritt er hin und her und stritt mit sich selbst: "Sie diente nicht Urrungfaust, ich weiß das.… aber wem dann, wem dann...dem, was sich hier befindet! Wir haben keine Zeit! Sie wissen jetzt, dass wir kommen!"

Es schienen die Worte eines Wahnsinnigen, doch zumindest in einer Sache hatte er Recht. Wir mussten uns eilen. Meeredite war enttarnt, zumindest ein Teil ihrer Lügen war offenbart. Und wem sie auch immer diente, sie würde uns nicht einfach ziehen lassen. Und außerdem sollte sie bestraft werden, dass sie sich immer zwischen mich und Bargh stellen wollte. Aber ich wusste nicht, was wir tun sollten. Ich blickte ängstlich auf die sich drehende Scheibe, die immer mal wieder zu zerbrechen schien, dann aber wieder da war. Bargh musste wissen, was zu tun war. Er wusste es auch, doch ein Blick auf Halbohr, der die Verbrennungen der elektrischen Energien überall am Körper trug, ließ ihn innehalten. Er dachte wohl, dass wir auf Halbohr angewiesen wären, was ich aber nicht verstand. Sicher, er konnte sich leise bewegen und einige Schlösser öffnen, doch schien er die Kreaturen der Dunkelheit wahrhaft anzulocken. Aber gut, Bargh wußte schon was er tut. Er bot Halbohr Heilung an, doch nur wenn er sich als Diener unserer Herrin bekennt. Der arme Tölpel, er machte sich selbst etwas vor, als er sich damit herausreden wollte: Dass er ja Neire sein Wort gegeben hatte. In seinem Innern wusste er es wahrscheinlich schon, dass auch er ihr schon längst zu Diensten war.

Wir gingen wieder zurück zu dem Tunnel mit dem silbernen Gras, welches sich weiterhin friedlich um unsere Beine schmiegte. Der Gang, den wir noch nicht erkundet hatten, endete an einer schwarzen Türe aus einer Art Marmor, vielleicht sogar irgendeine Form des Ne‘ilurum. Halbohr hatte wohl hinter der Türe etwas gehört, zumindest sollten das wohl seine Zeichen bedeuten, die er mit den Händen machte. Er beugte sich vor die Türe. Irgendetwas schien ihn stutzig zu machen. Vorsichtig nahm er seinen Dolch und drückte damit die Türe auf. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, denn sobald die Klinge die Türe berührte sahen wir wie irgendeine Macht von der Türe floss und in seinen Dolch hinein. Doch dort verblasste die Energie schnell. Als er die Türe aufdrückte sahen wir dorthinter einen Raum, der früher vielleicht mal die Bezeichnung königliches Gemach tragen konnte. Der Stein dieses Raumes war schwarz, ähnlich wie die Türe und obwohl ich mich nicht auskannte, konnte ich sagen, dass dieser Raum alt, sogar sehr alt war. Gar nicht so alt waren dagegen die steinernen Stühle und Tische. Irgendjemand, vielleicht gar nicht so lange her, hatte aus diesem Gemach einen Essensraum gemacht. Auf den Tischen standen Schüsseln und in der Mitte ein großer Kochtopf. Der Geruch von gekochtem Fleisch hing schwer in der Luft. Kreaturen sahen wir keine, was auch immer Halbohr gehört haben mochte, war entweder nicht mehr da oder versteckt. Vielleicht hatte Halbohr selbst kein sehr großes Vertrauen mehr in seine Fähigkeiten, hatten sie ihn doch in diesen Tunneln schon sehr oft im Stich gelassen und, viel schlimmer, uns alle in Gefahr gebracht. Jedenfalls ging er schnurstracks zu einer weiteren Türe gegenüber, ebenfalls aus schwarzem Stein. Diese Türe war einen kleinen Spalt geöffnet und Licht schimmerte von dorthinter. Keinerlei Pilze, Schleim oder merkwürdige Gewächse aus fernen Welten wucherten hier hinein.

Als Halbohr einige Schritte getan hatte, traten die Wachen des Raumes, die er zuvor gehört hatte, aus ihrem Versteck hinter der Türe hervor. Weitere dieser schändlichen und feigen Kreaturen der Duergar, die es nicht wagten uns offen gegenüber zu treten. Plump ja, doch Halbohr hatten sie damit hinters Licht geführt. Auch nutzten sie die Magie ihres Blutes und hatten ihre Gestalten aufgeblasen. Halbohr war wohl so überrascht, dass er sich tölpelhaft bewegte. Zwar versuchte er seinen Dolch, auf dem noch schwach der Film des Giftes schimmerte, nach dem ersten zu stechen, doch stolperte er dabei und rammte sich die vergiftete Klinge tief in sein Bein. Die Adern traten blutrot hervor und pochten, als das Gift durch seinen Körper strömte. Doch hielt er sich noch auf den Beinen. Zum Glück für uns hatte Bargh schnell reagiert und stellte sich den Duergar. Diese konnten seiner Macht nicht viel entgegensetzen und einer nach dem anderen fiel schrumpfend in sich zusammen. Die beiden waren so auf die Duergar konzentriert, dass sie es wohl nicht sahen, dass die Türe gegenüber sich öffnete und Meeredite erschien. Oder war es Meeredite? Ihr Gesicht war es zumindest, doch hatte sie auf einmal feuerrotes gelocktes Haar. Ihre Augen waren ganz bestimmt die ihren. Nun war alle gespielte Freundlichkeit verschwunden. Nur noch Haß war zu sehen. Ich konzentrierte mich, die Stimme Jiarliraes zu finden. Sie sollte von ihren Flammen verzehrt warden. Das war das einzige Schicksal, was ihr zustand. Auch sie bewegte ihre Lippen zu arkanen Formeln. Dann geschah etwas Seltsames: Unsere beiden Energien schossen aufeinander zu, doch zeigten sie nicht die Wirkung die ich erwartet hatte. Irgendetwas packte meinen Körper mit Gewalt um wirbelte mich herum, gerade als ich den flammenden Ball schleuderte. Das war das letzte, was ich noch sehen konnte. Dann wurde es schlagartig völlig dunkel. Ich hörte nur noch das Klingen und Keuchen von Bargh und Halbohr, die die Duergar bekämpften. Ich selbst tappte blindlings herum. Jetzt konnten die Geister, die ich aus dem blutenden Herzen in mich aufnahm, ihre Schuld mir gegenüber erfüllen. Ich konnte sie tief in mir hören, ihre Schreie und ihr Flehen. Sollten sie zeigen, ob sie nach ihrem Tode noch zu etwas gut sein könnten. Im Geiste packte ich sie wie ein Riese, der mit seiner großen Hand in ein Nest von Insekten packt. So holte ich sie hervor. Sie sollten mein Schutz werden und vielleicht, wenn sie sich würdig erwiesen, würde ich zumindest einige in das Jenseits, in das Reich meiner Herrin, entlassen.

Offline Jenseher

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Sitzung 57 - Der Jenseher - Teil II
« Antwort #59 am: 19.03.2023 | 10:58 »
Das Licht kam wieder zurück, gerade als Bargh den letzten Hieb auf den letzten Duergar vollführte. Von Meeredite war nichts mehr zu sehen. Wir stiegen über die Leichen hinweg und eilten zur Türe. Dort hinter hörten wir ihre Stimme, also war es ganz bestimmt Meeredite. „Maargaun, hört endlich auf mich, sie kommen! Unterbrecht das Ritual, unterschätzt sie nicht!“ Der Singsang der hinter der Türe zu hören war, brach kurz ab: „Schweigt Kara! Ich habe besseres zu tun. Das Ritual ist bald beendet, hört ihr nicht ihre Stimmen, spürt ihr nicht ihre Macht? Niroth, kümmert euch um sie!“. Eine dritte Stimme, gebrochen und merkwürdig monoton, antwortete: „Ja, Meister.“ Der Singsang begann wieder. Hier waren also die restlichen der Gruppe, die vor 23 Jahren aufbrachen: Niroth und Kara. Wer hätte es gedacht, dass Meeredite eigentlich zu diesem Gefolge gehörte. Aber Niroth und Kara würden das Schicksal von Waergo, Adanrik und Faere teilen. In ihrem Tode sollten sie wieder vereint werden. Der Singsang wurde untermalt vom Schmatzen und Knurren verschiedenster Kreaturen. Ein harter Kampf erwartete uns.

Wir hielten einen Moment inne. Ich war unsicher und dachte vielleicht sogar etwas ängstlich an unser Schicksal, doch Bargh brachte meinen Mut zurück: „Feuer und Düsternis sind mit uns“, sprach er zu mir. Mehr brauchte es nicht, meine Angst war verschwunden. Etwas anderes hatte sie ausgefüllt. Es war Freude, Hass und ein Verlangen.

Halbohr öffnete die Türe. Dorthinter war eine weitere Kammer, größer als die in der wir standen. Die Kammer sah aus, als ob wir gerade in das schlagende Herz des Berges hinblickten. Breite Adern aus purem Ne‘ilurum flossen durch den Stein und transportierten pulsierende Energien, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Fast, als ob der Linnzerzährn selbst sein Feuer in die Adern hineinpumpte. In der Mitte befand sich eine gleißend helle Sphäre. Wie das Innere eines Herzens schlug die Sphäre und brachte Energien in die Wände. Dort wurde das Licht in Obelisken aus reinem Ne‘ilurum erst aufgesogen und wieder zurück in die Sphäre gespien. Beim Eintreffen war es so, wie wenn man einen Stein ins Wasser werfen würde. Wellen bildeten sich und breiteten sich über die Sphäre aus. Das ganze Spiel aus Licht und Energie war atemberaubend. Überall verstreut standen Tische mit Schriften, Werkzeugen, Tränken. Doch konnten wir uns nicht weiter damit befassen, denn uns erwarteten eine Vielzahl von Kreaturen, die sich in mehreren Reihen uns entgegenstellten. Es waren wieder diese Trolle, mit ihren widerlichen Mutationen und Gliedmaßen, die völlig chaotisch aus ihnen wuchsen. Auch ein Trupp Duergar hielt sich bereit und die Kreaturen die ihre Larven in unsere Körper gespuckt hatten. Und noch weitere die aussahen wie lebende und laufende große Pilze. Auch Meeredite (oder Kara) sahen wir, ebenso wie zwei weitere Gestalten. Einer war ein Mann mit schwarzen Haaren und grünen Augen, von dem ich sagen konnte, dass er mir durchaus gefallen würde, wenn seine Augen nicht völlig ausdruckslos uns anstarren würden. Die andere Gestalt war sehr viel älter mit einem langen Bart und eingefallener Haut. Auf seiner Glatze hatte er sich Tentakel tätowiert, die bis in sein Gesicht und um seine völlig rot schimmernden Augen rankten. An seiner Seite trug er einen Dolch aus dem ständig irgendeine Flüssigkeit strömte und ihn benetzte. Der Mann mit den grünen Augen war bestimmt Niroth und der Alte musste dann Maargaun von Urrunger, der Jenseher sein.

Das Murmeln des Alten hörte auf und er erhob sich. Als ich seine Robe anschaute, war es mir, als würde ich in einer klaren Nacht in die Sterne blicken. Für einen Moment verlor sich mein Blick in endlosen Weiten. Doch nur bis sein verrücktes Lachen erschallte: „Ortnor du Bastard, du wirst sterben!“

Bargh stürmte direkt auf Kara (oder Meeredite) hinzu und ich wusste, dass er sie für ihre Falschheit bestrafen wollte. Doch diese murmelte ein paar Worte und dort, wo wir standen, erschienen plötzlich ein dichtes Gewirr von dicken Spinnfäden. Wir wurden umwickelt und festgehalten. Doch unterschätzten sie mich. Die Magie diese Fäden würde der Magie Jiarliraes nicht standhalten können. Mit ihren Schatten zerrte sie an den Fäden, bis diese erst zerfielen und sich in Luft auflösten. Wir waren wieder frei! Bargh und Halbohr nutzten die Gelegenheit direkt. Halbohr hieb mit seinen vergifteten Dolchen in die Kreaturen hinein. Auch hier tat das Gift der Düsterheitpilze seine Wirkung und mit jedem Schwertstreich zerplatzte eine der Troll-Abscheulichkeiten vor unseren Augen. Währenddessen stürmte Bargh wieder nach vorne und stelle sich Kara. Auch Ortnor drängte heran und beschwor eine Energielanze, die weitere der Kreaturen zerfetzte. Doch dann erhob Niroth einen Stab aus dem sich krachend ein Strahl von Blitzen entlud. Ich schrie vor Schmerzen, als die Energien durch meinen Körper fuhren. Die Seelen in dem unwirklichen Mantel stellten sich zwar entgegen, doch waren sie schwach. Mir wurde kurz schwarz vor Augen und ich taumelte zurück. Jede einzelne Stelle meiner Haut schien zu brennen. Wie ein Feuer, das nicht gelöscht werden konnte.

Die Geräusche von entladenen Energien und Explosionen erschütterten die Halle. Ein Duell von gewaltigen Mächten prallte aufeinander. Zitternd erhob ich mich wieder und sah wie Bargh, Halbohr und Ortnor schon die meisten der Wächter-Kreaturen niedergemacht hatten. Ich wollte weglaufen, doch ich durfte jetzt nicht schwach sein. Es war meine Prüfung und ich musste bestehen, koste es was es wolle – und wenn es mein Leben ist. Ich sah gerade noch wie Maargaun unter einer weiteren Lanze von Ortnor zusammenbrach und Halbohr einen Dolch auf Niroth schleuderte. Sein Ausdruck hatte sich verändert, er blickte erstaunt und auch ängstlich auf das Geschehen. Halbohr schnellte nach vorne. Niroth sah nicht mehr so aus, als ob er kämpfen wollte, doch das war Halbohr egal. Zielsicher rammte er seinen Dolch in seine Kehle. Röchelnd konnte ich noch seine letzten Worte hören: „Der Jenseher hat mich dazu gezwungen. Ich wollte nicht…so lange her. Kara, Faere und die anderen, sind sie tot?“ Er blickte zu Kara und rief nach ihr, doch sie hatte ganz andere Sorgen. Sie trug bereits tiefe Wunden und Bargh stand vor ihr mit seiner geweihten Klinge. Sie rief noch: „Rettet euch, alles ist verloren!“. Offenbar hatte sie noch nicht realisiert, dass sie die letzte Lebende der alten Gruppe war. Doch das sollte sie nicht lange so bleiben. Sie war umzingelt und gleichzeitig trafen die Klinge von Bargh und magische Geschosse von Ortnor in ihren Leib ein. Ohne letzte Worte wurde sie durch die Wucht nach hinten geschleudert und blieb reglos liegen.

Als etwas Ruhe eingekehrt war und wir und um unsere Wunden gekümmert hatten, schleppte ich meinen geschundenen Körper wieder in die Kammer. Halbohr hatte in der Zwischenzeit an einem der Tische etwas entdeckt, nämlich einen weiteren dieser kristallenen Stäbe. Der dritte Stab war aus Bernstein gefertigt. Unter dem Pult sahen wir auch eine kleine runde Apparatur mit drei Einschüben, passend zu den drei kleinen Stecken. Bargh streckte seine Hand Richtung Halbohr aus: „Lasst mich es tun. Ich habe die Dunkelheit in meinen Träumen gesehen.“ Doch Ortnor mischte sich ein. Er wüsste besser was zu tun wäre, nur er könnte es richtig bedienen. Was erlaubte dieser kleine Wicht sich eigentlich. Meine Stimme zitterte immer noch und jede Bewegung tat mir weh. Doch es musste sein, ich musste den anderen erklären, dass nur Bargh es tun kann, nur er hat den Segen der Herrin, nur er ist würdig genug. Ortnor verstand meine Drohung, denn er trat zurück. „Ihr müsst das Portal schließen bevor etwas Schlimmeres hindurchtritt. Richtet die Sphäre in die Dunkelheit. Das wird uns zu den blauen Teufeln führen. Tut es jetzt, sonst müssen wir wieder 23 Jahre warten bis die Kraft des Linnerzährn dieses Portal speisen kann.“ Bargh nickte ihm zu: „Es muss weg vom Licht. Es muss in die Dunkelheit hinter den Sternen weisen.“ Er kniete sich nieder vor die Apparatur. Dass dabei der Körper Maargauns im Weg lag kümmerte ihn nicht weiter. Knackend brachen einige Rippen, als seine gepanzerten Knie sich auf den Körper abstützten. Er führte die Stäbe in die Öffnungen ein und begann unter einem Ächzen und Stöhnen die Apparatur zu drehen. Sein Rubinauge glitzerte und ich fragte mich, was er in der Ferne sähe. In der Sphäre begann eine Veränderung. Risse bildeten sich in dem Licht, Flammen und Schatten begannen miteinander zu tanzen. Der Blick in die Sphäre klärte sich, das Licht wurde langsam weniger. Wir sahen einen Sternenhimmel und eine große Erdkugel, über der der Komet Linnerzährn schwebte. Dann begann sich das Bild zu bewegen. Es raste von der Kugel weg. Weitere Sterne waren zu sehen die immer kleiner wurden, bis sie nur noch kleine Punkte waren. Die kleinen Punkte sammelten sich zu einem großen Nebel der strahlend in der Dunkelheit stand. Aber das Bild blieb immer noch nicht stehen. Der leuchtende Nebel verschwand zu Seite. Die letzten Reste von Licht glitten ans uns vorbei bis nur noch absolute Dunkelheit übrig blieb. Das Bild blieb jetzt stehen und die Schwärze schien grenzenlos. Sie griff auf die Sphäre über und übernahm sie, bis auch sie komplett schwarz war.

Das Geräusch eines tiefen Klackens holte uns wieder in das hier und jetzt zurück. Der Apparat war eingerastet. Bargh und ich blickten in die schwarze Kugel. Ein Gefühl der Erleichterung überkam mich. Bargh sprach: „Es ist getan. Unsere Göttin wird stolz auf uns sein. Die Düsterheit wird über unsere Welt kommen.“ Er hatte Recht, doch fühlte ich auch, dass diese Prüfung für mich zwar abgeschlossen war, aber eine weitere auf mich warten würde. Ich würde sie freudig empfangen und auch diese meistern. Jetzt aber lächelte ich Bargh zu, denn wir standen hier und der Sieg war unser. Es war dieser Sieg, den wir freudig der Schwertherrscherin widmeten. Welche Geheimnisse sollten unser Lohn sein?

Offline Jenseher

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Sitzung 58 - Höhlen anderer Welten
« Antwort #60 am: 25.03.2023 | 11:09 »
Ruhe kehrte in der unterirdischen Halle ein. Mit dem Erlöschen des gleißenden Lichtes verlor sich auch das ständige Nagen in unseren Köpfen, das sich zuvor wie ein kleiner Wurm, langsam aber sicher, in unseren Verstand fraß. Dieser Wurm war nun endlich hinfort. Die Sphäre stand in ewiger Dunkelheit vor uns, so als ob sie uns anlächeln würde. Zwar war das Nagen weg, doch ich konnte die knisternden Energien spüren. Der Linnerzährn stand noch über uns und sandte die Feuer hier hinein, in das kristallene Herz des Berges. Die Leichen des Jensehers und seines Gefolges hatten sich gestapelt und warfen lange Schatten. War vorher die Sphäre die Lichtquelle, die alles überstrahlte, kam das Licht jetzt von Fackeln und dem Funkeln der Ne‘ilurum Adern und gab der Höhle ein gespenstisches Aussehen.

Es war, als ob wir das erste Mal seit mehreren Tagen aufatmen konnten. Selbst der kleine Wicht Ortnor Wallenwirk schien sich entspannt zu haben. Zwar zuckte sein rundes dickes Gesicht bei jeder Bewegung, die sein Mund tat, aber tatsächlich lobte er uns. Nicht dass ich etwas darauf geben würde, doch er tat es. Ohnehin wollte ich mich mit ihm nicht beschäftigen. Mein ganzer Körper brannte immer noch von den magischen Blitzen, die Niroth auf mich geworfen hatte. Überall hatte ich offene Streifen, wo die Haut durch die Hitze aufgeplatzt war. Ich wollte schon nachschauen wie weit diese an meiner Brust herunterliefen, als ich merkte, dass die anderen mich anstarrten. Zum Glück war auch Bargh da. Seine breiten Schultern und sein Panzer aus Ne‘ilurum nahm den lüsternen Blicken die Sicht und er wusste wie man sich um Wunden kümmerte. Zusammen priesen wir unsere Herrin, dass sie uns den Sieg geschenkt hatte und uns den weiteren Weg offenbarte.

Halbohr kniete sich auf den Boden vor die schwarze Sphäre und begann zu suchen. Tatsächlich fand er Spuren und zwar viele Spuren von kleinen Kreaturen. Doch waren diese Spuren nicht in den Staub der Steine eingetreten, sondern sie sahen so aus, als ob eine eigene Schicht darüber lag. Eine Schicht die wohl auch nur durch die Schatten der Sphäre selbst sichtbar gemacht wurde. Sie kamen aus der Sphäre hinaus und verteilten sich dann. Ortnor sah sie auch, nachdem Halbohr sie beschrieb. Er meinte, dass das Portal schon früher geöffnet gewesen sein musste und dass es die blauen Teufel waren, die dort aus einer anderen Welt kamen.

Wir untersuchten die restlichen Räume des inneren Bereiches. In einem Gemach fand ich etwas sehr Faszinierendes. Diese Höhle oder besser gesagt Halle sah aus wie ein Theater, zumindest wenn ich die Erzählungen richtig verstanden hatte. Auf einem Podest waren drei leuchtende silbrige Streifen, vermutlich auch aus Ne‘ilurum. In der Decke der Höhle sah ich glitzernde Punkte, die dort zu schweben schienen. Zuerst war ich verwirrt doch dann erkannte ich in den Punkten tatsächlich einen Sternenhimmel. Als ich die Streifen berührte, veränderte sich der Himmel. Eigentlich war es ganz einfach. Schnell konnte ich mit den Streifen jeden einzelnen Stern und jede Galaxie betrachten, die ich wollte. Ich versuchte zu unserer Welt zu steuern und würde auch schnell fündig. Die grün-blaue Kugel schwebte jetzt deutlich erkennbar im Raum und vor ihr das feurige Glühen des Linnerzährn. Rote Runen schimmerten über dem Bild auf und veränderten sich langsam. Halbohr meinte darin Zahlen zu erkennen, die kleiner wurden. Anscheinend die Zeit, die noch verbleibt bis sich das Portal des Berges schließt und auch das Portal in andere Welten nicht mehr geändert werden kann. Wir sahen das, was momentan weit über unseren Köpfen stattfand. Doch mich interessierte noch viel mehr die Vergangenheit, wo Linnerzährn herkam. Ich versuchte mit den Steuerungen die Zeit zurück zu drehen, doch irgendwann verlor ich den Fokus und das Bild wurde schwammig und unscharf. Mein Interesse war dahin und ich verließ den Raum wieder. Sollte doch Ortnor noch etwas dumm herumstehen und mit offenem Mund die Bauwerke bestaunen.

In weiteren Gängen sahen wir, dass die Schleimwucherungen und auch das silbrige Gras anfingen zu vertrocknen und zu verwelken. Diese Abscheulichkeiten konnten in unserer Welt nicht alleine überleben. Jetzt, da das Portal die Schatten unserer Herrin offenbarte, wurde ihnen ihre Lebensader abgeschnitten. Gleiches galt auch für die Kreaturen die den Jenseher beschützten. Während das Fleisch der Duergar langsam verfaulte und den süßlichen Gestank des Todes verbreitete, zerfielen die anderen mutierten Kreaturen in Windeseile. Als wir sie das nächste Mal sahen, waren dort nur noch die Knochen mit ihren Auswüchsen sichtbar. Ein weiterer Raum, den wir fanden, enthielt eine richtige Bibliothek. Zwar standen dort viele Bücher wo ich schon vom Titel sagen konnte, dass sie eher als Gute-Nacht Geschichten taugen würden, doch es waren dort auch interessantere Werke. Ein Buch mit dem Titel „Theorie der Portale“ enthielt genaue Erklärungen über die Tore in andere Welten und wie man sie voneinander unterscheiden kann. Ebenso das Buch „Welten jenseits der Sterne“ griff jene Themen auf und enthielt sogar Beschreibungen über die anderen Welten selbst. Auch andere Bücher enthielten wertvolle Informationen: Zum Beispiel waren es Abhandlungen über den Aufbau von Körpern oder über die Welt der Toten und des Todes selbst. Und dort sah ich auch Bücher, deren Seiten noch komplett leer waren. Hier kam mir die Idee, fast schon das dringende Bedürfnis, meinen Weg aufzuschreiben. Meinen Weg der mich durch die Welten führte und meinen Weg zur Herrin der Feuer und Schatten. Der Weg durfte nicht vergessen werden. Wie er begann, als ich aus meiner Heimat vertrieben wurde. Als ich die Macht der Herrin noch nicht verstand und wie ich ihre Macht und ihre Worte in ferne Welten tragen würde.

Nachdem wir die letzten Räume untersucht hatten und die Hallen inzwischen wie ausgestorben waren, beschlossen wir uns endlich auszuruhen. Diesmal war ich dankbar dafür, mussten wir uns doch nicht mehr beeilen. Sicherlich, es konnte sein, dass die Portale in den Berg sich für die nächsten 23 Jahre wieder schließen würden, aber wir würden vermutlich ohnehin nicht durch die Minenstadt hindurchkommen - jedenfalls nicht ohne sie komplett in Schutt und Asche zu legen. Und einen anderen Weg kannten wir nicht, auch nicht Ortnor.

Die Zeit verging ruhig. Wir machten es uns in einem der Nebenräume gemütlich. Zu essen gab es noch genug, hatten uns doch die Wachen der Duergar dankenswerterweise ihren Eintopf hinterlassen. Auch Wasser gab es reichlich. Wir fanden einen Brunnen, der eine korrumpierte Skulptur eines amorphen Wesens trug. Zwar roch das Wasser die ersten Tage noch etwas modrig und wir konnten Algen in dem Wasser treiben sehen. Doch auch der fremdliche Bewuchs war dabei abzusterben und ich schätzte, dass das Wasser in wenigen Tagen sauber und trinkbar sein würde. Ich nutzte die Zeit sinnvoll. Ich lernte weiter von Bargh über unsere Herrin und wie ich ihren Willen deuten konnte. Und da waren natürlich noch die Bücher, die ich wahrhaft verschlang. Es war, glaube ich, das erste Mal, dass ich wirklich geschriebenes Wissen fand. In meinem Dorf gab es keine Bücher. Ich vermute auch, dass dort die wenigsten überhaupt lesen konnten. Nachdem ich mein Dorf verlies und mich auf meinen Irrwegen herumtrieb, hatte ich keine Zeit, mich länger mit Büchern zu beschäftigen. Ab und zu schaute ich in dem Raum mit dem Sternenhimmel vorbei. Die Zahlen zählten immer weiter runter. Doch ich war ruhig, denn ich wusste, dass mein Weg nicht durch die Minenstadt und durch den Berg führte.

Nach etlichen Tagen war es soweit. Die Zahlen waren heruntergezählt und die Schrift glühte nicht mehr rot. Zwar konnten wir nichts sehen, doch wir fühlten alle, wie das Funkeln und die Energien, die vor allem in dem Raum mit der Sphäre durch das Ne‘ilurum flossen, plötzlich weg waren. Die eintretende Ruhe war gespenstisch und ich traute ihr nicht. Doch man gewöhnte sich daran. Jetzt gab es auch kein Zurück mehr - die Öffnung durch den Berg musste versperrt sein. Wir versammelten uns alle vor der dunklen Sphäre. Langsam trat ich etwas näher und versuchte das Gelernte aus den Büchern anzuwenden. Jetzt, so nah an der Dunkelheit, fühlte ich mich etwas seltsam. Es war, als ob ich selbst normal wäre, aber alles um mich herum ein wenig langsamer. In dem Buch stand man sollte seinen Instinkten trauen. Das tat ich und ich konnte tatsächlich etwas spüren. Auf der anderen Seite musste es Luft zum Atmen geben und man konnte sich wohl bewegen. Auch war ich mir sicher, dass man auch wieder zurückkommen konnte. Bargh konnte mein Zögern wohl sehen, denn er sprach kräftigende Worte: „Wir müssen den Spuren der blauen Teufel folgen. Das, was sich uns entgegenstellt, wird den Flammen Jiarliraes zum Opfer fallen. Wie Schatten niemals verzagen, werden wir nie müde werden, bis unsere Aufgabe erfüllt ist.“ Mehr musste es nicht sein. Ich fing an zu lächeln, sogar zu kichern. Wir hatten den Segen Jiarliraes, wir konnten nicht scheitern. Ich tat den Schritt in die Dunkelheit hinein.

Ein Gefühl des Schwebens erfüllte mich. Ich war wie ein Blatt, das durch die Dunkelheit glitt. Dann ein kurzes, blendendes Blitzen. Erst einzeln, dann in einer schnellen Folge hintereinander. Es war so stark, dass einem die Augen schmerzten. Ein Rauschen war zwischen den Lichtblitzen zu sehen, ein Rauschen wie ein schneller Wasserstrudel. Ich fühlte mich plötzlich wieder schwer, ich sank in irgendeine Richtung, entweder nach oben oder nach unten, ich wusste es nicht. Plötzlich wurde es kalt und ich konnte alte, abgestandene Luft riechen. Das Rauschen wurde viel stärker, aber war es nicht mehr das Rauschen von Wasser, sondern vielmehr wie ein heftiger Sturm. Der Sturm heulte durch irgendetwas und das Heulen war so laut, dass es sich anfühlte als ob einem jemand ein Messer tief in den Schädel trieb. Ich befand mich in einen kleinen sechseckigen Raum. Vorsichtig blickte ich mich um. Die Sphäre aus Schwärze stand hinter mir im Raum, auch wenn sie hier auf dieser Seite etwas kleiner war. Was mir direkt auffiel war, dass ich, obwohl ich die Kristallscheiben in den Augen trug, nicht richtig sehen konnte. Alles war irgendwie verschwommen und unscharf, auch die Strahlungen der Wärme. Ein Keuchen war zu hören und die muskulöse Gestalt Barghs trat aus der Schwärze der Sphäre hinaus. Als das laute Heulen und Kreischen an Barghs Ohren drang musste er sich erst seine Ohren zuhalten. Ortnor und Halbohr folgten uns schließlich durch das Portal.

Wir waren nicht alleine in diesem Raum. An der Wand lehnten die Überreste von Kreaturen. War das alles, was von den blauen Teufeln übriggeblieben war? Zwei der Leichen waren normal verwest und inzwischen eingetrocknet. Sie trugen kleine schwarze Steine auf der Brust. Von den anderen Leichen fehlte jegliches Fleisch. An den Knochen waren auch Kratzspuren zu erkennen, so als ob man das Fleisch dort abgeschabt hatte. Halbohr meinte, dass diese Leichen hier schon seit bestimmt 1.000 Jahren liegen würden. Wenn es etwas wärmer gewesen wäre, wären sie bestimmt schon längst von Getier aufgefressen worden. Ich versuchte mir auszumalen, was hier passiert war. Vielleicht waren die Kreaturen einfach wahnsinnig geworden, in dem Heulen. Das hätte ich ihnen nicht verübeln können. Das Kreischen nagte jede Sekunde an meinem Geist. Selbst die Ohren zuhalten brachte nichts. Vielleicht waren sie auch hier eingesperrt worden und wollten ihr Ende noch etwas weiter aufschieben, auf Kosten des Fleisches der anderen. Als ich darüber nachdachte stieg eine leichte Furcht in mir auf, denn ich hatte bisher keine Ausgänge aus dem Raum gesehen. Doch dann fiel Halbohr etwas auf. Fast unsichtbar fand er einen ganz schmalen Spalt im Stein. Wenn man mit den Fingern dem Spalt folgte konnte man die Umrisse einer Türe erkennen, doch ohne jeglichen Mechanismus oder Hebel um sie zu öffnen. Bargh blickte wieder zurück zu den Leichen mit den schwarzen Steinen. Es sah so aus, als ob sie sich einfach zum Schlaf gelegt hätten, mit den schwarzen Steinen auf der Brust. Ich konnte mir nicht vorstellen woher er das wissen konnte, aber vielleicht hatte er die Hilfe unserer Herrin gehört. Halbohr hatte die Idee, dass die schwarzen Steine etwas mit der Türe zu tun haben könnten, und tatsächlich: Als er einen nahm und sich der Türe näherte, begann diese durchsichtig zu werden, wie ein milchiger Kristall. Es ging zwar etwas schwerer, aber ich konnte meine Hand hindurchstecken.

