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[Deadlands] Savage West Solo Play
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„Aber, aber, meine Herren!“, ereifert sich Joycelyn, „Wir sind doch keine Claim Jumper! Vielmehr haben wir soeben geholfen, Ihren Strike frei von besessenen Wahnsinnigen zu halten! Zumindest mich sollten Sie etwas besser kennen, Gentlemen, als solche Anschuldigungen vorzubringen!“
„Das — das is' Joycelyn Lancaster!“, sagt einer der Wachposten erstaunt.
Unsere Prominente hat eine 14 als Persuasion-Ergebnis zu bieten. Die Sweetrock-Brutalos nehmen schnell ihre Schießprügel runter.
„Was zur Hölle …!“, sagt ein anderer Wächter, „Seht mal, wir haben es mit diesen verhungerten Drecksviechern zu tun!“
„Nicht mehr!“, trumpft Joycelyn auf, und wechselt einen Blick mit Luca, „und wir sind hier, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist bei Euch Sweetrock-Blödianen. Vielleicht sind da noch mehr Faminites, die hier rumschleichen!“
Der Typ mit der Schrote sagt skeptisch, „Ihr? Ich dachte, Ihr habt Euch letztes Jahr gegen die Sweetrock gestellt! Wenn das Mick Caples und Jim MacNeil wüssten, dass Ihr Euch hier rumtreibt!“
„Wenn Mistviecher wie die hier aus dem Gebüsch gekrochen kommen, müssen alle zusammenhalten!“, versetzt Joycelyn hochmütig, „Hey, bringt uns mal zu Eurem Vorarbeiter!“
Sie wechselt einen schnellen Blick mit Byrd, der zwar noch etwas wackelig auf den Beinen ist, aber ihr schnell zunickt. Sie hat recht: Wenn unsere beiden Charmebolzen die Aufmerksamkeit der Sweetrock-Malocher auf sich ziehen, können sich die drei anderen womöglich heimlich umsehen! Mit Miss Lancasters Persuasion-Wurf von gerade eben fressen die Kerls ihr vorläufig aus der Hand.
Der Water's Edge Strike
Können die drei anderen sich also unbemerkt in dem Trubel absetzen, fragen wir die Orakelwürfel. Diese bestätigen ganz knapp.
Nur wie finden die Timmy Derrick? John Bloody Knife versucht, eine Fußspur zu finden, abseits der üblichen Trampelpfade um den Water's Edge Strike herum, und siehe da, der Indianerkrieger erzielt ein Raise.
„Hier!“, raunt er, „eine Handvoll Männer, und begleitet von einem Jungen! Nicht lange her …“
Ist das bereits unser nächster Clue? Dies ist ein Relevantes Gebäude nach der FlexTale-Logik, und der W20-Wurf entscheidet, ja!
Die Fährte führt jedoch nicht ins Innere der großen Minen-Anlage, sondern zwischen den Felsbrocken hinauf, immer höher.
Da mache ich mal einen GM Move, um zu sehen, was uns hier erwartet. Ein Zufallsereignis! Mystically Oppose Future Plans, sagen die Karten. Oho? Laut den Orakelwürfeln geht es um die Zukunftspläne einer der Fraktionen. Ich würfle mir dementsprechend eine Zufallsfraktion aus, und bekomme (passend zur mystischen Vorgehensweise) die Whateleys! Stecken die etwa hinter dem Auftauchen der Faminites eben? Wollen die sich vielleicht den Water's Edge Strike holen? Die Orakelwürfel entscheiden, ersteres. Also sind Agenten der Whateleys hier, nicht, um ihre eigenen Kassen zu füllen, sondern, um die Sweetrock-Explorateure in Angst und Schrecken zu versetzen.
Mallory Kentrall würfelt Notice, und erneut ist sie diejenige, die das Nahen der Schreckgestalten vorausahnt:
„Köpfe runter! Hier sind noch mehr Faminites!“, zischt sie, und die drei Schleicher gehen zwischen den Felsen in Deckung.
Mallory mischt ihre Karten, und vernimmt leises Gewisper aus dem Jenseits, sie wirkt weggetreten. Sie verwendet Detect Arcana, und mit einem Erfolg tragen die Stimmen ihr zu, dass die Quelle dieser Aktivitäten ganz in der Nähe ist, schwarze Magie treibt die Faminites voran, wie unsichtbare Marionetten-Fäden.
