Liebe Leute,
ich möchte ein paar Gedanken und ein Konzept mit euch teilen.
Es kommt immer wieder die Frage auf, warum Systeme sich großer Beliebtheit erfreuen, die eigentlich aufgrund ihrer Merkmale ungeeignet für die Spieler erscheinen.
DSA, Pathfinder, D&D, Splittermond, Midgard, haben, bei aller Unterschiedlichkeit, als gemeinsames Merkmal eine Fülle von Regeln und Mechanismen, die in Summe kaum als "spielbar" zu bezeichnen sind. Dazu kommt, dass viele Spieler und Spielleiter eher geringe und lückenhafte Kenntnisse dieser Regeln haben und diese entsprechend im Spiel nicht oder "falsch" zur Anwendung bringen.
Man kann dazu meinen, die Leute spielten alle das falsche System, sie bräuchten etwas einfachereres, eingängigeres. Meine Erfahrungen stützen das nicht - die meisten Leute kommen mit den genannten Systemen erheblich besser zurecht, als mit regelleichteren Alternativen. Auch wenn es natürlich Abstufungen inb der Komplexität und individuelle Vorlieben gibt.
Ich meine, dass die Erklärung in einem sehr verbreiteten Spielstil liegt, der bisher nicht beschrieben worden ist. Diesen Spielstil, welcher (zumindest in Deutschland) lange der vorherrschende war, vielleicht immer noch ist, möchte ich "impressionistisches Regel- und Weltverständnis" (der Einfachheit kurz: "impressionistisches Rollenspiel", IR) nennen.
Viele Rollenspieler wünschen sich eine umfassend beschriebene Welt, in die man eintauchen kann. Es ist nicht wichtig, das tatsächlich zu tun; es reicht das Wissen, dass die Welt beschrieben worden ist und theoretisch lesbar ist. Das bedient IR.
Viele Rollenspieler wünschen sich Regeln, welche alle möglichen Situationen im Detail beschreiben und abhandeln können. Es ist nicht wichtig, das im Spiel dann tatsächlich zu nutzen, es reicht das Wissen, dass es diese Regeln gibt. Für die Praxis reichen flexible und handhabbare Lösungen, die sich grob an Eindrücken aus Regel- und Quellenmaterial orientieren. Das bedient IR.
Viele Rollenspieler haben als Spieler gar keinen Bedarf an Regelungen bis ins letzte Detail und überlassen die Ausgestaltung gern dem Spielleiter. In der Praxis kann, nach dem Geschmack der meisten Rollenspieler, sehr viel gehandwedelt werden und Regelfehler fallen fast niemandem auf. Gleichzeitig wünscht man sich, dass es irgendwo geregelt ist, dass man "bei Bedarf" darauf zurückkommen könnte - und beschließt dann in der Regel, das nicht zu tun. Es ist - in einem gewissen Umfang - trotzdem auch möglich und akzeptiert, auf "die Regeln" oder "den Hintergrund" zu verweisen und daraus Gestaltungsrichtlinien abzuleiten. Das funktioniert mit IR sehr gut.
Viele Rollenspielgruppen vereinen Rollenspieler mit recht unterschiedlich ausgeprägtem Interesse an den Regeln und am Hintergrundmaterial. IR ermöglicht es allen, Aspekte ihrer eigenen Interessen einzubringen und aufgrund eines breiten, gemeinsamen Horizonts, eine Grundlage für gemeinsames Rollenspiel zu finden.
Das alles ist, behaupte ich, kein Defekt, sondern Teil eines Konzepts, nämlich IR.
IR schöpft nämlich aus der Fülle. Beim Durchblättern, oder auch nur beim Überfliegen der Titel und Titelbilder der Bände mit Material und Regeln, formen sich Ideen und Vorstellungen, aus denen dann ein gemeinsamer Horizont entsteht. Es entsteht ein gemeinsames Bild davon, wie Rollenspiel ungefähr funktioniert, wie die Welt ungefähr aussieht und was die Stimmung dieser Welt ist, was angemessene Figuren, Szenarien etc. sein könnten. Das vielfältige Material erlaubt außerdem, sich mit der Welt und den Regeln zu umgeben. Auch wenn man nicht konzentriert liest und auswendig lernt, formt sich so doch ein Bild, eben eine Impression. Und die wird dann gespielt. Das ist IR.
IR ist kein geplantes Rollenspielkonzept, sondern ist historisch entstande und organisch gewachsen. IR ist für die meisten Rollenspieler, zumindest in Deuschland, das Rollenspiel ihrer Jugend.
Und was ich am Beispiel Midgard bemerkt habe: Mir macht das manchmal Spaß und ich möchte, auch als aufgeklärter Rollenspieler, zumindest teilweise IR betreiben.
Was meint ihr?
Mir hilft diese Beschreibung von "IR" dabei, einen Spielstil besser zu verstehen und zu würdigen, den ich vorher weniger gut verstanden habe.