Halbohr ging voran, danach folgten Bargh und ich. Es war als würde mich die Faust eines Riesen treffen. Heulen und Kreischen waren in dem kleinen Raum schon schlimm gewesen. Doch als ich hinter der Öffnung in einen Tunnel trat, prallte die gesamte Wucht des Windes auf mich ein. Eisig fegte Böen durch einen kreisrunden Schacht. Der Tunnel schien nicht von Menschenhand geschaffen, sondern als ob irgendein Wurm sich hier durchgefressen hätte. Oder es war der Wind selbst, der es durch beharrliche Kraft geschafft hatte sich selbst durch den Felsen zu schneiden. Die Wände waren glattgeschliffen, doch der Tunnel bewegte sich hin und her durch das Gestein. Jede dieser Kurven gab dem Wind ein Echo und trug dem lauten Heulen bei. Ich sank auf die Knie und presste die Hände auf die Ohren. Das war dem Heulen egal, es hämmerte trotzdem in meinen Schädel. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken mehr fassen, jeder Versuch endete in noch stärkeren Kopfschmerzen. Vielleicht hätte der Düsterheitspilz helfen können, gibt er einem doch einen Rausch, der abstumpfen lässt. Doch Halbohr, dieser Tölpel, musste sich ja unbedingt mein letztes Fläschchen auf seine Dolche schmieren. Er hatte sie bestimmt verschwendet, als er damit die Duergar angriff. Ich schrie ihn an, wobei ich gar nicht wusste ob er mich durch das Kreischen überhaupt hören konnte. Ortnor hatte vermutlich doch Recht, er war unfähig. Zum Glück war Bargh da. Er war klug genug mir etwas von der Substanz aufzuheben. Ich träufelte etwas davon auf meinen Finger und massierte es in mein Zahnfleisch. Die Wirkung trat beinahe sofort ein. Alles schien sich etwas zu entfernen, so als ob man das Geschehen wie ein Zuschauer auf einer Bühne betrachtet. Man sieht alles und hört alles, ist aber trotzdem nicht Teil des Geschehens. Meinem Kopf ging es etwas besser, jedenfalls eine Kleinigkeit. Aber ich spürte dennoch das fortwährende Pochen, wenn auch dumpfer. Halbohr und vor allem Ortnor waren ohnehin schon manchmal schwer zu ertragen, aber mit dem Pochen war es eine Qual. Ortnor machte es auch nicht besser. Er rief durch den Wind zu uns herüber und als wir uns umblickten, sahen wir, dass er an der runden Tunnelwand einfach nach oben ging. An was für einen Ort waren wir hier gekommen… Ortnor grinste uns dumm an, als er inzwischen Kopfüber an der Decke des Tunnels stand als ob es das normalste der Welt wäre.

Halbohr fand die Spuren der blauen Teufel wieder und wir folgten ihnen durch die Tunnel. Der Durchgang wurde wieder zu festem Felsen, als wir die schwarzen Steine entfernten. Hoffentlich würden wir die Türe wiederfinden, denn es gab in dem Tunnel keinerlei besondere Merkmale, woran man sich orientieren hätte können. Auch bargen sie kein einziges Zeichen von Leben, nicht mal das kleinste Insekt oder Blatt.

Die Spuren führten uns eine Ewigkeit durch den Stein und an verschiedenen Kreuzungen vorbei. Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, veränderte sich das Kreischen und Rauschen. Ein tieferes, dumpfes Geräusch mischte sich darunter, wie ein Donnern. Auch veränderte sich der Geruch. War es vorher eiskalte, abgestandene Höhlenluft, konnten wir deutlich einen leichten Geruch von Schwefel riechen, der mit jedem Schritt stärker wurde. Irgendwann öffnete sich der Tunnel und was wir sahen, war so unwirklich, dass es nur schwer zu beschreiben war. Wir konnten hinter der Öffnung eine gewaltige Ebene erblicken, wobei es aber nicht wirklich eine Ebene war, sondern eine gigantische Höhle es eher treffen würde. Der Boden der „Ebene“ war an vielen Stellen aufgebrochen und an den Rissen quoll glühendes Magma empor. Ein Regen von Asche und Schnee fegte, vom Wind getragen, zu uns herüber. Doch was uns den Atem raubte war der riesige Vulkan, der sich in der Ferne erhob. Der Vulkan erhob sich jedoch nicht aus dem Boden, sondern er wuchs aus der Wand der Höhle heraus. Wir blickten direkt hinein in den glühenden Schlund. Alle Regeln der Natur schienen hier keine Gültigkeit mehr zu haben. Wir gingen etwas weiter und sahen, dass direkt an der Öffnung des Tunnels eine Gestalt saß. Sie war nicht nur völlig nackt und völlig haarlos, sondern schien auch irgendwie durchsichtig zu sein. Wir konnten sie nur deswegen sehen, weil sich Ascheregen und Schneeflocken auf ihren Körper legten und so ihre Konturen wiedergaben. Sie hockte auf dem Boden und hieb mit einem Dolch wie verrückt auf den Stein ein. Anderswo hätte ich es lustig gefunden - war es doch die gleiche verzweifelte Bewegung die auch Halbohr gemacht hatte, um den Eingang zu dem Portal im Stein zu markieren. Aber diese Welt und vor allem der Wind nahm mir meinen Humor und auch meinen Antrieb. Vorsichtig gingen wir etwas näher und hörten, dass die Kreatur in einer merkwürdigen Sprache etwas brabbelte. Bargh sagte, dass dies die Sprache der Ebenen sei, wo die Götter selbst wandeln. Das Wesen sprach wohl irgendetwas von einem, den er hier vergrub, zu sehen war aber nichts. Vielleicht war die Kreatur auch einfach nur durch das Heulen der Winde verrückt geworden.

Wir gingen an der Gestalt vorbei, die uns auch nicht weiter zu beachten schien. Jetzt standen wir direkt an der Öffnung. Vor uns lag der Boden - oder war es die Decke - der Höhle. Zwischen den Gräben der Lavaströme waren die Überreste einer Festung oder eines Tempels zu sehen. Die Mauern sahen aus, als ob sie schon teilweise von der jetzt kalt gewordenen Lava überflutet wurde und nur noch die Reste der oberen Teile schauten dort heraus. Ohnehin waren sowohl der Vulkan als auch die Lava irgendwie fehl am Platz. Es war viel zu kalt. Das glühende Gestein wurde fast sofort wieder fest, wenn es aus der Oberfläche brach. Der Vulkan wirkte wie ein Eindringling, wie ein Schädling, der versuchte sich hier in dieser Welt mit aller Gewalt zu behaupten, während die Winde ihn wieder vertreiben wollten. Zudem leuchtete das Magma in einem bösartigen Schimmer. Die Rauchwolken, die das Monstrum in der Ferne ausspukte, zuckten von grellen Blitzen und nahmen teils seltsame Formen an.

Wir schritten aus dem Tunnel hinaus mitten hinein in den Kampf der beiden Elemente. Alleine würden wir zerschmettert werden. Doch waren wir nicht alleine, denn Jiarlirae wachte über uns und leitete unseren Weg.

Offline Jenseher

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Sitzung 59 - Höhlen anderer Welten II
« Antwort #61 am: 31.03.2023 | 20:57 »
Fortwährend heulte der Wind und kreischte in meinem Kopf, wie tausend kleine Nadelstiche. In mein Gesicht fegten Schneeflocken, vermischt mit nach Schwefel stinkender Asche. In dieser Welt, in diesem lebensfeindlichen Kosmos, schien uns alles vernichten zu wollen. Nichts war hier normal, weder die Luft, die Geräusche oder die Schwerkraft. Der riesige Vulkan vor uns wuchs nicht nach oben, sondern zur Seite, so dass wir auf den glühenden Schlund in weiter Entfernung schauen konnten. Das Grollen, was von ihm und der Lava kam, die er ausspuckte, drang mir bis ins Mark. Und das Schlimmste war, dass die anderen in aller Seelenruhe gingen und immer wieder anhielten, um die Spuren zu suchen, denen wir bisher gefolgt waren. Dabei war es doch klar, dass die Spuren zu der Ruine vor uns führten. Entweder waren sie schon so abgestumpft, dass sie überhaupt nichts merkten oder sie verstanden einfach nicht die Gefahr in der wir alle schwebten. Ich beschleunigte meine Schritte doch musste ich immer wieder auf die anderen warten.

Nach einiger Zeit gelangten wir zu den Überresten der Festung. Wir mussten hier und dort über Risse springen, die durch die Lava Ströme in den Boden gerissen wurden. Vor uns lag das zerbrochene Eingangsportal. Ortnor musterte das Gebäude. Sein zerzaustes Haar stand noch wilder von seinem Kopf ab, durch die schreienden Winde. Ich konnte mir vorstellen, wie er sich in seinem Geiste ausmalte, wie das, jetzt teilweise mit erkalteter Lava bedeckte, Gebäude früher mal ausgesehen haben könnte. Ich wurde wieder wütend über diese Zeitverschwendung. Wen interessiert die Vergangenheit, wir waren im Hier und Jetzt. Ich hatte keine Lust mehr zu warten und trat zwischen den geborstenen Türflügeln hindurch. Ich sah zwar noch aus den Augenwinkeln wie Ortnor irgendetwas zu Halbohr sagte und auf mich zeigte, aber was der kleine Wicht und Halbohr dachten war mir egal. Der Herrin sei Dank war es auch Bargh bewusst, dass wir uns eilen mussten und er folgte mir.

Die Tore führten durch einen teilweise auseinandergefallenen Säulengang, der jedoch an einer kahlen Wand endete. Bargh fand die Spuren wieder und sie führten direkt auf den dunklen Basalt zu. Diesmal gebrauchte Halbohr seinen Verstand und hielt einen der schwarzen Steine vor die Wand. Das alte Gemäuer verlor an Substanz und wurde milchig, ähnlich wie die Wand hinter den Schattenportal. Dahinter sahen wir verschwommen einen kurzen Gang, der an einer Wendeltreppe endete und in die Tiefe führte. Die Mauern und die Verzierungen im Stein waren mit nichts vergleichbar, was ich schon jemals gesehen hatte. Wir traten durch den Stein hindurch, der hinter uns wieder massiv wurde. Mit einem Mal verschlang uns die Dunkelheit, doch gleichzeitig verschwand das permanente Schreien des Windes in den Hintergrund. Die Nadelstiche in meinem Kopf ebbten ab und wurden eher zu einem drückenden Schmerz, der aber noch auszuhalten war. Mir wurde etwas übel, aber auch das legte sich bald. Jetzt sah ich in allen Gesichtern unserer Gruppe die Erleichterung. Vielleicht war ich etwas zu vorschnell in meinem Urteil. Sie hatten vielleicht einfach nur die Qual des Windes besser verbergen können. Ortnor schien sogar fast fröhlich, er lobte Halbohr. Ein jeder konnte zwar die Heuchelei hören, doch die Arroganz liegt wohl einfach in seinem Blut.

Als die Wand wieder massiv wurde, drang auch nicht mehr die Kälte von Draußen hinein. Stattdessen trafen wir auf eine gewaltige Welle von Hitze, die irgendwo von unterhalb der Treppe heraufströmte. Die plötzliche Änderung machte mich schwindelig und dass unsere Dunkelsicht hier immer noch nicht richtig funktionierte, machte die Sache nicht besser. Die Treppe drehte sich hinab in die Tiefe. Hinab in eine infernalische Dunkelheit. Sie endete in einem kleinen Raum, in dessen Mitte eine eiserne Statue eines gehörnten Wesens stand. Bargh erkannte darin einen der blauen Teufel, doch war diese Statue viel größer als die Kreaturen. Ich erkannte in der Statue jedoch nicht die blauen Teufel selbst, vielmehr musste eine Gottheit dieser Kreaturen dargestellt sein; vielleicht auch eher eine Art Erschaffer. Sie streckte mit einem diabolischen Grinsen ihren Mund nach vorne als ob sie uns küssen wollte. Am Sockel der Statue war etwas eingraviert, in ihrer künstlichen archaischen Sprache, was Ortnor uns übersetzte: „Hört zu und lauscht und ich werde sprechen“. Doch hörte Halbohr auch von innerhalb der Statue ein dumpfes Vibrieren lauter werden. Das konnte nichts Gutes bedeuten und wir eilten schnell in einen anderen Gang. Gerade noch rechtzeitig, denn kurz nachdem wir den Raum verlassen hatten konnten wir ein lautes Zischen hören und der Raum füllte sich mit kochend-heißem Dampf.

Halbohr schlich den Tunnel weiter nach vorne, wobei es vermutlich überhaupt nicht notwendig war, denn obwohl das Heulen des Windes weniger geworden, war es immer noch laut. Plötzlich brach unter ihm der Boden auf und er fiel in eine Grube hinein. Direkt in eine sich bewegende Masse von einer beißend stinkenden Kreatur aus schwarzem Schleim. Bargh und Ortnor liefen schnell hinterher und Bargh warf ihm ein Seil hinab, während Halbohr die Kreatur, aus der ätzende Tentakel sprossen, mit seinen Dolchen zur Strecke brachte. Als er wieder am Seil nach oben kletterte, fiel Ortnor wieder in sein übliches Verhalten. Er verspottete Halbohr. Doch dessen Ruhe und Gelassenheit war schon lange nicht mehr so groß, wie sie am Anfang unserer Reise vielleicht war. Sein Gesicht verriet Wut und er war kurz davor Ortnor aufzuspießen. Wohl im letzten Moment hielt er sich noch zurück und schritt zähneknirschend weiter. Aber schon wenige Schritte später erschien plötzlich an einer Ecke eine Gestalt. Offenbar auch einer der blauen Teufel, denn seine Haut schimmerte, aufgrund der sich ziehenden Venengeflechten, tatsächlich leicht bläulich und der faßförmige Oberkörper entsprach der Statue, auch wenn diese Gestalt hier wesentlich kleiner war. Das Wesen trug eine schwarze Robe und schaute uns mit großen Augen an. In einer seltsamen Sprache murmelte es etwas, als Halbohr nach vorne stürmte und die Gestalt packte. Doch als er sie zu fassen bekam löste sie sich auf und aus Rissen in der Wand strömte abermals siedend heißer Dampf. Halbohr schrie kurz auf als seine Haut verbrühte, wahrscheinlich nicht nur vor Schmerz, sondern auch vor Schmach, da er in eine weitere Falle lief. Ortnor hatte einige Worte verstanden die der blaue Teufel murmelte, irgendetwas von einem Rätsel und etwas von einem feurigen Atem. Aber vermutlich bedeutete es gar nichts und diente nur dazu uns in die Falle zu locken.

Wir folgten dem Tunnel weiter bis zu einer steinernen Türe. Die Hitze wurde immer stärker und der Schweiß lief mir in die Augen, was widerlich brannte. Hinter der Türe tat sich eine lange Halle auf, deren Decke vermutlich eingestürzt war. Überall lagen Schutt und auch einige Knochenreste auf dem Boden. Zwischen den Haufen streckten plötzlich mehrere knöcherne Kreaturen ihren Kopf nach oben. Sie sahen aus wie Schlangen, aber ihre skeletternen Schädel waren die von Menschen und ihre Augen glühten rot auf. Der Mund einer der Kreaturen bewegte sich, arkane Formeln rezitierend. Doch Ortnor war schneller. Er beschwor einige Geschosse aus Energie, die in die Kreatur einschlugen. Bargh nutzte den Moment und hieb mit seinem Schwert auf die Köpfe. Die Schatten die aus der Klinge bluteten entzündeten sich und die Hitze verbrannte die knöchernen Schuppen. Eine weitere Kreatur erschien, diesmal war es wieder der Körper eines der blauen Teufel. Doch unser Widersacher trug eine schwarze Robe und hatte eine eingefallene und mumifizierte Haut, die schlaff über dem unförmigen Brustkorb hing. Die Augen glühten weißlich. Auch diese Gestalt sprach, jetzt jedoch in der Sprache der Hochelfen, die Halbohr verstand: „Hinfort mit euch, Eindringlinge! Ich werde es nicht erlauben, dass ihr euch nehmt, was versteckt ist an diesem Ort. Denn ihr gehört nicht hierher, seid nicht meine Kinder. Geht, und ich werde euch nicht töten. Gebt diese törichte Suche auf!“ Ich lächelte in mich hinein. Begriffen die Kreaturen denn nicht, dass ihre Drohungen nur leere Worte waren? Halbohr antwortete der Gestalt, dass all ihre Kinder bereits zu Staub zerfallen wären. Sie fing an magische Energien zu beschwören, doch ein weiteres Mal war Ortnor schneller und schleuderte magische Kugeln auf die Gestalt, um den Spruch zu unterbrechen. Bargh stürmte nach vorne und brachte mit seinem Schwert der Gestalt den feurigen Segen Jiarliraes. Die Kreatur, die weder lebendig noch tot zu sein schien, löste sich in einer Woge aus weißem Staub auf.

Wir gelangten in eine weitere Halle. Als Halbohr die Türe öffnete, strömte uns eiskalte Luft entgegen und für einen Moment wurde mir wieder schwindelig. Die Halle wurde von schwarzen Säulen getragen, in denen schlangenartige Motive eingearbeitet wurden. Am Ende der Halle stand eine Statue des Gottes der blauen Teufel; offenbar aus purem Silber gefertigt. Doch als wir den Blick zur Decke warfen, sahen wir, dass sie mit dicken Spinnfäden bedeckt war. Die Spinnfäden sahen dabei merkwürdig durchsichtig aus, fast so als ob sie nicht wirklich da wären und man hier nur ihre Schatten sehen würde. Dennoch waren wir achtsam und als Halbohr den ersten Schritt in die Halle setzte, landeten mit einem Krachen die riesigen Körper von Spinnen-artigen Kreaturen vor uns. Die Geschöpfe waren merkwürdig durchsichtig. Ähnlich der Spinnfäden waren sie zwar da, aber doch irgendwie nicht wirklich da. Die Kälte kam von diesen Kreaturen und ich konnte meinen schnelleren Atem sehen. Bargh rief Lobpreisungen an unsere Herrin heraus und stürmte mit seinem Schwert auf die erste Kreatur zu, deren Kopf er in zwei Hälften spaltete. Auch ich pries meine Göttin und sie schenkte mir die Kraft, einen Ball aus Magma zu erschaffen, den ich in den Raum warf, wo weitere der Spinnen auf Bargh und Halbohr zustürmten. Die kleine glühende Kugel explodierte mit einem Regen aus Feuer und zerschmetterte mit ihrer Wucht fast alle der Spinnen. Die restlichen fingen Feuer und krümmten sich wie sterbende Insekten zusammen. Gelobet sei Jiarliare!

Nachdem etwas Ruhe eingekehrt war, starrte Ortnor fasziniert die Statue an. Wohl nicht nur wegen der Kunstfertigkeit, sondern eher wegen des Wertes an Silber. Vermutlich überlegte er tatsächlich, wie er das tonnenschwere Konstrukt mitnehmen könnte. Aber wir fanden noch etwas anderes. Nämlich drei kleine Stäbe aus einem dunklen Metall. Laut Ortnor waren sie in der Lage jegliche Magie zunichte zu machen.

Wir folgten den weiteren Gängen. Die Hitze war überwältigend. Es war, als ob die Wände in der Dunkelheit schimmern würden, durch die Wärme. Der Gang endete an einer Steintüre, bei der Halbohr keine Möglichkeit fand sie zu öffnen. Bargh, vermutlich auch langsam ungeduldig, nahm den einfachen Weg. Mit seinem muskulösen Oberkörper warf er sich gegen die Türe, die krachend aus den Angeln gedrückt wurde. Dahinter offenbarte sich uns eine Höhle, die uns den Atem verschlug. Das Gewölbe war riesengroß. An jeder Seite, auch oben und unten, stand jeweils eine Pyramide aus schwarzem Stein. Die Spitzen der Pyramiden waren dabei alle zur Mitte gerichtet. Zwar schien hier niemand mit der Schwerkraft zu spielen, aber es sah so aus als ob die Erbauer dies nachbilden wollten. Das Portal, aus dem wir traten, öffnete sich auch aus der Spitze einer der Pyramiden. Fast wäre Bargh, als er die Türe aufbrach, in die Tiefe gestürzt, aber er konnte sich noch im letzten Moment festhalten. Von der Mitte der Pyramiden sahen wir eine Bewegung. Ich konnte zuerst nicht richtig erkennen was sich dort bewegte, doch als ich meine Augen etwas anstrengte, sah ich eine lebendige Kugel sich auf uns zu bewegen. Diese Kugel trug in ihrer Mitte ein riesiges einzelnes Auge was uns anstarrte. Zusätzliche Augen wuchsen auf Tentakel-Stielen von der Kugel heraus und glotzten uns an. Einer der Augenstiele hatte einen silbernen Ring mit diamantenen Besetzungen. Bargh war noch damit beschäftigt sein Gleichgewicht wieder zu erlangen, daher reagierte Halbohr schneller. Er schleuderte seine Dolche auf die schwebende Kugel. Einer der Klingen traf genau in die Mitte des großen Auges. Blut und Eiter spritzte heraus und die Kreatur sank langsam hinab in die heiße Luft der Tiefe.

Halbohr nahm Anlauf und sprang hinab. Dank seines Ringes fiel er nicht wie ein Stein zu Boden, sondern schwebte sanft wie eine Feder auf die Spitze der unteren Pyramide zu. Hier machte er ein Seil fest und wir konnten alle hinabklettern. Wir fanden schnell heraus, dass alle sechs Pyramiden ähnlich aufgebaut waren. In jeder war ein Hebel versteckt, der eine verborgene Luke öffnete. Einige Male war Halbohr einfach zu schwach, den verborgenen Eingang zu öffnen, da musste Bargh aushelfen. Die Luken öffneten Kammern, die sich in den Pyramiden befanden. Jede der Kammern war gespickt mit Fallen und Hinterhalten. In einer Pyramide verschwanden plötzlich die Wände und dahinter griffen uns verfaulte Körper der blauen Teufel an. In einer anderen Kammer standen zwei steinerne Sarkophage. Darin lag jeweils eine mumifizierte Kreatur und an den Kopfenden war ein kristallenes Gefäß, in dem sich ein roter Nebel bewegte. Halbohr wollte diese Gefäße wohl genauer untersuchen, doch Bargh war den Untersuchungen überdrüssig. Er zerschlug mit seinem Schwert das erste Gefäß. Als das Glas splitterte, begann sich die Kreatur fauchend zu erheben. Doch Bargh hatte damit gerechnet und sein Schwert fuhr in die Mumie hinein, so dass diese wieder zurück in den Sarg fiel. In einer anderen Kammer fand Halbohr einige versteckte kleine Phiolen. Wir waren erst etwas ratlos was sie bewirken könnten, aber Ortnor entdeckte Schriftzeichen an den Phiolen und konnte sie entziffern: „Trinkt mich und fliegt“. Offensichtlich ein Trank der einem das Fliegen ermöglichte. Das machte die weitere Suche wesentlich einfacher. Wir mussten nicht mehr mit Seilen von Pyramide zu Pyramide klettern, sondern konnten einfach hinüberschweben. Auch wurde damit eine weitere Gemeinheit der Erbauer zunichtegemacht. Halbohr fand in einer Kammer eine Rune. Wenn man an ihr vorbeischritt, so Halbohr, würde die Schwerkraft in der gesamten Höhle umgekehrt werden. Was unten stünde, würde nach oben fallen und dort schmerzhaft aufschlagen. Aber mit den Tränken war die Falle keine Gefahr mehr für uns.

Schließlich gelangten wir in die Pyramide die aus der Decke ragte. Hier gab es keine Kammer, sondern die Luke öffnete sich zu einer Leiter, die uns nach oben führte und schließlich in einen weiteren Tunnel mündete. Der Stein hier war alt und kochend heiß. Ich konnte zwar nicht sagen wie alt, aber es waren bestimmt etliche tausend Jahre. Halbohr fand eine weitere Rune. Zwar ging keine direkte Gefahr von ihr aus, aber irgendjemand oder irgendetwas wäre alarmiert worden. Halbohr schaffte es die Rune im Stein zu drehen, so dass wir ohne Probleme hindurch gehen konnten. Unser Weg endete an einer Türe, die mit einem Schlüsselloch versehen war. Ich war jetzt auf alles gefasst. Seitdem ich hier in dieser unwirklichen Welt wandelte, wusste ich, dass meine bisherigen Erfahrungen nichts waren, verglichen mit denen, die in den Welten jenseits auf mich warten würden. Ich vergaß die Schmerzen und die allgegenwärtige Furcht vor dem Tode. Nur einen kurzen Moment dachte ich an die grünen Wiesen meines Dorfes zurück und ein Lächeln war auf meinem Gesicht zu sehen. Ich sah sie brennen, vernahm den Geruch von schwelendem Fleisch und Haaren. Doch ich war es, der die Flammen rief. Ich rief die Flammen und wartete auf die Düsternis meiner geliebten Schwertherrscherin, Jiarlirae, oh geheiligte Dame des aufsteigenden Chaos des Abgrundes.

Offline Jenseher

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Sitzung 60 - Der Stecken der Sterne
« Antwort #62 am: 8.04.2023 | 21:17 »
Die Hitze war beinahe unerträglich. Immer wieder lief mir der Schweiß in die Augen und selbst die Atemzüge glühender Luft brannten in meiner Lunge. Einzig Bargh schien die Hitze nichts auszumachen. Das junge, mit tiefen Narben verunstaltete, Gesicht des heiligen Krieger Jiarliraes war zwar leicht gerötet, aber die Bäche von Schweiß die an uns allen herab liefen waren bei ihm nicht zu sehen. Er wandelte im Segen unserer Schwertherrin. Der Pfad, den auch ich beschreiten wollte.

Auch Halbohr hatte mit der Hitze zu kämpfen. Als seine geschickten Finger sich an dem Schloss der Türe vor uns zu schaffen machten, musste er immer wieder neu ansetzen, da seine Hände vom Schweiß rutschig wurden. Doch dann stieß er die Türe beinahe geräuschlos auf. Ein kurzes Signal gab er uns, dass wir uns Kampfbereit machen sollten. Hinter der Türe sahen wir einen Raum, der wie der Arbeitsraum eines Alchemisten eingerichtet war. Auf Tischen standen verschiedene Werkzeuge und kleine Fläschchen und Kolben. Die Wände waren behangen mit ledernen Vorhängen auf denen Wälder und Täler gemalt waren. Im Gegensatz zu der unwirklichen Hölle, in der wir uns befanden, war dies ein wahres Paradies. Hinter einem der Tische saß eine Gestalt mit dem Rücken zu uns. Der gleiche fassförmige Oberkörper, die gleiche eingefallene Haut. Ich war mir sicher: Das war die Kreatur, die schon in dem Tunnel auf uns gelauert hatte. Sie hatte uns noch nicht bemerkt und Halbohr versuchte dies auszunutzen. Leise wie eine Katze schlich er der Gestalt entgegen. Mit einem Rucken begann sich Halbohr plötzlich elegant zu bewegen, packte den Kopf und rammte seinen Dolch in den Hals. Nicht nur einmal. Es sah für mich schon so aus wie ein Hacken und ich meinte auch so etwas wie Freude in seinen Augen zu sehen. Nicht mehr der kühle berechnende Halbohr, sondern hier sah er eher so aus wie ein wilder Strauchdieb. Die Kreatur drehte noch ihren Kopf. Die weißlich leuchtenden Augen blitzten in unsere Richtung und aus ihrem Mund kamen schwächliche Worte, wie Raxvort oder Raximort. Doch das Glühen verblasste schnell und die Haut begann sich vor unseren Augen aufzulösen wie brennendes Papier.

Nachdem der Körper zu Boden fiel, kamen wir auch herein. Halbohr wies auf die Vorhänge. Offenbar waren dort hinter kleinere Nischen versteckt. In den Nischen lag jeweils eine hölzerne Trage, auf der ein Leichnam eines der blauen Teufel gebart wurde. Ortnors Augen weiteten sich. Hektisch rief er, dass wir sie zerstören müssten, da sie auf eine Wiederbelebung warten würden. Ich überlegte, ob das überhaupt möglich sein konnte, doch Bargh war nicht der Mann für lange Überlegungen. Er nahm sein Schwert und hieb mit einem Schlag dem ersten Leichnam den Kopf ab. Gerade noch rechtzeitig, wie sich herausstellte, denn die Finger der Kreatur fingen schon an zu Zucken und das gleiche blasse Glühen breitete sich in den toten Augen aus. Bargh und Halbohr verrichteten schnell ihr Tagewerk an den anderen Leichen bis auch der letzte Leichnam zu Staub zerfiel. Der verbliebene Vorhang verhüllte eine weitere Türe, die uns in die glühende Tiefe führte.

Der Tunnel führte uns zu einer riesengroßen, vollkommen kugelförmigen Höhle. Im unteren Teil war dieses Gewölbe gänzlich ausgefüllt von unzähligen kleinen Bällen aus irgendeinem Metall. Auch hier schlug uns die Hitze entgegen und die Luft der Höhle flimmerte. Kein Ausgang führte heraus, doch an der gegenüberliegenden Wand sah Ortnor Schriftzeichen in einer seltsamen schlangenartigen Schrift. Seine Übersetzungskünste ließen allerdings zu wünschen übrig. Er faselte etwas von „Versteckt, doch sichtbar“ oder „Versteckt, doch klar erblickbar“. Viele weitere Variationen gab er zum Besten, dabei war mir der Kern der Botschaft längst klar. Irgendetwas versteckt sich vor unserem bloßen Auge. Doch unsere Herrin gab mir nicht nur die Macht über Feuer und Schatten, sondern auch die Ströme der Magie zu erspüren. Und tatsächlich, ich sah im oberen Teil der Kugel eine Schicht, die starke Veränderungsmagie ausstrahlte. Halbohr musste dort hinauf klettern und schauen, was sich dort hinter verbarg. Der stolze Söldner, Verteidiger von Königen, wenn man seinen Zeugnissen Glauben schenken durfte, musste jedoch ziemlich von uns überzeugt werden. Dennoch machte er sich auf den Weg. Es gab ein kurzes Zischen als seine Hände in dem siedend heißen Stein der Wand halt fanden und dabei verbrannten. Doch tapfer wie es sich für einen Söldner ziert, versuchte er, mehr schlecht als recht, sich nichts anmerken zu lassen und kletterte die Rundung entlang bis er hinter die magisch schimmernde Ebene drang und dort verschwand.

Als er nach einiger Zeit wieder auftauchte hielt er einen Gegenstand in der Hand. Eine kleine schimmernde Perle. Doch spürten wir alle, dass es keine einfache Perle war. Von diesem Gegenstand ging eine unvorstellbare Macht aus. Fast schon ehrfürchtig flüsterte Ortnor: „Die Legenden sind also wahr. Dies ist ein unbeschreiblich alter Gegenstand. Der Legende nach hat ihn der Herrscher und Erschaffer der blauen Teufel selbst gestohlen, von einem Fürsten der Hölle und ist seitdem auf der Flucht. Der Stein ist von göttlicher Macht, vielleicht hat er sogar mal einem Gott selbst gehört.“ Ich hatte auch von den Legenden gehört, in einer kleinen Passage in dem Buch über die fremden Welten. Der Höllenfürst trug den Namen Graz‘zt und Raxivort, so der Name des Diebes musste sich daraufhin auf allen Welten verstecken. Viele weitere mächtige Gegenstände konnte er stehlen, die ihm enorme Macht gaben. Macht genug um eine eigene Rasse zu schaffen, nach seinem Ebenbild, um auf allen Welten dort in der Masse der Kreaturen unterzutauchen. Auch der Stein war in dem Buch beschrieben und trug den Namen „Stein des Lebens“. Die Macht des Steines lag darin, Seelen die schon ihre weitere Reise angetreten hatten wieder zurück in ihre alten toten Körper zu holen.

Da kein Ausgang aus dieser Höhle hinausführte, gingen wir wieder zurück zu der Statue, die den Dampf ausstieß und erkundeten die anderen Gänge. Fast alle waren gespickt von Fallen. Einer der Gänge wandelte sich in eine Röhre die steil nach unten abfiel. Zwar konnte man sich am Anfang noch gut festhalten, doch Halbohr erkannte, dass ab der Mitte der poröse Vulkanstein nur eine Illusion war. Die ganze Röhre war in Wahrheit spiegelglatt und führte in eine Höhle mit kochendem Wasser. Wir sollten wohl hier herunterrutschen um dann in dem Wasser bei lebendigem Leib gekocht zu werden. Doch ein Seil machte diese Falle zunichte. In der Höhle selbst schossen aus der Wasseroberfläche immer wieder dampfende Geysire heraus und hüllten alles in einen dichten Wasserdampf. An dicken Ketten hingen über den Geysiren kleine Plattformen aus Stein und führten über den See hinüber. Dies war eine Prüfung unserer Geschicklichkeit. Bargh war als erstes an der Reihe. Es sah gut aus, er sprang von Plattform zu Plattform um kam den Ausgang der Höhle gegenüber immer näher. Doch dann sah ich, dass er strauchelte. Mein Herz blieb kurz stehen als ich erblickte, wie er um sein Gleichgewicht kämpfte und ich glaube, ich habe auch kurz aufgeschrien. Erst schien es als ob er sich noch halten könnte, doch dann kippte sein Oberkörper nach hinten und mit einem kaum hörbaren Platschen versank er im kochenden Wasser. Doch ich war dumm zu glauben, dass unsere Herrin nicht auch hier über uns wacht. Erst tauchte ein Arm auf, dann ein anderer, dann schließlich sein Kopf. Die Hitze konnte ihm auch hier nichts anhaben und er watete, bis zur Brust im kochenden Wasser zur anderen Seite. Die Gewissheit, dass Jiarlirae mit uns ist gab mir Mut und ich sprang auf die erste Plattform. Doch bis zur zweiten kam ich nicht mehr. Ich schätzte die Entfernung falsch ein und sprang in die Leere. Die siedenden Fluten schlossen sich über mir und ich fühlte wie mein Fleisch anfing zu kochen. Ich versuchte zu schreien doch das führte nur dazu, dass das kochende Wasser mir die Kehle hinunterlief. Ich war mir sicher, dass dies mein Ende war. Ich war anmaßend gewesen, dass ich bereits die gleiche Gunst wie Bargh genoss, obwohl ich noch ganz am Anfang meiner Reise stand. Doch dann fühlte ich die starken Arme um mich und ich wurde von Bargh aus dem Wasser gehoben. Geduldig vor Schmach und gelähmt im Antlitz des kochenden Todes, ließ ich mich zur anderen Seite tragen. Doch ich sah, dass auch Halbohr Probleme mit der Entfernung hatte. Auch er verfehlte eine der Plattformen um Haaresbreite. Nur sein Ring verhinderte, dass er auch in das Wasser schlug. Stattdessen schwebte er langsam aber dennoch unaufhaltsam nach unten. Ich sah so etwas wie Panik in seinem Gesicht, als er mit beiden Händen den Griff seines Dolches zusammendrückte. Das Blut, was aus der abgeschlagenen Spitze eines Einhorns quoll, schoss über seinen Körper, der sich im nächsten Augenblick auflöste und am Ausgang der Höhle wieder zum Vorschein kam.