„Das ist alles kein Zufall …“, murmelt die Hucksterin, „wir sind nicht die einzigen, die diese Erkundungsmission stören wollen …“
„Die Spur führt weiter aufwärts!“, raunt John, der im Kies letzte, vereinzelte Fußabdrücke ausmachen kann.
„Wenn ich die Quelle des Bannes ausmachen kann, kann ich die Kontrolle des Übeltäters über die Faminites beenden!“, wispert Mallory, hektisch ihr Kartendeck mischend.
„Aber dadurch gehen Monster nicht weg …“, knurrt John angewidert.
„Nein“, gibt Mallory zu, „ab dann hat unser Gegner nur keine Kontrolle mehr über sie.“
„Dies erscheint mir alles sehr riskant!“, flüstert Marcus, „Ich vermag auch nicht zu sagen, ob ich derartige … Phänomene gut heißen kann, Miss Kentrall! Vor allem darf dies hier nicht im Desaster enden, mit noch mehr Blutvergießen!“
Ich würfle Notice für unsere lauschenden Wild Cards, und alle drei liefern stattliche Resultate um die zehn ab. Ihre verborgene Widersacherin jedoch kommt mit ihrem Stealth-Ergebnis auf 28! Wer immer das ist, sie weiß sich versteckt zu halten, während sie ihren Zauberbann aufrecht erhält! Gleichzeitig erspäht sie von ihrer erhöhten Position jedoch die drei Schleicher!
Das' schlecht! Daraufhin mache ich einen Failure Move, und bekomme Advance a Threat! In diesem Fall liegt es auf der Hand, was passiert — einige der Faminites ändern ihr Ziel, und stellen nicht mehr den Sweetrock-Explorateuren nach, sondern nun den Wild Cards! Die Orakelwürfel entscheiden, dass das klar zu vernehmen ist, denn die ausgezehrten Monster kraxeln lautstark röchelnd und schmatzend auf die Position der Helden zu, einige zeigen sich sogar offen in ihrer Fressgier!
Das ist eine klasse Gelegenheit, um einen Dramatic Task zu machen! Die Wild Cards müssen den Sweetrock-Trupp mit Timmy Derrick finden, bevor die herannahenden Faminites sie erreichen! Ich brauche 12 Task Tokens in drei Runden.
Runde 1: Miss Kentrall hat einen Joker. Sie beschwört aus glühend blauem Ectoplasma wieder ihre geisterhafte Säbelklinge herauf, wie letzten Herbst, lässt sich zurückfallen zum Schlusslicht der Gruppe, und würfelt diese Runde Fighting; alle Faminites, die allzu nah heran kommen, werden von der Energieklinge durchbohrt! Sie kommt auf eine 10 und verdient uns zwei Task Tokens.
John eilt vornweg, und verfolgt weiter die Spuren im Kies, und steuert mit Survival ein weiteres Task Token bei. Marcus lässt mehrmals taktisch geschickt heißen Dampf aus dem Boiler in seiner Schulter ab, und verbirgt dadurch die drei Fliehenden vor den Augen der Faminites. Sein Weird Science-Erfolg bringt das vierte Task Token.
Runde 2: Mallory wischt sich die von blauem Plasma verschmierten Strähnen aus den Augen, und versucht im Rennen zwischen ihren wütenden Säbelstreichen einen Überblick über die Situation zu bekommen. Vielleicht endlich ein Zeichen von dem versteckten Schwarzmagier? Ihr Notice-Erfolg bringt das fünfte Task Token ein. Marcus ist nicht ganz schlecht als Geologe, er versucht eine Einschätzung der richtigen Richtung zu bekommen, anhand des Aussehens der Felsen. Mit Science ergattert er zwei Task Tokens, und dirigiert seine Freunde dorthin, wo es am wahrscheinlichsten Erzeinlagerungen geben könnte. Hier sind auch die Fußabdrücke im Kies wieder zu entdecken! John lässt seine Knochenspieße sprechen, und wirft ein paar der Faminites damit ab, wenn sie zu nahe kommen. Ein Erfolg holt Task Token Nummer acht.
