Autor Thema: [AD&D 2.5E] Von Feuer und Düsternis – Erzählungen aus Euborea  (Gelesen 26974 mal)

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Sitzung 110 - Eisenfeste Sverundwiel
« Antwort #125 am: 20.07.2024 | 13:42 »
Die Luft um sie herum war erfüllt von flimmernder Hitze und beißendem Rauch. Es roch nach brennendem Stein, nach Gasen aus dem Erdinneren und nach Schwefel. Sie hatten nicht lange am See aus Lava verweilt und den brennenden Strom hinter sich gelassen. Auch der Eisenfeste Sverundwiel hatten sie den Rücken gekehrt und das imposante Bauwerk bald nicht mehr gesehen. Die Luft war zwar etwas kühler geworden, trotzdem hatte ihnen, insbesondere aber Kulde, die Hitze zu schaffen gemacht. Sie hatten sich daher entschieden eine Zeit zu rasten, um sich auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Ihr kurzes Lager hatten sie im Schutze einer großen Felsnadel aus dunklem Basalt angebrochen. Sie waren alle durstig gewesen und hatten getrunken. Der jugendliche Hügelriese Kulde, der bereits eine Größe von mehr als vier Schritten erreicht hatte, hatte ungeduldig seinen Wasserschlauch hervorgezogen und gierig getrunken. Er war so hastig gewesen, dass ein Teil des Wassers an seiner Kleidung aus Fell und Rüstungsteilen heruntergelaufen war. Edda hatte dem nicht lange zugesehen und sprach den Riesen an. Der Morgen war bereits angebrochen, doch die ersten Strahlen der Sonne drangen nicht durch die Rauchschwaden. „Kulde, ihr solltet langsam trinken… es ist nicht gut so schnell zu trinken. Glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche. Ich komme aus dem fernen Süden, aus Vintersvakt. Aus der großen Hitze.“ Die fast 17-jährige Schülerin der Akademie Schwarzenlohe schaute Kulde mit ihren großen blauen Augen an. Auch in Eddas symmetrischem Gesicht waren Wassertropfen zu sehen, die sich auf ihrer Stirn gebildet hatten. Sie stand vor dem sitzenden Kulde, der sich mit dem Rücken an die Felswand gelehnt hatte. Trotzdem überragte der Riese die junge Frau noch. Kulde glotzte Edda an, als ob er ihre Worte nicht verstehen würde. Sein Mund war schwachsinnig geöffnet, bevor er anfing zu sprechen. „Aber… Kulde dursshtig… dursshtig grossh.“ Edda schüttelte den Kopf und lächelte Kulde an. Ihre schwarzen langen Haare klebten an ihrer Stirn. „Nein… nein Kulde. Glaubt mir, ich weiß wovon ich spreche. Trinkt langsam, auch wenn ihr Durst habt. Sonst verschüttet ihr noch alles. Und… je mehr ihr trinkt, desto mehr schwitzt ihr auch.“ Kulde nickte, doch es schien, als hätte er ihre Worte nicht verstanden. Dennoch fügte er sich der Anweisung Eddas und trank nicht mehr. Als sich Edda wieder ihrem Zauberbuch zuwendete, hatte Kulde bereits vergessen, dass er durstig war. Sie verbrachten danach einen Teil des Vormittags in schweigsamer Stille. Nur das Schnarchen von Kulde war zu hören, denn der Hügelriese hatte den Kopf nach vorne sinken lassen und war in einen Schlaf gefallen. Dann erhob sich Neire und sprach zu seinen Begleitern. Kulde, Heergren und Edda bildeten einen Kreis mit dem Kind der Flamme. „Wir werden bald aufbrechen und ich frage euch hier und an diesem Ort: Seid ihr auf der Seite der Schwertherrscherin? Seid ihr auf der Seite von Jiarlirae.“ Heergren, der nicht unter dem Einfluss von Neires Augen stand, antwortete zuerst. Heergrens kobaldblaue Augen funkelten in seinem glatzköpfigen Schädel, unter dessen rechtem Ohr eine wulstige, noch rote Narbe zu sehen war. „Ich diene ihr und stehe auf ihrer Seite, jawohl. Wäre es nicht wegen ihr und wegen Meister Halbohr, wäre ich jetzt bereits tot. Sie holte mich aus dem Gefängnis und gab mir meine Chance auf Ruhm und Reichtum.“ Heergren nickte und sein langer geflochtener Bart wippte, als wolle er seine Worte unterstreichen. Auch Kulde schloss sich Heergren an und sprach mit langsamen lispelnden Lauten. In seinem hässlichen Gesicht mit der fliehenden Stirn und der platten Nase klebten seine dünnen, von Schweiß nassen, schütteren Haare. Er bewegte seinen Unterbiss ungelenk, während er seine Worte erhob. „Herrin gut, Herrin sshtark. Herrin von Feuer. Feuer heissh, Feuer sshtark.“ Zuletzt trat Edda an Neire heran. Sie legte ihre Hand um seine Schultern und lachte. „Ja, Kulde ihr habt Recht. Doch Neire zeigte mir auch das Heiligtum, die schwarze Sphäre der Schatten. Ich glaube an Jiarlirae, die Macht über Portale in Höllenwelten besitzt. Ich glaube und vertraue auch ihrem Propheten. Er zeigte mir die schwarze Kunst der Schatten. Und im Gegenteil zu den Priestern des Eises, verdammt sollen sie alle sein, erzählte er mir von Jiarliraes Geheimnissen und von der heiligen Stadt, von Nebelheim.“ Als sie die Priester des Eises ansprach, verzog Edda ihr hübsches Gesicht, als würde sie sich vor etwas ekeln. Jetzt antwortete Neire und schaute sie alle feierlich an. „Ich habe gebetet und um ihre Hilfe gefleht. Wir werden aufbrechen und ihren Segen haben. Da ihr Jiarlirae dient, wird euch ihr Segen zuteilwerden. Es ist der Schutz vor dem Feuer, den sie euch verleiht. Für euch, Kulde, soll es ein großer Kampf werden. Ihr habt noch keinen Namen, wie Gruschuk, der Grausame. Ihr müsst kämpfen Kulde! Ihr müsst heute für Jiarlirae kämpfen und euch euren Namen verdienen.“ Kulde streckte sich und erschien noch größer. Er ließ seine Muskeln spielen. Für einen Hügelriesen war er muskulös, offenbarte fast keine Spuren von Körperfett. Er schlug sich auf die Brust und streckte seinen Morgenstern in den von Schwaden gefüllten Himmel. „Kulde issht grossher Krieger. Kulde grössher, Kulde sshtärker als Grusshuk. Kulde bereit für Kampf.“ Neire nickte und seine Stimme verfiel in einen choralartigen Singsang. „Lasset uns beten, die alten Verse von Nebelheim. Sprecht mir nach, Diener von Jiarlirae. Sprecht die Weisen der Dame des aufsteigenden abyssalen Chaos und preiset die schwarze Natter, als Abbild unserer Göttin. Weinet nicht um die verglimmenden Feuer, weinet nicht um die erlischende Glut. Denn die Dunkelheit birgt ihre Ankunft, Schatten ist das Licht unserer Göttin und Flammen der Morgen ihrer Heiligkeit.“ Die Stimmen von Edda, Heergren und Kulde beteten die Worte. Kulde stammelte zwar, konnte aber einige Silben richtig sprechen. Ihre Stimmen hallten vom Felsen zurück, verloren sich aber im dumpfen Brodeln von ferner Magma und im Pfeifen der Gase des Höllenkessels.

Neire blickte seine Mitstreiter an, die vor ihm gingen. Das Donnern und das Tosen der Ströme von Magma verschluckten alle anderen Geräusche. Der See aus flüssigem Gestein schimmerte in orangenen bis hell-gelben Tönen; die Luft flimmerte vor Hitze. Nur durch die Schutzmacht von Jiarlirae, durch den Bannspruch, dessen Macht Neire seinen beiden Gefährten Heergren und Kulde gewährt hatte, waren die beiden in der Lage hier unbeschadet zu wandeln. Er hatte Kulde und Heergren die Schutzrune aus Quecksilber auf die Stirn gemalt und die silberne Flüssigkeit brennend in ihrer Haut schwinden sehen. Kulde hatte den Schutz mit - Feuer aussh, nissht mehr heissh, Göttin sshtark - kommentiert. Ihm selbst gab die Göttin fortwährenden Schutz und Edda trug den magischen Ring, den er ihr geschenkt hatte. Sie waren zum glühenden See hinabgeschritten, der durch die gleißenden, dünnflüssigen Fontänen gespeist wurde, die aus den Köpfen der zwergischen Kriegerstatuen hervortraten. Rechts neben ihnen ragte der schwarze Stahl der Festungswand auf. Sie schritten über die dunklen Stufen zu dem riesigen Portal, das in der Mitte der vier Statuen lag. Der See war jetzt hinter ihnen. Wäre es nicht um den Schutz vor der Hitze gewesen, hätten ihre Kleidung und Haare längst Feuer gefangen. Jetzt blickten sie auf das doppelflügelige, etwa fünf Schritt hohe und breite Portal, dessen linker Flügel verbogen war. Es so aus als ob jemand den Flügel hätte herausreißen wollen, wie vor langer Zeit. Neire schlich sich voran und untersuchte die Türflügel, während Edda nach Spuren suchte. Der Jüngling fand einen Mechanismus, der von einem eingelassenen Türknauf gesteuert wurde. Der Türknauf des anderen Flügels war durch die Beschädigung unbrauchbar geworden. Neire spürte wie Edda an ihn herantrat. Er hörte ihre Stimme, als sie ihm ins Ohr rief. Sie machte einen ängstlichen Eindruck auf ihn, seitdem sie sich Sverundwiel genähert hatten. „Es sind Spuren hier, einige Spuren. Von Riesen, aber auch von anderen. Kleinere Wesen. Die Spuren sind alt. Älter als sechs, vielleicht sieben Monde.“ Neire nickte und blickte in die Gesichter, die von brennendem Magmaschein erhellt wurden. Alle hatten ihre Waffen gezogen, als er begann den Türknauf zu drehen. Leise hörten sie ein Klacken, wie von einer Vielzahl von Mechanismen. Dann begann Neire den Flügel des Portals aufzudrücken. Anfangs musste er die Trägheit überwinden, doch dann glitt die Türe lautlos auf. Im Inneren lag eine imposante Kammer. Sie war unbeleuchtet und aus schwarzem Obsidian. Im unteren Bereich konnte er zudem zerstörte Türen sehen. Treppen führten auf Podeste und auch auf eine höhere Ebene. Vorsichtig lauschend schlich der Jüngling voran. Neires feine Ohren hörten ein fernes Geräusch, wie ein krankes Stöhnen, das sich mit einem heiseren, dunklen Husten abwechselte. Die Ferne der Geräusche sagte ihm, dass das, was immer es auch war, hinter einigen Türen und Kammern sein musste. Er zog seinen Tarnmantel zurück, blickte sich um und winkte die anderen hinein. Heergren drückte als letzter den Portalflügel zu und das Magmalicht verschwand in den Schatten. Das donnernde Geräusch der Fluten war jetzt gedämpft und die Luft war viel kühler. Neire hörte das Schnaufen von Kulde, der sich unsicher und blind in der Dunkelheit umschaute. Erst das Licht einer Fackel, das Neire für den Riesen entzündete, nahm ihm seine Starre. Neire reichte das Feuer seinem großen Begleiter, dessen penetranter Schweißgestank sich jetzt im Inneren der Halle ausbreitete. Er zeigte auf die Türen und zischelte zu Heergren und Edda. „Wartet hier, ich höre ein Geräusch, doch es ist weit entfernt. Ich werde mir anschauen, was hinter den Türen ist.“ Dann schlich er sich aus dem Lichtkegel hinfort in die Dunkelheit. Hinter den zerstörten Portalen fand er einen Tunnel, der in den Basaltstein des Berges geschlagen war. Neire bewegte sich vorsichtig weiter. Er entdeckte einige Gewölbe, die auf Wach-, Schlaf-, Ess- und Küchenräume hindeuteten. Die Einrichtung war zerschlagen und auf dem Boden verteilt. Waffen hatten angefangen zu rosten. Nachdem er den Rundgang um die Halle erforscht hatte, kehrte er zurück. „Ein Tunnel, der in Räume führt. Dort wurde geplündert, wie es scheint.“ Heergren trat jetzt zu Neire und seine blauen Augen schimmerten im Fackellicht. „Was ist mit meinem Volk, Prophet? Habt ihr Leichen, Spuren eines Kampfes gesehen?“ „Nein, da war nichts Heergren. Keine Leichen und keine Kampfspuren. Es müssen aber die Feuerriesen gewesen sein, die hier gewütet haben.“ Heergren nickte enttäuscht und Neire legte ihm seine verbrannte Hand auf die Schulter. „Kommt Heergren. Wir werden herausfinden, was in der Eisenfeste Sverundwiel passiert ist.“ Neire schlich sich wieder voran, die Treppen hinauf, die auf einem Podest mündeten. Von dort aus konnte er auf das Fackellicht von Kulde hinabblicken. Jetzt sah Neire das Strahlenmuster, das in den Boden der Halle eingelassen war. Zwergische Runen schimmerten dort und breiteten sich von einem Mittelpunkt aus. Jeweils zwei Strahlen waren in Gold, Silber und Ne’ilurum gearbeitet. Von dem Podest führten zwei freischwebende Treppen nach oben. In eine Ebene, die über ihm bereits geöffnet war. Auf der anderen Seite des Portals war ein weiteres solches Podest zu sehen, von dem ebenso zwei freischwebende Treppen hinaufführten. Neire schlich weiter. Die Treppen endeten an metallenen, zylinderförmigen Einfassungen – dort wo sie auf der oberen Ebene mündeten. In der Dunkelheit eröffnete sich vor ihm ein spitz zulaufendes Gemach. An der gegenüberliegenden Wand sah er sechs Throne. Zwei waren jeweils aus Gold, aus Silber und aus Ne’ilurum. Der Boden war mit Fellen ausgelegt und das Gemach musste einst, wie ein nachtzwergischer Thronraum, pompös ausgesehen haben. Jetzt waren die Felle vergilbt und fehlten in einigen Bereichen. Er bewegte sich weiter nach vorn und horchte. Atmen und Stöhnen waren lauter geworden, doch immer noch weiter weg. Hinter ihm hörte er die Schritte seiner Kameraden. Jenseits der Türen des Sechsthronraumes fand Neire ein umfassendes Gewölbe, das eine Art Waffen und Schreibkammer darstellte. Armbrüste, Munition und eiserne Halterungen waren vor Schießscharten angebracht, die in den Sechsthronraum zeigten. Zwei Wendeltreppen führten weiter nach oben. Hier war sich Neire sicher, dass das Stöhnen vom Ende beider Treppen herrührte. Er wartete bis seine Kameraden aufgeschlossen hatten, gebot ihnen auf seine Rückkehr zu warten und schlich sich hinauf. Lauter und lauter wurde das Geräusch von Husten und Sabbern. Er wollte sich anschauen was dort war. Dann würde er zu seinen Mitstreitern zurückkehren.

Kulde keuchte und knirschte mit den Zähnen. Er hatte nicht alle Worte verstanden, die Neire gesagt hatte. Zu schnell hatte der Prophet, sein bester Freund, zu ihm gesprochen. Er hatte das Wort Kampf und das Wort Feuerriesen gehört und seine Wut war explodiert. Jetzt kniff er die Augen zusammen und ging Schritt für Schritt die Wendeltreppe hinauf. Den Morgenstern trug er in der Rechten und die Fackel in der Linken. Heergren und Edda gingen hinter ihm, doch das hatte Kulde bereits vergessen. Jetzt hörte auch er ein Stöhnen und ein Sabbern. Dann war da ein Husten. Er ging schneller und schabte am Stein entlang. Kulde wollte kämpfen. Er wollte beweisen, dass er stärker als Gruschuk war. Stärker und grausamer. Er wollte töten. Dann war da plötzlich das Ende des für ihn engen Ganges. Da war Bewegung. Ein aschfahles Gesicht blickte ihm entgegen. Der Riese war größer als er und hatte rotes, verdrecktes langes Haar. Schaum hatte sich vor seinem Mund gebildet und seine bernsteinfarbenen Augen blickten, wie von einem wirren Hass getrieben. Die Gestalt vor ihm schrie, als sich spastisch, wie von einer Tollwut, seine Muskeln verkrampften. Sein Gegner hob seine Hand zum Schlag. Kulde nahm nicht die eiternden Wunden und die abgerissene linke Hand der Kreatur wahr. Er schlug mit seinem Morgenstern zu. Die schwere Kugel rammte gegen die Rüstung des Feuerriesen. Für den zweiten Angriff hatte er nicht genügend Weg zum Ausholen. Kulde versuchte sich noch unter dem Faustschlag hinweg zu ducken, doch die Wucht traf ihm auf den Kiefer. Er schmeckte das Blut, fühlte den Schmerz und seine Wut wurde zu Zorn, als er seinen Gegner verhöhnte. Kulde drängte den Feuerriesen zurück, mit all seiner Kraft. Dann holte er aus und rammte die Ne’ilurum Kugel gegen den Schädel seines Widersachers. Das Jochbein wurde eingedrückt und ein Auge quoll heraus. Mit spastischen Muskelzuckungen sank der Feuerriese zusammen. Kulde blickte sich um. Er brüllte, grunzte und schnaubte. Er wollte kämpfen und töten. Er sah nicht die tiefen Schnitte im Rücken des toten Riesen, die Neire dem Gegner zugefügt hatte. Dann war da dieses Geschöpf, wie ein Insekt. Er hob den Morgenstern zum Schlag. „Kulde, ihr blutet… lasst mich eure Wunde ansehen.“ Kulde kam die Stimme bekannt vor, er hörte seinen Namen. Der junge Riese hielt die Fackel hinab und sah das schöne Gesicht von Edda. Ihre Lippen glitzerten rötlich im Schein der Fackel. Kulde grinste sie an und seine Wut versiegte. Er nickte ihr zu, als er seine Muskeln spannte. „Guter Kampf, sshiegreissher Kampf. Kulde sshtark.“ Der stinkende Riese beugte sich zu dem Mädchen hinab und ließ sich auf ein Knie sinken.

Edda wendete geekelt ihren Blick ab. Der zweite Feuerriese hatte sie nicht angegriffen und lag siechend auf dem Boden. Er hustete Geifer aus seinem Maul und gab ein wehleidiges Stöhnen von sich. Sein linker Arm war ihm an der Schulter abgerissen und einer seiner Füße fehlte. Der gesamte Körper der Gestalt war von eitrigen Wunden bedeckt. Die Haare hatten angefangen auszufallen und ein großer Teil seines offenen Kiefers offenbarte eitriges Muskelfleisch. Neire hatte den Körper der Gestalt vorsichtig untersucht, nachdem sie die Wunde von Kulde versorgt hatten. Der Jüngling hatte ihr gesagt, dass er in den Wunden Konturen, wie von stumpfen Zähnen hatte entdecken können. Als Edda sich gerade abwendete hörte sie das leise Flüstern von Neire. „Edda kommt und schaut. Es gibt eine Bibliothek hier.“ Bei den Worten vergaß Edda ihre Furcht und schritt durch die dunklen Hallen. Seitdem sie mit Neire die Kunst der Schatten studiert hatte, konnte sie auch fast völlige Dunkelheit durchblicken. Ihr selbst kam es so vor, als würde sie mit einem dritten, unsichtbaren Auge blicken. Ein drittes Auge, dessen Kraft sie wie einen Muskel trainieren konnte. Sie kam vorbei an weiteren Wachräumen, deren Einrichtung geplündert und verwüstet war. Dann eröffnete sich das Felsgemach vor ihr, in dem sie Regale aufragen sah. Auch hier waren die Spuren von Zerstörung zu erkennen. Auf dem Boden lagen zerrissene und zerfetzte Bücher. Die Regale waren an einigen Stellen beschädigt. Neire stand dort, gebeugt über ein Pult. Er hatte seinen Schattenmantel zurückgezogen und blätterte in einem Wälzer. Als er sie eintreten sah, flüsterte er. „Kommt Edda. Das müsst ihr euch anschauen. Es sind ihre alten Aufzeichnungen. Ihr versteht doch die Sprache der Nachtzwerge.“ Edda nickte und ging zu Neire. Sie hatte die Sprache der Duergar gelernt, seitdem sie sich in der Akademie Schwarzenlohe eingeschrieben hatten. Sie war zwar noch nicht besonders geübt in der Sprache, konnte aber bereits viele Worte verstehen. „Was habt ihr gefunden Neire? Was steht in den Schriften?“ Neire gab ihr ein anderes Buch und lächelte sie an. „Hier, lest das Edda. Wer weiß wieviel Zeit wir haben. Es sind alte Aufzeichnungen über die Eisenfeste Sverundwiel. Einige Schriftstücke sind nur Auflistungen, andere aber erzählen die alte Geschichte dieses Ortes.“ Edda begann neugierig zu lesen. Sobald sie oder Neire neue Geheimnisse über diesen Ort entdeckten, teilten sie das Gefundene. So lernte sie über die Gründerväter dieses Ortes, die sechs Baumeister der Feste. Ein jeder dieser Altvorderen war ein Meister seines Faches. Ihre Namen waren: Dardal Vengerbergh, Meister des Goldes. Hulthrum Aschfall, Meister des Stahls. Thodek Nihthruk, Meister des Erzes. Hhelmin Niederstein, Meister des Steins. Daerdrin Balnheim, Meister des Feuers. Nimnor Steinbart, Meister des Werkzeugs. Sie alle wurden als stolze Vertreter der nachtzwergischen Rasse dargestellt und hatten Sverundwiel mit dem Ziel errichtet, Reichtum durch den Handel mit Oberweltlern anzuhäufen. Dieses Vorgehen hatte unter den Nachtzwergen wohl für Unmut gesorgt, betrachteten die die Duergar doch die Oberweltler als niederen Abschaum. In den Pergamenten gab es zudem Hinweise über Schätze jenseits des Goldes, verborgen in unerforschten Tiefen. Edda las von den Geheimnissen der Minen und Wichtigkeit der Suche nach neuen Erzen. Die Dokumente verfolgten aber andere Themen, je jüngeren Ursprunges sie waren. Sprachen die alten Schriften noch von den Künsten der Erzsuche und dessen Verarbeitung, geriet das Minengeschäft mehr und mehr in den Hintergrund. In den neueren Aufzeichnungen fand sie philosophische Ansätze über die Dualität des Seins, über Leben und Tod. Ein anderes Schriftstück ging auf Artefakte und verborgene Dinge ein. Im Speziellen wurde von einem Kragen der Träume gesprochen, der sich wohl irgendwo in der Nähe befinden sollte. Edda hatte schon in ihrer Heimat alte Geschichten gehört. Über Künste, die einem ein Eindringen in die Träume anderer erlauben sollen. Sie las die alten zwergischen Runen und hatte fast vergessen, an welchem Ort sie sich hier befand.

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Sitzung 111 - Mine Sverundwiel
« Antwort #126 am: 26.07.2024 | 22:23 »
Neire war vorrangeschlichen. Er war der Wendeltreppe nach oben gefolgt. An deren Ende war er in eine Halle gelangt, die in völliger Dunkelheit lag. Jetzt horchte Neire vorsichtig, während er die längliche Kammer durchblickte. Die Halle schien in das schwarze Vulkangestein des Berges geschlagen. Die Luft war hier wärmer und es roch nach Stein und Schwefel. An den Wänden konnte er große Nischen sehen, in denen Haufen von verschiedenste Bodenschätze lagen. Neben bergkristallhaltigem Stein, konnte er matte schwarze Barren, golden glitzernden Stein und gelbe Schwefelkristalle erkennen. Weiter entfernte Kammern bargen andere Substanzen, waren aber nicht erblickbar in der Düsternis der Kammer. Neire horchte, hörte aber nur das entfernte Grollen des Magmastromes und die Schritte seiner Mitstreiter hinter sich. Er schlich sich durch die Halle. Je weiter er kam, desto mehr Details konnte er erkennen. Am Ende der Halle öffnete sich ein Tunnel in den Berg, der mit einem runenbesetzten steinernen Bogen verziert war. Vor dem Tunnel standen zwei nachtzwergische Statuen. Beide waren detailreich bearbeitet, blickten grimmig und hielten einen Hammer, den sie vor sich auf dem Boden gestellt hatten. Neire sah zudem rostige Schienen aus dem Tunnel in die Halle hineinführen. Am Ende der Schienen stand eine Lore, die graue Steine mit Aushöhlungen von Bergkristallen trug. Neire kniete sich nieder und horchte. Die Halle sah aus, als wäre sie plötzlich verlassen worden. Die Nachtzwerge hätten bestimmt die Schätze mitgenommen, die hier noch ruhten. Als er hinter sich das Fackellicht von Kulde sah, zog er seine Schattenrobe zurück und wendete sich seinen Mitstreitern zu. Neben dem etwas über vier Schritt groß gewachsenen Hügelriesen waren Edda und Heergren zu erkennen. Edda hatte ihn bereits bemerkt und Neire winkte sie zu sich heran. Das Flüstern des Jünglings ging durch die verlassene Halle, als sich Kulde mit knirschenden Schritten näherte. „Kommt und schaut euch das an. Es sieht wie ein Umschlagplatz aus, ein Ort, an dem die Schätze der Erde gehandelt wurden. Doch alles scheint schlagartig verlassen. Selbst diese Lore trägt noch eine Ladung Steine.“ Neire sah, wie Kulde mit seinem Unterbiß das Wort „Steine“ lautlos nachsprach. Er unterdrückte ein Schmunzeln, als er an ihre Reise dachte. Dann hörte er die Stimme von Heergren. „Noch immer keine Spuren meines Volkes. Wo sind sie geblieben? Wieso haben sie nicht gekämpft? Ich würde gerne wissen, was hier passiert ist.“ Neire nickte dem Tiefenzwerg zu, der seine mit einer blassen und bläulichen Venen durchzogene Glatze aus Kuldes Licht wegdrehte. Deutlich war die rötliche Narbe über dem rechten Ohr zu sehen, die Heergren aus dem Aufstand von Unterirrling trug, dem er sich einst angeschlossen hatte. „Wir werden schon herausfinden was hier passiert ist Heergren. Was auch immer es war… sie werden nicht geflohen sein.“ Heergren blickte für einen Augenblick noch grimmiger drein, dann antwortete er Neire. „Nein, sie hätten bis zum letzten Mann gekämpft. Am Ende hätte es Sieg oder Niedergang geheißen.“ Bei den Worten schlug sich Heergren mit seinem Schildarm auf die Brust, als wolle er seine Worte betonen. Und obwohl Kulde die Worte wohl nicht ganz verstand, konnte Neire ein zustimmendes Grunzen des Riesen hören. Zudem versuchte Kulde die Bewegung von Heergren nachzuahmen. Dann trat Edda an Neire vorbei und ging auf den Torbogen am Minenschacht zu. Sie drehte sich zu Heergren um und sprach. „Kommt Heergren, worauf wartet ihr noch. Lasst uns die alten Runen eures Volkes entschlüsseln. Vielleicht finden wir etwas über den Verbleib der Bewohner der Eisenfeste Sverundwiel.“ Neire folgte der Schülerin der Schattenkunste und im flackernden Licht entzifferten sie die Schriftzeichen. Es war Edda, die die Schriftzeichen langsam vorlas. „Heil dem ehrenhaften Arbeiter. Wehe den frevelnden Taugenichsen.“ Heergren streckte stolz seine Brust hervor und nickte Edda zu. „Ja, Frau von Hohenborn… so oder so ähnlich kann man es übersetzen. Es sind die Huldigungen an jene, die die Reiche unter der Erde aufbauen. Nur diejenigen, die treu und ergeben ihre Arbeit verrichten, werden den Ruhm und die Ehre unserer Rasse mehren. Nur die Handelnden stehen in der Gunst des Schicksals. Die Faulenzer und Zauderer sollen im Staube vergehen. Sie werden ausgemerzt oder die verdammte Spinnengöttin wird sie einst holen.“ Heergrens Stimme schwoll an und Neire wollte gerade zur Stille mahnen, da trat Edda zu dem Nachtzwerg. Sie strich sich ihre langen schwarzen Haare zurück und ihr Lächeln war bezaubernd. Sie griff nach Heergrens Hand, als sie sprach. „Ihr habt bereits Großes vollbracht Heergren. Neire hat mir von euren Taten erzählt. Es ist beeindruckend, was für Schwielen ihr an euren Händen tragt.“ In diesem Moment wirkte Heergren etwas unsicher und zog seine Hand zurück. Er beugte seinen Kopf vor Edda und vor Neire und flüsterte rasch. „Stets zu euren Diensten, mein Prophet. Ihr ehrt mich. Die Göttin von Flamme und Düsternis ist stark. Ich verdanke mein Leben Jiarlirae und Meister Halbohr. Ich habe nun mein Leben vor mir, das ich der Arbeit und dem Kampf widme.“ Neire nickte gerührt und zischelte in die Dunkelheit. „Dienet der Göttin mit all eurem Herzen und sie wird euch stets belohnen. Sie wird euch an ihren Geheimnissen teilhaben lassen und zu eurem Ruhme beitragen.“ Neire sah wie Heergren sich erneut verbeugte und auch Kulde grunzte zustimmend. Als er sich umdrehte, hörte Neire ein weiteres Mal die Stimme von Heergren. „Wartet, Prophet. Das Licht… die Fackel von Kulde. Er sollte sie löschen. In der Mine wird das Licht auffallen. Wir werden leicht zu sehen sein.“ Kulde verstand zwar nicht wieso er das Licht löschen sollte, doch er folgte Neires anschließendem Befehl. Dann drehte sich Neire um und schlich in die Dunkelheit. Er folgte dem Tunnel der Mine, der leicht bergab ging und sich hier und dort verzweigte. An diesen Verzweigungen wartete er auf seine Mitstreiter und gab ihnen Anweisungen. Edda berichtete von den Spuren, die sie hier entdeckt hatte. Sie sagte, die Abdrücke von Stiefeln wären nicht alt, nur der kleine Bruchteil eines Tages. Neire fand außerdem mehrere kleine Feuerschalen, die mit Nägeln im Holz der Stützen der Mine aufgehangen waren. Sie enthielten ein poröses Gestein und ein Öl, das ihn an die Fackeln in Dreistadt erinnerte. Dann hörte er aus einem Tunnel ein Ächzen und ein Grunzen sowie ein wehleidiges Stöhnen. Er wartete auf seine Mitstreiter. Sie würden dem Geräusch auf den Grund gehen und vielleicht erfahren, was hier passiert war.

Kulde schwang seinen riesigen Morgenstern und stürzte auf das Licht zu. Die Höhle, in die Heergren ihn geführt hatte, tat sich vor ihm auf. Er sah dort die beiden Feuerriesen und die grauevolle Szenerie, die er jedoch nicht richtig verstand. Ein Gefühl tief in ihm sagte ihm jedoch, dass hier etwas nicht stimmte. Die Höhle war eine Kammer im Stein, in der Form einer gewaltigen Blase. Eine Wand zur rechten Seite schimmerte von Bergkristallen, die dort wohl einst geschürft worden waren. Das Licht, was die Höhle erhellte, kam von umgestürzten Schalen. Dort brannten die porösen Ölsteine mit kalten Flammen. Ein männlicher Feuerriese hatte sich gerade über die am Boden liegende Gestalt seines Kameraden gebeugt. Er trug einen Waffenrock, doch sein Gesicht war zu einer Fratze von verzerrten Muskeln verkrampft. Er biss dem am Boden liegenden Feuerriesen in den Arm und riss ein großes Stück Fleisch heraus. Dann richtete er sich auf und begann das Fleisch zu kauen. Von dem Riesen auf dem Boden war nur ein Wimmern zu hören, während dem anderen Riesen blutiger Sabber am Maul herablief. Kulde rannte weiter. Er hörte sein Keuchen und wollte den Riesen töten. Dann sah er Bewegung hinter der Kreatur. Aus den Schatten begann ein schwarzer Degen zu tanzen und fuhr dem Riesen mehrfach in den Rücken. Die spastischen Zuckung nahmen zu und dann brach der kollosale Leib zu Boden. Wut überkam Kulde - er schlug nicht mehr zu. Plötzlich stand sein bester Freund Neire neben ihm und er hörte dessen Stimme. Der Jüngling zeigte auf den Boden, wo Kulde den an vielen Stellen angefressenen Leib sah. „Tötet ihn, wenn ihr kämpfen wollt.“ Kulde schüttelte den Kopf. „Kein Kampf, nein… Riesshe sshwach.“ Dennoch hob Kulde seinen Morgenstern und schlug auf den Kopf ein. Schlag um Schlag zertrümmerte er den Schädel. Bis roter Brei und Knochenstücke den Boden bedeckten. Auch dann wurde seine Wut nicht weniger. Obwohl sein schwachsinniger Verstand es nicht ergründen konnte, ahnte ein Instinkt in ihm, dass sein Freund Neire ihn für einen Kampf vorbereiten wollte. Er wollte kämpfen, wie es einst Gruschuk getan hatte. Er wollte kämpfen und er wollte siegen. Er wollte seinen Namen, der einen größeren Klang haben musste, als Gruschuk der Grausame.

~

„Ich habe so etwas noch nie gesehen, obwohl es dort wo ich herkomme viele merkwürdige Dinge gibt. In den Dschungeln um Vintersvakt gibt es die Skrälinge. Rohe Einwohner, die größtenteils auf Bäumen leben und mehr Affen als Menschen sind. Es gibt nur wenige Menschen, die ihre Sprache sprechen und noch weniger, die aus den Dschungeln zurückkommen. Die Skrälinge essen Menschenfleisch und kochen unsere Kinder in Töpfen. Doch das, was diese Feuerriesen sich gegenseitig antun, übersteigt die Geschichten der Skrälinge und jede Vorstellungskraft.“ Edda schüttelte sich, als sie an die Bilder der letzten Höhle und das Ende des Tunnels dachte, in dem sie jetzt standen. Sie hatten die blasenhafte Kaverne mit den Bergkristallen verlassen und waren weiter den Geräuschen gefolgt. Edda hatte sich hinter Kulde und Heergren gehalten und nicht an den Kämpfen beteiligt. Am Ende des Tunnels hatten sie dann die drei Gestalten gesehen. Zwei Feuerriesen lagen geschändet und tot auf dem Boden. Einer Frau war der Schädel derartig eingeschlagen, dass sich eine Delle in ihrem Gesicht gebildet hatte. Auch in ihrem Brustkorb zwischen ihren Brüsten war eine große Vertiefung zu sehen gewesen. Die zweite Leiche hatte ebenfalls einen eingeschlagenen Schädel. Die Nase des männlichen Feuerriesen war vollständig zerstört und ein Auge war zerplatzt. Was grauenvoller anzusehen gewesen war, war der Feuerriese, der aufrecht stand und mit beiden Fäusten gegen die blanke Felswand geschlagen hatte. An einer Hand standen die Finger gebrochen zu allen Seiten weg, doch die andere Hand war nur noch ein blutender Klumpen von Fleisch und Knochen. Kulde und Heergren hatten sich auf den Feuerriesen gestürzt, doch sie selbst war zurückgeblieben und hatte sich ängstlich umgeblickt. Sie hatte den Kampf aus der Ferne beobachtet und gesehen, dass der Feuerriese mit verkrampften Muskeln und wie ein Kind um sich schlug. Dann hatte ihn Kulde niedergemacht, dessen Morgenstern seinen Schädel geknackt hatte. Edda hatte aufgeschlossen und sprach gerade mit ihren Gefährten, die ihr aufmerksam zugehört hatten. Nur Kuldes kleine dunkle Augen starrten die toten Leiber schwachsinnig an und in seinem groben Gesicht mit dem langen, dunklen und schütterem Haar zuckete ab und ein an Gesichtsmuskel. Es war Heergren, der zu ihr sprach. „Die Skrälinge… hatten sie eine Krankheit? Gab es andere von ihnen, die sich nicht diesem Verhalten hingegeben haben?“ Edda erinnerte sich zurück an ihre Zeit in im Dschungel. Sie war damals durch die Hölle gegangen, doch sie hatte anscheinend die schlechten Erinnerungen im Laufe der Zeit verdrängt. Sie hatte lange nur an ihre erste Liebe gedacht. Jetzt und hier kamen die schrecklichen Bilder von damals wieder zum Vorschein. „Nein. Alle Skrälinge handeln so, wie ich es beschrieben habe. Ich habe es selbst gesehen und wäre fast von ihnen gefressen worden. Es liegt in ihrem Blute.“ Heergren nickte, spukte aus und murmelte eine Verwünschung. Edda fragte sich gerade, ob das die nachtzwergische Art war, Zuneigung zu zeigen. Dann hörte sie Neires Stimme. „Horcht her, Edda, Heergren und Kulde. Ich höre Stimmen und Schreie. Viele Stimmen. Sie kommen nicht näher und ich lausche ihnen seit einiger Zeit. Lasst mich vorgehen und folgt mir.“ Sie sah Neire in die Dunkelheit verschwinden. Sie wartete einige Zeit, dann folgte sie mit Heergren und Kulde. Sie schritten danach durch die Dunkelheit der Minenschächte. Dann sah sie das Licht im Tunnel vor ihr und sie erblickte die Szenerie. Durch den Gang hallte ein gewaltiges Gewirr von Stimmen. Da war ein gackerndes Lachen und ein brabbelndes Rufen; irres Bellen, wilde Brüllschreie, helles Schnauben und wehleidiges Stöhnen. Und ein Schlagen, wie von Hämmern. Kraft ihrer schattenmagischen Fähigkeiten konnte sie die gesamte Höhle überblicken, die sich kreisrund vor ihr auftat. Schienen führten aus verschiedenen Richtungen in die Kaverne, die vielleicht mehr als hundert Schritte im Durchmesser betrug und von dunklen Steinen bedeckt war. Das Licht, das die Höhle erhellte, kam von brennenden Schalen des porösen Ölgesteins. Diese Schalen waren chaotisch über den Boden verteilt. Der Gestank von Krankheit und von Fäulnis strömte ihr entgegen. Was sie dort sah, war das Epitom des Grauens, die Kakophonie des Verderbens. In der Höhle waren Feuerriesen eines jeden Alters. Sie sah eine Gestalt, die ihren Kopf mit aller Wucht und immer wieder gegen einen Felsen rammte. An einer anderen Stelle rissen zwei Feuerriesen die Gedärme einer Frau heraus und begannen sie schmatzend hinabzuwürgen. Eine heranwachsende Feuerriesin rammte gerade den bereits menschengroßen Leib eines Säuglings mit dem Kopf auf den Boden. Ein weiblicher und ein männlicher Feuerriese standen sich schwankend gegenüber und schlugen sich abwechselnd in ihre Gesichter, die bereits blutig und zerstört waren. Die Höhle war übersäht mit Leichen. In der Mitte sah Edda eine Vertiefung. Dort führten die Schienen der Loren aus verschieden Richtungen heran und dort erkannte sie eine Metallplatte, die wohl drehbar war. Sie versuchte sich ein Bild der lebenden Feuerriesen zu machten und zählte vierzehn männliche, 11 weibliche und 11 heranwachsende Feuerriesen. Gerade als Heergren und Kulde nach vorne stürzten, explodierte der Eingang in die Höhle in magmafarbenen Flammen. Im dem Feuer der Wand konnte sie schemenhaft die Umrisse Neires erkennen, der die Flamme des Chaos in seiner linken Hand trug. Die Riesen im Bereich der Wand begannen zu schreien und um sich zu schlagen. Sie schienen einem vollkommenem Wahnsinn zum Opfer gefallen sein, da sie keine Anstalten machten aus dem Feuer zu fliehen. Teilweise schlugen sie sogar gegenseitig auf sich ein, als wären sie blind vor Wut. Einige konnten sich kaum bewegen, vor anhaltenden Muskelkrämpfen. Vor ihr näherten sich Kulde und Heergren den Flammen. Kulde schien ausser sich zu sein und brüllte immer wieder. „Kulde will kämpfen. Kulde will töten.“ Edda sah, wie Neire weitere Flammen beschwor. Sie hörte die Gebete, die er zu Jiarlirae sprach und auch sie wollte helfen. Sie beschwor das invertierte Licht der Schattenblitze. Explosionen und krachende Blitzentladungen hörte sie hinter der Feuerwand. Sie beschwor ein weiteres Mal ihre Blitze. Dann kamen die Flammen plötzlich zum Erliegen und sie duckte sich in den Tunnel. Kulde und Heergren stürmten in die Höhle, wie von einem irren Blutrausch gepackt. Sie beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Sie sah einen Feuerriesen, der sich Kulde entgegenstellte und den Leichnam eines heranwachsenden Feuerriesen nach ihm schleuderte. Doch Kulde hieb den Körper zur Seite und machte seinen Gegner nieder. Es folgte ein niederes Gemetzel. Hier und dort explodierten Feuerbälle aus Magma, die Neire warf. Gliedmaßen wurden zerfetzt und brennende Riesen liefen durch die Höhle. Dann wurden die Geräusche weniger und es waren nur noch die Siegesschreie von Kulde zu hören. Wie in einem totalen Blutrausch sah Edda den jungen Hügelriesen durch die Höhle stürmen. Zuletzt bemerkte sie, wie Heegren die Riesenfrau tötete, die gerade ihr eigenes Kind zerfleischte. Dann senkte Edda die Augen zu Boden. Sie sang leise den Choral Jiarliraes, den Neire ihr beigebracht hatte. Sie versuchte an ihren geliebten Neire zu denken, an die glücklichen Stunden, die sie gemeinsam verbracht hatten. Doch da waren die Bilder der Feuerriesen, die sie verfolgten. Die Bilder waren lebendig. Wie ein Parasit in ihrem Kopf, der die Harmonie von Flamme und Düsternis zerstören wollte.

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Sitzung 112 - Alte Runen der Dualität
« Antwort #127 am: 5.08.2024 | 12:12 »
Über der Höhle von gewaltiger Größe lag ein abscheulicher Gestank. Es roch nach Krankheit, nach Fäkalien, Schweiß, Blut und verbrannter Haut. Vereinzelte Feuer kalter Flammen eines porösen Ölsteines brannten auf dem von schwarzem Geröll bedeckten Boden. Die kleinen Feuer der umgeworfenen Schalen warfen lange tanzende Schatten. Sie ließen das Grauen, das der Vielzahl von Leichnamen angetan wurde, nur erahnen. An einigen Stellen überragten größere Körper von Feuerriesen die Höhe des Gerölls. Anderswo waren im Licht des Feuers kleinere Leichen jüngerer Riesen zu sehen. Die Schädel der unseeligen Kreaturen waren teils eingeschlagen, die Gliedmaßen angefressen. Wundfäulnis war in verschiedenen Stadien zu erkennen. Kulde keuchte und zog die Luft ein. Die Umgebung um ihn herum nahm er kaum wahr. Er spürte auch nicht die Erschöpfung, so stark war der Rausch des Kampfes. Er wollte töten, er wollte den Ruhm der Schlacht für sich. Er fühlte sich stark. Es waren die furchtlosen, blutrünstigen Krieger seiner Rasse gewesen, die er als Kind bewundert hatte. Er hatte sich damals nie gefragt, wieso sie kämpften. Auch heute verstand er es nicht wirklich. Die Wut, die Gier und der Hunger trieben ihn an. Kulde blickte sich um und kniff seine kleinen schwarzen Augen zusammen. Er suchte nach Gegnern und stieß einen tiefen Brüllschrei aus. Dann bemerkte er die menschengroße Gestalt, die auf einen dunklen Vulkanstein geklettert war. Der Jüngling hatte seinen Mantel zurückgezogen und seine vollen, gold-blonden Locken kamen zum Vorschein. Kulde bemerkte zudem das Glitzern des Diamanten auf Neires Stirn, der von einer silbernen Krone getragen wurde. Berauscht vom Kampf und vom Sieg ging er auf seinen Anführer und besten Freund zu. Er hörte die Stimme Neires, die zischelnd und mit einem seltsamen schlangenartigen Singsang zu ihm sprach. „Ihr habt tapfer gekämpft Kulde.“ Kulde grunzte und streckte seinen Waffenarm mit dem Morgenstern in die Höhe. „Kulde Riesshen töten. Kulde grossher Krieger.“ Er machte dabei eine nickende Geste und wiederholte die Worte. Er sah wie Neire sich über den Körper eines Feuerriesensäuglings beugte, der bereits die Größe eines menschlichen Kindes hatte. Dann drehte sich Neire zu Edda und flüsterte ihr etwas zu. „Bei fast allen Feuerriesen ist Wundfäulnis zu sehen. Jedoch verschieden fortgeschritten. Ich kenne keine Krankheit, die solche Zustände hervorruft. Hat es vielleicht etwas mit dem Kragen der Träume zu tun?“ Kulde konnte den Sinn der Worte nicht verstehen. Noch bemerkte er die Furcht und den Ekel, die sich in Eddas schlankem Gesicht zeigten. „Ich weiß es nicht und ich will fort aus dieser Höhle. Im Tempel des Jensehers habe ich in einem Buch über den Kragen der Träume gelesen. Doch ich kann mich nicht an irgendwelche Krankheiten erinnern.“ Kulde verstand auch diese Worte nicht, obwohl Edda nicht flüsterte. Er spürte, wie sein Blutrausch nachlies und ihm langweilig wurde. „Kulde will kämpfen. Riesshen töten, Kulde will.“ Grunzte er und unterbrach den Propheten, der gerade anfangen wollte zu sprechen. „Ihr wollt kämpfen Kulde? Ihr werdet kämpfen. Noch tragt ihr nicht euren Namen, wie Gruschuk, der Grausame.“ Kulde schmatzte und verzog sein Gesicht. „Wahh… Gruschuk sshwach. Kulde sshtärker.“ Er sah Neire nicken und lächeln. Es gab ihm Selbstvertrauen und Mut. Jetzt war auch Heergren an sie herangetreten. Die weiße Haut des glatzköpfigen Zwergen schimmerte von Schweiß und war von bläulichen Venen durchzogen. Er hatte seine Axt in den Gürtel gesteckt und säuberte seinen langen geflochtenen Bart von Blutspritzern des Kampfes. „Ehrt ihr nicht eure Altvorderen, Riese? Mehren sie nicht den ewig währenden Tatenruhm eurer Sippe?“ Kulde versuchte das gesagte zu verstehen, doch bevor er antworten konnte, sprach Neire. „Wer waren diese Krieger Kulde? Wer war euer Vater?“ Erinnerungen an Schmerzen, Blut und Feuer kamen hoch in ihm. Erinnerungen, die er fast verdrängt hatte. „Vater von Kulde issht Nomrussh. Vater tot, Nomrussh sshwach. Jessht kein Krieger mehr sshein, kein Kampf mehr.“ Er sah Neire respektvoll nicken. „Nomrus war euer Vater und ihr seid auf dem Weg ein Anführer zu werden. Jetzt wird mir klar, woher ihr eure Stärke habt.“ Wieder grunzte Kulde und spannte seine Muskeln zur Schau. Dann sprach Edda zu ihm. „Wenn ihr euch einen Namen aussuchen dürftet, wie würdet ihr euch denn nennen?“ Als er die Worte langsam verstand, begann er zu grübeln. Kulde dachte und dachte, doch da war nichts. Dann blickte er sich um und sah die eingeschlagenen Köpfe auf dem Boden liegen. Er dachte daran, wie er dem Feuerriesen den Schädel eingeschlagen hatte. Jetzt grollte seine Stimme. „Kulde will mehr, wo sshind sshie. Kulde grossher Krieger. Name issht Kulde Kopfsshampfa.“ Seine Stimme schwoll zu einem hasserfüllten Schrei an. Er würde töten und sich nehmen, was er wollte. Sie würden ihn fürchten, denn er war Kulde Kopfstampfer.

Sie hatten danach die Tunnel der Mine erkundet, die aus der Höhle des Grauens hinfortführten. Neire war vorrausgeschlichen und Heergren hatte sich um Kulde gekümmert, den er immer wieder hatte zurückhalten müssen. Der junge Riese war voll von Kampfeswut gewesen und wäre am liebsten durch die Gänge gestürmt. Am Ende eines Tunnels hatten sie eine von Ruß bedeckte Höhle entdeckt, aus der gelbliches Licht geströmt sowie ein Blubbern und Plätschern zu hören gewesen war. In der wärmeren Luft hatten sich Schmiedenischen aufgetan, in denen hellgelbes Magma floss. Sie hatten den Worten von Heergren Nuregrum gelauscht, der die Kunst seines Volkes angepriesen und die Kanalisierung des flüssigen Steines bewundert hatte. Dann hatten sie den Ort wieder verlassen. Sie waren danach durch eine Reihe alter Schächte und Abraumkammern gelangt. Hier und dort waren Bergkristalle abgebaut worden, doch sie hatten nur leere und lange verlassen Hallen vorgefunden. Mehrfach waren sie in die Höhle des Grauens zurückgekehrt. Einer der letzten Tunnel hatte sie dann lange durch die Dunkelheit geführt. Der mehr als fünf Schritt hohe und breite Tunnel war hinab gegangen und die Temperatur war kühler geworden. Neire war wieder vorangeschlichen und er hatte keine Geräusche hören können. Er hatte aber mehrere abzweigende Gänge gefunden, die in Kammern aus schwarzem Vulkangestein geendet waren. Der Jüngling hatte nicht sagen können, von wem diese Kammern wohl errichtet worden waren. Sie schienen jedoch ins Leere geschlagen. Keine Spuren von Bodenschätzen waren dort zu sehen gewesen. Edda hatte zudem immer wieder nach Spuren gesucht und gesehen, dass die Feuerriesen hier gewesen waren. Die Spuren waren jedoch größtenteils ziellos und wirr gewesen. Dann hatte Neire eine Höhle entdeckt, die sich von den zuvor Entdeckten unterschied. Er hatte auf seine Mitstreiter gewartet und gemeinsam hatten sie in die Höhle geblickt. Neire zeigte gerade auf die Mitte der Vulkankaverne. Dort ragte, wie in einer geschlagenen Mulde, ein Podest auf, das ein fünfeck darstellte. Das Podest war aus dem Stein gemeißelt und Neire bemerkte dort ein Schimmern. Leise flüsterte er, während er sich nach vorn bewegte. „Ich werde mir das einmal anschauen. Sucht nach Spuren Edda.“ Neire wartete nicht auf die Antwort seiner Geliebten und bewegte sich Schritt für Schritt durch die Dunkelheit. Er tastete nach Fallen und hielt nach alten Flüchen ausschau, konnte aber keine Gefahr feststellen. Er sah, dass das Podest einen inneren Bereich besaß, der aus einem dunkleren Gestein gefertigt war. Auch der innere Stein besaß die Form eines Fünfecks. Auf äußerem Ring und innerem Kreis lagen sich jeweils fünf silbern-glänzende Runen gegenüber. Neire konzentrierte sich und konnte die Runen als uralte menschliche Schrift deuten. Er entzifferte auf dem äußeren Ring: Hitze, Wissen, Leben, Fels und Zeit. Auf dem inneren Ring stand: Ignoranz, Vergängnis, Fleisch, Stille und Kälte. Er begann auch den Ring nach Fallen zu untersuchen, doch auch hier konnte er nichts vorstellen. Dann hörte er die Stimme von Edda hinter sich. Sie war inzwischen an ihn herangetreten und er konnte ihre Anspannung hören. „Es führen viele Spuren in diese Kammer und weniger hinaus. Jene, welche hineinführen sehen geradlinig aus. Andere, die hinausführen, sind ziellos und wirr.“ Neire nickte und erzählte Edda von den Runen. Dann begann er zu murmeln. Als er den Spruch beendete, konnte er gleißende Magie durch den Sockel fließen sehen. Es war die mächtigste Form, die er jemals entdeckt hatte. Sie war aus der schwarzen Schule der Beschwörung, doch er konnte auch die gewobenen Fäden von Zeit- und Dimensionsmagie erkennen. „Ich sehe mächtige Magie Edda. So mächtig, wie ich sie zuvor noch nicht gesehen habe. Beschwörung und Spuren von Zeit- und Dimensionsmagie. Doch wieso diese Runen?“ Edda trat jetzt zu ihm heran und nahm seine linke Hand in die ihre. Neire spürte, dass sie zitterte. Sie bewegte ihre roten Lippen kaum, als sie sprach. „Erinnert ihr euch? Die alten Schriften der Nachtzwerge. Sie sprachen von philosophischen Studien der Dualität. Sind es nicht Gegenteile, die hier aufgelistet sind?“ Neire lachte leise auf, nahm Edda in den Arm und gab ihr einen Kuss. Dann drehte er sich zu Heergren um, der noch nicht nähergekommen war. „Heergren! Kommt und helft uns“, zischelte Neire in die Dunkelheit. Der Nachtzwerg kam näher und gemeinsam begannen sie die innere Platte nach unten zu drücken. Edda war zurückgetreten und betrachtete sie aus gebührendem Abstand. Dann begannen sie das Fünfeck zu drehen, bis sich die alten Runen des Dualismus gegenüberstanden. Erst dann ließen sie von der Platte ab, so dass diese langsam wieder nach oben stieg. Augenblicklich bemerkten sie die geräuschlose Änderung. Das schwarze Material begann porös zu werden und schälte sich ins Innere ab. Schwarzer Stein rieselte wie Staub in eine dunkle Tiefe darunter. Die innere Scheibe begann sich gänzlich aufzulösen. Neire beugte sich vor und blickte hinab. Dort führte ein breiter Tunnel senkrecht in die Tiefe. Die Wände glänzten matt und waren wulstig, wie Ausbeulungen von Polypen, wie fleischige Verwucherungen. Kein Geruch kam aus der Tiefe. Auch war keine Bewegung zu erkennen. Eine zeitlang standen sie dort und betrachten das seltsame Konstrukt. Dann drehte sich Neire zu Heergren und Kulde um.