Wir verließen zusammen diese Höhle und traten in den nächsten Raum hinein. Hier stand in der Mitte ein Thron, aus einer Art grünem Marmor geschnitzt. Darauf saß eine skelettene Gestalt. Ihr breiter Brustkorb entlarvte sie als weiterer der blauen Teufel, doch das boshafte kalte Licht, was aus ihrem leeren Schädel strahlte, verriet, dass sie doch etwas mehr war. Als Halbohr in den Raum eintrat, erhob die Gestalt ihre Hand und zeigte mit ihrem knöchernen Finger auf Halbohr. Eine Stimme die aus einer unendlichen Tiefe nach oben zu dringen schien, sprach etwas in ihrer Sprache. Es war eine Frage: „Wer war die zwölfte Frau von Raxivort?“. Ich blickte fragend auf Ortnor, als er es übersetzte. Woher sollten wir das wissen, geschweige denn, warum sollte es uns interessieren? Als keiner etwas antwortete war auch der Kreatur klar, dass wir die Antwort nicht wussten und sie erhob einen kleinen glitzernden Stab aus dem ein Hagel an Energiegeschossen auf Halbohr einprasselte. Doch dieser erwiderte den Gruß mit seinem Dolch und ich antwortete mit gleißenden Feuerpfeilen. Dem konnte die Kreatur nichts entgegensetzen, denn sie war so schwach wie die Kreatur, die sie als Gott anbeteten. Ein Tunnel führte uns in einen anderen Raum, wo wir die Überreste von drei Abenteurern fanden. Deren Knochen lagen in Pfützen von grünlich schimmerndem Schleim, der einen widerlichen Gestank absonderte. Als wir uns einige Schritte in den Raum hinein bewegten, fing plötzlich der Kiefer einer der Skelette sich zu bewegen und wir konnten sehen, dass der Schleim auch in den Knochen hineingekrochen war. Halbohr rammte direkt seinen Dolch in den Schädel der beinahe augenblicklich in sich zusammen fiel. Doch der grüne Schleim sammelte sich auf dem Boden und bildete lange Tentakel. Halbohr stieß nochmal zu. Sein Dolch drang zwar in den Schleim hinein, aber ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Stahl konnte hier nicht helfen, doch ich wusste, dass die Schwertherrin mit uns ist. Ich rief sie an und erbat ihre Hilfe und sie gewährte sie mir, in Form einer Kugel aus glühendem Magma. Ich schleuderte sie den Schleimpfützen entgegen und ließ sie mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag, der sogar für einen Moment das Kreischen des Windes dort draußen übertönte, explodieren. Die Explosion ließ den Schleim zerplatzen und das, was noch übrig war, verbannte zu Asche.

Ein weiter Raum schloss sich an, der an einer Türe endete. Vor dieser Türe hing an einer goldenen Kette ein Stecken herunter, dessen Schaft aus einem in sich verdrehten Metall bestand. An der Spitze befanden sich zwei Krallen, so als ob sie eine Klammer bilden, doch war die Spitze leer. Irgendetwas fehlte noch. Wir gingen etwas näher und sahen, dass es nicht nur einfach ein Metall war, sondern wesentlich wertvoller, vielleicht sogar das sagenumwobene Mithril der Unterreiche. Ortnors Augen fingen an zu glänzen. Er drängte Halbohr, dass er an der Wand hochklettern sollte und diesen Stecken, der bedrohlich über der Türe baumelte, abzuhängen. Doch Halbohr haderte. Offenbar hatte er genug, von Raum zu Raum Artefakte zu jagen. Er verstand immer noch nicht, dass jeder Schritt den wir hier taten nur der Wille Jiarliraes war, den wir ausführten. Er hatte gar keine andere Wahl. Doch nach einigen Worten von Bargh, ließ er sich erweichen. Er kam aber nicht weit, denn als er sich die ersten Schritte hochzog, stürzten aus der dunklen Leere über uns zwei riesige Kreaturen auf ihn hinab. Er schaffte es gerade noch sich zur Seite zu rollen und blickte sich zwei Insekten-artigen Wesen gegenüber. Eines ihrer Augen war verlaufen, doch das andere starrte ihn und auch uns an. Als der Blick auf mich fiel, spürte ich ein Brennen auf meiner Haut. Ich sah, dass sich auf meinem Arm in Windeseile eine Steinschicht bildete. Doch ich konnte dem Blick der Kreatur widerstehen und die Schicht fiel in einer Wolke von Staub zu Boden. Halbohr nutzte den Moment und stieß seinen Dolch in das Maul einer der Kreaturen, als diese gerade ihre Kiefer öffnen wollte. Stinkender Eiter und Blut spritzte auf Halbohr. Ich selbst schickte weitere brennende Pfeile auf die Kreaturen und Ortnor schleuderte Kugeln aus Energie in die Köpfe hinein die herrlich aufplatzten als diese einschlugen.

Als die Kreaturen hinunter fielen riss auch die Kette und der Stecken lag vor uns auf den Boden. Ortnor zeigt auf eine kleine Aussparung, die genau die Größe des Steins des Lebens hatte. Laut Ortnor trug dieser den Namen Stab der Sterne oder auch Stecken der Götter. Offenbar konnte er magische Geschosse beschwören, jedoch andere als die die ich schon kannte, mehr wie glühende Sterne. Die Türe, die wie sahen stellte sich nur als Attrappe heraus, also gingen wir wieder zurück zu der dampfenden Statue.

Wir traten in den letzten Gang hinein. In dem Tunnel erschien uns ein deformierter Schädel und brabbelte etwas in der Sprache der Xvarte. Ortnor versuchte wieder zu übersetzen, doch kam er nicht richtig hinterher. Irgendetwas von letzter Gnade, langer Weg, Recht zur Wahl, sterbliche Seele kann verloren werden. Bevor wir uns einen Reim darauf machen konnten verschwand der Schädel wieder. Wir gingen weiter und kamen an einem quadratischen Raum vorbei. Über dem Boden schwebten neun gleichmäßig angeordnete Globen in der Luft, die aus purer Schwärze zu bestehen schienen. Sie rührten sich kein bisschen, doch man konnte den Schauer deutlich sehen der Halbohr widerfuhr. Vorsichtig ging er wieder einige Schritte zurück und riet uns eindringlich von dem Raum fern zu bleiben. Ein nächster Raum führte in eine Sackgasse die in einer magischen Barriere endete. Auch hier ging es nicht weiter. Es blieb nur noch ein Weg von dem wir schon aus der Entfernung ein hohes Jammern hören konnten. Ich dachte erst, es wäre der Wind über uns, doch war dieses Jammern anders und auch viel näher. Wir kamen in einen Raum der aussah, als hätte dieser lange in einem heißen Feuer gebadet. Die Wände waren mit einer dicken Rußschicht bedeckt und es waren dort die Reste von geschmolzenen Eisenstäben zu erkennen. In der Mitte sahen wie eine Gestalt deren Körper halb durchsichtig war. Die Hitze war immer noch fast unerträglich, doch die Gestalt strömte eine Eiseskälte aus, die mit der Hitze dieser Welt zu konkurrieren schien. Obwohl wir uns leise bewegten schien die Gestalt unsere Anwesenheit zu wittern und drehte den Kopf. Das Gesicht war nur schwer zu erkennen, aber als die Gestalt uns anblickte verzerrte es sich zu einer abscheulichen Fratze und sie riss ihren Mund weit auf. Das Jammern, was von ihr kam, wurde lauter und lauter, bis es sich bis auf unsere Knochen und unser Blut setzte. Mein Kopf drohte zu platzen und ich spürte wie sich meine Eingeweide begannen aufzulösen. Blutstropfen quollen aus meinen Ohren heraus und erst im letzten Moment konnte ich mir die Ohren zuhalten und mich abwenden. Bargh erkannte die Gefahr und stürmte der Gestalt entgegen. Mit einem mächtigen Hieb seines gesegneten Schwertes Glimringshert hieb er auf das Wesen. Die Schatten begannen sich wie flüssiges Feuer zu entzünden und hüllten die Kreatur in Flammen ein. Das Jammern wurde zu einem Klagen von Schmerz, als die Gestalt bei lebendigem Leib verbrannte.

Das Klagen und die Flammen verzogen sich und ich sah, dass es hier nicht weiter ging. Wir müssten wieder zurück zu den anderen Räumen. Ich würde dafür sorgen, dass die restlichen Teile des Artefaktes gefunden werden. Jiarlirae hatte ihren Anspruch darauf erhoben und so sollte es auch geschehen.

Offline Jenseher

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Sitzung 61 - Der Henker der letzten Einöde - Teil I
« Antwort #63 am: 16.04.2023 | 15:25 »
Das widernatürliche Heulen drang tief durch den Stein dieser unterirdischen Ruine. Die Hitze brachte die Luft um uns herum zum Flimmern und trieb uns den Schweiß in die Augen. Allen, bis auf Bargh. Auf seinem jungen, aber durch die Prüfungen verzehrtem Gesicht, lag nicht eine Schweißperle. Es war, als ob er die Hitze willkommen heißen würde. Halbohr schüttete sich einen Schwall Wasser in seinen ausgetrocknetem Hals und rief krächzend Richtung Ortnor. Der kleine Wicht hatte gerade ein glitzerndes Kettenhemd in der Hand, dass er fasziniert anstarrte. Er brabbelte etwas davon, dass sein Volk dies gemacht hätte. Ich sah in Halbohrs Augen eine Unruhe, die immer stärker wurde, je länger wir hier verweilten. Fast schon nervös spielte er mit dem Griff des Einhorn-Dolches. Dessen nie enden wollendes Rinnsal aus Blut lag inzwischen in einer bräunlich-getrocknetem Schicht auf seiner Hand, vom dem er sich immer wieder einzelne Stücke abkratzte. Vorbei waren die Tage des kühlen und ruhigen Elfs. Jetzt war er ein überreiztes Geschöpf. Er herrschte Ortnor an, dass er sich beeilen solle. Ortnor reagierte darauf, wie er immer reagierte, wenn man ihm unter Druck setzte. Sein Kiefer in dem rundlichen Gesicht zuckte und ich glaubte, er war kurz davor, sich auf Halbohr zu stürzen. Vor Halbohr schien er keinen Respekt zu haben, was Halbohr selbst wiederum in Wut versetzte. Da schritt Bargh dazwischen. Zwar schien ihm dieser Ort nicht wirklich zuzusetzen, aber er wusste, dass uns unsere Herrin eine Prüfung auferlegt hatte und weder Bargh noch ich wollten diese noch weiter hinauszögern.

Wir kamen in einen quadratischen Raum der sich weit nach oben eröffnete. Dort sahen wir auf einer Brüstung steinerne Statuen von teufelsartigen Kreaturen. Aber auch an diesen schien die Hitze zu nagen, denn der Stein sah geschwärzt aus und an einigen Stellen sogar zerlaufen. Als wir in den Raum schritten, begann sich eine der Statuen plötzlich zu bewegen. Mit einem Knacken platzte der Stein auf und die Gestalt erhob ihre Schwingen. Ein rötliches Glühen in den Augenhöhlen erschien und glotzte uns von oben an. Im gleichen Moment hörten wir etwas, wobei ich nicht sicher war ob wir es wirklich hörten oder sich eine Stimme direkt in unsere Köpfe sprach. Es war wieder die Sprache dieser blauen Teufel, doch Ortnor wurde immer besser dabei sie zu verstehen: “Sprich den Namen unseres höchsten Königs, der von unten und von oben kam. Jeden Morgen und jeden Abend und auch jede Nacht. Nur begleitet war er von zwei Schwestern, der Kälte und der Dunkelheit und er war von unsichtbarem Gesicht”.

Offensichtlich ein weiteres dieser Rätsel und Wortspiele der Kreaturen. Sie waren mir zuwider, doch der rötliche Blick der geflügelten Kreatur haftete auf uns und wartete nur darauf, sich auf uns zu stürzen. Also tat ich den Erbauern den Gefallen und überlegte was gemeint sein könnte. Vielleicht hatte es etwas mit dem Linnerzährn zu tun oder generell mit den Sternen? Vielleicht aber auch etwas komplett anderes? Aber nein, dies war eine andere Welt und hatte auch nichts mit den blauen Teufeln zu tun. Halbohr überlegte laut ob es der Mond sein könnte. Bei dem Gedanken musste ich etwas schmunzeln oder hatte er schonmal einen Mond gesehen der dreimal am Tag aufgeht? Allerdings war es schwer einen klaren Gedanken zu fassen; das Heulen drang immer noch durch den Stein und vibrierte in unseren Knochen. Da fiel es mir ein: Der Wind hier heult immer, morgens, abends und nachts. Er bringt Kälte und für den Geist auch die Dunkelheit. Er beherrscht alles in dieser Welt. Ortnor kam auf den gleichen Gedanken und sprach das Wort in der Sprache der blauen Teufel. Als er dies tat, sahen wir alle, wie sich in der Wand die Konturen einer Türe abzeichneten. Und auch die geflügelte Kreatur schien zufrieden zu sein. Ihr Blick erstarrte wieder, das rötliche Glühen verschwand und es legte sich wieder eine dicke steinerne Schicht auf die Kreatur. Ortnor konnte nicht anders und fing an Lobpreisungen auf sich selbst zu verkünden; an alle die es hören wollten oder auch nicht. Diesmal war es auch Bargh zuwider. Zischend befahl er Ortnor still zu sein. Als Barghs Mund sich öffnete, war deutlich seine Zunge zu sehen, die er sich immer wieder aufbiss und inzwischen einen langen Spalt hatte. Ortnor wagte nicht zu widersprechen und war tatsächlich ruhig. Eine sehr angenehme Ruhe, die einen fast das Windkreischen vergessen ließ.

Wir gingen durch die jetzt sichtbare Türe in einen weiteren Gang. Es wurde immer heißer und der Stein dieses Ganges fing an leicht zu glühen. Barghs Schritte wurden schneller. Er sagte, er könne den Ruf Jiarliraes schon fast hören. Ich hielt kurz inne und versuchte zu lauschen, doch nichts. Ich wurde etwas traurig, war ich doch in den Augen meiner Herrin immer noch nicht würdig genug, dass sie direkt zu mir sprach. Doch Bargh konnte mich aufmuntern. Es sei nur eine Frage der Zeit bis sie auch mich kennen würde – bis ich mich als würdig erwiese. Als wir sprachen, sah Halbohr uns nur ungläubig an. Sein Verstand war einfach nicht in der Lage, die größeren Ziele zu erkennen. Er konnte zwar seine weiteren Schritte planen, aber was im Morgen oder im nächsten Leben wartete, war für ihn nicht sichtbar und nicht greifbar. Doch Bargh machte ihm bewusst, dass auch Halbohr sich irgendwann entscheiden müsse, ob er die Wahrheiten akzeptiere oder nicht. Halbohr blickte nachdenklich in die Leere, vielleicht ahnte er schon, dass dieser Punkt schon sehr bald kommen würde.

Am Ende des Tunnels sahen wir schon einen rötlichen Schimmer und die Hitze wurde immer unerträglicher. Als sich der Tunnel in eine große Kammer öffnete, hielten wir vor Erstaunen und auch Schrecken den Atem an. Die Kammer sah aus, als ob sie mitten hineinführte, in einen See aus flüssigem, glühendem Gestein. Einzig eine Art Glas, das die gesamte Höhle umgab, hielt die wabernden Massen des Magmas zurück. Wehe dem, der töricht genug war dieses Glas zu zerstören. In der Mitte der Kammer erwartete uns ein riesenhaftes Wesen, so groß wie ein Haus. Zwar sahen wir keine Flügel, doch der reptilienhafte Körper mit seinen rötlichen Schuppen und dem langgezogenen Maul erweckten in mir Erinnerungen an Legenden, wenn in den Märchen und Geschichten von Drachen gesprochen wurde.

Ich holte schnell den kleinen Würfel aus meinem Gepäck von dem ich wusste, dass er uns vor Hitze schützen könnte. Die Runen, die diesen aktivierten, waren schnell auf der Oberfläche gemalt und als sich die Aura um uns ausbreitete, wurde es mit einem Schlag fast schon kühl. Es hätte keinen Moment später passieren dürfen, denn schon kurz darauf explodierte der Tunnel um uns herum in einer gleißenen Wand aus Feuer. Die Aura des Würfels glühte auf. Sie konkurrierte mit der Hitze, doch sie hielt stand. Bargh nutzte den Moment und stürmte mit seiner gesegneten Klinge der Schatten und Feuer auf die Kreatur zu. Der Drache erwartete ihn schon mit hasserfüllten Augen, hatte er es doch nicht geschafft uns alle bei lebendigem Leib zu verbrennen. Als sein Blick auf uns fiel, spürte ich wieder, wie meine Haut sich veränderte und sich eine Schicht aus Stein begann auszubreiten. Doch hatte ich die Begegnung mit der anderen Kreatur nicht vergessen und wusste, wie ich meinen Geist dazu bringen konnte dies nicht zuzulassen. Auch bei den anderen sah ich, wie sich zwar eine Schicht anfing zu bilden, doch dann auch in Staub abfiel. Bargh hieb auf die Kreatur und als die Schatten in den Körper eindrangen, spritzte Schwefel wie Blut aus der tiefen Wunde auf. Ortnor murmelte arkane Worte und über der Kreatur erschien eine Kugel aus einer zischenden und stinkenden grünen Flüssigkeit, die sich dort ergoss. Ein Brüllen ertönte, als die Schuppen von der Flüssigkeit zerfressen wurden. Barg hieb ein weiteres Mal, direkt auf den langen Hals. Der dunkle Krieger brüllte auf, als er mit seinen muskelbepackten Armen die Klinge in den Hals trieb. Es war als würde der Drache das Brüllen erwidern, doch der Hieb von Bargh war so gewaltig, dass die Klinge den Schädel fast abtrennte. Auf uns spritzte stinkendes Blut hinab und die Kreatur sank zu Boden. Ich konnte nicht anders. Gegen das Blubbern und das Kreischen des Windes rief ich Barghs Namen: Bargh, der Drachentöter. Doch er war bescheiden. Er sank vor der Kreatur auf die Knie und betete, ein Gebet was ich noch nicht von ihm gehört hatte, etwas von einer schwarzen Natter und einer menschlichen Schlange.

Die Aura des Würfels kühlte uns und so konnten wir ungehindert den Hort der Kreatur durchsuchen. Neben vielen Goldstücken und Edelsteinen wurde Halbohr fündig. Er bückte sich nach einer Stelle auf den Boden und als er sich wieder aufrichtete, hielt er in seiner Hand einen grünen Edelstein. Selbst aus der Entfernung konnte ich die Schönheit dieses Steines erkennen und ich spürte, dass von ihm eine besondere Macht ausging. Halbohr starrte ihn wie in einem Traum an. Dies war der Seelenstein, so nannte ihn Ortnor jedenfalls. Ein weiteres Relikt und ein weiterer Bestandteil des Steckens der Götter. Ortnor war völlig aufgeregt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er direkt hier und jetzt die Einzelteile des Steckens zusammengesetzt. Doch keiner von uns war so töricht. Bargh verlangte von Halbohr den Seelenstein, den er ihm auch gab. Jetzt hatten Ortnor, Halbohr und Bargh jeder einen Teil und keiner konnte ohne die beiden anderen Teile die Macht entfesseln.

Wir zogen uns erst einmal zurück in die kühlere Höhle, wo uns diese außerweltlichen Spinnenkreaturen angegriffen hatten; sehr zum Ärgernis von Ortnor, da er zur Eile drängte. Doch wollten wir uns alle vorbereiten, denn keiner wusste, was uns passieren würde, wenn wir den Stab zusammensetzen. Auch trug Halbohr noch einige Wunden. Bargh bot ihm an die Macht der Herrin zu erbitten, um diese zu schließen. Von dem anfänglichen Zögern, was ihm einst anzusehen war, war nichts mehr zu sehen. Es war fast, als hätte Halbohr nur darauf gewartet, dass Bargh ihm das Angebot machte. Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung für Halbohr. Doch nein, er würde wahrscheinlich immer der verschrobene und langweilige Soldat bleiben, der er war.

Die Temperatur der Höhle war durchaus ertragbar und ich konnte sogar tatsächlich etwas Schlaf finden. Doch suchten mich merkwürdige Träume heim. Ich träumte von einer Dunkelheit, die plötzlich von dem Blitzen einer Klinge erhellt wurde. Die Klinge schnitt durch die Dunkelheit wie durch Wasser und teilte sie. Während in der Dunkelheit alles starr und still war, konnte sich die Zeit selbst in dem Schnitt entfalten und entwickeln. Ich erwachte und sah, dass auch Bargh wach geworden war. Als ich ihm von dem Traum erzählte, nickte er nur ruhig. Er hatte den gleichen und wusste, dass dies ein Zeichen von Jiarlirae war. Sie sprach zu mir! Jetzt war ich mir sicher, dass ich nicht mehr an mir zweifeln musste. Wenn auch noch viele Prüfungen vor mir lagen, so war ich dennoch würdig.

Frisch gestärkt bildeten wir einen Kreis. Halbohr sollte es sein, der die Teile zusammenfügen würde. Ich hoffte nur, dass er nicht wieder irgendwas Dummes tun würde. Er nahm von Ortnor den Stecken entgegen und ließ die kleine Perle in die Vertiefung am Schaft gleiten. Sie rollte beinahe wie von selbst dort hin und glitt hinein. Ich konnte an Halbohrs Augen sehen, dass er spüren konnte, wie der Stecken an Macht gewann. Dann kam der Edelstein an die Reihe. Auch dieser glitt wie von selbst zwischen die beiden Krallen an der Spitze des Steckens und blieb auch dort haften, obwohl er die Spitzen selbst nicht berührte. Der Stein begann sich wie wild in der Spitze zu drehen und änderte immer wieder seine Farbe. Jetzt konnte ich sogar die Macht spüren, die von dem Stab ausging. Es war, als ob etwas Altes und Kraftvolles erwachen würde; langsam aber unaufhaltsam. Dann, mit einem Mal, wallte eine Woge von purer Macht über uns hinweg. Ich wurde von irgendetwas geblendet und konnte erst nichts mehr sehen. Als sich meine Augen daran gewöhnten, erblickte ich aber nicht den Tunnel oder die Höhlen, sondern ich schaute in ein wundervolles Gesicht, perfekt in allem seinem Wesen. Eine schneeweiße Haut umrahmte stahlblaue Augen. In seiner Gesamtheit verströmte das Gesicht eine Aura von Licht. Plötzlich erhob sich das Antlitz und ich sah, dass es ein Körper in einer glänzenden Rüstung war, der von weißen, engelsgleichen Schwingen davongetragen wurde; doch ob männlich oder weiblich vermochte ich nicht zu sagen. Ich erkannte und fühlte auch, wie die Aura alles verbrennen wollte, was es nicht verstand oder verstehen will. Es war das Gegenteil, die Antithese von Jiarlirae. Die Gestalt erhob sich weiter und ich sah, wie sie über ein gewaltiges Schlachtfeld schwebte. Blitze zucken von einem apokalyptischen Himmel und schwebende, gigantische Konstrukte aus Knochen und schwarzem Stahl waren zu sehen. Unter dem Erzengel trafen zahllose Armeen aufeinander; Armeen von Kreaturen der Hölle, die sich gegenseitig in Massen zerfleischten, deren Strom nie abzuebben schien. Die Engelsgestalt betrachtete für einige Zeit die Schlachten, bis sie dann, den Stab voran wie ein Raubvogel, in die Armeen stürzte und dort wie eine Naturgewalt wütete. Zu Tausenden fielen Scheusale, Teufel wie Dämonen, mitsamt ihren Dienerkreaturen und Konstrukten.

Dann und mit einem Mal verblasste das Bild um mich herum. Es wurde alles schwarz. Das Heulen des Windes setzte mit voller Härte ein und versuchte wieder meinen Geist zu vernichten. Es wurde heller und ich sah, dass wir alle in einer großen Arena standen. Dunkle Ränge umrandeten den Platz, nur eine Stelle der Ränge war mit einem hellen Licht erleuchtet. Über uns wogte ein Himmel, der nicht wie ein Himmel aussah, sondern eher wie ein Fluß von irgendetwas, vielleicht die eigentliche Essenz dieser Welt. Bei dem Licht regte sich etwas und wir sahen, dass dort eine Gestalt hervortrat. Es war die eines der blauen Teufel, zumindest hatte es den gleichen fassförmigen Oberkörper. Doch war dieses Exemplar wesentlich größer. Es wurde begleitet von zwei anderen Kreaturen, mit schwarzem, wildem Haar und dunklen roten Hörnern, die aus dem Schädel wuchsen. Obwohl der blaue Teufel mindestens 20 Schritt von uns entfernt war, konnten wir seine Stimme klar hören, als er sprach: “Schwächliche Geister! Ihr seid gekommen um meinen Schatz zu rauben, den ich einst selbst geraubt hatte. Knieet nieder im Staub, ihr sterblichen Geister und gebet mir, was auf ewig mir gehöret und was ER nie wiederbekommen wird! Knieet nieder und ich werde eure Seelen verschonen!”

Ich war erstarrt. War dies tatsächlich Raxivort selbst? Nein, das konnte nicht sein. Er war zu feige, denn sobald er sich zeigen würde, wären alle Teufel der Höllen auf seiner Fährte. Ich blickte zu Bargh, doch der dunkle Krieger flüsterte in diesem Moment etwas in Halbohrs gesundes Ohr. Augenblicklich veränderte sich Halbohrs Blick und wurde gläsern. Ich verstand: Es war der Preis, den er jetzt zahlen musste für die Macht, die er bereits gekostet hatte. Jetzt musste er Jiarlirae zumindest diesen einen Dienst leisten, ob er nun wolle oder nicht. Dann wandte sich Bargh in Richtung des Lichts und schrie: “Ihr seid versteckt unter vielen, ein Feigling und ein Zögerer. Ihr und eure Dämonenfürsten sind schwächer als Jiarlirae. Ihr werdet in ihrem Glanz zugrunde gehen! Es ist der Abglanz von Feuer und Düsternis, der euer Schicksal spinnen wird.” Wie als ob es sein Stichwort wäre, presste Halbohr den Griff seines Dolches zusammen und als das Blut des Einhorns seinen Körper bedeckte, wurde er durch die unheilige Blutmagie direkt hinter den blauen Teufel getragen. Zur gleichen Zeit begannen sich die Schatten in den Rängen zu bewegen und eine Armee von verschiedenen Kreaturen, besser die Schatten verschiedener Kreaturen, strömte auf uns zu. Bargh gab mit seiner Hand ein kurzes Kommando und stürmte mit einem Kriegsgeschrei dem blauen Teufel entgegen. Ortnor verstand das Kommando. Er murmelte nur eine kurze arkane Formel und die Schatten, die uns bereits erreicht hatten, stürmten ins Leere. Ich wurde mit ihm auf die höherstehenden Ränge getragen. Hier sah ich Halbohr hinter dem blauen Teufel auftauchen. Der falsche Raxivort hatte ihn noch nicht bemerkt. Während einer der beiden Dämonen seinen riesenhaften Krummsäbel nach Bargh hieb, blitzte das Horn des Dolches von Halbohr kurz auf als er es dem falschen Raxivort direkt in sein Herz stach. Seine gelblichen glühenden Augen erweiterten sich, was für mich wie Erstaunen aussah. Er drehte sich zu Halbohr um, doch man sah schon schwarzes Blut aus seinem Mund herauskommen. Er versuchte noch etwas zu sagen, doch war es mehr ein Röcheln. Ein Schatten löste sich aus dem zu Boden fallenden Körper, der wie ein Wurm dahinglitt. Er versuchte zuerst an Halbohr empor und in ihn hinein zu kriechen, doch konnte er ihn Kraft seines Geistes abschütteln. Dann versuchte er es bei mir, doch Bargh war bei mir und die Macht seiner gesegneten Klinge vertrieb den Schatten. Ich hörte einen Ruf voller Schmerz und Leid, aber, als ob er von sehr weit herkommen und immer schwächer wurde. Der Schatten wurde durch die Winde nach oben gerissen und verschwand im Mahlstrom des Himmels.

Die Armee der Schatten löste sich so schnell auf wie sie aufgetaucht war und Bargh stand den beiden Teufeln entgegen. Als seine Klinge tief in den Leib eines der beiden eindrang und schwarzes Blut aufspritzte, wurden aus beiden wimmernde, erbärmliche Kreaturen. Sie knieten sich vor Bargh nieder und fingen an um ihr Leben zu flehen. Angeblich würden sie unsere Herrin kennen und boten ihre Dienste an. Ich konnte erkennen, dass, obwohl sie ihre Gesichter in den Staub drückten, dennoch eine enorme Macht innehatten. Vielleicht sah Bargh es auch, denn er zögerte noch ihnen den Kopf abzuschlagen. Sie versprachen uns allen einige Wünsche zu erfüllen, doch war jedem von uns klar, dass dieser Pakt auch gefährlich sein konnte. Vielleicht war das auch der Grund, warum Ortnor sich daraus enthielt. Er sah es nicht ein mit diesen Teufeln Geschäfte zu machen.

Wir äußerten unsere Wünsche und sie wurden erfüllt, sei es Wissen, Stärke oder Macht. Halbohrs Wunsch war der letzte. Er wünschte sich, dass die Barden und Liedermacher unserer Welt seinen Namen kennen und ihn preisen sollten. Als er den Wunsch aussprach, begannen die beiden Kreaturen scheußlich zu lachen. Ich war mir sicher, dass sie auch diesen Wunsch erfüllt hatten, doch welche Auswirkungen er haben mochte, konnte noch keiner sagen. Mit dem letzten Wunsch und in ihren Lachen lösten sie sich in Staub auf. Doch mit ihnen verschwand auch die Arena um uns herum. Für einen Augenblick wurde es wieder schwarz um mich, dann standen wir wieder alle dort, wo wir in die Tiefe geschritten waren - vor den zerstörten Toren der alten Ruine. Der Vulkan, der allen Gesetzen der Natur zum Trotze, aus der Seite der gigantischen Höhle wuchs dröhnte und spuckte Asche und Feuer, doch das Heulen des Windes war lauter.

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Sitzung 61 - Der Henker der letzten Einöde - Teil II
« Antwort #64 am: 23.04.2023 | 09:42 »
Wie ein gehetztes Tier rief er uns zu, dass wir uns beeilen mussten. Halbohr und Ortnor blickten ihn etwas ratlos an, doch ich wusste, dass wenn er uns zur Eile ruft, wohl seine Gründe haben musste. Wir hasteten wie gejagdes Wild die Höhlenwand nach oben und traten wieder in die Tunnel ein. Für einen kurzen Moment musste ich innehalten und mich daran gewöhnen, dass ich in jede Richtung nach unten gezogen wurde. Doch dann lief ich weiter. An den teils engen Kurven ging ich einfach an der Wand des Tunnels entlang, oben oder unten spielten hier keine Rolle mehr.

Wir fanden die Markierung die Halbohr hinterlassen hatte schnell wieder. Hier war die versteckte Öffnung zu dem Portal, was uns wieder nach Hause bringen konnte. Halbohr holte den schwarzen Stein heraus und die Wand wurde durchsichtig. Er wollte schon hindurch schreiten, doch Bargh hielt ihn auf. Er sagte, wir müssten noch eine Sache tun und verlangte den Stab von Halbohr. Ortnors Augen wurden vor Schrecken groß, doch bevor er etwas sagen konnte, brüllte Bargh, er solle sich heraushalten. Halbohr zögerte, also zog Bargh sein Schwert und ging weiter auf Halbohr zu. Dieser zückte seinen Dolch, bereit sich zu wehren, auch wenn er natürlich wissen müsste, dass dies zwecklos wäre. Bargh näherte sich weiter und sagte er wolle den Stab mit seinem Blut reinigen. Halbohr rührte sich nicht, doch man konnte sehen wie er überlegte. Schließlich gab er nach und hielt Bargh den Stecken der Götter hin. Ortnor war der Verzweifelung nahe. Er verstand es einfach nicht. Bargh legte den Stecken vor sich auf den Boden und ich kniete mich zusammen mit ihm davor. Der heilige Krieger schnitt mit der Spitze seiner Klinge zuerst in seine Hand und schließlich in meine. Es war ein schöner Schmerz, als sich in meiner Hand ein feiner Riss bildete und mein Blut heraustrat und auf den Stab treufelte. Bargh blickte fragend Halbohr an, ob er sich an dem Ritual beteiligen wolle. Und dieses Mal überraschte mich Halbohr. Ich ging davon aus, dass er wieder irgendwelche Ausreden finden würde oder fadenscheinige Begründungen, doch er willigte tatsächlich ein. Er sagte, er wolle auch einen Heldennamen tragen, wie Bargh und dass ihm die Macht der Herrin dazu verhelfen könnte. Zwar waren seine Ziele immer noch nicht rein, aber zumindest war ihm jetzt klar, welche Macht unsere Herrin hatte. Auch er kniete sich vor den Stecken und auch sein Blut benetzte schließlich den Stahl.