Runde 3: Noch vier Tokens müssen eingespielt werden in dieser finalen Runde, sonst gibt’s einen offenen Kampf gegen die ausgemergelte Meute! John beginnt, er lässt sich nun ebenfalls von der Spitze zurückfallen ans Ende, hebt sein riesiges Kriegsbeil, und beginnt Schulter an Schulter mit Mallory Faminites zu fällen. Mit einer zwölf als Fighting-Resultat hackt er ein knappes Dutzend der Monster in Stücke, und gewinnt drei Task Tokens für uns! Jetzt hängt es nur noch an Mallory, denn sie hat diese Runde eine Kreuz-Karte bekommen, und dadurch eine Complication! Wenn ihr Wurf wegen dem -2-Abzug scheitert, so scheitert auch der Dramatic Task! Von gierigen Krallenhänden zurückgedrängt verliert sie das Gleichgewicht und rutscht die Geröllhalde ein Stück hinunter … auf eine der größeren Meuten aus Faminites zu, die ihr wütend entgegen heulen! Wenn sie umzingelt wird, bleibt den anderen beiden nichts anderes übrig, als ihr hinterher zu eilen, und dann werden die Faminites sofort den Ring um sie schließen, dann ist ein offener Kampf unausweichlich! Ich muss zwei Bennies in Mallorys Fighting-Wurf buttern, um diesen Ausgang zu vermeiden. Der dritte Anlauf klappt! Sie enthauptet mit gefletschten Zähnen eine Kreatur mit ihrer glühenden Klinge, bevor sie umstellt wird, kraxelt auf allen Vieren panisch den Abhang wieder hinauf. Ein besonders flinker Verfolger bekommt einen Rückwärts-Säbelstoß in den Brustkorb verpasst (man denke an ‚Fluch der Karibik 2‘)! Das ist dann auch das letzte Task Token, teuer erkauft. Marcus winkt mit dem Maschinenarm die beiden Nahkämpfer in eine schmale Felsspalte hinein, hier drinnen muss der gesuchte Trupp verschwunden sein.
Die Orakelwürfel entscheiden, dass die Sweetrock-Kerle hier drin ordentlich verängstigt sind, man hört sie atmen, und gelegentlich miteinander raunen. Sie haben vorhin Timmy Derrick in diese Höhle gebracht, damit die kleine Kröte zwischen den Felsspalten nach Ghost-Rock-Adern sucht. Auch hier sind mittlerweile Faminites gewesen, zwei ihrer ausgezehrten Kadaver liegen im Eingang, die Sweetrock-Schergen haben sie zersiebt. Aber sie wissen, dass da draußen noch viel mehr sind.
Ist Timmy Derrick ein Stück abseits zu finden? Die Orakelwürfel sagen, überdeutlich ‚ja, und außerdem‘! Die Schweine haben ihn nahe des Höhleneingangs zurückgelassen, gefesselt und geknebelt, um ihn den Faminites vorzuwerfen wie ein Spanferkel, sollte die Meute hier hinein finden! Nur, um sich selbst ein paar wertvolle Sekunden zum Gewehre anlegen zu verschaffen!
Da wir hier in einem Relevanten Schauplatz sind, würfele ich auf der Clue-Tabelle, dies ist unser dritter Hinweis zum Erfüllen der
Queste: Timmy Derrick von der Sweetrock zurückentführen und im Waisenhaus in Sicherheit bringen (Clue Target 3\3).
Jetzt müssen wir die kleine Rotznase nur noch still und heimlich aufsammeln! Das ist ein Job für John Bloody Knife. Lautlos pirscht er sich vor, und schultert den Gefesselten. Der quiekt natürlich panisch, für ihn ist der unbekannte Sioux-Krieger das zweitschlimmste nach den Faminites draußen! John knurrt angewidert, er findet Bleichgesichter-Kinder fast genauso scheiße wie erwachsene Bleichgesichter. Die verängstigten Explorateure drinnen in der Höhle spannen die Hähne ihrer Knarren, sie hören nur die gedämpften Stimmen, und vermuten, ihr letztes Gefecht würde vielleicht jetzt beginnen.