Neire schlich sich durch den riesigen Tunnel. Der Fels war grau, von einem anderen Gestein als die Mine von Sverundwiel. Die Luft flimmerte, gefüllt von Veränderungsmagie. Dank seines zuvor gewirkten Spruches konnte er die Spuren deutlich erkennen. Er erinerte sich zurück an ihren Abstieg. Auf den Vorschlag von Heergren war Kulde mutig vorangegangen und hinabgeklettert. Die fleischigen Auswüchse waren wie ein elastischer Wulst gewesen und so hatte sich der junge Hügelriese festhalten können. Neire, Edda und Heergren waren ihm gefolgt. Dann war Kulde plötzlich unter ihm verschwunden. Neire war weitergeklettert und hatte eine Scheibe der Schwärze unter ihm gesehen, die den Schacht ausfüllte. Sein Gefühl hatte ihm gesagt, dass dies ein Portal sein musste. Ein Portal, das aber wahrscheinlich nicht in eine andere Welt führte. Vielleicht war es ein Tor, das nur an einen anderen Ort in Euborea führte. Neire war Kulde gefolgt und hatte nur die kühlere Luft gespürt, die auf dern anderen Seite herrschte. Irgendwann hatte sich der Schacht in eine Höhle geöffnet, die fünf Schritte unter ihnen lag. Kulde, der bei seinem Abstieg noch mit „Kulde kann klettern, Kulde kann kämpfen, Kulde kann alles“ getönt hatte, war plötzlich gestrauchelt. Seine Füße waren ins Leere gebaumelt und er hatte gewimmert „Kulde dunkel, Kulde nisshts sshehen“. Neire hatte ihn angewiesen weiter hinabzuklettern, bis er keinen Halt mehr fühlte und sich dann fallenzulassen. Das hatte Hügelriese dann schnaufend und ächzend getan. Kulde war mit einem tiefen Stampfen auf den Boden geprallt und hatte fast sein Gleichgewicht verloren. Nachdem er sie alle aus dem Tunnel hinabgehoben hatte, hatte sich Neire mit den Worten: „Jiarlirae ist mit uns“ verabschiedet. Nun hörte er die Stimmen aus der Ferne, die dumpf und mächtig grollten. Es hörte sich an, als ob ein Riese sich in eine Wutrede steigern würde. Aus dieser Richtung des Schachtes vernahm Neire zudem ein entfernt flackerndes Licht. Für einen Augenblick hielt er ein und lauschte der Rede. Doch er konnte keine einzelnden Worte vernehmen. Gerade, als er wieder weiterschleichen wollte, bemerkte er das Gesicht des alten Mannes, das dort in der Wand auftauchte und ihn betrachtete. Nur aus dem Augenwinkeln sah er den Blick. Schon während er sich drehte verschwand das Gesicht. Neire überkam das Gefühl von Panik. Da waren nur noch die Spuren der Veränderungsmagie. Er konzentrierte sich und folgte seinen Instinkten. Er war sich sicher, er wurde beobachtet. Das Gesicht hatte ihn bemerkt, obwohl er seine Schattenrobe trug.

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Sitzung 113 - Die Überlebenden
« Antwort #128 am: 10.08.2024 | 22:38 »
Das Gesicht des alten Mannes hatte sich in Neires Geist gebrannt. Er zitterte und blickte sich immer wieder um. Kraft seiner zuvor gewirkten schwarzen Kunst konnte er die Strömungen von Magie erblicken, die hier überall waren. Er konnte Nuancen der Schulen Veränderung, Beschwörung und Zeit erkennen. Fast mechanisch setzte er seine Bewegung fort. Er schlich vollkommen lautlos und war zudem durch seinen Schattenmantel getarnt. Wie konnte er hier bemerkt werden? Die Luft um ihn herum war feucht und roch nach Stein. Der riesige Tunnel schien natürlich zu sein, wie ein Teil einer Ausschwemmung. In weiter Ferne sah er den Lichtschimmer, dem er sich stetig näherte. Irgendwann konnte er einzelne Wörter der sonoren Stimme verstehen, die dort sprach. „Feigling“, „Schwächling“, „schweigt, verdammt…“, waren einzelne Wortfetzen. Dann kam es Neire vor, als würde die Decke über ihm zusammenbrechen. Er versuchte langsam Luft zu hohlen und nicht in Panik zu verfallen. Er dachte zurück an die Abenteuer, die er mit Halbohr, Bargh und Zussa erlebt hatte. Das Gefühl änderte sich, je näher er an das Licht kam. Dann spürte er den bohrenden Blick hinter sich. Neire fuhr herum, doch er sah nichts. Als er sich wieder dem Licht zuwendete, bemerkte er vor sich die Gestalt im Stein. Es war ein graues, gepeinigtes Abbild von ihm selbst. Doch das Wesen war zur Hälfte im Stein versunken. Es war, als ob er sich selbst in einer fernen Zukunft betrachtete. Er war dort als schwacher, schmerzleidender Greis zu sehen. Neire kniff die Augen zusammen, aber das Bild wollte nicht weichen. Dann fokussierte er sich auf das Zeichen seiner Göttin. Er sah die Rune von Feuer und Dunkelheit im Herzen der Irrlingsspitze. Das Bild gab ihm eine innere Ruhe. Als er ausatmete, war der gepeinigte alte Neire verschwunden – der Gang war leer, wie zuvor.

Vor ihm öffnete sich der Tunnel in eine Höhle. Von hier war das Licht gekommen, das Neire schon seit geraumer Zeit bemerkt hatte. Von hier kamen auch die Geräusche. Der Jüngling kniff seine Augen zusammen und starrte in das Licht kalter Ölfackelflammen, die in Abständen an den Wänden befestigt waren. Die Kaverne war fast kreisrund und von kolossalem Ausmaß. Bis zur anderen Seite waren es vielleicht dreihundert Schritte. Auch die Decke wölbte sich zum Inneren in große Höhen. Zur Mitte hin war der Boden der Halle abschüssig, so wie in einem gewaltigen Wasserbecken, das jetzt ausgetrocknet war. Neires Aufmerksamkeit war von dem Anblick gefesselt, den er an einem der beiden Ausgänge auf der rechten Seite beobachtete. Dort hatten sich sechs Kreaturen versammelt, von denen zwei eine dritte auf den Boden drückten. Der Riese, der niedergerungen worden war, hatte einen roten Vollbart und eine Glatze. Narben waren über sein gesamtes Gesicht verteilt, das jetzt die Spuren von Fausthieben offenbarte. Der Feuerriese war muskulös, von aschgrauer Haut und trug eine Kettenweste aus glänzendem Stahl. Die anderen Riesen waren nicht so muskulös, doch nicht weniger furchteinflößend. Ein Riese mit feuerrotem langem Haar und von schmalerer Statur, war von der Gruppe weggetreten. Er atmete, wie auch die anderen, tief. Neire sah, dass er ein zweihändiges Schwert in seiner Hand hielt, dessen Klinge bestimmt sechs Schritt lang war. Der Riese starrte auf die Waffe, als würde er sein Spiegelbild in dem schwarzen Stahl erblicken wollen. Doch bereits aus der Entfernung bemerkte Neire die matte lichtschluckende Konsistenz der Schneide. War das die Flamme von Thiangjord, die legendäre Klinge, die im Feuer des gleichnamigen Lindwurms geboren wurde? Neire schreckte hoch und verdrängte die Gedanken an Königin Huldas Geschichte. Er hörte den barschen Befehl des Riesen mit dem Schwert: „Hurolk, schafft ihn weg! Bringt ihn in die Höhle. Wir werden ihn nachher töten.“ Als die Feuerriesen dem Befehl Folge leisteten und den schlaffen, mit Blessuren bedeckten Körper des ohnmächtigen Kriegers hochwuchteten, schwante Neire die Situation. Es ist Jarl Eldenbarrer, der von seinen Anhängern niedergeschlagen wurde. Einer hat sich seines Schwertes bemächtigt und will seine Rolle als Jarl übernehmen, dachte Neire. Er horchte hastig in den Tunnel hinter sich, doch die folgenden Schritte seiner Kameraden waren weit entfernt. Er musste handeln, um Schlimmeres zu verhindern. Er erinnerte sich an sein Versprechen, was er Königin Hulda gegeben hatte. Er musste Jarl Eldenbarrer lebend zur Königin bringen. Neire griff in seine Tasche und ließ den Ring aus Kristall über seinen rechten Finger gleiten. Er drehte den Ring und konzentrierte sich. Dann begann er lautlos zu schweben. Er näherte sich dem Riesen mit dem roten langen Haar, der ihm den Rücken zugewendet hatte. Neire kam hinter der Kreatur zum Halt, die er nun auf Augenhöhe betrachten konnte. Er nahm seinen gesamten Mut zusammen und begann zu sprechen. Zischelnd hell und voll eines fremden Singsanges war seine Stimme. „Ihr dort, schaut nicht in das schwarze Schwert, horcht her!“ Der schwere Kopf begann sich augenblicklich zu drehen und Neire konnte in das Gesicht blicken. Er bemerkte aufgeplatzte Adern in den Augen der Gestalt, eine deutliche Übermüdung, als ob sie Tage nicht geschlafen hätte. Der Riese starrte durch ihn hindurch, legte zuerst sein Gesicht in Falten, fing dann aber verrückt an zu lächeln und drehte sich wieder um. Neire schwebte auf die andere Seite. Es kostete all seine Überwindung und er dachte an seine Göttin. Dann zog er seinen Schattenmantel zurück und erschien aus dem Nichts. Engelsgleich schimmerten seine gold-blonden Locken im kalten Licht und seine blasse Haut hatte einen übernatürlichen Glanz. Leuchtende Sterne glitzerten auf seiner schwarzen Erzmagierrobe. Neire versuchte laut und sicher zu klingen, seine Stimme zitterte aber vor Furcht. „Horchet her und lauschet meinen Worten. Ich bin gekommen den zu suchen, der sich Jarl Eldenbarrer nennt, Träger der schwarzen Klinge, der Flamme von Thiangjord.“ Jetzt weiteten sich die Augen der kolossalen Kreatur. Der Riese öffnete den Mund und ließ den schwarzen Zweihänder sinken. Dann vernahm Neire gestotterte Worte. „Welche List… nicht schon wieder… seid ihr echt?“ Der Riese kam näher und versuchte nach ihm zu greifen. Neire schrie auf und erhob den Zeigefinger seiner linken, verbrannten Hand. „Halt, keinen Schritt näher. Ich bin gekommen als euer Freund. Ich bin gekommen euch zu erretten von diesem Ort.“ Die Welt um Neire verwandelte sich in ein Meer aus Purpur. Da war der stechende Schmerz, als er die Linsen des Jenseher benutzte. Er konnte aber nicht in den Geist der Gestalt vordringen. Da war etwas, wie eine Barriere. Alles schimmerte in Karmesinrot, nur das schwarze Schwert war dunkel in seiner Vision. „Hauk kommt her und schaut euch das an“, rief der Riese jetzt. Die Gestalt, die aus dem Tunnel erschien, war der älteste der Riesen. Er hatte graues, langes Haar, Zahnlücken, keinen Bart und wenige Narben. Wie auch bei dem Riesen mit dem Schwert konnte Neire die Übermüdung erkennen. Außerdem schien der ältere Riese ausgemergelt, als ob er viel Gewicht verloren hätte. „Ja, ich sehe ihn. Ein Menschlein. Was hat es hier verloren? Es sitzt wie wir hier fest, in der verfluchten Falle.“ Neire versuchte die Augen des Jensehers einzusetzen, doch auch Hauk widersetzte sich seinem Versuch. „Wer seid ihr, wenn ihr echt seid?“ sagte der Riese mit dem Schwert, während er Neire weiterhin ungläubig musterte. Bevor Neire antworten konnte war ein dritter Riese aus dem Tunnel aufgetaucht, der auf die schnelle Frage Hauks – Furgrar, könnt ihr ihn sehen? – nickend antwortete. Neire Kopf schmerzte bereits, doch er setzte die Augen ein weiteres Mal ein. Furgrar, ein junger Feuerriesenkrieger mit kurz geschorenem braunem Haar, einem muskulösen Körper und einem eingefallenen Gesicht lächelte Neire zu. „Ich bin Neire von Nebelheim, der Prophet von Jiarlirae, der Göttin von Feuer und Schatten. Ich bin hier um Jarl Eldenbarrer zu Königin Hulda von Isenbuk zu bringen. König Dunrok von Isenbuk ist tot und die Königin sucht einen neuen König.“

Sie hatten sich danach einige Zeit unterhalten. Die Feuerriesen waren Neire gegenüber nicht feindselig gewesen und insbesondere Furgrar hatte ihm sein Vertrauen ausgesprochen. Dann hatte Neire von seinen Freunden erzählt, die er an diesen Ort mitgebracht hatte. Als Kulde, Edda und Heergren schließlich erschienen waren, hatte Neire sie vorgestellt. Insbesondere Kulde war von den Riesen angefeindet worden. Sie hatten den jungen Riesen als Abschaum aus den Hügeln bezeichnet und als den aus Schlamm Gezeugten beschimpft. Glücklicherweise hatte Kulde die Sprache der Feuerriesen nicht verstanden und Neire hatte die Situation wieder beruhigen können. Neire hatte darauf verwiesen, dass Kulde Kopfstampfer dem großen Anführer Meister Halbohr dienen würde. Die Riesen hatten wahrlich schon von Meister Halbohr gehört und von seinen Anhängern, denen ein Ohr abgeschnitten wurde. Der Riese mit dem schwarzen Schwert hatte sich dann als Gramraug vorgestellt, hatte aber das Wort an Hauk übergeben. Der ältere Riese hatte von der Eroberung der Eisenfeste Sverundwiel berichtet, wobei er versucht hatte Jarl Eldenbarrer, wo immer es ging, als lächerlich und inkompetent darzustellen. Seine Worte waren laut und scharf gewesen:

Hauk, der Feuerriese: „Die Königin sucht den glorreichen Jarl Eldenbarrer, der die Eisenfeste Sverundwiel erobert hat? Hahaha… Einen Teufel hat er getan. Hat uns ins Verderben geführt dieser Eldenbarrer. Eine tapfere Leistung hat uns dieser Jarl eingebracht… hahaha. Die Feste war leer, als wir ankamen. Kein ruhmreicher Kampf, keine Schätze. Noch viel schlimmer, wir durchstreiften die Minen und fanden diesen Stein, den die Nachtzwerge freigelegt hatten. Nach einigen Versuchen öffneten wir den Tunnel durch diesen seltsamen Darm. Wir stiegen hinab, wir alle. Wir stiegen hinab auf Jarl Eldenbarrers Befehl… Jawohl! Verdammt nochmal. Dann irrten wir durch die Hallen. Wir irrten in unser Verderben. Der Weg zurück ist verschwunden und hier gibt es keinen Ausgang. Nur die drei Höhlen, die sich an diese Halle anschließen und einen Tunnel der wieder hierhin führt… ja, es war zum verrückt werden. Gingen wir durch diesen Tunnel, brachte er uns zurück in diese Halle. Hexerei, schwarze Kunst, sage ich euch. Gut, dass es in diesem Tunnel eine Wasserstelle gab. Sonst wären wir schon längst verdurstet. Dann wurden unsere Vorräte weniger. Und es kamen die Visionen. Bei einem fing es an. Hat seltsame Dinge gebrabbelt. Hat erzählt, wie der Stein ihn verbrennen würde… verbrennen… einen unserer Rasse, dieser Schwächling. Es wurde schlimmer. Erst kaute er auf seinem Finger und dann hat ihn abgebissen und runtergewürgt. Wenn ihr mich fragt, es war in seinen Augen. Dieser Wahnsinn. Irgendwann ist er in einen Tunnel gewandert und wurde nicht mehr gesehen. Einfach so verschwunden. Dann fing es auch bei anderen an. Sie kratzten über den Stein, bis ihre Hände blutig waren, sich ihre Fingernägel abgelöst hatten. Neben einer jungen Feuerriesin öffnete sich auf einmal der Boden und sie wurde von der Dunkelheit geschluckt – war einfach fort. Was hat der große Jarl, Eroberer der Eisenfeste Sverundwiel getan, frage ich euch? Nichts hat er getan. Nichts ist zu wenig für den Ruhm und die Ehre eines Jarls unseres Blutes und deswegen muss er sterben.“

~

Neire kniete vor dem Kopf des bewusstlosen Jarls, der damit seine Höhe hatte. Er musste den Jarl Eldenbarrer wecken und mit ihm sprechen. Es war einiges geschehen, seit sie das Gespräch mit den Riesen Gramraug, Hauk, Furgrar und Hurolk beendet hatten. Neire hatte mit dem neuen Anführer Gramraug vereinbart, dass sie die Höhlen durchsuchen und einen Ausgang finden wollten. Der Anführer hatte resignierend zugestimmt, aber spottend gelächelt. In einer Höhle hatten sie dann den bewusstlosen Jarl Eldenbarrer gefunden, der von dem Riesen Wulfrug bewacht wurde. Neire hatte die Augen des Jenseher auch bei Wulfrug angewendet und war in seinen Geist vorgedrungen. Danach hatten sie die Höhlen durchsucht und Hauk und Furgrar hatten sie begleitet. Edda hatte an einer Wand einen sehr alten Buchstaben in der Sprache der Nachtzwerge gefunden, der mit einem Stein dort hineingeritzt war. In der zweiten Höhle hatten sie den Geruch von verfaultem Fleisch und Verwesung vernommen. Dort waren in einer Ausbuchtung blutige, abgeschälte Knochen zu sehen gewesen, die auf einem Haufen lagen. An einer anderen Stelle der Höhle lagen Bretter von Kisten, Messer sowie Haut und Sehnenfetzen. Die Riesen hatten hier anscheinend ihre Sippschaft geschlachtet, um sie dann zu verzehren. Heergren hatte sich mit Abscheu abgewendet und etwas von „lieber ehrenhaft sterben, als so zu Grunde gehen“ geflüstert, doch Neire hatte ihn zur Stille ermahnt. In der anderen Höhle hatten sie keine Besonderheiten gefunden. Dann waren sie in den Tunnel gelangt, von dem Hauk ihnen erzählt hatte. Sie hatten auch die Wasserstelle gefunden, die sich im Tunnel befand. Das Rauschen war schon von weitem zu hören gewesen. Mehrere Rinnsale hatten einen kleinen, länglichen See auf der linken Seite des Tunnels gespeist. Das Wasser war klar und tief gewesen und der See war fünf Schritt breit und dreimal so lang. Sie waren dem Tunnel gefolgt und tatsächlich wieder in die riesige Höhle zurückgekehrt. Dann war Neire die Idee gekommen mit großen Fässern Wasser zu schöpfen und es in die trockene Mulde der Höhle zu bringen. Er hatte von der Dualität von Hitze und Kälte, von Wasser und Luft gesprochen. Als sie mit den Fässern in den Tunnel zurückgekehrt waren und Wasser geschöpft hatten, war Neire aufgefallen, dass der Wasserstand nicht abgesunken war. Edda hatte daraufhin nach Zaubern gesucht und über dem kristallklaren Wasser mächtige Magie der allgemeinen Schule entdeckt. Danach hatte Neire seinen Rucksack abgelegt und war in die Fluten hinabgetaucht. Er war für Edda plötzlich verschwunden, doch als Neire wieder aufgetaucht war, hatte er auch seine Mitstreiter nicht mehr gesehen. Er hatte sich in einem ähnlichen Tunnel befunden und in der Ferne hatte er mehrere Leichname von Riesen gesehen. Dann war Neire wieder untergetaucht und nach einem nach einem nochmaligen Auftauchen zu seinen Mitstreitern zurückgekehrt. Er hatte ihnen von dem Weg auf die andere Seite erzählt und sie waren zu Gramraug zurückgekehrt. Sie hatten eine Weile über ihr weiteres Vorgehen beraten und Neire hatte darauf beharrt Jarl Eldenbarrer mitzunehmen. Das hatte Gramraug verneint und vorgeschlagen er selbst könne als Jarl Gramraug um die Hand von Königin Hulda anhalten. Neire hatte als Urteil von Jiarlirae einen Zweikampf vorgeschlagen und Gramraug hatte direkt eingewilligt. Der Riese hatte sich sogar bereits als König Gramraug bezeichnet und die Flamme von Thiangjord erhoben. Jedoch hatte Neire Zeit für die Vorbereitung von Jarl Eldenbarrer verlangt. Gramraug hatte eingewilligt, hatte aber als Aufpasser Hauk mitgeschickt. Jetzt sprach Neire zu der bewusstlosen Gestalt: „Jarl Eldenbarrer, wacht auf und hört her.“ Der Anführer der Feuerriesen reagierte nicht. Neire gab ihm kleine Ohrfeigen. Er sah, dass Eldenbarrer Blutsabber hustete und dann die großen, fast schwarzen Augen aufschlug. Neire spürte den Luftstrom gewaltiger Lungen. „Ich bin Neire von Nebelheim, Prophet von Jiarlirae und ich werde euch hier herausführen, Jarl Eldenbarrer. Königin Hulda von Isenbuk hat mich geschickt, denn ihr König Dunrok ist tot. Sie sucht einen Nachfolger und sie hat euch auserkoren.“ Eldenbarrer prustete und richtete sich langsam auf. Seine Augen betrachteten den Jüngling mit klarem Verstand. „Königin Hulda? Sie hat selber geherrscht und nicht König Dunrok, dieser fette, träge Bastard. Ich werde kein solcher König sein. Ich werde selbst herrschen.“ Neire nickte und die Welt um ihn herum verwandelte sich wieder in Purpur. Er drang in den Geist von Eldenbarrer ein und spürte keinen Widerstand. „Ich bin als Freund gekommen und habe Königin Hulda mein Wort gegeben. Es ist mir egal, wer herrschen wird, ihr oder Hulda. Ihr müsst mir nur versprechen, dass ihr eure Seele der Göttin von Flamme und Düsternis, meiner Herrin des aufsteigenden Chaos des Abgrundes, Jiarlirae, versprecht. Werdet ihr der Göttin dienen Jarl?“ Eldenbarrer grummelte und sprach. „Wenn ihr mich hier hinausbringen könnt, werde ich ihr gerne dienen. Ich vertraue euch, Menschlein.“ Neire nickte und legte grübelnd seine Stirn in Falten. „Es ist Gramraug, mein Jarl. Er hat euer Schwert und er hat euch zum Zweikampf herausgefordert. Ihr müsst kämpfen, doch ihr sollt den Segen unserer Göttin haben.“ Jetzt stieß Eldenbarrer einen dumpfen Schrei aus. „Was? Dieser Wurm, mein Schwert? Diese Anmaßung. Dafür werde ich ihn langsam sterben lassen. Ich werde ihm ganz gemächlich seine Haut vom Schädel ziehen.“ Neire nickte und winkte Kulde heran, der Jarl Eldenbarrer einen riesigen Zweihänder überreichte, der an einigen Stellen bereits Rost auf der Klinge angesetzt hatte. „Nehmt diese Waffe, Jarl Eldenbarrer. Neigt euren Kopf hernieder und empfanget den Segen von Jiarlirae. Sie wird euch den Sieg im Kampf bringen, mächtiger Jarl. Doch ihr müsst ein zweites Mal beschwören, dass ihr ihr freudig dienen wollt.“ Neire förderte bereits das flüssige Quecksilber hervor, das auf seiner verbrannten Hand dampfte. Der Jarl beugte seinen vernarbten, haarlosen Kopf und murmelte. „Ja, so soll es sein. Gebt mir den Segen eurer Göttin.“ Neire nickte und strich die Rune auf die Stirn des Jarls. Das Quecksilber brannte sich in die graue Haut. Es war seine Rune die er zeichnete. Es war die Dualität von Flamme und Düsternis und sie brannte sich in die Haut von Eldenbarrer. Dann kanalisierte er die Kraft seiner Herrin und die Wunden von Jarl Eldenbarrer schlossen sich.

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Sitzung 114 - Der Weg durch das Wasser
« Antwort #129 am: 16.08.2024 | 21:26 »
Edda von Hohenborn kam sich vor wie ein kleines Insekt. Die Höhle war so groß, dass sie nur die durch die Brennschalen erhellten Bereiche sah. Lichter flackerten in bleichen Ölflammen, die aus dem porösen Gestein aufstiegen. Die junge Schattenmagierin hielt sich hinter Neire und schaute hinauf in die grimmigen Gesichter der Feuerriesen. Sie sah ermüdete Antlitze mit geröteten Augen, die gehetzte Blicke in die Schatten warfen. Edda befürchtete, dass die Riesen sie übersehen und zertrampeln würden. Nach ihrer kurzen Rast hatten sie vor der Höhle Rufe gehört und waren herausgetreten. Sie hatten dort den Herausforderer Gramraug gesehen, der den Jarl Eldenbarrer zum Kampf beschworen hatte. Wieder und wieder hatte Graumraug nach Eldenbarrer verlangt, bis der der Jarl schließlich hervorgetreten war. Jetzt hielt der jüngere Riese das gestohlene Schwert, die Flamme von Thiangjord, hoch und brüllte einen Kriegsschrei. In seinen Augen bemerkte Edda jedoch Zweifel, als er flüchtig Jarl Eldenbarrer betrachtete. Oder war es die Feigheit, mit der er seinen, aus Neid getriebenen Verrat durchgeführt hatte. Gramraug strich sich seine langen roten Haare zurück, die ihm bis auf die Schultern fielen. Er warte darauf, dass ihm der verhasste Gegner entgegentrat. Jarl Eldenbarrer war im Vergleich zu Graumraug ruhig. Er musterte seinen Gegner kalt und berechnend. Eldenbarrer war viel muskulöser als Graumraug, hatte einen haarlosen Schädel voller Narben, einen roten Vollbart und kürzlich verheilte Wunden der Schlägerei. Bevor sich Eldenbarrer Gramraug stellte, beugte er sich tief zu Neire hinab. Edda konnte den kolossalen Kopf des Riesens aus der Nähe betrachten. Neire flüsterte Eldenbarrer Worte ins Ohr. „Ihr müsst es ein drittes Mal sagen Jarl Eldenbarrer. Nur so kann euch der Segen meiner Göttin zuteilwerden.“ Der Feuerriese nickte und sprach mit klarer, bestimmter Stimme. „Ich werde Jiarlirae dienen, wenn ihr mich hier herausbringt. Ich verspreche ihr meine Seele und ich werde diesen Kampf gewinnen.“ Edda hörte die Zustimmung von Neire; dann vernahm sie die gemurmelten Gebete des Jünglings. Sie spürte die Macht der Fürbitten, die auch ihr Zuversicht gaben. Eldenbarrer trat auf Gramraug zu. Die Stimmen der Feuerriesen klangen ab. Hauk, Furgrar, Wulfrug und Hurolk hatten einen Kreis gebildet. Kulde Kopfstampfer hingegen saß auf dem Boden und schaute zu. Ein vorfreudiges, niederträchtiges und debiles Grinsen hatte sich auf dem von einem Unterbiss geprägten Gesicht von Kulde breitgemacht. Dann stürmte Gramraug auf Eldenbarrer zu. Dreimal schwang er das schwarze Schwert zum Angriff. Der Zauber Jiarliraes war stark und Eldenbarrer wehrte die Klinge zweimal ab. Beim dritten Streich sprang er zu Seite. Dann ging der kampferprobte Jarl in den Gegenangriff über. Das rostige Schwert stieß tief in die Brust und Gramraug taumelte. In den Augen des jungen Feuerriesen war plötzlich eine Ungläubigkeit, die ihn zum Zögern brachte. Es war dieser Augenblick, der Gramraug sein Leben kostete. Der zweite Angriff kam von schräg oben, zerstörte den Schienenpanzer des Abtrünnigen und schälte die Haut vom Bein. Bis auf den Knochen dang das riesige Schwert Eldenbarrers, bis es einen Teil des Fußes abhackte. Blut spritzte auf und die Augen von Gramraug verklärten sich, als er auf seine Kniee sank und starb. Eldenbarrer baute sich über ihm auf und stieß ihm das Schwert durch den Kopf und den Leib hindurch, bis in den Boden hinein. Es blieb dort stecken und fesselte Gramraug in seinem Kniefall im Tode. Die vier verbliebenen Riesen jubelten Eldenbarrer zu. „Heil Eldenbarrer, Heil unserem Jarl.“ Als der Chor aufhörte setzte Hauk zu ehrfurchtsvollen Worten an. „Eldenbarrer hat gesiegt, wir alle wurden Zeugen seines Ruhmes. Er ist unserer Jarl und wird uns führen bis zu unserem Tode.“ Wieder bestätigten die anderen Riesen die Rede mit Heilsrufen. Nur Hurolk hielt sich zurück. Eldenbarrer schritt zu dem einst Abtrünnigen und murmelte Worte der Verwünschung. „Ihr alle dachtet wohl Gramraug würde siegen, eh? Nicht jeder der die Flamme von Thiangjord heben kann, kann sie auch führen. Doch ich kann auch eure Gründe verstehen. Nicht aber eure Hurolk. Ihr wart einfach nur feige.“ Eldenbarrer hatte sich vor dem Riesen aufgebaut und begann Hurolk mit beiden Händen zu würgen. Hurolk hatte ein rundliches Gesicht, braunes Haar und einen kurzen krausen Bart. Im Gesicht und Bauch waren deutlich die Hautlappen zu erkennen, die auf sein einst großes Körperfett deuteten. Zum Erstaunen von Edda schien der Riese sich nicht wehren. Vielleicht hoffte er noch auf Gnade. Sie sah Neire von sich forttreten. Der Jüngling schritt neben Eldenbarrer und schrie hinauf. „Mein Jarl, er hat es sicherlich verdient, aber ist es auch der Wille der Göttin? Lasst ihn im Kampf beweisen, ob er ihre Gunst hat.“ Zu ihrem Erstaunen wandelte sich der hasserfüllte Blick und der Jarl löste seine Hände. Dann schlug er Hurolk seine Faust ins Gesicht. Edda sah den gewaltigen Leib zu Boden sinken. Hurolk schnappte nach Luft und spie seine abgebrochenen Zähne aus. Er spukte blutigen Sabber als er sich wankend aufrichtete. „Hurolk wird Jarl Eldenbarrer dienen. Treu dienen. Mein Jarl, mein König.“ Eldenbarrer wandte sich mit einem Knurren ab und sprach zu den anderen Riesen. „Ihr habt den Propheten Jiarliraes gehört. Er ist zu mir gekommen mit der Botschaft, dass ich König werde. Das Feuer der Göttin wird uns den Weg durch ihre Schatten zeigen. Mit ihrer Hilfe werden wir noch größer werden. Größer in unserem Tatenruhm, größer in unserem Reichtum. Noch Generationen nach uns werden Lieder über uns gesungen werden. Es werden die Lieder unserer Rasse werden. Ich werde euch in den Krieg führen und die Dörfer der Menschlein werden brennen. Der Sieg wird unser sein.“ Die verbliebenden Feuerriesen hoben ihre Waffen und fingen an zu brüllen. Selbst Kulde wurde von der unbändigen Wut und dem lodernden Stolz mitgerissen. Edda hörte die Schreie durch kolossale Steinhalle dringen. „Heil Jarl Eldenbarrer. Heil Jiarlirae. Heil Prophet.“

Edda zog sich danach wieder in die Höhle zurück. Neire hatte verlangt, dass sie sich eine Zeit für die Vorbereitung ließen, bevor sie aufbrechen wollten. Jarl Eldenbarrer hatte daraufhin eingewilligt und war mit seinen Feuerriesen in der großen Halle geblieben. Neire und sie widmeten sich dem Studium der Zauberbücher. Schon bald hatte sie die Umgebung um sich herum vergessen. Edda nahm selbst das tiefe Schnarchen von Kulde nicht mehr wahr, der sich in einer Ecke schlafengelegt hatte. Der Hügelriese hatte sich in einer Embryonalstellung zusammengerollt. In seinem Gesicht, mit der fliehenden Stirn und der platten Nase, war ein Zucken zu sehen, dass sich ab und an in ein niederträchtiges Grinsen verwandelte. Edda versuchte die neuen Zauberformeln zu verstehen, die sie in den Büchern fand. Nicht alle gehörten der Schule der Schatten an, deren Erlernen ihr besonders leichtfiel. Die Zauber der anderen Schulen hatten andere Strukturen. Strukturen, die nicht die Formen und Züge von Schatten hatten. Als sie an eine Stelle kam, die sie nicht entschlüsseln konnte, wendete sie ihre Augen ab. Edda blickte in die Düsternis der Höhle und suchte nach Antworten. Auch Neire konnte ihr hier nicht helfen. Der Prophet hatte seinen Oberkörper entblößt und vollzog das Ritual der Fackeln, die er um sich aufgestellt hatte. Nein, sie musste die Antwort selbst finden. Sie ließ ihren Blick über die Kaverne schweifen und da war etwas. Es war eine schlanke Frau wie sie selbst, halb im Stein versunken. Sie schrie vor Schmerzen. Da war eine Klinge, die ihr die Haut vom schönen Gesicht schälte. Sie spürte den Schmerz. Dann wurde es Edda klar. Es war ihr eigenes Gesicht. Sie fing an schneller zu atmen und verfiel in Panik. Sie rief nach Neire, doch ihr Liebhaber war in einer Trance. Tränen rollten über ihre Wangen, aber sie spürte sie nicht. Sie wollte, dass der Schmerz aufhörte, dass diese Qual vorüberging. Dann verschwand das Bild der Frau und mit ihr die Schmerzen. Edda zitterte und blickte sich um. Dann raffte sie ihre Bücher zusammen und ging zu Kulde. Sie ignorierte den Gestank von Schweiß und Urin, der von dem Riesen aufstieg. In den Dschungeln vor Vintersvakt hatte sie Schlimmeres gerochen. Sie lehnte sich an Kuldes Körper und spürte sein ruhiges, tiefes Atmen. Das rhythmische Geräusch und die Bewegung des gewaltigen Leibes gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Der Bauch von Kulde wiegte sie vor und zurück. Langsam gewann sie ihre Fassung wieder. Dann begann sich ihren Schriften zu widmen.

Das Schnauben von Kulde schreckte Edda hoch. Sie musste wohl eingeschlafen sein und war immer noch an Kulde gelehnt. Da war das flatschende Geräusch von Rotz, als der Riese seine Nasenlöcher entleerte. Erst als er sich aufrichtete, bemerkte Kulde sie. Ungläubig gaffte er auf sie hinab. Er stieß dabei einen fragenden, tiefen Ton aus. Edda stand auf und raffte ihre Bücher zusammen. Sie lächelte Kulde an. „Ich hatte Angst Kulde und ihr müsst mir eines versprechen. Ihr müsst mich beschützen.“ Zuerst dachte Kulde nach. Dann fing er an debil zu lächeln. „Kulde heissht jetssht, Kulde Kopfsshamfa. Kulde grossher Krieger. Welsshe Angssht?“ Eddas Lächeln erstarb, als sie zurückdachte. „Etwas schnitt mir in mein Gesicht. Es war grauenvoll.“ Augenblicklich fing Kulde an zu brüllen und hob seinen Morgenstern. „Wo issht es, Kulde töten es.“ Doch Edda schüttelte mit dem Kopf. „Nein, es war vielleicht nur in meinem Kopf. Ich weiß es nicht. Vielleicht sind es die Schatten hier.“ Kulde verfiel wieder in ein Starren. Seine kleinen, bösartigen schwarzen Augen gafften Edda an, als er mit geöffnetem Mund anfing zu sabbern. Dann hörte Edda die Stimme von Heergren. Ihr nachtzwergischer Begleiter hatte sich bereits in seine Rüstung gehüllt und trug seine Schlachtenaxt. Heergren strich sich durch den grauen, geflochtenen Bart. Seine Glatze schimmerte bleich in der Dunkelheit, durchzogen von bläulichen Venen. „Keine Zeit dafür Kulde, macht euch fertig. Ihr habt bestimmt noch Gelegenheit die Dame von Hohenborn zu beschützen. Jetzt legt eure Rüstung an, denn der Prophet erwartet, dass ihr kampfbereit seid.“ Dabei zeigte Heergren auf den Schienenpanzer, den Kulde von Gramraug genommen hatte. Edda sah Kulde nicken. „Kulde Kopfsshamfa Rüsshtung. Mäschtiger Krieger, Kulde. Krieger Meisshter Halbohr und Prophet dient.“ Edda nickte und wendete sich um zu Neire. Sie hörte schon die Schritte aus der großen Höhle näherkommen. Die Feuerriesen hatten bestimmt den Lärm von Kulde gehört. Sie erinnerte sich an die Runen der Schatten, die sie zuvor gelesen hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die Dunkelheit durchblicken konnte. Sie dachte an die Runen und starrte in die Ferne der großen Höhle. Es war, als ob sie wie bei Tageslicht sähe. Obwohl da nur Dunkelheit und Schatten um sie herum waren.

~

Der Kampf war jetzt vorbei und er keuchte. Raureif und Frost hatte sich über den rechten Teil seines Oberkörpers ausgebreitet. Von dort fühlte er keinen Schmerz. Ein fast unerträgliches Pochen strömte aber in anliegende Körperbereiche. Eldenbarrer blickte zu Hurolk, der wie er selbst, schwer verletzt war. Er hatte den Verräter voranschreiten lassen und gehofft, Hurolk würde bald sterben. Doch Hurolk hatte tapfer gekämpft. Stirbt er nicht jetzt, dann bestimmt im nächsten Kampf, dachte Eldenbarrer. Während ihrer Rast hatten Hauk und er bereits Pläne für die nähere Zukunft gemacht. Hauk hatte ihm erklärt, was der Titel eines Königs bedeutete. Er hatte ihm angeraten, sich zum König des Höllenkessels zu erheben. Er sollte keine unabhängigen Jarle unter den Feuerriesen akzeptieren. Alle sollten ihr Knie unter seiner Herrschaft beugen. Jarl Eldenbarrer verdrängte die Gedanken, die seine Machtfantasien beflügelten. Er hatte die Urgewalt von Jiarlirae gespürt, die der junge Prophet gebracht hatte. Und Neire von Nebelheim hatte sein Wort gehalten. Er hatte sie zur Wasserstelle geführt und sie waren, einer nach dem anderen, untergetaucht. Möglichst lautlos waren sie wieder aufgetaucht und hatten sich in einem anderen Tunnel befunden, der dem vorherigen sehr ähnlich gewesen war. Der Ausweg war also dort gewesen. Die ganze Zeit. Eldenbarrer hatte seinen Augen nicht getraut, aber sofort die Unterschiede entdeckt. Dann hatten sie den fremden Bereich erkundet. In einer militärischen Formation waren sie vorangeschritten und hatten im Schein der Ölfackeln die unterirdische Halle entdeckt. Eine Doppelreihe von schwarzen Säulen hatte die hohe Decke gehalten und vor jeder Säule hatte ein zwergischer Skelettkrieger gestanden. Die Säulen waren mit Fresken von zwergischen Gesichtern bedeckt gewesen. Es waren Antlitze wie von Helden gewesen. Der Kampf der dann ausgebrochen war, war erbittert geführt worden. Doch nur die Flamme von Thiangjord sowie die Klingen von Edda und von Neire hatten die Kreaturen verletzen können. Zudem hatten die Skelette ihre Mäuler geöffnet und blaue Strahlen von Frost auf Hurolk geworfen. Auch einen weiteren Zauber hatten sie eingesetzt, der alle magischen Gegenstände zum Glühen gebracht hatte. Nach dem Kampf hatten sie die Höhle durchsucht, aber keine Ausgänge gefunden. Sie waren dem Tunnel des Wasserlochs in die entgegengesetzte Richtung gefolgt und hatten eine ähnliche Höhle gefunden. Auch hier waren mit Fresken besetzte Säulen zu sehen gewesen und auch hier hatten sie gegen das Unleben gekämpft. Jetzt hatte sich Eldenbarrer auf ein Knie hinabgelassen und ließ Neire sich um seine Wunden kümmern. Er spürte das Feuer der Göttin, als einige Wunden sich schlossen. Er fühlte Hoffnung, Kampfeslust und Kameradschaft. Es war, als ob Neire einer der ihren war. Einer, dem er trauen konnte. Mehr als allen anderen. Eldenbarrer dachte nicht mehr an die Verzweiflung der letzten Monate. Wie sie das Fleisch ihrer Kameraden gefressen hatten. Wie sie dem Wahnsinn verfallen waren. Er nahm die Macht von Jiarlirae in sich auf und beobachtete den Tunnel, der aus der Halle in die Dunkelheit führte. Was würde sie dort erwarten?

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Sitzung 115 - Die versteckten Hallen von Sverundwiel
« Antwort #130 am: 24.08.2024 | 13:10 »
Heergren und Edda schauten sich die Säulen an, während Neire zu Jiarlirae betete. Die Feuerriesen um Jarl Eldenbarrer bewachten die beiden Ausgänge der Halle. Auch der einohrige Hügelriese Kulde Kopfstampfer hatte sich zu den Feuerriesen gestellt, betrachtete aber immer wieder die schwarzen Pfeiler. Dort waren die Abbildungen von männlichen Nachtzwergen zu sehen, die mit einer Vielzahl von Details in den Stein gearbeitet worden waren. Eddas blaue Augen glitzerten im schwachen Licht der Ölfackeln. Sie starrte entweder auf die Säulen oder zu Heergren, als wollte sie die Schatten sowie die Flammen meiden. Heergren war viel kleiner als Edda. Er hatte seine runenverzierte Schlachtenaxt über die linke Armbeuge gelegt, wo auch der befestigte Beschützer zu sehen war, den er am Schildarm trug. Der Waffen- und Rüstungsschmied aus dem Tempel des Jensehers blickte grimmig auf die Säule. Feine bläuliche Venen waren auf der Haut seines haarlosen Schädels zu sehen und sein weißer, geflochtener Bart hing bis auf die Brustpartie seiner Rüstung hinab. Edda trat näher zu Heergren und flüsterte. „Wurden diese Statuen von eurer Rasse errichtet? Was haben sie sich dabei gedacht Heergren?“ Ein Grummeln kam als Antwort, dann legte Heergren die Axt über seine rechte Schulter und strich sich durch den Bart. Über seinem rechten Ohr war eine lange Schnittnarbe zu sehen, die Heergren aus dem Aufstand in Unterirrling davongetragen hatte. Er blickte Edda mit seinen stahlblauen Augen an. „Es sind die Helden meines Volkes. Die Helden der Eisenfeste Sverundwiel, nehme ich an. Sie wurden im Stein verewigt. Gibt es nicht eine derartige Ehrerweisung bei euch Menschen? Der erforderliche Zoll, der dem ewigen Tatenruhm eurer Ahnen gerecht wird?“ Edda dachte bei den Worten an Vintersvakt. An alte Könige und Sagen. „Ja, dort wo ich herkomme gibt es das. Da ist der weiße Berg, der über dem heißen Dschungel thront. Die Priester des Eises halten seit jeher ihre Wacht von dort oben. Sie denken, sie stehen über den alten Königen, die, wie einst sie selbst, vor Urzeiten aus dem Norden kamen. Dieser verdammte Frostviggier.“ Sie verzog ihr Gesicht in gespieltem Ekel und Heergren begann zu Grinsen. Dann hörten sie den Schrei. Es war der Feuerriese Hurolk, der schützend sein gewaltiges Schwert vor sich hielt. Hurolk hatte von Jarl Eldenbarrer die Aufgabe zur Bewachung des noch unerforschten Tunnels erhalten. Jetzt jedoch blickte er panisch zu einer Säule und wich wimmernd zurück. Dabei murmelte er Worte in der Sprache der Feuerriesen, die Edda immer besser verstand. „Da… seht… da ist etwas… es bewegt sich… es kommt näher und folgt mir… es kommt auf mich zu.“ Hurolk schüttelte panisch sein aschgraues Antlitz, so dass die Hautlappen, die einst sein gewaltiges Doppelkinn geformt hatten, in Wallung kamen. Dann erstarrte der kolossale Körper der Kreatur und Hurolk brach auf seine Knie hinab. Angstschweiß hatte sich auf seinem Haupt gebildet. Edda konnte erkennen, dass Hauk sich zum betenden Neire hinabbeugte. Der Unteroffizier von Jarl Eldenbarrer sprach leise Worte, die Edda aber verstehen konnte. Hauk wählte dafür die Sprache der Menschen: „Prophet… Hurolk bald sterben muss… vor Wahnsinn sterben muss.“ Sie sah Neire nicken, der seine Gebete beendete. Dann bewegte sich das Kind der Flamme zu Hurolk und sprach ihn an. „Hurolk, schaut mich an. Was habt ihr dort gesehen?“ Hurolk reagierte zuerst nicht. Dann schreckte er auf, als hätte er Neire nicht erwartet. Seine Stimme zitterte als er antwortete. „Die Säule sie hatte… sie hatte… ein Maul. Ein großes Maul. Es folgte mir und wollte mich fressen. Wollte meine Arme und Beine abbeißen.“ Neire nickte und kam zu Edda und Heergren. Die Miene des wohlgeformten Gesichtes, auf dessen Stirn eine silberne Krone den bläulich funkelnden Diamanten hielt, war ernst. Neires gold-blonde Locken waren noch nass, von ihrem Abstieg ins Wasser. Er flüsterte, als er zu ihnen sprach. „Es ist Hurolk. Er gleitet in einen anhaltenden Angstzustand ab und ich befürchte es wird schlimmer, je länger wir hier verweilen. Ich werde Eldenbarrer heilen. Doch wir müssen weiter, was auch immer uns dort erwartet.“

Neire war alleine vorgeschlichen. Er hatte immer wieder gehorcht und sich in seinem Tarnmantel verborgen. Aus dem Tunnel hatte er ein Plätschern von Wasser gehört, das dann plötzlich hinter ihm gewesen war. Der Gang war inmitten einer Halle geendet – wie aus dem Nichts. Der unterirdische Saal war von noblen Steinfliesen aus einem helleren Marmor ausgelegt und sechs Steinstatuen unterschiedlicher Zwerge waren in einem Kreis um die Mitte angeordnet gewesen. Alle Statuen waren mit verschiedensten Details ausgearbeitet. Neire hatte bei den Statuen Abbildungen von Rüstungen, wie Harnischen, zwergischen Plattenpanzern sowie Schuppenpanzern betrachtet. Sie hatten zudem unterschiedliche Waffen getragen. Nur eine Statue war in Robe gehüllt gewesen und zwergische Runen waren in ihr Gesicht und über ihre Extremitäten gezeichnet worden. Auch war Neire aufgefallen, dass einer Statue der Ringfinger der rechten Hand gefehlt hatte. Neire hatte den Kreis verlassen und die Halle abgesucht. Drei angrenzende Säle hatte er entdeckt und einen Tunnel, der sich in einen Rundgang mit kleineren Nachtzwergenstatuen eröffnete. Die gesamte Halle hatte in einem bläulichen Licht gefunkelt, das von einem steinernen Sternenhimmel kam. Neire hatte nicht ausmachen können, was die Vielzahl der leuchtenden Punkte an der Decke waren. Er hatte auf die anderen gewartet und Edda hatte ihm berichtet. Sie konnte die Dunkelheit weiter durchblicken. Edda hatte einen Saal eines mit Fresken verzierten Bades, eine kleine Halle mit Schätzen und eine Grabkammer entdecken können. In der Grabkammer hatte sie sechs Nachtzwergenkrieger erblicken können, die dort bewegungslos standen. Wie zuvor waren Haut und Fleisch eingefallen und an einigen Stellen kam der nackte Knochen zum Vorschein. Neire hatte sich danach mit Jarl Eldenbarrer beraten und war in die Dunkelheit der Grabkammer geschlichen. Er hatte all seinen Mut aufbringen müssen, als er an den reglosen Kreaturen vorbeikam. Obwohl sie sich nicht bewegten, bemerkte Neire den Fluch, der das schwelende Unleben an sie band. Sie schienen dort zu verharren, zu warten bis in alle Ewigkeit. Neire postierte sich gerade in der Mitte der drei rechten Wesen, da hörte er stampfende Schritte, die sich näherten. Als er den Jarl mit dem glatzköpfigen Schädel und dem roten Bart sah, begannen die Gestalten sich zu regen. Zuckend strömte das Unleben durch ihre toten Glieder. Jetzt reagierte Neire. Er stach mit seinem Degen zu. Die morschen Knochen zitterten, als der Degen aus Ne’ilurum in den Kopf drang. Dann brach die erste Kreatur in einer Woge von Staub zusammen. Neire stach auf eine weitere Gestalt ein, noch bevor sie regieren konnte. Ein wilder Kampf entfesselte sich, als Eldenbarrer, Kulde und Edda die Kreaturen angriffen. Die Untoten öffneten ihre Mäuler und beschworen bläuliche Strahlen aus Frostmagie. Diesmal jedoch war Jiarlirae auf ihrer Seite. Durch den Hinterhalt Neires geschwächt und durch den folgenden Zangenangriff, ging schließlich auch die letzte der Kreaturen nieder.