So knieten wir dort im schreienden Wind dieser kalten Hölle; unser Blut benetzte das alte Artefakt. Bargh begann die Verse unserer Göttin zu murmeln und von seiner Gestalt breitete sich eine Dunkelheit aus, die uns alle umfasste. Nur der glühende Rubin in Barghs rechtem Auge war noch zu sehen. Der Wind schien leiser zu sein, so als ob er sich entfernen würde und gleichzeitig wurde Barghs Singsang lauter. Ich sah zwar nichts, doch ich konnte es deutlich spüren. Wir waren nicht mehr allein. Eine Macht von etwas uraltem Bösen hatte sich zu uns gesellt. Ich wagte nicht mich zu rühren. Wir waren dem Bösen völlig ausgeliefert und wenn es wollte, könnte es uns mit einem einzigen Gedanken töten oder noch viel Schlimmeres machen. Der Geruch von Leichen und von Fäulnis breitete sich aus und es wurde etwas heller, wobei es kein natürliches Licht war.

Wir sahen, dass sich drei Kreaturen in dem Tunnel materialisiert hatten; Kreaturen die direkt aus der Hölle entstammen mussten. Eine Gestalt war groß und drahtig, mit schwarzen Haaren und schien in Gänze in weißliche Flammen gehüllt. Aus ihrem Schädel ragten zwei schwarze verdrehte Hörner auf und breite, schwarze, Fledermaus-ähnliche Schwingen entfalteten sich von ihrem Rücken. Die zweite Kreatur erinnerte im ersten Moment an eine Frau, doch hatte sie insgesamt acht Arme die aus ihrem nackten Oberkörper wuchsen. Ihr Unterkörper war der einer Schlange und jeder Arm war in schwarzen Ketten mit Widerhaken bedeckt, die sich in das Fleisch schnitten. Beide der Gestalten waren älter, als man es sich vorstellen könnte. Sie vermochten wohl Dinge gesehen und getan zu haben die ich mir nichtmal in meinen dunkelsten Träumen vorstellen könnte. Die dritte Gestalt war die schrecklichste. Sie trug keinen Kopf. Aus der Öffnung des Halses sprudelte jedoch unablässig ein Strom aus Blut. Sie war mit Muskeln unter einer weißen Haut bepackt, doch überall auf ihrem Leib krochen kleine Maden, die sich an ihrem Fleisch labten. Die Gestalt war an den Armen gepanzert, doch waren die Platten aus schwarzem Stahl mit Nägeln direkt in den Knochen geschlagen. Der fehlende Kopf befand sich im Bauch der Kreatur, wo es uns aus einer absoluten Verrücktheit anblickte. In ihrer Rechten trug sie ein riesengroßes Beil, wie das Beil eines Henkers, wo ich noch Blut herabtropfen sehen konnte. Vielleicht das Blut all der Wesen die sie geköpft hatte? Ich wagte es nicht die Gestalt länger anzublicken und senkte mein Haupt auf den Boden, doch ich erkannte sie aus den Gebeten von Bargh und von Neire. Dies war der Dämonenprinz Vocorax'ut'Lavia, der Henker der letzten Einöde und ein Bote von Jiarliare, vielleicht sogar ein Teil von ihr selbst.

Der Anblick musste für Ortnor einfach zu viel gewesen sein, er wollte nur noch weg, doch nicht ohne seinen Preis. Er sprang nach vorne, mit dem Ziel den Stecken zu ergreifen, der mittlerweile von unserem Blut bedeckt war. Halbohr reagierte einen Moment zu spät. Zwar zuckte sein Dolch auf und versuchte seine Hand aufzuspießen, doch Ortnor war schneller und legte seine schmierigen Finger auf den Stecken. Er begann zu murmeln und wollte sich wohl durch Zeit und Raum davonstehlen, doch der Henker erhob sein Beil und hieb damit in die Luft. Es war, als hätte der Schlag Raum und Zeit selbst durchschnitten. Für einen kurzen Moment spürte ich, dass Flamme und Schatten sich trennten. Es lag irgendetwas dort… etwas Machtvolles, Geheimnisvolles… war es das Urchaos? Mein Geist war wie gelähmt und ich wagte nicht aufzuschauen. Eine Welle von unsterblicher Macht rollte über uns hinweg. Die Zeit selbst schien langsamer zu laufen, doch dann bemerkte ich, dass es nur für uns der Fall war. Ortnor stand dort, die Hand immer noch nach dem Stecken ausgestreckt und war wie eingefroren. Langsam aber unaufhaltsam schritt der Henker auf Ortnor zu und erhob sein Beil. Man konnte die Boshaftigkeit der Klinge spüren, als sie sich senkte und mit einem sauberen Schnitt den Hals von Ortnor durchschlug. Ortnor rührte sich immer noch nicht, obwohl sein Kopf nicht mehr am Hals fest war. Der Henker drehte sich zu Halbohr und auch hier erhob er seine Henkersaxt. Doch Halbohr drehte seinen Kopf, langsam, aber er bewegte ihn. Vielleicht war es das, was den Henker davon abhielt sein Urteil auch bei Halbohr zu vollstrecken. Er ließ seine Axt sinken und griff nach dem Stecken der Götter. Dann hörten wir ein Meer von Stimmen in unserem Kopf, wie tausende Nadelstiche und starker als der kreischende Wind, der im Antlitz der Urmacht verstummt war, doch konnten wir sie verstehen: “Ihr habt euch verdient gemacht. Es wird das Gleichgewicht, das es nicht gibt, nicht verändern. Aber es wird dem aufsteigenden Chaos des Abgrundes dienen. Unsere Herrin ist dankbar.” Er warf drei kleine schwarze Edelsteine in die Luft die dort, sobald sie seine Hand verließen auch in der Zeit einfroren. “Greift nach der Macht von Flamme und Düsternis!”

Bargh, der sein Haupt in Ehrfurcht auf den Boden geneigt hatte, sprach: “Das Portal nach Euborea ist geöffnet. Nehmet den Stein.” und hielt ihm einen der Steine hin, der die geheime Türe zu dem Portal öffnete. “Es ist der Zugang in unsere Welt, für euch, für Jiarliare”. Wir konnten die Zustimmung des Henkers spüren und er nahm den Stein sowie den Stecken an sich: “Es werden Diener folgen, denn eure Taten waren groß.” Mit diesen Worten wurde es wieder dunkel. Ich fühlte, wie sich ihre Auren entfernten und wir waren wieder alleine. Der Körper von Ortnor stand noch für einen Moment neben uns, dann fiel sein Kopf mit einem Poltern auf den Boden und der kleine Wicht brach in sich zusammen. Das Kreischen des Windes setzte wieder ein. Ich blickte an mir hinab und stellte fest, dass ich am ganzen Körper zitterte. Ich schaute zu Bargh und sah in seinen Augen einzig Entschlossenheit. Langsam erhob er sich und half mir auf. Schweigend musterten wir uns und Halbohr schritt ehrfürchtig und bedächtig durch den transparenten Stein. Wir kamen zurück in unsere Heimat und wir ebneten den Weg unserer Herrin. Auf dass sie Flamme und Düsternis nach Euborea brächte.

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Sitzung 62 - Zwischenspiel - Neires Pestlied
« Antwort #65 am: 30.04.2023 | 13:25 »
Flamme und Düsternis hatten sich von mir abgekehrt. Ich irrte umher in einer Landschaft, die - wie ich mich fühlte – verlassen von der Kraft der Götter war. Ich ritt weiter gen Norden. Dorthin, wo ich meine Brüder und Schwestern im Geiste vermutete. Als ich nach Mühlbach zurückkam, vernahm ich den Würgegriff der Pestilenz, die dieses einfache Land heimsuchte. Ich sah den Rauch vom öden Tal aufsteigen, sah die Gräber - frisch aufgeworfen und lange Schatten werfend in der nahenden Nacht. Ich sah nicht die verhasste Schar der Anhänger des falschen Gottes der einen Hand, einig, doch schwach im Geiste und entzwei nun in Stadt und Tempel. Ihr Gott hatte sie verlassen; die Pest hatte sie dahingerafft. Bang ergriff es mir das klopfende Herz, als ich durch den Palisadenwall ritt. Die rußigen Feuer spien die schwarze Saat in den abendglühenden Himmel. Da war es, dass mein Rappen zuckte, das Leben mir, durch schnaubend‘ Nüstern zurückgebracht schien. Hervor trat ein Fremder, kaum älter als ich. Zotteliges Haar und Sack über der Schulter, in Lumpen gekleidet, war Mühlbach der Ort seiner Begierde. Er senkte den Kopf, erhob das Wort und sprach:

Fremder: „Edler Junker, wohin des Weges? Nichts gibt es in Mühlbach, ihr müsset wissen. Es liegt hier nur brütend der Tod auf dumpfen Lüften.“
Neire: „Du Mensch so hager- hohl und bleich – hast nicht gewimmelt ums‘ finstre Reich? Sprich nun, Menschlein und zögere nicht. Das Weisen von Fremden der Bruderschaft Pflicht.“
Fremder: „Oh Junker, Euch weisen, es wär‘ mir zur Ehr. Kaum der Wahnsinn mehr, ausgestorb‘ner Stätte hier. So saget wohl, was ist euer Begehr.“
Neire: „Ich suchet‘ den Schlund, die gähnende Leere, ein Tor in die Ferne, ein Tor zur Erde. Ein Ort in dem Leichenschweigen herrscht, der nächtlich Sinne bei Tage schärft.“
Fremder: „Oh ich weiß die Statt, die Euer Begehren, im gift‘gen Nebel sie Euch nicht verwehren. Nicht weit von hier die geheime Grotte, die einst Hort der furchtlosen Räuberrotte. So folget mir Junker an diesen Ort, hinfort aus Mühlbach, verteufelt hinfort.“

Der Mensch wollte mich führen, doch ich war allein und musste allein bleiben. So zog ich einen Goldtaler hervor und warf ihn dem Menschlein zu. Begierig nahm er die Münze und mit einem Glitzern in den Augen, berichtete er mir von dem Weg.

Klingrunhall, lag vor mir, wie es der Fremde, wie es Hruune - so hatte er sich vorgestellt – berichtet hatte. Es war ein Schlund, der in die Erde führte. Obszön klaffte das offene dunkle Loch, aus dem warme, übelriechende Luft aus dem Unteren aufstieg. Luft, die meine Erinnerungen an Nebelheim beflügelten. Die Luft sickerte eine Anhöhe hinab und hatte den Unterwuchs des Buchenwaldes dahingerafft. Doch die Kronen der alten Riesen wiegten sich über mir, im leichten Wind. Sie flüsterten mir ein Lied vor; ein Lied von den Bräuchen der Oberwelt. Ein Lied von dem Untergang der einen Hand. Nacht war nun eingekehrt. Ich ritt näher an das Loch und lächelte. Im Inneren ging es einen Abhang in die Tiefe. Unten war eine Tropfsteinhöhle zu erkennen. Ich wollte hinab, doch ich spürte, dass ich nicht konnte. Meine Herrin, die Schwertherrscherin Jiarlirae, hatte ein anderes Schicksal für mich vorgesehen. So ließ ich mich vor dem Schlund nieder, genoss die faulige Luft der Erde und entzündete ein Feuer, das ich aus den Knochenresten, die ich hier fand, entfachte. An diesem Abend, wie auch zuvor, las ich in den geheimen Werken der schwarzen Kunst. Dabei öffnete ich meinen Geist mit dem Rest von Grausud, den ich noch hatte, und dem Wein aus der vergessenen Feste. Ich dachte in Trauer an Lyriell. Es war die gähnende Öffnung des Abgrundes in die Tiefe, die mir Zuversicht gab. Die Knochen von Tieren und von Menschen brannten hell, warfen lange Schatten. So schlief ich ein.

„Jetzt Arva, jetzt! Bindet die Hände auf den Rücken. Zögert nicht.“ Zuerst hörte ich die Stimme, wie in einem Traum. Dann spürte ich, wie mein Kopf in die Erde gedrückt wurde. Sie waren über mir. Hruune und wer sonst noch. Sie waren mir gefolgt und wollten mich im Schlafe überkommen. Ich kämpfte, doch ich konnte sie nicht verdrängen. Ich versuchte nach meinem Degen zu greifen - meine Arme schienen, zu Boden gedrückt, wie gelähmt. Als Hruune schließlich eine Hand löste, um Arva zu helfen, hatte ich die notwendige Freiheit. Ich beschwor die Formeln der schwarzen Kunst mit nur einem Wort der Macht. Als meine freie Hand den Hals von Hruune berührte, drang die Kraft meiner Göttin in seinen Körper ein und düsterne Flammen zerstörten seinen Lebenswillen, zerfetzten Haut und Gewebe. Es war noch Arva, die sich nun auf mich stürzte. Die Nacht war mittlerweile fortgeschritten. Ich sah das Glitzern der Sterne zwischen den dunklen Wipfeln. Mondlicht drang hinab. Wir rangen im Staub, zwischen Schädeln und Gebein. Doch Arva war schwach. Ihr Körper ausgemergelt von der Pest. Ich überkam sie und begann sie zu würgen. Sie schrie nach ihrem Bruder, schrie nach Hruune, doch sein lebloser Körper lag zwischen dem Gebein. Ich blickte in ihre Augen, als ich sie würgte, als sie starb. Ich sah das Schimmern des Mondes dort, den Glanz der Sterne. Es musste doch Weisheit und Wissen geben, in diesem Moment. Doch da war nichts. Nichts als der Tod war hier an diesem Ort und ein Junge, den Flamme und Düsternis verlassen hatten.

Ihre Köpfe brannten im Feuer. Da war der Geruch von schwelendem Haar und Haut. Das Werk war blutig und anstrengend gewesen. Der Degen aus dem Herrenhaus aber scharf; hatte beide Hälse durchschnitten wie Butter. Lediglich die Schädelplatte zu entfernen, hatte sich als mühevoll herausgestellt. Ein Dolch, geführt wie ein Meißel, und ein Stein hatten das Werk vollendet. Ich blickte gebannt auf das rote Innere der Schädel, das im Feuer zu dampfen begann. In fernen, doch vertrauten Bildern starrte ich in die Tiefe, in Hitze und Glut. Den Ort zu erblicken, der meine Wiege war, gelang. Mein Geist stierte in das Innere Auge. Ich sah die immerbrennenden Fackeln. Ich kostete von dem Inneren, das warm war, das sich verfestigt hatte. Da war der Geschmack von Blut und Eisen. Da war nun plötzlich ein Schreien. Wie das ferne Rauschen eines Windes. Ein Auf- und Abebben in allen Tonlagen. Weiblich und männlich, menschlich und unmenschlich zugleich. Und ich hörte die Stimmen von Bargh und von Zussa. Ich vernahm ihre Rufe, ihr Flehen und ihr Sehnen. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich das Feuer im Mondlicht geteilt. Für einen Moment war alles verlangsamt. Ich erkannte Flamme und Düsternis über den abgetrennten Schädeln, darüber das Sternenlicht, die Unendlichkeit. Da war der Name, den ich in Richtung des Abgrundes, in die große Tiefe des Unteren, flüsterte. Vorcorax’Ut’Lavia, Vorcorax’Ut’Lavia, Vorcorax’Ut’Lavia. Nur für einen Augenblick erkannte ich den Schimmer, die Klinge der großen Axt. Dann wusste ich, was zu tun war, was sie tun mussten. Ich nahm den Dolch und schnitt mir in den verbrannten linken Arm. Das Blut rann ins Feuer und knisterte. Ich hörte das Heulen und ihre Schreie und ich bettelte um ihr Blutopfer. Auf dass sie mich erhörten. Auf dass sie ihr Blutopfer vollbrächten.

Lange noch betete ich und sprach den Namen des Höllenfürsten der niederen Ebenen. Erst als die frühen, schwachen Sonnenstrahlen das dunkle Loch berührten, legte ich mich nieder. Meine Gedanken aber waren bei Bargh und bei Zussa. Ich wusste nun – meine Zeit der Einsamkeit war vorbei. Aufbrechen musste ich nach Norden. Dorthin, wo ich Bargh einst entsandt hatte. Dorthin, wo die Träne des Drachens über dem Berg gesehen ward. Die Träne des Drachens, die in der alten Sprache der ersten Menschen als Linnerzährn bekannt war.

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Sitzung 62 - Wiedersehen im Schrein des Jensehers
« Antwort #66 am: 6.05.2023 | 09:51 »
Zussa spürte das Gefühl des Schwebens. Sie dachte zurück. Wie sie sich selbst als Blatt vorgestellt hatte, das durch die Dunkelheit glitt. Jetzt verschloss sie nicht mehr die Augen. Sie sah das Aufblitzen, wurde geblendet. Es war, als ob sie den feurigen Schweif von Sternen sähe, die an ihr vorbeirauschten. So schnell wie es einsetzte, war es auch wieder vorbei. Das Geräusch des Wasserstrudels verschwand und mit ihm auch das Kreischen dieser fremden Welt. Sie glitt sanft aus der dunklen Sphäre hervor, deren Schwärze sich wie ein träger Nebel von ihr löste. Und dort stand er und lächelte sie an. Er hatte sich nicht verändert, seitdem sie getrennter Wege gegangen waren. Sie konnte sich nicht mehr besonders an ihn erinnern. Die Erlebnisse auf der Tempelinsel kamen ihr wie ein ferner Traum vor. Ein ferner Traum, geschwängert von zu viel Wein und der seltsamen berauschenden Substanz des Grausud. „Neire, ihr seid hier? Oh, schaut, was wir euch mitgebracht haben.“ Sie starrte den Jüngling an, der jetzt seinen Tarnumhang zurückgezogen hatte. Der Geruch der fauligen Leichen der Tiefenzwerge war in der unterirdischen Portalhalle, deren Wände im Glanz der Ne’ilurum-Adern schimmerten. Doch es störte sie nicht. Neire hatte anscheinend die Kerzen auf den Tischen entzündet, so dass das Herz der Irrlingsspitze in ein Spiel von Licht und Düsternis gehüllt wurde. Als neben Zussa der nun gewaltige Leib von Bargh erschien, wich Neires Lächeln für einen kurzen Moment. Sie sah, dass der Jüngling sich die gold-blonden Locken zurückstrich und Bargh beobachtete. Bargh wiederum schien recht unbeholfen in seiner neuen Größe. Er hatte zwei Karten aus dem Schicksalskartenfächer gezogen, von denen eine die Krabbe dargestellt hatte. Die Karte hatte seinen Körper augenblicklich wachsen lassen und nun überragte sie der unheilige Krieger Jiarliraes, mit einer Größe von etwa zwei und einen halben Schritt. Auch waren Bargh große Raben-artige Schwingen gewachsen, die zusammengefaltet an seinem Rücken erkennbar waren. Bargh ließ den abgetrennten Kopf und den Körper des kleinen Wesens fallen. Er hatte das, was von Ortnor übriggeblieben war, durch das Portal gezogen. Zussa sah, wie Neires Blick nur einen Moment auf Bargh ruhte. Dann lief der Jüngling auf den Riesen zu und sprang ihm in die Arme. Bei diesem Anblick verdrängte Zussa die Kopfschmerzen, die Erinnerung an den schreienden Wind und den Anblick des Dämonenfürsten. Sie merkte, dass ihre Hände zitterten und von roten Brandblasen bedeckt waren. Als Bargh Neire hinabließ, begrüßte auch sie ihn mit einer Umarmung. Sie vernahm sein eigenartiges Parfüm, das nach süßlich, vermoderten Wurzeln roch. „Was habt ihr mir mitgebracht Zussa? Eure Taten müssen wahrlich groß gewesen sein. Ich habe für euch gebetet und eure Stimmen im Traum sowie im geöffneten Geist gehört.“ Sie antwortete Neire, während Halbohr leise aus der dunklen Kugel hervorschritt. „Wir haben diesen Ort erobert, haben ihn befreit von dem, den sie den Jenseher nannten. Durch das Portal sind wir in eine ferne Höllenwelt gelangt, in der wir den Stecken der Götter für Jiarlirae erkämpft haben.“ Halbohr nickte, während sie sprach. Die Unruhe war dem elfischen Söldner anzusehen, der immer wieder Stücke blutiger Kruste von seiner rechten Hand kratzte. Dort trug er den Einhorndolch, aus dem beharrlich ein kleines Blutrinnsal sickerte. „Und dieser Wicht hier - sein Name war Ortnor Wallenwirk - hat uns versucht zu betrügen. Er hat den Verrat mit seinem Leben bezahlt.“ Halbohr sprach und Zussa verdrängte die Szene, an die sie nur mit einem panischen Grauen zurückdenken konnte. Sie bemerkte auch, dass ihre Wut auf Halbohr nicht mehr so stark war wie zuvor. Er hatte sich am Blutopfer beteiligt und war vom Henker der letzten Einöde verschont worden. Sie wendete sich wieder Neire zu. „Und ihr Neire? Welche Spiele habt ihr auf eurer Reise gespielt?“ „Es waren andere die ihre Spiele mit mir spielen wollten, doch ihr letztes Spiel haben sie verloren. Ich habe gelesen und gebetet und ich habe viel an euch beide gedacht.“ Sie sah, dass Halbohr zerschlagen aufstöhnte und einige Schritte in Richtung des doppelflügeligen Portals machte, das den Ausgang der Hallte darstellte. „Ihr könnt euch ja noch eurem sentimentalen Gefasel hingeben. Aber ich habe zu tun. Erinnert euch. Wir haben uns geschworen diesen Ort zu verteidigen und Bargh, ihr sagtet, es werden weitere Anhänger der Schwertherrscherin durch das Portal kommen. Also lasst mich meinen Vorbereitungen nachgehen, denn ich habe viel zu tun. Mir wurde ein großer Name in dieser Welt versprochen und ich werde mich dieser Sache annehmen. Ich habe die Macht von Jiarlirae gesehen und werde ihr folgen. Dieser Ort kann dabei als Brückenkopf dienen. Doch es müssen Vorbereitungen getroffen werden.“ Für einen kurzen Moment war die Wut in Zussa entflammt, als sie Halbohr reden hörte. Bei seinen Worten über ihre Herrin war ihr Zorn so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Halbohr hatte sie bereits verlassen und sie wendete sich ihren Begleitern zu.

~

Neire bückte sich hinab, um seinen Stecken aufzuheben. Der Kampf währte nur kurz, war aber intensiv geführt worden. Die beiden Kreaturen, die sie angegriffen hatten, waren Konstrukte aus zylindrischen Steinen gewesen. Muster aus Ne’ilurum hatten sie überzogen und die Blitze, die Neire aus dem Wurzelstecken beschworen hatte, hatten auf geisterhafte Weise die tiefen Kerben verschlossen, die Bargh ihnen zugefügt hatte. Sie waren zuvor durch das kleinere Portal geschritten. Das einst instabile Weltentor hatte Zussa nach Tagen der Arbeit zumindest soweit wiederhergestellt, dass es für eine kurze Zeit gefahrlos begehbar war. Doch sie hatten gewusst, dass es hinter dem Portal keinen Weg zurückgab. Trotzdem waren sie nach einer kurzen Beratung hindurchgeschritten. Jenseits des Portals hatte sich ein unterirdisches Verlies aufgetan. Die Wände waren mit aufgetragenen Spuren von Ne’ilurum versehen gewesen und sie hatten Fallen entdeckt, die bereits vor langer Zeit ausgelöst wurden. Sie waren über Treppen und Räume schließlich in diese große Halle gelangt, in der sie ein seltsames Konstrukt aus ineinander verschachtelten Vielecken entdeckt hatten. Hier waren sie dann von den Kreaturen angegriffen worden, die jetzt zu zwei kleinen Steinhaufen zusammengebrochen waren. Als Neire in den milchig schimmernden Edelstein blickte, der sich am Ende des Stabes befand, verfiel er wieder in eine Mischung aus einem Grübeln und einem Träumen. Nur die Worte Barghs erweckten ihn aus diesem Zustand. „Neire, was ist mit euch? Reißt euch zusammen, die Gefahr lauert vielleicht noch hier.“ Neire verbrachte den Stecken in seinem Gürtel und verdrängte die Gedanken an die vergangenen Wochen. Er hatte Tage um Tage im Schrein des Jensehers verbracht, um die alten Schriften zu verstehen. Abhandlungen über das Verständnis und die Formung des Willens hatte er sich zu allererst angeschaut. Dann hatte er sich die Bücher der Bibliothek vorgenommen. Er hatte sich in dem alten Gemach von Niroth einquartiert und gelesen. So lange hatte er sich vertieft, dass er Bargh und Zussa vergessen hatte. Jetzt versuchte er die Gedanken an die fernen Welten und Portale, die Geheimnisse im Aufbau der Körper und des Unlebens zu verdrängen. Er blickte Bargh an und antwortete. „Ja, verzeiht. Ich bin nicht ganz ich. Die Reise durch die Minenstadt von Unterirrling und die Bücher haben mich von unserem Pfad abgebracht. Führt ihr uns Bargh. Ihr habt mit Zussa die Welten hinter den Sternen gesehen und ihr tragt Glimringshert, die Klinge von Feuer und Dunkelheit.“ Neire sah, dass Bargh nickte, doch Zussa musterte ihn mit fragender Miene.

Das kalte Wasser lähmte seine Glieder. Es war, als würden tausend kleine Nadeln in seinen Nacken stechen. Bargh hielt sich an dem nassen, glitschigen Felsen des unterirdischen Tunnels fest. Bis auf sein verbranntes Gesicht, war sein Körper vollkommen in das reine, kühle Nass des Höhlenflusses eingetaucht. Nur die Rüstung aus Ne’ilurum trug ihn wie eine Feder, bewahrte ihn vor einem jähen Versinken in den dunklen Fluten. Auf ihrem Weg zu diesem unterirdischen Fluss, waren sie weiter durch die Räume des Kerkers vorgedrungen. Sie hatten eine Statue auf einem Thron entdeckt, die von leidenden Gestalten getragen wurde. Alte Runen der grauen Rasse waren auf die Statuen eingraviert, die Neire übersetzt hatte: „Ich ehre das Handwerk“, „Ich ehre das Opfer“ und „Ich ehre den Meister“ war dort zu lesen gewesen, jedoch hatten sich keine weiteren Geheimnisse offenbart. In einem offenbar neueren Teil des Kerkers hatten sie einige Schätze und alte Schriften entdeckt. Hier hatten sie dann sicher festgestellt, dass es sich bei diesem alten Gemäuer um eine Anlage der grauen Rasse gehandelt hatte. Lediglich das Schicksal der Anlage konnten sie nicht ergründen. Wieso hatten die alten Meister die Mauern verlassen? Wieso waren die neuen Räume in den Stein geschlagen? Über weitere natürliche Höhlen, in denen ihnen aasfressende Würmer aufgelauert hatten, waren sie dann bis zu diesem unterirdischen Fluss gelangt. Nach kurzer Beratung hatte Bargh Zussa und Neire an einem Seil hinabgelassen. Dann war er ihnen, Kraft seiner Rüstung, schwebend wie eine Feder in die Tiefe gefolgt. Nun wand sich der rauschende Fluss durch den glitzernden Felsen. Das Gefälle war glücklicherweise nicht stark. Bargh sah Zussa und Neire vor ihm, wie sie sich, wie er, an den Fels klammerten. Das ging schon einige Zeit so und er begann aufgrund der Kälte zu zittern. Dann gelangten sie an eine Felswand, die das jähe Ende des Flusses darstellte. Das Wasser quirlte und blubberte in dieser kleinen Kammer, als ob Luftblasen aus der Tiefe aufsteigen würden. Bargh hörte die Stimme von Neire, den er, verborgen durch seinen Tarnmantel, nicht ausmachen konnte. „Bargh, diese Wand ist brüchig. Brecht den Stein und macht den Weg frei, in das, was sich dort hinter befindet.“ Bargh sah mattes Licht, das irgendwo von unten kam. Wie durch kleine Löcher. Er näherte sich der Wand, holte aus und schlug mit seinem Panzerhandschuh gegen den Stein. Nicht ein zweites Mal musste er schlagen. Der Stein brach bereits bei seinem ersten Schlag. Das gesammelte Wasser des Beckens strömte plötzlich hervor und spülte sie hinaus in die kalte Luft. Er versuchte sich festzuhalten und nicht hinfort geschwemmt zu werden. Er fand Halt. Als er sich langsam aufrichtete roch er den Geruch von kalter Luft und Wald. Um ihn herum verdeckten dichte Tannen die Sicht. Es herrschte ein beständiger Nieselregen. Der Bach schlängelte sich durch das Unterholz hinfort. Hinter ihm klaffte ein Loch in der Felswand, das dort gerade erst entstanden war. Bargh schaute sich um nach seinen Begleitern und fragte sich, welches Schicksal ihre Herrin für sie vorgesehen hatte.