Ich mache einen GM Move, und bekomme, Advance a Plot.
„Hört Ihr? Das war’s für uns! Das sind die verdammten Whateleys!“, hört man einen der Kundschafter raunen, „Von wegen Kaufinteressen! Die wollen uns einfach nur den Garaus machen!“
„Das is' diese eine von denen, die, die nachts allein auf'm Elephant Hill zu seh'n is'!“, zischt ein anderer zur Bestätigung, „Hab' die vorhin genau gesehen, oben zwischen den Felsen! Hab' Euch gewarnt!“
Soso, nachts allein auf dem Friedhof …?
Aber kommen wir unbehelligt runter von dem Felsenhang? Unwahrscheinlich, denn die Verfolger-Horde weiß zwar nicht mehr, wo genau die Wild Cards sind, aber sie sind immer noch ein Dutzend oder so, und suchen wie wild! Die Orakelwürfel werden mit geringstmöglicher Wahrscheinlichkeit gerollt … und sagen, dass die Wild Cards tatsächlich freie Bahn haben!
☆
Joycelyn hat ordentlich aufgetrumpft mit einzelnen Erlebnissen, die sie zu berichten hatte beim Haupteingang des eigentlichen Water's Edge Strike. Als ihr nichts mehr eingefallen war, hat sie den sehnlichen Wunsch einiger der Vorarbeiter erfüllt, und ein paar ihrer berühmten Cowboy-Lieder gesungen. Byrd hat rumgestanden und fröhlich geguckt, und nebenher drauf geachtet, dass niemand der ungewaschenen Schürfer allzu frech der holden Dame gegenüber wird. Eine zitterige Miss Kentrall kommt sie schließlich einsammeln, die Haare zerwühlt, und getrocknete Reste einer bläulichen Substanz um die Augen verteilt, die ihr Erscheinungsbild noch alarmierender macht. Joycelyn wirft noch ein paar Kusshände, und wird von ihren Verehrern schmachtvoll verabschiedet.
Timmy Derrick der kleine Stinkstiefel, wenn er einen besseren Tag hat als beispielsweise heute!
„Du bist also dieser abenteuerlustige, ungehobelte Timmy Derrick, nicht wahr?“, fragt Mister Perriwinkle, als er außer Sicht des Mineneingangs den Knebel löst.
„Sie verdammten Arschpickel!“, schimpft Timmy sofort los, „Lassen Sie mich frei!“
„Ja, ja“, sagt Byrd, „aber nicht gleich hier, damit Du kleines Wiesel sofort zur Sweetrock zurück wieselst! So machen Wiesel wie Du das doch am liebsten, immerzu hurtig wieseln!“
„Nee, danke! Boah, Sie Scheißer! Und Scheißer sind die auch, zu denen geh' ich doch nicht zurück, die wollten mich dem Butzemann vorwerfen!“
„Er hat wirklich ein kleines Schandmaul, dieser Knabe“, sagt Marcus, und rückt pikiert seinen Fez-Hut zurecht.
„Da wird man Dich alsbald eines besseren zu belehren wissen, wenn das Schulhaus fertig gebaut ist!“, rügt Miss Kentrall, „Deine Umgangsformen lassen arg zu wünschen übrig.“
„Schule?! Pfui Deibel!“, quengelt Timmy.
„Ich glaube, ich muss Geraldine bitten, ein besonderes Auge auf den Kleinen hier zu haben in nächster Zeit!“, sinniert Byrd.
Timmy schaut zu ihm auf, jetzt erkennt er den Gunslinger endlich: „Ach Sie sind das! Der Hundsfott, der die Montmonty-Göre bei uns angeschleppt hat!“
Byrd hebt verschmitzt den Zeigefinger, und belehrt, „Ah-ah-ah, nenn' Sie besser nicht Montmonty, das ist falsch, und Du willst doch nicht von einem Mädchen Deine kleine Schnauze poliert bekommen, Timmy! Geraldine ist sehr wahrscheinlich stärker als Du!“
Joycelyn geht dazwischen, „Jetzt ist aber mal gut! Der arme Junge ist ganz verstört. Er muss unbedingt auf den rechten Pfad zurückgeführt werden. Komm' Timmy, wir bringen Dich jetzt in Sicherheit! Und keine Kraftausdrücke mehr, okay?“, und sie nimmt den Jungen bei der Hand.