Keuchend und ächzend zog sich Kulde Kopfstampfer durch den Tunnel. Das Flackern des Lichtes war um ihn herum und er robbte auf allen Vieren. Die Wände waren bedrückend eng, doch Kuldes Geist war nicht aufgeweckt genug um die Gefährlichkeit der Situation zu realisieren. Hinter ihm hörte er das weinerliche Jammern von Hurolk. Er lachte auf, als er sich weiter voran zog. Das waren also die starken Feuerriesen? Riesen, die jammerten und jaulten? Riesen, die ausgemergelt und schwach schienen. Kulde erinnerte sich nicht mehr an die Goldschätze, die er in der jetzt schweren Tasche trug. Er hatte sich den Sack an seinen Fuß binden lassen und zog ihn hinter sich her. Die mit Edelsteinen verzierten goldenen Rüstungen und Schwerter klimperten, doch Kulde hielt das Geräusch für Bewegungen der Feuerriesen. Er hatte auch das lange Warten nach dem Kampf vergessen, als der jugendliche Prophet mit den Feuerriesen die weiteren Hallen abgesucht hatte. Er hatte weiter nach Gegnern Ausschau gehalten und sich gewünscht, dass er kämpfen und töten konnte. Nur an das Gespräch mit Edda konnte er sich noch ein wenig erinnern. Als ihn die Wut übermannt hatte – er hatte die Untoten mit seinem Morgenstern nicht treffen können – hatte Edda ihn gefragt ob er nicht das goldene Symbol von Laduguer zerstampfen könne. Kulde hatte nicht verstanden was sie meinte, doch er hatte gemeint seinen Namen Kopfstampfer gehört zu haben. Dann hatte er gesehen, wohin Edda gezeigt hatte. Er hatte wutentbrannt geantwortet „Kulde Krieger… Kulde Kopfsshampfa… Krieger grossh, Kulde“. Er hatte auf das Symbol gestampft und es dann mit seinem Morgenstern zertrümmert. Heergren und Edda hatten ihm zugelächelt und das hatte ihm Genugtuung gegeben. Dann, nach der langen Zeit des Wartens, war der Jüngling zu ihnen zurückgekehrt. Neire hatte von einem geheimen Tunnel berichtet, der durch eine Illusion und eine mächtige Runenfalle gesichert gewesen war. Der Prophet hatte von dem Ausweg erzählt, doch Kulde hatte weder zugehört, noch den Sinn der Worte verstanden. Er hatte aber instinktiv bemerkt, dass das Warten vorbei war und dass er wieder kämpfen würde. Jetzt hatte er das Ende des engen Tunnels erreicht und Kulde zog sich aus dem Schacht heraus. Der Tunnel hatte aus dem Säulenrundgang der Nachtzwergenkrieger hier hinab geführt und war immer steiler nach unten gegangen. Im flackernden Licht der Ölfackeln sah Kulde die Feuerriesen, die sich um ihn sammelten. Auch Heergren und Edda standen unweit von ihm. Sie waren in eine natürliche Höhle gelangt, die von schroffen, scharfkantigen Felsnadeln durchzogen war. Wie Speerspitzen ragten die steinernen Gebilde von Decke, Wänden und Boden auf. Sie waren durchzogen von glitzernden Mineralien – eine seltsame Mischung, wie von Mithril und Ne’ilurum. Neben ihm murmelte Heergren etwas, als sich die Riesen in der militärischen Formation einer Speerspitze in Bewegung setzten. „Voran Kulde! Haltet Schritt mit Jarl Eldenbarrer.“ Kulde verstand auch diese Worte nicht ganz, doch er folgte den Feuerriesen. Er spürte das Kribbeln und die Anspannung. Er atmete tief. Plötzlich war da die warnende Stimme von Edda. Sie sprach zum Jarl, denn Kulde konnte den Namen Eldenbarrer hören. Edda wählte jedoch die Sprache der Feuerriesen, die Kulde nicht verstand. Dann ging alles ganz schnell. Der Jarl stürmte nach vorne und seine Krieger folgten ihm. Kulde wurde mitgerissen und er brüllte seinen Kriegsschrei. Dann sah Kulde sie. Sie traten sie hervor, im schattentanzenden Licht der Ölfackeln. Untote nachtzwergische Krieger. Der Jarl griff an und auch Kulde führte seinen Morgenstern. Doch was er auch tat, die Eisenspitzen-besetzte Kugel glitt durch die Gestalten hindurch; zerschmetterte den Stein der Felsnadeln. Kulde tobte, er stampfte. Er wurde noch wütender und steigerte sich in einen Rausch. Doch was er nur tat, seine Schläge gingen ins Leere. Fast hätte er den nächsten Riesen angegriffen, wäre da nicht die Stimme der Menschenfrau gewesen, die er mittlerweile kannte und liebte. Kulde wollte töten mit seiner Waffe und die Gegner dann zerstampfen. Er wollte Steine werfen und seine Gegner zermalmen. Er wollte Steine greifen, Steine wuchten, Steine schleudern. Er wollte dafür bewundert werden. Er hörte die Worte von Edda und er glaubte, sie würde ihn bewundern. Kulde erinnerte sich nicht mehr an das Steinspiel, an die Schmach der Reise. Er wollte verehrt werden von der hübschen Menschenfrau. Der Frau mit dem wohlgeformten Gesicht aus Porzellan, den Augen aus Eis und den Haaren aus schwarzen Nebeln düsterer Nacht.

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Sitzung 116 - Die sechs Baumeister der Eisenfeste Sverundwiel
« Antwort #131 am: 30.08.2024 | 21:40 »
Mit schweren knirschen Schritten bewegte sich Eldenbarrer durch die unnatürliche Höhle. Hauerartig ragten die scharfkantigen Steinobelisken von Boden, Wänden und Decke auf. Die Felsnadeln waren durchzogen von glitzernden Adern von Ne’ilurum sowie Mithril und in unregelmäßigen Abständen über die Höhle verteilt. Sie mussten hier und dort die schroffen Spitzen umrunden, um ihre Speerformation beizubehalten. Sie - das waren Eldenbarrer und seine Feuerriesenkrieger, die ihm als Jarl erneut die Treue geschworen hatten. Er wusste, dass er sich auf sie wie auf alte Kameraden verlassen konnte. Hauk, Furgrar, Gramraug und Wulfrug. Sie alle folgten ihm. Nur Hurolk hielt sich dahinter. Zuerst hatte Hurolk ihn verraten, jetzt zitterte der einst fettleibige Riese, gekleidet in eine Kettenweste, vor Angst. Ich hätte ihn erwürgen sollen, denn er ist eine Schande für unsere Rasse. Voll von Hass war Eldenbarrer, als er sich umdrehte. Doch er erinnerte sich auch an die Worte des Propheten von Jiarlirae. Neire hatte vom Schicksal gesprochen, dass seine Göttin für ihn und seine Riesen vorgesehen hatte. Und wer konnte schon ahnen, welch‘ Schicksal die Göttin für ihn geplant hatte. Der Jarl dachte an die letzten Worte zurück, die der Prophet zu ihm gesprochen hatte. Neire hatte wohl die Schritte von gepanzerten Stiefeln gehört und ihm geraten sich kampfbereit zu machen. Dann war der Jüngling in die Dunkelheit verschwunden. Sie hatten einige Zeit gewartet und waren danach aufgebrochen. Neben ihm ging auch Kulde Kopfstampfer, den Eldenbarrer versuchte nicht zu beachten. Der junge Hügelriese mit der fliehenden Stirn, der platten Nase, den schwarzen, kleinen, bösartigen Augen und dem ausgeprägten Unterbiss atmete schwer. Außerdem bewegte er sich ungeschickt. Eldenbarrer hatte aber die Kampfkraft und die Wut von Kulde gesehen, die er achtete. Außerdem schützte die grobschlächtige Kreatur die beiden Gefährten seines neuen Freundes, Edda und Heergren. Die Höhle begann sich alsbald zu verbreitern und das bleiche Licht der Ölfackeln verlor sich in den glitzernden Weiten. Die Spitzen erinnerten Eldenbarrer an das zahnbesetzte Maul einer monströsen Kreatur. Er hatte aber nicht die Muße darüber nachzudenken. Er wusste nicht mehr, wie viele Nächte er jetzt bereits wach war. Sein Körper war ausgemergelt vor Hunger und er spürte die Prellungen der Schlägerei. Er musste weitergehen, er musste sie als Jarl führen. Er musste alles seinem eisernen Willen unterordnen. Er durfte kein Schmerz empfinden, durfte keine Schwäche zeigen. Das war Eldenbarrers Leben gewesen, seitdem er klein war. Seitdem er in diese grausame Welt gekommen war. Er kannte nichts anderes. Der Jarl hob die Flamme von Thiangjord. Die Luft um das schwarze Schwert flimmerte und er spürte die Klinge nach seinem eigenen Blut lechzen. Für einen Augenblick spürte er Hass und Mordlust. Er vergaß den Schmerz. Der Prophet hatte Hauk gesagt, dass sie beobachtet würden und Hauk hatte es ihm heimlich mittgeteilt. Hauk hatte von einem zwergischen Gesicht gesprochen und Eldenbarrer hatte Hoffnung verspürt. Beobachtet mich nur… was mich beobachtet, werde ich suchen und finden… ich kann und werde es töten… hatte er sich gedacht. Augenblicklich wurde der Jarl aus seinen Gedanken gerissen. Ein rötliches Licht blendete ihn von vorn. Es war wie ein Regen gewaltiger Tropfen. Wie Magma bewegten sie sich rasend schnell hinab auf den Boden. Dorthin, wo ein berüsteter Nachtzwerg stand. Der Nachtzwerg war zwar nicht so groß wie er, doch mit drei Schritten größer als jeder Mensch. Er war in einen Plattenpanzer gekleidet und er trug einen doppelköpfigen Hammer. Sein Haupt war von einer Glatze gekennzeichnet. Im Licht des roten Blitzes sah Eldenbarrer auch die zweite Gestalt, die danebenstand. Der zweite Nachtzwerg war auch drei Schritt groß und geschützt von einem Harnisch. Er trug eine Kriegspicke, hatte lange lockige Haare und einen gezwirbelten Schnauzbart. Beide Gestalten hatten eine bleiche Haut, in der keine bläulichen Venen zu sehen waren. Die Lichterscheinung währte nur kurz, dann explodierten die Magmakugeln im Körper. Einen Augenblick später hörte Eldenbarrer den Donnerhall. Auch wenn er ihn nicht sah, er wusste: Der Prophet von Jiarlirae hatte den Angriff eröffnet. Jarl Eldenbarrer hob sein schwarzes, sechs Schritt langes Zweihandschwert und brüllte seinen Schlachtenruf. „Ruhm der Glut“, waren seine Worte, als er begann nach vorn zu stürmen. Ein Grollen ging durch die Halle – unter ihren rhythmischen Schritten und von ihren Stimmen - als seine Kameraden antworteten: „Ehre den Flammen.“ Eldenbarrer steigerte sich in einen Kampfrausch, in dem er die Höhle verschwimmen sah. Er hob das Schwert, dessen Widerhall, dessen feurige Resonanz er spürte. Seine Lungen drohten zu bersten, als er donnerte: „Schwarz ist unsere Flamme“, die seine Streiter mit einem grölenden „die Flamme von Thiangjord“ beantworteten. Dann brachen die Feuerriesen über die verhassten Nachtzwerge hinweg.

Wie eine Welle ausgemergelten Hasses, waren die Feuerriesen über den Nachtzwerg hinweggefegt. Hultrum Aschfall, der Baumeister des Stahls, der einen doppelköpfigen Kriegshammer trug, war bereits durch Neires grauenvolle Magie vernichtet worden. Doch sein Körper hatte sich in seinem Tode zu wandeln begonnen und war spurlos im Boden versunken. Der zweite Nachtzwerg, Hjelmin Niederstein, der Meister des Steins, hatte noch das Grinsen im Gesicht, als Thiangjord ihm in die Seite fuhr. Er betrachtete aber nicht den Jarl, sondern die Gestalt hinter Eldenbarrer, die sich dort heimtückisch aus den Schatten schälte. Der Nachtzwerg war dicklich und besaß ein Doppelkinn sowie mittellanges Haar, das er sich mit Fett nach hinten gestrichen hatte. Er trug einen Schuppenpanzer und ein Schwert mit gebogener Spitze, das er dem Jarl in die Seite stieß. Der Angriff war mit einer präzisen Gewalt geführt und ging tief in das Fleisch von Eldenbarrer. Der Knochen des Jarls brach mit einem fürchterlichen Knacken und kam zum Vorschein. Es war Dardal Vengerbergh, der Meister des Goldes, der an zu lachen fing und weiter auf den Jarl einstach. Drei Nachtzwerge normaler Größe waren jetzt aus einem Gebilde hervorgetreten. Ein Saal, der wie von gewachsenen Felsnadeln eingerahmt war. Um den Jarl war ein chaotisches Gemenge ausgebrochen. Grünliches Licht breitete sich aus, als Edda eine Kugel aus purer Säure beschwor, die über Hjelmin Niederstein hinabregnete. Dann waren da die Gebete. Es war Theodek Nihthruk, der Meister des Erzes, der den Gesang zum Gotte Laduguer beschwor. Der nachtzwergische Priester hatte ein rundliches Gesicht und lange Haare, welche die Spuren einer anfangenden Glatze zeigten. Er trug ein Kettenhemd aus Ne’ilurum und einen Kriegshammer. Der Gesang währte jedoch nicht lange. Er wurde behindert von den zischelnden Lauten Neires, der wiederum zu Jiarlirae betete. Jarl Eldenbarrer richtete sich qualvoll auf und wurde von mehreren Schnitten und Schlägen getroffen. Kulde und seine Riesen kämpften tapfer, doch jeder Angriff schien ins Leere zu gehen. Der Jarl hatte seine Klinge gerade erhoben, da zog der Nachtzwerg am Portal den kleinen rötlichen Edelstein hervor. Licht schimmerte in dem Rubin, den Daerdrin Balnhelm, Meister des Feuers, zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Im rötlichen Licht wurden die Runen der bemäntelten Gestalt sichtbar, die über seinen gesamten Körper eingebracht waren. Dann zerdrückte der Runenleger den Stein, der in tausende kleinerer Feuerfunken zersprang. Um Eldenbarrer und die Riesen löste sich eine Explosion von hellweißen Flammen. Eldenbarrer taumelte. Hauk ging blutüberströmt und verbrannt zu Boden. Der Jarl nahm sein Schwert Thiangjord und schnitt sich damit durch die linke Hand des eigenen Fleisches. Seine Augen begannen zu glühen wie rote Kohlen, sein langer roter Bart fing an zu brennen. Dann brüllte Eldenbarrer und atmete das Feuer des Lindwurmes Thiangjord. Hjelmin Niederstein und Dardal Vengerbergh wurden augenblicklich dahingerafft. Ihre Körper verschrumpelten zu Haufen schwelender, schwarzer Asche. Doch aus den Flammen trat der in einen Plattenpanzer gekleidete Nimnor Steinbart, Meister des Werkzeugs. Er war schlank und groß für einen Nachtzwerg – von langem, glattem Haar und ohne Bart. Der noch junge Krieger trug ein Langschwert in der rechten und eine kürzere Klinge in der Linken. Er rammte das Langschwert in den Bauch des Jarls. Eldenbarrer spukte Blut und sein schwarzes Schwert fiel klirrend zu Boden. In dem Chaos des Kampfes wendete sich der Nachtzwerg den Riesen zu und erhob erneut das Schwert. Hinter ihm zuckten die Lichter von Explosionen, als seine beiden Gefährten Daerdrin Balnhelm und Theodek Nihthruk im Feuer Neires getötet wurden. Nimnor Steinbart war der letzte der Baumeister und er kämpfte furchtlos weiter.

Da war der Geschmack von Blut in meinem Mund. Da waren diese Stimmen. Sie waren überall und ich konnte sie anfangs nicht verstehen. Doch je länger ich in der Schattenmark verweilte, desto klarer wurden die Worte. Der Kampf war vorbei und ich begann bereits zu vergessen. Der Geschmack von Blut war bereits vergangen. Alles um mich herum war es grau und schemenhaft. Alles war kalt… so kalt. Kein verheißendes Feuer der Herrin des Propheten. Keine geheimnisvollen Schatten. Es war wie ein Gefängnis in dem ich mich befand. Ein Gefängnis an einem fremden Ort im Stein. Ein Gefängnis, von dem ich mit bestimmter Sicherheit wusste – es gab nur mich an diesem Ort.

Ich trat in den Saal hinein, der dort lag in den Schatten. Die Wände waren wie ein Spinnennetz. Ein komplexes Muster aus glitzernden Metallarten im Felsen. Da war eine nachtzwergische Statue in der Mitte, gesichtslos… formlos. Da waren sechs dunkle Throne, mit nachtzwergischen Runen. Eine Rune glühte und auf diesem Thron saß er. Jetzt wusste ich, dass ich nicht allein war. Die Gestalt war schemenhaft und wie aus einem weißen Schleier. Ich sprach zu ihm und er antwortete mir. Er war eine von den sechs Stimmen, die ich zuvor gehört hatte. Er war uralt und von übernatürlicher Weisheit.

Hulthrum Aschfall: „Kommet herein mein König Eldenbarrer. Ihr wandelt nun hier für eine Weile. Auch wenn ihr bald in ein anderes Reich schreiten müsset.“
Jarl Eldenbarrer: „Wer seid ihr und was ist das für ein Ort? Wie kam ich nur hierher?“
Hulthrum Aschfall: „Töricht wart ihr mein König, denn atmetet ihr einst das Feuer… die Flammen, die dem ewigen Leben meiner Brüder ein Ende bereiteten. Jetzt seid ihr tot König Eldenbarrer. Nur ich werde hier verweilen… nur Hulthrum Aschfall ist noch übrig, der Meister des Stahls.“
Jarl Eldenbarrer: „Was ist es was euch hier hält? Was mag es sein, was ihr begehret?“
(Hulthrum Aschfall lacht.)
Hulthrum Aschfall: „Dreht euch um, seht ihr es nicht, blinder König? Es ist der Kragen der Träume. Wir schufen einst diese ewige Welt im Stein. Eine Welt in einer anderen Welt und doch eine Welt. Wir schufen sie und wir dienten dem Kragen. Doch jetzt dient der Kragen uns.“
(Der Jarl – mit tödlichen Wunden überzogen und halb durchsichtig – dreht sich um und blickt auf den Kopf der Statue hinab. Dort sieht er die eiserne Kette, in die zwei Sapphire und ein Rubin eingelassen sind. Aus der Kette sind fünf haarfeine Fäden herausgeführt, die den gesichtslosen Kopf wie eine Hand umschlingen. Der Kragen der Träume glüht in einem Funkeln von Silber und Edelsteinen.)
Jarl Eldenbarrer: „Ihr erschüfet diesen Ort und ihr dientet einst diesem Geschmeide? Jetzt dient es euch? Hulthrum Aschfall, Meister des Stahls.“
Hulthrum Aschfall: „So möge es sein, mein schwacher König. Doch euch mag es nicht mehr kümmern. Wir wissen, wie es um eure Seele steht. Habt sie hier verkauft, hier in unseren Gefilden. Werdet hinabsteigen einst, in IHR Reich aus Flamme und Düsternis… kleiner König, armer König, einsamer König… zu ewiger Höllenqual verdammter König…“
Jarl Eldenbarrer: „Spotte er nicht über mich. Ich bin… mein Name ist… ich bin… ihr sagtet, ich bin König Eldenbarrer. Man spottet nicht über einen König.“
Hulthrum Aschfall: „So möge es sein, mein König. Wir sahen euer Volk und wir wollten sie beherrschen. So wie wir Eurborea beherrschen wollten. Wir wollten nicht mehr die Baumeister von Stahl, Gold, Erz, Feuer, Stein und Werkzeug sein. Wir wollten die Baumeister der Gedanken sein. Doch verratet mir euer Geheimnis, König. Wieso konnten wir sie nicht kontrollieren, die Gedanken eures Volkes? Wieso wurde euer Gezücht wahnsinnig und begann sich gegenseitig zu fressen? Bei all dem Blutvergießen, ihr seid mir eure Antwort schuldig. Bevor ihr gehen müsst, so antwortet mir. Ich werde euch alles erzählen König. Alle unsere Geheimnisse. Wir waren bereit in den Tod zu gehen, um unseren Traum von Macht zu verwirklichen, um die Baumeister der Gedanken zu werden. Und wir sind in den Tod gegangen, doch kamen zurück, um in unseren leblosen Hüllen zu weilen. Was ist euer Geheimnis, König Eldenbarrer?“
(Hulthrum schreit Eldenbarrer in Verzweiflung an.)
Jarl Eldenbarrer: „Die alten Weisen meiner Rasse sprechen von einem Gott, der das Schwert aus Sternenfeuer trägt. Er ist der Vater unseres Blutes, der größten Rasse auf Erden. Er versprach uns alles zu Beherrschen und er gab uns die Fähigkeit zu träumen. Denn sein war das Reich aus ewigem Feuer und aus schwarzem Unleben. Er sollte einst den Weltenbrand bringen, doch in seinem Reich konnte man nicht träumen. Es war das Reich von eiserner Disziplin und blindem Gehorsam. So mussten wir träumen, die Rasse der Jötunar. Und seitdem träumen wir vom Weltenbrand. Denn im Reich des Feuergottes wandeln die Toten. Und Tote träumen nicht. Selbst nicht vom Weltenbrand träumen sie.“
(Ein Schrei von Hulthrum Aschfall dringt durch die Schattenmark. Er versucht noch nach dem Kragen der Träume zu greifen, als er seinen Fluch bemerkt. Dann zerplatzt die glühende Rune seines Thrones und seine Seele wird in ewige Schwärze gerissen.)
« Letzte Änderung: 6.09.2024 | 22:11 von Jenseher »

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Sitzung 117 - Berichte aus Dreistadt - Teil I
« Antwort #132 am: 6.09.2024 | 22:11 »
Jarl Eldenbarrer hielt seine Klinge vor sich und stürzte in die Höhle. Er führte seine Männer in den Kampf. Entgegen dem Licht des Feuers, das in der großen Kaverne loderte. Eldenbarrer musste all seine Konzentration sammeln. Seine Gedanken waren immer öfter abgeschweift in den letzten Tagen ihrer Wanderung. Nach seinem Traum, seiner verblassenden Nahtoderinnerung, war er mit einem Aufkeuchen in das Leben zurückgekehrt. Eldenbarrer hatte den jugendlichen Propheten über sich gesehen, der sich seiner Wunden angenommen hatte. Neire hatte die Schwertherrscherin angerufen, die jetzt auch seine Göttin war und seine Wunden hatten geschlossen. Doch noch Tage später hatte er die Narben der eiskalten zwergischen Klingen gespürt, die das Leben wie von Geisterhand aus ihm gesaugt hatten. Neire hatte auch seinen engsten Berater, den Unteroffizier Hauk, vor dem Tode retten können. So waren die Höhlen der nachtzwergischen Baumeister von ihnen durchsucht worden. Sie hatten die Schätze an sich genommen und neben dem Kragen der Träume, ein metallisches Konstrukt gefunden, das ihnen die Rückkehr durch den dimensionsverbindenden Darm erlaubt hatte. Dann hatten sie die Eisenfeste Sverundwiel hinter sich gelassen. Die ersten Tage ihrer Reise waren schwer gewesen. Doch die Krieger hatten Hauk und ihn gestützt. Der dumme Hügelriese Kulde Kopfstampfer hatte auf Neires Befehl, Essen und Wasser mit ihnen geteilt. Schließlich waren sie der feurigen Landschaft des Höllenkessels entflohen und in die südlichsten Ausläufer der Kristallnebelberge gekommen. Am dritten Tag der Reise war ihnen dann das Jagdglück hold gewesen. Edda von Hohenborn hatte schwere Mammutspuren entdeckt, denen sie in ein ausgetrocknetes Hochtal gefolgt waren. Im Schatten der Nacht hatten sie sich an die Tiere geschlichen, die gerade versuchten einige vertrocknete Bergtannen um ihre letzten lebende Äste zu bringen. Ein jeder der Feuerriesen hatte einen schweren Steinbrocken aufgenommen. Als Eldenbarrer das Kommando gegeben hatte, hatten sie die gewaltigen Steine geworfen. Drei Brocken hatten verfehlt und sein eigener Stein hatte eine der vier Schritt großen Kreaturen, die mit einem langen, schwarzen, zotteligen Fell bewachsen waren, am Hinterteil gestreift. Der Brocken, der von Furgrar geschleudert worden war, hatte den Kopf einer der Kreaturen getroffen, der durch den Felsen eingeschlagen worden war. Mit zuckenden Gliedmaßen war die mächtige Kreatur zu Boden gesunken. Seine drei Artgenossen hatten mit einem Brüllen ihre Stoßzähne gezeigt, waren aber dann stürmend durch das Tal verschwunden. Als der Tag bald anbrach, hatten sie ein Feuer gemacht, das Tier geschlachtet und gebraten. Sie hatten sich an den Fleischmassen sattgefressen, die knusprig und von Fett triefend waren. Obwohl sie alle ausgehungert gewesen waren, hatten sie nur einen Bruchteil des Fleisches essen können und den Rest haltbar gemacht. In der nächsten Nacht hatten sie ihre Reise fortgesetzt und Edda hatte wieder Spuren gefunden. Die Abdrücke hatten drei krallenbesetzte Zehen gezeigt und waren frisch gewesen. Auch Schleifspuren, wie von einer gewaltigen Beute, waren zu sehen gewesen. Sie hatten dann den Eingang zu der Höhle entdeckt, aus dem Rauch aufstieg und aus dem sie den Schimmer von Feuerlicht gesehen hatten. Eldenbarrer hatte seine Krieger in Formation gebracht und so waren sie in die Öffnung vorgedrungen. Hinter dem Eingang offenbarte sich ihnen eine lange, bauchförmige Höhle. Die Decke war bis zu zehn Schritt hoch und die Höhle fast 30 Schritt lang. An einem großen Feuer waren drei Kreaturen zu sehen, die fast vier Schritt groß waren. Sie trugen ein rostfarbenes Fell mit einer bräunlichen Fleckung. Rote Augen schimmerten im Feuerschein und dünne Extremitäten zerrten an dem Fleischberg des Mammut-Jungtieres, das sie auf ein primitives Metallkonstrukt aus alten Waffen gelegt hatten. Ihre Gesichter waren von langen, krummen Nasen geprägt und zeigten eine primitive, hinterlistige Boshaftigkeit. Für einen Augenblick dachte der Jarl an das Mammut, das er mit dem Stein am Hinterteil verletzt hatte. Doch es spielte keine Rolle, welches Tier die drei Ungeheuer erbeutet hatten. Als Eldenbarrer ihren Kampfschrei brüllte, drehten sich die Kreaturen mit einem Jaulen um. Eldenbarrer schwang sein schwarzes Schwert und neben ihm war Kulde aufgetaucht, der in Anbetracht des kommenden Kampfes dümmlich grinste. Sie hatten die Kreaturen überrascht und sie machten sie durch die Gewalt ihrer Angriffe nieder. Als der Prophet Jiarliraes sein Magmafeuer beschwor, ging die letzte der niederen Kreaturen zu Boden. Mit ihren erlahmenden Zuckungen erstarben auch die Schmerzschreie der felligen Bergtrolle. Danach folgten sie hastig den Worten von Neire und warfen die Leiber der Kreaturen ins Feuer. Noch war nicht alles Leben aus den Monstrositäten gewichen, wie ein letztes Aufbäumen zeigte.

~

Es herrschte eine wohlige Wärme in Huldas Thronraum. Das Gemach wurde von Fackellicht erhellt. Kostbare Möbel an den Wänden und seltene Felle auf dem Boden deuteten auf den Reichtum der Feuerriesin hin, die auf ihrem Thron aus Ne’ilurum saß. Die beiden dunklen Schweinsaugen in dem rattenartig zugespitzten Gesicht Huldas blickten gespannt auf das Geschehen. Sie hatte sich in feine Gewänder gehüllt, die in einer übertriebenen Freizügigkeit ihre faltige Haut zeigten. Auch ihr Busen war zu sehen, dessen Brustwarzen in obszöner Offenheit auf Bauchhöhe baumelten. Die Riesen hinter Eldenbarrer starrten auf die rot-goldenen Wandteppiche, die Runen von Jiarlirae trugen und siegreiche Feuerriesen im Kampf zeigten. Zwei eiserne Türen führten in anliegende Gemächer und die Luft um den Ofen aus Ne’ilurum flimmerte. Edda stand hinter Neire und betrachtete das Geschehen. Die Feuerriesen Hauk, Gramraug, Wulfrug und Hurolk nahmen gerade auf den Holzbänken Platz. Kulde hatten sie schon zuvor zu seinen beiden Gefährten Gruschuk und Gulgra geschickt. Der Jarl Eldenbarrer stand neben ihnen und überragte sie. Er hatte während der Reise wieder seine alte Kraft zurückgewonnen. Edda erinnerte sich auch, dass Eldenbarrer lange Gespräche mit Neire geführt und ihn viel über Nebelgard gefragt hatte. Die Feuerriesen waren beeindruckt gewesen von Neires Fähigkeiten. Irgendwie hatte der Prophet von Jiarlirae es geschafft in den Geist von Hurolk einzudringen und ihm seine Angst zu nehmen. Der Riese mit den eingeschlagenen Zähnen, Hurolk, hatte auf der Reise mehrfach seine Treue der Göttin von Feuer und Dunkelheit geschworen. Es war Edda so vorgekommen, als hätte Hurolk sein gesamtes Leben Jiarlirae gewidmet. Die weitere Reise war ereignislos geblieben und so waren sie siegreich in Nebelgard einmarschiert. Sie waren direkt durch die Baustelle der Feste Nebelgard und den Tunnel in den Tempel des Jensehers gereist. Jetzt hörte Edda Neires Stimme und beugte ihren Kopf in alter höfischer Sitte. „Königin Hulda von Isenbuk. Es ist mir eine Ehre euch Jarl Eldenbarrer, den Träger der Flamme von Thiangjord vorzustellen. Ich kehre mit ihm zu euch zurück. Jiarlirae sprach durch mich und sie gab euch ihr Wort.“ Edda bemerkte, wie die Königin lächelte. Sie zeigte dabei ihre schiefen, fauligen Zähne. Auch die Warzen und Geschwüre ihrer linken Gesichtshälfte wurden sichtbar, die sie sonst abwendet hatte. Jetzt donnerte die Stimme von Eldenbarrer neben Edda: „Ich grüße euch, hochverehrte Königin. Ich grüße euch im Namen von Jiarlirae, im Namen von Feuer und Schatten. Ich bin vor euch getreten, auf dass Jiarlirae Zeuge sei: Um eure Hand zu bitten, ich Jarl Eldenbarrer, Träger der Flamme von Thiangjord.“ Als sich Eldenbarrer verbeugte, ließ er den Sack mit Geschmeiden und Gold sinken den er als Mitgift den Nachtzwergen geraubt hatte. Im Schimmern von Gold und Edelsteinen erhob sich die Königin. Ihre aschgraue Haut errötete sich sichtbar, doch sie lächelte Eldenbarrer lüstern an. Hulda fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sprach: „Auch ich grüße euch, Jarl Eldenbarrer. Euer Ruhm und eure Macht sind weit jenseits des Höllenkessels bekannt. Es wäre mir eine Ehre euer Weib zu sein und gemeinsam mit euch ein neues Reich aufzubauen. Ein Reich im Namen der Herrin Jiarlirae.“ Edda trat zu Neire heran und ergriff seine Hand. Sie verstand die Sprache der Feuerriesen jetzt flüssig und war berührt von der Szene. War es ein Schicksal, nach dem sie sich selbst sehnte? Sie flüsterte in Neires Ohr, das sich hinter seinen langen gold-blonden Locken verbarg. „Eine solche Feier sollte nicht überstürzt werden. Eine Krönung eines neuen Königs sollte gebührend gefeiert werden. Sagt es ihm Neire, bevor Eldenbarrer auf andere Gedanken kommt.“ Edda bemerkte, dass Neire nickte und das Wort erhob. „Königin Hulda, Jarl Eldenbarrer. Ihr beide habt den Segen von Jiarlirae. Das Reich soll groß werden und es soll mehr als 1000 Jahre währen. Aber horcht… Etwas so Bedeutsames benötigt keinen bescheidenen, keinen formlosen Anfang. Es soll ein Fest geben, ein Fest, das den Anfang einer neuen Zeit einläuten wird. Ein solches Fest braucht Vorbereitung, bedenkt dies. Jetzt wollen wir jedoch Königin Hulda von Isenbuk und Jarl Eldenbarrer ehren. Götterheil soll ihnen zuteilwerden. Erhebt euch Feuerriesen und preiset die Verlobten.“ Edda vernahm das Rumpeln der Bänke, als die kolossalen Kreaturen sich erhoben. Dann wurde die steinerne Halle durch ohrenbetäubendes Schreien erfüllt. „Heil Königin Hulda, Heil Königin Hulda, Heil Königin Hulda… Heil Jarl Eldenbarrer, Heil Jarl Eldenbarrer, Heil Jarl Eldenbarrer.“

Offline Jenseher

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Sitzung 117 - Berichte aus Dreistadt - Teil II
« Antwort #133 am: 13.09.2024 | 20:09 »
Nach ihrem Besuch bei Königin hatten Edda, Neire und Heergren die Gemächer der Feuerriesen verlassen. Königin Hulda hatte sie aber gewarnt, dass die Späher Halbohrs auf sie warten würden. Sie hatten sich der Sache direkt angenommen und den Spähern im inneren Tempel eine Audienz gewährt. Vorgefunden hatten eine Reihe dreckiger und unscheinbarer Gestalten. Sie hatten das Aussehen von einfachen Tagelöhnern, die in zerschlissene graue Gewänder gehüllt waren. Die Späher hatten ihnen von der Stiurmark berichtet, die wohl in den in den letzten beiden Jahren verweist war. Die Angriffe der Riesen waren zwar weniger geworden, jedoch lag die Sphäre der Dunkelheit wohl noch immer über Aschwind. Die Einwohner hatten den Landstrich verlassen und waren über die Berge in das Fribönder Land oder das Orumanische Reich geflohen. Keines der beiden Länder hatte den Einwohnern geholfen die Stiurmark zurück zu erobern. Die vereinigten Grafschaften und Herzogtümer des Fribönder Landes hatten selbst gegen die Riesen gekämpft und befanden sich mit dem Orumanischen Reich in mehreren kleinen Grenzkonflikten. Die Ritter des Orumanischen Reiches hatten wiederum einen jahrhundertelangen Niedergang erlebt. Sie schwelgten in ihren Traditionen der Runenschwerter, auf die sie den Namen ihres Reiches zurückführten. Auch Neire hatte bereits von der alten Sprache der ersten Menschen gehört, die sich als Ortrunarmannen oder Schwertrunenmänner bezeichneten. Die Benennung der Orumanen ging wohl auf eine Verschleifung des ursprünglichen Namens der Ortrunarmannen zurück. Die Späher hatten aber auch von einer drängenden Gefahr für den Tempel des Jensehers berichtet. Sie hatten einen Zustrom von Flüchtlingen in das Protektorat Dreistadt bemerkt. Insbesondere in Dreistadt war ein reges Treiben und eine ungebremste Bautätigkeit bemerkt worden. Die Stadt gewann wohl wieder an Macht und hatte bereits die Adlerburg mit Soldaten bemannt. Neire, Edda und Heergren hatten eine Weile zugehört und die Späher dann entlassen. Sie hatten sich schnell entschieden, in Dreistadt nach dem Rechten zu schauen. Nur kurz hatten sie geruht und weitere Sprüche vorbereitet. Dann waren sie aufgebrochen. Neire hatte seine schwarze Kunst benutzt, um sie sofort nach Dreistadt zu bringen. Sie waren in ihrem alten Gemach unter dem Dachfirst erschienen, das sie einst von Ariold, dem Wirt der Dreistädter Taverne gemietet hatten. Das Gemach war jedoch belegt gewesen. Der Geruch von Alkohol und Ausdünstungen war in dem kleinen Zimmer zu vernehmen, das jetzt mit einem Bett, einem Waschzuber und einer Kommode eingerichtet war. Aus dem Bett kam ein Schnarchen. Sie konnten dort eine dickliche Gestalt liegen sehen, die eine Halbglatze und ein von Fettwülsten besetzter Nacken auszeichnete. Über einem Stuhl hing ein zerschlissenes Lederwams. Dort waren auch dreckige Stiefel und eine Zimmermannstasche mit Nägeln und einem Hammer zu sehen. Kurz glitzerten Neires Augen mit einem rötlichen Schimmer in der Dunkelheit. Der jugendliche Priester beugte sich über die schlafende Gestalt und flüsterte: „Wacht auf Menschlein und lauschet den Worten eines Freundes.“ Das schwere Atmen des Mannes hörte auf, als er sich räusperte und langsam erhob. Er konnte Neire nicht sehen und starrte fragend in die Dunkelheit. Das pausbackige Gesicht des Fremden schimmerte rötlich und hatte zwei eng zusammenstehende braune Augen. Ein fauliger Atem von Restalkohol strömte Neire entgegen. „Ist das ein Traum? Eure Stimme, so vertraut. Ja, Freund… ich bin hier, doch ich kann euch nicht sehen. Es ist so dunkel.“ Neire legte dem Fremden seine linke Hand auf die Schulter. „Das macht nichts Menschlein. Wie ist euer Name und was macht ihr hier in Dreistadt?“ Die Stirn des Fremden legte sich in Falten, als er nachdachte. „Wie meint ihr Freund. Mein Name ist Harivald und ich bin noch nicht lange hier. Bin geflohen aus dem Hornheimer Land. Ein langer Weg, lang und beschwerlich. Jetzt habe ich Arbeit hier in Dreistadt. Arbeit und Unterkunft.“ Neire nickte Harivald zu, dessen Augen ziellos durch die Dunkelheit glitten. „Wer herrscht hier in Dreistadt? Und wie finde ich ihn?“ Jetzt glättete sich die Stirn Harivalds. „Sein Name ist Oordrin. Habe ihn noch nicht gesehen. Aber er soll im mittleren der drei Türme wohnen.“ Neire beugte sich nun zu Harivald hinab und flüsterte zischelnd. „Habt dank Harivald und vergesst diesen kurzen Traum. Schlaft euren Rausch aus und vergesst die Stimme aus den Schatten.“ Schon schloss Harivald seine Augen und sank in einen tiefen Schlaf.

Edda folgte Neire in den Schankraum, aus dem sie lebhafte Stimmen hörte. Sie hatten zuvor das Gemach Harivalds über die Außentreppe verlassen und sie hatte den Geruch der Meeresluft gerochen. Dreistadt hatte sich verändert, seitdem Neire und Bargh vor fast zwei Jahren hier gewesen war. Obwohl es Nacht gewesen war, hatten sie Bürger auf den Straßen gesehen. Viele Häuser, die vorher verrammelt gewesen waren, waren jetzt erneuert worden. Auch neue Bauten waren errichtet worden und sie hatte selbst auf dem Hügel neue Häuser gesehen. Die Ruinen der einst verbrannten Türme waren von Steinmetzen wiederaufgebaut worden und überragten erneut die Stadt. Edda trat ein in den Raum, aus dem sie den Geruch von gebratenem Fleisch und Bier vernehmen konnte. Da war auch der Duft von Kräutern und Pilzen. Jüngere Männer saßen an verschiedenen Tischen. Die Besucher hatten zerschlissene Kleidung, Schwielen-besetzte Hände und heruntergelebte Gesichter. Einige trugen Zimmermanns- oder Steinmetzwerkzeuge; andere hatten ihre schweren Arbeitergürtel auf die Tische gelegt. Augenpaare wendeten sich ihnen zu, doch der Geräuschpegel nahm nicht ab. Als sie sich an einen Tisch gesetzt hatten, kam ihnen eine dickliche Gestalt entgegen. Der Mann hatte vielleicht 45 Winter erlebt. Er war in einen einfachen rot-braunen Umhang gekleidet und hatte sich das braune Haar mit Fett nach hinten gekämmt. Er lächelte sie an, als er sich an ihrem Tisch verbeugte. „Fremde, willkommen in unserer einfachen Schenke. Willkommen in Dreistadt. Mein Name ist Lom. Mein Bruder Volgund und ich werden für euer Wohl sorgen. Trinkt und esst, soviel wie ihr könnt.“ Edda mochte den Wirt nicht, der gespielt freundlich wirkte. Neire antwortete in seinem zischelnden Nebelheimer Dialekt. „Gehört diese Schenke nicht Ariold? Wir hörten einst von dem missmutigen Wirt aus Dreistadt.“ Jetzt lachte Lom auf. „Ariold? Nein, das ist lange her. Er ist verschwunden, so erzählte man mir. Ward plötzlich nicht mehr gesehen. Jetzt sorgen wir uns um die Gäste. Mein Bruder und ich.“ Neire nickte Lom zu, der sich jetzt zu ihnen beugte. „Ich vertraue euch ein kleines Geheimnis an, auch wenn ich euch nicht kenne. Wir haben nicht viel zu tun hier. Erhalten all unser Bier und Essen aus den Türmen. Müssen es nur warm machen und dafür sorgen, dass es schön knusprig wird. Wir haben unser eigenes Getränk, das wir hier brauen. Es hat das gewisse Etwas, ja, ich kann es euch nur empfehlen. Soll ich euch einen Humpen davon bringen?“ Edda nickte und antworte. „Bringt mir einen Humpen und etwas von eurem Essen.“ Lom richtete sich auf und strich sich über seinen Bauch. Seine Pausbacken glänzten rosig im Schein der Lampen. „Nun gut. Ihr solltet aber nicht zu viel davon trinken. Wie gesagt, es hat das gewisse Etwas.“ Sie unterhielten sich mit Heergren, bis Lom mit seinem Bruder zurückkam. Sein Bruder Volgund war jünger, hatte braunes Haar, ein eingefallenes bleiches Gesicht und einen stoppeligen Bart. Er schwankte und verströmte den penetranten Geruch von Alkohol. Volgund und Lom brachten ihnen dampfende Teller mit knusprig-braun gebratenen Hähnchenschenkeln. Auch einen frischen Laib eines dunklen Kräuterbrotes stellten sie ihnen, zusammen mit drei großen Humpen, auf den Tisch. Als Neire fragte, was sie dem Wirt schuldeten, lachte Lom. „Nein, Reisende. Ihr schuldet uns nichts. Das Essen ist umsonst in Dreistadt, umsonst für jeden der hier arbeitet. Und natürlich auch für euch. Auch, wenn ihr nur auf der Durchreise seid.“ Heergren beugte sich bereits über den Teller und begann zu essen. Er riss dicke Stücke aus dem Hähnchenbollen und Fett rann über den Bart des Nachtzwerges. Lom beugte sich aber nochmal zu ihnen hinab und flüsterte. „Für unser Bräu müsstet ihr eigentlich zahlen. Aber das Getränk geht aufs Haus. Ich mag euch, Fremde. Und ihr seid meine Gäste.“ Edda bedankte sich lächelnd, während Neire zischelnd eine Frage stellte. „Was ist das für eine Stadt Mensch? Wer zahlt für das Essen? Im Leben gibt es nichts umsonst.“ „Das Essen kommt von Oordrin. Er bereitet es natürlich nicht selbst zu, aber er sorgt sich um alle. Und ja, hier in Dreistadt ist das Essen umsonst. Essen gibt es hier gegen Arbeit. Wer arbeitet, der kann Essen; soviel wie er will.“ Der Wirt entfernte sich mit diesen Worten und sie waren wieder allein an ihrem Tisch. Edda schaute zuerst Neire dann Heergren an. Dann sagte sie: „Ihr habt Recht Neire. Was ist das für ein seltsamer Ort, an dem sich Pöbel und Abschaum vollfressen können. Und wer zur Hölle ist dieser Oordrin?“ Bevor Neire antworten konnte rülpste Heergren und sprach schmatzend. Das Fett lief dem Nachtzwerg aus den Mundwinkeln hinab. „Ach, was kümmert es uns… Fräulein von Hohenborn. Es sind einfältige Bastarde. Sie sind fett und schwach. Sie werden schon bald sterben.“ Edda lachte und nahm sich jetzt einen Hähnchenschenkel. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Schattenkräfte beschwören würde. „Wir werden Oordrin aufsuchen und einmal mit ihm sprechen. Irgendetwas ist faul in Dreistadt.“ Edda nickte und dachte ihre Zeit in Sturmhort am Ostend. Hatte sie Heimweh nach ihrem alten, höfischen Leben? Nein, das hier war so viel besser. Sie konnte tun und machen, was sie wollte. Sie lernte die Geheimnisse jenseits der Schatten zu verstehen. Und sie war verliebt. Sie war verliebt in Neire von Nebelheim, den kindlichen Propheten. Sie wusste in ihrem Herzen, dass Neire sie liebte. Sie betete zu Jiarlirae um eine glorreiche Zukunft. Eine Zukunft unter dem Runenbanner der Dualität von Flamme und Düsternis.

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Sitzung 118 - Der Geruch des Dreistädter Küstennebels - Teil I
« Antwort #134 am: 20.09.2024 | 20:17 »
Sie waren aus dem Gasthaus herausgetreten und hatten die laute Gesellschaft und die Kneipenluft hinter sich gelassen. Nach der von Alkohol, Schweiß, Bier und Braten, geschwängerten Luft, vernahmen sie jetzt die abgekühlte Meeresbrise der Sommernacht. Die Wolken waren hier und dort aufgebrochen und offenbarten einen glitzernden Sternenhimmel sowie die dünne Scheibe des aufgehenden Mondes. Dreistadt schlief größtenteils, doch neben dem fernen Rauschen der Brandung an den Klippen konnten sie die Stimmen von Einwohnern hören. Öllaternen baumelten an Pfählen und Soldaten waren mit ihren Patrouillengängen beschäftigt. Neire hatte seinen Tarnumhang abgelegt. Seine schwarze Robe glitzerte im Sternenlicht. Er warf seine gold-blonden Locken zurück und schaute mit einem Lächeln in Richtung der Anhöhe. Neben den drei Türmen konnte er einige Neubauten dort sehen. Der junge Priester erinnerte sich, dass das Gebiet um die Türme zuletzt dem Magistraten aus Dreistadt vorbehalten war. Die Zeiten mussten sich wahrlich geändert haben in Dreistadt, wenn sie jetzt sogar den Bau von Häusern dort erlaubten. „Lasst uns die drei Türme aufsuchen und mit diesem Oordrin sprechen. Vielleicht erfahren wir von ihm, wie…“ Weiter kam Neire nicht, denn hinter ihm knallte die Tür der Schenke zu. Erschienen war Heergren, der ein lautstarkes Rülpsen von sich ließ und sich den Mund abwischte. Seine blauen Augen schimmerten eiskalt in der Dunkelheit und Schweiß bedeckte seine von blauen Venen überzogene Glatze. Heergren nahm einen tiefen Zug der Abendluft. Dann verzog er etwas das Gesicht, als würde er den Geruch nicht kennen: „Ist das die See, Prophet?“ Der Nachtzwerg hatte seine Schlachtenaxt geschultert und strich sich durch den grauen Bart, um dort Fett- und Fleischreste zu beseitigen. Ihn störte nicht, dass das Fett auch seinen Schienenpanzer besudelte. Jetzt lächelte Neire Heergren und auch Edda an. Dann deutete er über die düstere Silhouette der Stadt und gen Himmel. „Schaut, betrachtet… Heergren. Diese Weite der Oberwelt, die Sterne.“ Heergren kratzte sich mit der linken Hand an seiner roten, hässlichen Narbe, die waagerecht über seinem Ohr und bis in sein Gesicht zu sehen war. Dann antwortete er Neire. „Wie Löcher in der Decke einer Höhle… wenn man dort hinaufsteigt, kann man durch sie hindurchsehen?“ Jetzt war das helle Lachen von Edda zu hören, die zu Neire herangetreten war und seine Hand hielt. „Nein Heergren. Sie sind unerreichbar für uns. Aber Legenden ranken sich um die Sterne. Einige wandern und andere nicht. Meine Vorfahren haben schon vor tausenden von Jahren mit Hilfe der Sterne die Meere navigiert.“ Edda trug ihr schwarzes Haar offen. Ihre Haut schimmerte schneeweiß im Mondlicht, in Kontrast zu ihren roten Lippen. „Wie solle man navigieren nach ihnen, wenn sie sich bewegen? Wie könnt ihr mit einem Boot euer Ziel erreichen?“ „Ich habe nie ein Boot gesteuert, auch wenn ich eine Tochter von Vintersvakt bin. Ihr solltet dort einen Seefahrer fragen. Tief im Süden, wo Vintersvakt liegt. Oder auch in Sturmhort am Ostend, dem Vasallenstaat von Vintersvakt in den Küstenlanden.“ Heergren schüttelte sich und spukte aus. „Waah, ihr Menschen. Ich bevorzuge die Reiche unten im Stein. Der Stein erzählt mir seine Geschichte und dreht sich nicht, wie ein laues Lüftchen.“ Bei diesen Worten rümpfte Heergren die Nase und Edda lachte erneut. Neire schaute indessen wieder hinauf und sprach zu Edda und Heergren. „Ich habe von den Sternen gelesen. Schon damals in der Bibliothek von Nebelheim. Ich habe von ihnen geträumt, wie die ersten Menschen, die sie einst betrachteten. Ich träumte von ihnen selbst da, als ich sie noch nie gesehen hatte. Ihre Bewegungen verlaufen immer gleich. Kennt ihr die Jahreszeiten und die Bewegung, so könnt ihr nach ihnen navigieren. Auch werden die Sterne in Bildnissen gedeutet.“ Neire hob seine verbrannte linke Hand und deutete in den Himmel. Er umarmte Edda dabei und hielt sein Gesicht an das ihre. „Dort schaut Edda. Es ist das Zeichen der Schlange. Die Menschen erzählen sich, dass die große Schlange einst von den Sternen kam und hinabstürzte, auf diese Erde. Dort soll sie an den Wurzeln der alten Esche nagen, die irgendwo in der Erde versteckt sind. Es sind diese und andere Geschichten, die die Menschen trügen. Nur die Menschenschlange des wahren Blutes ist heilig. Sie wird auf den Abstieg vorbereitet und…“ Weiter kam Neire nicht. Er wurde unterbrochen von den Geräuschen des Karrens, der näher auf sie zukam. Zwei junge, gut beleibte, aber nicht fettleibige Männer zogen den Karren. Einer hatte braune lockige Haare, braune Augen und ein blasses Gesicht mit erstem Bartflaum. Der andere hatte blondes, kurzes Haar und gräuliche Augen. Beide zogen das offene Gefährt, dessen Ladefläche mit Körben von frisch gebackenem Brot gefüllt war. Die beiden Männer beachteten sie nicht weiter, stellten den Wagen vor der Tür ab und hämmerten mit der Faust auf das Holz. „Lom, Volgund. Die Lieferung aus den Türmen ist da. Kommt heraus!“ Es dauerte nicht lange, da erschien Lom, gefolgt von seinem Bruder Volgund. Lom schien nicht besonders erfreut über die Arbeit und Volgund verzog gar miesmutig sein Gesicht. „Angnar, Baldwin… was bringt ihr uns zu dieser späten Stunde?“ Angnar, der Junge mit den braunen Locken, antworte schneller und war sichtlich gereizt. „Das seht ihr doch selbst Lom, so dunkel ist es nicht. Die letzte Lieferung für uns, für diese Nacht. Ladet endlich ab, wir sind müde und wollen schlafen.“ Lom und Volgund begutachteten die Brote, fingen dann aber an den Wagen zu entladen. Angnar und Baldwin lehnten sich gegen die Wand des Gasthauses und ruhten sich aus. Schweiß bedeckte ihre Gesichter und ihnen war die Müdigkeit anzuerkennen. „Grüßt euch, ihr da! Bringt ihr das Essen aus den Türmen?“ Neire war zu den jungen Männern getreten. Edda und Heergren folgten ihm. Angnar schaute mürrisch drein, doch Baldwins Blick musterte für einen Augenblick Edda. Er versuchte ein Lächeln zu verkneifen und schaute schüchtern zu Boden. „Na.. natürlich. Wir… äh…. wir bringen die Lieferungen.“ Edda hatte ihren Kopf auf Neires Schulter gelegt und sprach Baldwin lächelnd an. „Arbeitet ihr für Oordin?“ Dem jungen Mann stieg die Röte ins Gesicht, als er seinen Blick schnell wieder abwendete. „Ja, ehrenwerte Dame. Wir arbeiten für Oordin. Ohne uns, bekommen sie hier kein Essen.“ Nachdem Baldwin den Satz beendet hatte, war deutlich das Aufächzen von Angnar zu hören, der zudem die Augen verdrehte. Edda fragte: „Braucht er noch Arbeiter? Und was zahlt er, dieser Oordrin.“ Wieder war da dieses Lächeln, das sich fast in ein Grinsen wandelte. „Nein… edle Dame. So läuft das nicht hier, in Dreistadt. Wir verrichten ehrenwerte Arbeit und erhalten dafür Brot und Unterkunft. Essen so viel wir wollen.“ Er hielt kurz inne und seine Augen berührten schüchtern die von Edda. „Bis jetzt ist es nur ein Bett und ein Dach über dem Kopf. Aber vielleicht erhalten wir bald schon ein Gehalt…“ „Nun, wir müssen Oordrin einmal besuchen und ihn selber fragen. Gewährt er den Bürgern Audienzen?“ Während Neire sprach, räumten Lom und Volgund die letzten Körbe vom Wagen. „Jeder kann ihn sprechen. Er befindet sich im mittleren Turm. Ist immer da für uns… Nun, vielleicht zahlt er dem Herrn Krieger“ - er schaute zu Heergren - „einen Sold. Sie sind auf der Suche nach Kämpfern, die edle, schöne Fräuleins wie euch beschützen.“ Edda lachte laut auf und Baldwins Gesicht errötete erneut. Dann nahm der Junge all seinen Mut zusammen und stotterte: „Vielleicht… vielleicht können wir ja nachher… nachher etwas zusammen essen… zusammen essen? Meine… meine Dame. Meine Arbeit für heute ist heute getan.“