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Sitzung 63 - Dunkelheit über Aschwind
« Antwort #67 am: 13.05.2023 | 09:32 »
Zussa hörte das Prusten von Bargh. Von der Woge des hervorbrechenden Höhlenflusses war sie ein Stück weitergetragen worden. Auch sie hatte das geatmete Wasser ausgehustet und einen Würgereiz unterdrückt. Im kalten Schlamm richtete sie sich auf und drehte sich zu dem Geräusch um, dass das Rauschen des größeren Baches deutlich übertönte. Sie sah Bargh dort im Schlamm liegen. Er befand sich ein Stück vor der Felswand, deren poröser Stein über ein breites Stück hinfort gebrochen war. Sie spürte die kalte Luft auf ihrer Haut. Ihre Muskeln fühlten sich wie gelähmt an. Jetzt sah sie auch Neire zwischen zwei Tannen hervorkommen. Er war, wie sie, von Schlamm besudelt, der seinen feinen Tarnumhang sichtbar machte. Er trat zu ihr heran und gemeinsam schauten sie sich neugierig um. Sie waren sich nicht sicher, wo sie gelandet waren. Der Himmel über ihnen war wolkenverhangen und die Zweige der Tannen trugen schwere Tropfen des Nieselregens. Über der Felswand hinter ihnen ragte ein imposantes Gebirgsmassiv auf, dessen Spitzen in der Wolkendecke verschwanden. In der entgegengesetzten Richtung und durch den Tannenwald, war ein Hochplateau zu erkennen, das hier und dort durch Felsnadeln durchbrochen wurde. Dort sah Zussa eine Ansammlung von Zelten und bei näherem Hinsehen auch Bewegung. Die Kälte drückte ihre Laune. Sie zeigte in Richtung der Zelte und sprach mit klapperten Zähnen: „Dort schaut. Wie ein Lager… doch was machen sie hier?“ Sie drehte sich dabei um zu Neire, der sich seine Kapuze zurückgezogen hatte und mit verträumtem Blick am Gebirgsmassiv vorbeischaute. In seiner Blickrichtung schien das Gelände abzuflachen. „Neire, ich rede mich euch. Und mir ist kalt. Lasst uns schauen, was es mit diesem Lager auf sich hat.“ Langsam drehte sich Neire zu ihr um, schöpfte eine Hand von Wasser und wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht. Im Gegensatz zu Bargh und ihr, schien Neire die Kälte nichts auszumachen. Er strich sich die nassen gold-blonden Locken lächelnd zurück, als er antwortete. „Schaut euch Bargh an. Er kämpft auch gegen die Kälte und er klagt nicht so wie ihr. Er hat den Segen der Göttin und die Flamme sowie den Schatten.“ Zussa spürte zuerst Wut, doch dann Trauer. Es traf sie tief und sie fragte sich, was sie noch alles tun musste, um den Segen der Göttin zu erlangen – wie Bargh. Sie gestand es sich ein. Neire hatte Recht. Bevor sie antworten konnte, begann Bargh zu sprechen. Auch der große Krieger zitterte am ganzen Körper. „Sie hat Recht Neire, wir müssen aufbrechen – müssen uns bewegen. Sonst holen wir uns den Tod hier.“ Zussa sah, dass Neire nickte und den Worten des riesenhaften Kriegers Folge leistete. So brachen sie auf in Richtung des Lagers. Schon bald hörte Zussa Wehleiden und Schmerzschreie aus dieser Richtung kommen. Sie kamen jetzt aus dem Wald hervor. Hier und dort konnte Zussa tiefe Wagenspuren in Moos und Gras erkennen. Der Boden war, nass und von Rädern und Stiefeln, matschig getreten worden. Je näher sie der Ansammlung von Zelten kamen, desto schlimmer wurden Schlamm und Gestank. Nein, das ist kein Lager von Jägersleut oder einer Armee. Armselige Hungerleider, dachte sie sich. Die Schreie kamen näher, der Gestank wurde stärker. Vor einem Zelt sah Zussa einen Mann liegen, dem ein Bein fehlte. Doch die Wunde eiterte und war nur dürftig verbunden. Neben ihr murmelte Neire etwas. „Es sieht so aus, als ob sein Bein ausgerissen worden wäre. Eiter hat sich bereits ausbereitet. Ohne weitere Hilfe wird der Mann in der nächsten Zeit sterben.“ Zussa bemerkte andere Fiebernde. Auch in der Kälte standen ihnen die Schweißperlen im Gesicht. Sie zitterten furchtbar am ganzen Körper und ihre Antlitze waren kalkbleich. Dies war ein Ort der Krankheiten. Blut, Eiter und Fäkalien mischten sich im Schlamm und trotzdem tranken diese Leute aus den Pfützen. Hier und dort sah sie Kinder spielen und hagere kleine Erwachsene, die nicht wie Kinder aussahen. Sie konnte nicht sagen, wie groß das Lager war, doch als sie darüber nachdachte, hörte sie die Stimme von Neire. Der Jüngling hatte seinen Tarnumhang abgelegt und trug die schwarze Robe des Jensehers, auf der Sterne schimmerten. Er beugte sich über eine Frau, die wie verrückt mit ihrem Oberkörper wippte und ein Bündel in der Hand trug. Zussa bemerkte dort das kalte, tote Fleisch ihres Säuglings. Die Frau war vielleicht etwas älter als sie selbst. „Ihr dort, Menschlein, woher kommt ihr und was ist hier passiert?“ Neires Worte zischten als er sprach. Zussa konnte keine Regung erkennen, die Frau schien Neire nicht wahrzunehmen. Doch Zussa bemerkte Schritte im Schlamm hinter ihr. Sie drehte sich um und sah den Greis, der zu ihnen sprach. Altersflecken und Pusteln bedeckten sein Gesicht. Seine grauen, ungepflegten Haare waren von Schlamm besudelt. „Ihr dort… ihr seid doch neu hier? Seid ihr die Krieger, die der Graf geschickt hat? Seid ihr hier um uns zu erretten?“ Bargh wollte gerade zur Antwort ansetzen, als Neire etwas in seine Richtung zischelte. „Wer seid ihr, dass ihr hier die Fragen stellt?“ Zussa spürte, dass der Alte Neire nicht mochte, doch er hatte anscheinend auch keine Angst vor ihnen. „Ich bin Brandur. Ich helfe so gut, wie ich kann. Doch blickt euch um hier. Viele werden es nicht schaffen und einige sind schon tot.“ Der Alte richtete seine Augen nach oben und musterte Bargh bewundernd. Wie gegenüber Bargh, schien er auch ihr nicht feindselig gesonnen. „Woher kommt ihr Brandur und was macht ihr an diesem Ort?“, fragte Bargh. „Ihr neigt zu scherzen, edler Ritter… nein tut ihr nicht. Habt ihr nicht die Pergamente gelesen. Der Graf hat zur Hilfe gerufen. Krieger, wie ihr es seid, werden benötigt, um uns zu beschützen. Wir kommen von weit her. Seht ihn dort… er kommt aus Wesreg. Sie hier kommt aus Hochroch und ich komme aus Aschwind.“ Zussa sah, dass Neire sich bereits abgewendet hatte und eines der Pergamente aufhob, dass dort aus dem zertretenen Schlamm aufragte. Sie fragte sich, was mit der Frau mit dem toten Kind war. Zussa bemerkte selbst keine Reaktion von ihr, als Neire den Zettel mit dem Schlamm an ihrem Umhang abwischte. „Und vor wem seid ihr geflohen Greis, vor wem sind sie geflohen aus Westwacht, Hochroch und Aschwind?“ Bargh sprach jetzt lauter und Zussa bemerkte, dass der Greis einen Schritt zurückmachte. „Es sind die Kreaturen der Hügel und der Berge, selbst größer als ihr es seid, mein Herr. Sie kommen um zu plündern und sie fressen. Stehlen Vieh und Herde. Machen weder Halt vor Gehöft, Dorf oder Stadt. Und… sie machen keinen Unterschied zischen Mann, Weib und Kind.“ Jetzt hatte der Greis Zussas Aufmerksamkeit erweckt und er führte weiter aus – seine Stimme leiser werdend: „Die alten Sagen und Mythen nennen sie Riesen und schaut euch um hier. Einigen haben sie Arme und Beine ausgerissen und aufgegessen. Andere konnten sich nicht retten und wurden gefressen oder verschleppt.“ Zussa drehte sich wieder zu Neire um, der den Zettel gelesen hatte und ihr zunickte. Doch ihr Blick fiel nun auf die Frau, zu der sich hinabbeugte. Ist sie nur dumm oder spielt sie irgendein Spiel… dachte sich Zussa, während Neire weitersprach. „Und welchen Göttern dient ihr, Menschlein?“ „Ha, ich diene keinem Gott. Sie haben uns ohnehin schon verlassen, wenn es sie jemals gab.“ Zussa hörte dem Schlagabtausch des Greises und Neire nur noch oberflächlich zu. Sie ballte eine Faust und schlug die Frau mit den Fingerknochen dreimal auf den Kopf, als ob sie dort an eine Pforte klopfen würde. Neire sprach weiter: „Wir dienen Heria Maki, Menschlein, und auch ihr solltet euch ihr zuwenden. Sie bringt das Feuer, verbrennt das Übel. Ob nun Riesen oder Krankheiten.“ „Wir sind doch schon tot hier und vielleicht sollte sie einmal selbst bei sich anfangen, mit dem Verbrennen. Diese Heria Maki.“ Als Zussa Neire zischeln hörte, spürte sie die Drohung ihres Gefährten. „Spottet nicht über die Götter, Menschlein oder sie spotten über euch.“ In diesem Moment begann Zussa am Oberkörper der Frau zu rütteln und sprach in einem bewundernden, fast schon freudig-kichernden Ton. „Seht! Neire, Bargh. Ihr Spiel habe ich durchschaut. Das Kind ist tot und sie merkt es nicht. Sie merkt es noch nicht einmal.“

„Kommt mit mir! Der da hinten sieht verdächtig aus. Haltet euch zurück und lasst mich machen. Die Herrin ist mit uns.“ Neire sprach und verschnellerte seinen Schritt. Er ging wieder ein Stück zurück; in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie hatten den Greis zurückgelassen und waren durch die Flüchtlingsstadt geschritten. Sie hatten das Elend betrachtet. Unter verlassenen Zelten hatten sie aufgedunsene Leichen liegen sehen. Ein Junge hatte einem, im Schlamm sitzenden Verletzten ein fauliges Stück Brot geklaut und war zwischen den Zelten verschwunden. Die Leute hatten es gesehen, doch keiner hatte etwas gemacht. Dann hatte Bargh den jungen Mann gesehen. Er hatte zu Neire geflüstert, dass ihm etwas komisch vorkam. Der junge, kräftige Bursche war noch nicht ganz volljährig und gehörte hier nicht hin. Es war offensichtlich, dass er etwas zu verbergen hatte. Neire war von hinten an ihn herangetreten, beugte sich hinab zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Bursche drehte sich zuckend herum, wie aus einem Tagtraum hervorgerissen. Neire beruhigte ihn augenblicklich mit zischelnd säuselndem Singsang in seiner Stimme. „Habt keine Angst Mensch, nicht vor uns. Auch wenn ihr etwas zu verbergen habt. Was ist es? Was bedrückt euch?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf mit den kurzen strohblonden Haaren. „Nein, habe nichts zu verbergen. Habe alles verloren… deshalb bin ich hier. Ihr müsst mir glauben mein Herr.“ Neire spürte die Wut in Bargh und der Krieger trat neben ihn. Bargh packte den Fremden am Kragen und hob ihn mit einer Hand in die Höhe – mit spielender Leichtigkeit. Auch Bargh sprach jetzt zischelnd. Er imitierte den Singsang von Nebelheim. „Ihr wagt es zu lügen? Uns zu betrügen? Seht ihr sie, euer Volk? Die Gliedmaßen wurden ihnen ausgerissen, doch sie haben überlebt. Sprecht die Wahrheit oder ich reiße euch hier und jetzt den Arm aus und schlage euch euren armseligen Schädel ein. Mit dem blutigen Ende voran.“ Der Bursche fing an zu zittern. Er stotterte Entschuldigungen vor sich hin. Doch er sprach nicht die Wahrheit. „Lasst ihn hinab Bargh. Ich sehe, er ist uns freundlich gesonnen und so werden wir ihn ebenfalls behandeln.“ Neire kniete sich nieder und blickte dem Fremden tief in die Augen. Er spürte die schwarze Kunst der roten Gläser, die er sich vor einiger Zeit über die Augen gestülpt hatte. Die Welt um ihn herum nahm purpurne Farbtöne an, als er die Macht hervorrief. Seine Stimme war jetzt lieblich. Wie das polyphone Klingen magischer Instrumente versunkener Bergquellen. „Ein Freund würde euch doch nicht schaden, mein Freund. Auch wenn ihr die Wahrheit sprächet. Was ist es Freund, wer seid ihr und was brachte euch hierhin?“ Der Fremde beruhigte sich und nickte. Er starrte wie hypnotisiert in Neires Augen. „Mein Name ist Kadrin und ich bin aus Aschwind geflohen. Oder dem, was von Aschwind noch übrig ist. Als Teil der Miliz sollte ich kämpfen, sollte gehorchen. Doch das wäre der sichere Tod gewesen. Alle, die losgeschickt wurden, starben. Sagt Freund, habe ich mich schuldig gemacht? Werden die Götter mich bestrafen für meinen Frevel?“ Neire sah, wie an Kadrins Wange eine Träne hinabrollte. Er strich sich die nassen gold-blonden Locken zurück und lächelte dem Burschen zu. „Ihr habt richtig gehandelt Kadrin. Nur die Arglosen klammern sich an Gesetze. Sie werden vergehen und ihr werdet leben. Die Göttin von Flamme und Düsternis lächelt euch zu. Jetzt… in diesem Augenblick.“ Kadrins Miene hellte sich auf und nur kurz hatte Neire das Bild des Söldners Halbohr vor Augen. Wie er blutend, dem Tode nah, in einem Haufen Gebeine lag. Der Vertrag hatte so schön gebrannt damals - gebrannt im strömenden Regen. Und wo war Halbohr jetzt? Hatte ihn seine Göttin Jiarlirae nicht reichlich beschenkt?

~

Die Wände des Gemachs waren beschaffen aus Holz. Lange Zeit in Gebrauch und speckig glänzend. Ein Kaminfeuer brachte wohlige Wärme. An den Wänden waren Bücher und Bilder zu sehen. Bilder von Landschaften, aber auch religiöse Motive – Himmel und Hölle, Menschen im Fegefeuer. Eine Gestalt hatte ihnen den Rücken zugekehrt und blickte auf einen massiven Tisch. Dort war eine Karte ausgebreitet und einfache, grob-geschnitzte Holzfiguren waren zu sehen. Größere und kleinere. Der Mann bewegte gerade eine der Figuren, hatte ihr Eindringen aber bemerkt und erhob sein Wort. „Wen bringt ihr mir Randos? Wer wagt es mich zu stören?“ Der ältere Mann, der sie hier hineingeführt hatte, zog seine Augenbraunen hoch. Er hatte bräunliches kurzes Haar und ehrliche, pflichtbewusste Augen. Über seinem Kettenhemd trug er ein Amulett, das ein Auge darstellte. Neire hatte dieses Auge als Symbol des Schutzgottes identifiziert. Die Stimme des Mannes zitterte, als er antwortete. War es Demut, war es Furcht? Nein, es war etwas anderes. Etwas, das Neire nicht identifizieren konnte. „Sie sind gekommen um zu kämpfen, Laschtorn. Sie sagten, sie haben eure Botschaft gelesen.“ Die Gestalt am Tisch drehte sich jetzt um und Neire sah einen jungen Mann vor sich. Ein süßlicher Blumenduft ging von ihm aus und er hatte sich das schwarze, lange Haar mit Fett zurückgekämmt. Neire betrachtete zudem die dunkle, prunkvolle Robe, die hier und dort mit Gold verziert war. „Seht ihr Randos, ich habe es euch doch gesagt. Wir verteilen die Botschaften auf dem Pergament und sie werden kommen.“ Laschtorn blickte sie nicht an, als er sprach. Er nickte Randos zu und drehte sich dann wieder um. „Ihr könnt gehen Randos. Falls sie Fragen haben… Nun, Algorthas, tut etwas Vernünftiges und kümmert ihr euch um sie. Ich habe wichtigere Dinge zu tun.“ Neire mochte den Mann nicht, der sie nicht beachtete. Doch irgendwie belustigte Laschtorn ihn auch. Es war, als ob seine Autorität nur gespielt war. Als ob sie alle hier wussten, dass er sie ins Verderben führen würde. Aus einem weiteren Flügel des Raumes näherte sich schlurfend eine dritte Gestalt. Der ältere Mann war dicklich, hatte graues, lichtes Haar und war gekleidet in einfachen, grauen Stoff. Er kam Neire fast etwas verängstigt vor, als er, etwas leiser, zu ihnen sprach. „Nun Fremde, mein Name ist Algorthas. Ich werde euch berichten… was hier in der letzten Zeit vorgefallen ist. Doch lasst mich euch fragen. Wer seid ihr und woher kommt ihr?“ Bei dieser Frage dachte Neire zurück an ihre Reise. Sie waren etwa einen und einen halben Tag unterwegs gewesen. Kadrin hatte sie geführt. Er hatte ihnen von einer Sphäre der Dunkelheit berichtet, die sich vor kurzem über Aschwind gelegt hatte. Sie hatten sich daraufhin entschieden dorthin zu reisen. Lange hatten sie sich unterhalten über diese Sphäre. Dann hatten sie die Dunkelheit als Zeichen von - oder als Frevel an - ihrer Göttin gewertet. Die Reise durch dieses grasige, teils felsige, Hügelland war ereignislos geblieben. An einem kleinen See hatten sie gerastet und an einem Lagerfeuer Geschichten mit Kadrin ausgetauscht. Bargh hatte Kadrin schließlich das wertvolle Langschwert anvertraut, dass sie auf ihrer Reise durch das Herzogtum Berghof erbeutet hatten. Dann, als sie Aschwind immer nähergekommen waren, hatten sie die Sphäre gesehen, die wie ein schwarzer Schatten die Stadt verschluckt hatte. Die Sphäre hatte nicht die gesamte Stadtmauer verschluckt und in der Nähe einiger vorgelagerter Gehöfte waren ihnen Wachen begegnet, die sie dann in dieses alte Bauernhaus geführt hatten. Neire war in Gedanken versunken, als er Bargh antworten hörte. „Wir sind von weit her. Sind durch Wiesenbrück gekommen und haben im Zeltlager der Flüchtlinge die Botschaft gefunden. Ich bin Bargh und das ist Neire und Zussa.“ Neire nickte instinktiv mit dem Kopf als er seinen Namen hörte, doch Algorthas begann bereits zu erzählen: „Ja, wo soll ich anfangen. Vor langer, langer Zeit war… nein so viel Zeit haben wir auch nicht. Nun, lasst es mich so sagen. Schon immer gab es die Brutstätten der Riesen. Sie waren schon immer im Jotenwall und in den Kristallnebelbergen. Hier und dort haben sie mal ein Gehöft überfallen. Doch die meisten Angriffe konnten wir abwehren. Aschwind war stolz auf seine Soldaten der Grenzwacht. Die Bauern klagten mal über verlorenes Vieh. Und sehr selten, so bedauerlich es auch war, starb mal ein Mensch. Doch das war selten. Vor 10 Tagen… nein es waren doch eher 14 Tage… nein, jetzt erinnere ich mich. Es war vor 15 Tagen. Da fing es an. Die Riesen haben sich zusammengetan. Aus dem Jotenwall und aus den Kristallnebelbergen. Der Ort Lastweg wurde grausam überfallen und wir hörten auch von einem Überfall auf Wiesenbrück. Auf der anderen Seite der Berge… ja, dort wo ihr hergekommen seid. Die Angriffe wurden immer stärker und wir hatten sie unterschätzt.“ Neire sah, dass Algorthas näherkam und noch leiser wurde. „Wir jagen jetzt hinter ihnen her. Doch wenn ihr mich fragt… es ist das Todesurteil für die Milizen. Einfache Leute, nicht alles Soldaten… Vor zwei Nächten kam dann dieses Gebilde aus Dunkelheit. Es legte sich plötzlich über Aschwind. Als ob es schon immer dagewesen wäre. Nichts kann dort heraus, noch hinein. Wir haben alles versucht. Waffengewalt und magische Künste. Nichts half. Es ist wie verflucht.“ Neire betrachtete den Mann, der Angst vor Laschtorn zu haben schien. Doch er spürte auch das Mißtrauen, das Algorthas in die Fähigkeiten seines Führers hatte. Wie wohl das Schicksal sich diesem schwachen Menschen offenbaren würde?

~

Barghs Atem ging ruckhaft. Sein Herz klopfte. Immer und immer wieder sprach er den kleinen Spruchreim an seine Herrin. Er lehnte an der gewaltigen Holztüre, die auf der Rückseite des großen Gebäudekomplexes lag. Inmitten einer Lichtung des dichten Waldes war das trutzige Gebäude wie eine Wohnburg errichtet. Es bestand aus einfachen, schweren Baumstämmen. Ein Hauptgebäude und ein Anbau. Mehrere Schrägdächer. Dort ragte auch ein Turm heraus, der im oberen Teil zu allen Seiten offen war. Der Nieselregen hatte nicht nachgelassen und die Wiese der Lichtung war in ein Zwielicht gehüllt. Alles glitzerte nass, im matten Schimmer. Bargh zuckte auf, als er das Brüllen aus dem Inneren hörte. Schon von weiter weg hatten sie bemerkt, dass Rauch aus dem Gebäude aufstieg. Er dachte zurück an ihren Schwur an Jiarlirae. An ihre letzten Gebete am Lagerfeuer. Nach einer kurzen Verhandlung mit Laschtorn, waren sie aufgebrochen. Bargh war zwar der Meinung, dass Neire sich für ihre Dienste übers Ohr hatte hauen lassen. - Das Kind der Flamme hatte zu schnell zugesagt, als ihnen Laschtorn versprochen hatte, sie dürften die Schätze behalten, die sie bei den Riesen finden würden. Ein Krieger in Fürstenbad, wäre belohnt worden für seine Taten. - Doch in Fürstenbad war Bargh schon lange nicht mehr gewesen und eigentlich war es ihm auch egal. Was waren schon Gold und Edelsteine, wenn er die Gunst von Jiarlirae hatte. Und er hatte Glimringshert, das sich in seine Hand schmiegte. Die schwarze Klinge, die in den Schatten zu ihm flüsterte. Sie hatten Aschwind danach verlassen und waren über eine Brücke in Richtung Jotenwall aufgebrochen. Immer höher waren sie in die Berge gekommen. Eine weitere Nacht war ereignislos geblieben. Nur der Nieselregen hatte nicht nachgelassen. Dann hatte Bargh Spuren gefunden. Sie waren den großen Abdrücken von Stiefeln gefolgt, die sie tiefer und tiefer in einen verlassenen Landstrich geführt hatten. Zuletzt waren sie im dichten Nebel und Nieselregen gewandert. Die Luft war immer kälter geworden. So waren sie schließlich an einen Tannenwald gelangt, in dem die Spuren verschwanden. Hier und dort waren einige Bäume umgeknickt und so war es ihnen ein Leichtes gewesen, die Lichtung zu finden. Bargh holte ein letztes Mal tief Luft. Er hatte die Augenbinde abgelegt und blickte in die Gesichter von Neire, Zussa und Kadrin. Dann stieß er langsam den Atem aus, der in der kühlen Gebirgsluft kondensierte.
« Letzte Änderung: 20.05.2023 | 11:01 von Jenseher »

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Sitzung 64 - Feste des Nomrus
« Antwort #68 am: 20.05.2023 | 11:05 »
Sie hatten den düsteren Tannenwald verlassen. Nieselregen strömte beharrlich auf sie hinab. Mit den anhaltenden Schleiern von Nässe hatte sich eine Kälte verbreitet, die nach Gebirgsluft, Wald und Schlamm roch. Sie waren immer wieder im Morast eingesunken, als sie sich vom Waldrand über die Lichtung zur hölzernen Feste geschlichen hatten. Je näher sie kamen, desto offensichtlicher wurde die chaotische Bauweise, der aus groben Baumstämmen errichteten Trutzburg, aus deren Innerem eine Vielzahl von Schornsteinen schwarzen Rauch spien. Sie waren sich sicher, dass sie noch keiner bemerkt hatte. Vor dem großen hölzernen Portal hatten sie einen Moment innegehalten und leise einige Gebete an Jiarlirae gesprochen. Neire und Bargh hatten ihre Masken hervorgeholt und ihre nassen Gesichter mit den verzierten Überdeckungen versehen. Neire hatte dann wieder seine Kapuze übergestreift und war, im Zwielicht des wolkenverhangenen Himmels des späten Nachmittages, nicht mehr zu sehen gewesen. Jetzt hörten sie das Knirschen von Stein, das Arbeiten von Holz. Bargh stemmte sich gegen das Portal, das sich langsam zu bewegen begann. Trotz seiner übermenschlichen Größe von zweieinhalb Schritt, musste er nach oben fassen, um den Querbalken zu erreichen, über den sich dieses Tor öffnen ließ. Durch den breiter werdenden Spalt offenbarte sich ihnen der Blick auf einen, von tiefen Matschfurchen durchwühlten, Innenhof. Der Gestank von nassem Hundefell und von Exkrementen war zu erriechen und sie sahen die großen Wolfshunde, die sie längst gewittert hatten. Die monströsen Tiere waren an eiserne Ketten gefesselt. Sie begannen sich gerade aufzurichten und kamen, knurrend und in einer raubtierhaften Drohhaltung, auf sie zu. Neire sah, dass die Ketten einen großen Bewegungsradius erlaubten und zischelte hastig Worte zu Kadrin: „Tut das Kadrin, was ein Freund für einen Freund tun würde. Beschützt mich und tötet sie. Kämpft für Jiarlirae.“ Noch bevor Bargh von dem Tor abließ und obwohl Kadrin Neire nicht sehen konnte, baute sich der junge Mann mit den kurzen blonden Haaren im Eingang auf und erhob sein Schwert. Die Angst war im deutlich anzusehen, doch grimmig flüsterte der Fahnenflüchtige hinter sich. „Ein Freund hilft einem Freund und ich werde euch beschützen Neire.“ Raubtierhaft rückten die Wolfshunde näher, die von ihrer Größe Zussa fast überragten. Sie hatten Bargh als Ziel ausgemacht und versuchten den Krieger Jiarliraes zu umkreisen. Plötzlich war da das peitschenartige Knallen einer Entladung von Blitzen. Die Luft flimmerte augenblicklich. Vier der Wolfshunde wurden dahingerafft. Ein fünfter jaulte auf und wich zurück. Jetzt schnellten die zirkelnden Tiere nach vorne und suchten den Angriff. Bargh stieß Glimringshert, seine schwarze, schattenblutende Klinge in Richtung der Wolfshunde und tötete mehrere der Kreaturen. Doch sie verbissen sich in seiner Rüstung. Auf zwei Tiere hieb er mit dem Schild und sie ließen von ihm ab, aber eine Kreatur konnte er nicht von seinem Bein abschütteln. Bargh drohte das Gleichgewicht zu verlieren und die anderen Kreaturen witterten ihre Chance. Dann sahen sie die Speere aus purem Feuer, die die Wolfshunde durchdrangen. Die dürre Gestalt von Zussa hatte die infernalische Macht Jiarliraes kanalisiert und ihr liebliches Gesicht, umrahmt von roten, nassen Locken, war, in des Feuers Schein, verzerrt zu sehen – wie von einer Mischung aus kaltem Schmerz und glücklicher Ekstase. Das Momentum wechselte die Seite und auch Kadrin durchbohrte eines der Wesen mit dem ihm vermachten Langschwert. Sie waren sich alle bereits siegessicher, als sie die warnende Stimme von Zussa hörten. „Dort, die Türe, von rechts. Da kommt etwas. Hört ihr nicht die dumpfen Schritte?“ Sie kämpften weiter gegen die verbleibenden Wolfshunde und achteten jetzt auf die Türe. Die Schritte wurden lauter und lauter und mit einem Mal flog die Türe auf. Es gab ein tiefes, knallendes Geräusch, als Holz auf Holz prallte. Im matten Schimmer von Feuerlicht eines sich dahinter auftuenden Gemachs, sahen sie eine grässliche Gestalt hervortreten. Das Monstrum erinnerte an einen Menschen, war jedoch dreimal so groß wie Neire und besaß einen missratenen Kopf. Eingefallene Augen glotzten dümmlich aus einem rundlichen Gesicht, dessen Hässlichkeit von einer platten Nase bestärkt wurde. Glattes, langes Haar, das hier und dort mal dicker und dünner war, hatte sich der Riese mit Fett nach hinten gestrichen. Er war gekleidet in große, zusammengenähte Lumpen aus gräulich-schwärzlichem Stoff und trug in der rechten Hand eine riesige lederne Peitsche. Als die Gestalt hervortrat, fingen die Wolfhunde an zu heulen, zogen ihre Schwänze ein und wichen zurück. Sie wendeten sich in Ehrfurcht dem Riesen zu und wurden von Bargh und Kadrin niedergemacht. Der Riese erhob jetzt seine Peitsche und ging in den Angriff über. Zussa und Neire hatten diesen Moment erahnt. Die Luft wurde von arkanen Mächten durchschnitten, die durch den Körper der abscheulichen Kreatur fuhren. Die Gewalt war gleichzeitig und so vernichtend, dass die Kreatur ohne einen Schmerzenslaut zusammensackte und mit ihrem hässlichen Gesicht voran in den Schlamm fiel. Hinter der jetzt geöffneten Türe hörten sie erstaunte Laute. Etwas heller als die der peitschenschwingenden Kreatur, aber grotesk und dümmlich.

~

Kadrin dachte an seinen neuen Freund. An die lieblichen gold-blonden Locken und das unschuldige, blasse Gesicht des Knaben. Er dachte an die Verheißung von Macht, die Neire ihm versprochen hatte. An die Verheißung von Feuer und Dunkelheit, die er so gerne kosten wollte. Er musste Neire beschützen. Er wusste, dass sein Freund schwach war und seine Hilfe brauchte. Aber er wollte sich auch beweisen. Wollte vergessen machen, was für ein Unheil er über seine Sippe und sein Volk gebracht hatte, als er den Grafen verriet. Also war er in den Raum hineingestürmt, aus dem die peitschenschwingende Gestalt hervorgekommen war. Durch das krude Portal. So klein war er sich vorgekommen. Wie eine menschliche Ameise, die in die Behausung größerer Wesen eindringt. Und da waren sie gewesen. Die sechs Weiber des Peitschenschwingers. Ihre Hässlichkeit war fast noch größer, als die ihres einstigen Beschützers. Sie standen auf dicken, stämmigen Beinen. Überragten ihn um mehr als das Doppelte. Unförmige, fette Brüste hingen hinab und bewegten sich obszön in ihrem schwachsinnigen Reigen. Dünnere, lange Arme fuchtelten einfältig, gestikulierend. Es kam ihm fast vor, als würden sie tanzen, in ihrer primitiven, ungeschickten Art oder war es nur ein angetrunkenes Torkeln? Doch sie grunzten und schwankten, in ihrer dümmlichen Unterhaltung – fast wie die Schwachsinnigen, denen sie damals in Aschwind Met gegeben hatten und sie zum Tanz angestachelt hatten. Ihr langes Haar glänzte schwarz über ihrer fettigen Haut. Und sie beachteten ihn nicht, standen zusammen und tuschelten. Kadrin schlich sich an dem Berg von Lumpen vorbei, der in der Mitte des Raumes aufgetürmt war. Waren das die Kleider seines Volkes. Die Kleider derer, die diese einfältigen Bastarde geraubt hatten? Das Licht eines gewaltigen Kamins hüllte das Gemach in lange Schatten. Er konnte einfache Strohlager sehen, die der Größe dieser Kreaturen nach geformt waren. Er sah seine Gelegenheit. Vor ihm war das Bein einer Riesin zu sehen. Dicker als sein Oberkörper. Das Schwert, das ihm Neire geschenkt hatte, war so leicht und kostbar. Er würde dem Kind der Flamme auf ewig dankbar sein. Von hinten hörte er die gezischelten Laute. „Jetzt, Kadrin. Tötet sie. Tötet sie für Jiarlirae. Tötet sie, beweist euch als IHR Krieger.“ Die Worte seines Freundes schenkten ihm Zuversicht. Er nahm das Schwert und stach zu. Blut quoll aus dem Bein und er hörte ein Grunzen. Dann wendeten sich die Dinge gegen ihn. Er wollte fliehen, als sich die Gestalt zu ihm umdrehte. Sie hatte eine blutende Fleischwunde am Bein, doch sie war nicht tot. Sie war weit vom Tode entfernt. Sie schlug nach ihm. Doch sie schlug nicht so, wie man nach einem Gegner schlug. Er kam sich vor wie eine lästige Fliege, nach der geschlagen wurde. Als die Hand ihn traf, hörte er seine Rippen knacken und er stürzte fast zu Boden. Ihm blieb die Luft weg und er hustete. Doch er kämpfte weiter. Er musste sie töten für seinen Freund, für Neire; er konnte nicht anders. Einen weiteren Stich konnte er in seiner Verzweiflung verbringen. Tief in den Unterleib, dieses widerlich nach Schweiß, Urin und Fäkalien stinkenden Geschöpfes. Dann waren sie über ihm. Die anderen Riesinnen hatten sich aus ihrem Gespräch gelöst. Sie hatten ihn umringt. Er spürte die Brutalität der Schläge. Hörte seine Knochen brechen. Als er zu Boden fiel, sah er, dass sein linkes Ellbogengelenk zertrümmert war und die Spitze eines gebrochenen Knochens dort - blutrot - hervorkam. Ihm wurde schwarz vor Augen. Der nächste Schlag kam bestimmt. Er dachte an seine gütige Mutter und an seinen ehrwürdigen Vater. Wo sie wohl waren. In der Dunkelheit von Aschwind? Dann dachte er ein Neire. An das Lächeln des Jünglings. Wie das Kind der Flamme ihm die Gedanken an den Selbstmord genommen hatte. Den Verrat an seinem Volk, an seinen Eltern, hatte vergessen lassen. Er sah ein brennendes und ein dunkles Auge vor einem purpurnen Abendhimmel. Es musste Jiarlirae sein, die Schwertherrscherin, von der Neire immer gesprochen hatte. Sie würde ihn erlösen. Dunkelheit war um Kadrin und er hörte nicht mehr das scheußliche Knacken seines Genicks, das der nächste Schlag der groben, übergroßen Hand brach.