„Wo ist meine verschissene Zwille überhaupt? Ich will meine gottverdammte Zwille wiederhaben!“, nörgelt der, er scheint nicht richtig zugehört zu haben.
Er lässt sich aber trotzdem brav mitnehmen.
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Advances
Nach dieser Session gibt es neue Advances für die beteiligten Wild Cards.
Byrd: Smarts ➜ W8
Joycelyn: Smarts ➜ W8
John: Agility ➜ W8
Marcus: Shooting ➜ W6 & Stealth ➜ W6
Mallory: Intimidation ➜ W4, Notice ➜ W6
☆
Dann bleibt noch eine Angelegenheit: Der Haken bei diesem Auftrag war ja ursprünglich, dass nicht alles ist, wie es scheint …
Als die Wild Cards beim abendlichen Waisenhaus eintreffen, treten ihnen im Schlendergang eine Gruppe von Bewaffneten entgegen. Der Mann in ihrer Mitte trägt einen eleganten Spazierstock, und einen perfekt sitzenden Anzug, und dazu seine charakteristische Pelzmütze. Hinter Flatbush sind unter anderem Corky Hendricks und der fette John Templeton zu sehen.
„Howdy, Mister Byrd! Was schleichen Sie denn hier so herum zu später Stunde!“
Byrd tippt sich an den Hut, und deutet schulterzuckend auf Timmy Derrick, „Wir müssen einen kleinen Ausreißer zurück nach Hause bringen!“
Warum fragt Deputy Flatbush so blöd? Noch dazu auf offener Straße; die Law Dogs riskieren doch ihre eigene Deckung, die wollten doch mit der Sache bloß nicht in Verbindung gebracht werden!
„Schon klar. Kann ja jeder sagen!“, lacht Flatbush, und die Deputies hinter ihm ziehen ihre Pistolen!
„Wie beliebt? Na, was sollen denn die Bleispucker, sagen Sie schnell!“, sagt Byrd.
„Sie sind festgenommen, Luca Byrd. Wegen Kindsentführung und so weiter! Ist ja nicht das erste Mal, dass sie wen heimlich wegschaffen wollen, wie? Wenn man den Gerüchten glauben will!“
„Kapiere ich nicht ganz, Deputy!“, sagt Byrd, lüpft seine Hutkrempe und kratzt sich am Hinterkopf, „Sie haben doch …“
„Einen Scheißdreck haben wir, Sie Komiker! Sie haben sich den vermissten Timmy Derrick geschnappt! Wir haben Sie auf frischer Tat ertappt. Dafür wandern Sie jetzt erstmal in unser Kittchen. Und der Junge kommt ins Waisenhaus zurück!“
„Aber da wollten wir ihn doch gerade …“
„Schnauze!“, raunzt John Templeton, „Machen Sie’s nicht noch schlimmer für sich, Byrd! Ist Ihnen nicht klar, wie das hier aussieht?!“
Joycelyn braust auf, „Wie das hier aussieht? Als seien wir die Helden des Tages, danach sieht das aus! Ein unschuldiges Kind haben wir den Fängen der Sweetrock entrissen!“
„Ihr seid alles total verschissene Arschlöcher!“, quakt Timmy Derrick in dem Moment.
„Wir haben ja außerdem Zeugen!“, legt Joycelyn nach.
„Ach ja, Zeugen?“, fragt Charlie Flatbush gut gelaunt.
„Ja, äh … na ja!“, stammelt sie, als ihr klar wird, dass die Sweetrock-Arbeiterschar von vorhin gar nichts gesehen hat, und daher auch nichts bezeugen kann — und der Trupp von Explorateuren in der Höhle entweder mittlerweile von den Faminites verputzt worden ist, oder tausend bessere Sachen vorhätte als ihrem Aufgebot zu helfen!