Sie hatten die beiden Träger danach verabschiedet und waren in Richtung der drei Türme aufgebrochen. Edda hatte die Frage nach dem gemeinsamen Essen nicht verneint und mit der Andeutung eines möglichen Wiedersehens geantwortet. Neires Gesicht war versteinert gewesen und er hatte geschwiegen. Erst Heergren hatte die Stille gebrochen und Edda auf das merkwürdige Verhalten des Karrenziehers angesprochen. Der Nachtzwerg hatte sich gewundert, warum die Menschen so seltsam reagieren, wenn sie sich mit Weibern unterhielten. Edda hatte betont beleidigt reagiert und Heergren darauf hingewiesen, dass sie ihn eigentlich schätzte. Sie hatte ihm erklärt, dass der Karrenzieher zweifelsohne von ihrer Schönheit und ihrem hohen Stand beeindruckt gewesen war und dass Heergrens Frage eine Beleidigung für sie sei. Der Nachtzwerg hatte sich danach mehrfach entschuldigt, aber Neire derweil unterwürfig angeschaut. Es musste wohl Loms Getränk, mit dem gewissen Etwas gewesen sein, dass sie zu derartigem Verhalten angestiftet hatte. Nachdem sie das Streitgespräch beendet hatten, hatten sie sich mit einfacher Kleidung getarnt und ihre magischen Gegenstände verborgen. Dann waren sie in Richtung der Anhöhe der drei Türme geschritten. Sie hatten die Gatter als geöffnet vorgefunden. Auf den einst grünen Wiesen des aufsteigenden Geländes waren die Bauten von neuen Häusern sowie einige Baustellen zu sehen gewesen. Ihr Weg hatte sie an den beiden vorgelagerten kleineren Türmen vorbeigeführt, deren Mauern wiederaufgebaut worden waren. Jedoch hatten sie aus dem jeweiligen Erdgeschoss ein Stimmengewirr sowie Schreien und Lachen von Kindern gehört. Edda hatte einen Blick in das dunkle Innere werfen können und eine Ansammlung von Betten und Lagern gesehen. Sie waren an dem Treiben des Gesindes vorbei und auf die Eingänge des großen hinteren Turmes hinzumarschiert. Beide Türen waren weit geöffnet und so konnten sie in das Innere eintreten. Licht und Feuerschein strömte ihnen entgegen. Da war ein Gewusel, ein Gewimmel von Menschen. Da war der Geruch von frisch gebackenem Brot, von gebratenem Fisch und geröstetem Fleisch. In diesem Geschoss arbeiten Männer an großen Backöfen; Frauen bereiteten einen Teig aus verschiedenen Zutaten zu. In einer ohrenbetäubenden Lautstärke riefen sich die Arbeiter Befehle durch den Raum. Der Großteil war gut beleibt, andere stark übergewichtig. Die Hitze und die Arbeit trieben ihnen den Schweiß in die Augen. Es war aber nicht das Treiben, das die Aufmerksamkeit von Neire fesselte. In der Mitte der Turmhalle hatte sich eine Gruppe von fünf Personen gesammelt, von denen drei niedergekniet waren. Sie waren Neire mit dem Rücken zugewendet und trugen Kettenhemden. Vor den drei Knienden stand eine sonnengebräunte Kriegerin mit rotbraunen Haaren. Sie hatte ein grobkantiges Gesicht, in dem Striemen von Narben zu sehen waren. Besonders markant war aber ihre schiefe, einst wohl gebrochene, Nase. Sie war gekleidet in einen silbern schimmernden Feldharnisch. Zudem trug sie einen Schild, auf dem ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen zu sehen war, der wiederum eine stilisierte Sonne in seinen Klauen trug. Hinter der Kriegerin stand ein unscheinbarer Mann, gekleidet in einfache Leinengewänder. Er hatte ein glattes, bartloses Gesicht und kurze hellblonde Haare. Die Silhouette seiner Robe wurde hier und dort von Ansätzen von Fett gewölbt. Seine beiden grünen Augen betrachteten allerdings forsch die Umgebung. „So erhebet euch nun als Krieger der Adlerfeste. Euer Schwur, sie mit eurem Leben zu verteidigen, ist erhört worden. Eure Kinder und eure Kindeskinder werden euch um eure Taten beneiden und euch frohlocken. Ihr habt euch als stark und als fähig erwiesen. So geht nun und meldet euch beim Kommandanten der Feste. Eure Wacht soll nun beginnen.“ Die Stimme der Kriegerin war lieblich klingend und selbst einige Arbeiter horchen auf. Sie drehten sich um, schenkten dem Geschehen ihre Aufmerksamkeit und applaudierten, indem sie mit ihren Werkzeugen auf die Öfen und Anrichten schlugen. Die Kriegerin holte jetzt drei Amulette hervor, die an eisernen Ketten befestigt waren. Sie trugen das Wappen des Adlers und der Sonne. Neire kannte das Symbol nicht, doch Edda konnte es als neues Wappen der Krieger der Adlerfestung identifizieren. Nachdem sich die Geweihten erhoben hatten, wurden sie von der Kriegerin hinausgeleitet. Neire, Edda und Heergren näherten sich nun dem unscheinbaren Mann in den Leinengewändern. Als sie weiter in den Raum getreten waren, wurden sie von der Kriegerin mit ernstem Blick gemustert. Die liebliche Stimme war nochmals zu hören, als sie in Richtung Edda sprach: „Mädchen, ihr seht erschöpft aus. Meldet euch bei Oordrin, dem Verwalter. Er wird sich um euch kümmern und für euch sorgen. Lasst mich euch sagen. Hier seid ihr sicher. Ihr müsst keine Angst mehr haben.“ Sie lächelte Edda zu und verschwand mit den drei Kriegern durch den Eingang. Sie waren mittlerweile bis in die Mitte der großen Halle vorgedrungen, in der das Treiben wieder mit voller Lautstärke fortgesetzt wurde. Auch der Verwalter musterte sie und Heergren, der sich jetzt an ihre Spitze gesetzt hatte. Der Nachtzwerg sprach den Berobten in der gemeinen Zunge an. „Ihr müsst Oordrin, der Verwalter sein. Ich bringe euch zwei Flüchtlinge, die von jenseits der Berge stammen. Sie sagten mir, ihr würdet hier für die Ablieferung von Flüchtlingen bezahlen. Also stehe ich hier und verlange mein Gold. Begutachtet sie, wenn ihr mögt, aber ich versichere euch, es ist ihnen nichts zugestoßen. Ich habe dafür Sorge getragen.“ Oordrin zog eine Augenbraue hoch, bevor er antwortete. Dann erklang seine ruhige und bedachte Stimme. „Ist das so? Nun, wenn man euch dies erzählt hat, mein Freund, dann hat man euch nicht die Wahrheit gesagt. Wir kaufen hier keine Flüchtlinge. Wir sind keine Menschenhändler. Doch wir nehmen Flüchtlinge auf. Jeder ist sicher hier und erhält kostenlos Unterkunft und Brot. Im Gegenzug verlangen wir Arbeit. Doch auch jene, die gelitten haben und nicht arbeiten können, werden von uns nicht ausgeschlossen. In einer Sache lagt ihr jedoch richtig. Ich bin Oordrin und ich bin der Verwalter hier.“ Oordrin wendete sich jetzt Neire und Edda zu und winkte sie heran. „Ihr beiden, ihr seht ja grauenvoll aus. Kommt näher und erzählt. Wo kommt ihr her? Erzählt…“ Heergren unterbrach Oordrin. „Seht sie an. So schlimm sehen sie gar nicht aus. Sie können euch bestimmt nützlich ein. Ich will meine gerechte Bezahlung haben.“ Für einen Augenblick konnten sie Schatten über Oordrins Gesicht gleiten sehen, dann lächelte er Heergren an. „Ihr seid fehlgeleitet worden, Freund. Leute werden hier nicht verkauft. Aber vielleicht kann ich euch etwas geben. Unsere Reserven sind knapp, aber ein paar Edelsteine sollte ich noch haben.“ Als Heergren verbissen nickte, wendete sich Oordrin wieder Edda und Neire zu. „Erzählt ihr beiden, was ist euch zugestoßen? Kommt ihr von jenseits des Schilds.“ Neire dachte an die Gebirgskette, die Berghof von den Küstenlanden im Süden trennte und als Der Schild bezeichnet wurde. Er nickte und antwortete weinerlich. „Ja, Herr. Unser Hof, dessen Name Hof Lindenbach war, wurde von Riesen angegriffen und zerstört. Wir haben dort als Knechte gearbeitet. Das ist Ylvi und mein Name ist Dödnar.“ Edda nickte und verzog ihr Gesicht zu einer traurigen Grimasse. Der Verwalter kam zu ihnen und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Es tut mir leid für eure Familien und Freunde. Doch hier seid ihr sicher. Wir haben schon von diesen Riesen gehört. Sie treiben in den Bergen ihr Unwesen. Sollen aus dem Norden gekommen sein. Aus den Schneebergen… Nun ich schweife ab. Esst und trinkt, soviel wie ihr wollt. Es kostet hier nichts. Ich werde mich um eure Unterkunft kümmern.“ Bevor der Verwalter sich umdrehte, knurrte Heergren ihn an. „Ich will meine Bezahlung, Verwalter!“ Oordrin drehte sich um. „Ja, die sollt ihr haben, aber wisset: Ihr kommt nicht weit damit hier. Wir handeln nicht mit Gold.“ Heergren gab jetzt ein abfälliges Geräusch von sich. „Waah… was ist das für eine Stadt, die Gold verschmäht. Mit Gold kann sich alles kaufen. Jeden und alles. Gold und Reichtum sind Macht.“ Das Lächeln des Verwalters drückte Mitleid aus. Dann antwortete Oordrin: „Viele haben diesen Irrglauben. Doch Gold ist wertlos. Man kann es nicht essen oder trinken. Wenn nichts zum Essen oder zum Trinken da ist? Was macht ihr dann mein Freund?“ Oordrin ließ Heergren zurück, während er sich einer Treppe nach oben zuwendete. Der Nachtzwerg murmelte allerdings weiter Verschmähungen. „Dieser elende Bastard. Gold ist nichts wert?… waah… Gold ist Lohn für harte Arbeit. Wer nicht hart arbeitet oder kämpft, bekommt nichts und geht zu Grunde. Das ist der natürliche Kreislauf der Dinge. Die Tradition unserer Vorväter, die eisern beibehalten werden muss.“

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Sitzung 118 - Der Geruch des Dreistädter Küstennebels - Teil II
« Antwort #135 am: 27.09.2024 | 23:41 »
Die Hitze über den Öfen flimmerte. Der rötliche Feuerschein flutete die Halle. Wellenförmig strömte der Schmerz durch Neires Kopf, der von seinen Augen kam. Dann begann der gesamte Raum in Purpur zu explodieren. Der junge Priester entfesselte die Magie der Linsen des Jensehers und spürte seine Kraft in den Geist Oordrins eindringen. Zuvor war der Verwalter mit einem Säckchen von Edelsteinen zurückgekehrt, das er bereits an Heergren übergeben hatte. Jetzt lächelte der Mann mit den hellblonden Haaren und den grünen Augen Neire an. „Ihr seid ein wahrer Freund Oordrin. Ihr habt den Nachtzwerg bezahlt, für uns. Nicht viele würden dies tun.“ Oordrins Lächeln zog sich über beide Backen, als er antwortete. „Ja, Freund Dödnar. Alle sind hier willkommen. Sie lachen und sie weinen. Sie essen und trinken um zu leben. Und unsere Sonne lässt Getreide und Früchte wachsen. Sie spendet Leben und Liebe für alle, die hier Zuflucht suchen.“ Neire legte jetzt seinen Kopf schief. Die Schmerzen hatten nachgelassen. Er flüsterte zischelnd, in seinem Nebelheimer Singsang. „Was ist euer dunkles Geheimnis, Oordrin? Nur ein Narr füttert Pöbel und Abschaum, wie ihr es tut.“ Zu Neires Erstaunen, nickte der Verwalter. „Die Rohstoffe sind ein Geschenk unserer immerwährenden Sonne. Sie bringen die Bewohner von Dreistadt näher zur ihr und uns damit zu ihm. Er ist die Sonne in der Leere. Wir dienen ihm. Er ist der einzige Gott. Alles wird durch ihn vergehen.“ Das Gespräch inmitten des Turmes wechselte nun zwischen Neires Fragen und Oordrins Antworten. „Euer Gott ist die Sonne?“ Oordrin schüttelte den Kopf. „Nein mein Freund. Unser Gott ist die Sonne der Sonnen, die in der Mitte der Leere steht. Er ist kurz davor, alles zu verschlingen. Er ist die Reinheit der Energie, die Macht, die einst über alle Sterne und Welten fallen wird.“ Neire unterbrach Oordrin. „Er wird also am Ende alles zerstören?“ Wieder schüttelte Oordrin den Kopf. „So ist es nicht, mein Freund. Ihr habt es noch nicht verstanden. Aus seiner Zerstörung wird Stärkeres kommen. Doch alles wird anders sein. Auch die Sonne aller Sonnen wird stärker sein.“ Neire nickte und fragte. „Und die Einwohner von Dreistadt? Werden sie vernichtet werden, wenn sie sich vollgefressen haben?“ Oordrin schüttelte ein drittes Mal seinen Kopf. „Sie nehmen seine Essenz auf, denn als Sonne gewährt er ihnen die Nahrung. Sie sehnen sich nach ihm und sie dienen ihm als Nahrung. Denn er thront als Sonne aller Sonnen in der Leere. Und er braucht Nahrung.“ Neire hatte noch nicht erkannt, für wen oder was Oordrin stand. Er fragte: „Gibt es einen heiligen Ort, an dem man eurer Sonne besonders nah ist? So etwas wie ein Heiligtum?“ Jetzt wiegte Oordrin seinen Kopf hin und her. „Nein und ja. Unsere Sonne ist überall. Doch es gibt einen Ort. Dort sind wir ihm näher. Es ist die Adlerfeste, die wir um jeden Preis verteidigen müssen.“ Neire sprach hastig. „Die Kriegerin, die wir eben sahen. Ist sie eures Glaubens? Befiehlt sie eure Truppen?“ Wieder schüttelte Oordrin den Kopf. „Ihr meint Amria? Sie ist nicht eingeweiht in unsere Lehren und nur zweite in der Hierarchie. Der Kommandant der Adlerfeste ist Ulf Kalthand. Auch er gehört nicht zu den Erleuchteten. Es sind nur Krieger, die uns vor den Angriffen der Riesen schützen sollen.“ Neire nickte. „Sie sind keine Erleuchteten, wie ihr es seid Oordrin. Sie kennen wahrscheinlich nicht einmal den Namen eures Gottes. Wie heißt er, euer Gott?“ Oordrin grinste schäbig, als er antwortete. „So ist es, mein Freund. Sie sind nicht erleuchtet. Aber unser Gott hat viele Namen. Manche nennen ihn Unbändiges Chaos, andere den Verrückten oder die immerwährende Explosion. Er war stets existent, kennt kein Alter. Seinen mächtigen und verborgenen Namen kennen nur die wenigsten. Doch ich werde ihn euch anvertrauen, mein Freund. Sein Name ist Azathoth, die Sonne in der Leere.“

Edda trat in das Gemach des kleineren Turmes ein. Sie hörte viele Schnarchgeräusche, aber auch gedämpfte Stimmen. Das Kichern von Kindern, vereinzelte Rufe und Beschimpfungen. In dem Gemach war der Geruch von Schweiß und abgestandener Luft. In einer Ecke spielten Kinder mit einer Puppe, die von Schnüren gehalten wurde. Sie dachte zurück an das Gespräch, das Neire mit dem Verwalter gehalten hatte. Oordrin hatte an Neires Lippen gehangen und ihm alle seine Geheimnisse erzählt, während das arbeitssame Treiben im Turm unbeeinflusst weitergegangen war. Oordrin hatte berichtet, dass er der einzige Erleuchtete in Dreistadt wäre, doch seine Brüder und Schwestern sich unter der Adlerfeste verbergen würden. Er hatte davon erzählt, dass die Adlerfeste bereits von Riesen angegriffen worden war, aber sie nicht verstanden wieso. Aus irgendeinem Grund hatten die Riesen den Ort wohl als Ziel auserkoren. Oordrin hatte auch seine Sorgen über die Angriffe der Riesen geäußert. Er sah seine Bürger in Gefahr, in die sie bereits eine Saat der Sonne Azathoths eingepflanzt hatten. Die Spuren der Riesen führten wohl in den westlichen Teil des Schildes. Eine Region, die nördlich der Ruinen von Zyantorm lag. Oordrin wusste aber nicht, wo sich die Riesen genau befanden. Bekannt war ihm nur, dass ein neuer Anführer mit dem Namen Horknar die Riesen um sich gesammelt hatte. Berichten nach, war der Anführer wohl nicht von der Rasse der Hügelriesen. Oordrin war sich nicht sicher, doch er glaubte, dass Horknar sich von den Hügelriesen als Halbgott anbeten ließ. Der Verwalter hatte Neire auf die Frage, ob die Tempelinsel ein Teil ihres Heiligtums wäre, das vielleicht größte Geheimnis erzählt. Die Bewohner, die wohl genügend der Sonnensaat Azathoths in sich hineingefressen hatten, wurden zuerst auf die Tempelinsel gebracht. Dort, aber vielleicht auch früher, fielen sie in einen tiefen Schlaf. Sie wurden dann in Kisten gepackt und des nachts mit Booten über den Fluss in Richtung der Adlerfeste verschifft. In den Tiefen unter der Adlerfeste wurden sie dann an die Sonne unter den Sonnen verfüttert. Oordrin hatte von diesem Schicksal gesprochen. Dass es eine Wohltat für diese armen Geister wäre. Zuletzt hatte er von seinen Glaubensbrüdern erzählt, die unter der Adlerfeste Wache hielten. Sie sangen dort ihren Reigen, damit ihr Gott nicht zu früh aus seinem Schlaf gerissen würde – was auch immer das bedeuten sollte. Edda verdrängte die Gedanken an das lange Gespräch und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Sie sollte Angnar und Baldwin Bescheid geben und sie zu einem Essen mit dem Verwalter einladen. Sie fand Baldwin, der dort schlief und zog an seiner Kleidung. „Baldwin, wacht auf. Ich bin es.“ Langsam öffnete der junge Mann seine Augen und lächelte verwundert. „Ihr seid zu mir zurückgekommen, edle Dame.“ Edda nickte und erwiderte das Lächeln. „Ja, der Verwalter hat uns zu einem Essen eingeladen. Ihr und Angnar sollt daran teilnehmen.“ Baldwins Lächeln wich jetzt einer Enttäuschung. „Aber… ich dachte… nur das Fräulein und ich.“ Edda lachte wieder und antwortete. „Ihr solltet die Einladung nicht ausschlagen. Und wir können ja nachher einen Spaziergang an den Klippen machen. Nur wir beide.“ Baldwin nickte freudig und stand ruckhaft auf. Er benötigte aber noch einiges an Überzeugungsarbeit, um Angnar zu einem Mitkommen zu bewegen. Doch er flüsterte dem missmutigen Karrenzieher die Geschichte von ihrem Spaziergang zu. Er forderte Angnar auf, ihn jetzt nicht im Stich zu lassen. Schließlich hatten sich beide fertiggemacht und Edda kehrte mit ihnen in den Hauptturm zurück. Sie sah, dass das arbeitssame Treiben wie zuvor fortgeführt wurde. Auch aus einem Keller und dem oberen Geschoss hörte sie Stimmen, Rufe und Geräusche von Küchenwerkzeug. Als sie den Turm betreten hatten, nickte Neire Oordrin zu, der nun einen Befehl aussprach. „Ihr dort, macht die Türen zu und schließt sie ab.“ Die beiden Arbeiter folgten dem Befehl und bewegten sich auf die beiden großen doppelflügeligen Eingangsportale zu. Während sie die Türen schlossen, wendete sich Neire den beiden jungen Arbeitern zu, die Edda mitgebracht hatte. Der jugendliche Priester betrachtete Baldwin, der wiederum nur Augen für Edda hatte. „Ah, die beiden Karrenzieher. Habt ihr euch vorbereitet auf das späte Essen, das ihr mit uns genießen wollt?“ Zischelte Neire mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. Immer wieder schaute er auch Edda an. Edda antwortete für Baldwin. „Sie freuen sich sehr auf ein Essen mit dem Verwalter. Baldwin und ich wollen nachher einen Morgenspaziergang an den Klippen von Dreistadt machen.“ Neire schaute zuerst Edda an, dann verwandelte sich sein Gesicht in ein Lächeln und er zeigte seine perfekten Zähne. „Oh, ihr wollt nach dem Essen einen kleinen Spaziergang machen? Ich habe gehört, dass der Küstennebel von Dreistadt besonders in den Morgenstunden zu genießen sei. Nehmt eine tiefe Brise davon, wenn es euch genehm ist. Füllt eure Lungen, denn es wird euch guttun, kleines Menschlein. Als Saat müsst ihr dann nur noch in der Sonne unter den Sonnen aufgehen, um den Erleuchteten zu dienen.“ Er zwinkerte dabei dem Verwalter zu, der noch immer bei ihnen stand. Oordrin nickte, aber ihm war ein unwohler Ausdruck anzumerken. „Ihr beide wartet hier. Oordrin, wir haben zwar euren Keller gesehen, aber ihr müsst uns noch zeigen, was ihr oben habt.“ Neire winkte Edda und Heergren heran, ihr zu folgen. Edda spürte den fordernden Blick, den ihr Liebhaber ihr zuwarf. Sie fragte sich ob es immer noch die Eifersucht war, die Neire in der Szene nach dem Gasthaus gezeigt hatte. Er musste doch wissen, dass ihr Liebäugeln mit Baldwin nur aufgesetzt war und sie den einfachen Karrenzieher bei der nächsten Gelegenheit getötet und von den Klippen gestoßen hätte.

Vor der Treppe blieb Neire stehen und bat Oordrin, Heergren und sie vorzugehen. Dann spürte sie, dass es losging. „Glaubt mir Oordrin, ich kenne die Leere. Sie ist voller Nebel. Vielleicht kann eure Sonne sie verdrängen, vielleicht verdrängt sie aber auch euch.“ Mit diesen Worten begann der Prophet des Tempels des Jensehers an zu murmeln, als er eine Rune in die Luft zeichnete. Edda konnte den beißenden Geruch von Chlor riechen, der sich um den Propheten Jiarliraes ausbreitete. Sie drehte sich um und sah die grünen Schwaden, die Neires schwarze Magie beschwor. Der Strom von dickem Nebel ging aus Neires Fingern hinfort. Die Wolke von giftigem Gas drang in den Raum hinein und erreichte rasch die ersten Arbeiter. Edda war sich nicht sicher, ob sie jemals etwas Grauenvolleres gesehen hatte. Vielleicht damals im Dschungel, ja… aber diese Erfahrungen hatte sie fast verdrängt. Außerdem war sie jünger gewesen. Vor ihren Augen begann sich die Haut der Menschen zu zersetzen. Einige husteten Blut, andere hatten roten Schaum vor dem Mund. Sie sah Arbeiter, die sich zu kratzen begannen. Es war als ob der giftige Nebel ihr Fleisch hätte schmelzen lassen. So kratzten sie sich große Stücke Haut aus ihren Gesichtern. Sie sah Augen zerfließen und Haarbüschel, die die Arbeiter sich in ihrem Wahn vom Kopf rissen. Alle versuchten in einer Panik zu atmen. Doch da war nur der Tod, der auf sie zu walzte. „Edle Dame, bringt euch in Sicherheit. Ich werde euch…“ Sie hörte die Stimme von Baldwin und sah noch das Gesicht des Karrenziehers, mit den kurzen blonden Haaren. Der junge Mann stürmte todesmutig durch die Wolke auf sie zu. Edda konnte sich das Lächeln nicht verkneifen, doch sie befürchtete, dass es Baldwin bis zu ihr schaffen würde. Sie zog ihr Kurzschwert und sie wusste, dass sie ihn töten würde. Sie hoffte nur, er würde sie nicht mit seinen Körpersäften besudeln. Baldwin sackte jedoch ohne einen Schmerzschrei irgendwo in den grünen Schwaden zusammen. „Der Verwalter, Heergren, Edda, jetzt.“ Kurz und eindringlich waren Neires Worte, die Eddas Betrachtung unterbrachen. Sie drehte sich um und griff augenblicklich Oordrin an. Sie stand hinter dem Verwalter und ihre Klinge drang tief in Oordrins Lunge. Auch Heergren und Neire hackten und stachen auf die Gestalt ein. Doch obwohl der Verwalter nicht vorbereitet war, waren ihre Angriffe nicht tödlich. In Oordrins Augen wuchs die Erkenntnis, dass er betrogen worden war. Die Freundschaft zu Neire verwandelte sich in Hass und er griff in eine seiner Taschen. Es war Heergren, der schneller war. Der Nachtzwerg rammte seine Axt zwischen die Rippen des Verwalters und Oordrins Augen wurden glasig, als er zu Boden sank. „Schlagt ihm den Kopf ab Heergren… Edda und ich gehen nach oben.“ Edda sah den Nachtzwerg nicken und sie folgte Neire. Schon nach einigen Treppenstufen stürzten ihnen die ersten Arbeiter von oben entgegen, denen Furcht in den Augen stand. Die Bürger blickten an ihnen vorbei, in die Halle, die mit Leichen gepflastert war und in der der grüne Nebel waberte. Noch immer hörten sie Todesschreie. Die Wolke hatte sich weiterbewegt und floss auch über die Kellertreppe hinab. „Wir brauchen hier Hilfe. Helft ihnen, bei allen gütigen Göttern!“ Der Mann mit dem roten, pausbackigen Gesicht und der Halbglatze schaute sie verzweifelt an. Eine dicke, mittelalte Frau mit fahler, blasser Haut und schwarzen Haaren schrie panisch. „Was ist hier passiert, wo sind die Wachen?“ Neire war vor Edda und schritt auf die Menschen zu. Der Jüngling beruhigte die Arbeiter. „Bringt euch in Sicherheit Arbeiter. Irgendetwas Böses ist hier eingedrungen und hat Oordrin getötet.“ In ihrer Panik konnten die Arbeiter Neires Worte kaum verstehen. Dann stürzten sie an ihnen vorbei. Was folgte war ein Blutbad. Edda schritt hinter Neire und sie tötete jeden, der es schaffte an Neire vorbeizuschlüpfen. Ihr altes Schwert aus Vintersvakt drang tief in weiche Leiber, durchschnitt Fettmassen und Muskeln. Ein jeder Treffer war gezielt und tödlich. Blut besudelte sie und auch Neire. So drangen sie schließlich in das Turmgemach vor. Dort sahen sie Glutöfen und Spieße von Fleisch und Fischen. Der Geruch von Holzkohle und Gebratenem drang ihnen entgegen. Bis auf einen Mann war der Raum leer. Der letzte Arbeiter war so groß wie Neire, doch viel schwerer. Er trug eine Lederschürze, die von Blut besudelt war. Er hatte kurzes, schütteres schwarzes Haar und eine blasse Haut. In seinen zitternden, fleischigen Fingern hielt er ein Schlachterbeil. Panik stand dem Mann in den Augen und er stürmte auf Neire zu. In seiner Todesangst versuchte er Neire umzurennen. Edda duckte sich geschickt zur Seite hinweg, als der Schlachter mit Neire zusammenprallte. Neire wurde unsanft auf den Boden geschmettert. Als Edda zustechen wollte, sah sie, dass Neires Degen bereits das Herz durchbohrt hatte. Der massige Körper bedeckte jedoch Neire, der keuchend unter dem toten Mann lag. Ein Strom von Blut floss aus dem fleischigen Leib auf Neire hinab. „Edda, helft mir bitte und schafft ihn runter“, keuchte der Jüngling, dessen gold-blonde Locken von Blut besudelt waren. Edda trat heran und begann den Leichnam mit ihrem Stiefel wegzudrücken. Sie sprach lächelnd zu Neire. Adrenalin und Kampfrausch spielten mit Gefühlen. „Natürlich mein Liebling. Nur solltet ihr beim nächsten Mal nicht so eifersüchtig sein. Was glaubt ihr, hätte ich denn mit dem Tölpel eines Karrenziehers gemacht? Was glaubt ihr, wozu sich romantische Spaziergänge an Klippen besonders gut eignen?“

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Wellen rauschten an den Sandstand. Der Wind blies ihnen eine kühle, salzige Brise entgegen. Das Morgengrauen deutete sich an und ließ die Brandung dunkel schimmern. Neire, Edda und Heergren benötigten einen Augenblick um sich zu orientieren. Dann war die leise, zischelnde Stimme Neires zu hören. „Kommt! Wir befinden uns auf der einstigen Tempelinsel von Torm. Lasst uns einen Schlafplatz finden, wo wir den Tag verbringen können.“ Edda nickte freudig und schaute auf das Meer. Auch Heergren war beeindruckt vom Ausblick der schier unendlichen Weite. Ihre Empfindungen standen im Kontrast zu den Erlebnissen in Dreistadt: Die Todesschreie, der Geruch von Chlor und der Gestank von verätzten Leichen. Sie hatten zuvor die Wertgegenstände und den Kopf Oordrins eingesammelt. Nachdem Neire und Edda Geräusche und Stimmen von den Eingangstüren gehört hatten, hatten sie sich auf die Treppe zurückgezogen. „Irgendetwas ist dort… Ich höre Schreie,“ hatte eine Stimme gerufen. Eine andere hatte geantwortet: „Die Türen sind abgeschlossen. Brecht sie auf, wir müssen hinein.“ Als sie die dumpfen Schläge gegen das Holz vernommen hatten, war Neire zu ihnen geschritten. Er hatte hastig angeraten Dreistadt zu verlassen. Neire hatte dann seine schwarze Kunst gewirkt. Langsam hatten sie sich in Schleier von Schatten aufgelöst – waren verschluckt worden von Düsternis. Sie waren dann an dem Sandstrand erschienen, an dem Neire und Bargh vor fast zweieinhalb Jahren mit dem Boot des getöteten Fischers gelandet waren. Wasser hatte ihre Füße umspült. Jetzt schritten sie dem Uferwald entgegen, dessen Blätterkronen sich in den Windböen wiegten. Über den Wipfeln sahen sie die dunklen Felswände des Vulkans und darüber den Sternenhimmel. Sie traten in das Küstengehölz und suchten sich einen geschützten Platz für ihre Ruhe. Heergren spannte seine Lederplane und Edda und Neire rollen ihre Decken aus. Bevor sie sich zur Ruhe begaben, säuberten sie alle ihre Kleidung vom Blut. Neire und Edda nahmen zudem ein Bad im Meer. Dann errichtete Neire seine Fackeln um den abgehackten Kopf von Oordrin. Der Prophet Jiarliraes begab sich in einen Kniesitz im Fackelkreis und begann zu beten. Das Fackellicht warf tanzende Schatten und der Singsang von Chorälen drang durch den Wald. Nachdem Neire sein Ritual beendet hatte, begab auch er sich zur Ruhe. Neire und Edda wechselten sich ab mit der Wache und widmeten sich ihren Studien der schwarzen Kunst. Als in den Mittagsstunden der Himmel mit Wolken zuzog und es anfing zu regnen, verlegten die beiden ihr Lager unter das alte Fischerboot. Für eine Zeit lauschten sie dem Trommeln des Regens auf das Holz. Edda erzählte alte Geschichten aus Vintersvakt. Erst in den Abendstunden zog der Regen ab und die Wolken rissen hier und dort auf. Sie warten bis die Sonne versank und brachen dann auf.

Vorsichtig schlichen Neire und Edda auf den Steg zu, auf dem sie Bewegung gesehen hatten. Sie hatten die Insel umrundet und mittlerweile war der letzte Rest der Abenddämmerung der Nacht gewichen. Seitdem sie die Künste der Schattenmagie gemeistert hatte, konnte Edda selbst die finsterste Dunkelheit durchblicken, als wäre es Tag. Auch Neire hatte diese Fähigkeit erlangt. Das Kind der Flamme war sich jedoch nicht sicher, ob es ein Segen seiner Göttin oder seine Meisterschaft der schwarzen Künste war. Das Paar hatte ihren Begleiter Heergren an den steinernen Klippen zurückgelassen, die sie bereits überquert hatten. Zuvor hatten sie noch ihre Waffen mit dem tödlichen Gift bestrichen, das von Neire einst im Gasthaus von Dreistadt hergestellt worden war. Dann hatten sie sich lautlos in Richtung des Steges bewegt. Hier und dort waren Sterne zwischen den Wolken zu sehen, wie auch die silberne Scheibe des aufgehenden Mondes. Der Wind war weniger, als noch an der Küste zuvor. Neire und Edda konnten sich nicht mehr sehen. Neire war durch seinen Tarnmantel verborgen und Edda hatte einen magischen Schleier der Unsichtbarkeit um sich beschworen. Je näher sie dem Steg kamen, desto mehr Details konnten sie beobachten. Zwei Krieger hielten Fackeln und standen am Anfang des Steges. Ihre Kettenhemden glitzerten im Licht und sie trugen Streitkolben, die sie in ihre breiten Gürtel gesteckt hatten. Beide Wachen blickten in das schlauchartige Tal, das in das Innere des alten, erloschenen Vulkanes hineinführte. Am Ende der Anlegebrücke schaukelte eine Barke im Wasser der dunklen Brandung. Dort konnten Edda und Neire drei Gestalten erkennen, die damit beschäftigt waren drei übergewichtige Leiber in das Innere des Bootes zu hieven. Die Arbeitenden waren in graue Roben gekleidet, die chaotische Muster von goldenen Verzierungen und Punkten trugen. Sie sprachen ab und an in gedämpften Stimmen. Sie ächzten unter der Last. Gerade versuchten sie den ersten Körper auf die Barke zu bewegen. Zwei andere Körper ruhten fast regungslos in Schubkarren. Neire und Edda waren jetzt so nahe, dass sie Einzelheiten erkennen konnten. Der Körper, den die Gestalten auf dem Steg abgelegt hatten, hatte einen gewaltigen Bauch. Er war älter und besaß graues schütteres Haar. Mit geöffneten Augen starrte er in den Himmel. Doch der Mann war nicht tot, obwohl seine Haut im Mondschein bleich schimmerte. Langsam hob und senkte sich sein Brustkorb. Neire und Edda beachteten das Geschehen nicht weiter und versuchten an den Wachen vorbeizuschlüpfen. Für einen Augenblick starrte eine Wache in Richtung von Neire, doch sie gelangten unbemerkt auf den Steg. Plötzlich hörten Edda und Neire das dumpfe Poltern von trägem Fleisch und plumpen Fettmassen. Die drei Berobten hatten gerade eine schwerstübergewichtige Frau aus der zweiten Schubkarre gehievt. Der massive Körper war ihnen jedoch entglitten. Jetzt lag die Frau dort seitlich. Ihre kolossalen Brüste und ihr unförmiger Wanst berührten den Steg. Sie schien für einen Augenblick schneller zu atmen. Doch ihre Augen, die tief eingesunken in ihrem aufgeblähten Gesicht lagen, stierten weiter in die Leere. „Passt auf, verdammt nochmal! Wir müssen sie unbeschadet zur Adlerfeste bringen.“ Die Stimme übertönte das Rauschen der Brandung deutlich. Ein anderer Berobter antwortete. „Es ist ihr schon nichts passiert, keine Angst. Sie wird ihm schmecken, ja… Es wird ein Festmahl für ihn werden.“ Als die Anhänger des seltsamen Sonnengottes den Leib auf die Barke gehievt hatten, hatten Edda und Neire sich hinter ihnen versteckt. Sie lauerten in den Schatten und warteten auf Heergren. Lang mussten sie nicht ausharren. Die drei Berobten entluden gerade den letzten Körper aus der Schubkarre, da hörten Edda und Neire den leisen Steinschlag. Auch die Wachen hatten das Geräusch vernommen. Nach kurzer Beratung bewegten sich beide in Richtung des Geräusches. Die beiden Fackeln entfernten sich langsam in die Dunkelheit. Die drei Gestalten ließen jedoch nicht von ihrer Arbeit ab. Sie versuchten die Frau unter ihren Fettmassen zu packen. Mehrere Versuche schlugen fehl. Dann sahen Edda und Neire, dass Heergren auf die Wachen zuschritt. Er war noch nicht im Lichtkegel aufgetaucht und die Krieger hatten ihn noch nicht erkannt. Neire und Edda schlugen und rammten jetzt ihre Waffen in die Rücken der Gestalten. Das silberne Mondlicht verlor sich in ihren geschwärzten Klingen. Die Wirkung des Giftes folgte nicht, doch sie konnten zwei Gestalten mit mehreren gezielten Stichen töten. Der noch lebende Anhänger Azathoths fing jedoch an zu rufen. „Wir werden angegriffen… beschützt die Körper.“ Seine Stimme klang panisch. Der junge Mann mit den blonden Haaren und dem goldenen Bartflaum starrte Edda an, als er begann einen Zauberspruch zu murmeln. Doch Edda und Neire waren schneller. Sie umringten den Mann mit den blau schimmernden Augen und stachen ihn nieder. Dann drehten sie sich zu Heergren um. Sie sahen, dass der Nachtzwerg seinen ersten Widersacher mit einem Streich der Axt tötete. Das Gift hatte seine Wirkung entfaltet. Die zweite Wache flüchtete, doch Heergren tötete sie, indem er seine Axt in den Hinterkopf trieb. „In dieser Richtung befinden sich die Ruinen des alten Tempels. Dort müssen sie sich versteckt halten. Kommt, Edda… wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Neire zeigt den Weg hinauf, der durch das enge felsige Tal führte. Dann verließen sie den Steg und wendeten sich Heergren zu.

Ein Sturm von Fackeln kam auf sie zu. Es war, als ob sich die Bildung einer Formation in allergrößter Hast abzeichnen würde. Sie waren zuvor dem Weg gefolgt, der sie durch das felsige Tal hinaufgeführt hatte. Als sie die Doppelreihen der alten, steinernen Kriegerstatuen erreicht hatten, hatten sie die Fackeln in der Ferne bemerkt. Das Gewusel von Lichtpunkten kam aus dem zentralen Teil des Vulkankessels. Es kam von dort, wo sie die Ruinen des einst verbrannten Steinturmes sahen. Die Wohnmauer, die um die Haufen von gebrochenem Mauerwerk aufragte, schienen noch intakt zu sein. Auch hatten sie die Steinhöhlen erahnt, die als primitive Behausungen in den Boden eingelassen waren. Edda, Neire und Heergren hatten sich hinter den Statuen versteckt, als sie die Lichter gesehen hatten. Edda und Neire waren vorgeschlichen, während Heergren sich hinter dem ersten Paar der steinernen Krieger verborgen hatte. Neire und Edda lugten immer wieder hinter den Statuen hervor. Sie konnten zwei Kämpfer mit Zweihändern und Feldharnischen erkennen. Sie waren älter, hatten vernarbte Gesichter und wurden flankiert von jeweils zwei Paaren von jüngeren Langschwertträgern. Hinter der ersten Welle folgten zwei Reihen von Bogenschützen, die sich nach einem kurzen Befehl in zwei Rudeln sammelten. Nach jedem Rudel von vier Bogenschützen schritt jeweils eine Gestalt, die in einen Brustharnisch gekleidet und mit einem Kriegshammer bewaffnet war. Auf dem Brustharnisch schimmerte übernatürlich das Licht des Symboles einer goldenen Perle. Neire und Edda erkannten das Wappen als das der Sonne, ohne die Schwingen des Adlers. Als der erste Teil des Trupps an ihnen vorbeigehastet war, löste sich Neire aus der Dunkelheit seines Verstecks. Er beschwor die Chaosflamme Jiarliraes in seiner linken Hand. Bestärkt durch die Gebetsformeln zerriss die mächtige Detonation einer Kugel von magmafarbenen Flammen die Nacht. Neire hatte sein Feuer auf die Gestalten mit dem Zweihänder geworfen. Zwei der jüngeren Langschwertträger starben qualvoll in den Flammen. Die beiden älteren Krieger und zwei jüngere kämpften jedoch verbissen weiter. In den Flammen stürmte Heergren heran und ließ seien Axt hinabschnellen. Das Chaos der Schlacht tobte im erloschenen Vulkan, als Edda einen Blitz von invertiertem Licht entfesselte. Sie warf diesen in Richtung der Bogenschützen. Krämpfe und Todesschreie waren zu vernehmen. Gleißende Lichter entfesselter Flammenbälle rauschten über ihre Köpfe. Die beiden Kriegshammerträger stimmten Gebete an und stärkten ihre Verbündeten. Dann töteten Neires Flammenkugeln die Zweihandschwinger. Heergren machte die letzten beiden Krieger der Frontreihe nieder und so widmeten sie sich den Bogenschützen. Das Blutbad war grausam. Als nur noch drei Bogenschützen standen, rief der Verbliebene im schimmernden Brustharnisch: „Kämpft und schürt das Feuer der Sonne in euch… Ihr beiden, holt Verstärkung… wir werden…“ Weiter kam der Anhänger Azathoths nicht, denn er wurde von mehreren Magmakugeln zerfetzt. Ein Arm riss von seinem Körper und sein Kopf knickte unschön nach hinten weg. Der verbleibende Bogenschütze wurde von Edda niedergestochen. Die beiden flüchtenden Bogenschützen liefen in Richtung der Ruine hinfort. Nackte Angst war in ihren Augen zu sehen. Edda, Neire und Heergren folgten den fliehenden Bogenschützen und kamen zur kreisrunden Wohnmauer. Aus dem Ring kamen gerade weitere Gestalten hinaus, die ihre Rüstungen in größter Eile angelegt hatten. Sie sahen einen älteren Mann, der ebenfalls einen Brustharnisch mit einer glühenden Perle trug. Er hatte ein breites, kantiges Gesicht, gezeichnet von Furchen und Tränensäcken unter den Augen. Eine knollige Nase war von rötlichen Adern durchzogen. Seine blauen Augen blickten ernst, aber nicht ängstlich. Neben ihm war eine jüngere Frau mit hübschem Gesicht aufgetaucht. Auch sie trug die Rüstung mit dem Perlensymbol. Ihr schönes, schmales Gesicht hatte hohe Wangenknochen und eine gerade Stupsnase. Sie besaß gold-blondes Haar und grüne Augen, die jedoch hasserfüllt funkelten. Aus anderen Öffnungen kamen vier weitere Anhänger, die in graue Roben mit goldenen Symbolen gehüllt waren. Die Frau hatte Edda fixiert und schrie mit erboster, sich überschlagender Stimme. „Ihr verlottertes Weibsstück… ihr werdet untergehen in eurem eigenen Blut.“ Nur einen Augenblick später schlugen eine Reihe von Magmageschossen in den älteren Mann. Sein Körper wurde von der Gewalt zerfetzt. Ein weiterer Strahl von invertiertem Licht eines schwarzen Blitzes fuhr durch die hübsche Frau, reflektierte sich an der Felswand und traf zwei Robenträger. Die Frau und ein Robenträger wurden augenblicklich getötet. Von dem anderen Robenträger waren nur qualvolle Schreie zu hören. Die Rüstung, die der Mann unter seiner Robe trug, war geschmolzen und hatte sich in seinen Brustkorb gebrannt. Das Bild war so grauenvoll, dass die Bogenschützen die Flucht ergriffen. Edda, Neire und Heergren töteten den letzten der Anhänger und folgten den Bogenschützen. Keiner sollte ihnen entkommen.

Neire betrachtete die Gestalt, die dort schreiend auf dem Boden lag. Eines seiner Augen war zerplatzt. Sein Gesicht war ab dem Kinn verbrannt. Die Wunde war über dem Brustkorb am größten, wo das flüssige Metall sich mit seinem Fleisch verbunden hatte. An einigen Stellen schaute der rauchende Knochen des Brustbeines hervor. Die Schreie waren nicht laut, obwohl die Gestalt mit aller Kraft brüllte. Panik war in seinem verbliebenen Auge zu sehen. Der Mann war nicht alt gewesen, hatte braunes kurzes Haar, braune Augen und ein sympathisches Gesicht gehabt. Sein braun-rötlicher Flaum war größtenteils verbrannt und seine Sommersprossen waren kaum noch zu erkennen. „Wart ihr das letzte Aufgebot oder gibt es noch mehr von eurer Sorte.“ Neire beugte sich über den stinkenden Körper. „Ahhh… ahhh… letz… Auf… ahhh. Tötet mich… ahhh.“ Das verbliebene Auge blickte ihn panisch an und die Kreatur konnte kaum sprechen. Neire nickte und vergaß den Gestank von verbranntem Haar, Fleisch und Metall. Er blickte durch die Augen des Jensehers und die Welt wurde rot um ihn herum. „Ein Freund würde das für euch tun. Er würde euch töten, nur, wenn ihr nicht mehr zu retten wäret.“ Das Schreien reduzierte sich langsam in ein Wimmern. Dann fragte Neire weiter. „Was wisst ihr über das, was sich unter der Adlerfeste verbirgt. Seid ihr eingeweiht in die Geheimnisse?“ Der Junge wimmerte weiter, antwortete aber röchelnd. „Die Adlerfeste schützt die Stadt. Sie Schützt die Ankunft unserer reinigenden Sonne. Ich war nicht dort.“ Neire nickte und lächelte. „Der alte Mann mit der Knollennase… die hübsche Frau mit den blonden Haaren. Waren sie dort unten?“ Nach einer Welle von Muskelzuckungen, folgte ein Weinkrampf des Anhänger Azathoths. „Sie? In der Adlerfeste? Nein…“ Neire stand auf und blickte zu Heergren. Er nickte dem blutverschmierten Nachtzwerg zu, aus dessen Panzer einige abgeschlagene Pfeile standen. „Tötet ihn Heergren. Er weiß nichts und kann uns nicht helfen.“ Heergren schüttelte jedoch den Kopf. „Wir sollten ihn leben lassen, Prophet. Ich will wissen, wie zäh Menschen sind. Kann dieser armselige Bastard überleben oder wird er an seinen Schmerzen zugrunde gehen?“ Neire spürte zuerst Zorn, dass sich Heergren seinem Befehl widersetzte. Als die Wut verflog, nickte er Heergren zu. „Gut, so soll es sein… Habt ihr gehört Freund. Ihr sollt leben. Doch tut eurem alten Freund Dödnar den Gefallen und beendet eurer Wimmern. Es wird euch nicht näher zur Sonne unter den Sonnen bringen.“ Neire lächelte jetzt, bevor er sich umdrehte. Hinter ihm wurde das Wimmern erst leiser, dann war nichts mehr zu hören. Neire genoss die Stille, das Rauschen des Windes. Er betrachtete die Fackeln, die dort als glühende Punkte in der Düsternis lagen. Feuer und Dunkelheit waren auf das einstige Eiland von Torm zurückgekehrt.

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Sitzung 120 - Traum von Flamme und von Düsternis
« Antwort #137 am: 13.10.2024 | 12:02 »
Bis auf das Rauschen des Windes, der sich an den Mauern der Ruine von Torm brach, war Ruhe eingekehrt im Vulkankessel. Der wolkenverhangene Nachthimmel war hier und dort aufgerissen. Der Mond war über die Kraterwände gestiegen. Das silberne Licht ließ die Szenerie in einer merkwürdigen Farblosigkeit erscheinen. Durch den Nachtwind war es zwar etwas kühler geworden, die Wärme des vergangenen Tages schien aber noch in den Steinen zu stecken. Sie blickten sich um und beachteten die Leichen für einen Augenblick nicht. Da war das verfallene Bauwerk des alten Tempels, dessen dunkle Steine bereits von Moos überwachsen waren. Fackellicht war vereinzelt vom Weg zu erkennen, der zwischen den Kriegerstatuen zum Meer hinabführte. Es mussten die Lichter des letzten Aufgebots der Sonnenanhänger sein, die dort flackernd im Wind lagen. Neire horchte, als er das Zwielicht betrachtete. Er hörte das schmerzerfüllte Atmen des schwer verletzten Anhänger Azathoths. Auch vernahm er die knirschenden Schritte von Edda, die von ihrer Jagd auf die Krieger zurückkam. Neire stellte dem verletzten Priester einige weitere Fragen, die der junge Mann unter einem Wimmern von Schmerzen beantwortete. So konnte Neire erfahren, dass die Körper – so bezeichnete der Mann die übergewichtigen Leiber der Einwohner von Dreistadt – in eine Starre versetzt worden waren. Es sollten die Gebete der Anhänger der Sonne unter den Sonnen sein, die diesen Zustand hervorriefen. Der Sonnenpriester war sich nicht sicher, ob die Körper ihre Umgebung noch wahrnahmen. Er verneinte die Frage nach einer Gabe von Schlaf- oder Rauschgiften. Als Edda zurückgekehrt war, durchsuchten sie die Gemächer, die sich in der Wohnmauer auftaten. Neire hatte zuvor an dem Gürtel der Frau drei feine Schlüssel entdeckt, die er an sich genommen hatte. In der Ringmauer fanden sie neben Schlafgelegenheiten für die Priester, einen Raum mit zwei Kisten. In der einen befanden sich metallene Splinte aus Eisen; in der anderen Kristallsplitter. An eine Wand war ein Pergament genagelt, das mit der Unterschrift eines Hohepriesters Lardrig Wermgard unterzeichnet war. Edda hatte schon einmal etwas von diesem Namen gehört. Tief im Nordosten von Euborea, noch hinter dem Orumanischen Reich sollte Lardrig dem Orden von Sunnadom, der Sonnengottheit der Menschen angehört haben. Der Hohepriester war dann in Ungnade gefallen und zum Tode verurteilt worden. Er hatte wohl Experimente mit jungen Akolythen durchgeführt. Den noch unerfahrenen Anhängern von Sunnadom hatte er versucht die Sonne einzupflanzen, um sie stärker zu machen. Die Versuche waren jedoch schiefgelaufen und die Anhänger waren von innen heraus verbrannt worden. Lardrig hatte aus dem Gefängnis fliehen können und war seitdem nicht mehr in Erscheinung getreten. Nach kurzer Beratung suchten sie die weiteren Räume ab. In einem Gemach konnten sie große eiserne Schalen mit Tonnen von Getreide und Massen von verschiedensten Fleischsorten erkennen. Die Fleischberge sahen noch frisch aus, als Neire aber auf das Gebet hindeutete, das an einer Wand hing, war Heergren schlecht geworden. Der Nachtzwerg hatte im Gasthaus von Dreistadt besonders viel von den gebratenen Hähnchen gegessen. Der Anblick der rötlich glitzernden Haufen von Fleischstücken, die hier in ihrem eigenen Saft und Blut standen und vielleicht schon von Azathoths Sonnensaat gesegnet wurden, drehte Heergren den Magen um. Sie fanden einen weiteren Raum mit drei Kisten, die magische Gegenstände und Schätze enthielten. Nachdem sie alles abgesucht hatten, berieten sie sich kurz. Dann fingen sie an die Steinbehausungen zu erforschen, die um die Ringmauer in den Boden eingelassen waren. In jedem Loch fanden sie Körper von stark fettleibigen Menschen. Es waren jüngere und ältere, doch keine Kinder. Sie mussten dort wohl schon länger liegen, denn der penetrante Geruch von Kot und Urin war in den primitiven Aushöhlungen. Alle Körper waren in einer Starre gefesselt; alle waren einfache Menschen und lebten noch. Eine Zählung der Leiber ergab 257. Mit den drei zuvor auf das Boot verladenen, 260 Körper. Sie entschieden sich, die Körper in einem Kreis zusammenzubringen. Sie konnten zwar die Schubkarren für den Transport benutzen, die Arbeit war jedoch schweißtreibend. Nachdem sie einige Zeit damit verbracht hatten die Körper zusammenzubringen, nahmen sie den toten Dienern des Kultes Waffen und Rüstungen ab. Dann platzierten sie die Leichen in der Mitte des Kreises. Neire trug Fackeln aus dem Inneren heraus und begann sie zu entzünden. Der Jüngling setzte sich zu den Leichen, in die Mitte des Kreises von starren, lebenden Körpern. Dann zog er sich vollständig aus und begann zu meditieren. Für Edda hatte das Bild etwas Seltsames an sich. Der teils aufrecht sitzende fettleibige Pöbel schien Neire zu betrachten. Doch bis auf die Atembewegungen waren die Fettwänste vollständig regungslos. Frauen und Männer gafften in die Leere. Die weiße Haut ihrer mächtigen Rundungen schimmerte im silbernen Mondlicht. Dann begann Neire einen schlangenhaften Singsang anzustimmen. Seine Augen funkelten rötlich und er sprach die fremden Gebete seiner Göttin.