~

„Vielleicht waren es nicht die Weiber des Peitschenschwingers. Vielleicht gehören sie Nomrus und es ist nur eine Frage der Zeit bis er kommt, um sie zu begatten.“ Bargh schaute sie bei diesen Worten an. Unter seiner Drachenmaske konnte sie jedoch nur Gesichtszüge erahnen; war dort ein Grinsen zu sehen? Zussa dachte zurück an ihre Zeit in den Küstenlanden. Als sie noch bei ihren Eltern im Dorf gelebt hatte. Natürlich hatte sie gesehen, wie sich die Pferde begattet hatten. Sie versuchte das Bild nicht auf die Riesen zu übertragen, doch es war bereits in ihrem Kopf entstanden. Die Vorstellung widerte sie an, doch sie wurde das Bild auch nicht mehr los. Sie spie auf den Boden, um nicht zu grinsen und antwortete Bargh. „Igitt, welch‘ Vorstellung… Wieso müsst ihr immer an solche Schweinereien denken, Bargh.“ Auch Neires Lachen war nun irgendwo in der Dunkelheit zu hören. Es war schon eine merkwürdige Situation, dachte sie sich. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper und um sie herum war nur Blut und Tod. Doch sie mochte diese Art des Humors. Sie mochte die Entfesselung ihrer tödlichen Gewalt. Sie mochte es, wenn ihre Gegner in den von ihr beschworenen Flammen der hohen Herrin starben. Wenn sie so schön schrien im infernalischen Feuer. Es war wie ein Rausch, aus dem sie sich nur schwer lösen konnte. Sie erinnerte sich zurück. Als sie den Tempel von Torm zerstört hatte. Sie dachte an Grausud und Wein, an die Farben des brennenden Steins und an Neires Tanz im Morgengrauen. Damals hatte sie noch nicht umgehen können, mit ihren Gefühlen. Doch jetzt war es ihr klar. Schon auf der Insel hatte sie es genossen. Sie hatte Neire und Bargh bewundert. Zussa legte die Gedanken ab und sah sich um im Gemach. Der Geruch von Suppe und Gewürzen war in der Luft. Um sie herum lagen teils verbrannte, aufgeschnittene Leichen. Sie hatten zuerst die sechs Riesinnen des Peitschenschwinger niedergemacht. Kadrins Körper hatten sie liegengelassen; nur Bargh hatte das an Kadrin verliehene Langschwert wieder aufgehoben und verstaut. Zussa hatte Kadrin nicht gemocht. Sie hatte darüber nachgedacht ihn zu töten, doch das hätte Neire bestimmt nicht gefallen. Wie konnte ein solch einfacher Krieger die Gunst von Jiarlirae erlangen. Er hatte versagt und Zussa hatte sich mit Genugtuung über seine Leiche gebeugt und einen Witz gemacht. Dann hatten sie sich an die weitere Durchsuchung der Gemächer gemacht. Sie waren auf eine Kammer gestoßen, aus der ein bestialischer Gestank von Eiter, Urin und Fäkalien hervorkam. Zwei geschändete Kreaturen hatten dort gelegen, die wulstige Gesichtszüge und Hauer von Eckzähnen hatten. Zussa hatte sich vor dem Gemach geekelt, doch Neire und Bargh waren hineingeschritten. Neire verstand anscheinend die Sprache der Kreaturen und hatte herausgefunden, dass es Sklaven eines Nomrus waren. Sie hatten Neire gesagt, dass er stark sei – stark wie sie selbst. Ihre Stärke hatte Neire dann auf die Probe gestellt, indem er seinen Degen langsam in das Herz der Kreaturen gebohrt hatte. Danach waren sie in die Hallen der Nahrungszubereitung gelangt. Hier hatte es ein Gemetzel gegeben, als sich, die, von den anwesenden Riesinnen aufgehetzten, Sklaven gegen sie gestellt hatten. Es waren die Kreaturen, die sie zuvor in der Kammer angetroffen hatten sowie größere Gestalten. Die größeren waren von gelblicher Haut, knollenartigen Nasen und dem Gestank von vergorenem Käse. Sie hatten sogar Bargh überragt, waren jedoch von Glimringshert niedergestreckt worden. Dann hatten sie gemeinsam auch die Riesinnen getötet, die in der Küche ihren Dienst getan hatten. Jetzt hatten sich große Blutpfützen ausgebreitet und der Boden war mit Leichen bedeckt. „Lasst uns keine weitere Zeit verlieren. Wenn sie hier ein Abendmahl vorbereitet haben, wird es wohl so sein, dass es bald auffallen wird.“ Im Zischen der Töpfe und dem Blubbern der kochenden Suppen, hörte Zussa Neires Stimme. Sie nickte und so bewegten sie sich vorsichtig zum nächsten Portal. Bargh öffnete die Tür aus Baumstämmen. Dahinter sahen sie einen breiten Gang, der fast genauso hoch wie die Halle war. In diesem Gang waren das schallende Lachen und Brüllen, das sie aus einem anderen Teil der Festung gehört hatten, nicht mehr so laut. Sie konnten keine weiteren Geräusche hören. So schlichen sie voran und erkundeten drei Schlafgemächer. Zwei der Gemächer waren einfacher, doch im dritten, nobleren Gemach bemerkte Bargh eine seltsame Fackel. Im Gegensatz zu den anderen Fackeln, war diese nicht entzündet. Sie untersuchten vorsichtig die Fackel und Bargh zog ein wertvoll glänzendes Langschwert hervor. Der Knauf stellte den Kopf eines Riesen dar, die Parierstange war wie aus stilisierten Fingern gearbeitet. Sie betrachteten die Klinge im Licht der Fackeln, die die Höhe des Gemachs nicht erhellen konnten und horchten immer wieder nach dem Lachen, dass sie durch die schweren Holzwände dröhnen hören konnten.
« Letzte Änderung: 27.05.2023 | 22:11 von Jenseher »

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Sitzung 65 - Halle des Nomrus
« Antwort #69 am: 27.05.2023 | 22:15 »
Schummriges Licht umgab Zussa, Bargh und Neire. Sie hatten die Schlafgemächer verlassen und waren den Geräuschen gefolgt, bis sie zu der doppelflügeligen Türe gekommen waren. Jetzt standen sie dort, lauschten dem hohlen, gutturalen Lachen. Stumpfes Gebrabbel wechselte sich ab mit Jubelschreien und einem obszönen Klatschen von Fleisch. Es hörte sich so an, als ob zwei übergewichtige Ringer gegeneinanderprallen würden. Zussa kam sich verloren vor. Sie starrte das krumme Portal aus Baumstämmen an, das sich über ihr erhob. Sie fühlte sich wie ein kleines Insekt, das hier nichts verloren hatte. Bei dem Gedanken zitterte sie noch mehr am Körper. Wie ein Insekt, das mit seinem feurigen Gift sticht und tötet…es kommt in den Schatten und stielt sich in ihnen davon. Dachte sie sich und versuchte ihre Angst zu verdrängen. In einem Moment von Stille konnte sie aus der Ferne das Prasseln des Regens hören, das stärker geworden war und tief-gedämpft auf das Holz der Festung trommelte. Dann vernahm sie wieder die Geräusche hinter dem Portal. Lauter als zuvor – dumpfe Rufe und dröhnendes Gelächter, freudige, stupide Lachschreie. Sie fing jetzt stärker an zu zittern. Sie trat zu Bargh, strich sich ihre feuerroten Locken aus dem Gesicht und reichte nach seiner Hand. Die Dunkelheit um den großen Krieger gab ihr Zuversicht, nahm ihr die Angst. Sie hatten bereits so viel erlebt zusammen. Sie spürte eine tiefe Zuneigung zu Bargh, wie die Zuneigung zu einem größeren Bruder. Die Art von Zuneigung, die sie für ihren eigenen Bruder nie gehabt hatte. Oder waren da doch andere Gefühle? Der Panzerhandschuh von Bargh war kalt und schwer und sie begann zu flüstern. „Bargh, ich habe mich jetzt vollends unserer Göttin zugewandt. Mein Leben gebe ich in ihre Hand, in Flamme und Düsternis. Ich glaube, ich kann ihren Segen fühlen.“ Bargh lächelte, als er von oben auf sie hinabblickte. Sie spürte jedenfalls, dass er es tat, als sie hinaufsah. Die Maske von grünlichen Drachenschuppen hatte der heilige Krieger über sein Gesicht zogen. Dort glühte der schwarze Obsidianstein rötlich, der den Rubin seines rechten Auges überdeckt. „Ich habe es gesehen Zussa, mit meinem wahren Auge. Ihr habt euch ihr zugewandt und sie wird euch nicht fallenlassen. Doch jetzt müssen wir töten, müssen unwertes Blut vergießen, müssen morden in ihrem Namen.“ Bargh drückte ihre Hand und beugte seinen Kopf zu ihr hinab. Die Klinge Glimringshert vergoss Tränen aus Schatten, die sie wie sanfter Rauch umhüllten. So standen sie dort und der Augenblick hatte etwas Magisches. Bargh hob bei seinen Worten das heilige Schwert, als ob er dem Gesagten stärkeren Ausdruck verleihen wollte. Zussa antwortete: „Aber Jiarlirae, sie ist so fern. Zumindest jetzt. Ich spüre sie, doch sie ist… sie ist weit weg; wie hinter einer dicken, steinernen Wand.“ In diesem Moment sah Zussa Neire aus den Schatten hervortreten. Das Kind der Flamme zog den Schleier des Tarnmantels zurück und offenbarte sein wohlgeformtes, lächelndes Gesicht. Neire trat auf sie zu und legte seine linke, grausam verbrannte Hand auf die ihre und die von Bargh. Seine gold-blonden Locken fielen zurück, als er zu Bargh aufblickte. Doch es war Bargh der ihr antwortete. „Zussa, es war nicht anders bei mir. Die Suche war lang, seitdem ich Neire traf. Seitdem er mich aus der Schattenmark zurückholte, das Wunder Jiarliraes vollbrachte. Doch die Herrin, sie antwortete mir. Und sie führte mich zu Glimringshert, dessen Flamme und Düsternis nun durch mich spricht. Damals hörte ich ihre Antwort und es war, als ob die Klinge schon immer bei mir war – ein Teil von mir war.“ Zussa fühlte die Tiefe, die Ehrlichkeit, die in diesen Worten war. Doch es waren diese Worte, die sie doch so gerne selbst sprechen wollte. Diese innige Verbundenheit im Geiste, die sie spürte. Als ob Neire ihre Gedanken gelesen hätte, hörte sie ihn zischeln. „Seit ich von euch fort war, habe ich nur an euch beide gedacht. Ich habe für euch gebetet, habe nach euch gesehnt. Ähnlich wie ihr, Zussa, habe ich sonst nichts, musste aus Nebelheim fliehen. Es waren sogar viel schlimmere Dinge, die ich tun musste. Schlimmere Dinge als die, die ihr in eurem Dorf tatet. Doch Seht! Jetzt sind wir alle drei vereint. Wir sollten uns freuen, sollten frohlocken und beten, die alten Verse aus Nebelheim. Ich öffnete euch die Augen Zussa, so wie ich es bei Bargh tat und ich sage euch, Jiarlirae wird bei euch sein. Es wird nur Jiarlirae und uns geben.“ Zussa lächelte jetzt. Sie vergaß für einen Moment die Angst und starrte gefesselt in Neires rötlich glühende Augen. Sie mochte es, wenn er zu ihnen – zu ihr sprach. Er war so abwesend gewesen, in jüngerer Zeit. Und Neire konnte so herablassend sein, zu Bargh, wie auch zu ihr. Doch in diesem Moment war das nicht so. Die Verbundenheit war inniger als je zuvor. Als ob sie jetzt die Gedanken ihrer Mitstreiter lesen konnte, zog sie den magischen Stecken hervor und deutete auf das Portal. Bargh und Neire lösten die Umklammerung der Hände und sie flüsterte ihnen zu, einstimmend in Neires zischelndes Gebet: „Ich habe jetzt keine Angst mehr. Unsere Aufgabe ist heilig, doch die Schwertherrscherin, die Königin von Feuer und Dunkelheit verlangt es. Jiarlirae wird bei uns sein; wird uns leiten.“ Sie sprachen zu dritt und im Chor, als Bargh begann das Portal zu öffnen. „Also preiset die Menschenschlange des wahren Blutes, sie, die vorbereitet wird für den Abstieg, sie, die eins ist mit dem Verfall, mit dem Chaos,…“ Zussa hörte weitere Worte nicht, die Neire vorbetete. Bargh drückte langsam einen Flügel des kruden Portals auf und Licht strömte ihr entgegen. Da war auch das Gewirr von Stimmen, Schreien und Rufen. Lichter einer Feuerschale und unzähliger Fackeln, vermochten nicht die Größe der Halle zu erhellen, die sich vor ihr auftat. Der Geruch von gebratenem Fleisch, Feuerrauch, Schweiß und Alkohol war so penetrant, dass sie einen Würgereiz unterdrücken musste. Zudem meinte sie, Exkremente und Urin zu riechen. Sie begann gerade Einzelheiten der Halle wahrzunehmen, deren gegenüberliegende Seite bestimmt vier Dutzend Schritt entfernt war, da hörte sie wieder dieses Klatschen von inertem Fett und kräftigen Fleischmassen, die mit einer rohen, urtümlichen Wucht aufeinanderprallten. Der Lärm war für einen Augenblick ohrenbetäubend, gefolgt von einem Gejohle und gutturalem, nicht ersticken wollendem Lachen. Im rötlich-glühenden Licht der Feuerschale kämpften zwei missratene, über vier Schritte große, Gestalten gegeneinander. Rundliche Köpfe, die von platten Nasen, einer fliehenden Stirn und kleinen, schwarzen, boshaften Augen gekennzeichnet waren. Eine der beiden Kreaturen hatte der anderen eine Ohrfeige mit ihrer flachen Pranke gegeben, die ihren Kontrahenten zum Torkeln brachte, jedoch jeden Kopf eines Menschen augenblicklich zertrümmert hätte. Das Lachen kam hauptsächlich aus der Richtung eines primitiven Thrones, der durch rötliche Stofffetzen in lächerlicher Weise geschmückt war. Auf diesem Thron saß eine fleischige Gestalt, von gewaltigem Wanst. Dies konnte nur Nomrus, der Anführer die Feste sein. Er ruhte behäbig auf seinem Thron aus Baumstämmen und seine Fettschürzen quollen über die Lehnen zu Boden. Nomrus war noch hässlicher, als es seine Untertanen waren. Von haarlosem Schädel, sonnengebräunter Haut, war eine lange Narbe über seiner Brust zu erkennen. Gekleidet war er in ein Fell und er trug eine goldene Kette, die er sich unsymmetrisch und stümperhaft um seine Brust gewickelt hatte. In seinem Lachen begannen sich die trägen Fettmassen zu bewegen. Nomrus‘ Blick wich jetzt von den Kämpfenden und er starrte zur Feuerschale, wo gelbhäutige Dienerkreaturen, der Größe von Bargh, protzige Spieße mit ganzen Rindern drehten. Nomrus war nicht allein. Am Tisch vor dem Thron hatten sich Kreaturen versammelt, die nicht von seiner Rasse waren. Dort saßen drei Riesen, größer als Nomrus. Von steingrauer Haut, drahtig und haarlos. Sie betrachteten den Kampf mit einer Mischung aus Langeweile und Skepsis. Einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatte auch ein vierter Riese, der vielleicht größte, der hier anwesenden Gestalten. Aufgerichtet musste er wohl sechs bis sieben Schritte groß sein. Er war muskulös, von weißer, matter Haut und mit langen, rötlich schimmernden Haaren und Bart. An seinem Tisch hatte er einen Morgenstern gelehnt, dessen Kugel Zussa fast bis zum Bauch reichte. Jedoch waren das nicht alle der Riesen, die sich hier versammelt hatten. Zur rechten Seite der Halle sah Zussa weitere Bänke und Tische, an denen diese verabscheuenswürdigen Kreaturen von Nomrus‘ Blute saßen. Sie erkannte neben weiteren Dienerkreaturen auch einen Bären, der wohl durch ein Halsband mit langen eisernen Stacheln gebändigt wurde. Zudem hing hinter dem Anführer eine riesige Armbrust an der Wand, die einst als Balliste eingesetzt worden war. Als Bargh die Tür aufgestoßen hatte, überschlugen sich die Dinge. Die Dunkelheit, die um Bargh und sein Schwert war, verdrängte das schwache Licht der ersten Fackeln im Türbereich. Dennoch bemerkte sie einer der gelbhäutigen Oger, der Nomrus gerade einen Krug Bier, in der Größe eines kleinen Waschzubers brachte. Er hielt einen Moment inne und blickte in ihre Richtung. Zussas Herz raste jetzt, sie dachte an die Flucht. Doch da waren die Worte von Neire und Bargh, die Gebete, die in ihrem Kopf nachhallten. Sie bemerkte fast nicht den Schatten von Neire, der sich ein kleines Stück in den Raum bewegte und erste Beschwörungsformeln anstimmte. So schwach und verloren war seine Stimme, im Vergleich zum Lärm der rohen Gewalt, dem niederen Gelage, das sie hier sah. Doch dann war da die Stimme von Bargh. Er begann einen tiefen Choral zu singen, einen Choral vom aufsteigenden Chaos des Abgrundes. Die Schatten um sie herum begannen zu tanzen und gaben ihr Mut. Gerade machte Zussa einige Schritte nach vorne, da sah sie den kleinen glühenden Funken, der sich wie eine Träne auf den Thron hinzubewegte. Dann zerriss die Explosion von Magmafarben die Luft. Der Thron mitsamt Nomrus, des Ogers und den Riesen, die hier nicht hingehörten, wurde in Flammen gehüllt. Eine Druckwelle riss sie fast von den Beinen. Sie erhob ihren Stecken und beschwor die Blitze, die sich augenblicklich und mit dem Knallen eines Donnerschlags, entluden. Die drei brennenden grauen Riesen raffte die Woge von Macht dahin. Nomrus wurde fast von seinem Thron geschleudert und der Kopf des Ogers knallte leblos und schwarz verbrannt auf die Tischplatte. Innerlich jubelte Zussa. Dann richtete sich der von Brandblasen bedeckte rothaarige Riese auf, nahm seinen Morgenstern und kam auf sie zu. Sie wollte zurücklaufen, doch ihre Beine waren wie gelähmt. Sie konnte den Kopf des Angreifers nicht sehen, so groß war er. Als die Kugel sie erfasste, hörte sie ihre Rippen knacken und sie wurde, von der Gewalt des Schlages, gegen den geöffneten Portalflügel geschleudert. Sie bekam keine Luft, sie wollte atmen. Da waren Schmerzen und sie hustete Blut. Und da war dieses verdammte Geschöpf, das nicht sterben wollte, in denen von ihr und Neire entfesselten Mächten. Die Kreatur thronte über ihr und erhob unbarmherzig ihren ungeheuren Morgenstern.

Bargh sah den Körper von Zussa gegen den Türflügel schmettern. Im Lärm des Chaos, seiner Gebete und der jetzt einsetzenden Schreie, vernahm er kein Geräusch. Für einen Moment glaubte er Zussa wäre tot. Dann sah er, wie sie sich mühevoll erhob, Blut hustete und wie Tränen aus ihren Augen liefen. Er musste handeln. Die Göttin war mit ihm und Wut und Zorn fraßen sich in seinen Geist, wie loderndes Feuer. Bargh hob sein Schild, machte einen Schritt nach vorn und führte Glimringshert mit tödlicher Präzision. Der Angreifer mit dem Morgenstern hatte Zussa fixiert und so war seine Flanke offen. Das Schwert, das Schatten blutete, fraß sich in den Unterleib der Kreatur und aus der Düsternis der Klinge erwuchs Feuer. Flammen, die die Gedärme des Riesen verbrannte. Das Schwert drang tief in die Seite, fast bis zur Wirbelsäule. Mit hasserfüllten Augen musterte ihn das Wesen, dessen Lebenswille bereits schwand. Wie ein stattlicher Baum in Wanken gerät, fiel die Kreatur, gefällt durch Flamme und Düsternis. Jetzt hörte Bargh wieder Schreie und Rufe. „Zussa zurück… kommt zu mir“, rief Neire hinter ihm. Vor ihm war Chaos ausgebrochen. Nomrus, von grauenvollen Brandwunden bedeckt, gellte dumpfe Befehle. Der Anführer hatte bereits nach der Balliste gegriffen und legte dort einen mannsgroßen Metallbolzen ein. Einige der Riesen hatten sich erhoben und begannen auf den Türbereich zuzulaufen. Bargh ging langsam mit Zussa zurück, deckte seine Mitstreiter mit seinem Schild und sang seinen Choral. Er war wie in einem Rausch - alle Furcht war gewichen. Alles war so langsam und doch so real. Sie kamen auf ihn zu. Einzeln oder im Gemenge. Mit stumpfem Hass in den Augen. Blitze und glühende Geschosse aus Magma zuckten an ihm vorbei und verbrannten ihr Fleisch. Er griff an und sang den Choral von Jiarlirae. Das Gebet beschützte ihn – stachelte ihn zu Heldentaten an. Glimringshert vollbrachte das blutige Werk. Und so stürzten sie hernieder: Mann für Mann - Ungeheuer für Ungeheuer. Die Leichen der fleischigen Kreaturen türmten sich, doch die Nachrückenden brachen darüber hinweg. Bargh hörte das Knacken von Knochen, sah Blut aufspritzen, als stämmige Beine niedertrampelten, was dort lag. Nachdem er die unförmige, übergewichtige Kriegerfrau getötet hatte, bemerkte er die Wut in den Augen der Anstürmenden. Bei einigen tropfte jetzt Geifer und Schaum aus den Mäulern. Doch auch sie trampelten in blindem Hass den Körper der hässlichen Kriegerprinzessin nieder. Die Riesen wurden unvorsichtiger, sie wurden von grausamer Magie verbrannt; diejenigen, die bis zu ihm kamen, tötete er mit schnellen, gezielten Angriffen. Auch der Bär war mittlerweile freigelassen und preschte, wie von einer Tollwut erfasst, heran. Bargh hieb und stach, sang sein Gebet und tötete. Seinen linken Arm konnte er mittlerweile nicht mehr spüren. Er war taub von den beiden Geschossen, die Nomrus in seine Richtung entfesselt hatte. Das Schild aus Ne’ilurum hatte standgehalten und er hatte die Flugbahn der eisernen Speere ablenken können. Dann hörte Bargh ein weiteres Mal das Bersten von Magie. Rötlich funkelnde Geschosse huschten auf Nomrus zu und explodierten in seinem Wanst - Fettschürzen wie Gedärme wurden zerfetzt. Nomrus war tot und so rangen sie auch die letzten Kreaturen nieder. Bargh jedoch sang weiter das Gebet zu seiner Göttin. Er sank auf die Knie und blickte auf den grauenvollen Haufen aus Fleisch, der sich vor ihm auftat. Hier und dort ragten lange, affenartige Arme hervor. Dumme Gesichter, mit aufgerissenen Mäulern und erstarrten Augen. Geöffnete Leiber, von denen der Geruch von schwerem Blut und frischen Exkrementen aufstieg. Es war kein Ort an dem man sein wollte, doch Bargh genoss den Augenblick. Er zog sich die blutverschmierte Maske vom Gesicht und nahm einen tiefen Atemzug. Das war der Krieg. Der Krieg den er aus tiefstem Herzen liebte - total und vernichtend, wie er sich ihn immer gewünscht hatte. Er wollte nichts anderes mehr kennen. Er widmete die Verse seiner Gebete an den Henker der letzten Einöde und schloss die Augen.

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Sitzung 66 - In die Tiefe
« Antwort #70 am: 3.06.2023 | 14:13 »
Die infantile Gestalt starrte Neire mit einer Mischung aus Schrecken und Unverständnis an. Es war der größte in der Gruppe der noch jungen Abkömmlinge der Riesen. Fast instinktiv hatte er seine Hände ausgebreitet und drängte die anderen zurück. Neire erkannte, dass die teils kleineren, missratenen Bälger den Anweisungen der Gestalt Folge leisteten und sich wie eine Herde ängstlicher Lämmer in die Ecke drückten. In der Größe des Schlafgemachs machte dieses Spiel einen unwirklichen Eindruck auf Neire. Doch je genauer er sie musterte, desto mehr wurde ihm klar, dass die Gestalten in ihrer Schwachsinnigkeit kein Spiel spielten. Es war mehr wie ein instinktives Verhalten, das ihre Unterwürfigkeit zur Schau stellte und ihnen so ein Überleben sichern sollte. Neire strich sich die gold-blonden Locken zurück und lächelte das zweieinhalb Schritt große Kind an. Er beobachtete auch die anderen dieses Gezüchts genau. Sie waren bereits von seiner Körpergröße und einige überragten ihn teilweise um mehrere Köpfe. Bei den größeren und älteren Gestalten hatten sich Fettansätze gebildet. Neire konnte bei diesen Kreaturen die Ähnlichkeit zu ihren Eltern erkennen. Dünne Arme und stämmige Beine; ein rundlicher Schädel mit fliehender Stirn, platter Nase und kleinen bräunlichen Augen. Gutturale Laute und ein schwachsinniges Wimmern waren von ihnen zu hören. Es mussten auch einige weibliche Exemplare unter ihnen sein, doch Neire konnte den Unterschied nicht erkennen. Von allen ging jedoch ein penetranter Schweißgeruch aus. Ob sie wohl die überlegene Schönheit erkennen können, die ihnen gegenübergetreten ist? Was sie wohl mit mir machen würden, wenn sie nur ihre Furcht überwinden könnten? Würden sie aus Wut auf das Ästhetische, mein Gesicht zerreißen, meinen Körper schänden? Für einen Augenblick ließ Neire die Gedanken schweifen und erinnerte sich an Nebelheim. Was die Platinernen Priester mit den missratenen und missgestalteten Sklavenkindern gemacht hatten. Wie sie der Göttin geopfert wurden. Neire zeigte seine perfekten Zähne, während er lächelte und konzentrierte sich. Die Umgebung um ihn herum nahm langsam andere Farben an. In rötlichen Tönen sah er die Baumstammwände, die kleineren Nachtlager und die achtlos verteilten Stöcke und Holzplanken - von geringer handwerklicher Kunst und wie Schwerter geschnitzt. Neire versuchte die gutturale Sprache zu imitieren und brachte kehlige Rülps- und Grunzlaute hervor. „Ich Freund, gekommen als Freund… ihr folgen… große Halle. Dort Essen für euch.“ Er bemerkte ungläubiges Staunen, große aufgerissene Augen, doch der Schrecken und die Furcht wich. Neire spürte die Macht durch ihn fließen. Er blickte weiter in die Augen und vollführte freundliche Gesten dazu. Nun ließ der Größte der Riesenbrut die Arme sinken und lächelte ihm zu. In seinem, von einem Unterbiss geprägten, Gesicht offenbarten sich grobe, stumpfe Zähne, die bereits Ansätze von Fäulnis zeigten. Dann löste sich eine kleinere Gestalt und kam auf ihn zu. Der Gang der Kreatur, die fast genauso groß wie Neire war, sah noch stolpernd und unbeholfen aus. Fast wie ein Kind, das gerade erst gelernt hatte zu laufen. Die Gestalt reichte ihm ein hölzernes Schwert und blickte ihn blödsinnig grinsend an. Als wollte sie ihn zum Spiel auffordern. Neire nahm das Stück Holz entgegen, drehte sich um und sprach. „Folgt mir… folgt mir. Habt keine Angst. Wir wollen ein Spiel spielen, doch zuerst sollt ihr gefüttert werden.“ Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich der Tross des widerlichen Gezüchts in Bewegung setzte.

Die Halle tat sich vor Neire auf, so wie sie sie verlassen hatten. Der Geruch von Schweiß, Fleisch, Rauch und Alkohol erfüllte zwar noch schwer die Luft, wurde aber überdeckt vom Geruch des Todes. Der groteske Haufen von fleischigen Körpern brachte den Gestank von geöffneten Eingeweiden und von geronnenem Blut. In den langen Schatten der Fackeln wirkten die, im Tode von Hass zerfressenen Gesichter wie fratzenhafte, leere Hüllen. Neire erinnerte sich zurück. Sie hatten sich nach dem Kampf zu einer kurzen Ruhe niedergelassen. In der großen Halle war Zussa auf einen Tisch hinaufgeklettert und hatte zu meditieren begonnen, während Bargh die Spieße der Rinder weitergedreht hatte. Nach einiger Zeit hatte Bargh aber Geräusche gehört und in einem kleinen Gang die Brut der Riesen gesehen, denen sie dann nachgegangen waren. Insbesondere hatte sie Zussa darauf hingewiesen, die Bälger zu töten, damit sie weiter ungestört meditieren konnte. Als Neire die Kreaturen jetzt in die Halle führte, erwachte Zussa wie aus einer Trance. Neire konnte erkennen, dass Zussa den Mund geöffnet hatte, als würde sie dem Schauspiel nicht ganz trauen. Bevor Zussa reagieren konnte, drehte sich Neire den Kreaturen zu. Die ersten hatten den Fleischberg von Leibern erkannt. Sie betrachteten mit fixierten, aufgerissenen Augen und offenen Mäulern die Szenerie. Sie waren anscheinend nicht fähig, die Lage zu begreifen. „Kümmert euch nicht um eure Eltern. Sie schlafen nur. Sie schlafen nur kurz und sind bald wieder wach. Sie haben heute Abend etwas zu viel getrunken.“ Neire unterstrich seine Worte mit den Gesten vom Trinken und von Schlaf. Er lachte nicht bei seinen Worten und sie schienen ihm zu glauben. Doch hinter sich hörte er Zussa glucksen. Neire und Bargh führten die Kreaturen jetzt zum Feuer und wiesen sie an, sich dort niederzulassen. Sie begannen das Gezücht mit der Bärenkette und einem Seil zu fesseln. Neire zischelte wieder Worte von Erklärungen, doch er spürte ihr blindes Vertrauen. Dann wies Neire Bargh an die Kreaturen zu füttern. Er musste sich um seine schwarze Kunst kümmern. Für das Spiel mit den Bälgern sollte später noch Zeit sein.

Sie standen vor großen Stufen, die hinab in die Dunkelheit führten. Von unten stieg ein Geruch von Moder und Stein auf. Sie hatten nach ihrer kurzen Rast den Rest des oberirdischen Teils der Feste abgesucht. Bargh hatte zuvor die Brut der Riesen mit dicken Stücken Fleisch gefüttert, die er aus den Rindern geschnitten hatte. Die Abkömmlinge hatten sie dann, gefesselt und größtenteils schlafend, zurückgelassen. Auf ihrer Durchsuchung waren sie auf keine weiteren Kreaturen gestoßen. Mehrere Schlafgemächer und Vorratsräume hatten sie gefunden. Unter den Schlafgemächern waren auch das des Anführers und das der Kriegerin gewesen, die Bargh getötet hatte. Neben einer Reihe von Edelsteinen und Geschmeiden, hatten sie im Gemach des Nomrus ein Stück Pergament mit den Buchstaben einer Riesensprache entdeckt. Sie hatten die Sprache zwar nicht entziffern können, jedoch hatte Neire ein interessantes Wappen auf dem Pergament entdeckt, das er als Insignie eines dunkelelfischen Hauses deuten konnte. Es war das Abzeichen des Hauses Eil’Serv, das drei Linien innerhalb eines gleichschenkligen Dreiecks darstellte. Die Linien waren orthogonal zu jeder Seite des Dreiecks und trafen sich, jeweils als Streckenhalbierende, im mittleren Punkt. Neire hatte von diesem Haus bereits gehört, konnte sich aber nicht mehr an viele Details erinnern. Das Haus existierte wohl schon mehrere tausend Jahre und hatte, je nach Zeitalter, mal mehr oder mal weniger mehr Macht innegehabt. Bemerkenswert war aber, dass Haus Eil’serv sich wohl von der Spinnengöttin Lolth abgewandt hatte und jetzt einem Gott des elementaren Bösen diente. Obwohl Neire auch diesen Namen kannte, schien sich der Gott in Obskurität zu verbergen. Neire hatte Zussa und Bargh von seinen Erkenntnissen berichtet und sie waren sich einig gewesen, der weiteren Durchsuchung der Festung den Vorzug zu geben. Neben einem alten, verzauberten Runenschild mit einem mittigen Dorn, das durch die Macht der Illusionen verborgen wurde, hatten sie dann eine Geheimtür entdeckt, die ihnen eine Treppe in die Tiefe offenbart hatte. Als sie sich sicher waren, dass sie alle anderen Räume der Festung durchsucht hatten, waren sie an den Ort dieser Treppe zurückgekehrt. Jetzt lauschten sie in die Tiefe. Bargh hatte Klinge und Schild erhoben und begann Stufe für Stufe hinabzusteigen. Die Luft hier unten war etwas kälter. Sie konnten das geschliffene Felsgestein des Jotenwalls erkennen, in das sie die Treppe hinabführte. Der Stein war glatt und geradlinig bearbeitet worden, nur hier und dort ließen ausgebesserten Stellen eine fehlende Handwerkskunst erkennen. Schließlich kamen sie in einen breiten Gang, dessen Decke ein halbes Dutzend Schritt über ihnen aufragte. An die Wände waren dicke Baumstämme gelehnt, die sich auf Querbalken abstützten und die Decke wie eine Art Spitzdach trugen. Sie hörten keine Geräusche und drangen weiter vor, in die Dunkelheit. An einer Ecke deutete Zussa plötzlich auf die nackte Stelle von Felsgestein. „Dort, schaut. Ein Stein in der Wand zeichnet sich vom Rest ab. Seht ihr die Linien und Konturen?“ Bargh hielt augenblicklich inne und drehte sich zur Wand. Tatsächlich konnte er den Stein sehen. Nach einer kurzen Untersuchung, reichte er hinauf und drückte den Stein in die Wand. Sie hörten das metallene Klicken eines Mechanismus. Ein Teil der Konstruktes ließ sich jetzt verschieben und glitt knirschend hinter den Stein der restlichen Wand. Es offenbarte sich ihnen ein breiter und hoher Tunnel, aus dem abgestandene, faulige Luft drang. Ihre geübten Augen konnten die Dunkelheit durchdringen und sie sahen, dass der Gang sich in eine tote Felskammer eröffnete. Einige Kisten und ein zerstörtes Fass waren dort zu sehen. Vorsichtig bewegten sie sich vorwärts, in Richtung der geheimen Kammer. Gerade betrachtete Neire den gelblichen Flechtenbewuchs, der in einer Ecke der Kammer zu sehen war, da hörten Bargh und Neire hinter sich ein Knacken. Der steinerne Boden unter Zussa begann Risse zu bilden und mit einem Mal brach sie hinfort in die Tiefe. Neire schnellte herum. Er versuchte noch nach Zussa zu greifen. Seine Hand reichte in die Tiefe und er selbst suchte seine Balance, gefährlich nah am Abgrund. Im letzten Moment griff Zussa nach seiner Hand. Neire fühlte den Ruck durch seinen Arm gehen, als Zussa gegen die Felswand unter ihm schlug. Er schrie nach Bargh: „Helft mir Bargh, zieht sie hinauf.“ Zussa, sich kaum der Gefahr der Situation bewusst, schaute hinauf zu Neire. Sie hörte das Geräusch von klingendem Ne’ilurum, als Bargh sein Schild in Ortnors Mechanismus verstaute. Dann beugte sich das verbrannte Gesicht mit dem roten Rubin im rechten Auge zu ihr hinab. Ruckhaft wurde ihr Arm von einer übermenschlichen Kraft nach oben gezogen. Erst jetzt – und erst als sie hinter sich die metallenen Spitzen von Speeren am Boden der Fallgrube sah – wurde sie sich der Todesgefahr bewusst, in der sie gesteckt hatte. „Habt Dank Bargh, für meine Rettung“, sprach sie in Richtung des gefallenen Paladins, doch Bargh schüttelte mit dem Kopf. „Dankt nicht mir, Zussa. Dankt Neire.“ Zussa betrachtete Neire und dankte ihm. Ein beleidigter Ausdruck im Gesicht des Jünglings, begann sich langsam in ein Lächeln zu ändern. „Es war das Mindeste, was ich tun konnte, Zussa. Wir alle sind Kinder Jiarliraes, sind wie Brüder und Schwestern. Ist es nicht das, was Brüder und Schwestern für einander tun sollten? Wir sollten bereit sein, unser Leben für den anderen zu geben.“ Zussa wiederholte den Satz für sich, indem sie jedes Wort im Geiste nachsprach. Ja, Neire hatte recht. Sie fühlte sich geborgen und bestätigt in ihrem Glauben. Nur die Königin von Feuer und Dunkelheit, nur die Dame des abyssalen Chaos, konnte Neire dazu angeleitet haben, sie zu retten. Und sie würde das Gleiche für Neire oder Bargh tun. So drehten sie sich um und schritten weiter in Richtung des geheimen Raumes. Jetzt war der vorangehende Bargh besonders vorsichtig und prüfte den Boden vor ihnen. Sie gelangten unbeschadet in den Raum und begannen die Kisten zu untersuchen. Dies war anscheinend die geheime Schatzkammer des Nomrus. Sie fanden säckeweise Gold, Platinum sowie Edelsteine und Geschmeide. Nomrus hatte ein Vermögen gestohlen und hier angehäuft. Zudem konnte Neire zwei weitere Illusionen enttarnen, die Gegenstände verbergen sollten. Die gelbe Flechte stellte sich als getarnter Bereich heraus, in dem kostbare magische Waffen versteckt waren. Auch das beschädigte Fass war eine Attrappe. In ihm war eine Kiste aus schwarzem Kristall verborgen, in der sie eine Karte, eine Kette aus schwarzem Metall und ein Schriftstück in der Sprache der Riesen fanden. Das Schriftstück hatte das Muster einer Art Aufzählung und endete mit einer großen 8. Die Karte stellte in primitiver Art und Weise die Umgebung des Jotenwalls und der Kristallnebelberge dar. Dort waren einige Orte markiert. Besonders tat sich ein Markierungszeichen inmitten der Kristallnebelberge hervor. Gebannt starrten sie auf die Karte und die schwarze Kette. Um sie herum war das Glitzern von Gold, Silber und Juwelen.