„Fresse halten jetzt, und Abmarsch!“, blafft der dicke Templeton, „Sie können sich morgen früh weiter unterhalten, da ist Besuchszeit in unserer Zelle im Sheriff’s Office!“
„Heiliger Windbeutel, Leute!“, sagt Byrd, und hebt die Hände, aber dabei muss er schon wieder grinsen, „Ihr Law Dogs seid ja abgewichster als man sich gedacht hätte!“
Die Deputies legen ihm Handschellen an, schön die Hände auf den Rücken, damit er nicht noch renitent wird. Im Waisenhaus gehen indessen die Lichter hinter mehreren Fenstern an, und Kinder drücken sich bestürzt die Nasen platt an den Scheiben beim Anblick der Festnahme.
„Luca!“, schreit die aufgeregte Stimme von Geraldine, und sie kommt in ihren übergroßen Stiefeln aufgescheucht aus dem Gebäude gerannt.
Mallory und Marcus fangen sie geistesgegenwärtig ab, bevor sie sich heroisch zwischen die Hilfssherriffs und den Gefangenen werfen kann. Sie sieht ganz danach aus, als hätte sie genau das vor!
„Na na, das klärt sich alles auf!“, sagt Miss Kentrall.
„Lasst mich los! Lasst mich durch!“, jammert Geraldine dramatisch.
„Keine Sorge, die behalten mich nicht lange! Und kannst mich ja morgen besuchen!“, ruft Byrd lächelnd dem Waisenkind zu, und die Deputies fragt er, „Was, Freunde? Wann sagtet Ihr, beginnen Eure Besuchszeiten im Office?“
„Abmarsch jetzt“, wiederholt Templeton, nachdem Corky Hendricks Byrds Waffengurte einkassiert hat, und er spannt drohend den Hahn seines Colt.
„Ja ja, die Gerechtigkeit obsiegt mal wieder!“, freut sich Charlie Flatbush mit feistem Grinsen, „Einen schönen Abend noch allerseits! Und Ihr lasst Euch das eine Lehre sein, Kinderchen, dass Ihr mir nicht auf die schiefe Bahn geratet!“
Joycelyn und Marcus stehen noch lange draußen auf dem hölzernen Bürgersteig vor dem geschlossenen Sherriff's Office, und reden aufgebracht auf die Deputies ein. Die rücken aber keinen Zoll ab von ihrer absurden Behauptung, Byrd sei auf frischer Tat ertappt worden, und wiederholen immer wieder, dass sie eben ihre Befehle hätten.
Drinnen ist Luca in eine der kleinen Zellen geschubst worden.
„Gottseidank, ich dachte schon, Ihr werft mich noch in dieses Zelt mit dem Erdloch und dem Holzgitter drüber! Da hätt' ich aber Rabatz gemacht!“, sagt er, als er es sich auf der Pritsche bequem macht, so gut es mit den gefesselten Händen geht.
„Das benutzen wir den Winter über nicht mehr!“, knurrt Templeton, „Ist uns zwischen den Jahren einer drin erfroren! Aber bald ist auch unser richtiges Gefängnis fertig gebaut, Byrd, keine Sorge.“
„Au ja! Aber bis dahin bin ich doch wohl hier wieder raus, was?“
„… Wie haben Sie mich genannt, Byrd? Das ist Beamtenbeleidigung!“, grollt Templeton, „Ich soll Ihnen wohl was auf die Schnauze hauen!“
„Wieso, wie hab' ich Sie denn genannt, Mister Templeton? … Wo ist eigentlich Sheriff Coleman? Weiß der, was hier so vor sich geht?“
Charlie Flatbush im Hintergrund gießt sich Kaffee in eine Blechtasse, und grinst, „Coleman ist draußen auf den Trails, der hat eine frische Spur von der Blackjack-Bande! Sie müssen heute mit uns Vorlieb nehmen!“
„Auch schön! Was gibt’s eigentlich zum Abendessen?“
„Oh Mann, Templeton, er hat es schon wieder gesagt! Das ist wirklich Beamtenbeleidigung!“, sagt Flatbush, und pustet in seine Blechtasse.
Templeton schließt also wutschnaubend die Zelle wieder auf, und haut Mister Byrd was auf die Schnauze!
„Das gibt aber ein blaues Auge, Jungs! Das steht mir nicht so gut zu Gesicht!“, flachst der munter weiter, jetzt aber in weniger provokativem Ton.
„Vielleicht hilft das, Dein Mütchen zu kühlen, Du Mistkerl!“, grummelt Templeton, und wirft die Zellentür wieder zu, dass es scheppert.