Es war Jiarlirae, die mir die Macht gab. Sie brachte mich wieder an diesen Ort, auf diese Insel und ich vollbrachte ihr heiliges Werk. Die Nacht war zur Hälfte vorangeschritten, als ich ihre Gebete murmelte. Ich versank in einem Traum und ich nahm sie alle mit dorthin. Sie waren nicht tot, doch ihre Geister waren gefangen in der Leere. Sie litten unter dem unsäglichen Lichte, dessen Strahlen sie lähmten und verbrannten. Ich bat sie in mein Heiligtum und sie willigten freudig ein. Es waren so viele, die dort aus der scheußlichen Helligkeit kamen. Und auf einmal, welch Gewühle, trat ich in ihre Mitte.

Sie lauschten dem Rauschen der dunklen Brandung, horchten in das knisternde Feuer. Da war ein kleines Eiland aus zwielicht’gem Sand. Schwarze Wellen brandeten sanft von allen Seiten heran. Das Wasser umspülte meine Füße. Ich schritt durch ihre Reihen. Hinzu auf das Feuer, das in der Mitte magmafarben brannte. Die Flammen und das Zwielicht, sie spendeten Trost in dieser glühenden Leere. Das weiße Höllenfeuer verbrannte ihre Rücken, denn sie hatten sich dem Schutzort meiner Herrin zugewendet. Das grausame Höllenfeuer bedeckte weißlich den gesamten Horizont.

Ich trug eine weiße Robe, die die heilige Flamme reflektierte. Meine gold-blonden Locken, waren mit der Düsternis verwoben. Meine Augen waren aufgebrochenes Magma – rote Risse und dunkles Glühen. Ich trat an ihnen vorbei, an älteren und jüngeren, an Frauen und Männern. Ich schwebte über das Feuer hinauf. In das Zentrum des Kreises, den sie gebildet hatten. Ich erblickte ihre fernen Träume. Ihre Gedanken und Erinnerungen. Ich sah bekannte Gesichter, sah sie leben, sah sie arbeiten, sah sie lieben. Dann erhob ich meine Stimme: „Wisset, Bürger von Dreistadt… ihr seid hier sicher, doch nicht für lange. Betrogen hat man euch. Es ist die Hitze der Sonne unter allen Sonnen, die eure Körper und euren Geist verzehren will. Wisset ihr denn nicht wo ihr seid und wie ihr hier hinkamet?“ Es war Verwirrung, Schmerz und Leid in ihren Augen. Einige weinten bitterlich. Andere wanden sich in Pein. „Nein, wir wissen es nicht“, sagte eine dicke Frau. Ein fettleibiger Mann rief traurig. „Ich wollte leben und in Frieden sterben. Was ist nur diese Höllenqual?“ Ich hob meine Hände, von denen die Linke verbrannt war und mahnte. „Es ist die Sonne unter den Sonnen, die euch wohl genähret. Jetzt möget ihr es ihren Anhängern bitter vergelten.“ Da war plötzlich ein Gewimmel, als Wänste und Fettschürzen in einem panischen Reigen taumelten. Gebrechliche Stimmen schrien; Trauer und Resignation wandelten sich in umfassende Verzweiflung. „Was ist passiert mit uns?“ „Wir wussten es nicht.“ „Was ist mit uns, was ist dieser Ort?“ „Es brennt, es tut so weh.“ „Ist das unser Ende… bei allen Göttern bewahre!“ Wieder hob ich die Hände und bat sie an IHR Feuer. „Kommt näher, Bürger von Dreistadt, Freunde. IHRE Düsternis schützt euch vor dem grausamen Höllenfeuer. IHRE Flamme wärmt euch. Kommt näher.“ Sie rückten näher, sie wuselten um den Kreis des Feuers. Sie drückten sich aneinander - eng an eng. Sie drehten sich nicht um, denn sie spürten das vernichtende Licht der Sonne unter den Sonnen. Sie blickten nur in das Feuer meiner Herrin. Die Flamme glitzerte in ihren eingesunkenen Augen. Dann sang ich die Worte und forderte sie auf, sie dreimal zu wiederholen. Ich pries die Verse an, als den Ausweg aus dem verzehrenden Licht. „Es ist der Schwur zu Jiarlirae, der Schwertherrscherin, der Königin von Flamme und Düsternis, der Dame des abyssalen Chaos, den wir sprechen. Wir sind bereit ihren Weg zu gehen. Wir wollen ihrem Pfad folgen, durch Feuer und Schatten. Freudig versprechen wir ihr unsere Seelen, auf das sie aufgehen mögen, in ihrem Reich, in ihrer Kraft und in ihrer Herrlichkeit.“ Die Menge sprach mir nach. Zuerst flüsterten sie, dann wurde ihr Chor stärker. Nach dem dritten Mal wuchs die Flamme des inneren Feuers und vermischte sich mit dem Zwielicht des Sandes. Dann vergaßen sie die Sonne aller Sonnen. Sie vergaßen ihre einstige Bestimmung. In all ihrer maßlosen Vergänglichkeit vereinigten sie sich mit Feuer und Schatten. Es war der Übergang ihrer Seelen in das Reich meiner Herrin – es war die Kraft der Flamme und die Herrlichkeit der Düsternis, in ihrer reinsten Form. Ich führte sie hinüber, ich vollbrachte ihre Transzendenz in das unendlich dimensionale Urchaos und ich habe nichts Schöneres gesehen.


~

In ihren Traum sah sich Edda mit Neire. Sie schwebten gemeinsam in einem Feuer, das von schwarzen Tentakeln durchzogen war. Sie hielten sich an den Händen und lächelten sich an. Dann zog Neire sie zu sich heran und sie schlang ihre Arme um ihren Geliebten. Die dunklen Flammen hatten ihre Kleidung verbrannt und sie waren beide nackt. Als sich ihre Haut berührte, spürte sie ein elektrisierendes Prickeln durch ihren Körper gehen. Da war sphärenhafte Musik, die sich in unendlichen Teilen auffächerte. Sie drehten sich in einem Strudel des Urchaos, der kein natürliches Gleichgewicht kannte. Sie blickte in Neires Augen und da war etwas… sie konnte es nicht erkennen, gleichwohl fesselte es ihre Sehnsüchte. Sie brauchte nur ein wenig mehr Zeit. Sie musste nur noch tiefer schauen. Dann war da das äußere Licht. Langsam wurde es stärker. Es war kalt und grausam. Heiß und gefühlslos. Es wollte sie vernichten, wollte das Leben herausbrennen, das sie in sich trug. Es wollte ihr den Blick nehmen. Es wollte ihr ihre Geheimnisse nehmen. Es wollte ihr Neire nehmen. Edda wachte zitternd auf. Die Abendsonne war tiefer gesunken und ein kühlerer Wind fuhr unter ihre Decke. Sie hatte sich an Neire geklammert, der noch schlief. Heergren hatte die letzte Wache übernommen und kurz berührten sich ihre Augen, als sie sich umblickte. Der Nachtzwerg mit der von bläulichen Venen durchzogen Glatze, dem langen geflochtenen weißen Bart und den blauen Augen nickte ihr zu. Edda wendete den Blick ab und verschwand wieder unter der Decke. Sie spürte die Wärme, die von Neires Körper kam. Sie konnte nicht mehr einschlafen und dachte nach. Die Erinnerungen an die Insel des Torm, waren auch jetzt, etwa elf Tage später, sehr gegenwärtig. Sie dachte zurück an das Bild des völlig entkleideten Neire, der sich in einem Kniesitz inmitten der geschändeten Leichen und der starren, fettleibigen Körper meditiert hatte. Einige Zeit war das so gegangen, dann hatte der Jüngling angefangen zu singen. Heergren und sie selbst hatten gefühlt, dass sich von Neire eine Macht ausbreitete. Also waren sie zurückgetreten. Dann hatte sich die Luft um Neire entzündet. Flammen waren aus dem Boden geschossen. Überall dort, wo die Leichen und Körper lagen. Die Hitze war unerträglich gewesen und sie hatte Neire in den Flammen nicht mehr gesehen. Es hatte nach verbrannter Haut, Haaren und Fett gerochen. Neires Feuer hatte gebrannt, bis alle Körper zu Asche zerfallen waren. Da war kein Schrei, kein Zucken gewesen, als die noch lebenden Körper starben. Es war so friedlich gewesen. Danach war Neire wie in einem Rausch erwacht. Er hatte davon erzählt, seiner Herrin ein großes Geschenk gemacht zu haben. Er hatte auch gesagt, dass er wüsste, was jetzt zu tun sei. Also waren sie, Kraft Neires schwarzer Kunst, in den Tempel des Jensehers zurückgekehrt. Zwei Tage lang waren sie Dingen nachgegangen, die sie erledigen mussten. Heergren hatte drei Anhänger mit Ketten geschmiedet, die einen wertvollen dunklen Opal trugen. Neire hatte dann die Anhänger verzaubert, so dass sie das Licht der schwarzen Sonne warfen, das alles sichtbare Licht verschluckte. Neire, Heergren und Edda - ein jeder hatte einen dieser Anhänger unter seiner Kleidung versteckt. Bevor sie aufgebrochen waren, hatten sie auch Kulde Kopfstampfer für eine Zeit von seinen Aufgaben befreit. Sie hatten den jungen Hügelriesen auf der Baustelle der Festung über Nebelgard gefunden. Kulde hatte sich gefreut wie ein schwachsinniges Kind, als er sie gesehen hatte. Sie hatte ihm zugelächelt und von einer wichtigen Aufgabe gesprochen. Ihre Reise hatte sie zuerst über die Straße nach Kusnir geführt. Sie hatten aber die kleine Stadt gemieden, die unter der Kontrolle des Tempels des Jensehers stand. Sie waren weiter um den See Gladnir gewandert und waren einem Fluss gefolgt. Sie wussten, dass das Gebirgswasser sie in den Schild führen würde. Edda hatte die Sommertage im Gebirge und in der Hochebene von Kusnir genossen. Nachts waren sie marschiert, Heergren zu Liebe. Aber auch sie mochte die grelle Sonne nicht, die ihr Tränen in die Augen trieb.

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Sitzung 121 - Meister Horknar
« Antwort #138 am: 19.10.2024 | 12:37 »
Sie hatten vor sich die endlose schwarze See gesehen. Die Sonne war längst untergegangen, doch einige hohe Wolken strahlten noch in roten Tönen. Die Berge warfen lange Schatten und ein Abendwind war aufgefrischt. Langsam und behutsam waren sie hinabgestiegen und es war immer dunkler geworden. Je tiefer sie gekommen waren, desto mehr hatten sie die Wärme der Sommernacht gespürt. Immer näher waren sie der Landzunge gekommen, die von kleinen Büschen und Sträuchern überzogen war. Der salzige Geruch von Meerwasser und fauligen Algen war zu vernehmen gewesen. Dann hatte Edda die beiden Kreaturen gesehen, sie sich ihnen über den Grat eines Bergrückens genähert hatten. Sie hatte die beiden Orks, die in dunkle und graue flickenartige Gewänder gehüllt waren, bereits aus der Entfernung als solche erkannt. Es war mittlerweile Nacht geworden und die beiden Späher hatten sie noch nicht bemerkt. Sie waren dann weiter geschritten, Kulde voran. So waren sie schließlich auf die beiden Orks getroffen, die zuerst feindselig reagiert hatten. Kulde hatte mit ihnen gesprochen und ihnen mit donnernder Stimme erzählt, dass er Kulde Kopfstampfer sei. Er hatte gesagt, dass er ein mächtiger Anführer wäre und gerne Menschenköpfe stampfen würde. Das hatte er dann mehrfach wiederholt. Als die Orks daraufhin ein niederträchtiges, spöttisches Grinsen verbargen, waren Neire, Edda und Heergren hinter Kulde hervorgetreten. Die Kreaturen mit den schweinischen Schädeln hatten besonders Heergren mit hasserfüllten Blicken gemustert, doch Kulde hatte sie überzeugen können, dass seine Gefährten ihm als Söldner dienten. Er hatte verlangt, dass die beiden Späher sie zu ihrem Anführer geleiten sollten und sie hatten zugestimmt. Sie hatten gesagt, dass sie Kulde zu Horknar bringen wollten.

Nach einem schweigsamen Fußmarsch gelangten sie in die schwülen Marschlande, die sich vor dem Meer auftaten. Die Nacht war bewölkt und sternenlos. Schweiß rann ihnen in Gesicht und Augen. Der Weg war beschwerlich und sie versanken immer wieder im Schlamm und Matsch. Zwischen den kargen Büscheln und Gräsern stand in kleinen Seen fauliges Brackwasser. Mücken schwirrten um sie herum und ihr Schuhwerk war völlig durchnässt. Dann hörten sie Stimmen, die der Wind ihnen aus der Ferne herantrieb. Hohe, in den Untergrund getriebene Baumstämme hielten Fackeln, deren Licht in den Böen eines warmen Seewindes flackerten. Ein Weg in das Lager war einst mit Schilf ausgelegt gewesen, doch jetzt in schlechtem Zustand. Behausungen einfacher Zelte aus ledernen Häuten standen dort im Brachland. Ein Hämmern war zu hören und sie konnten die Schatten gewaltiger Kreaturen sehen. Sie passierten die ersten primitiven Unterkünfte und sahen, wie ihnen einige Augenpaare folgten. Die Gestalten, die sie betrachteten, waren beschmiert mit fauligem Morast und stinkendem Schlamm. Niemand hier kannte Kulde Kopfstampfer, der sich bei ihrem Einmarsch groß machte. Der junge Hügelriese hatte sich die Kette seines Morgensternes über die Schultern gelegt und strich sich die von Schweiß nassen Strähnen seines schwarzen Haares zurück. Er hob seinen Kopf mit der fliehenden Stirn, den kleinen braunen Augen, der platten Nase und dem ausgeprägten Unterbiss. Die hässliche Narbe seines verbrannten Ohres machte ihn älter, als er eigentlich war. Sie gingen auf die Ruinen eines Bergfriedes zu, um den teils eingestürzte Mauern lagen. Dort schien der Mittelpunkt des Lagers zu sein. In dem spärlichen Licht der Fackeln konnten sie Blicke in das Innere einiger Zelte erhaschen. Von dort hörten sie das Geschrei von Kindern. Sie sahen riesenhafte Säuglinge, die an den üppigen Brüsten hässlicher Hügelriesinnen genährt wurden. Sie sahen aber auch weitere Orks, von denen fast alle eine eiserne Fessel um den Hals trugen. An der Fessel waren Ketten befestigt, mit deren Hilfe die grobschlächtigen Hünen die armseligen, kleineren Kreaturen unsanft zogen. Einige bellten barsche Kommandos in ihrer dümmlichen, gutturalen Sprache. An einem Zelt, das an einem Stück intakter Mauer des Bergfriedes stand, sahen sie einen Hügelriesen mit einem Speer. Der Krieger war von imposanter Statur, einem gewaltigen Bauch, doch kräftigen Bein und Brustmuskeln. Sein fleischiger Schädel war völlig haarlos und er hatte einen gefährlichen, blutrünstigen Blick. Mit seinen langen, affenartigen Armen stützte er sich auf einen fast sechs Schritt langen Speer. Der Gigant war in ein Gespräch vertieft mit einem anderen, kleineren Riesen, der gerade aus der Hütte hervorgetreten war. Der Kleinere war etwa vier Schritt groß und hatte karmesinrote Flecken auf seiner bleichen Haut. Sein linker Arm war verkrüppelt und spastisch verdreht, während sein Rechter muskulös war. Sein Kopf war von einer missgestalteten Hässlichkeit. Dickes, schwarzes Haar hing bis auf die Schultern hinab. Sein Kiefer war verkrüppelt, seine lange Nase krumm und er hatte Blumenkohl-ähnliche Ohren. In seinem Gürtel trug er ein schwarzes Fleischerbeil mit gebogener Klinge. Er war in einen metallverstärkten Lederpanzer gekleidet und er hatte sie bereits gemustert. Sein linkes Auge schimmerte grünlich, während sein rechtes gelblich-krank war. Neire, Edda und Heergren blickten sich hastig um, während sie Stimmen vom Rande des Platzes hörten. Nur Neire konnte bereits einige Worte der Hügelriesensprache verstehen. „Wer ist das, kennst du ihn?“ „Was hat er uns mitgebracht? Kleine Menschen… Spielzeug für uns?“ „Horknar wird sich um ihn kümmern.“ „Vielleicht ein neuer Gefolgsmann von Horknar.“ Die orkischen Späher führten sie in Richtung des Zeltes an der Ruine des Bergfrieds, doch soweit kamen sie nicht. Plötzlich hörten sie die Stimme eines Hügelriesen, der ein krudes Schwert trug. „Ihr da! Sklaven! Was fällt euch ein. Wen bringt ihr hier ins Lager.“ Sie konnten erkennen, wie sich die beiden Orks duckten und unterwürfige Gesten machen. Sie antworteten zitternd und sprachen gebrochen die Sprache der Hügelriesen. „Wir bringen euch großen Meister. Nennt sich Kulde Kopfstampfer.“ Bei den Worten ließ Kulde seinen Morgenstern flatschend in den Morast fallen. Er spannte seine Muskeln und zeigte seine fauligen Zähne, als er anfing debil zu grinsen. Der andere Riese, der drei orkische Sklaven an Ketten hinter sich herzog, öffnete seinen Mund und blickte Kulde dümmlich an. „Kulde… so. Ihr seid wohl neu hier? Kenne euren Namen nicht.“ Kulde knirschte wütend mit den Zähnen als er über den Platz brüllte. „Isshh bin bekannt! Heisshe Kulde Kopfsshamfa. Habe viele Köpfe gesshamft… ja! Viel Kopfblut gesshamft… hahaha.“ Der andere Riese war sichtlich beeindruckt und deutete in Richtung des Zeltes. „Dort, Kulde. Geht zu Meister Horknar.“ Dann ließ der Riese die Ketten fallen und griff plötzlich nach den beiden Orks. Wie aus dem Nichts hatten seine zuvor trägen Bewegungen eine beeindruckende Schnelligkeit. Er bekam auch beide zu packen, die ihrerseits unterwürfig jaulten. Der Riese knirschte mit den Zähnen und sprach hasserfüllt. „Ihr beide kommt mit mir. Werde es euch lehren, wie man hier Befehle befolgt.“ Er zog die beiden Späher hinter sich her, während er sich mit schmatzenden Schritten entfernte.

Neire betrachte Horknar genau, der wiederum Kulde, Edda, Heergren und ihn musterte. Bevor der Anführer der Hügelriesen sprach, zog er schlürfend den Speichel hoch. Neire sah dort, dass ein kleiner Strom von Sabber aus dem einst zerstörten Kiefer hinablief. Neire dachte nach, während er Horknar betrachtete. In einem Buch über das Unterreich hatte er bereits von diesen Kreaturen gehört. In den Schriften war über die physiologische Degeneration und die körperlichen Entstellungen gerätselt worden. Die alten Gelehrten hatten Experimente, aber auch Inzucht dafür verantwortlich gemacht. Auch von magischen Kräften bestimmter Bereiche unter der Erde war gesprochen worden. Einige der Kreaturen sollten intelligenter sein und wohl auch Zauberkräfte besitzen. Als Horknar Kulde begrüßte, verdrängte Neire seine Gedanken und schaute nach oben. „Ihr seid also Kulde Kopfstampfer. Ich habe noch nicht von euch gehört.“ Kuldes Gesicht verzog sich zu einem stumpfsinnigen Blick, als er kindisch seinen Mund verzog. „Ich Kulde Kopfsshamfa. Viele Köpfe gesshamft.“ Da war ein Grinsen in Horknars Gesicht, das von einem Schlürfen von Sabber begleitet wurde. „Ihr habt Köpfe gestampft Kulde… soso. Wie viele Schlachten habt ihr denn bereits geschlagen?“ Kulde begann abermals idiotisch zu grinsen, doch dann dachte er nach. Er versuchte mit den Fingern seiner beiden fleischigen Hände zu zählen. Er formte sechs Finger und antwortete. „Vierzehn Sshlachten, hat Kulde gekamft. Grossher Kopfsshamfa, ja.“ Wieder war da dieses niederträchtige Grinsen, dass sich in Horknars degeneriertem Schädel abzeichnete. „Vierzehn Schlachten… beeindruckend, Kulde Kopfstampfer. Wie viele Köpfe habt ihr gestampft?“ Neire begann das Spiel Horknars zu langweilen, dass den Triumpf seiner überlegenen Intelligenz über die niedere Rasse der Hügelriesen zur Schau stellen sollte. Dennoch ließ er Kulde antworten. „Hunda Köpfa gesshamft, Kulde, ja… hunda… Kulde aus Okpro… torek..krat Daistadt, ja. Will Köpfe Daistadt sshamfa und Adlerfesshde stampf.“ Jetzt trat Neire hinter Kulde heran und erhob das Wort in der Sprache der Hügelriesen. „Ihr müsst Horknar sein.“ Neire sah, wie das Grinsen dem Gesicht des Anführers sich einstellte. Die widerliche Gestalt beugte sich zu ihm hinab und er konnte Fäulnis riechen. „Ihr seid ganz schön mutig für ein Menschlein… ein Krieger der stämmigen Rasse. Ein Menschenweib…“ Jetzt lachte Horknar, als er Edda anschaute. „Hat sie Fähigkeiten, um euch die Reise zu verschönern.“ Neire sah Kulde aufbrausen. Der junge Hügelriese hob seinen Morgenstern und Gewalt lag in der Luft. „Edda grosshe Kriegerin, jaa… viele Sshlachten sshlagen sie.“ Horknar nickte und richtete sich wieder auf. „Ja, mein Name ist Horknar und ihr seid in mein Land gekommen. Im Gegensatz zu Kulde Kopfstampfer, habe ich mir noch keinen Namen verdient. Aber ja… ihr seid an der Adlerfeste interessiert?“ Neire hatte gezittert, als die hässliche Kreatur ihn angeschaut hatte. Jetzt antwortete er Horknar, der beständig seinen Speichel hinaufsaugte. „Wir hörten, dass ihr ein Interesse an der Eroberung der Adlerfeste habt, mächtiger Horknar. Daher sind wir zu euch gekommen, daher ist Kulde zu euch gekommen. Wir haben eine alte Rechnung mit ihrem wahren Herrn zu begleichen. Ich könnte euch helfen, denn ich war bereits in der Adlerfeste. Doch wieso bestrebt ihr die Eroberung?“ Horknar hatte bei seiner Rede eine Augenbraue erhoben. Der Riese blickte ihn bohrend an, dann lachte er. „Hahaha… wieso ich die Adlerfeste erobern will? Was meint ihr? Wo kann man besser ein Heer aufstellen? Im Schlamm oder in den Felsen?“ Nur einen kurzen Augenblick dachte Neire nach. Dann antwortete er zischelnd. „In den Felsen der Adlerfeste könntet ihr es besser schützen.“ Horknar nickte, doch dann schüttelte er den Kopf. „Ein Heer müssen wir hier aufbauen, im Schlamm. In den Felsen wären wir ohne Nahrung. Doch die Adlerfeste, sie hat eine andere Bedeutung. Sie schützt den Weg in die Lande dahinter. Das Herzogtum Berghof und andere menschliche Reiche. Fette Beute, das ist es was ich will. Die Adlerfeste bedeutet Kontrolle. Sie ist der erste Schritt. Ich will mir einen Namen machen. Vielleicht Meister Horknar, wie dieser Bastard Meister Halbohr. Aber ich glaube eher, dass Meister Halbohr eine Sagengestalt ist. Eroberer Horknar oder König Horknar wären nach großen Taten angebracht. Was meint ihr Menschlein… diese Namen haben doch einen Klang.“ Neire nickte und lächelte seinerseits, als er den Namen von Meister Halbohr vernahm. Dann sprach er: „Meister Horknar, wir könnten euch bei dieser Aufgabe behilflich sein. Wie ich bereits sagte, war ich vor einiger Zeit in der Festung. Und ich weiß, dass der Hohepriester Lardrik Wermgard aus dem Verborgenen seine Schattenfäden zieht.“ Als Horknar Neire nach seinem Wissen fragte, erzählte er dem Anführer der Hügelriesen von seiner damaligen Eroberung der Adlerfeste. Außerdem erzählte er von Wermgard und dem unsäglichen Kult der Sonnenanbeter, der sich wohl ungesehen verbarg vor Ulf Kalthand, dem Anführer der Adlerfeste. Oder war Ulf Kalthand eingeweiht in die Machenschaften? Als Horknar ihnen von den Erkenntnissen seiner orkischen Späher berichtete, welche die Festung beobachteten, schritten sie zu einer kruden Landkarte, die Horknar in den schlammigen Boden neben sein Zelt gezeichnet hatte. Er erzählte ihnen von den Booten, welche die Späher auf dem Fluss gesehen hatten. Die Boote waren aber nie weiter als bis zur Festung gefahren. Kein einziges Boot hatten sie stromabwärts auf dem Fluss nach Kusnir gesehen. Neire vermutete einen geheimen Zugang in die Adlerfestung. Er berichtete Horknar auch von den Körpern, die von den Priestern aus Dreistadt transportiert wurden. Auf Neires Vermutung hin, dass jetzt keine Boote mehr fahren würden, fragte ihn Horknar nach seinem Wissen, wer er denn eigentlich sei und was sein wahrer Grund wäre die Festung anzugreifen. Der hässliche Riese zweifelte schon längst ihren Söldnerstatus an. Neire zeigte seine verbrannte Hand und sprach. „Seht Meister Horknar. Ich bin ein Kind der Flamme und sie haben mich dazu gemacht. Die Anbeter der Sonne unter den Sonnen. Sie haben mich verbrannt, für immer gezeichnet. Jetzt will ich Rache. Lardrik Wermgard muss sterben und wir können uns gegenseitig helfen. Auch wollen wir die Schätze, die sich unter der Feste befinden.“ Horknar lachte diabolisch und zog sein Maulwasser schlürfend hinauf. Dann sagte er: „Rache, kleines Menschlein. Ein starker Drang, der euch treibt. Wir können uns wahrlich helfen. Ich habe 38 Kämpfer, Hügelriesen allesamt. Es wird wahrscheinlich nicht reichen die Feste zu erobern, aber wenn ihr…“ An der Ruine des Bergfriedes bildeten sie einen kleinen Kreis. Sie sprachen lange über ihren Plan. Der warme Küstenwind brachte die Fackeln zum Flackern und ihre Schatten tanzten lebhaft über dem Morast.

~

Ein Tag hatten sie auf die Rückkehr der Späher gewartet. Horknar hatte die Orks bereits vor Tagen losgeschickt und erwartete sie in der nächsten Zeit. Den vier Gefährten war ein Platz im Zelt der orkischen Sklavenarbeiter zugewiesen worden. Als einige der Sklaven in Richtung von Edda geblickt und lüsterne Anspielungen gemacht hatten, war Kulde aufgesprungen, hatte sich vor sie gestellt und drohend gebrüllt. Ihre weitere Zeit war ereignislos geblieben und über den Tag hatte ein anhaltender Nieselregen eingesetzt. Der Wind war aufgefrischt und das Lager war in Schlamm und Morast versunken. Als die Nacht bereits eingebrochen war, waren die Späher zurückgekehrt und hatten von der Adlerfeste berichtet. Sie hatten keine weiteren Boote gesehen und Horknar hatte beeindruckt genickt. Auf die Frage, wie lange die Hügelriesen für die Vorbereitung eines Angriffs bräuchten, hatte Horknar mit drei Tagen geantwortet. So hatten sie einen Pakt geschlossen. Am dritten Tag und nach Einbruch der Dämmerung wollten sie angreifen. Horknar mit seinen Riesen sowie Kulde und sie von Innen. Horknar hatte vorgeschlagen, dass sie sich ein Boot besorgen sollten, um eine Lieferung in die Adlerfeste vorzutäuschen. Sie verrieten nicht was sie tun wollen, doch sie besiegelten den geplanten Angriff mit einem Schwur. Dann brachen sie auf in die warme, regnerische Nacht.

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Sitzung 122 - Geheimnisse unter der Adlerfeste
« Antwort #139 am: 25.10.2024 | 21:35 »
Schroffe Bergspitzen und Kämme zeichneten sich düster im silbernen Mondlicht ab. Neire, Edda und Heergren klammerten sich an den Felsen und blickten hinab in das hohe Tal. Fast senkrecht stürzte die Wand in die Tiefe, in deren Kanten und Kaminen sich der Wind brach. Unter ihnen lag dunkel die Schlucht. Dort war die Passstraße, die von Kusnir nach Dreistadt führte. Sie konnten deutlich die Lichtpunkte erkennen die auf der Burg brannten. Die Adlerfeste thronte über dem Tal, auf dessen Grund sie das silberne Band des Flusses sehen konnten. Die Höhe war jedoch zu groß, als dass sie ein Rauschen des Wassers vernahmen. Nachdem Neire sie Kraft seiner schwarzen Kunst in den östlichen Teil des Schildes gebracht hatte, waren sie einige Zeit durch die Felsen geklettert. Sie hatten nach einem geeignetem Platz Ausschau gehalten, von dem sie die Adlerfeste beobachten konnten. Schließlich hatten sie ein kleines Felsplateau, nahe eines der Gipfel entdeckt, das ihnen neben einem Beobachtungspunkt, Schutz vor der Sichtlinie zur Festung gab. Sie hatten sich dort niedergelassen und eine Zeit die Schlucht beobachtet. Sie hatten auf dem Bauch gelegen und in den Abgrund gestarrt. Jetzt zogen sie sich zurück in die Schatten der Felsen, um sich zu beraten. Neire trat zu Edda und nahm ihre Hand. Seine blauen Augen mit den vertikalen Pupillen blickten sie ernst an. Er flüsterte zischelnd: „Edda, ich muss hinabgehen, um die Burg zu erkunden. Ihr bleibt mit Heergren hier und beobachtet das Tal.“ Edda nickte, doch er spürte ihre Sorge. „Achtet auf euch Neire und macht keine Dummheiten. Wenn Horknar Recht hatte, sind die Truppen gut gerüstet und wachsam. Oordrin, der Stadthalter von Dreistadt, sprach zudem von dem geheimen Unteren der Festung. Wer weiß was dort wartet. Solltet ihr gesehen werden, ist unser Plan zunichte gemacht.“ Neire nickte und zog Edda näher zu sich heran. Er roch ihr Parfüm, das den Duft seltener Blumen verströmte. „Ich weiß Edda und glaubt mir… ich würde viel lieber bei euch bleiben. Doch ich muss die Festung auskundschaften.“ Dann drehte Neire seinen Blick zum Nachtzwerg. „Heergren, ihr werdet auf Edda aufpassen. Schützt sie mit eurem Leben. Sie wird die Akademie Schwarzenlohe in Nebelgard führen, wenn wir zurückkehren. Meister Halbohr würde es euch nicht verzeihen, wenn ihr etwas zustieße.“ Heergrens Miene erstarrte und er beugte seinen Glatzkopf, der von dunklen Venen durchzogen würde. Im Mondlicht hatte sein Antlitz fast ein untotes Aussehen. „Jawohl, mein Prophet. Ich werde Edda beschützen, bis ihr zurückkehrt.“ Neire nickte und begann Edda zu küssen. Er spürte ihre Wärme, ihre weichen, zarten Lippen. Eine Zeitlang standen sie dort, eng umschlungen im Mondlicht. Dann zog er sich seinen Tarnumhang über, schritt zum Abgrund und ließ sich in die Tiefe fallen.

Neire betrachtete den Felsspalt, durch den ihm klares, kaltes Wasser entgegenströmte. Er schwebte über den rauschenden Fluten des Flusses, der das Tal durchfloss. Sein Ring verlieh ihm die Fähigkeit zu fliegen und so war er in das Tal hinabgeschwebt. Sein Tarnmantel hatte ihn verborgen. Neire war dem Fluss um die Adlerfeste gefolgt und hatte nach geheimen Öffnungen Ausschau gehalten. Als er die Burg fast umrundet hatte, war er fündig geworden. Die Spalte war nur zwei Schritt breit und weder vom Passweg, noch von der Festung zu sehen. Sie endete an einem schlanken Höhleneingang, der in die Richtung der Burg wies. Spalte und Tunnel waren nicht von Menschenhand geformt. Der Stein schien über die Jahrtausende glattgeschliffen zu sein. Die feuchte Luft war kühl hier und von einem Rauschen erfüllt. Neire schwebte langsam in den Tunnel hinein, den er nach Fallen zu untersuchen begann. Je weiter er in das Reich des Steines kam, desto leiser wurde der Fluss hinter ihm. Das Wasser der Höhle quoll friedlich aus dem Inneren der Erde hervor. In der Dunkelheit des Tunnels sah Neire ein Licht. Auch hörte er seltsame Flötentöne, deren Widerhall schwach war. Er erkannte keine Melodie. Vielmehr waren es chaotische Muster – weder harmonisch noch disharmonisch. Neire folgte dem Tunnel und kam an eine Biegung. Aus dem Stein ergoss sich das Wasser in kleines Kavernenbecken, das sich nach rechts hin in eine mittelgroße Höhle eröffnete. Dort lag der steinerne Boden oberhalb der Wasseroberfläche. Aus einer höhergelegenen Öffnung der Höhle kam ein bleiches, gleißendes Licht, das in seiner Gleichförmigkeit Neire in den Augen schmerzte. Eine steinerne Rampe führte auf die Öffnung hinauf. Der Aufgang und die Öffnung zeigten Muster von Steinbearbeitung. Das Herz des jungen Priesters begann schneller zu schlagen, als er über den Boden schwebte. Dort konnte er deutliche Schleifspuren erkennen, die vom Ufer die Rampe hinaufführten. Zitternd begann er Boden und Wände abzusuchen. Zuerst fand er nichts, doch dann bemerkte er die goldenen Runen im Stein. Die Luft vor ihm flimmerte von Magie, die Neire begann zu untersuchen. Die Schule der Veränderung und die Form der Runen ließen ihn einen Zauberspruch erahnen, der die Bewohner warnen sollte. Neire mied den Bereich und schwebte höher, dem Licht entgegen. Als er in durch die Öffnung blickte, brannte das Licht in seinen Augen. Er wollte sie schließen, so groß war der Schmerz. Doch er musste beobachten, was hier war. So wischte er sich die Tränen von den Wangen und starrte in das grausame Licht. Hinter der Öffnung schaute Neire in eine weitere Höhle, die viel größer war. In der Mitte war ein Loch im Boden, das trichterförmig in die Tiefe wies. Dort brach der gleißende Strahl von Licht hervor. Er schien aus dem Unteren zu kommen. Von dort hörte er auch ein sonores Grollen. Die Höhle hatte andere Bereiche und Öffnungen, von denen einige durch hölzerne Bretter versperrt waren. Hinter einer halb geöffneten doppelflügeligen Türe sah er regenbogenfarbiges Licht hervordringen. Neire zog sich in die Schatten einer Felsspalte zurück und beobachtete schwebend die Höhle. Er horchte in die Dunkelheit. Eine Zeitlang passierte nichts. Dann hörte er Geräusche und bemerkte, dass zwei Gestalten schweigsam ihren Wachgang schritten. Beide waren in blank polierte Brustharnische gehüllt, trugen ein Schild mit dem Symbol einer Sonne und Strahlen sowie lange Bastardschwerter, die sie in Scheiden über den Rücken gelegt hatten. Beide hatten ein gerötetes Gesicht, wie von einem Sonnenbrand. Der kleinere Krieger hatte eine Glatze und braune Augen. Der größere hatte kurze, fast weiße, strohblonde Haare und hellblaue Augen. Als sie ihre Schritte entfernten hörte Neire Schnarchgeräusche und leise Stimmen. Hatten die Wachen vielleicht eine der Türen offenstehen lassen? Neire lauschte den gedämpften Worten, die dort flüsterten. „Wie lange noch… wie lange wird es noch dauern?“ Ein anderer Mann antwortete. „Ich weiß es nicht, Bruder. Vielleicht nicht mehr lange. Es ist schon länger keiner mehr da gewesen.“ Wieder war da die erste Stimme, die jetzt eindringlicher sprach. „Aber er hat Hunger und er muss kräftiger werden. Er muss wachsen. Was ist mit Oordrin, wieso lässt er nicht von sich hören?“ „Gerüchte, nur Gerüchte. Irgendetwas ist passiert in Dreistadt. Aber keiner hier weiß genau was.“ Die Beschwichtigungen wirkten anscheinend nicht, denn die besorgte Stimme zitterte jetzt. „Wieso sagt uns Ulf Kalthand nicht was dort passiert ist?“ Wieder war da die ruhige Antwort. „Ich weiß es nicht. Vielleicht muss sich Meister Wermgard selber kümmern. Vielleicht muss er nach dem Rechten sehen. Aber er hat keine Zeit… hat wichtigere Aufgaben.“ Die erste Stimme schien Ruhe zu geben und fragte deutlich unerregter. „Die Musiker… sie sind bald dran. Sollen wir sie wecken?“ „Nein, lasst sie noch ein wenig schlafen. Sie haben die wichtigste Aufgabe.“ Danach herrschte für einige Zeit Schweigen und Neire fürchtete die Nacht über dem Tal schwinden. Er wollte sich gerade auf den Rückweg machen, da hörte er abermals Stimmen. „Ehrwürdige Musiker, wacht auf.“ Die Stimme klang freundlich, bestimmt. Als das Schnarchen nicht aussetzte, wiederholte sie ihre Worte. „Ehrwürdige Musiker, es ist Zeit. Wacht auf, denn ihr müsset euren Dienst tun.“ Das Schnarchen verstummte und Neire hörte eine wohlklingende Stimme. „Habt Dank Bruder, ihr habt Recht. Es ist Zeit. Doch nicht für ihn, denn er wird seinen Schlummer fortsetzen. Es ist unsere Zeit, doch noch nicht die seine. Wir werden das Lied fortsetzen, um seinen Schlaf zu erhalten. Bis die Zeit für ihn reif ist.“ Als Neire die sich nähernden Schritte hörte, begann er in die Dunkelheit hinabzusinken. Er hatte genug gesehen und gehört und so verließ er lautlos die Höhlen unter der Adlerfeste.

~

„Sie saß dort in ihrem Turmgemach und hat bis in die Morgenstunden auf eine Rolle von Pergament geschrieben.“ Neire blickte Edda und Heergren an, die sich an den Schatten des Felsen lehnten. Sie saßen auf jener Seite, die der Adlerfeste abgewandt war und hatten bereits geruht. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand überschritten. Neire war nach dem Verlassen der Höhlen zur Adlerfeste hinaufgeschwebt. Dort hatte er in das Gemach des Kommandanten geschaut, an dessen Eingang Bargh, Wulfgar, Rognar und er einst gegen den Oger gekämpft hatten. Neire hatte dort Amria wiedergesehen, der sie zuvor in Dreistadt begegnet waren. Die stellvertretende Kommandantin der Adlerfeste hatte tiefe Augenringe gehabt. Im Fackellicht des Raumes waren ihr immer wieder die Augen zugefallen. Dennoch hatte sie beharrlich auf das Pergament geschrieben. Irgendwann hatte sie sich zu Bett begeben und Neire hatte einen Blick in ihr sonnengebräuntes, grobkantiges Gesicht erhaschen können. Unter den rotbraunen Haaren, hatte er die Striemen von Narben und die schiefe, wohl einst gebrochene Nase der Frau wiedererkannt. Neire dachte zurück, an das, was dann passiert war. „Als sie sich zum Schlaf niedergelegt hatte, bin ich in das Gemach gestiegen. Ich habe ihre Aufzeichnungen gelesen.“ Heergren und auch Edda lauschten aufmerksam seinen Worten. Aus Heergren brach es hervor. „Was habt ihr gefunden, Prophet?“ Neire nickte ihm zu, als er antwortete. „Nichts Besonderes. Hauptsächlich Aufzeichnungen über Truppenstärken und Nahrungsreserven. Es schien mir, als würden sie keine Lieferungen mehr aus Dreistadt erhalten. Zwar hat Amria Verstärkung aus Dreistadt mitgebracht, aber es war auch von zwei Deserteuren die Rede.“ Edda schien auf anderes gehofft zu haben. „Nur taktische Aufzeichnungen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie hat mich so mitleidig angeschaut in Dreistadt. Als wolle sie mir ihre Geheimnisse anvertrauen.“ Edda lächelte ihn an und er nahm ihre Hand. „Ihr habt wie immer Recht, meine Liebe. In dem Schreibtisch habe ich ein geheimes Fach entdeckt. Dort waren einige Zettel mit ihrer Handschrift.“ „Und?“, fragte Edda und ihre Augen weiteten sich. „Sie macht sich Gedanken über Dreistadt. Sie fragt sich, wie es sein kann, dass dort so viele Flüchtlinge aufgenommen und trotzdem mit Nahrung versorgt werden können. Sie fragt sich, woher sie das Geld dazu haben. Sie fürchtet sich aber davor, Oordrin zu fragen. Sie fürchtet die Antworten, die sie erhalten würde. “ Heergren verzog sein Gesicht in Abscheu, doch Neire fuhr fort. „Da waren auch Gedanken zu Ulf Kalthand. Sie schrieb, dass sie nicht mit ihm sprechen könne. Dass er sich nicht zeige und sich immer hinter einer silbernen Maske verberge. Sie fragt sich, was er in seiner Zeit mache, kommt aber dann zu dem Entschluss, seine Handlungen nicht zu hinterfragen, da er ja die Festung stark gemacht habe. Sie will sich weiter ihren Aufgaben widmen, auch wenn sie sich mit der gesamten Verwaltung und dem Kommando der Adlerfestung überfordert sieht. Auch berichtete sie von einer Begegnung mit einem Bäcker in Dreistadt – von seinen langen roten Haaren und seinen tiefblauen Augen. Sie schrieb, dass ihr Herz schneller schlug als er sie anlächelte. Sie hofft ihn einst wiederzusehen.“ In Eddas Gesicht war Mitgefühl zu sehen, als Neire seinen Satz beendete. Die junge Schattenmagierin strich sich die Haare zurück und flüsterte. „Amria… die arme. Sie hat sich so gekümmert um mich in Dreistadt. Sie hat etwas Besseres verdient, als dieses Schicksal. Vielleicht hat sie ihre wahre Liebe in Dreistadt entdeckt.“ Nach den Worten vollzog sich in Heergrens Gesicht die vollständige Wandlung zur hasserfüllten Fratze. Er spukte aus und sagte: „Wahhh… das ist nicht euer Ernst, Fräulein von Hohenborn.“ Edda kicherte nun diabolisch. „Mein lieber Heergren. Wie leicht seid ihr nur an der Nase herumzuführen. Ich würde nichts lieber tun, als dieses Weibsstück im Blitz meiner Schattenflammen leiden zu sehen.“

~

Bis zum Abend des dritten Tages hatten sie gewartet. Bis auf einen Karren eines Händlers aus Kusnir, hatten sie keine weiteren Ereignisse gesehen. Sie hatten den gebrüllten Befehlen gelauscht, die sie über das Rauschen des Flusses hinweg hatten hören können. Der Händler hatte zwei große Säcke mit Mehl, einen Sack mit Broten und ein Fass mit gesalzenen, eingelegten Fischen übergeben. Als er seinen Rückweg nach Kusnir angetreten hatte, war wieder Ruhe eingekehrt. Sie hatten ihre Zeit damit verbracht die Wachwechsel zu beobachten und die Soldaten zu zählen. Als sich der Abend des dritten Tages näherte, hatten sie begonnen mit ihren Vorbereitungen. Sie hatten Sprüche der schwarzen Kunst gewirkt und ihre Waffen mit tödlichem Gift bestrichen. Edda hatte Heergren die Fähigkeit einer Fledermaus verliehen, sich über unhörbare Geräusche zu orientieren. Der Nachtzwerg hielt seitdem die Augen verschlossen und hatte seinen Mund geöffnet. Zudem hatten sie das schattenhafte Schild beschworen, das schützend ihre Körper umgab. Nachdem Neire hinaufgeschwebt war und von dem Nahen der Riesen berichtet hatte, hatten sie einen Schwur auf die Dame des abyssalen Chaos gesprochen und waren aufgebrochen. Neire hatte sie durch Raum und Zeit versetzt. Sie waren in den Schatten versunken und in der Höhle mit der Rampe erschienen. Edda hatte einige Zeit benötigt, um sich an das grelle, bleiche Licht zu gewöhnen, dass durch die erhöhte Öffnung brach. Dann hatte Neire die warnende Magie gebannt. Er war vorgeschlichen und hatte am Eingang der Höhle angefangen einen Zauber zu wirken. Als Edda und Heergren das dunkle Krachen von Metall gehört hatten, wussten sie um das Zeichen. Der Kampf sollte beginnen. Edda zog das Amulett mit dem kostbaren Opal hervor, das Heergren geschmiedet hatte. Augenblicklich umgab sie eine Sphäre aus totaler Schwärze. Doch sie beide konnten die Dunkelheit durchblicken. Edda durch ihre schattenmagischen Kräfte und Heergren durch die verliehenen Fähigkeiten der Fledermaus. Sie folgten Neire hinauf über die Rampe. Edda blickte aus der Sphäre der Dunkelheit in die Höhle, die jetzt in Düsternis gehüllt war. Über dem Loch im Boden lag eine gewaltige Platte aus schwarzem Metall. Es war die Wand aus Eisen, die Neire dort beschworen hatte und deren Umfallen sie vernommen hatten. Nur das regenbogenfarbige Licht drang noch aus der doppelflügeligen Türe hervor. Es war aber zu schwach, um die gesamte Höhle zu erhellen. Edda hörte Ausrufe der Überraschung. Sie sah die beiden Krieger von denen Neire erzählt hatte. Beide hatten ihre Bastardschwerter gezogen und riefen zum Alarm. Aus einer hölzernen Türe, des Bretterverschlages, an der gegenüberliegenden Höhlenwand, drangen einige Anhänger des Sonnengottes in die Höhle. Es waren vier Gestalten, die in glänzende Plattenpanzer gekleidet und mit Streitkolben bewaffnet waren. Ihre Gesichter waren gerötet, wie von einem Sonnenbrand. Edda vernahm auch von ihnen Ausrufe von Überraschung und Erschrecken. Hinter den vier Anhänger erschienen zwei weitere Gestalten aus der hölzernen Tür. Ein Mann mit schneeweißen Haaren und hell-blauen, fast weißlichen Augen. Sein Gesicht war eingefallen und so stark verbrannt, dass sich an einigen Stellen die Haut ablöste. Er trug eine Platte aus Gold auf dem Kopf, einen strahlenden Plattenpanzer und einen verzierten Streitkolben mit einem glänzenden Juwel. In der linken Hand hielt er einen knöchernen Gegenstand, geformt wie ein langer, gebogener Zahn. Die andere Gestalt war gekleidet in eine vielfarbige Robe, die einen verwirrenden Eindruck von wirbelnden Farben machte. Das Gesicht des Mannes mit den schneeweißen Haaren war von einem Grauen verzerrt. Er rief lauthals in Richtung der beiden Krieger. „Was ist hier los, wo ist das Licht? Es muss scheinen…“ Als er keine Reaktion vernahm, schrie er panischer. „Hebt es hoch, hebt es hoch verdammt nochmal… es muss scheinen… das Licht muss scheinen!“ Zwei der Anhänger begannen zu murmeln, während die Krieger versuchten die Eisenplatte, die das Loch bedeckte, hochzuheben. Ein Sonnenpriester beschwor Gebete, während der andere ein Lichtkegel in der Mitte der Höhle zauberte. Auch von Neire hörte Edda den schlangenhaften Singsang von Gebeten. Beschützt durch die Dunkelheit des Amulettes bewegten sie sich weiter in die Höhle hinein. Da hörte sie die Stimme des Priesters mit der goldenen Platte. Er hatte anscheinend gesehen, wie die Krieger sich vergebens bemühten die tonnenschwere Eisenplatte zu heben. „Lasst es… lasst ab. Zieht eure Waffen Brüder und beschützt die Musiker… beschützt sie mit eurem Leben!“ Edda sah die sechs Anhänger durch die hölzerne Türe verschwinden. Die Krieger ließen von der Eisenplatte ab und begannen sich aufzurichten. Heergren und sie bewegten sich weiter auf die Krieger zu. Sie spürte Neire neben sich, hörte seine Gebete. Sie gingen auf die Gestalten zu, die sich noch im Licht wähnten und gerade ihre Waffen aufnahmen. Flamme und Düsternis waren in den Tempel der Sonnenanbeter gekommen.

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Sitzung 123 - Musik der Tiefe
« Antwort #140 am: 1.11.2024 | 23:41 »
Um Edda waberte eine Blase von Dunkelheit. Alles Licht wurde dort verschluckt und erzeugte bei ihr eine unnatürliche Form des Sehens. Die Schatten nahm sie wie Strömungen wahr. Kraft ihrer schattenmagischen Fähigkeiten konnte sie als einzige die totale Schwärze vollständig durchblicken. Vor ihr ragte die natürlich geformte Höhle auf, deren behauene Auswuchtungen mit Bretterverschlägen abgetrennt waren. Aus einem doppelflügeligen Portal sah sie vielfarbiges, schwaches Licht wechselnder Farben strömen. Hinter der geöffneten Türe eines Bretterverschlages konnte sie Fässer und Kisten erkennen. Schreie gellten hallend durch die Kaverne und übertönten die seltsame Musik von Flötentönen aus der Tiefe. Vor einer hölzernen Türe hatte sich die Schar von Anhängern des Azathoth gesammelt. In den Augen der Kultisten war Überraschung und teilweise Panik zu erkennen. Sie leisteten den gebrüllten Befehlen des augenscheinlichen Anführers Folge. Der ältere Mann hatte schneeweiße, schulterlange Haare und hell-blaue, fast weißliche Augen. Die Haut seines Gesichtes war gerötet und eingefallen, wie von einem stärkeren, länger anhaltenden Sonnenbrand. Sein Plattenpanzer war von leuchtenden Runen bedeckt und über seinem Kopf trug er eine goldene Haube. Als Edda ihren Blick zu den beiden Kriegern mit den Bastardschwertern gleiten ließ, die mittlerweile von der Eisenplatte abgelassen hatten, hörte sie die zischelnde Stimme von Neire: „Folgt mir!“ Sie spürte Neire neben sich und schritt in die Höhle. Auch Heergren kam mit ihr, in der sich bewegenden Dunkelheit. Der Nachtzwerg hatte seine Augen geschlossen und seinen Mund weit geöffnet. Schweißperlen waren auf seiner Glatze zu sehen. Ab und an schnalzte er mit seiner Zunge, als könne er durch die Geräusche und deren Reflektionen sehen. Der Kampf brach los, als sie sich den Sonnenpriestern näherten. Der Anführer holte einen klaren Kristall hervor und sprach. „Leuchte und scheine hell.“ Damit beschwor er einen schmalen Strahl gebündelten Lichtes, der die magische Dunkelheit durchbrach. Sein Begleiter mit der vielfarbigen Robe rief seine Macht hervor und die Farben begannen zu tanzen sowie zu wachsen. Dann hörte Edda, wie Neire seine Kräfte hervorrief. Er warf dem Strahl des Anführers sein Schattenfeuer entgegen. Das Licht wurde für einen Augenblick zurückgedrängt und das rötliche Schattenfeuer erfasste den Hohepriester. Edda hörte das Bersten der darauffolgenden Explosion. Sie sah, wie der Panzer von Lardrik Wermgard anfing zu glühen und sich in seine Haut fraß. Dann wirkte sie ihre Schattenmagie. Sie beschwor einen Blitz aus invertiertem Licht, der die Kultisten erfasste. Der Hohepriester wurde augenblicklich zerfetzt. Edda sah die grausame Auswirkung. Stücke von Fingern wurden abgerissen und seine hell-blauen Augen zerplatzen. Auch die Gestalt in der leuchten Robe sank, zwar zuckend, aber tot, zu Boden. Unter dem Murmeln von Gebeten und einem wachsenden Licht in der Mitte der Höhle, sah Edda eine zunehmende Ungläubigkeit – gar Panik – in den Augen der Azathoth Anhänger. Einige bewahrten ihre Fassung, doch sie wichen in Richtung der hölzernen Türe zurück. Auch die Wachen hatten ihre Bastardschwerter erhoben und liefen auf die hölzerne Türe der gegenüberliegenden Seite zu. Sie bewegten sich weiter und sahen den letzten Priester durch die Türe flüchten. Als sie an den Eingang des Bretterverschlages gelangten, konnte Edda in das Innere sehen. Dort, in der Auswuchtung der größeren Höhle, waren Regale am Felsen angebracht. Sie erkannte Schriftrollen und Bücher sowie Betten und Tische. In der Mitte des Raumes führten die Stufen einer steinernen Wendeltreppe in die Tiefe. Von unten hörte sie die chaotischen Flötentöne. Von dort drang auch Licht herauf. Jedoch drang die Dunkelheit unaufhaltsam in den Raum und griff nach der übernatürlichen Helligkeit. Die beiden Priester, die sich dort aufgebaut hatten, sahen sie nicht und blickten sich panisch um. Einer murmelte Gebete. Der andere hatte seinen Streitkolben zum Schlag erhoben. Heergren schlug neben ihr zu. Mit tödlich geplanter Präzision hatte er seine Axt geführt. Nur einen Augenblick später stach sie selbst durch den Plattenpanzer des anderen Sonnenanhängers. Es war nicht die Tödlichkeit der Hiebe, die ihre Gegner zu Fall brachte. Ihre Widersacher versuchten krampfhaft zu atmen und ihre Venen verfärben sich schwarz. Dann brachen beide unter der Wirkung des Giftes zusammen. „Deckt mir den Rücken. Ich schleiche voran.“ Edda hörte Neires zitternde, zischelnde Stimme von der Treppe. Sie drehte sich und blickte zurück. Sie sah keine Wachen mehr und sie hörte nur noch die Flötenmusik. Doch da war noch ein anderes Geräusch. Mal wie ein Rauschen, mal wie ein Grollen, drang es aus der Tiefe zu ihr hinauf.