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Sitzung 67 - Kerker des Nomrus
« Antwort #71 am: 10.06.2023 | 12:36 »
Für einen Augenblick verharrten sie hier und atmeten die modrige Höhlenluft. Die unterirdische Felsenkammer war in völlige Dunkelheit gehüllt. Durch die große Höhe hatte der geheime Schatzraum etwas Beengendes. Wie sich wohl die Riesen gefühlt haben mochten, als sie die Schätze hier anhäuften? Wenn sie überhaupt in der Lage gewesen waren, etwas zu fühlen. Neire erhob sich langsam und nahm einen weiteren tiefen Atemzug der fauligen Höhlenluft. Er verwarf die Gedanken an den Anführer der Rasse dieser abscheulichen Kreaturen. Zussa hatte ihn getötet und jetzt gehörten die Schätze ihnen. Sie hatten den letzten Sack mit Platinumstücken hinter dem dunklen seidenen Vorhang verstaut, hinter dem sich der würfelförmige Raum mit Ortnors Labor verbarg. Neire raffte mit einer geschickten Bewegung die Seide zusammen und faltete sie. Der Vorhang hing, wie von Geisterhand getragen, in der Luft, doch an den richtigen Stellen berührt, ließ er sich bewegen und zusammenfalten. Mit dem gefalteten Stoff verschwand auch das Portal im Rucksack von Neire und in ihm die Schätzte des Nomrus. Neire ließ seinen Blick über die Wände schweifen. Große eichene Baumstämme stützten hier und dort das dunkle Gestein, das die Spuren einer alten Bearbeitung trug. Der dunkelgraue Fels war wie von Meisterhand geformt und glattgeschliffen worden. Nur an einigen Stellen zeigten plumpe Ausbesserungen eines helleren Mörtels fehlende Handwerkskunst. Gerade wollte sich Neire Bargh zuwenden, da hörte er die unruhigen Schritte von Zussa. Sie hielt einen Edelstein in der Hand, den sie lustlos und desinteressiert drehte. Ihre langen roten Locken umspielten ihr weißes Gesicht, in dem Sommersprossen zu sehen waren. Nervös kaute sie auf ihren Lippen und machte schlaksige Bewegungen, als sie den Edelstein nach oben warf, um ihn dann wieder zu fangen. „Ihr habt einiges erlebt auf eurer Reise mit Bargh. Ich erinnere mich noch, wie wir euch auf der Tempelinsel aus dem Kerker befreiten,“ sagte Neire. Zussa schaute in diesem Moment zu ihm auf. Ihre grünlichen Augen funkelten wach, als sie ihr Desinteresse ablegte. Dann, wie in Erinnerungen schwelgend, begann sie zu lächeln. „Ja, ich wusste damals noch nicht viel. Ich wusste nicht das, was ich heute weiß und ich hatte Angst, das Feuer zu beschwören. Angst, das Feuer in Richtung der Fässer zu schleudern.“ „Doch ihr habt es getan. Ihr habt das Feuer beschworen und den Tempel des schwachen Gottes entzündet.“ Zussa lächelte bei diesen Worten und wollte gerade zu einer Antwort ansetzten, da fragte Neire weiter: „Sagt Zussa, als ihr noch in eurem Dorf wart. Als sie euch noch nicht vertrieben hatten. Was war das Merkwürdigste, was ihr jemals dort gesehen habt?“ Zussa legte ihre Hand auf den Griff des Säbels, den sie im Gürtel trug. Sie ließ einen Moment den Kopf sinken, als dächte sie nach. Dann wirbelte ihr feuerrotes Haar herum und sie lachte auf. „Die Nachbarn brachten einmal ein Kind zu Welt. Einen Säugling der nur ein Bein hatte. Das war komisch…“ Sie kicherte in ihr Sprechen hinein, so dass sie kaum zu verstehen war. „Was haben sie dann gemacht mit dem Säugling? Zussa,“ fragte Neire, der Zussa mit großen Augen anschaute. „Was haben sie wohl mit ihm gemacht… natürlich haben sie ihn im Fluss ertränkt. Was sollte er denn auch machen mit einem Bein?“ Neire blickte Zussa, die immer noch in sich hineinlachte, fast etwas traurig an. Auch Bargh hatte in das Lachen von Zussa eingesetzt. Die Aura von Düsternis, die vom übermenschlich großen Krieger Jiarliraes ausging, hüllte sie ein. „Ich finde es schade, Zussa. Das Kind, der Säugling. Was für eine Verschwendung… In Nebelheim gab es ein Geschlecht von inzestuösen, menschlichen Sklaven. Sie wurden von den Platinernen Priestern zur Paarung gezwungen. Viele Säuglinge hatten Missbildungen. Mal fehlte ein Bein, mal ein Arm oder mal ein paar Finger. Sie wurden geopfert im Inneren Auge. So konnten sie wenigstens unserer großen Herrin dienen, mit ihren schwachen Seelen.“ Neires gespaltene Zunge war zu erkennen, als er sich in dem Satz in einen zischelnden Singsang fremder Akzentuierung hineinsteigerte. „Ihr habt recht Neire.“ Jetzt brachte sich Bargh in das Gespräch ein und der rote Rubin funkelte in seinem verbrannten Schädel. „Ihr habt recht, doch horcht her. In Zussas Geschichte geht es um einfachen Pöbel, schwache Geister, die entbehrlich und schnell ersetzbar sind. Ich kann mich an andere Geschichten erinnern. Aus Fürstenbad. Dekadente, reiche Adelige, die ihre missratenen, kleinwüchsigen Bälger aufzogen, anstatt sie zu ertränken. Sie werden schnell weinerlich, nehme ich an. Sie konnten es nicht übers Herz bringen… waahh.“ Bargh spuckte bei diesen Worten aus. „Einigen dieser Zwerge wurden gar Ränke zugeschachert. In der Armee und im Rat der Stadt. Ich würde gerne zurückkehren dorthin. Mit Glimringshert und einer kleinen Armee unserer Herrin.“ Bargh hielt bei den Worten sein schwarzes, Schatten-blutendes Schwert in die Höhe, über dessen düstere Klinge sich Venen, wie ein verzweigtes Geflecht, zogen. Jetzt trat Neire näher heran und nickte Bargh und Zussa zu. „Bedenkt, Zussa und Bargh. Ihr seid wie Schwester und Bruder für mich und ich litt mit euch, als ihr das Blutopfer für Vorcorax’Ut’Lavia – geheiligt sei sein Name - vollbracht habt. Doch ich bin Jiarliraes Prophet in Euborea und IHRE Stimme spricht nur durch mich. Wir werden eine Armee benötigen. Doch wer weiß, ob Fürstenbad unser Ziel ist? Wer weiß, was uns das Schicksal bringen wird? Wir müssen Halbohr diese Schätze bringen. Damit er den Schrein des Jensehers schützen kann. Damit er die Mittel hat, die stämmige Rasse der Minenstadt von Unterirrling für seine Dienste zu erkaufen.“ Bargh und Zussa lauschten seinen Worten, doch als Neire von Halbohr sprach, war beiden Widerwillen und ein latenter Hass anzusehen. Zussa stieß verächtlich die Luft aus. „Halbohr, traut ihr ihm etwa, diesem Bastard? Wir hätten ihn damals töten sollen, als er die Made des Jenreiches in sich trug.“ Neire blickte seine Mitstreiter an und fragte sich, was Halbohr ihnen wohl angetan hatte. „Ich traue ihm nicht Zussa. Doch es gab einen Grund, wieso ihn Lieressandre in meinen Dienst gestellt hat. Es war das Schicksal, die Vorsehung unserer Herrin, dass wir nach meiner Flucht aus Nebelheim zusammenkamen und aus dem Unterreich flohen.“ Neire bemerkte, dass zuerst Bargh und dann auch Zussa zustimmend nickte. „Und bedenkt… ihr habt mir davon erzählt, Bargh. Halbohr will seinen Namen in dieser Welt klingen hören und er trägt das Brandmal unserer Herrin, das ihr ihm gabt. Auch wenn er es vielleicht nicht wahrhaben will, so dient er bereits unserer Herrin. Er tat es bereits auch damals, als ich ihn im Unterreich traf. Jetzt bewegt er sich wie Linnerzährn, als glühendes Feuer auf seinem Weg durch die Dunkelheit. Doch wenn ihr recht habt, dann wird das Schicksal wollen, dass er verschwindet. Vielleicht wird er auch einst wieder auftauchen. Wie die glühende Träne des Drachens, wie Linnerzährn es tat: In und aus den Geheimnissen der Flamme und der Düsternis unserer Herrin, die uns umgeben.“

~

Bargh warf sich gegen das sechs Schritt hohe Portal und begann das grobe, schwere Holz nach vorne zu drücken. Hinter der Türe hatten sie Stimmen in Form eines fast menschlichen Bellens und Knurrens gehört. Ein Bellen und Knurren, dass sich in seinen Lauten sowie seiner Akzentuierung änderte und einer primitiven Sprache glich. Bargh blickte sich ein letztes Mal um, bevor er durch die sich öffnende Türe drängte. Hinter ihm sah er die riesige steinerne Kammer, die hier und dort von Fackellicht erhellt wurde. Er hörte die Formeln des Gebetes, den disharmonischen Choral, den Zussa sang. Er spürte die Macht durch sein Schwert pulsieren, er spürte Zuversicht. Zuvor hatten sie die Schatzkammer des Nomrus verlassen und waren weiter dem Tunnel gefolgt. In einer unterirdischen Halle hatten sie ein Gatter entdeckt aus dem der Geruch von Urin und Fäkalien, nassem Tierfell sowie verrottendem Brot und Fleisch hervordrang. Hinter dem Gatter waren die Geräusche zu hören gewesen, die sie schon in der Schatzkammer vernommen hatten. Auf ihrem Weg zu diesem Gatter hatten sie einen weiteren falschen Stein in der Felswand entdeckt, der ihnen den Zugang zu einer geheimen Tür offenbart hatte. Einen breiten, hohen Gang hatten sie dahinter entdeckt. Dieser Gang war an einer, auf der anderen Seite liegenden Geheimtüre geendet. Zudem waren an einer Steinwand zwei große, verrostete Räder erkennen gewesen, von denen, nach einer kurzen Prüfung, eines das Gatter öffnen konnte. Sie hatten sich weiter auf das Gatter zubewegt und in einem dahinterliegenden Kerker vier große, muskulöse Kreaturen entdeckt, die ein Raubkatzen-ähnliches Aussehen hatten. Die Gesichter der Kreaturen waren als Fratzen, halb menschlich und verzehrt von Hass, zu erkennen gewesen. Eine löwenartige Mähne und breite Fledermausflügel hatten die Kreaturen ausgezeichnet, die sich an den verrotteten Essensresten in der Mitte des Kerkers gelabt hatten. Dabei waren ihre Schwänze wie in einen ekstatischen Tanz verfallen. Neire hatte aus der Dunkelheit seiner Unsichtbarkeit den Kampf eröffnet und rötlich glühende, schattenhafte Geschosse beschworen, die eines der Wesen schwer verletzten. Die stärkste der Gestalten war dann, wie vom Wahnsinn erfasst, in ihre Richtung gelaufen und hatte ihren Kopf gegen die eisernen Stäbe gerammt. Ein kurzer und intensiver Kampf war siegreich für sie verlaufen, doch sie hatten den Segen von Jiarlirae auf ihrer Seite gehabt. Die Kreaturen hatten aus ihrem Rücken und Schwanz knöcherne Splitter auf sie geschossen, die sie nur unter Schmerzen aus ihrem Körper lösen konnten. Doch Bargh hatte sich hinter sein Schild aus Ne’ilurum geduckt und den Hagel von Splittern abgewehrt. Danach hatten sie das Gatter geöffnet und die Kreaturen ihres wertvollen Pelzes wegen gehäutet. Sie hatten zudem eine zweite Schatzkammer gefunden, in der sie neben weiteren Edelsteinen, säckeweise Münzen aus Bernstein entdeckt hatten. Sie hatten die Schätze geplündert und waren durch den geheimen Gang in die große Halle gekommen, von der mehre Gänge und eine Treppe nach oben hinfort führten sowie drei Türen zu sehen gewesen waren. Eine dieser drei Türen hatte Bargh gerade geöffnet. Bargh sah vor sich einen Raum, der mit ledernen Tierfellen ausgelegt war. Eine Reihe von Kreaturen hatte sich an einer großen hölzernen Tafel niedergelassen, auf die sie Humpen und Krüge gestellt hatten. Im Fackellicht waren die muskulösen Silhouetten der humanoiden Gestalten zu sehen, die von einem rötlich schimmernden Fell bedeckt waren. Ihre Gesichter waren raubtierhaft. Sie hatten spitze Ohren und ihr Züge erinnerten an eine ferne Verwandtschaft zu Bären. Ihre Sprache war die eines Grunzen und Knurren. An ihre Schemel und an die hölzerne Tafel hatten sie ihre Waffen gelehnt. Zu sehen waren Speere, Äxte und Morgensterne. Die Kraft des disharmonischen Chorales stachelte Bargh an. Er stürmte in den Raum und ließ die Klinge Glimringshert tanzen. Der ersten Kreatur stach er von hinten durch die Brust und durch ihr Herz. Der zweiten hackte er fast den Kopf ab. Feine Bluttropfen durchsprühten die Luft und benetzten sein Gesicht. In der Überraschung des Angriffs hatten die Gestalten sich kaum bewegt und so rammte er der dritten sein Schild aus Ne’ilurum ins Gesicht. Er hörte das Knacken des Jochbeins und sah, wie sich die Zähne der linken Kauleiste über den Tisch verteilten. Bargh wollte gerade auf die andere Seite des Tisches stürmen, da erblickte er die Welle von Feuer, die sich dunkelrot und fächerhaft ausbreite. Drei der Gestalten schrien auf und wandelten als lebende Fackeln durch den Raum. Weit kamen sie nicht, denn das rötliche Feuer hatte sich wie eine brennende Flüssigkeit über ihr Fell ausgebreitet. Als die Schreie verstummt waren, hörte Bargh durch den Singsang von Zussa weitere Geräusche. Ein Poltern und ein lautes Bellen waren aus einem Gang zu hören, der sich aus dem Gemach öffnete. Und es waren Antworten zu vernehmen. Kehlige Grunzlaute, die dem Bellen ähnlich klangen. Bargh machte einige Schritte zurück, auf die Tür zu. Er schrie Zussa an, sie möge sich hinter ihn stellen. Das Mädchen gehorchte und so baute er sich in seiner Verteidigungshaltung auf. Er erwartete den Gegenangriff der felligen Kreaturen: Und sie kamen aus dem Gang. Sie bewegten sich rasch, doch geordnet. Der Hass war in ihren dunklen Augen zu sehen, aber er war einer eisernen Disziplin untergeordnet. Zum Vorschein kam ein Anführer. Fast so groß wie Bargh selbst, war er gekleidet in einen Lederpanzer, der von schweren eisernen Nieten besetzt war. Er trug ein großes, schartiges Bastardschwert. Für einen Augenblick, in dem Bargh in seiner Position wartete, kam ihm alles so langsam vor und er wollte voranstürmen, wollte die Kreaturen niedermachen. Doch tief in ihm wahrte er die Instinkte seiner militärischen Ausbildung. Die endlosen Stunden im Tempel von Fürstenbad. Die kommandierten Krieger trugen Teile von Rüstungen über ihrem rot-braunen Fell. Der Gestank von räudigem Bären verdrängte jetzt den Geruch von verbrannten Haaren und Fleisch. Sie bildeten bewaffnete Paare, mit Speeren und Streitkolben, Morgensternen und Äxten. Fast zwei Dutzend Kreaturen waren jetzt in den Raum vorgedrungen. Dann rief der Anführer zum Angriff. Bargh konnte die Worte nicht verstehen, aber er erkannte den militärischen Befehl. Die Kreaturen zucken nach vorn, doch es war zu spät. Keiner von ihnen sah den glühenden Funken, den Neire von der anderen Seite des Raumes warf. Bargh wusste was das bedeutete und hob das Schild höher. Die Explosion, die den Raum erschütterte, war heftiger als jede vorherige. Magmaflammen zuckten über sein Schild hinweg, für einen Moment hörte er nur noch ein hohes Fiepen. Bargh wurde zurückgeschleudert und drückte Zussa nach hinten. Als sich die Flammen legten sah er vor sich zerfetzte Leiber. Finger, Arme und Beine waren durch die Explosion abgerissen worden. Der Boden der Halle war von brennenden Leichen bedeckt. Durch das Fiepen hörte Bargh ein Schreien, eine vertraute Stimme. „Bargh, dreht euch um. Er kommt. Hinter euch.“ Es war Zussa die ihn anrief, die an seiner Rüstung zerrte. Bargh drehte sich um und sah, was dort kam. Eine der Türen hatte sich hinter ihm geöffnet und dort waren drei Kreaturen erschienen. Eine gewaltige Gestalt, hässlicher anzusehen, dennoch ein Artgenosse des Nomrus. Kratz- und Bissnarben bedeckten seinen Körper. Er hatte einen Buckel und trug ein Kettenhemd. Graues, schütteres Haar fiel in Büscheln von seinem Kopf und aus seinem linken, weißlichen Auge rann Eiter heraus. Mit der Gestalt waren zwei menschengroße, abscheuliche Affen erschienen, die bereits auf allen Vieren auf sie zu rannten. Ihr jaulendes Brüllen erfüllte die große Halle. Bargh drückte Zussa hinter sich und erwartete den Angriff. Er sah, dass das mongoloide Gesicht des alten Riesen anfing zu grinsen, als er sich in Bewegung setzte. Er stürmte heran und hob seine Axt. Als die Kreaturen schon fast bei ihm waren, hörte Bargh das Knallen eines Donnerschlages und sah die invertierte Schattenmagie, die in elektrisch zuckender Düsternis die Gestalten durchfuhr. Den Affen schälte der Blitzschlag aus schwarzem Licht die Haut von Gesicht und sie waren sofort tot. Der Riese schrie vor Schmerz und sein Grinsen wandelte sich in dümmlichen Hass. Für einen Moment konzentrierte sich der Riese auf den Blitz. Bargh schnellte schräg nach vorn und schnitt der Kreatur durch den Unterleib. Glimringshert glitt wie durch Butter und die Gedärme des Ungeheuers ergossen sich über den Boden. Im Lauf schwankte der Alte und krachte mit dem Kopf gegen die Felswand. Es gab ein unschönes Knacken, als sein Genick an der Steinwand brach und die Kreatur, wie ein nasser, gewaltiger Sack Fleisch, zu Boden sank.

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Sitzung 68 - Kerker des Nomrus II.
« Antwort #72 am: 23.06.2023 | 21:28 »
Vor ihnen offenbarte sich der dunkle Tunnel, aus dem sie ein Hämmern und ein Klingen von Metall hörten. Bargh, Zussa und Neire betraten den hohen Gang, der von der größeren und emporragenden Halle hinfort führte. Hinter ihnen und in einiger Entfernung, sahen sie die drei Anhänger Jiarliraes den massiven Leichnam des buckligen Axtschwingers, der die, von Neires schwarzem Blitz verbrannten, Affenkreaturen unter sich begraben hatte. Nach dem Kampf hatten sie, schwer atmend, eine Zeit innegehalten und sich zwischen den zerfetzen und verbrannten Leichnamen der Grottenschrate niedergelassen. Sie hatten gebetet und Neire hatte in seinen Büchern der schwarzen Kunst studiert. Dann hatten sie die Gemächer der Grottenschrate und die Behausung des Axtschwingers durchsucht. Die Behausung des Axtschwingers war mit vielen verschiedenen Fellen ausgelegt gewesen, zwischen denen Neire drei besonders wertvolle Felle entdeckt hatte. Am Eingang in die Behausung des Axtschwingers hatten sie dann die Geräusche aus dem nahegelegenen Tunnel gehört, denen sie jetzt nachgingen. Sie folgten dem, in den Stein des Jotenwalls geschliffenen, unterirdischen Weg, der sie um Ecken führte. Auch hier war die Decke an einigen Stellen mit dicken Eichenstämmen abgestützt worden. Sie bewegten sich langsamer und so leise wie möglich, als das Klingen der Hämmer lauter wurde. Als sie an eine Ecke kamen, konnten sie in eine große Halle blicken, die augenscheinlich aus dem Stein gebrochen wurde. Die Luft war von einem nebelhaften Steinstaub erfüllt. Sie sahen zwei riesenhafte, drahtige Gestalten - muskulös, haarlos und von gräulicher Haut. Die Gestalten trugen Meißel und Hämmer und brüllten ab und an Befehle in der gemeinen Zunge. Die Empfänger dieser Befehle waren ausgemergelte, doch kräftige Kreaturen. Sie hatten etwa Neires Größe, doch sie waren in Lumpen gekleidet. Eine grünliche Haut war von einer Staubschicht bedeckt. Sie hatten dunkles, zotteliges Haar, wulstige Gesichtszüge und Hauer, die aus ihren Mäulern hervorragten. „Grabt dort, schneller!“ Die Stimme eines der Riesen schallte durch die Kammer. Die Gestalten hatten Bargh noch nicht bemerkt, da sie ihm den Rücken zugedreht hatten. Zudem trug der heilige Krieger die Düsternis Jiarliraes, die Glimringshert um ihn verbreitete. „Bewegt euch!“ Die Stimme donnerte jetzt wütend und die kleineren Kreaturen zuckten in Furcht davon. Wie wahnsinnig fingen sie an zu graben, hievten große Steinbrocken hinfort. Bargh sah jetzt die zwei Peitschen, die in einer offenen Kiste lagen. Er konnte zudem die teils noch blutigen Striemen auf der Haut der Sklaven erkennen. Der Krieger Jiarliraes hob sein Schild und wartete auf den Angriff von Neire. Lange musste er nicht harren, denn ein glühender Funken von Magma bewegte sich rasend über ihn hinweg. Eine Explosion von rötlich-orangenem Feuer erfüllte die Kammer vor ihm. Er wurde von der Druckwelle zurückgeworfen. Einige der Sklaven wurden augenblicklich zerfetzt, doch in den Flammen der Explosion drehten die Riesen sich herum und zogen ihre Hämmer. Bevor Bargh angreifen konnte, zuckte Zussas weißlich-bläulicher Blitz durch die hünenhafte Gestalt vor ihm. Er stach zu und Glimringshert fällte den gewaltigen Leib. Auch die zweite, vom Feuer verletzte, Kreatur konnte er mit einem schnellen Angriff töten. Er wendete sich zu Neire und Zussa um. Warnend war sein Ausruf, als er auf den Tunnel zeigte. „Dort ein weiterer Riese. Seid auf der Hut.“ Schwere, donnernde Schritte kamen näher. Bargh positionierte sich am Eingang, um die Kreatur zu überraschen. Dann erschien die fast sechs Schritt große Gestalt, die wie ihre Artverwandten von steinerner Haut war. Der Riese trug einen Steinbrocken, von der Größe eines kleineren Pferdes. Jetzt hievte er den Felsklotz über die Schultern, um ihn auf Bargh zu schleudern. Bargh schnellte hervor und ließ Glimringshert tanzen. Blut spritze über ihm auf. Mit zwei tiefen Schnitten öffnete er die Bauchdecke der Kreatur. Die Magie von Neire und Zussa tat ihr übriges. Neires schattenhaft glühende Kugeln schlugen in den Schädel des Riesen, der augenblicklich zu wanken begann. Wie ein gefällter Baum, brachen einst lebende Knochen und Muskelmassen zu Boden.

~

In der Hitze und im Licht der Schmiedeessen blickten sie hinab auf zwei weitere Leiber gewaltiger Kreaturen. Die beiden Toten hatten muskulöse, aber gedrungene Leiber. Ihre Haut war dunkel wie Kohle. Ihre Gesichter hatten selbst im Tode ihren grimmigen Ausdruck behalten. Beide Antlitze hatten harte, reliefreiche Formen und eine hohe Nase. Jedoch war ihnen eine niederträchtige Intelligenz anzusehen gewesen. Während ein Leichnam glatzköpfig war, zeichnete den anderen Toten rotes kurzes Haar aus. Der Kampf war, wie zuvor der Kampf gegen die Steinriesen, kurz und mit einer tödlichen Gewalt geführt worden. Bargh hatte sich, so gut es ging, vorgeschlichen. Neire und Zussa, aber, hatten den Kampf eröffnet und ihre schwarzen Künste entfesselt. Nachdem Bargh die erste Kreatur getötet und die Hammerschläge der zweiten mit dem Schild abgewehrt hatte, war der Krieger Jiarliraes siegreich gewesen. Bargh hatte dem letzten Feuerriesen seine dunkle Klinge in den Oberschenkel gerammt und so fast sein Bein abgehackt. Danach hatte Zussa, getrieben von einer zuvor noch nicht dagewesenen Mordlust, die orkischen Diener getötet. Einige der ausgemergelten Essenhelfer hatten versucht zu fliehen und waren von Zussa aufgespießt worden. Die letzten beiden der acht Diener hatten sich nun vor ihnen in den Staub geworfen. Zussa trat mit einem diabolischen Grinsen hervor. Ihr rotes Haar glitzerte im Feuerschein, als sie den Säbel hob. „Halt! Ihr stark, wir stark. Ihr Herren und wir Sklaven. Wir gute Diener… euch.“ Die gutturale Stimme des Knieenden war im Knistern des Feuers zu hören, als er zitternd in einer, nur Neire bekannten, primitiven Zunge sprach. Zussa, die Worte nicht verstehend, setzte zum tödlichen Hieb an. „Wartet… wir wissen. Wissen wo andere. Andere sich haben gewehrt, gegen Riesen.“ Jetzt hob Neire den verbrannten Arm und wie aus dem Nichts tauchte sein Gesicht im Feuerschein auf. „Haltet ein Zussa. Er sagt, dass er von anderen Kreaturen weiß. Kreaturen, die sich gegen die Riesen gewehrt haben sollen.“ „Wäah, dieses schwache Gesindel von Sklaven lügt. Lasst mich sie töten Neire,“ sprach Zussa voller Verachtung. Zussa dachte zurück an die Gemächer der Steinriesen. Sie hatten die orkischen Sklaven, die sie in diesen Gemächern getroffen hatten, niedergemetzelt. Bereits hier hatte sich Zussas Mordlust gezeigt. Nachdem sie die Schätze der Steinriesen an sich genommen hatten, waren sie unerforschten Tunneln gefolgt. Hinter hölzernen, haushohen Türen, die von außen verrammelt waren, hatten sie weitere orkische Stimmen gehört. Auch eine verlassene, doch kürzlich genutzte, Folterkammer hatten sie entdeckt. Schließlich waren sie dem Geräusch des Hämmerns gefolgt. So waren sie in die unterirdische Schmiedekammer gelangt, an deren Wänden eine Vielzahl von Speeren, Äxten, Schwertern und Schilden - alle in übermenschlicher Größe - aufgereiht waren. Neire legte bei den Worten Zussas den Kopf schief und dachte nach. Sein Tarnmantel verbarg ihn größtenteils, so dass nur sein Lockenschopf und seine linke Hand zu sehen war. „Vielleicht lügt er Zussa, vielleicht aber auch nicht. Wir werden unser Spiel mit ihm spielen,“ sprach Neire, der auf die andere Gestalt zeigt und eine Bewegung des Kehledurchschneidens machte. Zussa grinste erneut und führte ihren Säbel an die Kehle des stummen Orks. Neire sprach jetzt in der fernen Zunge auf die Kreatur ein. „Ihr lügt doch. Ihr sagt uns nicht die Wahrheit. Wer hat sich gewehrt gegen die Riesen und wo sind sie? Wie viele sind es?“ Die sehnige, abgemagerte Kreatur versuchte anscheinend zu zählen, doch Neire bemerkte, dass sie nur die Zahlen Eins, Zwei und Vier in ihrem Wortschatz hatte. Für einen Augenblick musste auch Neire schmunzeln. Dachte er doch an das Spiel, dass sie mit dem schwachsinnigen Walfor in Kusnir gespielt hatten. Bevor der Ork antworten konnte, zog Zussa ihren Säbel zurück und schnitt der anderen Gestalt die Kehle auf. In einem Röcheln von Blut versuchte sich der Ork aufzurichten, doch er verkrampfte in seinen Mühen. Mit einem dumpfen Geräusch brach der noch zuckende Körper zu Boden. „Ihr Meister, könnt töten, ja… Meister stark. Ich Meister sagen, nicht lügen. Waren vier von uns. Sie von unserer Rasse. Sie kämpfen gegen Riesen. Sie versteckt, hinter Steinen im Tunnel.“ Tatsächlich hatten sie zuvor einen Tunnel entdeckt, der erst kürzlich von Geröll blockiert worden war. Er war sich sicher, dass der Ork die Wahrheit sprach und berichtete Bargh und Zussa. „Lasst uns ihn töten. Er ist wertlos für uns,“ war die kurze Antwort von Zussa und auch Bargh nickte bei ihren Worten. „Vielleicht könnte er uns noch nützlich sein. Doch wir werden unser Spiel mit ihm spielen.“ Neire hatte sich bereits hinabgekniet, richtete mit seiner linken Hand sanft den Kopf des Sklaven auf und schaute ihm in die Augen. Der rötliche Schein des Feuers wurde zu einem Farbenmeer aus violetten Tönen, als er die Kraft der Linsen des Jenseher beschwor. Er sprach in lispelnder, schlangenhafter Weise, als er die Kreatur herausforderte. „Ja, ihr seid stark mein Freund, doch schaut euch an. Jetzt seid ihr schwach. Ausgehungert und ausgemergelt. Sie haben euch belogen und sie haben euch schlecht behandelt.“ Neire reichte dem Sklaven einen Dolch, als er in dessen Augen schaute. „Ihr habt sicher Hunger und die Augen eines Riesen sind eine Delikatesse. Schneidet sie heraus und esst sie!“ Einen Moment sah Neire einen Widerstand. Zuckende Gesichtszüge und ein latentes Grauen. „Ich, nein, oh nein… mag nicht… Auge von Riese. Ich essen Kuh. Ich essen Schwein, ja...“ Neire lächelte dem Ork zu und er hörte Zussa und Bargh lachen. Er blickte die Kreatur weiter an und sah den Widerstand schwinden. „Ja, ihr Freund und ihr Meister. Ich Hunger… Hunger groß.“ Schon stand der Sklave auf und begann ein Auge des Riesen herauszuschneiden. Sie lachten, als sie das Schauspiel sahen. Gierig begann die Kreatur zu schlingen. Blut und Gallerte flossen an seinem Hals hinab. Sie hörten ein Knacken von Knorpel, ein Schmatzen und ein Rülpsen. Doch er machte sich bereits über das nächste Auge her. Mit jedem weiteren Bissen war da auch ein spastischer Würgereiz, der stärker wurde. Doch noch war der Hunger größer und die Kreatur verschlang Stück um Stück, Auge um Auge.