„Ja, ja! Und eine Nacht hinter der Metall-Gardine hat auch schon so manch einem das Mütchen gekühlt!“, schmunzelt Flatbush, „Schlafen Sie mal gut, Mister Byrd! Morgen reden wir weiter!“
Ja, das stand noch aus: Das Orakel hatte zu Beginn des Abenteuers angegeben, dass die Auftraggeber eine Art ‚Double-Cross‘ vorbereitet hätten, sie wollten das Aufgebot zusammen mit Sweetrock in die Pfanne hauen!
Am nächsten Morgen sind sie alle im Sheriff’s Office versammelt: Joycelyn, Marcus, die hibbelige, blasse Geraldine, Luca, in seiner blöden Zelle natürlich, jetzt tatsächlich mit einem schönen Veilchenauge, und Mallory Kentrall, die sich im Hintergrund hält und ihre biedere Rüschenhaube tief ins Gesicht gezogen hat, aus Angst vor zu viel Aufmerksamkeit. Nur John hält sich fern, er verabscheut die Bürokratie der Bleichgesichter zu sehr. Und jede Menge Hilfssherriffs. Es wird seit fünf Minuten ärgerlich durcheinander geredet.
„Ruhe! Coleman ist da!“, sagt plötzlich in eindringlicher Stimme Deputy Hendricks, die durch die staubblinden Scheiben nach draußen gespäht hat. Dort sind tatsächlich Pferdewiehern und Stiefelsporen zu hören!
Coleman tritt ein, ganz die Ruhe selbst, sein wettergegerbtes Gesicht grimmig aber reserviert, wie meistens. Einige Deputies salutieren, oder tippen sich an die Hüte. Joycelyn legt unwillkürlich die Hände auf Geraldines Schultern, und zieht sie etwas näher an sich.
„Howdy allerseits“, sagt J. P. Coleman, „Nett, dass man Sie allesamt mal wieder in der Stadt sieht! Fehlen nur noch Bloody Knife, Shadrack, und Miss Wickett.“
„May B. und Rex haben das Land verlassen“, sagt Joycelyn heiser, und denkt, dass das keine Lüge ist, sie haben ja auch den Planeten Erde verlassen.
„Schade, mit denen wollte ich auch noch reden“, sagt Coleman. Dann sieht er sich unter seinen Männern und Frauen um, und knurrt, „Los, kommt schon, Leute, geht da draußen mal wieder an die Arbeit! Hier drin steht man sich ja gegenseitig auf den Füßen!“
Zögerlich gehorchen die meisten der Deputies, nehmen ihre Schießeisen, und trotten nach draußen. Coleman kneift sich in die Nasenwurzel, er ist voller Präriestaub, wahrscheinlich hat er die Nacht durchgemacht auf der Jagd nach den Blackjacks, oder den Walkin' Dead.
„Sheriff Coleman!“, erhebt Marcus seine leise, aber eindringliche Stimme, „Als Repräsentant des Collegiums für Interräumliche Physik möchte ich meine Empörung ausdrücken über diese gestrige Inhaftnahme! Derart doppeltes Spiel sieht dem Sheriff Department gar nicht ähnlich!“
Coleman winkt ab, „Da sprechen die Berichte meiner Leute leider eine ganz andere Sprache, Mister Perriwinkle! Irgendwann mussten Sie ja den Bogen überspannen. Haben Sie denn gar keine Neujahrsvorsätze gemacht? Sie machen ja genau so weiter wie letztes Jahr!“
„Was soll das denn bedeuten?“, entfährt es Joycelyn, „Wir sind verdammt noch mal die Helden dieser Stadt! Sie wissen genau, was zu Halloween passiert ist, sie haben den Kadaver des Dings selbst gesehen, und die Mistforken!“
Coleman schaut zweifelnd, „Und gesehen habe ich auch einen Bericht über einen ungeklärten Einbruch im Sweetrock-Firmengebäude, mit zwei ermordeten Nachtwächtern! Über heimliches Einschleichen in unser Gefangenenzelt im Sommer. Über kurze aber heftige Kampagnen der Volksverhetzung gegen die Sweetrock Mining Company, und die Familie Whateley! Geschichten von einer Allianz mit einem kriegerischen Indianerlager! Und jüngst einer Frau, die dem Kirchendienst entrissen wird, um ihr zur Flucht zu verhelfen.“
„Schon alles irgendwie toll, das zusammengefasst aus Ihrem Munde zu hören, Sheriff“, strahlt Byrd in seiner Zelle, „Haben Sie davon noch ein paar mehr auf der Pfanne?“
Geraldine dreht sich zu ihm um, und muss plötzlich lachen.