Neire schlich die Wendeltreppe nach unten. Er hatte die Dunkelheit, die von Eddas Opal ausging, verlassen. Er hüllte sich in seinen Tarnmantel aus Schatten. Mit jeder Rundung wurden das dumpfe Grollen und das Rauschen lauter. Auch die Flötentöne waren jetzt übernatürlich stark schallend. Seine feinen Ohren hörten noch ein anderes Geräusch. Es war der magische Singsang eines Gebetes. Neire kannte die Formeln, die fast beendet waren. Er hatte sich auf eine Öffnung eines Ganges zubewegt, hinter der er die Silhouetten zweier Gestalten warten sah. Das Licht kam von dort und war bereits blendend hell. Als Neire den Zauberspruch erahnte, sprang er augenblicklich zurück und rannte nach oben. Keinen Moment zu spät. Hinter ihm formten sich lange, rotierende Schwerter und Messer, die die Luft durchschnitten. In das Grollen und Pfeifen brach das Zischen und Klingen von Metall. Er kniete sich auf den Stufen nieder und harrte der kommenden Dunkelheit. Dann wurde er eingehüllt und er sah Edda neben sich. Wortlos deutete er auf die Wand aus rotierendem Stahl. Edda nickte und wirkte einen Zauberspruch. Ihre Schatten flossen langsam über die Klingen und lösten sie auf. Als die Gefahr gebannt war, schlich sich Neire abermals vor und ließ den Rest des Schattenfeuers frei, den er im Körper trug. Der Strahl traf den Wirker der Klingenwand und zerfetzte seinen Körper. In der nachfolgenden Explosion wurden auch die beiden Gestalten verletzt, die sich als schattenhafte Umrisse vor dem Licht abzeichneten. Erst jetzt konnte Neire weitere Details erkennen. Der Tunnel eröffnete sich schon bald auf eine Kreuzung. Der geradeaus weiterführende Gang endete an einer Plattform – im Eingang einer viel größeren Höhle. Von dort drang das gleißende, weiße Licht hervor, das auf seiner Haut brannte. Von dort hörte er auch die Flötentöne. Seine Ohren täuschten ihn nicht. Als die Explosion den Flötenspieler erfasst hatte, der auf der Plattform stand, änderte sich die Melodie. Die Masse von weißlichem Feuer, die sich in der Mitte der Höhle befand, begann zu wabern. Als ob sie aus ihrer Fassung ausbrechen wollte. Sie wurde von einem Torus aus Kristall und Nei’ilurum gehalten, der über vier Angeln befestigt war, die Stäben in alle vier Himmelsrichtungen hinfortführten. An einem jeden diese Enden musste sich eine Plattform befinden, auf der ein Flötenspieler stand. Das Innere des Torus konnte Neire nicht ansehen. Es drohte seine Augen vollständig zu verbrennen. Es war ein Teil der immerwährenden Explosion – ein Teil der Sonne aller Sonnen – die dort tobte. Das Licht brannte auf seiner Haut, wie das elektrisierende Kribbeln der Wärme eines brennenden Sternes. Ein Stern der vor ihm fortwährend explodierte, doch dies auf einer anderen Ebene tat. Es war, als wäre nun bereits ein Teil in diese Welt gedrungen. Es war, als würde die Explosion durch die Flötentöne besänftigt. Als ob die Struktur des Torus wie ein vielfach verstärkender Klangkörper für die Musik wirken würde, welche die Sonne in einer Art Schlafzustand hielt. Für einen Augenblick starrte Neire in das Licht und die Stimme von Jiarlirae war fern. Er wurde vereinnahmt von der Essenz des tobenden Gottes. Dann hörte er das plumpe Aufschlagen eines Körpers und sah wie Heergren seine Axt aus dem Schädel des Anhängers zog. Auch der Flötenspieler hatte die Gewalt vernommen und blickte sich zögerlich um. Er war, wie die anderen Musiker auch, in hell-weiße Gewänder gekleidet. Sein Kopf war völlig haarlos und seine Haut war rötlich verbrannt. Seine Augen waren jedoch weiß-in-weiß. Der Flötenspieler sah sie nicht - er war blind. Panik und Terror zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Doch er drehte sich wieder um und spielte weiter seine Melodie. Die Feuermasse beruhigte sich und wurde in den Torus gebannt. Jetzt war auch Edda neben ihm erschienen. Sie hielt sich die Hand vor die Augen, die begonnen hatten zu tränen. Das glühende Feuer ließ ihre Dunkelheit verdampfen. Das Licht war stärker, als alles, was Neire zuvor gesehen hatte. Sie schlichen sich in die Schatten des Tunnels; heraus aus dem Licht. Dort gewann ihre Dunkelheit wieder an Macht und verdrängte den Schein. Dort warteten sie auf die beiden verbleibenden Wachen, deren Schritte sie aus der Ferne nahen hörten. Das Licht hatten sie zwar gebannt. Doch die Töne der wirren Musik der Tiefe setzten ihren Geistern zu.

~

Neire schwebte lautlos am Flötenspieler vorbei. Der heilige Anhänger Azathoths erkannte seltsamerweise seine Präsenz. Er drehte seinen Kopf und verzerrte hasserfüllt sein Gesicht. Er ließ nicht ab von seinem Flötenspiel. Neire hielt sich die Hand vor die Augen. Er dachte nicht zurück an den Kampf mit den beiden Wachen. Die Krieger waren hilflos gewesen in der Dunkelheit und zu dritt hatten sie sie niedergemacht. Sie hatten in einer Lache von Blut gestanden und sich Worte in die Ohren gebrüllt. Sie hatten nicht gewusst, was sie tun sollten. Dann hatten sie die erste Erschütterung gespürt, die durch den Stein ging. Die Festung über ihnen hatte in ihren Grundmauern gezittert und sie hatten gewusst, dass der Angriff der Riesen begonnen hatte. Neire hatte über die Instrumente, den Klang und den portalförmigen Torus nachgedacht. Dann war der Hass auf das Heiligtum seine Furcht überkommen und er hatte sich in das Innere bewegt. Er dachte an das Innere Auge von Nebelheim, das größte Heiligtum dieser Welt. Er dachte an die Gesänge der Yeer’Yuen’Ti, an die rauschenden Feste und hohen Opferungen. Er hatte gewusst was zu tun war. Er zog seine Hand zurück und blickte in das Licht. All seine Kraft nahm er zusammen. Er wirkte seine schwarze Kunst. Neire beschwor schattenhafte Magmageschosse, die er auf die schwächsten Punkte der Struktur lenkte. Dort, wo die vier Verstrebungen in den Torus mündeten. Mit einem Bersten explodierte die glasartige Substanz. Für einen Augenblick schwebte der Torus noch. Dann senkte er sich herab und fiel zu Boden. Kristall zerbrach in tausend Stücke. Neire schaute nun auf die innere wabernde Masse. Es war, als wollte sie sich aufbäumen. Als wollte sie alles verschlingen. Das Feuer spie punktförmige Entladungen, strahlende Funken und gleißendes Licht. Farbenprächtige Formen und helle Blitze. Dann wurde es kleiner, es wurde schwächer. Wie eine Kreatur, die sich, nach Luft schnappend, im Tode windet. Mit dem letzten Strahl setzte die Dunkelheit ein. Das Flötenspiel war leiser geworden und endete mit einem letzten Ton. Neire schwebte in die Mitte und schaute die Flötenspieler an. Sie ließen ihre Instrumente sinken und ihre Gesichter zeigten eine Mischung aus Trauer, Verzweiflung und Hass. Tränen rannen aus ihren leblosen, verbrannten Augen. Bis auf die Erschütterungen im Stein war nichts zu hören. „Verzagt nicht, meine Brüder. Ihr werdet euer Lied weiterspielen. Es wird schöner und prächtiger sein, als je zuvor. Frohlocket, denn ihr werdet der Schwertherrscherin, der Dame des abyssalen Chaos, der Königin von Feuer und Dunkelheit, der Herrscherin über die acht Schlüssel in die brennende Düsternis jenseits der Sterne, der höchsten Göttin selbst dienen. Azathoth ist schwach und vergänglich. Eine farbenfrohe Verpuffung in der glühenden Dunkelheit ihrer Herrlichkeit. Ihr werdet ihr und ihrem kommenden Heiligtum dienen, denn ich bin ihr Prophet und meine Verkündung ist eine glorreiche Zukunft für euch.“ Die Stille nach Neires Rede war kurz, dann fing der erste Spieler an zu brüllen. Alle Trauer und Verzweiflung waren einem verrückten Hass gewichen. Neire befürchtete, dass sie sich in die Tiefe stürzen würden - unfähig ihn zu erreichen, unfähig ihn zu zermalmen. Er erkannte die blinde Hingabe zu ihrem schwachen Gott. Schmerzen strömten durch Neires Kopf und die Welt wurde scharlachrot. Er schaute sie an durch die Augen des Jensehers. Einen nach dem anderen. Er sprach zu ihnen, gestärkt durch die anhaltenden Gebete seiner Herrin. „Verzagt nicht, meine Brüder. Glaubt mir. Euer Lied ist noch nicht zu Ende gespielt.“ Die Schreie wurden weniger und verstummen schließlich. Dann erhob eine Gestalt ihre knarzende Stimme. Verzweiflung und Trauer schwebten weinerlich mit. „Welche Instrumente werden wir spielen?“ Eine andere stimmte ein. „Welche Lieder werden wir spielen? Wir kennen nur dieses eine Lied.“ Neire hob besänftigend seine Hand. Obwohl sie ihn nicht sehen konnten, spürten sie seine Geste. „Ihr werdet neue Lieder lernen, das Spiel auf neuen Instrumenten. Ich werde euch lehren. Doch ihr müsst mit euren Brüdern zusammenspielen. Wie die Unendlichkeit der Dimensionen achtfach gefaltet ist, so wird auch euer Lied von acht Spielern erklingen.“ Die Stille war diesmal länger. Dann sprach eine der Gestalten. „Wir sind blind, doch wir sehen durch unsere Musik. Wir werden neue Lieder lernen. Zu Acht werden unsere Instrumente noch schallender sein, wir werden noch weiter sehen können.“ Neire lächelte und nickte. Die Augen des Jensehers hatten einen Funken Hoffnung in die Geister der Flötenspieler gepflanzt. Ein Funke umgeben von den Geheimnissen der Dunkelheit. Er dachte an die seltsamen Lehren der Anhänger und bemitleidete sie um ihre blinde Suche nach der Auflösung allen Seins. Jetzt gab es Hoffnung für sie. Die Dualität von Flamme und Düsternis war mit ihnen und IHRE unendlichen Geheimnisse waren greifbar.

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Sitzung 124 - Die Eroberung der Adlerfeste
« Antwort #141 am: 8.11.2024 | 22:10 »
Edda, Neire und Heergren hatten nach dem Gespräch mit den Musikern die Tiefe verlassen. Edda hatte den Opal der Dunkelheit unter ihrer Kleidung versteckt und so waren sie in den oberen Teil des Heiligtums der Azathothanhänger zurückgekehrt. Dort hatten sie die Räume durchsucht. Sie hatten einige Schätze, Vorräte und vier schlafende Musiker gefunden. Die Musiker hatten so tief und fest geschlafen, dass sie nicht durch den Kampfeslärm wachgeworden waren. Neire hatten ihnen zugeflüstert: „Erhebt euch, denn das Lied muss fortgeführt werden.“ Sie waren sofort wachgeworden, hatten ihn nicht als einen Eindringling wahrgenommen und geantwortet: „Und unsere Musik wird weiterspielen, auf dass er fortwährend schlummert.“ Neire hatte abermals die Augen des Jensehers benutzt und auch sie verzaubert. Er hatte ihnen von der Göttin erzählt und befohlen in den Tiefen zu warten. Dann waren sie eine Wendeltreppe hochgeschlichen, die sie hinter einem der Bretterverschläge entdeckt hatten. Die Geräusche des Flötenspiels und des Grollens aus den Tiefen waren zwar vollständig verschwunden gewesen, doch hatte der Stein ab und an unter schweren Erschütterungen gezittert. Nach einer Zeit waren sie in einen kleinen Raum gelangt, der in völliger Dunkelheit lag. Dort hatten sie den komplexen Mechanismus von Zahnrädern gesehen, der um ein Schlüsselloch angebracht war. Nachdem Neire und Edda an dem Mechanismus gehorcht und keine direkte Gefahr gehört hatten, war der Schlüssel Lardrik Wermgards von Neire benutzt worden. Die Räder hatten sich begonnen zu bewegen und das geheime Portal war leise in die Wand geglitten. Sie hatten bemerkt, dass sie auf der Rückseite eines Gemäldes erschienen waren, dass sie vorsichtig zur Seite gehoben hatten. Sie waren dann durch die Tiefen der Festung geschlichen und hatten den Saal, in dem noch immer die Bildnisse der alten Herzöge von Berghof zu sehen gewesen waren, verlassen. So waren sie über die Wendeltreppe in die nächst höhere Ebene gekommen, wo Neire damals die schlafenden Hyänenkreaturen gemeuchelt hatte. Jetzt hörte Neire, der vorgeschlichen war, gedämpfte Stimmen aus dem Burggemach. Er lugte in den steinernen Raum, in dessen Fackellicht er zwei Tische mit Stühlen stehen sah. Auf den Tischen konnte Neire knöcherne Würfel, Humpen und einige Goldmünzen erkennen. An der gegenüberliegen Türe standen fünf Krieger, gekleidet in Kettenhemden. Neire konnte die unbedeckten Köpfe der jungen Burschen sehen. Ihre Gesichter waren bleich vor Angst. In diesem Augenblick war da wieder das dumpfe Grollen eines Einschlags zu hören, das von einem diesmal größeren Zittern gefolgt wurde. Staub rieselte von Decke und Wänden hinab. Dann hörten sie alle das laute Jammern von Schmerzen und einen Todesschrei aus der Ferne. Die jungen Soldaten schauten in Panik nach oben. Ein Krieger mit dunkelblonden Haaren und einem Topfschnitt flüsterte. „Was war das? Was war das?“ Ein anderer mit braunen Haaren und einem bäuerlichen Gesicht antwortete. „Bei den Göttern, das muss ein Turm gewesen sein.“ Andere wurden noch unruhiger, dann fragte ein dritter. „Was sollen wir tun? Wird die Feste standhalten.“ Der Älteste der Gruppe, ein muskulöser junger Mann mit rot-blonden, schulterlangen Haaren, grünen Augen und einer leicht gekrümmten Nase, sagte: „Kommt schon… die Feste wird standhalten. Sie hat immer standgehalten. Wieso sollte sich das ändern?“ Die anderen Burschen nickten, während Neire bereits einen Spruch murmelte. Sie waren nicht überzeugt und als sie den glühenden Funken sahen, der sich über sie senkte, war es bereits zu spät. Die Explosion zerfetzte zwei der Burschen. In dem Feuer und der Druckwelle verlor Neire für einen Moment die Übersicht über das Gemach. Als sich der Rauch verzog konnte er erkennen, dass zwei Krieger aufs Schwerste verwundet waren und nur einer sich hinter einen Tisch hatte ducken können. Die Krieger blickten sich jetzt panisch um, husteten Blut und versuchten die Flammen zu erlöschen, die auf ihnen brannten. Sie schrien aus lauten Kehlen. „Wir werden angegriffen. Hier unten!“ Kaum waren die Stimmen verhallt, da hörte Neire Schritte aus der ungeöffneten Türe kommen. Er ahnte Edda und Heergren hinter sich und schlich durch den Rauch des Raumes. Das Chaos eines Kampfgetümmels brach aus, als weitere Krieger und zwei Ritter mit Lanzen in den Raum drangen. Ihnen stellten sich Edda und Heergren. Neire meuchelte die beiden Ritter mit hinterhältigen Angriffen und mit seinem tödlichen Gift. Edda und Heergren machten weitere der Wächter nieder. Doch der Strom an Wachen schien nicht abzuebben. Erst als der Nachschub versiegte und der Boden von einem Dutzend Leichen bedeckt war, schrien die verbliebenen Wachen. „Hexerei, schwarze Kunst. Wo sind sie?“ Neire wechselte seine Position und griff aus den Schatten an. Als ein weiterer Leib blutüberströmt zu Boden sackte, rief einer der Krieger mit überschlagender Stimme. „Wir sind verflucht, rette sich wer kann.“ Ein anderer pflichtete bei „Hexenbrut und Teufelstanz, wir sind verflucht.“ Dann flüchteten sich die letzten Wachen und verschwanden die Wendeltreppe hinab. Edda stach zwar noch einem jungen Burschen in Bein, doch er humpelte verzweifelt schreiend weiter. Sie waren von Leichen umgeben, doch der Kampf um die Adlerfeste tobte weiter.

~

Neire kauerte sich in die Dunkelheit der Wendeltreppe. Der lange Kampf und die Hervorrufung schwarzer Kunst zehrten an seinen Kräften. Er versuchte, so gut wie es ging, seinen Atem zu verlangsamen. Er hörte die stampfen Stahlstiefel von oben hinabeilen. Er durfte nicht entdeckt werden, was oder wer auch immer dort hinabstürmte. Neire dachte an das, was ihnen nach ihrem Kampf im Burggemach widerfahren war. Sie waren durch die Tür in den großen Aufenthaltsraum gelangt, in dem einst die Hyänenkreaturen ihr Siegesfest gefeiert hatten. Auch von den neuen Besatzern war das Gemach augenscheinlich als Speiseraum benutzt worden. Ein großer Kessel mit Suppe hatte über einem Kohlefeuer gestanden. Die teils noch vollen Teller hatten auf ein abruptes Ende der Mahlzeit hingedeutet. Sie hatten durch die Schießscharten auf ein von Wehrmauern umgebenes Podest geschaut, auf dem ein zerstörtes und ein umgestoßenes Katapult gestanden hatten. Steinsplitter und Brocken waren überall verteilt gewesen. Sie hatten auch eine übel zugerichtete Leiche gesehen, deren Kopf von einer Urgewalt zermatscht wurde. Auch hatten hier und dort abgerissene Körperteile herumgelegen. In der Ferne, auf dem Gebirgskamm, der das Tal überragte, waren Feuer und die Umrisse von kolossalen Kreaturen zu sehen gewesen. Doch auch auf der Plattform unter ihnen hatten sich einige wackere Verteidiger zum Gefecht versammelt. Zwei Wächter versuchten gerade das umgeworfene Katapult wieder aufzurichten. In einem anderen Bereich des Podestes hatten zwei Verteidiger gestanden, die eindeutig keine Krieger gewesen waren. Der eine hatte kurz geschorene, rot-braune Haare an den Seiten des Kopfes und einen Umhang aus Seide gehabt. Er war fettleibig gewesen und hatte Armschienen aus Kristall und einen Ring getragen. Der andere war jünger gewesen und hatte ein schlankes, schmales, fast mädchenhaftes Gesicht und schulterlange blonde Haare gehabt. Er hatte Armschienen aus Gold getragen, hatte einen Ring und einen Stecken im Gürtel gehabt. Sie hatten die Wachen aus dem Hinterhalt und von oben angegriffen. Neire hatte eine weitere Magmaexplosion beschworen, die fast die gesamte Plattform erfasst hatte. Der fettleibige Verteidiger, der gerade einen Zauber gewirkt hatte, war in der Explosion gestorben, während der jüngere schwer verwundet zur Seite gehumpelt war. Einem der beiden Krieger hatte die Feuersbrunst einen Arm abgerissen und er war über die Brüstung geschleudert worden. Edda hatte dann einen invertierten Schattenblitz beschworen und den jüngeren Verteidiger getötet. Die Wache war währenddessen in das Innere der Festung geflüchtet. Als sie keine weiteren Krieger mehr gesehen hatten, waren sie auf die Wendeltreppe zurückgekehrt und Neire war vorangeschlichen. Dann hatte er die Schritte gehört, die von oben nahten. Er hatte noch darüber nachgedacht, sein Gift auf seinen Degen zu streichen, doch dafür war keine Zeit mehr gewesen. Jetzt lauerte er in den Schatten, hielt verkrampft seine Waffe in der rechten Hand. Dann tauchte die Gestalt in der Rundung auf. Es war ein Hüne, fast so groß wie Bargh und gekleidet in einen Plattenpanzer. Auf dem Panzer prangte das Symbol des Adlers, der eine Sonne mit stilisierten Strahlen in seinen Klauen hielt. Die Rüstung schien das Licht nicht zu reflektieren. Die Gestalt trug eine Stahlmaske, die dem Gesicht nachgeformt war und eine Mundöffnung sowie zwei Augenschlitze hatte. Dort sah Neire kalte blaue Augen. Der Krieger, bei dem es sich um Ulf Kalthand handeln musste, hielt einen gewaltigen Zweihänder, dessen Spitze sich in zwei Richtungen aufspaltete. Auf der Klinge waren goldene Runen zu sehen, die in der Düsternis glühten. Neben einem Ring erkannte Neire einen weißlichen Waffenrock, der mit chaotischen Sonnen bedeckt war und von einem Gürtel gehalten wurde. Neire zitterte vor Angst. Hatte ihn Ulf Kalthand gesehen? Als der Führer der Adlerfeste an ihm vorbeihastete, stieß Neire ihm den vergifteten Degen in den Rücken und flüsterte. „Alles ist zwecklos… Lardrik Wermgard und alle seine Anhänger sind tot.“ Der Degen bohrte sich mit einem Quietschen durch zwei anliegende Metallplatten und drang tief in den Rücken hinein. Doch das Gift schien nicht zu wirken. Kalthand hielt in seinem Sturm inne und drehte sich langsam um. Durch die Maske sprach er, während er das Schwert zum tödlichen Schlag erhob. „Ihr seid ein Narr, wenn ihr das denkt. Ihr werdet sehen, was wahre Macht ist.“ Der Krieger mit der Stahlmaske wollte Neire zermalmen, doch Neire war schneller. Er murmelte Worte der Macht und schleuderte Geschosse aus düsterem Magma auf seinen Widersacher. Der Lärm von Detonationen erfüllte die Wendeltreppe. Kalthand wankte zwar zurück, doch er richtete sich wieder auf. Dann sah Neire Edda heranstürmen. Sie stieß dem Krieger ihr Kurzschwert mit der von Widerhaken besetzten Klinge in den Rücken. Zwei Streiche führte sie präzise und als Ulf Kalthand sich gerade umdrehen wollte, begann er Blut zu röcheln. Der massive Leib sank auf die Knie. Neire trat vor und zischelte verachtungsvoll: „Ihr seid der Narr, Ulf Kalthand. Ihr sterbt wie Wermgard. Ihr sterbt hier und jetzt, während wir durch die brennende Düsternis dieser Welt reiten werden.“ Wut wandelte sich in Angst, als Neire die Worte sprach. Er blickte auf das zitternde Antlitz, auf das Blut, das Kalthand aus der Maske hervorhustete. Keine Worte kamen, doch die kalten blauen Augen waren weit aufgerissen vor Furcht. Dann verklärte sich der Blick und der Führer der Adlerfeste brach kopfüber auf den Stufen zusammen.

„Amria, kommt hervor! Ulf Kalthand ist tot. Es ist vorbei. Kommt hervor, wenn ihr leben wollt.“ Neire war an die Öffnung herangetreten. Sie hatten die Leiche des Kommandanten liegenlassen und sich weiter nach oben geschlichen. Dann hatte Neire hinter dem Portal, das sich in der rechten Wand der Wendeltreppe auftat, ein aufgeregtes Atmen von mehreren Kehlen gehört. Eine Zeitlang herrschte Stille, dann kam die Antwort. „Wer seid ihr, der ihr es euch erdreistet uns hinterrücks niederzumachen. Ihr hättet uns helfen können. Ich kann nur Feigheit in euren Taten sehen, keinen Ruhm. Sobald wir uns ergeben würden, würdet auch ihr uns töten. Sollen wir doch lieber im Kampfe sterben.“ Die Stimme war lieblich, wie die, die sie von Amria in Dreistadt gehört hatten. Doch in ihrem Klange war auch kalte Entschlossenheit. Jetzt steckte Neire seinen Degen hinfort, bewegte sich aber nicht. Er sprach, gestikulierend, wie als würde er seinen Gegenüber sehen. „Ulf Kalthand ist tot, Amria. Und habt ihr euch jemals gefragt, wem er wirklich diente? Habt ihr euch jemals gefragt, wohin die Boote fuhren, die ihr auf dem Fluss vor der Adlerfeste gesehen hattet?“ In der Pause, die Neire ließ, hörte er ein unruhiges Schaben, wie von Stiefeln. „Habt ihr euch jemals gefragt wo die Ernten und die Vorräte herkamen, welche die Bürger von Dreistadt so wohl genährt haben. Woher das Gold von Oordrin kam? Habt ihr euch je gefragt, wieso sie jeden Flüchtling aufnehmen und wieso sie ihre Einwohner mästen?“ Wieder waren da nur Stille und keine Antwort. „Habt ihr euch je gefragt, wo die Bürger waren, die plötzlich verschwanden aus Dreistadt. Verließen sie alle die Stadt? Wollen sie vielleicht doch mit Gold bezahlt werden für ihre Arbeit?“ Hinter sich hörte Neire Heergren spucken und flüstern. „Waah, diese Bastarde… nichts ist umsonst im Leben und für Gold kann sich alles kaufen.“ Neire warf Heergren einen strengen Blick zu, fuhr dann aber weiter fort. „Amria, ich gebe euch die Antwort. Ich sage euch, was Ulf Kalthand und die anderen im Schilde führten. Sagt euch der Name Lardrik Wermgard etwas? Hohepriester Wermgard? Nein? Nun Wermgard ist weit gereist. Aus dem Nordosten, noch hinter dem Orumanischen Reich kam er hierhin. Doch er kam und fand seine Bestimmung hier. In seiner Heimat war er bereits zum Tode verurteilt worden. Als Anhänger des Sonnengottes Sunnadom pflanzte er seinen treuen Anhängern die Sonne ein. Junge Anwärter verbrannten von innen zu Asche. Dort, aber vielleicht auch in seinem Gefängnis, muss es gewesen sein, dass die dunkle Macht zu ihm sprach. Sie erzählte ihm von der Sonne unter den Sonnen, der immerwährenden Explosion in der Leere. Es ist der unheilige Gott Azathoth, der einst diese Welt vernichten sollte. Dazu schuf Hohepriester Wermgard ein Heiligtum unter der Adlerfeste. Fettgefressene Bürger aus Dreistadt wurden mit Booten zur Adlerfeste gebracht und geopfert, bis Azathoth stark genug wäre, Euborea zu vernichten. Sie wurden durch einen Trichter in einen Schacht geworfen, der wiederum in die beschworene Essenz von Azathoth führte. Kalthand wusste davon, denn er war auf dem Weg hinab, um Hilfe zu holen. Wermgard und seine Anhänger sind jedoch tot. Wir haben sie getötet und …“ Neire hatte seine Rede noch nicht beendet, da unterbrach Amria ihn. „Woher kann ich wissen, dass ihr die Wahrheit sprecht? Ich hatte schon lange meine Zweifel, doch woher weiß…“ Jetzt trat Edda neben Neire und erhob ihre Stimme. „Ihr könnt ihm glauben Amria, denn Neire hat mich einst gerettet. Woher sollten wir aber wissen, dass ihr nicht mit Kalthand unter einer Decke steckt? Woher sollten wir wissen, dass die Soldaten der Festung nicht der Sonne unter den Sonnen dienen?“ Es folgte eine Zeit der Stille, doch Neire und auch Edda konnten ein Flüstern der Soldaten hören. „Vielleicht hat er recht. Kalthand war mir schon immer unheimlich,“ sagte einer. Ein anderer antwortete. „Wo war er die ganze Zeit, dieser Kalthand? Er war fast nie hier. War er immer in seinem Gemach?“ Ein dritter sagte. „Wer war er eigentlich, Kommandant Kalthand?“ So ging das Gespräch weiter, bis sie wieder die laute, klare Stimme von Amria hörten. „Genug des Ganzen, ich habe mich entschieden. Die Wahl liegt bei euch, Wächter der Adlerfeste. Die Schlacht ist verloren, die Feste ist gefallen. Zusammen haben sie es geschafft. Euer Dienst ist hiermit beendet. Entscheidet selbst, ob ihr euch in ihre Hände begebt.“ Wieder folgte eine Zeit der Stille, bis sie die ersten Schritte hörten. Im Fackellicht des Gemachs, das bis in die dunkle Wendeltreppe drang, sahen sie den ersten Wächter. Der Krieger war älter, hatte blonde, bis zu den Ohren reichende Haare und einen breiten Kiefer. Er war in einem ledernen Wams gekleidet, nickte ihnen ängstlich zu und sprach mit krächzender Stimme. „Freies Geleit, sagtet ihr?“ Neire nickte und sprach. „Euch soll nichts passieren, Krieger. Doch ihr wart mit einer bösen Macht im Bunde – wissentlich oder unwissentlich. Daher seid ihr nicht frei von Schuld. Weiter sollt ihr dienen als Wächter der Adlerfeste. Die Riesen werden euch nichts antun, ihr habt mein Wort.“ Der Mann nickte und stieg die Stufen hinab. Nach und nach kamen die verbleibenden Verteidiger der Adlerfeste hervor und gingen an ihnen vorbei. Dann steckten Neire und Edda ihre Waffen hinfort und schritten in das Fackellicht des Burgraums. Ein Feuer brannte in einem Kamin und auf schweren Tischen eines dunklen Holzes standen Humpen und Teller. In der Ecke wachte Amria, gekleidet in ihren stählernen Plattenpanzer. Die muskulöse Frau hielt ihr runenbesetztes Schwert in der Hand und nickte Neire grimmig zu. Neire betrachtete das kantige, sonnengebräunte Gesicht mit der einst gebrochenen Nase. Er breitete die Hände aus und wollte auf sie zugehen. Amria schüttelte jedoch ihren, von schulterlangen braunen Haaren umrahmten Kopf und erhob ihr Schwert. „Nein, ich habe bei meinem Leben geschworen die Adlerfeste zu verteidigen.“ Neire nickte, lächelte und kam zu einem Halt. „Das könnt ihr immer noch machen, Amria. Neben eurem Leben biete ich euch an, als Kommandant über die Feste zu wachen. Ihr habt Unrecht getan, indem ihr dieser bösen Macht dientet und ihr sollet Buße tun.“ Amria dachte einen Augenblick nach bevor sie antwortete. „Ihr mögt Recht haben mit Ulf Kalthand. Ich habe mir viele Fragen gestellt, doch es war mir egal. Solange ich nur diese ehrenvolle Aufgabe hatte, habe ich sie mit Freuden erfüllt. Aber wer wird über die Adlerfeste herrschen? Wem würde ich dienen?“ Wieder trat Edda neben Neire und erhob das Wort. „Amria, es gibt doch so viel mehr im Leben, als zu dienen. Vielleicht gibt es eine verborgene Liebe, die in Dreistadt auf euch wartet. Vielleicht ist da ein Bäcker, der euch besonders gerne mag?“ Amria grummelte, als wolle sie ihre Gedanken hinfort wischen wollen. Neire fuhr weiter fort, bevor sie antworten konnte. „Es ist Meister Halbohr, dem ihr dienen würdet. Er wird der Herrscher über die Lande sein. Ein General von einzigartigem taktischem Geschick, man sagt, ein militärisches Genie.“ Jetzt war es Neire der lächelte und er versuchte ein Grinsen zu verbergen. So sprachen Edda und Neire mit Amria und vergaßen, dass die Erschütterungen der Belagerung aufgehört hatten.

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Sitzung 125 - Kulde Kopfstampfer - Teil I
« Antwort #142 am: 15.11.2024 | 21:54 »
„Kommandantin… wer sind die? Was soll das?“ Edda betrachte die drei verletzten Soldaten, die Amria von der letzten Katapultstellung eingesammelt hatte. Sie hatte aus der Ferne die Befehle gehört, die Amria gebrüllt hatte. Sie hatte die Worte „Hinunter mit euch, das ist ein Befehl“ vernommen. Sie selbst hatte mit Neire und Heergren im Burggemach auf Amria gewartet, während die Kommandantin zu ihren Soldaten geschritten war. Jetzt humpelten zwei junge Burschen und ein älterer Mann durch den von Fackeln erhellten Raum. Sie alle trugen Lederpanzer und Langbögen über den Schultern. Das Holz ihrer Fernkampfwaffen schimmerte kostbar, durch eingelassene goldene Filamente. Edda vernahm den Geruch von Pech, der mit ihnen kam. Von den Burschen hatte einer tiefe, blutige Striemen im Gesicht. Der andere hielt sich die Seite, die dunkelrot verfärbt war. Der Fuß des älteren Kriegers, der fast vierzig Winter alt war, war in einem unnatürlichen Winkel abgespreizt und er wurde von einem der Burschen gestützt. Edda kannte die Art von aufmüpfigen Söldnern aus ihrer Zeit in Vintersvakt. Sie verdrängte die unschönen Gedanken, doch ihre Wut wollte nicht weichen. Der Soldat mit der blutdurchtränkten Rüstung schaute sie herablassend an und sie erhob ihre Stimme in Richtung Amria. „Ihr solltet sie züchtigen Amria, denn sie verstehen nur diese Sprache. Handelt, denn gebt ihr dem Narren einen Finger… so will er ganze Hand.“ Der Bursche mit den kurz geschorenen dunkel-braunen Haaren und dem unscheinbaren Gesicht blieb jetzt stehen. Er zog die blutverklebte Hand von seiner Hüfte und zeigte auf sie. „Wer seid ihr, Mädchen?“ Eddas Wut verstärkte sich und sie hätte ihn am liebsten hier und jetzt getötet. Doch sie beherrschte sich und sprach zu Amria. „Ein Tölpel unter euren tapferen Kriegern, denn er weiß nicht, wie er mit der Dame von Hohenborn sprechen sollte.“ Bei diesen Worten stieß der Soldat einen abfälligen kehligen Laut aus und spuckte auf den Boden. Edda wendete sich wieder am Amria. „Ihr habt sie nicht im Griff, Amria und das muss sich ändern.“ Die Anführerin mit dem stählernen Plattenpanzer baute sich vor dem Soldaten auf. Das Licht der Fackeln spiegelte sich übernatürlich stark in dem Metall. Das Symbol des Adlers, der die Sonne in seinen Klauen trug, funkelte auf der Brustplatte. Amria überragte den Burschen um mehr als einen Kopf. Sie sprach kein Wort, sondern gab ihm eine klatschende Ohrfeige. Der Schlag war so hart, dass der Soldat taumelnd auf seine Knie brach. Auf der bleichen Haut seiner Wange zeichnete sich der rote Abdruck Amrias Hand ab, als er sich langsam erhob. „Ihr solltet ein Auge auf ihn werfen Amria. Vielleicht steht er mit Kalthand im Bunde und wusste von den Geheimnissen unter der Festung.“ Edda versuchte ein Lächeln zu verbergen, denn sie hatte erreicht, was sie wollte. Amria aber schüttelte den Kopf, als sie den Krieger unsanft in Richtung der Wendeltreppe stieß. „Hinab mit euch. Geht zu den anderen und wartet dort.“ Dann drehte sich die Kommandantin mit den schulterlangen rot-braunen Haaren und dem sonnengebräunten, vernarbten Gesicht zu ihr um. Edda betrachtete Amrias einst gebrochene Nase, als sie sprach. „Er? Mit Kommandant Kalthand im Bunde? Nein… dafür ist er viel zu unerfahren und viel zu dumm.“ Edda nickte Amria zu. Dann schritten sie hinab in die Tiefe, wo sich die verbleibenden Verteidiger versammelt hatten.

Es war als würde sie ertrinken. Als würde sie nach Luft schnappen und doch nur Wasser atmen. Das Gefühl von Ohnmacht hatte sie überkommen, als die Fremden die Festung von innen heraus überfallen hatten. Sie hatte sich ihnen stellen wollen, hatte kämpfen wollen. Amria hatte bereits ihren heldenhaften Tod vor Augen gehabt, als sie die zischelnde Stimme von Neire gehört hatte. Die Worte des jungen Propheten hatten eine tiefe Unsicherheit in ihr hervorgerufen. Sie fühlte sich so, als würde die gesamte Welt über ihr zusammenstürzen. Sie traute sich nicht zu fragen, was sie getan hatte. Es kam ihr so vor, als ob dann alles nur noch schlimmer werden würde. Ja, sie hatte Ulf Kalthand und Oordrin schon lange nicht mehr getraut. Zu merkwürdig waren die Geschehnisse in Dreistadt gewesen. Zu seltsam war das Verhalten von Ulf Kalthand, den sie nur selten gesehen hatte. Amria wollte sich in der Dunkelheit verstecken und schlafen. Sie wollte verschwinden, unter die Erde – für ein, vielleicht zwei Monate oder gleich ein paar Jahre. Bis alle vergessen hatten, welch unrühmliches Ende ihre Dienstzeit genommen hatte. Doch sie sah das Gemach vor sich, in dem sich ihre Soldaten versammelt hatten. Im Fackellicht der steinernen Bögen standen die Überlebenden. Sie waren unruhig und sie verlangten nach Antworten. Sie war ihnen eine Antwort schuldig. Amria schloss die Augen und nahm ihren Mut zusammen. Sie atmete tief ein und aus. Dann öffnete sie ihre Augen und sprach. „Soldaten… die Adlerfeste ist gefallen. Ihr alle habt tapfer gekämpft. Es ist nicht euer Fehler. Wir waren zum Scheitern verdammt. Wir waren es vielleicht von Anfang an. Wenn es stimmt, was die Fremden erzählt haben, gibt es eine Falschheit tief unter der Feste. Sie sagten, abscheuliche Dinge wären dort passiert. Unter unserem Mantel des Schutzes. Vielleicht ist es gut, dass wir den Kampf verloren haben. Vielleicht ist es gut so… Wir gedenken heute unserer Kameraden, die ehrenvoll gekämpft haben und gefallen sind. Wir werden sie nicht vergessen. Sie haben nicht umsonst die Hallen dieser Festung mit ihrem Blut getränkt. Ich werde jetzt mit den Fremden hinabsteigen in die Tiefe. Ich werde mir selbst ein Bild machen, von dem, was dort vorgefallen ist.“ Sie machte eine Pause und holte ein weiteres Mal Luft. „Ich habe mit den Fremden verhandelt und das Wichtigste erwirkt. Es ist euer aller Leben, das es zu schützen gilt. Also geht zu euren Familien, der Kampf ist…“ Amria spürte, dass Neire neben sie getreten war. Sie roch sein seltsames süß-modriges Parfüm. Der Junge warf seine gold-blonden Locken zurück und schüttelte mit dem Kopf. „Tssh, tssh… nein. Es ist nicht ganz die Wahrheit, die ihr erzählt Amria. Sagt ihnen, dass sie sich vergangen haben. Dass sie dem Bösen gedient haben, wissentlich oder nicht. Sie sollten Buße tun. Ihr Leben ist sicher, wir haben es versprochen. Doch sie werden weiter als Soldaten der Adlerfeste dienen.“ Amria nickte und führte fort. „Ihr habt es gehört. Sollte es wahr sein was sie sagen, so stehen wir in ihren Diensten. Sollte es nicht stimmen, dann gewähren wir ihnen keine Gnade. Bei den Göttern!“ Ein kurzer Augenblick herrschte Stille, dann rief ein Soldat. „Mit wem habt ihr diesen Pakt geschlossen, Kommandantin? Wer sind sie und wem dienen sie?“ Amria wollte gerade antworten, doch Neire kam ihr zuvor. „Mein Name ist Neire. Ich bin nur ein Kind, ein Kind der Flamme. Doch ich sehe Dinge im Feuer und in den Schatten. Manche sagen, es ist die Zukunft, die ich sehe.“ Jetzt herrschte atemlose Stille. Neire fuhr fort. „Und noch etwas… Ich selbst schloss keinen Pakt mit Amria. Ich selbst diene Meister Halbohr. Mit ihm schloss Amria den Pakt. Auch wenn Meister Halbohr jetzt nicht hier ist. Er ist der General, der über diese Lande herrschen wird. Halbohr ist bekannt als das militärische Genie, das er wirklich ist.“ Amria betrachtete Neire, als er sprach. Sie fragte sich, ob es für den fast übernatürlich hübschen Jungen ein Spiel war, das er hier spielte. Der Jüngling grinste bei seinen letzten Worten. Amria hörte lautes Gerede ausbrechen. Die Soldaten unterhielten sich angeregt. Einer sagte: „Meister Halbohr, ich habe von ihm gehört.“ Ein anderer antwortete. „Ich habe einst gekämpft mit ihm. Er ist grausam und brutal, doch er ist ein großer Feldherr.“ Ein dritter lachte. „Arndor, ihr redet wieder so dummes Zeug, wie auch Meister Halbohr nur ein Märchen ist.“ Amria schaute in die Gesichter ihrer Männer, dann schrie sie aus voller Kehle. „Ruhe, Soldaten! Ihr werdet hier warten, bis ich wieder zurück bin. Versorgt eure Wunden und nehmt Speise und Trank zu euch. Verlasst nicht die Festung und bewacht das Eingangsportal. Die Riesen sind noch in der Nähe.“ Danach wandte sie sich um und stieg mit den Fremden in die Tiefe. Sie folgte der Wendeltreppe und konnte schon bald nichts mehr sehen. Auf ihre Frage nach Licht, entzündete Neire eine Fackel. So gelangten sie in das verborgene Untere der Adlerfestung. Neire zeigte ihr die steinernen Höhlen. Der Jüngling rief die Musiker hervor, die sie mit toten weißen Augen anstarrten. Neire zeigte ihr auch den Leichnam Wermgards. Die Musiker erzählten ihre Geschichte und sie sprachen von den fettgefressenen Bürgern von Dreistadt. Auf Neires Frage, wieso sie ihrem Gott nicht Katzen oder Hunde verfütterten, antworteten die Musiker lachend. Sie bemerkten, dass wohl niemand Ratten äße, wenn er das saftige Fleisch von Lämmerwänsten vorgesetzt bekäme. Amria wurde schlecht und sie wollte die Musiker hier und jetzt hinrichten. Doch Neire verneinte. Er sagte, er hätte den Musikern ein Versprechen gegeben – wie er es ihr selbst gegeben hatte. Amria verspürte kein Mitleid, kein Verständnis. Sie bejahte, die Musiker zu verschonen. Jedoch wuchs das Gefühl von Zorn und Wut in ihrem Inneren. Es verdrängte Verzweiflung und Hilflosigkeit. Fast unbewusst fasste Amria einen Entschluss. Sie würde über die Adlerfeste herrschen. Sie würde dienen, doch die alte Amria sollte es nicht mehr geben. Die Menschen um sie herum waren dumm, aufmüpfig und verfressen. Sie hatten ihr Schicksal vielleicht verdient. Sie würde mit eiserner Faust führen. Nur so konnten sie geformt werden. Wenn sie dann einst von ihr geformt worden waren, würde sie sie um sich versammeln. Es würden ihre Kameraden sein – im Geiste und auf dem Schlachtfeld. Nur so würde die Adlerfeste in altem Ruhm erstrahlen. Sie würde die Höhlen verschließen lassen und der Ort dieser Schande sollte durch neue Ehre und Stärke vergessen werden. Es sollte ihre Ehre, ihre Stärke sein, die sie wieder herstellen würde – koste es, was es wolle.

~

Neire, Edda und Heergren hatten nach ihrer Absprache mit Amria die Adlerfestung verlassen. Sie waren durch Raum und Zeit in das Lager der Hügelriesen gereist. Dort hatten sie im Zelt der orkischen Sklaven einen Tag gerastet. Die Hügelriesen hatten sie zwar bemerkt, hatten sie aber in Ruhe gelassen. Sie hatten dann den Gesprächen der Riesen gelauscht, die sie aus ihrem Zelt beobachtet hatten. Auch Edda hatte die Sprache der grobschlächtigen, zumeist fettleibigen Kreaturen immer besser verstanden. Die Riesen hatten sich über die Schlacht von Horknar unterhalten. Einige hatten auch über Kulde gesprochen und sich über seine Einfältigkeit lustig gemacht. Doch einige Frauen unter den Hügelriesen waren von Kulde angetan gewesen. Sie hatten lüstern über seine Größe spekuliert. Über seine Muskelkraft und dem, was sich wohl zwischen seinen Beinen befand. Jene Riesinnen hatten aber nicht zu den intelligentesten ihrer Rasse gehört. Als der Tag verstrichen und die Nacht hereingebrochen war, hatten sie zwei Orkspäher gesehen, die erschöpft und keuchend das Lager betreten hatten. Die beiden waren von einem älteren glatzköpfigen Hügelriesen mit fliehender Stirn und platter Nase in Empfang genommen worden. Der Riese war mit einem kruden Schwert bewaffnet und seine affenartigen Arme hatten fast den Boden berührt. Er hatte einen gewaltigen Bauch gehabt und eine verrostete Kettenrüstung getragen, die er sich wie eine Toga übergeworfen hatte. Als die Orks ihm auf die Frage nach dem Ausgang der Schlacht nicht sofort geantwortet hatten, hatte er einen zur Seite geschlagen. Der Ork war einige Schritt weit geschleudert worden und kopfüber im Schlamm gelandet. Der andere hatte angsterfüllt gestammelt. Er hatte berichtet von der siegreichen Schlacht. Er hatte aber auch von hohen Verlusten berichtet. Von einst 16 Hügelriesen waren wohl nur fünf auf dem Rückweg. Der große Hügelriese hatte den Ork hinfort gejagt und gemurmelt: „Es war sinnlos. Warum hat er sich darauf eingelassen.“ Einige Zeit später waren schließlich die Hügelriesen um Horknar aufgetaucht und in das sumpfige Zeltlager einmarschiert. Einige Trauben von Gaffern hatten sich im Licht der flackernden Fackeln versammelt und dumpfe Schreie der Begrüßung gegellt. Die Nacht war mittlerweile fortgeschritten und der warme Meereswind war abgekühlt. Insekten schwirrten um Neire, Edda und Heergren, die ihr Zelt verlassen hatten. Sie wateten durch den stinkenden Schlamm. Sie sahen Kulde, in seinen Bänderpanzer gekleidet. Der junge, große Riese hob gerade seinen Morgenstern und schrie grunzende Siegeslaute. Kulde reckte seinen Kopf in die Höhe. Seinem Gesicht war der Unterbiß, die fliehende Stirn und die kleinen, in den Höhlen versunkenen Augen anzusehen. Sein Körper war übersäht von neuen, roten Narben. Wunden, die auf wundersame Weise verheilt waren. Andere Riesen folgten Kulde. Sie trugen teils bösartige Verletzungen. Zwei Kreaturen hatten üble Brandwunden. Die beiden schritten auf ein Zelt zu, aus dem einige Frauen hervorgetreten waren. Als Kulde seine Gefährten sah, zeigte er mit einem breiten Grinsen seine bereits fauligen Zähne. Er blickte Edda an und rief lachend. „Meine Dame. Wir siegreissh. Wir gute Kämpfa.“ Sie hatten sich mittlerweile auf der Mitte des Platzes getroffen, als Edda antwortete. „Ich hätte nichts Anderes von euch erwartet Kulde Kopfstampfer. Ihr seid ein großer Krieger und ihr habt auch diesen Kampf gewonnen.“ So standen sie inmitten des zertretenen Morastes. Sie sahen die Ruine des alten Bergfriedes dunkel in den Nachthimmel aufragen. Riesen waren aus ihren Zelten hervorgetreten und beobachteten sie.