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Sitzung 69 - Kerker des Nomrus III.
« Antwort #73 am: 10.07.2023 | 22:18 »
Zussa betrachte das abgemagerte Wesen voller Ekel. Die grunzende Kreatur war kaum größer als Neire. Sie unterhielt sich mit dem Kind der Flamme in ihrer merkwürdigen Sprache. Die Laute waren harsch und guttural, tierisch und primitiv. Doch der ehemalige Sklave der Feuerriesen schien Neire jetzt zu gehorchen. Er folgte jedem seiner Befehle und senkte sein wildes, von Hauern besetztes, Gesicht, während er sprach. Nachdem der Ork, dessen Name Gorlag war, die Augen der Riesen gegessen hatte, war er über die Eingeweide seines ehemaligen Herrn hergefallen. Doch der bereits einsetzende Würgereiz war schließlich größer gewesen und so hatte sich Gorlag mehrfach erbrochen. Dieser Anblick hatte Zussa bereits geekelt und sie hätte das Wesen am liebsten getötet. Sie waren dann aufgebrochen und hatten den Kerker des Nomrus über die Treppe verlassen. In der großen Halle hatten sie das gefesselte Gezücht der Riesen so angefunden, wie sie es verlassen hatten. Das große Feuer der Schale war zu einem rötlichen Glimmen heruntergebrannt und das Fackellicht war erloschen. Einige der menschengroßen Bälger – geistig kaum weiterentwickelt als Säuglinge – saßen in ihrem eigenen Urin und in ihren Fäkalien. Auch die älteren Kinder, die bereits von Barghs Größe waren, hatten sich eingenässt. Der Gestank des grotesken Haufens fleischiger Leichen überdeckte jedoch den Geruch, der von den Bälgern ausging. Neire hatte Gorlag befohlen die dümmlichen Sprösslinge zu reinigen. Der Ork hatte sich daraufhin einige alte Felle herbeigeholt. Er begann gerade die Lendenschürze der gefesselten Kinder herunterzureißen und sie mit einem der Felle abzuwischen. Die Kreaturen, die zuvor mit Knochen des Rinds ein Fechtspiel ausgetragen hatten, fingen an zu weinen, als sie unsanft behandelt wurden. Zussa bemerkte, dass Gorlags Mühen zwar energisch, aber ungeschickt wirkte. Der Ork hatte anscheinend noch nie derartige Arbeiten durchgeführt. Sie wendete sich ab und suchte sich einen weiter entfernten Ort, an dem sie ungestört beten konnte. Sie widmete sich ihren Versen und Reimen, die sie den Geheimnissen von Flamme und Düsternis reichte. Allerdings wuchs ihre Wut, als sie immer wieder um ihre Ruhe gebracht wurde. Gorlag hatte mittlerweile große Bierkrüge von den noch intakten Tischen geholt. Er begann den Zöglingen das abgestandene Gebräu einzuflößen, auch wenn sie sich weinend und schreiend dagegen wehrten. Von den Jüngsten waren bereits zwei Gestalten bleich geworden und mussten sich gerade übergeben. Verkrampft versuchte sich Zussa ihren Gebeten zuzuwenden. Sie dachte immer wieder an ihre Maske. Neire hatte sie darauf angesprochen, als sie hinaufgestiegen waren. Sie hatte sich noch nicht entschieden, welche Form ihre Maske haben sollte. Es war eine wichtige Entscheidung, das wusste sie. Doch sie wollte auch keinen Fehler machen. Sie wollte die Gunst Jiarliraes erlangen. Ihre Gedanken kreisten um ihre Göttin. Die Maske musste Flamme und Düsternis ausdrücken. Doch was sollte sie sein, was würde sie wählen?

„Schaut, Zussa, Bargh. Es sind Anweisungen in der Sprache der Riesen. Eine Aufforderung zum Angriff auf menschliche Städte. Ein Aufruf zu Plünderungen. Ich sehe die Namen Gornar, Lastweg und Flein. Allesamt Städte der Stiurmark. Doch die Schrift… sie ist seltsam. Viel feiner, als es eine von diesen schwachsinnigen Kreaturen hätte schreiben können.“ Sie lagerten noch um das Feuer der Schale, das Bargh während ihrer Rast entfacht hatte. Nach seiner Nachtwache und dem Schlaf, hatte sich Neire dem Studium der schwarzen Kunst hingegeben. Dann hatte er nochmals versucht die Schriftzeichen zu entziffern, die sie in Nomrus‘ Gemach gefunden hatten. Diesmal war er erfolgreicher gewesen und er hatte den Text übersetzten können. „Was meint ihr Neire? Wieso sollten sie es nicht selber geschrieben haben? Wer sonst könnte es für sie schreiben? Vielleicht ein Sklave?“ Zussa runzelte die Stirn, als sie Neire antwortete. Für den Augenblick war ihr Desinteresse verschwunden. „Ein Sklave oder ein Gefangener. Das könnte sein. Aber in den Worten liegt eine Bestimmtheit, die unmöglich von ihnen stammen kann. Vielleicht haben auch jene, deren Hauswappen auf diesem Schreiben zu sehen ist, ihre Finger im Spiel. Vielleicht ist es das Haus von Eil‘Serv.“ Neire sah Zussa und Bargh nachdenken. In der Gesprächspause war das Knistern des Feuers zu hören, dessen Geräusche vom Weinen der Riesenkinder durchdrungen wurde. „Und wenn es so wäre, Neire. Was würde es ändern?“ Jetzt erkannte Neire das Interesse von Zussa schwinden. „Nun, es würde sehr viel ändern. Was sollten diese Dunkelelfen für ein Interesse an der Oberwelt haben. Außer längst vergangener Rachegelüste. In den alten Schriften der Bibliothek von Nebelheim habe ich von ihrer Geschichte gelesen. Von einer Verbannung für ihre Taten, in die ewige Nacht des Unterreichs. Seitdem leben sie dort unten und spinnen ihre Racheintrigen.“ „Ja, sie dienen ihrer Spinnengöttin, deren Name Lolth ist,“ antworte Zussa und fuhr in flüsterndem Ton fort. „Ich habe davon gehört. In den Küstenlanden gab es alte Sagen, die von geraubten Kindern erzählten. Kinder die unter die Erde gebracht wurden und für immer verschwanden.“ Neire verkniff sich ein Grinsen. Er dachte an die Geschichte, die er Bargh erzählt hatte, als er ihn damals in der verlassenen Jagdhütte getroffen hatte. Er nickte Zussa und Bargh zu und strich sich die gold-blonden Locken zurück. „Und Aschwind wird nicht erwähnt. Was merkwürdig ist. Für die Riesen wäre Aschwind ein nahegelegenes Opfer gewesen. Doch in Aschwind war diese Sphäre der Dunkelheit.“ „Seht ihr da einen Zusammenhang, Neire?“ Jetzt sprach Bargh, der Zussa und ihn zuvor ruhig betrachtet hatte. „Ich weiß es nicht. Wir wissen zu wenig, um Weiteres zu erraten. Doch vielleicht finden wir in den unerforschten Bereichen des Kerkers Geheimnisse, die uns helfen.“ Bargh nickte und antwortete. „Ja, lasst uns wieder hinabsteigen. Ich bin das Warten leid.“ Auch Zussa fand an Barghs Worten gefallen und sprang schon auf. Neire nickte und wendete sich zu Gorlag. „Wacht über das Gezücht der Riesen, Gorlag. Es darf ihnen nichts zustoßen. Ihr seid mein Freund und werdet mich nicht enttäuschen. Falls ihr Eindringlinge in diese Hallen bemerkt, kommt zu uns hinab und ruft uns zur Hilfe.“ Der orkische Sklave verzerrte sein Gesicht zu einem schweinischen Grinsen. „Nennen mich Gorlag, Freund ihr, großer Freund.“ Neire nickte ihm zu. „Gebt ihnen zu essen und zu trinken. Und ja… wir haben ihnen erzählt, ihre Eltern schliefen nur. Und sie glaubten uns.“ Beim letzten Satz starrte ihn Gorlag verständnislos an. „Eltern von Abschaum nicht schlafen, Eltern aufgeschlitzt… ja… aufgeschlitzt.“

~

Bargh spürte die Kälte, die das unterirdische Wasser gebracht hatte. Er beugte sich nach vorn und hustete das kühle Nass aus seinen Lungen. Der Trank, den er und Neire zu sich genommen hatten, war wirkungsvoll gewesen. Sie waren durch den unterirdischen Tunnel getaucht und hatten Wasser wie Luft geatmet. Bevor sie in diesen Bereich des Kerkers gekommen waren, hatten sie weitere unterirdische Gemächer erkundet. Sie hatten einige Lagerräume entdeckt, die allerlei Werkzeuge zur Steinbearbeitung enthielten. Hinter zwei verschlossenen Portalen, hatten sie ein Weinlager gefunden. Der liebliche Geruch des Rebensaftes war in dem Gewölbe gewesen, in dem Fässer gestapelt worden waren. Eine Anzahl von 13 kleineren Fässern hatte Neires Aufmerksamkeit gewonnen. Die hölzernen Gebinde waren nicht sehr groß, doch ihren Inhalt hatte er als besonders gehaltreich und kostbar erkannt. Sie waren mit einem Wachs versiegelt gewesen, das einen eingelassenen Totenkopf trug. Ein lichtloser Tunnel hatte sie dann zu einer Halle geführt, die in ihrer gesamten Größe eine unterirdische Zisterne darstellte. In dem tiefen, klaren Wasser hatten Neire und Bargh dann den Tunnel entdeckt, der dort hinwegführte. Nach einer kurzen Beratung hatten sie sich entschieden diesem Tunnel zu folgen, der sie in eine natürliche unterirdische Höhle mit einem Fluss gebracht hatte. Die Strömung des Quellflusses war nicht besonders schnell gewesen und so hatten sie sich an einem Ufer hinaufgezogen. Als Bargh sich aufrichtete, sah er, dass Neire bereits den seidenen Vorhang von Ortnors Labor entfaltet hatte, aus dem Zussa hervorlugte. Sie hatten keine lange Überredung gebraucht, da war Zussa bereits in den merkwürdigen Raum gestiegen. Die Erwähnung des kühlen Wassers hatte ihr Übriges getan. Bargh richtete sich auf und versuchte ein Zittern, so gut wie es ging, zu unterdrückten. Er blickte sich um in der Dunkelheit. An einigen Stellen hatten sich Stalaktiten gebildet. Das gräuliche Gestein des Jotenwalls schimmerte nass in der Feuchtigkeit des unterirdischen Flusses. Bargh beugte sich immer wieder hinab, um nach Spuren zu suchen. Er durchschnitt die Höhle langsam. Hinter einem Felsbrocken und in der Nähe der Wand wurde er fündig. Es waren Löcher im Felsen und in der Erde. Er erinnerte sich an die Spuren, die er beim Verlassen der Irrlingsspitze gefunden hatte. Und diese Spuren waren sehr ähnlich. Bargh dachte zurück an die Angriffstaktiken der Wesen und blickte instinktiv in Richtung der Decke. Dort sah er sie. Raupen-ähnliche Kreaturen, drei Schritt lang. Von chitinernem, wellenförmigem Panzer, der halb transparent schimmerte. Die Wesen tasteten mit mehreren fleischigen Tentakeln, deren ekstatische Zuckungen jetzt zunahmen. Bargh schrie auf und warnte Neire und Zussa. Keinen Augenblick zu spät. Die Kreaturen ließen sich auf sie hinabfallen und ein wilder Kampf entbrannte. Bargh hieb und stich um sich herum und tötete eine der Kreaturen. Doch weitere stürzten hinab und ließen ihre Tentakel vorschnellen. Bargh hörte magische Geschosse schmatzend in den Körpern der Kreaturen explodieren. Er sah Neires Feuer, das die Wesen verbrannte. Einmal spürte ein brennendes Gefühl, als zwei Tentakel seine Haut berührten. Doch Bargh biss die Zähne zusammen und kämpfte weiter. So konnten sie schließlich auch die letzte Kreatur töten. Tief atmete er auf und blickte sich um. Er sah keinen Gegner. Nur Neire und Zussa, die beide unverletzt geblieben waren. Sie nickten sich zu und begannen die Höhle zu durchsuchen. Viel fanden sie nicht und so kehrten sie durch den Wassertunnel zurück.

Geifer lief vom Maul der Gestalt, die an eine Kreuzung von einem Menschen und einem Wildschwein erinnerte. Die Augen des Orks zuckten verrückt und er brabbelte wirres Zeug. Neire beugte sich hinab und blickte dem Wesen in die Augen. Was hatte er wohl hinter dem Altar gesehen? Was hatte er gesehen, als er dort in die Nische blickte? Neire dachte einen Moment nach. Was diese Kreaturen wohl tun würden, in dieser Situation. Neire erinnerte sich an erste ihre Begegnung. Sie waren wieder zu den Türen zurückgekehrt, hinter denen sie die Stimmen der Orks gehört hatten. Von dort war jetzt ein lautes Hämmern gekommen. Neire hatte die Rufe. „Meister, wir hier. Nicht vergessen uns. Wir stark… können dienen. Wir dienen Meister,“ gehört, denen eine fortschreitende Verzweiflung anzuhören war. Neire hatte Bargh die von außen durch einen Bolzen verschlossene Tür öffnen lassen. Er hatte seinen Tarnmantel zurückgezogen und sein lockiges, noch nasses Haar nach hinten gestrichen. Dann war er in den Raum geschritten, der sich in der Dunkelheit auftat. Er hatte gelächelt und die silberne Krone mit dem bläulichen Diamanten hatte gefunkelt. „Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet von Jiarlirae und euer Befreier,“ hatte er sie in ihrer Sprache begrüßt. „Jiarlirae wird eure Göttin sein. Sie ist von Flamme und Düsternis, Trägerin der Geheimnisse. Kniet nieder und betet zu ihr oder kämpft und sterbt.“ Die Kreaturen hatten seinen Worten gelauscht. Doch sie waren verzweifelt und ausgemergelt. Ihr Anführer war hervorgetreten und hatte gesagt, sie würden das Kämpfen vorziehen. Neire hatte ihn betrachtet und war sich unsicher geworden. Doch dann war Bargh hinter ihn getreten und die Angst war den Kreaturen anzusehen gewesen. „Ihr seid der Anführer? Dann kämpft. Mann gegen Mann. Dem Sieger wird die Gunst Jiarliraes zuteil. Gewinnt Bargh, werdet ihr niederknien und Jiarlirae anbeten. Gewinnt ihr… nun ja. Dann seid ihr frei. Das soll unser Spiel sein und wir spielen es jetzt und hier.“ Der etwas größere und stärkere Anführer hatte ihn daraufhin abfällig angesehen und geantwortet: „Wir kämpfen, doch kein Spiel. Kampf und Sieg ist Stärke. Wahres Leben, kein Spiel. Leben von Ork ist Stärke.“ Neire hatte Bargh die Worte übersetzt und Bargh hatte gelächelt. Doch der orkische Anführer wähnte seine Gefolgsleute hinter sich. Er forderte sie zum Kampf gegen Bargh auf. Neire hatte sie dann angeschaut, mit rötlich glitzernden Augen. Er hatte die Macht des Jensehers gespürt und mit lispelnder Schlangenzunge gesprochen. Auf dass sie zurücktreten mögen – und sie waren zurückgetreten. Dann hatte Bargh dem Anführer die kostbare Axt aus Ne’ilurum hingeworfen, die den Namen Bewacher hatte und die sie Waergo von Naarbein in Unterirrling abgenommen hatten. Der Orkanführer hatte die Waffe aufhoben und sich kampfbereit gemacht. In seinen Augen war Angst und Verzweiflung zu sehen gewesen, doch mit der Waffe in der Hand auch eine Hoffnung auf den Sieg. Bargh war nach vorn geschritten und hatte unbarmherzig und schnell zugeschlagen. Göttliche Kräfte hatte der Krieger Jiarliraes aus der Düsternis beschworen. Sein in Flammen gehülltes Schwert hatte die Kreatur der Länge nach in zwei Teile gespalten. Fleisch und Blut waren in der Hitze kauterisiert. Beide Hälften waren danach auseinandergefallen. Bargh, mit glühendem Rubin im rechten Auge, hatte das flammende Schwert Glimringshert getragen und die Orks waren auf die Knie gefallen. Neire hatte mit ihnen gebetet und sie in seinen Bann gezogen. Danach waren sie zu den anderen Gefängnisgewölben geschritten und hatten weitere Orksklaven befreit. Auch diese hatte Neire bezaubert. So waren sie schließlich mit einem Trupp von fast vier Dutzend Sklaven aufgebrochen. Sie hatten die Orks die Steine in dem zugeschütteten Gang entfernen lassen. Dann waren sie in das vorgedrungen, was sich dort hinter befand. Die Höhle, die sie dort entdeckt hatten, hatte ein seltsames Gefühl, wie eine latente Panik, in ihnen erzeugt. Ein unterirdischer Tempel war dort im Felsen gelegen, dessen Gewölbe grünlich schimmerte und von vier Steinsäulen getragen wurde. Auf einer Anhöhe war ein gelblich schimmernder Altarstein zu sehen gewesen und eine dunkle Nische dahinter. Neire hatte einen Ork zum Altar geschickt, doch die Kreatur war in Panik und Furcht davongelaufen. Neire hatte einen weiteren Sklaven geschickt, doch diesmal war nichts dergleichen passiert und auf dem Altar war ein Anhänger mitsamt Halskette aus schwarzem Metall erschienen. Die Kette hatte einen Käfer dargestellt. Neire hatte den Orksklaven die Kette einsammeln lassen und war zur Truppe zurückgekehrt, die den Sklaven, aus dessen Maul Schaum lief, zu Boden drückte. Jetzt stand Neire auf, als er feststelle, dass der Geist nicht mehr zu retten war. „Was macht ein Ork mit ihm. Ihm, der verrückt geworden ist,“ fragte Neire die Gestalten. „Wir töten. Er sterben. Er schwach. Kein Ork mehr. Wir Orks, wir stark,“ war die gegrunzte Antwort. Neire nickte und sprach: „So tut es.“ Es sah, wie einer der Orks seinen Kameraden zu würgen begann. Neire sah Mordlust und Genugtuung in den Augen der Kreatur.

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Sitzung 70 - 100 Orks und ein Fest für Jiarlirae - Teil I.
« Antwort #74 am: 16.07.2023 | 00:26 »
Sie folgten dem Gang durch die Dunkelheit. Hinfort von der seltsamen unterirdischen Halle, deren Anblick bei ihnen ein geistiges Kribbeln und eine Gänsehaut hervorgerufen hatte. Zussa schritt hinter Bargh. Sie glaubte Neire neben sich zu spüren, doch er war durch den Schattenmantel verborgen. Sie drehte sich gerade um und betrachtete mit Abscheu den Tross der Kreaturen, die ihnen folgten. Jetzt waren die Orks glücklicherweise hinter ihr, doch als sie im Gang gewartet hatten, war der Gestank von Schweiß und schlimmeren Körperausdünstungen fast unerträglich gewesen. Zudem konnten einige der Kreaturen nicht aufhören, in ihrer niederen Sprache von Grunzlauten zu brabbeln. Zussa sah in den Kreaturen nicht mehr als Abschaum. Wertlose Sklaven, die sie gerne brennen sehen würde. Sie malte sich bildlich aus, wie sie einen nach dem anderen anzünden würde. Sie konnte ihre Schreie schon hören. Zussa hatte ihr Anliegen schon mehrfach geäußert, aber Neire schien andere Pläne mit ihnen zu haben. Und sie erlaubte es sich nicht, die Stimme von Jiarlirae anzuzweifeln, mit der Neire sprach. So drehte sie sich um, blickte nach vorn und fragte sich, wohin dieser Tunnel führen würde. Neire hatte zuvor angedeutet, dass auf der Karte der Riesen eine Sackgasse eingezeichnet war. Sie waren jedoch auf kein Ende gestoßen. Auch hier war der Tunnel in den Felsen des Jotenwalls geschliffen worden. Von riesiger Höhe, stützten eichene Baumstämme den grauen Stein. Plötzlich war da ein Schimmern in der Dunkelheit. Wie der Schein eines fernen Feuers. Neire mahnte zischelnd Schweigsamkeit und die orkischen Sklaven verstummten. Je weiter sie fortschritten, desto breiter wurden die Wände. Bis sie schließlich auf natürlich geformtes Höhlengestein stießen. Vor ihnen eröffnete sich eine unterirdische Grotte, in die der Gang sie führte. Sie sahen im Licht einer entfernten Feuerstelle Tropfsteinzapfen schimmern, die gleichermaßen an Decke und Boden zu sehen waren. Doch da war auch Bewegung in der Höhle. Zwischen bräunlichen Pilzen, deren Modergeruch zu ihnen strömte, bemerkte Zussa Kreaturen, die sich hinter Tropfsteine duckten. Einige hatten von ihnen Notiz genommen. Andere gingen ungestört ihren Tätigkeiten nach oder saßen am Feuer. Die Gestalten, die hier lebten, waren ausgemergelt und drahtig. Sie waren in Lumpen gekleidet. Ihre Haut schimmerte blass und hatte eine Spur von einem Grünton. Die Köpfe der menschengroßen Kreaturen zeigten eine Verwandtschaft mit wilden Ebern. Große, spitze Ohren standen von hässlichen Schädeln ab und Hauer waren in den Gesichtern zu sehen. Bargh verlangsamte seine Schritte und Neire tauchte aus dem Nichts auf, als er seinen schattenhaften Umhang zurückzog. Zussa verstand nicht die Worte, die Neire zu den befreiten Orksklaven hinter ihnen sprach. Doch wie Neire sich in der Zunge ausdrückte, hörte sich seltsam an. Viel zu melodisch, zischelnd war der Singsang des Jünglings. „Sie sagen, dass es ihre Brüder sind. Orks, die aus der Sklaverei der Riesen geflohen sind. Sie haben sich hier versteckt. Aber sie wissen nicht, wer ihr Anführer ist.“ Zussa hatte Neire aus dem Augenwinkel beobachtet. Sie spürte ihren Herzschlag, das Adrenalin und ließ die Höhle nicht unbeobachtet. Doch noch war keine Regung zu erkennen. Jetzt sah sie, dass Neire Bargh zunickte. Der große Krieger Jiarliraes, den eine Aura von Dunkelheit umgab, nahm sein Schwert und stieß es rhythmisch gegen sein Schild. Helle Klänge von Ne’ilurum drangen durch die Höhle und augenblicklich sah Zussa hektische Bewegungen in den langen Schatten, die das Feuer warf. Um sie herum begannen sich die Orks der Höhle zu sammeln. Sie trugen schartige Waffen oder einfache Werkzeuge, doch sie blickten sie feindselig an. Neire wechselte einige Worte mit ihnen, aber ihre dunklen Augen starrten sie weiter feindselig und hasserfüllt an. Dann waren drei Orks erschienen, die größer und muskulöser als alle anderen waren. Auch entdeckte Zussa bei ihnen weder Wunden, noch Narben von Folter. Die drei waren jeweils mit einer Schlachtenaxt, einem langen, Macheten-ähnlichen Messer und einem Krummsäbel bewaffnet. Zussa bemerkte, dass Neire etwas zitterte bei ihrem Anblick. Doch Bargh baute sich vor Neire auf und gab ihm Sicherheit. Neire unterhielt sich eine Zeit mit den Orks. Dann hatte das Kind der Flamme einen Monolog in der Sprache der Kreaturen gehalten und seine Augen hatten rötlich geschimmert. Der Anführer und seine Gefolgsleute hatten die Waffen gesenkt und sie waren ihnen gefolgt. Die beiden Unteroffiziere des Anführers waren aber feindselig und misstrauisch geblieben. Neire hatte einen Befehl gegeben und sie waren wieder aufgebrochen. Auf dem Rückweg durch den Tunnel hatte Zussa Neire gefragt. „Was habt ihr mit ihnen gesprochen und wann werden wir sie endlich los?“ Neire hatte sie daraufhin unverständnisvoll angeblickt. „Ich habe sie begrüßt und ihnen von ihrer Befreiung durch Jiarlirae berichtet. Ich habe verlangt, mit ihren Anführern zu sprechen. Dann habe ich mit ihrem Anführer, Odzor, gesprochen. Ich habe ihm erzählt, von Nomrus. Dass wir ihn getötet haben und...“ Zussa unterbrach Neire bei diesen Worten. „Ihr habt wohl vergessen, dass ich Nomrus getötet habe“, brachte sie lachend ein. „Ja, ihr habt ihn getötet. Doch sie waren nicht überzeugt. Sie glaubten uns nicht. Sie wollten sogar die Sklaven töten, die wir aus den drei Kammern befreit hatten. Ich erklärte ihnen, dass man manchmal dienen muss um zu töten. Doch sie verstanden es nicht. Also habe ich sie überzeugt, durch die Augen des Jensehers. Jetzt gehorchen sie mir… bis auf Gruk und Urzul, die beiden Unteroffiziere. Sie sollen ihr Schicksal selbst bestimmen.“ Zussa nickte und verbiss sich ihre Wut. Sie hatte eigentlich gehofft die Kreaturen alsbald loszuwerden, doch sie ahnte, dass Neire etwas mit ihnen vorhatte. Sie waren bereits in den zentralen Bereich des Kerkers zurückgekehrt und standen jetzt vor den drei verschlossenen Gefängniszellen, aus denen sie stöhnende Laute und einen Gestank von verwesendem Fleisch und Fäkalien vernehmen konnten. Die Menge der Kreaturen begann bereits unruhig zu werden, als sie die Rufe ihrer Artgenossen aus den Zellen hörten. Bargh hob Neire hinauf zu einem Schloss, das, für sie unerreichbar, in einer Höhe von drei Schritt befestigt war. Neire zog einen langen Schlüssel hervor und begann mit beiden Händen das Schloss zu öffnen. Als Bargh das riesenhafte Portal aus Baumstämmen aufzog, stürmten die ersten Kreaturen hervor. Teils von grässlichen Wunden bedeckt, humpelten sie heran. Der Gestank wurde dadurch nicht weniger und Zussa biss sich wütend auf die Zunge. Sie dachte an Feuer und Dunkelheit. An die schönen Stunden der Reise und ihren Kampf. Barsch war ihr Ausruf, der ihr Ungemach unterstrich. Und Neire erhörte sie. So wandte sie sich um und verließ den Kerker. Sie wollte in der Halle des Nomrus verweilen und sich ihrer Göttin zuwenden. Sie tat, wie ihr gewiesen wurde und dachte an ihre Maske, an Flamme und Düsternis. Sie dachte an Neires Gebete aus Nebelheim. Wann würde sie die okkulte Sprache von ihm lernen?

Neire hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Kreaturen zu zählen, die Odzor nach oben führte. Der Anführer schrie beständig grunzende Befehle in Richtung seine Gefolgsleute. Doch er wendete sich auch zu Neire, um ihm wieder und wieder die gleichen Fragen zu stellen. „Ihr Freund. Guter Freund. Ich auch Freund. Wo tote Riesen, wo Bastard… genannt Nomrus. Ihr zeigen gemordeten Nomrus. Freund versprechen mir.“ Neire nickte und lächelte Odzor an. Der Anführer der Orks war fast einen Kopf größer als er selbst. Sein Schädel war breiter und schweinischer, als die seiner Artgenossen. Eine Glatze zeigte sich hinter der fliehenden Stirn. Die Kreatur wirkte furchteinflößend auf Neire, doch er spürte die schwarzen Kräfte des Jensehers wirken. „Habt Geduld Odzor. Ihr werdet es schon bald sehen.“ Der Anführer gab sich mit seiner Antwort zufrieden, wie ein kehlig-nasales Gurgeln erkennen ließ. Als Neire und Bargh die Halle betraten, empfing sie der Gestank der Leichen, die im Eingangsbereich aufgetürmt waren. Hinter ihnen brach augenblicklich ein Tumult aus. Jubelschreie und tiefes Grunzen zeigten die Freude der Orks, als sie ihre aufgeschlitzten Meister sahen. Im Haufen der Kreaturen brachen sich chaotische Wellen von Hass ihre Bahn. Orks stießen andere um und kletterten auf den Haufen von Leichen. Sie schlugen mit ihren einfachen Hämmern auf Köpfe und rissen Gedärme heraus. Neire war mit Bargh bereits etwas vorgegangen. Er sah, dass Zussa sich im Bereich des verbrannten Thrones niedergelassen hatte, ihn jedoch beleidigt und entrüstet anschaute. Zudem hörte er ein Weinen und Schreien von den gefesselten Zöglingen der Riesen. Ein weiblicher Säugling, wohl kaum älter als ein Jahr, doch bereits so groß wie ein erwachsener Mensch, hatte sich in einen Schreikrampf gesteigert und ihre Stimme war deutlich durch die lärmenden Orks zu hören. Zussa brachte das Schreien aus der Fassung und Neire sah, wie sie auf die Kreatur zuschritt. Sie brüllte dem Kind etwas zu, doch das Schreien wurde dadurch nicht weniger. Zuerst begann Zussa das Riesenmädchen zu Ohrfeigen, doch als das keine Wirkung zeigte, schlug sie mit der Faust zu. Erst als das debile Geschöpf mit blutender Nase nach Luft schnappte, ließ Zussa ab. Die Orks waren mittlerweile in die Halle des Nomrus gestürmt und hatten sich an den Bänken verteilt. Es war ein heilloses Chaos ausgebrochen, als sich einzelne Sklaven um Essens- und Bierreste stritten. Erst als Neire Odzor zu sich rief und ihn aufforderte für Ruhe zu sorgen, ließen sich die Kreaturen nieder. Neire begann seine Worte an sie zu richten. Er sprach von der Schlacht gegen die Riesen und vom Ruhm Jiarliraes. Doch Neires Worte waren auch fordernd. Sie hatten Vorbereitungen zu treffen. Er wusste, dass die Orks ihm Folge leisten würden. Ein Fest zu Ehren der Göttin musste vorbereitet werden. Ein Fest, das keiner von ihnen jemals vergessen sollte.

Sie hatten sich alle an den Vorbereitungen beteiligt. Bargh, Zussa und Neire. Die Orks hatten zu Anfang zwei einfache Befehle erhalten. Die Köpfe der Riesen abzuhacken und die Leiber in die Vorhalle zu schaffen sowie die Küche und die Vorratskammer zu plündern. Bargh hatte derweil das Feuer der großen Schale wieder entfacht und Neire und Zussa waren mit einigen Orks in die Höhlen hinabgestiegen. Dort hatten sie nach Heilkräutern gesucht. Bis auf einige Giftpilze hatten sie jedoch keine Kräuter finden können. Vor einem entfernten Bereich der natürlichen Grotten hatten die Orks sie gewarnt. Dort würden sich gefährliche Kreaturen aufhalten. Sie waren daraufhin zurückgekehrt und hatten sich um die verwundeten Orks gekümmert. Bargh hatte einen Kessel mit Wasser heranschaffen lassen, in dem sie Leinentücher ausgekocht hatten. Dann hatten sie die teils vereiterten Wunden der Orks behandelt. Zussa hatte derweil den Bereich um den alten Thron mit kostbaren Fällen aus Nomrus‘ Gemächern ausgelegt und sich um Sitzgelegenheiten gekümmert. Vor den Stufen der Erhöhung hatte sie zudem die Köpfe der Riesen - etwa drei Dutzend Stück – hinschaffen lassen, die Zussa jetzt wie kleine Säulen ausgerichtet hatte. Bis auf die Kriegerfrau des Nomrus waren alle Leichen geköpft und herausgeschafft worden. Um die brennende Feuerschale saßen die weinenden Bälger der Riesenrasse. Dort hinter waren die Vorräte aufgetürmt. Große Käseräder und zwei mannshohe Kessel mit Suppe. Lange Wurstketten und Räucherfleisch. Riesige Brote und einige der gebratenen Rinderhälften. Hölzerne, eisenbeschlagene Fässer mit Bier, Met und Wein. Das Fest hätte beginnen können, wäre da nicht Gruk gewesen. Während der Vorbereitungen hatte er sich grölend auf eines der Käseräder gestürzt, hatte andere Orks aufgefordert es ihm gleich zu tun. Doch keiner war ihm gefolgt. Selbst Urzul, der bereits einen Schritt in die Richtung der Käseräder gemacht hatte, war zurückgeblieben. Zu groß war seine Verunsicherung gewesen, hatte er doch bemerkt, dass niemand Gruk gefolgt war. So hatte sich Neire abermals an Odzor gewandt. Der Anführer hatte Gruk niedergerungen. Sie wollten ihn hier und vor den Augen aller totgeschlagen haben, doch Neire hatte das abgelehnt. So hatten sie Gruk gefesselt und zu dem Gezücht der Riesen gelegt. Sein Schicksal musste entschieden werden, bevor das Fest begann. Neire war aufgestanden und hatte Odzor um Ruhe befohlen. Es sollte der Anfang sein.