„Ich gehe stark davon aus, Sie und Mister Flatbush wollen hier ein Exempel statuieren, Sheriff!“, sagt Perriwinkle beherrscht, „Ich verstehe nur nicht, aus welchem Grunde. Wir sind alle auf derselben Seite!“
Coleman setzt sich auf den Stuhl an seinem schrabbeligen Holzschreibtisch und legt die Füße auf die Platte, „Ja, ist das so? Das wüsste ich gerne genauer, Mister Perriwinkle! Dafür hätte ich gerne einen stichhaltigen Beweis, ehrlich gesagt! Byrd hier und Shadrack wurde eine Nähe zu den Eisenbahngesellschaften nachgesagt. Über Wickett wurde getratscht, sie sei mit Victor Navarro gesehen worden, von dem es heißt, dass er verdeckt für die Blackjacks agiert! Ihr Aufgebot hat mit allen möglichen Interessenvertretern dieser Region zusammengearbeitet, als freischaffende Explorateure, und als Revolverhelden!“
„Na, aber das ist doch überhaupt nicht ungewöhnlich!“, protestiert Byrd, „Was spricht denn dagegen, ein paar Silberdollars als Sold zu nehmen vom Höchstbietenden?“
„Im Großen Eisenbahnkrieg mag das ja Gang und Gebe sein“, sagt Coleman und kratzt sich am Arsch, „Aber Sie sind ja keine richtigen Söldner. Sie … sind irgendwie anders motiviert. Vielleicht sind Sie Fortschrittsfeinde, wie die Indianer? Aber was macht dann Mister Perriwinkle in Ihrem Aufgebot ...? Was sollte Lancasters aufrührerische Kampfrede in der Zeltstadt, zu Halloween? ... Shadrack hat was Bestimmtes in Gomorra gesucht, und Sie übrigen Galgenvögel betrifft das auch!“
„Recht und Ordnung haben stets profitiert von unseren Taten!“, versetzt Joycelyn erhobenen Hauptes.
„Und jetzt soll ich mich einfach darauf verlassen, dass das schon so weitergehen wird?“, fragt Coleman sie prompt, „Hören Sie. Ich habe seit Neuestem die beiden Regierungen hier in meiner Stadt. Man hat das noch nicht genau mitgekriegt, aber das wird sich bald ändern. Die werden hier ganz gewaltig Druck machen! Ich habe hier Howard Findley als den absoluten Blockierer, und Black Jack Jackson als den vollendeten Störenfried! Das Gomorra Valley ist nur einen Schritt weit davon entfernt ein einziges Kriegsgebiet zu sein! Ich werde hier für Recht und Gesetz sorgen. Koste es, was es wolle.“
„Und was können wir dabei für Sie tun, Sheriff?“, fragt Byrd.
„Von Ihnen verlange ich gar nicht so viel! Auf Sie … will ich mich einfach künftig verlassen können.“
Eine Weile ist es still im Raum.
Coleman fährt schließlich fort, „Deputy Flatbush wird Ihnen gleich Ihre Bezahlung geben für den Eskorteauftrag. Keiner außerhalb dieses Raumes wird je wieder davon sprechen. Gegen Byrd lassen wir alle Anschuldigungen von gestern wieder fallen.“
„Hört, hört!“, freut sich dieser.
„Ja. Und dann gehen Sie mir aus den Augen …“, sagt Coleman, und steht aus seinem Stuhl auf, „Aber wenn ich einen von Ihnen irgendwann wieder Scheiße bauen sehe wie bisher — und ich rieche Scheiße fünf Meilen gegen den Wind! — dann kommt sofort wieder alles auf den Tisch! Ist das von allen hier verstanden worden?“
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