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Sitzung 125 - Kulde Kopfstampfer - Teil II
« Antwort #143 am: 22.11.2024 | 23:37 »
Dann war die schlürfende Stimme von Horknar. Die Gestalt war nur unwesentlich kleiner als die der Hügelriesen und ging gebückt. Horknar hatte seinen kleineren linken, verkrüppelten Arm angewinkelt. Er beugte seinen Kopf mit dem offenen Kiefer vor. Aus dem runden Gesicht, das von dicken schwarzen Haaren eingerahmt wurde, schauten ein grünliches und ein kränklich-gelbes Auge hinab. Die krumme Nase und die blumenkohl-ähnlichen Ohren unterstrichen seine Hässlichkeit. „Kulde hat gut gekämpft, aber der Kampf war verlustreich,“ sprach Horknar, der Neire und Edda anstarrte. „Wieso habt ihr euch zurückgezogen, Meister Horknar? Die Adlerfeste war bereits gefallen.“ Horknar baute sich nun über Neire auf. Als er antwortete, zog er schlürfend sein Maulwasser hinauf. „Ich habe es euch doch gesagt Neire. Ich bin nicht an der Festung interessiert. Nur euch zuliebe habe ich sie nicht schleifen lassen. Aber sagt, Winzling! Wart ihr erfolgreich? Habt ihr die Besatzung getötet?“ Neire war die Angst anzusehen, als Horknar ihn bedrohte. Zitternd antwortete der Jüngling. Er duckte sich im Schlamm. „Fast alle Soldaten sind tot. Einige ergaben sich und jetzt dienen sie Meister Halbohr.“ Der Speichel Horknars sabberte auf Neire hinab, als der missgestaltete Riese abfällig grunzte. „Ihr dient also Meister Halbohr? Soso… Ich ahnte es bereits, doch dachte ich nicht, dass er eine solche Schwäche zeigen würde. Was ist, wenn sie euch in den Rücken fallen? Ihr hättet sie lieber töten sollen, dieses unwerte Ungeziefer.“ Neire nickte, sagte dann aber. „Meister Halbohr scheint andere Pläne zu haben. Und was euch angeht, Meister Horknar: Ich habe eure Zukunft gesehen.“ Horknar beugte sich noch weiter hinab und zeigte seine fauligen Zähne. Neire nahm jetzt all seinen Mut zusammen. „Die Vision zeigte mir Kulde Kopfstampfer, den Anführer dieses Stammes. Er wird glorreiche Schlachten schlagen, wenn er General Halbohr dient. Aber da wart auch ihr, Meister Horknar. Ihr dientet Kulde Kopfstampfer, ein Schatten in seinem Ruhm, gleichwohl durchschrittet ihr die Flammen des Krieges gemeinsam mit Kulde. Jedoch sah ich auch euren Leichnam. Es war der Horknar, der nicht dienen wollte. Der den Ruhm wollte, für sich allein. Welcher Horknar möchtet ihr sein, Meister Horknar. Entscheidet euer Schicksal, bevor es über euch entscheidet.“ Hass fraß sich in Horknars Gesicht, doch dann erhob er sich lachend. „Dienen unter Meister Halbohr? Wo ist er, Wicht? Ich habe den großen Heerführer noch nicht gesehen.“ Horknar blickte dann Kulde an und spottete. „Unter Kulde Kopfstampfer dienen? König Kopfstampfer meintet ihr wohl, hahaha. Kulde, der König der Hügelriesen, hahaha.“ Auch Kulde lachte mit Horknar, bevor er plötzlich still wurde und sich umblickte. Im Lichte der an langen Baumstämmen angebrachten Sturmfackeln waren die Schatten der Menge zu sehen, die in debiler Weise auf das Geschehen glotzten. Wieder erhob Horknar seine Stimme. „König Kopfstampfer… dieser Name… Kopfstampfer an sich… ich meine… schaut ihn euch doch an, Wicht!“ Neire antwortete zitternd und zischelnd. „Spottet nicht über Kulde, Horknar!“ Horknar lachte noch lauter. „Hahaha, niemals würde ich über Kulde Kopfstampfer spotten. Was für eine Vision ihr nur hattet, ihr liegt falsch. Kulde könnte nicht mal eine Horde von Ziegen anführen, dieser dumme Bastard. Geht Kulde und beglückt ein paar von den Weibern, die es auf das abgesehen haben, was dort zwischen euren Beinen baumelt. Kämpfen könnt ihr schließlich und ihr habt es euch verdient.“ Kulde starrte Horknar mit seinen kleinen schwarzen Augen an. Sein schwarzes Haar klebte von Schweiß an seinem Kopf. Er schien den Sinn der Worte erfassen zu wollen. So sah es fast aus, als wäre Kulde traurig. Dann richtete sich Neire auf im Schlamm. Seine Worte waren scharf – das Lispeln seiner Zunge war stärker geworden. „Kulde ist mein Freund, Horknar. Mein getreuer Freund. Niemand spottet über meinen Freund. Tötet ihn Kulde!“ Kulde brauchte einen Augenblick, doch dann fing er an zu brüllen. Er hob seinen Morgenstern zum Angriff. Die Riesen gafften jetzt und es waren einige Rufe zu hören. Horknar riss sein schwarzes Schlachtermesser hervor, doch Kulde war schneller. Dreimal schlug er mit dem Morgenstern zu. Unter einem Angriff konnte sich Horknar noch ducken, doch die beiden anderen Schwünge zerschmetterten seine Rippen und seinen linken, verkrüppelten Arm. Dann war da wieder die Stimme von Neire. „Ihr hättet eure Zukunft haben können, doch jetzt endet euer Leben.“ Der Jüngling beschwor seine schwarze Kunst. „Bei IHRER Flamme und Düsternis, verflucht sollt ihr sein Horknar.“ Die Worte der Macht drangen zu dem verkrüppelten Riesen und Schatten griffen nach ihm. Er erstarrte zitternd, unfähig sich zu bewegen. Kulde brüllte und schlug wieder und wieder zu. Selbst als der Körper von Horknar tot in den Schlamm gefallen war, ließ er nicht ab. „Kulde will Köpfe stamfa, jaaaaah…“ schallte der Schrei über den Platz. Der letzte Streich des Morgensterns rammte in Horknars hässliches Gesicht. Der Schädel brach knackend auf und Gehirnmasse spritzte in alle Richtungen heraus. Kulde richtete sich auf und schrie seinen Siegesruf. Keiner sah, wie Blut und Schlamm sich vermischten, als das Sumpfwasser in den zertrümmerten Schädel von Meister Horknar floss.

In seinem Siegestaumel hörte Kulde plötzlich die vertraute Stimme. Mehrfach hatte Neire nach ihm gerufen. „Kulde… Kulde… hebt mich auf eure Schulter!“ Der Hügelriese langte hinab, packte Neire sanft mit seiner linken und setzte ihn auf seine Schulter. Er spürte den kleinen Körper seines menschlichen Freundes und hielt seine Hand dort, da er befürchtete, Neire würde hinabfallen. Kulde hörte Neires Stimme deutlich an seinem Ohr. „Jubelt Kulde, denn ihr habt gesiegt. Sagt ihnen, dass ihr der neue Anführer seid.“ Kulde dachte über die Worte nach, die er nicht ganz verstand. Dann riss er seinen Morgenstern hoch und brüllte. „Kulde issht Anführer. Kulde Kopfsshtamfa Anführer!“ Er sah die Menge jubeln. Krieger und Frauen hatten sich um den Platz versammelt. Auch einige Orks waren zu sehen. „Sagt ihnen, dass Horknar unfähig war. Sagt ihnen, dass ihr die Schlacht um die Adlerfeste gewonnen habt.“ Wieder hörte Kulde Neires Stimme in seinem Ohr und versuchte den Sinn der Worte zu ergründen. Dann brüllte er: „Kulde issht Anführer. Horknar sshwach und tot. Kulde Adlerfesshte gesshampft. Kulde Sssieger.“ Wieder jubelten ihm einige der Hügelriesen zu, doch andere hatten die Arme verschränkt und schüttelten ihre Köpfe. „Sagt ihnen, dass ihr jeden herausfordert, der an euch als Anführer zweifelt.“ Diesmal verstand Kulde die Worte Neires und rief. „Wer will ssheifeln hier… Kulde wird Kopf sshtampfa.“ Kulde hob wieder seinen Morgenstern und brachte einen gutturalen Grunzschrei hervor. Die meisten Riesen beeindruckte er damit, doch der glatzköpfige Alte, der zuvor den orkischen Späher hinfort geprügelt hatte, trat hervor und rief. „Ihr wollt unseren Stamm führen, Kulde Kopfstampfer? Ihr mögt viele Schlachten geschlagen haben, doch führen könnt ihr nicht.“ Kulde trat einen Schritt hervor und baute sich zum Kampf auf. Wut und Hass tobten in ihm. Keiner sollte ihm den Ruhm des Anführers nehmen. Dann geschah etwas, was er nicht verstand. Der alte Riese legte sein krudes Schwert in den Schlamm und kniete sich nieder. Er senkte seinen Kopf und rief dann. „Ich habe mich geirrt. Kulde Kopfstampfer wird unser Anführer sein. Verzeiht mir meinen Zweifel.“ Auch ein weiterer Zweifler machte es dem Alten nach und kniete sich nieder. Kulde blickte sich um und sah für einen Augenblick Neires Augen auf seiner Schulter rötlich schimmern. Dann kam die dritte Gestalt auf ihn zu und brüllte. „Ich werde mein Haupt nicht beugen. Sollte ich den Kampf gegen Kulde gewinnen, werde ich Anführer sein.“ Sein Widersacher war etwas älter als er selbst, viereinhalb Schritt groß und trug eine verrostete Eisenstange. Der Riese hatte eine aufgedunsene rote Knollennase, kleine schwarze Augen, eine fliehende Stirn und krauses schwarzes Haar. Kulde empfing den übergewichtigen Hünen mit schweren Hieben seines Morgensterns. Er hörte Rippen knacken, sah Blut aufspritzen. Dann griff ihn der Riese an. Die Eisenstange rammte gegen den Bänderpanzer. Kulde wankte zwar, doch er spürte keinen Schmerz. Er schlug die Gestalt mit zwei wuchtigen Angriffen nieder. Der letzte Schlag drückte die Brust des Eisenstangenschwingers ein, der rücklings zu Boden sackte und im Schlamm versank. Kulde löste seinen Blick von dem übel zugerichteten Leichnam, in dessen Loch in der Brust jetzt Schlammwasser hineinströmte. Er schrie und jubelte. Er sah die beiden knienden Riesen in den Jubel einstimmen. Dann hörte er wieder eine Stimme. Neire hatte seine Schulter verlassen und schwebte nun neben seinem Kopf. Er flüsterte. „Kulde… sagt ihnen, dass ihnen eine glorreiche Zukunft bevorsteht. Sagt ihnen, dass sie bald aufbrechen werden in den Norden. Im Tempel des Jensehers wird ihr neues Zuhause sein.“ Kulde verstand die Worte und brüllte: „Zukunft von Hügelriesshen glorreissh. Im Tempel von Jenssheher neues Zuhaushe finden, neues Reissh.“ Kulde jubelte weiter. Er hörte, dass die Riesen gutturale Grunzgesänge anstimmten. Die Worte hallen durch den Küstensumpf. „Kopf-stam-pfer… Kopf-stam-pfer… Kopf-stam-pfer“.

~

Edda erinnerte sich an die letzten Wochen zurück. Sie sehnte sich nach Neire und strich sich über ihren Bauch. Sie spürte jetzt deutliche Bewegungen von dort kommen. Sie hatte bereits vermutet, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Sie hatte gemerkt, dass seit einiger Zeit ihre Blutungen ausgesetzt hatten, obwohl sie den Mond hatte wechseln sehen. Sie hatte Neire noch nicht erzählt, dass sie ein Kind von ihm trug. Er hatte sich am Morgen nach ihrer Siegesfeier von ihr verabschiedet und war verschwunden. Zuvor hatte er noch die letzten störrischen Riesen mit den Augen des Jenseher überzeugt. Das Fest danach war ein primitives Sauf- und Fressgelage gewesen, zu dessen Ende sich Kulde neben sie gesetzt hatte und behutsam durch ihre Haare gestreichelt hatte. Edda hatte ihm dann gesagt, dass es als Sieger sein Recht und seine Pflicht sei, sich einige der Riesinnen auszuwählen. Als Kulde sie mit einem hohlen Blick angestarrt hatte, hatte sie gelacht. Sie hatte ihm gesagt, er solle die Nacht mit ihnen verbringen und er werde schon sehen was passiert. Kulde hatte genickt und ihr zum Abschied einen Kuss auf den Kopf gegeben. Dann war er mit einigen wänstigen Weibern im Zelt des toten Horknar verschwunden. Sie waren einige Tage danach aufgebrochen. Die Luft war heiß und schwül geworden und so war sie froh gewesen, dass sie den Brackwassersumpf hinter sich gelassen hatte. Auf ihrem Weg durch die Berge hatten die orkischen Späher weitere versprengte Lager von Frauen und Kindern der Hügelriesen gefunden, die bereits von Horknar gehört hatten und auf dem Weg zu ihm gewesen waren. So war sie mit Heergren gewandert, vor oder hinter dem Tross. Kulde hatte sie auch eine Zeitlang getragen, doch ihr wachsender Bauch war kein Hindernis gewesen. Es war die Übelkeit gewesen, die ihr zugesetzt hatte. Edda hatte bemerkt, dass Heergren die Kreaturen jeden Tag gezählt hatte. Zuletzt waren es 29 ausgewachsene Männer, 24 Frauen und 35 Kinder gewesen, die ihnen folgten. Von den Kindern waren noch viele im Säuglingsalter gewesen. Sie hatten den See von Gladnir im Westen umrundet und immer wieder ihre orkischen Späher ausgeschickt. Jetzt überquerten sie die ansteigenden Grasebenen von Berghof. Edda konnte schneebedeckte Gipfel in der Ferne aufragen sehen. Da war auch die schroffe Silhouette der Irrlingsspitze. Edda betrachtete den Berg und das Leid ihres Herzens, die schwere Last, die sie mit sich trug, verwandelte sich in ein vertrautes Glücksgefühl. Sie dachte an die Heimkehr in den Tempel des Jensehers. Sie sehnte sich nach den trauten Flammen von Neires Göttin Jiarlirae, die auch ihre Herrin geworden war. Sie dürstete nach den Schatten der Akademie Schwarzenlohe - ihrer Akademie Schwarzenlohe.

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Zwischenspiel 08 - Hochzeit im Tempel des Jensehers
« Antwort #144 am: 1.12.2024 | 10:20 »
Im Zelt aus Tierhäuten war die Luft nebelig von Rauch. Neire betrachtete die Glut des Feuers, die lange Fäden in allen Rottönen zog. Seine Stimmung hatte sich gebessert, nachdem er reichlich von dem vorzüglichen Wein getrunken hatte. Zudem hatte er sich eine Daumenspitze von Grausud auf das Zahnfleisch unter seiner Oberlippe gerieben und der Rausch hatte sofort eingesetzt. Im Schein der Flammen konnte er Kulde erkennen, der gerade schallend lachte. Der neue Anführer der Hügelriesen schlug sich dabei auf die Unterschenkel, was ein lautes Klatschen von Fleisch verursachte. Neben Kulde saßen zwei seiner Frauen, Horghla und Åter'gid, die sich an Kulde kuschelten. Alle drei waren halbnackt und nur mit Lendenschürzen aus Fell bekleidet. Schweiß und verschmierter Fleischsud rannen von ihren Körpern hinab. Horghla war von gewaltigem Körper. Auf ihrem großen Wanst ruhten zwei kolossale Brüste, über die bei jedem Lachen eine wellenförmige Bewegung ging. Sie hatte zudem breite Oberschenkel und voluminöse Hüften. Ihr rundliches, hässliches Gesicht war von braun-glattem, fettigem Haar umgeben, das ihr bis auf die Brust hinabhing. Ungeniert kratzte sich Horghla hin und wieder an verschiedenen Körperstellen. Åter'gid hingegen hatte hell-braunes Haar, das sie zu zwei seitlichen Zöpfen geflochten hatte. Sie war nicht ganz so fettleibig wie Horghla und etwas kleiner. Ihr rundliches Gesicht war von debilen Zügen gezeichnet. Sie hatte eine platte Nase und disproportioniert eng liegende, bernsteinfarbene Augen, die aus ihren Höhlen gedrückt wurden. An ihrem Hals war eine lange Narbe zu sehen, so als hätte einmal jemand versucht ihre Kehle aufzuschneiden. Auf der anderen Seite des Feuers lagerten die Gäste Gruschuk, Gulgra und Hyrge, die der Anführer Kulde eingeladen hatte. Gruschuk hatte sich wenig verändert, seitdem sie den Tempel des Jensehers in Richtung der Kristallnebenberge verlassen hatten. Das schüttere krause Haar des jungen Riesen war weiter gewachsen und bedeckte spärlich die Narbe seines abgeschnittenen rechten Ohres. Er war größer und muskulöser geworden, doch hier und dort waren die Ansätze von Fett an seinem Körper zu sehen. Gulgras bereits zuvor schon dickliches rundes Gesicht war weiter aufgequollen und sah nun noch zurückgebliebener aus. Sie trug ihr gelocktes dunkles Haar jetzt offen, so dass die Narbe ihres fehlenden rechten Ohres nicht zu sehen war. Sie war nicht dick, jedoch waren ihre zuvor schon gewaltigen Brüste noch mächtiger geworden. An einem Busen hielt sie den Säugling, den sie mit Gruschuk gezeugt hatte. Hyrge hatte bereits die Größe eines fünfjährigen Menschenkindes und saugte begierig die Milch seiner Mutter. Zuvor hatte der hässliche Säugling geschrien und dabei sein, von einer Hasenscharte verunstaltetes Maul aufgerissen. Neire ließ sich auf das Fell zurücksinken, lächelte und schlang seinen Arm um Edda. Sie beide waren an diesem Abend von Kulde eingeladen worden, die Errichtung der Zelte der Hügelriesen zu feiern. Nach ihrem Marsch aus dem südlichen Sumpf jenseits des Schilds war der Stamm, der einst Meister Horknar gedient hatte, in den Höhlen hinter der Feste Nebelgard einquartiert worden. Diese Höhlen waren damals beim Tunnelbau der unterirdischen Verbindung aus dem Tempel des Jensehers nach Nebelgard entdeckt worden und seitdem unbewohnt gewesen. Jetzt hatte sich der Stamm Kulde Kopfstampfers in provisorischen Zelten niedergelassen. Die Hügelriesen wurden außerdem von Granrig Hellengrub unterstützt, der ihnen bei der Errichtung einer kleinen Höhlenfestung half. Ein Teil der Hügelriesen arbeitete unter der Aufsicht von Granrig, während der andere Teil zu Arbeiten in die Feste Nebelgard abkommandiert worden war. Neire ließ die Gedanken an Nebelgard und den Tempel des Jensehers verfliegen, gab Edda einen Kuss und betrachtete trunken die versammelten Riesen. Gruschuk schaute Kulde fasziniert an, während er sich das fettige Haar nach hinten strich. „Und dann Kulde, was war dann? Was war nach dem Tod von Horknar?“ Kulde hörte langsam auf zu lachen und hob den rechten Arm, den er zuvor um Horghla gelegt hatte. Seine kleinen schwarzen Augen betrachteten das Feuer, während er zu sprechen begann. Neire konnte die Narbe seines abgeschnittenen Ohres unter dem dünnen braunen Haar erkennen. Durch den ausgeprägten Unterbiss war sein Sprachfehler bei Zischlauten deutlich zu hören. „Nach Horknar? Kulde Kopfsshamfa fragen nach Kriegern… Krieger sshweifeln an Kulde, hahaha. Rieshe kam bei Kulde. Rieshe sshweifeln an Kulde. Kulde dann sshamfa Kopf, hahaha. Rieshe dann tot im Schlamm, hahaha.“ Wieder lachte Kulde auf und schlug sich auf seine Schenkel. Horghla und Åter'gid stimmten mit einem Kichern in Kuldes Lachen ein, während Gruschuk weiter fragte. „Ihr habt ihn getötet Kulde? War er ein großer Krieger?“ Jetzt war es Åter'gid, die schneller antwortete. Sie rollte ihren Oberkörper auf Kulde und schaute ihm in die Augen, während sie sprach. „Es war Hondruk. Kulde tötet ihn damals. Hondruk kein großer Krieger, aber schlau, sehr schlau, hihi.“ Åter'gid packte Kulde am Hals und zog sein Gesicht mit der fliehenden Stirn und der platten Nase zu ihrem. Dann gab sie ihm einen tiefen Kuss, bevor sie sprach. „Hondruk schlau, aber nicht stark wie Kulde. Hondruk auch nicht groß wie Kulde, hihihi.“ Åter'gid warf einen ihrer geflochtenen Zöpfe mit einer Kopfbewegung über die Schulter und zeigte dabei kichernd auf Kuldes Lendenschurz, der sich langsam und wie von Geisterhand hob. Neire reichte Edda gerade ein Glas Wein, doch er hörte Edda lachen, als sie sagte. „Nicht so groß wie Kulde? Was kann sie nur damit gemeint haben, Neire?“ Als sie das Glas mit dem Wein sah, verzog sich aber ihr Gesicht und sprach. „Mir ist heute nicht nach Wein Neire. Nach dem ersten Glas wurde mir bereits schlecht. Ich glaube, ich sollte mich einmal erheben.“ Neire hörte die Riesen weiter lachen und anzügliche Bemerkungen über Kulde und seinen Lendenschurz machen, der wiederum schuldbewusst in Eddas Richtung blickte. Dann fragte Neire. „Wollen wir eine Runde gehen, meine Liebe? Wir haben uns die Höhle und die Zelte noch nicht angeschaut.“ Edda nickte und lächelte ihn an. „Lassen wir Kulde, Gulgra und Gruschuk eine Zeit allein. Ich habe die Höhle bereits in eurer Abwesenheit gesehen, Neire, aber ich möchte sie euch zeigen.“ Neire nickte und half Edda auf. Dann verließen sie das Zelt Kuldes. Sie sagten ihnen, dass sie wiederkommen würden, doch sie erhielten keine Antwort. Kulde hatte sich mit Horghla und Åter'gid bereits in einem Liebesspiel hingegeben. Auch Gruschuk war sichtlich erregt und hatte seinen Arm um Gulgra gelegt. Die Mutter schüttelte ihn aber wütend ab und säugte weiter ihren missratenen Sprössling Hyrge. Als sie das Zelt von Kulde verlassen hatten, hörten sie hinter sich ekstatische Grunz- und Stöhnlaute.

Große Zelte waren in der natürlichen Höhle zu sehen. Das rötliche Licht von Feuerkäfern, die gefesselt in metallenen Käfigen von der Decke hingen, erhellte die Kaverne in unnatürlichem Schimmer. Da war auch das flackernde Licht einiger außerhalb der Zelte liegender Kochfeuer, das sich im Wasser des kalten unterirdischen Sees spiegelte. Das Rauschen des Flusses, der das kleine System von unterirdischen Hohlräumen durchfloss, war deutlich zu hören, unter den diffusen Hintergrundgeräuschen von sonoren Stimmen und dem Gebrauch von Werkzeugen. Neire hatte Edda auf einen Stein gesetzt, der am Rande des Sees aufragte. Sie waren etwas abseits des Zeltlagers, wo der Geruch nach Kochfeuern, Müll, Urin und Fäkalien geringer war. Unweit von ihnen wuchsen einige Unterreichspilze, die das weiß-bläuliche fluoreszierende Licht ihrer Lamellen in magischer Schönheit über das Wasser warfen. Neire war an Edda herangetreten und strich ihre Haare zurück. Dann blickte er sich um und betrachtete die Höhle. „Es ist viel geschehen, seitdem ich euch im Lager der Riesen verlassen hatte. Doch ich glaube, dass Kuldes Stamm sich hier wohlfühlen wird.“ Edda nickte und folgte seinem Blick, doch Neire fühlte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Er schaute sie fragend an, betrachtete ihr feines Gesicht mit der schneeweißen Haut. Ihre Augen schimmerten nachtblau im Zwielicht der Höhle. „Sie haben sich hier bereits eingefunden, Neire. Die Arbeiten scheinen voranzugehen“, sagte Edda und drehte ihren Kopf in Richtung des neu geschlagenen Lochs in einer der Höhlenwände. Dort bemerkte Neire die Schatten riesiger Gestalten, die im Licht einiger Fackeln große Steinbrocken hervortrugen. Edda drehte sich wieder zu ihm um und legte den Zopf ihres schwarzen Haares auf ihren Rücken. „Es ist nicht das, was mir Sorgen bereitet. Auch in der Akademie Schwarzenlohe kommen wir gut voran. Wir können uns nicht über mangelnde Bewerber klagen. Es ist etwas anderes, was mich bedrückt.“ Neire kniete sich nieder vor Edda und nahm ihre Hände in die seinen. Aus der Entfernung war für einen Augenblick ein Aufstöhnen aus Kuldes Zelt zu hören, das sich zu einem kurzen Höhepunkt steigerte. Ein flüchtiges Lächeln strich über Eddas Gesicht, dann wurde sie wieder ernst. „Ich wollte es euch schon länger sagen Neire, doch ich wusste nicht wann. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.“ Neire blickte hinauf zu ihr und wartete beharrlich. Edda nahm behutsam seine verbrannte linke Hand und legte sie auf ihren Bauch. „Ich trage euer Kind, Neire. Fühlt, wie es sich bewegt.“ Neire spürte die Wärme, die aus dem Leder ihrer Kleidung strömte. Er lächelte und legte ein Ohr an Eddas Bauch. Da war Bewegung, Leben, das sich in ihr regte. Es musste das Wunder Jiarliraes sein, denn das was er hörte, konnte er zuerst nicht deuten. Dann erinnerte er sich an die Bücher der Anatomie und der heilenden Lehren zurück, die er damals in Nebelheim studiert hatte. Er hob den Kopf und sagte. „Ich höre die Schläge zweier kleiner Herzen in eurem Bauch. Es sind Zwillinge, die dort heranwachsen. Es muss das Geschenk unserer Herrin sein, Edda. Es muss so sein, so denkt doch an die Dualität von Feuer und Dunkelheit.“ Edda strich durch seine gold-blonden Locken und zog seinen Kopf wieder zu sich heran. So lauschte Neire einige Zeit dem schnellen Schlagen der zwei Herzen. Dann richtete Neire seinen Kopf auf und zog den Ring hervor, den er aus einer seiner Gürteltaschen hervorholte. Das kostbare Stück war aus einem Diamanten geschnitten worden. In seinem Inneren glühte ein rötliches Band wie ein Faden. „Ich war viel zu beschäftigt mit Dreistadt, der Adlerfeste und der Vorbereitung der Hochzeit von Königin Hulda und Jarl Eldenbarrer. Was sagt ihr Edda, wenn die Hochzeit zu einer doppelten wird? Wie die Dualität uns Zwillinge schenken wird, sollen sich zwei Paare vermählen. Was sagt ihr zu unserer gemeinsamen Zukunft, die bis in das Jenseits des Todes, das Jenseits der Sterne und bis in das ewige Reich Jiarliraes halten wird? Bei diesem Ring, den unser getreuer Anhänger Bargh aus einer fernen Welt eroberte und der euch beschützen soll, frage ich euch Edda von Hohenborn. Wollt ihr meine Frau werden?“ Neire blickte Edda in die Augen. Sie lächelte nur und nickte. Neire schob ihr sanft den Ring über den Finger und flüsterte. „Dann soll es so sein, es werde so sein und es wird so sein. Jetzt und immerdar!“ Er umarmte Edda und küsste sie. Dann wischte er behutsam die Tränen hinfort, die aus ihren lieblichen Augen flossen. Noch lange saßen sie dort und betrachteten den werdenden Teil des Tempels des Jensehers. Nirgendwo sonst waren sich Schöpfung und Vergänglichkeit in übernatürlicher Schönheit und ewiger Liebe so nah gewesen.

~

Es war kälter geworden und der erste Schnee war auf die unfertigen Mauern der Feste Nebelgard gefallen. Sie hatten einige Tage damit verbracht das Fest vorzubereiten. Jetzt brannten Feuer auf den Zinnen und der Nebel hatte sich auf geisterhafte Weise gelichtet. Es war in den Abendstunden aufgeklart und ein Himmelsglühen von rotgoldenem Licht überflutete das Firmament. Über den Zinnen der Burg schimmerten die felsigen Gipfel im ersten Schnee. In der Luft des Hofes lag der Geruch von Feuern, gebackenem Brot und gebratenem Fleisch. An verschiedenen Stellen der Festung hatte Neire Stände aufbauen lassen, auf denen Spanferkel, Jungbullen, Lämmer und ganze Rinderhälften auf Spießen geröstet wurden. Auch die Bevölkerung in der Stadt unter ihnen sollte feiern. Neire hatte das Fest mit Königin Hulda von Isenbuk geplant. Die Königin hatte einige Einfälle gehabt und war ihm eine große Hilfe gewesen. Im Inneren des Burghofes war der Anblick besonders prächtig. Vor dem noch nicht ganz fertigen Hauptgebäude, welches die Ausmaße hatte, Riesen ein- und ausgehen zu lassen, hatten sie eine Bühne auf Fässern aufbauen lassen. Von hier blickte Neire und Jarl Eldenbarrer hinab auf die Menge, die sich im Burghof versammelt hatte. Zur Feier waren ausgewählte Gäste eingeladen worden. Neben Bürgern und Dienern aus Nebelgard, hatten sich auf einer Seite die Feuerriesen und auf der anderen Seite die Hügelriesen versammelt. Auch die Anführer der Orks waren zu sehen und hatten eine Gruppe gebildet. In dem Licht von Feuer und Fackeln schimmerten die blutroten, langen Banner, die von den Burgwänden hingen und Neires schwarze prophetische Runen Jiarliraes zeigten. Die Gäste hatten ihre Waffen abgelegt. Nur einige ausgewählte Feuer- und Hügelriesen patrouillierten bewaffnet und in Rüstungen die Burgmauern. Neire war aufgeregt und nervös. Er schaute in den dunklen Tunnel hinter sich, der in das Hauptgebäude und den Berg führte. Doch er konnte die beiden Bräute nicht sehen. Hulda von Isenbuk und Edda von Hohenborn mussten sich irgendwo in den Mauern befinden. Mit ihm waren eine Reihe seiner getreuesten Anhänger. Neben Eldenbarrer, dessen Bänderpanzer poliert und geölt im Licht glänzte, wusste Neire Daera Düsterung, Mordin von Noresfyring, Hauptmann Heergren Nuregrum, Leutnant Granrig Hellengrub, Kulde Kopfstampfer, Gruschuk der Grausame, Gulgra, Tochter von Nomrus sowie Odzor und Gorlag um sich. Neires Stimme zitterte als er sich an die Menge wendete. „Anhängerinnen und Anhänger von Jiarlirae, Suchende der Geheimnisse von Flamme und Düsternis…“ Neires Worte verhalten im Gemurmel und Gebrabbel der Menge. Er schaute zu Jarl Eldenbarrer, der sich ein Schild geben ließ, sein schwarzes Schwert, die Flamme von Thiangjord, vom Rücken nahm und mit klingenden Geräuschen von Metall für Ruhe sorgte. Neire wiederholte die Worte. Er war jetzt sicherer, als er fortfuhr. „Ich spreche zu euch als Prophet Jiarliraes. Als Prophet, der die Zukunft gesehen hat. Ich glaube an euren Kampf- und Opfergeist. Ich glaube an das, was wir gemeinsam erreicht haben. Weil wir nach den Geheimnissen unserer Herrin streben, brauchen wir die Wahrheit. Und die Wahrheit will ich euch heute Abend nicht verheimlichen.“ Neire machte eine kurze Pause und hörte das Gebrüll der versammelten Anhänger. Sie alle streckten ihm ihre Fäuste und Schwertarme entgegen. „Heute Abend feiern wir ein besonderes Fest. Es ist die Vermählung zweier Liebender. Jarl Eldenbarrer, Eroberer der Feste Sverundwiel, hat Hand angehalten um Königin Hulda von Isenbuk, einstige Gattin von Dunrok von Isenbuk. Die Königin hat das Angebot angenommen und heute Abend werden wir die Trauung der beiden bezeugen und feiern.“ Wieder stockte Neire, denn der jubelnde Lärm der Gruppe von Feuerriesen verschluckte alle Worte. Als Jarl Eldenbarrer ein weiteres Mal für Stille gesorgt hatte, fuhr Neire fort. „Wir feiern außerdem eine zweite Vermählung an diesem Abend. Ich selbst bat um die Hand von Edda von Hohenborn, die aus dem tiefen Süden von Vintersvakt stammt. Sie gab mir ihr Jawort und horcht: Sie trägt zwei Kinder in sich, ein Geschenk und ein Zeichen Jiarliraes.“ Die Menge jubelte frenetisch. Einige warfen ihre Bierkrüge in die Luft und der Lärm war ohrenbetäubend. Neire sah ein Lächeln im glatzköpfigen Gesicht von Eldenbarrer. Als er wieder zu hören war, sprach Neire weiter: „Die Trauung liegt nicht in meiner Hand. Der höchste Priester nach mir, Mordin von Noresfyring, wird die Zeremonie führen.“ Mordin, der gekleidet war in eine karmesinrote Robe mit goldenen Chaosrunen, trat hervor und verbeugte sich vor der Menge. Dann blickte Mordin den Jarl sowie ihn an und nickte ihnen zu. Mordin, der sein langes rot-blondes Haar offen trug, wendete seine funkelnden grünen Augen in Richtung des Tunnels und rief. „Führt die Bräute heran, die Hochzeit kann beginnen.“ Wieder war da ein Jubel, als die Menge die Prozession betrachtete, die aus dem Inneren des Hauptgebäudes hervorkam. Im Lichte von Fackelträgern schritten Königin Hulda und Edda heran. Die Königin war von einigen ihrer Feuerriesinnen umgeben. Sie trug ein rotes langes Kleid, das einen tiefen Einschnitt besaß und ihre Brüste nur spärlich bedeckte. Die Königin hatte sich geschminkt, so dass die Warzen und Geschwüre ihrer linken Gesichtshälfte kaum sichtbar waren. Aber selbst jetzt war ihr Gesicht, mit der Ratten-ähnlich zulaufenden spitzen Form, aus dem zwei dunkle, schweinsartige Augen hasserfüllt dreinblicken, hässlich anzusehen. Ihr verfilztes rötliches Haar hatte Hulda geordnet, so dass sie, für ihre Verhältnisse, einen noblen Eindruck machte. Edda hingegen wurde begleitet von einigen ihrer Schülerinnen der Akademie Schwarzenlohe. Sie trug ein schwarzes Rüschenkleid und ein Diadem aus Sternensaphiren. Sie hatte sich ihr schwarzes Haar mit Saphir-geschmückten Silbernadeln zu einer Haarrebe gesteckt. Unter ihrem Kleid zeichnete sich deutlich die Wölbung ihres Bauches ab. Hulda und Edda wurden auf das Podest geführt, wo sie sich neben Eldenbarrer und Neire aufstellen. Dann bat Mordin die Brautjungfern das Tier zu bringen. Von ledernen Fesseln gehalten, zogen sie den riesigen Hirsch heran, dessen Geweih mit den Fäden schwarzer Seite geschmückt war. Das Tier blökte lautstark und mit seinen schwarzen Augen blickte es sich angstfüllt um. Huldas Riesinnen zogen den Bock zur Opferschale, die sie auf der Mitte des Podestes platziert hatten. Die Menge verstummte, als das Tier seine Position erreicht hatte und Mordin hervortrat. Der Priester hatte einen Dolch gezogen. Mordin packte den Hirsch an seinem Hals, wendete sich dann aber zur Menge um. „In den Schatten liegen die Geheimnisse unserer Herrin. Sie sind die Essenz - Leben und Seele, die einst in das Reich Jiarliraes eingehen werden.“ Mordin durchstieß den Hals des Tieres. Der Priester begann die Kehle zu durchschneiden. Ein Schwall von schwarzem Blut floss in die Schale und die zuckenden Bewegungen wurden langsamer. Auch die kehligen Schreie, die der Hirsch von sich gab, erstarben. Als das edle Tier zu Boden brach, hob Mordin wieder seine Hände. „Es ist ihre Essenz, die der Schatten, die mit euch sein soll.“ Mordin beugte sich über die Schale und tauchte seine Hände in das Blut. Dann ging er zu ihnen und sprach zu jedem der Brautpaare. „Empfanget den Teil ihrer Essenz, der euch Glück und Ruhm bringen möge.“ Dabei spritzte Mordin das frische Blut in ihre Gesichter. Danach schritt Mordin wieder zur Schale und tauchte seine Hände ein. Als er sie hervorzog begann das Blut in seinen Händen an zu brennen. Eine Magmaflamme tanzte über der schwarzen Flüssigkeit – warf lange Schatten. Es war das düstere Feuer Jiarliraes, das Mordin beschworen hatte. An die Menge gewandt sprach er. „Sehet und erfahret die Flamme unserer Herrin. Ohne die Schatten gibt es die Flamme nicht und ohne die Flamme wird es die Schatten nicht geben.“ Dann wendete sich Mordin Eldenbarrer und Hulde zu. Das Licht des Feuers spiegelte sich in ihren Augen, als sie sich zu ihm hinabbeugten. „Greift nach Schatten und Düsternis unserer Herrin, um euch für immer zu binden.“ Beide Feuerriesen hatten sich hinabgebeugt und griffen mit Daumen und Zeigefinger in die Schattenflammen. Sie zogen dort zwei glühende Ringe hervor, die aus schwarzem, Glas-ähnlichem Ne’ilurum Stahl geschmiedet waren. Sie begannen sich aufzurichten. Dann stülpten sie sich gegenseitig die brennenden Ringe über die Finger. Mordin war zu Neire und Edda geschritten und reichte ihnen die Schattenflamme. Die Menge hatte bereits begonnen die Vermählung von Eldenbarrer und Hulda zu feiern. Neire und Edda hörten die Worte aber deutlich, die Mordin zu ihnen sprach. „Greift nach Schatten und Düsternis unserer Herrin, um euch für immer zu binden.“ Sie traten zusammen und lächelten sich gegenseitig an. Dann griffen sie beide in das düstere Feuer, das von dem schwarzen Blut aufstieg. Sie beide spürten die heißen Flammen prickeln. Da war kein Schmerz. Auch sie zogen zwei Ringe aus Ne’ilurum hervor, die vor Hitze rötlich glühten. Neire steckte Edda den Ring über den Finger ihrer linken Hand, während Edda Neire den Finger über seine linke Hand steckte. Da war der Geruch von verbranntem Fleisch, als das glühende Metall sich die Haut fraß. Doch auch jetzt spürten sie keinen Schmerz. Für den Augenblick hatten sie die grölende Menge vergessen, die sie feierte. Sie küssten sich tief und innig. Dann traten sie zusammen und strecken gemeinsam ihre linke Hand in die Höhe. Eldenbarrer und Hulda taten es ihnen gleich. Eldenbarrer hob sein schwarzes Schwert in den Himmel und schrie. „Ich gratuliere Neire und Edda von Nebelheim zu ihrer Hochzeit. Als euer neuer König und Anführer, König Eldenbarrer, verkünde ich meine Vermählung mit Königin Hulda. Das Fest ist hiermit eröffnet.“ Die Menge brüllte und feierte sie. Mordin hatte sich zur Opferschale zurückgezogen und segnete die Anwesenden. Der Priester tauchte laublose Eichenzweige in das Blut des Hirsches und versprengte die Tropfen. Sie sahen, wie der tote Körper des Bocks hinfort gezogen und für die Schlachtung vorbereitet wurde. Dann war die Menge um sie herum und berührte sie. Sie alle wollten teilhaben, wollten den Segen der Göttin spüren. Neire und Edda nahmen die Glückwünsche entgegen. Sie aßen und tranken. Sie beantworteten die Fragen ihrer Anhänger. Später zogen sie sich in Neires schwarzen Turm zurück, während das Fest weiterging. Eine Zeit standen sie so am Fenster und umarmten sich. Sie betrachten die Feuer und die Feiernden unter sich. Noch bevor die Mitte der Nacht erreicht war, entzündeten sie eine Vielzahl von Kerzen und Fackeln. Sie entledigten sich ihrer Kleidung und beteten gemeinsam im Kreis von Schatten und Licht. Erst danach widmeten sie sich ihrer gemeinsamen Hochzeitsnacht.

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Zwischenspiel 09 - Faust und Lyriell von Nebelheim
« Antwort #145 am: 7.12.2024 | 10:21 »
„Wie fühlt sich das an?“ Neire sprach mit lieblicher Stimme, in der ein zischelnder Singsang war. Er lag mit Edda auf dem schwarzen Samt des verzierten Himmelbettes. Im Kamin des Turmzimmers brannte ein großes Feuer, das den von kostbaren Fellen ausgelegten Boden in ein rötliches Licht warf. Vor den Bücherregalen des Gemachs funkelten tausende schwarze Kerzen. Ein kleiner Altar, auf dem die Büste einer gesichtslosen Frau dargestellt wurde, war von rötlichem Fackellicht erhellt. Ein Chaosstern sowie Runen aus getrocknetem Blut waren in der Leere des Antlitzes aufgebracht worden. „Ich weiß nicht Neire. Sie sind so warm und weich, meine Glieder. Und meine Finger ziehen rote, lange Fäden… von der Wärme des Feuers in die Dunkelheit des Schneetreibens hinein.“ Neire folgte Eddas Hand, über die er sanft stricht. Sie machte eine elegante Bewegung, in der sie das rötliche Glühen der Kaminflammen in die Richtung der schwarzen Fenster zog, die Neire einst verzaubert hatte. Die Farben waren so intensiv, so glühend. Es war, als quille das Feuer aus Eddas langen, schwarz-gefärbten Fingernägeln. Es war, als würden die Funken verglühen im Schneetreiben der Winternacht dort draußen. Einige Momente hafteten die Augen der beiden Liebenden auf den entfernten Lichtern von Nebelgard, die sie unter sich sahen. „Was fühlt ihr hier? Wo bin ich jetzt?“ Er strich über Eddas dicken Bauch, in dem sie ihre beiden Kinder trug und sah, wie sich eine Gänsehaut auf ihren Armen bildete. Sie lächelte ihn an und zog ihn zu sich heran. „Ihr wart fort Neire, doch jetzt seid ihr hier. Ihr seid hier… hier bei mir.“ Sie küssten sich und da war der Geschmack von Grausud und Wein. Dann betrachteten sie die Farben und lachten. Sie staunten wie kleine Kinder, die sie nicht mehr waren. Irgendwann schliefen sie ein. Sie hörten nicht, wie das Brausen des Wintersturmes stärker wurde und huschende Schneeflocken an den beiden Kristallfenstern vorbeitrug.

Der Traum war fieberartig und verwirrend. Er zehrte an Neires Kräften. Da war Wasser um ihn herum und seltsame Wesen. Das Wasser war zuckersüß und floss in seinen Mund hinein. Die Wesen waren Urformen von Amöben. Sie hatten merkwürdige Formen, wie die Kreaturen aus den sonnenlosen Tiefen der Ozeane. Einige besaßen dickliche, konisch geformte Körper. Andere waren netzgleich und aufgefächert, wie die laublosen Baumkronen alter Wintereichen. Sie alle schimmerten in pulsierenden Farben. Neire musste sich hinfort bewegen. Sie glitten an seinem Körper vorbei und verlangsamten ihn. Da war das Pochen eines riesigen Zeigers einer Uhr. Er sah sie nicht, doch er konnte ihren Rhythmus spüren. Sobald er sich herausgewunden hatte, sobald er sich in die Dunkelheit zog, waren sie wieder um ihn. So ging es fort und er hatte begonnen zu schreien. Er zweifelte an allem was er war und was er tat. Mit jedem Pochen des Zeigers wurde es schlimmer. Er konnte ihnen nicht entrinnen. Selbst dann nicht, als er die Hüllen der Gesichter von Bargh und Zussa sah. Er drückte sie weg, wie lebloses schleimiges Leder. Da waren auch andere Gesichter. Da war Edda… und Heergren, dann Halbohr. Neire stieß sie hinfort, drückte sie weg, doch er wurde noch langsamer. Die merkwürdigen Formen rückten näher und das süße Wasser rann in seinen Mund hinein. Er wollte, doch er konnte nicht mehr schreien. Da war nur noch das Pochen. Der Schmerz kam in Wellen. Wieder und wieder. Harmonisch und vorhersehbar.

Neire wachte auf und zitterte am Körper. Sein Kopf pochte und sein nackter Körper war bedeckt von kaltem Schweiß. Er spürte ein Vibrieren des Bettes. Ein Knacken im Stein des Turmes. Draußen peitschten Sturmböen Schnee heran. Er konnte die Lichter Nebelgards nicht mehr sehen. Es herrschte aber noch tiefste Nacht. Die Wirkung des Grausuds war fast vergangen, die schrillen Farben verschwunden. Da war eine Leere in seinem Kopf, die ihn an sich zweifeln ließ. Er zog sich einen seidenen Nachtumhang über und bedeckte Eddas nackten Körper mit einer Decke. Ihre Haut schimmerte schneeweiß in der Dunkelheit. Dann trat er ans Fenster und blickte in den Wintersturm, der dort draußen tobte. Aus der Finsternis sah er bleiches Licht aufzucken. Etwas später folgte das dumpfe Grollen eines Donners. Es versuchte seine Gedanken zu klären, doch er sah nur diffuse Düsternis. Was hatte das alles noch für einen Sinn, fragte er sich. Dann spürte er, dass Tränen an seinen Wangen hinabrollten und er zitterte. Er unterdrückte ein Schluchzen; er wollte Edda nicht wecken. Die Welt um ihn herum schien leblos und leer. Er sehnte sich nach der feurigen Umarmung. Nach den Schattenflammen seiner Göttin, nach ihrem ewigen Reich. Meine Zeit ist gekommen hier und ich sollte gehen. Doch wie? Neire fasste weitere düstere Gedanken. Dann reifte sein Vorhaben. Er schlich sich durch das dunkle Gemach zur erloschenen Glut des Kamins. Dort kniete er sich nieder. Mit einigen Holzstücken entfachte er das Feuer erneut. Dann öffnete er leise eine der schwarzen Schatztruhen. Er wusste, dass er etwas finden musste, doch er wusste nicht was. Wie in einer Trance schritt er zurück zum Feuer, das mittlerweile dort brannte. Er blickte in die Flammen, sah die Schatten und weinte leise. Immer wieder legte er Holzscheite nach. Bis die Hitze des Feuers das Gemach erwärmte. Dann ließ er seinen Nachtumhang fallen. Hervor kam sein drahtiger Körper, seine bleich schimmernde Haut. Neire hatte mittlerweile ein Alter von 19 Jahren erreicht. Die drei Rubine der Herzsteine funkelten in seiner linken Schulter. Sein gesamter linker Arm war von dunklem Narbengewebe einer einst grausamen Verbrennung überzogen. Neire wischte sich die Tränen hinfort und begann in das Feuer zu klettern. Er spürte das Brennen, die verzehrende Hitze. Zuerst war da der Schmerz, dann hörte er nur noch das Rauschen und das Knacken der Flammen. Er wollte im Feuer vergehen, wollte hineinschreiten in die Schatten des Reiches seiner Herrin. Er erinnerte sich an den Abstieg der Menschenschlange des wahren Blutes. An ihre Vereinigung mit der schwarzen Natter tief im inneren Auge. Er dachte an das Gefolge, was mit der Menschenschlange des wahren Blutes hinabstieg. Es war sein Schicksal, an das er dachte – das Schicksal, das jedem Kind der Flamme vergönnt war. Die Flammen stiegen von seinen gold-blonden Locken auf. Doch da war kein Rauch, kein Glühen. Es war, als trüge er eine goldene Krone aus Feuer. Dann hörte er die Stimmen. Sie knisterten und sie knackten. Sie sprachen von den Runen seiner Göttin. Jetzt sah er sie schimmern in den Flammen. Da war Firhu, die Gabe von Feuer und Schatten, die für seine Werdung standen. Da war Zir’an’vaar, die Rune von Hingabe und von Opferung. Auch sah er Noraun, eine Rune die er zuvor noch nicht gesehen hatte. Sie stand für den ewigen Fluss von Dunkelheit in das Feuer und den fortwährenden Strom von Feuer in die Dunkelheit. Die Fäden, die Noraun spann, sollten in der unsichtbaren Unendlichkeit verwoben sein und von dort zurückführen. Sie sollten alle Konturen umspannen, die sich im Urmeer des unendlich dimensionalen Chaos brachen. Dann verstand er. Alles machte nun einen Sinn. Er griff nach dem, was er instinktiv aus der Truhe geholt hatte. Er trank, doch er trank nicht um zu vergessen. Flamme und Schatten drangen in ihn ein. Er spürte die Schmerzen, spürte seine Knochen sich verändern. Dann übermannte ihn die Pein. Er bemerkte nicht mehr, wie er aus dem Kamin stürzte und in das Gemach rollte. So blieb Neire im Schein des Feuers liegen. Glut funkelte auf seinem Körper. Er war nicht mehr der junge Mann. Das Feuer seiner Göttin hatte ihn verändert. Oder war es der Trank. Er, der dort lag, war Neire von Nebelheim, ein Jüngling im Alter von 15 Jahren. Ein Kind der Flamme, das aus Nebelheim geflohen war und seiner Göttin Jiarlirae diente. Sein Geist, nur, war älter und trug einen Teil IHRER Geheimnisse.

„Neire helft mir, kommt!“ Die Stimme war fern und doch so nah. Sie war in seinem Traum… oder nicht? „Neire, es hat begonnen. Wacht endlich auf!“ Neire wurde langsam wach. Seine Glieder schmerzten und er war noch immer nackt. Das Feuer war heruntergebrannt und ihn fröstelte. Aus den beiden Kristallfenstern kam mattes Licht. Der Schneesturm tobte noch genauso stark, vielleicht sogar stärker als zuvor. Böen brachten die Grundmauern des schwarzen Turmes zum Schwanken. Er richtete sich auf, zog sich seinen Nachtmantel über und bewegte sich zum Himmelbett. Dort lag Edda. Sie hatte ihre Decken hinfort gestrampelt und krümmte sich im Schmerz. Zwischen ihren Beinen sah Neire Schleim und Blut. Sie hielt sich ihren Bauch, hatte ihre Beine angewinkelt sowie gespreizt und biss die Zähne zusammen. Neire kniete sich auf das Bett und ergriff ihre Hand. Er bemerkte jedoch, dass Edda ihn erschreckt anblickte. „Ich bin jetzt bei euch und werde Lyssiva holen. Es wird alles gut.“ Edda biss die Zähne zusammen, doch ihre Augen wichen nicht von seinem Antlitz. Dann drehte sich Neire um und rief nach der Magd. Sie hatten Lyssiva vor einiger Zeit in den Dienst des Turmes gestellt. Die zierliche, kleine Frau mit den blonden Locken, den blauen Augen und dem schlanken, bleichen Gesicht hatte sich einst in der Akademie Schwarzenlohe beworben. Jedoch hatten ihre geistigen Fähigkeiten nicht gereicht, die schwarze Kunst zu meistern. So hatten sie Lyssiva im Turm der Schatten aufgenommen und sie im Glauben gelassen, sie würde eine Vorbereitung als Zauberlehrling durchlaufen. Es dauerte nicht lange und die Magd erschien in der Türe des Gemachs. „Was wünscht ihr mein…“ waren ihre Worte, die stockten, als sie Neire betrachtete. Dann fuhr sie zitternd fort. „Die Frau von Nebelheim, mein Prophet… wie kann ich euch dienen?“ Neire nickte ihr zu und fuhr sich über sein Gesicht. Irgendetwas hatte sich geändert. „Bringt mir frisches Wasser, saubere Tücher und meine Utensilien, die ich für diesen Tag vorbereitet hatte. Bringt sie mir sofort. Verliert keine Zeit.“ Lyssiva verbeugte sich und huschte hinfort, als sie einen weiteren Schrei von Edda hörte. Neire wendete sich wieder Edda zu, kniete sich neben sie und sprach ihr Mut zu. Er litt mir ihr und seine seltsamen Gedanken, die in den letzten Jahren immer stärker geworden waren, waren wie verflogen. Dann kam Lyssiva zurück und brachte den ersten Teil der geforderten Utensilien. Die Schreie von Edda wurden stärker und Neire hatte das Buch bereits aufgeschlagen, das er vor längerer Zeit vorbereitet hatte. Er begann ihren Leib zu untersuchen und erinnerte sich an die Werke, die er gelesen hatte. Er begann zu fühlen und zu drücken; er hielt Eddas Bauch. Doch schon bald spürte er, dass Jiarlirae ihnen wohl gesonnen war. Neire nahm eine Daumenspitze des Grausuds und beugte sich über Edda. Er schaute tief in ihre nachtblauen Augen. „Draußen tobt der Wintersturm, der den Tag verdunkelt und doch das Feuer bringt. Jiarlirae ist uns wohl gesonnen, die Opfer waren nicht umsonst. Die Gesichtslage ist richtig Edda und alles wird gut. Nehmt diese Kappe von Grausud. Es wird euren Schmerz lindern, meine Liebste.“ Edda lächelte Neire an und er spürte ihr blindes Vertrauen. Sie öffnete ihren Mund und leckte den Grausud von seinem Finger. Die Explosion der Farben war augenblicklich für sie. Schmerz löste sich auf in fast ertragbaren, nicht kontrollierbaren, spontanen Impuls. Sie konzentrierte sich auf ihre Muskeln, auf ihre tiefste Kraft. Sie presste und sie drückte, doch es war nicht willentlich. Sie hörte die liebliche Stimme von Neire in ihrem Ohr. Sie biss die Zähne zusammen und sie kämpfte. Sie kämpfte und sie klagte nicht. Dann hörte sie die zarten sanften Schreie. Erst eine Stimme und dann eine zweite. Sie betrachtete nicht die fahlen Farben des Fensters, bemerkte nicht das dumpfe Tosen des Wintersturms. Sie hörte die Stimmen und spürte die Wärme, als sie neues Leben in ihre Arme nahm. Es war das Leben, das sie durch die Gunst der Göttin hervorgebracht hatte. Tränen flossen über ihre Wangen. Dann schloss sie die Augen und sah vielfarbige Blitze in der Düsternis. Sie sprach ihren letzten Schwur zur Göttin von Flamme und Düsternis, bevor sie in Ohnmacht fiel.

