Johan´s Blick wandert von
Helena zu Aleksander und eine gewisse Schwere erfasst seine Gesichtszüge.
„Danke für diese ehrlichen und direkten Worte, Worte wie sie nur die Jugend hervorbringen kann!“
Er stellt sein Glas Wein beiseite und faltet die Hände vor seinem Teller.
„Ich werde ihnen erst ein wenig von meiner Schwester erzählen, nicht zu viel, aber doch genug, dass sie sich ein Bild von ihr machen können. Ich habe ein Gemälde von ihr dabei, falls ihnen das hilft, aber dazu später mehr. Sie müssen verstehen, dass ich ihnen nicht zu viel erzählen kann. Nennen sie es vielleicht einen Test ihrer Fähigkeiten, damit ich weiß das sie kein Scharlatan sind der nur auf leichte Beute aus ist. Nicht das ich das vermuten würde, ihr Anwesen…das Schloss…genießt einen gewissen Ruf und ich denke es würde nicht leichtfertig neue Bewohner akzeptieren. Was schon der Grund ist warum ich mich ihnen überhaupt anvertraue.“
Johan räuspert sich, als würde es ihm schwer fallen über seine Schwester zu sprechen.
„Lisbeth war ein Engel und ein Dämon zu gleich. Es war schon immer so als würden zwei Wesen in ihrem Körper wohnen. Bei ihrer Geburt starb ihre Mutter im Kindsbett. Es schien als wäre ihr Leben untrennbar mit dem Tod verbunden. Ich weiß noch wie wir Kinder in der Bibliothek hockten und die Schreie unserer Mutter hörten und dann die hohen Schreie von Lisbeth und die Flüche meines Vaters. Unser Vater, Gott habe ihn selig, hat immer versucht es zu verbergen, was ihm mal mehr mal weniger gut gelang, aber er gab wohl Lisbeth die Schuld am Tod unserer Mutter. Nach ihrem Tod, wurde er immer verschlossener, mürrisch, ja teilweise aufbrausend und zuweilen auch gemein. Meine kleine Schwester starb im Jahre 1853 mit gerade mal Neunzehn Jahren. Mein Vater, verstarb dann 1855, es muss ihn der Schlag getroffen haben. Die Bediensteten fanden ihn Tot im Salon, den Kopf beim Sturz am Tisch aufgeschlagen. Aber…“ Johan seufzt „…meine Erzählung hier soll nicht von meinem Vater handeln.“
Lisbeth wurde von einer Haushälterin großgezogen, mein Vater mied ihre Gegenwart, meistens. Sie konnte ein liebes Kind sein, aufgeschlossen, unschuldig und rein. Ihre großen Augen und das Haar ließen sie wie eine Puppe wirken. In der Schule zeigten die Lehrer auf sie und im Haus stritten sich die Dienstmädchen darum wer sie ankleiden oder baden durfte. Aber ab einem gewissen Alter entwickelte Lisbeth die Unart andere Menschen zu beißen. Zuerst lachten die Dienstmädchen über Lisbeth zarten, verspielte Versuche sie zu beißen. Eines Tages jedoch hat ein Kindermädchen mit ihr gespielt und Lisbeth biss ihr ohne Vorwarnung in den kleinen Finger. Sie…“ Johan stockt „…sie biss so fest zu, dass der Knochen brach und es blutete. Das Kindermädchen sagte später, dass sie sich von Lisbeth verfolgt fühlte, kündigte kurz nach dem Vorfall und ging weg.
Später als sie groß war, eine wirkliche Schönheit, wurde unser Vater noch distanzierter. Ich glaube er sah in ihr immer ein Teil seiner Frau. Lisbeth hatte die gleichen grauen Augen wie unserer Mutter. Irgendwas sah er in ihr und es war nichts gutes.
Lisbeth liebte es zu lesen, sie war ganz vernarrt in ihre Bücher und wenn sie einen Autor fand der ihr gefiel las sie seine Bücher immer und immer wieder. Dantes göttliche Komödie hatte es ihr mal besonders angetan und für eine lange Zeit schien sie nur in seinen Kreisen des Fegefeuers zu leben.
Mit gerade Siebzehn Jahren ging Lisbeth dann nach Stockholm, sie hatte das Leben auf dem Anwesen satt. Ich glaube sie hatte auch die stillen Anfeindungen unseres Vaters satt. Sie war jung, sehr schön und das quirlige Leben hier in Stockholm, die Gesellschaft lenkte sie ab. Was ich hörte, war, dass sie das Leben in der großen Stadt sehr ausgiebig genossen hat, wenn sie mir den Ausdruck erlauben.
Doch als sie im April 1853, kurz vor der Schneeschmelze wieder zurück auf die Insel kam, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Etwas zehrte sie aus und kein Arzt konnte ihr helfen. Ganz anders als hier in Stockholm suchte sie förmlich nach der Abgeschiedenheit und ihre letzten Tage verbrachte sie allein, wanderte durch die Familienkrypta. Statt auf Gesellschaften oder Festen zu lesen, las sie den Toten Gedichte vor und es schien fast so also wolle sie sich so vertraut wie möglich mit der Krypta machen.
Einmal als ich ihr beim verlesen der Gedichte zuhörte, verriet sie mir, dass sie sich sicher war den Toten näher zu stehen als den Lebenden. Ich bekam eine Gänsehaut und wusste nicht was ich sagen sollte. Im Dezember dann verstarb sie, aber der zarte Klang ihrer Stimme und ihr Wispern hing noch lange in der kalten Luft unserer Krypta.
Jetzt liegt sie neben Mutter, aufgebahrt in einem steinernen Sarg. Das ungewöhnliche war, das wir feststellten, dass ihre Bücher verschwunden waren. Keiner hatte mitbekommen, dass sie sie verkauft oder sonst wie vergeben hatte.“
Johan schluckte und nippte an seinem Weinglas.
„Ich muss wissen was ihr hier in Stockholm passiert ist, was hat sie so krank gemacht, dass niemand ihr helfen konnte!?“
Johan winkte mit einer Geste seiner Hand einen Bediensteten herbei dem er etwas ins Ohr flüsterte.
„Einen Moment bitte!“ sagte er zu euch.
Es dauerte nur wenige Augenblicke und der Angestellte kam mit einem kleinen Rahmen wieder über den ein schwarzes Stofftuch gelegt war.
„Das versprochene Bild meiner Schwester!“
Mit diesen Worten zog Johan das Tuch beiseite und der Bedienstete stellte sich so hin, dass ihr das kleine Gemälde im Schein der Kronleuchter betrachten konntet.