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„Ich sehe, ihr habt euch in Dreistadt fürstlich eingerichtet, Eirold.“ Neire blickte sich um im Hauptturm, der drei Türme von Dreistadt. Er erinnerte sich zurück. Eirold Mittelberg war von ihm vor über einem Jahr in die Stadt geschickt worden, in der der Kult von Azathoth zuvor gehaust hatte. Er hatte den einstigen Dorfvorsteher von Wiesenbrück mit einer stolzen Kasse von 300.000 Goldstücken nach Dreistadt entsandt. Nach dieser langen Zeit und nach der Geburt seiner beiden Kinder, hatte sich Neire schließlich entschlossen, den Ort aufzusuchen, den er bereits zweimal erobert hatte. Er hatte sich Kraft seiner schwarzen Kunst durch Zeit und Raum bewegt und stand jetzt im Gemach von Eirold, das der neue Vorsteher von Dreistadt als höheres Geschoss auf dem mittleren der drei Türme erbaut hatte. Licht strömte aus wabenförmigen Bleiglasfenstern in einen Saal-ähnlichen Raum, der von Teppichen und Fellen ausgelegt war. Neben einem großen Himmelbett waren ein Thron und ein eleganter Schreibtisch zu sehen. Auf dem Schreibtisch lag eine große Karte, auf der Eirold Notizen gemacht hatte. Der Vorsteher von Dreistadt stand jetzt von seinem Thron auf und näherte sich Neire. Er trug eine rote Robe mit goldenen Verzierungen. Der über sechzig Winter alte Mann hatte seine beiden spärlich bekleideten jungen Gespielinnen bereits herausgeschickt und nach Skyghar Finsterhand rufen lassen, einem Schattenläufer und Diener von Meister Halbohr. Eirold verbeugte seinen Kopf mit dem dünnen grauen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen, Haar. Auf seiner faltigen Haut waren bereits Altersflecken zu sehen. „Ah, Neire von Nebelheim, mein Prophet. Es ehrt uns, dass ihr uns hier in Dreistadt besuchen kommt. Es freut mich, wieder einmal mit einem wahren Freund sprechen zu können.“ Neire nickte Eirold zu und erinnerte sich, wie er einst die Augen des Jensehers eingesetzt hatte. Eirold trat näher zu ihm heran, so dass Neire den blumigen Duft der beiden Gespielinnen vernehmen konnte, der dem Vorsteher von Dreistadt anhaftete. Als Eirold ihm die Hand schüttelte, fuhr der alte Mann fort. „Wie steht es um Meister Halbohr und… äh… ja, wie steht es um Bargh, den Drachentöter?“ Neire schüttelte mit dem Kopf, als er antwortete. „Ich habe noch nichts von ihnen gehört, doch das ist nicht der Grund wieso ich hier bin.“ Dann drehte sich das Kind der Flamme um und sagte. „Skyghar, kommt herein und berichtet mir.“ Durch die Türe und vorbei an den außenstehenden Wachen trat ein groß gewachsener, schlanker Mann, der in einen dunklen Ledermantel gekleidet war. Der Diener Halbohrs hatte langes schwarzes Haar, das er offen trug. Die schneeweiße Haut seines kantigen Gesichtes war von alten Narben einer einstigen Hautkrankheit geprägt. Wachsame stahlblaue Augen betrachteten Eirold und ihn. Skyghar nickte ihnen zu und gesellte sich wortlos zu Eirold. Hinter sich hörte Neire die Tür ins Schloss fallen. Dann begann Eirold wieder zu sprechen. „Ja, werter Freund, es gibt einiges zu berichten. Skyghar und ich waren nicht untätig. Unsere Macht in Dreistadt ist gefestigt und der Ausbau des Hafens schreitet voran. Die Lande des einstigen Protektorats von Dreistadt sind unter unserer Kontrolle und reichen von der Bucht von Glimmersflamm bis nach Heerebodden.“ Neire sah Skyghar grimmig nicken, als wolle er etwas dazu beisteuern, doch Eirold redete weiter. „Was gibt es sonst noch zu berichten? Nun, wir haben jetzt fast 100 Mann in Dreistadt unter Waffen. Ein Teil gehört zur Stadtwache. Ein anderer Teil bewacht die Wägen der Händler und treibt unsere Steuern ein.“ Eirold grinste bei seiner Wortwahl. „Es gab keine Angriffe von Riesen mehr. Nur noch kleinere, vereinzelte Angriffe von hungrigen Kreaturen aus den Bergen. Doch auch diese Angriffe wurden weniger. Es ist, als ob die Schwertherrscherin ihre schützenden Hände über uns ausgebreitet hätte, mein Prophet.“ Neire stimmte Eirold zu, gab dann aber zu bedenken. „Nun, es gibt noch keinen heiligen Ort von IHR in Dreistadt, doch Jiarliraes Macht ist groß. Mit der Hilfe der Schwertherrscherin wächst unser Einfluss beständig. Doch sagt, was ist mit der Adlerfeste, was ist mit Amria?“ „Sie tut treu ihren Dienst am Pass“, antwortete Eirold. „Sie entrichtet ihre Einnahmen nach Kusnir, die von dort aus in den Tempel des Jensehers gelangen. Unsere Geschäfte mit der Adlerfeste sind gering, daher haben wir nichts Weiteres von ihr gehört.“ Dann wurde die Miene von Eirold ernst. „Vor drei Monaten waren Abgesandte aus dem Reich von Vintersvakt hier. Diener des Frostes und ein Kryomant, genannt Aethelfryr von Briegeburg.“ Neire spürte, dass Eirold ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Die Verhandlungen waren schwer und ich wünschte mir, Meister Halbohr wäre hier gewesen. Nun, sie hatten bereits von Meister Halbohr gehört und sie wollten Waffen aus Ne’ilurum-Stahl kaufen. Wir einigten uns darauf Handel zu treiben. Alles andere sollen sie mit Meister Halbohr erörtern. In den letzten beiden Monaten gelangten bereits drei Schiffe zu uns, die unter der Flagge von Vintersvakt fuhren.“ Neire lauschte Eirold und dachte an die Geschichten Eddas aus ihrer Heimat. „Die Schiffe und die Abgesandten. Waren sie aus Vintersvakt? Waren sie aus dem fernen Süden?“ Jetzt war es Eirold, der verneinte. „Ein Schiff kam aus Vintervakt, ja. Die Abgesandten und zwei der Händlerschiffe waren aus Sturmhort am Ostend.“ „Gab es irgendwelche Vorfälle? Habt ihr Priester des Frostgottes gesehen, die mit ihnen waren.“ Eirold schüttelte mit dem Kopf, doch Skyghar trat hervor. Er hatte beide Hände auf die Dolche gelegt, die er im Gürtel trug und flüsterte Worte mit heiserer, heller Stimme. „Prophet, sie waren in der Stadt. Die Priester des Frostviggier und zwei Kryomanten. Sie kamen aus Sturmhort am Ostend. Sie stellten einige Fragen. Nach Meister Halbohr, nach den Ne’ilurum Minen und nach dem Tempel des Jensehers. Ihre Fragen konnten nicht beantwortet werden. Wäre es anders gewesen, hätten wir die allzu neugierigen Bürger verschwinden lassen.“ Neire nickte und sagte. „Tut was ihr für richtig haltet und berichtet an Meister Halbohr. Er wird bald wieder zurück sein. Ich habe die Zukunft in den Flammen unserer Herrin gesehen.“ Skyghar verbeugte sich vor ihm, raunte dann aber weiter. „Da ist noch etwas, mein Prophet. Unsere Späher berichteten von einem Aufstand in der Stadt Westwacht, einem Außenposten des Orumanischen Reiches am nordöstlichen Rande der Sümpfe der Swerwhinnamark. Bei der Stadt handelt es sich um das Protektorat des Orumanischen Reiches. Es wäre nicht weiter erwähnenswert. Die Grafschaften und Herrschaftsbereiche der Küstenlande befinden sich in Chaos und Bürgerkrieg. Wir hörten jedoch merkwürdige Berichte von Predigern, die dort aufgetaucht sein sollen. Sie prophezeien die Ankunft der Lichtkinder, der Lys’saihwan, die einst die Siegel brechen sollen. Sie predigen von einer heilenden Kraft in den Sümpfen. Die Massen folgen ihnen und wer weiß, wer sich zum Herrscher über Westwacht erhoben hat.“ Neire lauschte den Worten von Skyghar und nickte ihm zu. „Sind die Herrscher von Sturmhort am Ostend beteiligt? Hat Vintersvakt etwas damit zu tun?“ Skyghar zuckte mit den Schultern und auch Eirold wirkte unsicher. Neire hob den Zeigefinger seiner linken verbrannten Hand. „Seid wachsam und vorsichtig Skyghar. Lasst eure Männer den Geschehnissen in Westwacht nachgehen. Halbohr wird sich bestimmt der Sache annehmen. Nun sollten wir aufbrechen, Eirold. Ihr könnt mir den Hafen zeigen und ich möchte mit dem Meister der Wache sprechen.“

Nachdem Eirold sich fertig gemacht hatte, waren sie zum Hafen von Dreistadt aufgebrochen Auch Skyghar Finsterhand war ihnen gefolgt. Neire hatte Eirold auf dem Weg von der Geburt seiner Zwillinge erzählt. Er hatte zurückgedacht an die Stunden nach der Geburt, als er mit Edda glücklich im Bett gelegen hatte. Edda war erschöpft gewesen, doch sie hatte sich schnell erholt. Er hatte sie gefragt, welche Namen sie dem Jungen und dem Mädchen geben wollte. Sie hatte gesagt, dass der Junge Faust heißen solle. Dann hatte sie darauf beharrt, dass er den Namen für das Mädchen aussuchen solle. Neire hatte sich zurückerinnert an Nebelheim. An das, was einst war. Und so hatte er Lyriell als Namen bestimmt. Edda hatte gelacht und ihn geküsst. So soll es sein, hatte sie gesagt. Faust und Lyriell von Nebelheim sollten die beiden heißen. Eirold, der Vorsteher von Dreistadt, hatte Neire gefragt, während er erzählt hatte: Nach der Sturmnacht und ob die Geburt der Zwillinge ein Omen sei. Sie hatten mittlerweile die Baustelle des Hafens erreicht, der als felsiger Einschnitt in die Küste von Dreistadt geschlagen worden war. Von den Klippen betrachten sie die Baustelle zweier großer Speicherhäuser, die als Fachwerkbauten in den Stein der Steilwände getrieben wurden. Neben dem Geschrei von Möwen, hörten sie die Rufe der Handwerker hallen. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und obwohl es Winter war in den Küstenlanden, wehte ein milder Wind vom Meer heran. „Omen gibt es viele Eirold. Doch sie offenbaren sich in den Flammen und Schatten von Feuer und Glut.“ Sie waren gerade an der Baustelle angelangt und blickten hinab in das Hafenbecken, das dort unten grünlich schimmerte. Handwerker, die an ihnen vorbeikamen, hatten Eirold, den Vorsteher von Dreistadt mit Verbeugungen begrüßt. Neire legte dem älteren Mann eine Hand auf die Schulter und sagte. „Faust und Lyriell waren kein Omen, Eirold. Sie waren ein Geschenk von Jiarlirae. Wie sollte die Göttin mir sonst die Dualität von Flamme und Düsternis zeigen, als mit diesen wundervollen Zwillingen. Es ist diese Dualität, die aus dem Gegensatzpaar ihrer Geheimnisse, Tag und Nacht, Licht und Dunkelheit sowie Mann und Frau erschaffen hat. Das Licht der schwarzen Sonne war in jener stürmischen Winternacht bei uns und Faust und Lyriell werden bald schon nach den Geheimnissen unserer Herrin greifen.“
« Letzte Änderung: 7.12.2024 | 10:43 von Jenseher »

Offline Jenseher

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Sitzung 126 - Rückkehr in den Kerker König Isenbuks
« Antwort #146 am: 13.12.2024 | 22:06 »
Es waren in ihrer Welt fast vier Jahre vergangen, seitdem sie ihre Reise nach Urrungfaust angetreten hatten. Sie waren schließlich doch zurückgekehrt in den Tempel des Jensehers. Zussa war erstaunt und beeindruckt von der Veränderung im Tempel und in Nebelgard. Sie hatte bereits ein paar Tage in ihren Gemächern und in der Stadt verbracht, bevor sie mit Bargh die Höhlen, den Tunnel und die Stadt erkundet hatten. Dann war sie von einer Zofe abgeholt worden, die sich ihr als Lyssiva vorgestellt hatte. Zussa hatte die zierliche Frau mit den blonden Locken, den blauen Augen und dem schlanken, bleichen Gesicht bereits anschnauzen wollen, dann hatte sie aber Bargh gesehen, der bereits an einer Ecke des von schwarzen Kerzen erhellten Ganges gewartet hatte. Zussa hatte schnell ihre Sachen gepackt und war zusammen mit Bargh Lyssiva gefolgt. So war sie in das Gemach von Neire gelangt. Aus dem Raum, dessen Wände teils von kostbaren Tierfellen bedeckt waren und eine Flagge mit der Rune Jiarliraes zeigten, war ihr warme Luft entgegengeströmt. Zussa hatte fasziniert die mit schweren Wälzern gefüllten Bücherregale betrachtet, die im Licht von immerbrennenden schwarzen Kerzen eine gewisse Anziehung auf sie bewirkt hatten. Auch die kostbare Einrichtung hatte sie wahrgenommen, dann aber das Schreien gehört. Vor einem Schreibtisch aus edlem, dunklem Holz hatte Neire gestanden, der ein Kleinkind von etwa einem Jahr im Arm trug. Neire war in seine schwarze Sternenrobe gekleidet. Er lächelte Zussa an und schien keinen einzigen Tag gealtert. Ja so hat er ausgesehen, als er mich damals aus dem Gefängnis befreit hatte, dachte sie und begrüßte ihn freudig. „Neire, ihr seht so unverändert aus, so jung, wie ein Kind…“ Neires Lächeln wurde größer und er strich sich seine gold-blonden Locken zurück. Dann bemerkte Zussa ein Räuspern, das von einem großen, dunklen Himmelbett kam. Dort saß eine junge Frau in einem Nachtgewand, die gerade ein zweites Kind stillte. Zussa starrte die Frau mit geöffnetem Mund an, betrachte ihr schwarzes, volles Haar, das sie sich mit saphirgeschmückten Silbernadeln zu einer Rebe gesteckt hatte. Sie gaffte das zweite Kind an, das von ähnlichem Alter war, wie das, was Neire trug. Beide Kleinkinder hatten feines gold-blondes Haar. „Habt ihr euch eine Dirne genommen, Neire?“ Zussa konnte nicht glauben, was sie vor sich sah. „Ich freue mich auch euch zu sehen, Zussa und Bargh. Ihr erinnert euch vielleicht… ich bin ein Kind der Flamme und werde es für immer sein. Aber genug davon… Ich möchte euch natürlich meine Frau vorstellen, die Mutter unserer beiden Kinder. Bargh, Zussa, das ist Edda von Nebelheim.“ Neire drehte das Kind in seinem Arm, das für einen Augenblick verstummt war und sie mit großen Augen betrachtete. Dann fuhr er weiter fort. „Das ist Lyriell von Nebelheim, unsere Tochter.“ Er blickte hinüber zu Edda und sprach. „Und das ist Faust von Nebelheim unser Sohn. Sie wurden als Zwillinge geboren. Ein Geschenk unserer Herrin von Flamme und Düsternis.“ Zussa konnte es immer noch nicht glauben. Ihr war es egal, dass sie Neires Frau als Dirne beleidigt hatte. Sie bemerkte auch nicht, dass Bargh sich in Richtung Edda verbeugte, als er sprach. „Frau von Nebelheim, es ist mir eine Freude euch kennenzulernen. Ich beglückwünsche euch zu eurem Nachwuchs.“ Zussa ging mit offenem Mund auf Neire zu und streckte ihre Hand nach dem kleinen Mädchen aus. In dem bereits hübschen Gesicht schimmerten zwei sternenblaue Augen. Sie begann auf eine Backe von Lyriell zu drücken, doch das Kind fing augenblicklich an zu schreien. „Das heißt nicht, dass euch Lyriell nicht mag Zussa. Ihr solltet sie nur so behandeln, wie man ein Kind behandelt.“ Zussa grinste Neire hämisch an und kicherte. „Noch mehr von eurer Sorte Neire? Ich weiß nicht, ob ich das verkraften kann.“ Sie erwarte eine Reaktion des Propheten, doch Neire wendete seinen Blick in Richtung der Tür. „Kommt herein Meister Halbohr. Herzlich willkommen im Tempel des Jensehers.“ Zussas Laune sank, als sie den Schatten Halbohrs sah, der sich durch die Türe schlich. Sie dachte sich, dass Halbohr mal wieder gelauscht hätte und warf ihm einen ihrer bösen Blicke zu. Halbohr beachtete sie nicht und erhob das Wort. „Ich sehe ihr wart nicht untätig Prophet. Der Tempel des Jensehers und Nebelgard haben sich zum Guten gewandelt. Die Krieger, die ihr gesammelt habt, sind stark. Es ist ein Anfang.“ Neire nickte Halbohr zu, dessen linke Gesichtshälfte von verbrannter Haut überzogen war. Auch die einstige Narbe seines fehlenden Ohres war von wildem, verbranntem Fleisch überwuchert. Sein Haar schien dort auszufallen und er hatte sich anscheinend das vernarbte Gewebe an einigen Stellen blutig gekratzt. Die Wunde hatte sich bis zu seinem Mund verbreitert, so dass das Sprechen für ihn nicht leicht war. Zussa war bereits jetzt schon gelangweilt, setzte sich auf den Rand der Badewanne aus Ne’ilurum und begann mit ihrem kostbaren Säbel zu spielen. „Der Handel mit Unterirrling, Urrungfaust und Kusnir floriert und Nebelgard ist gewachsen. Vor anderthalb Jahren haben wir Dreistadt und die Adlerfeste erobert. Ich habe Eirold Mittelberg dorthin entsandt. Der alte Dorfvorsteher ist ein fähiger Mann und er hat mir gut gedient. Einer eurer Schergen, der Schattenläufer Skyghar Finsterhand, begleitete ihn. Doch ihr solltet selbst dort nach dem Rechten schauen. Ich schickte Eirold damals mit einer Menge Gold. Er sollte den Hafen von Dreistadt ausbauen lassen und den Handel mit dem südlichen Reich von Vintersvakt beginnen.“ Zussa hörte Neire erzählen und Halbohr fragen. So wechselte sich das ab. Sie musste immer wieder gähnen. Als Neire vom Kampf um die Adlerfeste erzählte und vom Kult des Azathoth, horchte sie für einen Augenblick auf. Schließlich hörte sie Halbohr sagen. „Wieso habt ihr euch nicht um den Nordosten und den Norden gekümmert. Wieso nicht um den Osten von Dreistadt?“ Zussa bemerkte, dass Neires Augen wach funkelten und sein zischelnder, lispelnder Singsang schärfer wurde. „Ich habe eure Arbeit in eurer Abwesenheit getan, Meister Halbohr. Doch ich bin ein Kind der Flamme und IHR Prophet auf Euborea. Ich habe andere Dinge zu tun. Vergesst das nicht!“ Halbohr nickte und Zussa hörte ihn bereits Pläne in sich hineinmurmeln. „Ich habe sogar einen Vertrag für euch abgeschlossen, Halbohr – einen Pakt. Obwohl es mir zuwider war. Aber ich habe es in eurem Namen getan.“ Zussa lachte prustend, als sie Neires Worte hörte. Sie bemerkte wie Halbohr sie boshaft anschaute und seine blutverschmierte Hand, instinktiv zu seinem triefenden Einhorndolch ging. „Halbohr, habt ihr das gehört. Neire hat einen Vertrag für euch abgeschlossen. So steht es also um euch, so tief seid ihr schon gesunken…“ Halbohr funkelte sie an und knirschte mit den Zähnen. „Lasst mich ihn sehen. Habt ihr alles schwarz auf weiß?“ Neire schüttelte mit dem Kopf und antwortete. „Nein Halbohr, ihr wisst doch, dass ich so etwas hasse. Die Kommandantin der Adlerfeste, Amria, hat mir ihr Wort gegeben euch zu dienen. Sie ist eine fähige Kriegerin, aber so sehr einfältig. Ihr solltet euch ihrer annehmen.“ Zussa verdrehte die Augen und gähnte erneut. Dann begann sie wieder mit ihrer Waffe zu spielen. Neire sprach weiter, doch sie hörte nicht mehr richtig zu. „Eure Schergen berichteten von der Sphäre der Dunkelheit über Aschwind. Die Stiurmark gilt als verflucht. Die Milizen haben sich zerstreut und die Einwohner sind geflohen. Doch sie erzählten, dass es einige Expeditionen in den Höllenkessel gab. Sie kamen aus dem Fribönder Land oder sogar aus dem Orumanischen Reich. Die Späher konnten mir nicht sagen, wer die Geldgeber waren; wer hinter den Vorhaben steckte. Es gab Gerüchte über eine Diebesbande, die sich das Triumvirat der Drei nennt. Andere Gerüchte sprachen von drei Königen. Wieder andere sagten, es solle sich um drei mächtige Wirker der schwarzen Künste handeln. Nun, keine der Expeditionen kam zurück. Berichten zufolge drangen sie in die Gegend um die Festung des einstigen König Isenbuks vor.“ Zussa erhob sich, steckte mit einer schnellen Bewegung ihren Säbel hinfort und schlenderte zu Edda. Sie beachtete den Dialog zwischen Halbohr und Neire nicht mehr. Ab und an hörte sie auch die Stimme von Bargh. Sie blickte den niedlichen Faust an, der friedlich an Eddas Brust trank. Sie beugte sich über das Kind und erinnerte sich an die missgestalten Bälger von Urrungfaust. Doch bei Faust konnte sie keinerlei Deformationen erkennen. „Und noch eines Halbohr,“ sagte Neire gerade im Hintergrund. Er kam dabei zu Edda, die den schlafenden Faust auf das Bett legte. Dann übergab Neire ihr die kleine Lyriell, die Edda begann zu stillen. „Wir vernahmen Gerüchte aus dem östlichen Teil der Swerhwinnamark. Die Stadt Westwacht, die dort in den Sümpfen liegt, war seit langem ein Außenposten für das Orumanische Reich. Doch wir hörten, dass die Stadt rebelliert hat. Vielleicht hat es etwas mit dem Reich von Vintersvakt zu tun, dass sich seit einiger Zeit in den Küstenlanden etabliert hat. Die Grafschaft von Sturmhort halten sie dort besetzt.“ Zussa drehte sich jetzt um und sah Halbohr mit ernster Miene nicken. „Wir werden uns schon ihrer annehmen. Wenn sie sich uns entgegenstellen, werden wir sie zermalmen.“ Jetzt war es Edda die ihre klare Stimme erhob. Sie musterte Halbohr dabei. „Ihr solltet Vintersvakt nicht unterschätzen, Meister Halbohr. Ich selbst bin dort aufgewachsen. Bis mich mein Vater, Einhard von Hohenborn, nach Sturmhort am Ostend geschickt hat. Die hohen Priester, die Männer des Eises, dienen einem grimmigen Gott, dessen Name Frostviggier ist. Frostviggier ist der ewige Winter, der die Schwachen ausmerzt und die Starken mächtiger macht. Sie herrschen Hand in Hand mit einer Kaste von Schwarzkunstwirkern. Sie sind als Kryomanten bekannt und gefürchtet. Meister des Frostes, die den ewigen Winter beschwören und denen übernatürliche Fähigkeiten nachgesagt werden.“ Edda hatte Zussas Aufmerksamkeit gewonnen und sie hatte gespannt ihren Erzählungen gelauscht. Als Halbohr wieder anfing von seinen Planungen zu sprechen, hatte Zussa genug. Sie schaute wütend Bargh an und wollte, dass er ihr folgte. Doch der dunkle Ritter mit dem verbrannten Gesicht blieb bei Neire. Schnaubend und fluchend rannte sie hinaus, durch die düsteren Gänge des werdenden Heiligtums ihrer so geliebten Göttin.

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Neire schlich durch den natürlichen Tunnel tief unter der Erde. Aus der Ferne hörte er klar ein leises, kontrolliertes Flüstern. Es war nur kurz und nur in unregelmäßigen Abständen zu hören. Vor ihm begann der Gang sich in eine Höhle zu verbreitern. Er konnte kalkartige Säulen von Tropfsteinzapfen erkennen, die von der Decke hinab- und vom Boden hinaufragten. Hier und dort lagen Steine. Moosartige Gewächse wuchsen an verschiedenen Stellen und verbreiteten ein schwaches fluoreszierendes Licht. Neire hielt für einen Augenblick inne, lauschte und erinnerte sich zurück. Sie hatten mit Halbohr vereinbart, den Expeditionen nachzugehen, um so dem Triumvirat der Drei zuvorzukommen. Halbohr hatte mit Edda im Tempel des Jensehers bleiben sollen. Bargh, Zussa und er selbst hatten den Geschehnissen nachgehen wollen. Sie hatten vor ihrer Abreise noch eine längere Zeit mit dem Studium der Bücher verbracht, die Bargh, Halbohr, Zussa und Lyrismar auf ihrer Reise erbeutet hatten. So hatten sie sich schließlich vorbereitet und das Weltenportal benutzt, das von Neire schon vor langer Zeit erneuert wurde. Halbohr hatte mit einigen Kriegern der Duergar ihre Abreise überwacht und ihnen eine kurze Zeitspanne für ihre Rückkehr gelassen, bevor er das Portal schloss. Zussa hatte sich mit einigen schnellen Bewegungen ihres Säbels verabschiedet und Neire hatte bemerkt, dass sie das nicht tun sollte, wenn Funkenträger in ihrer Nähe sei. Daraufhin hatte sie Halbohr schmollend angeschaut und ihn angebettelt: „Halbohr bitte… passt auf Funkenträger auf, wenn ich weg bin. Bitte Halbohr, bitte…“ Halbohr hatte zähneknirschend genickt und so waren sie durch den schwebenden Spiegel aus milchigem Quecksilber geschritten. Ihre Berechnungen waren nicht falsch gewesen und so waren sie in der Höhle aufgetaucht, in der sie einst gegen Eclavdra aus dem Hause Eilserv gekämpft hatten. Sie hatten den Fluss aus brodelndem Magma über die metallene Hängebrücke überquert und vor dem Tunnel in die Tiefe nach Spuren gesucht. Bargh hatte die Paare mehrerer Spuren entdeckt, von denen ein Teil mehrere Monate und ein anderer Teil etwa einen Monat alt war. Es hatte sich bei einigen Abdrücken um leichtes Schuhwerk kleinerer Größe gehandelt. Sie waren dann dem Tunnel gefolgt und Neire hatte die Karte hervorgeholt, die sie einst Eclavdra abgenommen hatten. Sie hatten sich an die dunkelelfischen Runen erinnert, die sie bereits damals entschlüsselt hatten und die mit einer Legende versehen waren. Sie konnten dort lesen:

Rune 1: Wachposten,
Rune 2: Wachposten (alt),
Rune 3: Gehege,
Rune 4: Brücke über Schwarzstrom,
Rune 5: Fischmäuler,
Rune 6: Grenzposten,
Rune 7: Friedhof,
Rune 8: Sternenhalle.


Von dem Namen Sternenhalle hatten sie alle bereits mehr oder weniger gehört. Sie hatten gewusst, dass es sich um ein riesiges unterirdisches Gewölbe handelte, in dem es seltsame Lichterscheinungen gab. Es gehörte wohl als Herzstück zum Dunkelelfenreich. Auch eine dunkelelfische Stadt, die von oberweltlichen Schreibern zuletzt auf 15000 dunkelelfische Einwohner und eine unbekannte Menge an Sklaven geschätzt wurde, sollte sich in dieser Höhle befinden. Zussa war sogar den Namen der Stadt bekannt gewesen, der bis in die Bücher der Gelehrten der Oberreiche als Erelhei-Cinlu geläufig war. Sie hatten sich nach einer kurzen Beratung entschieden, den Spuren in den Tunnel zu folgen, der beständig in die Tiefe führte. Die Luft wurde langsam kühler und der Wuchs von merkwürdigen fluoreszierenden Pflanzen nahm zu. Neires Stimmung hatte sich beständig verbessert und so hatte er Bargh und Zussa leise erzählt. „Ihr sagtet Zussa, dass ich aussähe wie früher und ihr habt recht. Ich bin ein Kind der Flamme und werde es für immer sein. Die Kinder der Flamme waren in ihrem Schicksal vorbestimmt für den Abstieg ins Innere Auge von Nebelheim. Es waren nur die Älteren, die mit der Menschenschlange des reinen Blutes in das Reich unserer Herrin reisten. In der Zeit, in der ihr fort wart, habe ich viel darüber nachgedacht. Es hat mich fast verrückt gemacht. Ich fing an zu trinken, viel zu viel Grausud zu nehmen und gab mich seltsamen Forschungen hin. Doch als ich den Trank nahm, der meinen Körper, nicht aber meinen Geist verjüngte, wurde alles wieder anders. Ich bin wieder der alte Neire, doch ich bin weiser und mächtiger als zuvor.“ Zussa hatte geschnaubt. Sie hatte dann Neire unterbrochen. „Ich würde nicht jünger werden wollen, Neire. Halbohr würde mich dann weiter als Mädchen bezeichnen, obwohl ich es hier oben gar nicht mehr bin.“ Dabei hatte Zussa auf ihren Kopf gezeigt. Neire hatte gelächelt und während sie sich weitergegangen waren, hatte er erzählt. „In diesen Wirren Geisteszuständen habe mich mit schwarzer Kunst beschäftigt, die weit abseits vom richtigen Pfad liegt. Die meisten Einfälle musste ich verwerfen. Doch durch das Studium einiger alter Wälzer konnte sie rekonstruieren. Ich spreche von der Magie des Mondes, die im Laufe der Zeit vergessen oder gar getilgt wurde aus den alten Schriften. Es war vor tausenden, vielleicht vor zehntausenden Jahren, als sie zuletzt benutzt wurde. Sie benutzt die Wechselwirkung, die durch Licht und Schatten des Mondes entsteht. Und sie kann auch nur dann Wirken, wenn sein silberner Glanz strahlt. Nur durch die Mondmagie gelangt man so einfach an die Lebensessenz intelligenter Wesen. Alle anderen Wege sind um ein Vielfaches schwieriger. Stellt euch vor, welche Macht wir haben werden. Wir werden uns die Jahre anderer nehmen und sie von unserer Uhr hinabzählen. Auf dass wir ewig leben. Auf dass ich auf ewig ein Kind der Flamme bleiben kann.“ Neire hatte gelacht und Zussa und Bargh waren in seinen Bann gezogen worden. Dann hatte er gesagt. „Oder wollt ihr alt werden Zussa? Wer war der älteste Mensch, den ihr kantet?“ Zussa hatte kurz nachgedacht. „Eine alte Schachtel aus meinem Dorf. Irgendwann ist sie gestorben und sie haben sie hinter der großen Scheune vergraben… Nein Neire, ich will keine alte Schachtel werden, die hinter einem Schweinestall begraben wird!“

Jetzt verdrängte Neire die Erinnerungen an seine neue Magie. Er dachte auch nicht mehr an den weiteren Weg hierher. Auch nicht daran, wie er das Geräusch gehört hatte und wie er vorgeschlichen war. Er bewegte sich leise vorwärts; im Schutze seines Tarnmantels. Dann sah er die beiden Wachen. Es waren zwei Krieger der Größe zwölfjähriger Menschenjungen. Beide waren in Kettenhemden eines dunklen Stahls gekleidet. Beide hatten matt schimmernde Langschwerter gezogen. Der eine besaß kurzgeschorenes platinfarbenes Haar, während der andere lange graue Haare hatte. Neire kam immer näher und konnte die Gesichter erkennen. Sie trugen längst verheilte Narben in ihrer steingrauen Haut und hatten feine, elfisch-schlanke Züge. Beide blickten jedoch aus violett schimmernden Augen einer boshaften Niedertracht. Neire schlich sich in den Rücken einer der Krieger. Die Stimmen kamen nicht von ihnen, sondern aus den Tunneln beider Seiten, die vom Hauptgang hinfort führten. Von dort konnte er ab und an einzelne Sätze hören. Sein Herz raste, doch er musste als erster handeln. Er musste angreifen, bevor sie Zussa und Bargh hören konnten. Er platzierte den Degen und stieß zu. Die Waffe aus grünlich schimmerndem Stahl war fast durchsichtig und wie aus einem Stück geschmiedet. Um den Griff herum ragten acht natürliche Spitzen wie Dorne und Widerhaken hinweg. Nur der Griff der Chaoswaffe war mit weichem Leder umwickelt. Die Waffe glitt fast ohne Widerstand durch den Leib des Kriegers. Sie durchstieß sein Herz und ragte aus der Brust hervor. Augenblicklich wandte sich sein Kamerad um und suchte den Angreifer. In seinen Augen war furchterfüllter Hass zu sehen. „Wir werden angegriffen!“ Die Gestalt hieb mit ihrem Schwert und schrie in der Sprache der Dunkelelfen. Ihre Schläge gingen ins Leere, denn Neire war bereits in einen Gang zurückgewichen. Er lauerte in den Schatten und hoffte auf das Erscheinen seiner Mitstreiter. Als er die nächsten Krieger herbeieilen sah, stieß er wieder zu und zog sich zurück. Er tötete aus dem Dunkel. Einen nach dem anderen. Sie schlugen nach ihm, doch er war eins mit den Schatten und er war zu schnell. Er sah die beiden Kriegerinnen, die von der anderen Seite kamen. Sie waren sehr jung, hatten vielleicht ein menschliches Vergleichsalter von 16 Jahren. Eine hatte silberne Locken. Die andere trug lange graue Haare. Beide waren von schönem Antlitz, trugen Kurzschwerter und Kettenhemden. Neire zog sich wieder in die Schatten zurück. Er hörte das Gemurmel eines Spruches, das auf die Stelle abzielte, von wo er zuvor angegriffen hatte. Eine weitere Frau mit plumpem Gesicht, einer langen, olivgrünen Robe und einem Kettenhemd war aus einem der Tunnel der anderen Seite hervorgetreten. Sie hatte einen Streitkolben und trug eine Messingbrosche eines zusammengezogenen Auges. Außerdem hing das schwarze Amulett der Spinnengöttin um ihren Hals. Neben ihr war ein Mann in einem langen Ledermantel erschienen, der ölig glänzte. Er trug eine Handarmbrust und hatte langes, platinernes Haar. Neire stach zu und tötete einen weiteren der Krieger, die von seiner Seite gekommen waren. Die Dunkelelfen reagierten und richteten ihre Magie auf diese Stelle. Der Dunkelelf hatte seine Armbrust fallenlassen und wob seine schwarze Kunst. Doch wieder war Neire schneller. Eine Kugel aus Säure zerplatzte und fraß sich in ihre eigenen Soldaten. Auch der Schlafzauber der Priesterin ging ins Leere. Neire schlich sich von einem Ort an den anderen und stach zu. Eine der beiden jungen Kriegerinnen starb blutüberströmt. Wieder hastete er hinfort und sah, wie die Luft um ihn herum zitterte. Eine Lanze der Macht zerfetzte weitere der ihn angreifenden Dunkelelfen. Als die Leichen der Krieger den Höhlenboden bedeckten, zeigte er auf den Mann und beschwor seinen Fluch. Danach widmete er sich der Frau. Als Bargh und Zussa endlich heranstürmten, sahen sie die blutüberströmten Leichen und die beiden zitternden Dunkelelfen, die wie eingefroren schienen. Schnell drückten sie die beiden zu Boden und begannen sie zu fesseln und zu knebeln.

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Sitzung 127 - Begegnungen in der ewigen Dunkelheit
« Antwort #147 am: Gestern um 20:32 »
Es war Stille eingekehrt nach dem Kampf. Einzig das schnelle Atmen von Neire, Bargh und Zussa war zu hören. Um sie herum war die dunkle Kaverne, in der sie das nasse Glitzern von Stalaktiten und Stalagmiten sehen konnten. Kleine schwache Lichtpunkte blasser Glühwürmchen tauchten wie aus dem Nichts auf und verschwanden wieder. Ihre Leuchtkraft war zu schwach, um auch nur kleine Bereich zu erhellen. Die Dunkelheit machte die Gerüche intensiver. Sie vernahmen einen modrigen Hauch, der jedoch von dem Gestank von verbranntem und verätztem Fleisch sowie von frischem Blut überdeckt wurde. Neire kam gerade aus den anliegenden Tunneln zurück. Der Jüngling mit den gold-blonden Locken hatte sich einzelne Spritzer fremden Blutes in seinem Gesicht verwischt. Er schüttelte mit dem Kopf und blickte seine Mitstreiter an. „Es waren alle von ihnen. Das Lager scheint noch nicht alt zu sein. Außer Vorräten und einigen wertlosen Gegenständen, habe ich nichts gefunden. Die Männer müssen auf einer Seite und die Frauen auf der anderen gerastet haben.“ Neire deutete mit seiner, durch dunkle Brandwunden vernarbten Hand in Richtung der fortführenden Gänge. „Gut, dann können wir also endlich anfangen. Ich beginne mich zu langweilen,“ erwiderte Zussa, die über dem Körper des Dunkelelfen mit dem langen, platinernen Haar saß und immer wieder seinen Kopf auf den Stein rammte. Neire nickte und zeigte auf die Frau, die von Bargh fixiert wurde. „Wir fangen mit ihr an. Entfernt den Knebel.“ Bargh nickte und wendete seinen vernarbten, großen Schädel der Dunkelelfin zu. Neire sah die Angst in ihren Augen, als sie den roten Rubin sah, der sein rechtes Auge ersetzte und mit seiner Haut verwachsen war. Neire kniete sich über der Dunkelelfin nieder, als Bargh den Knebel entfernte. Er betrachtete ihre Brosche. „Sind alle Frauen eures Hauses so hässlich? Ich kannte einst eine Dunkelelfin aus dem Hause Aleval und sie stand euch nicht nach, in eurem abscheulichen Aussehen. Doch nun ist sie tot… was für ein Jammer.“ Neire zischelte die Worte in der dunkelelfischen Sprache und wartete auf eine Reaktion. Als die Dunkelelfin ihn anspucken wollte, schnellte seine Hand nach vorne und packte sie am Kiefer. Neire spürte die Kraft des magischen Gürtels, den Halbohr ihm aus Urrungfaust mitgebracht hatte und den er jetzt trug. „Wer seid ihr und was ist eure Aufgabe hier? Antwortet!“ Als die Dunkelelfin schwieg, schaltete sich Bargh ein. „Wir können euch laufenlassen. Doch sie dort kann euch in eine Spinne verwandeln und ihr würdet auf immer in den Tunneln wandeln.“ Neire, Bargh und Zussa konnten das Grauen in den Augen der Frau sehen, als die Dunkelelfin begann sprechen. Ihre Stimme war vor Arroganz und Hochnäsigkeit kaum zu ertragen. „Ich habe meiner Herrin stets treu gedient. Ich habe sie noch nie enttäuscht und habe nichts zu befürchten.“ Zussa war sichtlich erbost und antwortete gebrochen in der Sprache der elfischen Unterreichsbewohner. „Lasst sie uns töten, sie ist den Aufwand nicht wert und sie widert mich an.“ Neire nickte Zussa zu, erhob sich und wendete sich dem zweiten Gefangenen zu. „Entfernt den Knebel Zussa. Vielleicht will dieser Mann ja leben.“ Er sprach weiter auf dunkelelfisch. „Wir können euch gehen lassen. Ihr sagt uns wie sie sterben soll. Habt ihr euch das nicht schon immer gewünscht? Also sprecht!“ Der Mann zitterte und schaute unterwürfig die Frau aus dem Hause Aleval an. „Ja, ihr könntet sie einfach töten. Ihr den Kopf abhacken. Ein schneller sauberer Tod. Ihr könnt mich laufenlassen. Ich bin ein Nichts, völlig unwichtig und habe nichts gesehen.“ Neire lachte und stieß Zussa neckisch mit seinem Ellenbogen an. „So uninspiriert, so langweilig. Enttäuscht mich nicht, Elf!“ Zussa fiel in sein Lachen mit einem irren Kichern ein und erhob sich. Sie schritt zu der Frau und begann rituelle Formeln zu murmeln. Sie hatte einen Kokon eines Seidenspinners hervorgeholt, aus dem ein Faden hervorkam, mit dem sie die Dunkelelfin umwickelte. Schon bald begannen die silbrige Umschlingung von allein zu wachsen und die Frau zu umgarnen. Dann verschwand die Priesterin vollständig unter dem neuen Kokon aus Seide. Zussa lachte immer noch, als sie ihren Spruch beendete. Sie blickte sich um und Neire und Bargh konnten einen rötlichen Schimmer in ihren grünen Augen sehen. Für den Moment war ihr Gesicht von dämonenhaften Schatten durchzogen. Aus dem Kokon hörten sie alle ein Kacken von Knochen und ein Schmatzen von Fleisch. Dann sahen sie, wie das Geflecht von innen heraus aufgebrochen wurde. Zuerst tasteten sich lange dünne Beine hervor. Dann erschien eine Weberspinne, der Größe einer menschlichen Hand. Bargh packte zu und griff nach der Spinne. In der Vielzahl von Augen konnten sie eine höhere Intelligenz sehen. Aber da war nur Wahnsinn und Furcht. Die Spinne machte zuckende Bewegungen in Barghs Hand, wurde dann aber langsamer und erstarrte schließlich, in ihrem Tode. Bargh richtete sich jetzt auf und sagte auf Dunkelelfisch. „Was für eine schwache Kreatur. Sehet sie als Zeichen ihrer schwarzen Göttin, wie sie uns unterlegen ist.“ Dabei knirschte der Antipaladin mit den Zähnen und zerquetsche die neugeborene und doch tote Kreatur in seinem Panzerhandschuh. Den Schleim klatschte er mit einer abfälligen Bewegung auf einen Tropfstein, wo der zerstörte chitinerne Körper mit einem Flatschen kleben blieb. Neire wendete sich wieder dem Mann zu, in dessen Augen totales Grauen war. „Ihr… ihr wollt mich gehen lassen? Ich erzähle euch alles. Alles was ich weiß.“ Neire nickte und wendete sich ihm zu. „Wer war sie und was macht ihr hier?“ Bibbernd antwortete der Mann. „Ihr Name war Dhaugara de’Aleval. Eine Priesterin der Spinnengöttin, aus dem Hause Aleval. Wir… wir wachen hier. Sollen Ausschau nach Eclavdra halten.“ Neire lachte. „Dann seid ihr Narren. Eclavdra ist lange tot.“ Die Augen des Dunkelelfen wurden noch größer. „Eclavdra tot?“ Neire nickte und holte die Karte hervor, die sie Eclavdra einst abgenommen hatten. Er zeigte auf die Rune und hielt das Pergament dem Mann vor die Augen. „Was hat es mit dem Gehege auf sich? Was befindet sich dort.“ Der Mann nickte und antwortete. „Es… es sind Sklaven. Troglodyten. Sie werden von anderen Sklaven bewacht. Von Grottenschraten.“ Neire starrte ihn an und fragte: „Gibt es weitere von eurer Rasse dort?“ Die Stimme des Dunkelelfen wurde jetzt fast weinerlich. „Ihr lasst mich gehen, ja? Ich bin unwichtig und werde nichts erzählen. Ich habe euch nie gesehen.“ „Antwortet ihm!“ Brüllte Bargh. „Es gibt Dunkelelfen dort. Nicht viele und ich weiß nicht, wer es ist.“ Bargh schrie den Mann weiter an. „Ihr kommt aus Erelhei-Cinlu? Wie weit ist es bis zur Stadt?“ Für einen Augenblick erstarrte die Gestalt, dann fing er wieder an zu zittern. „Ja… ja… ich komme dorther. Es ist weit. Einige Tagesreisen durch die Tunnel.“ „Und wie kommen wir in die Stadt hinein? Können Reisende passieren?“ Neires Ton war fast besänftigend, als er die Frage stelle. Der Mann redete nun schneller. „Reisende passieren? Nein… ihr würdet nicht am großen Wachturm vorbeikommen. Doch es gibt Händler, denen Zutritt gewährt wird. Sie haben silberne Amulette eines bestimmten Abzeichens.“ Jetzt riss Zussa ihn an seinen Haaren und fauchte ihn an. „Wie sieht es aus, das Abzeichen? Wagt es nicht uns zu betrügen!“ Angstschweiß lief mittlerweile von der grauen Haut des Dunkelelfen. Er stammelte. „Ein Wappen von drei Türmen über einer welligen Linie. Über den Türmen ein Halbkreis. Ich kann es euch aufzeichnen.“ Bargh richtete die Kreatur auf und der Mann begann das Wappen mit einem Stein in einen Tropfsteinzapfen zu ritzen. „Welche Häuser gibt es in Erelhei-Cinlu und wo beten sie die Spinnengöttin an?“ Wieder begann der Mann zu stammeln. „Es gibt acht Häuser in der Stadt. Es sind die Häuser Aleval, Eilserv, Tormtor, Despana, Noquar, Kilsek, Auvyndar und DeVir. Es gibt auch ein Heiligtum, einen Tempel. Doch ich weiß nicht viel darüber. Sie hätte es euch sagen können.“ Er deutete dabei auf den Chitinschleim, der an einem der Tropfsteinzapfen verteilt war. Neire nickte und sagte. „Gut, ihr habt euer Wort gehalten und ihr könnt gehen. Lasst ihn frei.“ Zussa blickte Neire zuerst verwirrt an, löste aber dann die Fesseln des Mannes. Als er sich begann aufzurichten, stand Bargh mit seinem Schwert Glimringshert hinter ihm. „Er hat euch gehen lassen, doch ich sage, ihr seid mein. Ihr gehört nun meiner Göttin.“ Damit stieß er seine Schattenklinge durch die Brust des Mannes. Flammen gingen von dem schwarzen Schwert, als es sich durch sein Herz bohrte. Das Blut des Dunkelelfen begann zu kochen, als er grauenvoll starb. Für einen Todesschrei hatte der zitternde Mann keine Kraft mehr.

~

Sie waren danach durch die Tunnel gewandert. Weiter und tiefer unter die Erde. Es war zuerst etwas kälter geworden. Irgendwann hatte Neire Stimmen und einen Schrei gehört. Dann war er vorgeschlichen. Er hatte einen frischen Leichnam eines dunkelelfischen Händlers entdeckt, der ein klaffendes Loch auf seiner Stirn hatte und dessen Schädel bar eines Gehirnes war. Sie hatten die umgebenden Höhlen durchsucht, aber keine Kreaturen gefunden. Bargh und Zussa hatten von den Gedankenschindern erzählt, die sie in Urrungfaust und in Araphyx bekämpft hatten. Sie hatten von ihren Vorlieben für Gehirne erzählt, die diese Kreaturen aus den aufgebissenen Schädeln anderer Rassen saugten. Sie hatten danach den Leichnam untersucht und eine Menge von Platinmünzen gefunden, die offensichtlich eine Fälschung waren. Sie hatten den leblosen Körper geplündert, hatten eine Händlerplakette erbeutet und waren schließlich den Höhlen gefolgt, die sie der Stadt Erelhei-Cinlu näherbringen sollen. Eine Rast hatten sie in einer kleinen Felsennische des Tunnels verbracht. Neire hatte einen Weinschlauch hervorgeholt und Bargh und Zussa hatten schnell getrunken. Bargh hatte gut gelaunt angefangen zu erzählen. Er hatte Zussa gefragt ob sie wüsste, wie weit es nach Fürstenbad sei. Dann hatte er die Geschichte erzählt, wie er Neire und Halbohr einst in der Jagdhütte getroffen hatte. Sie hatten alle gelacht bei der Erzählung von Bargh, der einige Details – wie die Mär der Jägergilde Halbohrs, der sie alle angehört gehabt haben sollten – nicht vergessen hatte. Bargh war schließlich betrunken eingeschlafen und Zussa hatte sich an ihn gekuschelt. Neire hatte weniger getrunken und die erste Wache übernommen. Er hatte das Nebelheimer Fackelritual durchgeführt und gelauscht. Dann war Zussa von ihm geweckt worden und er selbst hatte sich zur Ruhe begeben. Die Rast war ohne weitere Ereignisse verlaufen und so waren sie wieder durch die ewige Dunkelheit gewandert. Die Luft war bald wärmer und feuchter geworden. Der Pflanzenwuchs hatte zugenommen und sie hatten immer wieder kleine Höhlen mit Pilzwäldern angetroffen. Schließlich waren sie in eine große Höhle gelangt, in der Neire Geräusche gehört hatte. Daraufhin war er wieder vorgeschlichen. Er hatte sich alsbald einer Kaverne genähert, die von Verzweigungen geprägt war. Stalagmiten und Stalaktiten glänzen in weißlichem Kalk in der Dunkelheit. Die feuchtwarme Luft hatte einen säuerlichen Geruch. Neire hörte ein Grunzen aus dem rechten Teil der Höhle sowie Stimmen von Dunkelelfen aus einem anderen. Zudem konnte er den matten grünlichen Schimmer eines großen Wasserbeckens erkennen, in das ein unterirdisches Füßlein floss. Neire schlich sich weiter voran. Er hörte Zussa und Bargh nicht mehr, wähnte sie jedoch hinter sich. Je weiter er kam, desto mehr eröffnete sich die Höhle zur rechten Seite. Er konnte dort große Kreaturen erkennen, die bewaffnet vor weiteren Gängen lauerten. Sie hatten lange Knüppel vor sich auf den Boden gestellt und waren in Lederfelle gekleidet. Die Kreaturen selbst hatten ein hell-braunes, teils rostfarbenes Fell und ihre Schädel erinnerten Neire an eine humanoide Form von Bärenköpfen. Gelbliche Augen starrten listig in seine Richtung. Neire schlich sich jedoch weiter nach links, wo er die Stimmen der Dunkelelfen hörte. Er musste einige riesige Pilze umrunden, zwischen deren schleimigen Lamellen er das Summen dicker schwarzer Fliegen hören konnte. Sein Herz fing an zu pochen, als er die dunkelelfischen Wächter bemerkte, die sich mit übergeworfenen Tarndecken zwischen die Unterreichspflanzen kauerten. Er schritt nun noch langsamer und betrachtete sie aus nächster Nähe. Mit schimmernden rötlichen Augen blickten sie in die Richtung, aus der er kam. Zudem war auf den Bolzen ihrer, in Anschlag gehaltenen Armbrüste eine dunkle, klebrige Substanz zu erkennen. Neire bewegte sich weiter fort und drang in den Tunnel ein, aus dem er jetzt Worte verstehen konnte. „Wann ist die nächste Wachablösung?“ Eine anderer Dunkelelf antwortete. „Bald… bald.“ Neire bewegte sich leise durch die Wohnkaverne, in der er mehrere Krieger an hölzernen Tischen sitzen sah. Aus einer anliegenden Höhle vernahm er plötzlich ein Wiehern und ein Scharren. Zudem waren da beruhigende Worte einer Dunkelelfin. Neire näherte sich dem Geräusch und sah den Schimmer eines Kohlefeuers. Es handelte sich um eine weitere Wohnkaverne, in der sich Kriegerinnen aufhielten. Eine Dunkelelfin war an eine Ecke getreten, in der sich eine monströse Kreatur befand. Dort stieg gerade ein pechschwarzes Pferd mit glühenden Augen und dampfenden Nüstern. Es war muskulös und seine Hufe brannten in roten Flammen. Es hatte die Dunkelelfin mit hasserfülltem Blick gemustert und drohte sie zu zermalmen. Neire näherte sich der anderthalb Schritt großen Frau, die ein Kurzschwert und ein Schild trug. Zudem steckte eine kleine Lanze in ihrem Gürtel, die aus schattenhaftem dunklem Holz bestand. Die Frau war älter und hatte langes silbernes wallendes Haar. Weiter drängte sie die Kreatur in die Ecke, raunte ihr Worte entgegen. „Ruhig, ruhig. Es wird euch nichts passieren.“ Neire war jetzt im Rücken der Frau angekommen und zielte mit seinem Degen nach ihrem Herz. Die Klinge drang durch die Rüstung der Frau, doch im letzten Moment hatte sie sich bewegt. Der Degen glitt ein Stück am Herz vorbei. So schnell es ging zog Neire die blutbedeckte Waffe unter seinen Mantel. Er sah, wie die Frau sich umdrehte und die wabernde Dunkelheit, die er darstellte, versuchte zu durchdringen.